Der Anwendungsbereich umfasst gemäß dem oben zitierten § 19 Abs. 2 AGG darüber hinaus ein Verbot von Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft bei der Begründung, Durchführung und Beendigung sonstiger zivilrechtlicher Schuldverhältnisse im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 AGG. Es handelt sich dabei um (in welcher Häufigkeit auch immer auftretende) Rechtsgeschäfte, welche keine Massengeschäfte oder Versicherungsverträge im Sinn von § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG sein müssen. Rechtsgeschäfte im Sinn von § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 AGG sind Rechtsgeschäfte, die sich beziehen auf den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 AGG), die sozialen Vergünstigungen (§ 2 Ab. 1 Nr. 6 AGG), die Bildung (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 AGG) und den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG). Die unter § 2 Abs. 1 Nrn. 5 bis 7 fallenden Leistungen in den Bereichen Sozialschutz, soziale Vergünstigungen, Bildung fallen allerdings nur insoweit unter diese Regelung, als sie auf zivilrechtlicher Grundlage und nicht wie häufig durch öffentlich-rechtliche Körperschaften auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbracht werden. In diesen Fällen besteht das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 GG und den Behindertengleichstellungsgesetzen des Bundes und der Länder oder in anderen Gesetzen. Für Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern gilt gemäß § 2 Abs. 2 AGG das Diskriminierungsverbot nach § 33c SGB I und § 19a SGB IV. Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, bleiben neben den Bestimmungen nach dem AGG bestehen (§ 2 Abs. 3 AGG).

Der Geltungsbereich, wie er in § 19 Abs. 1 und 2 festgelegt ist, gilt aber nicht ohne Einschränkungen. Diese ergeben sich aus § 19 Abs. 3 bis 5 und § 20 AGG.

Nach § 19 Abs. 4 AGG finden diese Vorschriften keine Anwendung auf familien- und erbrechtliche Schuldverhältnisse.

Bei Schuldverhältnissen, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird (z.B. Kreditgeschäfte, Vertrag als Pflegekraft oder Haushaltshilfe), findet das Benachteiligungsverbot gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 AGG keine Anwendung. Bei Mietverhältnissen kann ein solches Nähe- oder Vertrauensverhältnis insbesondere gegeben sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen (§ 19 Abs. 5 Satz 2 AGG).

Für die Vermietung von Wohnraum zum nicht nur vorübergehenden Gebrauch enthält § 19 AGG überhaupt erhebliche Sonderregelungen. Die Vermietung ist in der Regel kein Massengeschäft im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG, wenn der Vermieter insgesamt nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet (§ 19 Abs. 5 S. 3 AGG). Ferner ist bei der Vermietung von Wohnraum eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig (§ 19 Abs. 3 AGG). Dadurch soll eine Ghettobildung vermieden werden. Diese Sonderregelungen haben zur Folge, dass die Vermietung von Wohnraum nur noch theoretisch unter den Schutz des AGG fällt.

Unter welchen Voraussetzungen eine unterschiedliche Behandlung zulässig ist, regelt § 20 AGG. Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nach § 20 Abs. 1 AGG nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung

  1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient,
  2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt,
  3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt,
  4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.

§ 20 Abs. 1 Nr. 1 rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung zur Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art. Die Maßnahmen müssen geeignet und erforderlich sein. Dem Leistungsanbieter steht ein gewisser Spielraum zu, weil die vorbeugende Gefahrvermeidung auf einer Prognose beruht, die mit Unsicherheiten behaftet ist. Für die Abwicklung von Massengeschäften kann zudem wegen der bestehenden Verkehrssicherungspflicht eine bestimmte Standardisierung erforderlich sein. Auf diese Argumente stützen sich z.B. Freizeitparks, wenn sie den Zutritt zu bestimmten Fahrgeschäften für Personen mit einer körperlichen Behinderung oder bis zu einem bestimmten Alter nur mit einer Begleitperson gestatten oder ganz ausschließen (vgl. dazu Palandt RN 3 zu § 20 AGG). Auch blinden Besuchern eines Freizeitparks wurde wiederholt der Zutritt zu Fahrgeschäften oder der Zugang zu Fitness-Studios versagt und der Eintritt in Schwimmbädern ohne Begleitperson verwehrt. Solche Einschränkungen sollten zumindest mit sachverständigen Vertretern von Behindertenorganisationen - bei blinden oder sehbehinderten Personen mit Vertretern des DBSV oder des DVBS - abgestimmt werden. Die Versagung des Eintritts in ein Schwimmbad kann nicht damit begründet werden, dass im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "B" eingetragen sei. Nach § 3 Abs. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ist der Eintrag des Merkzeichens B mit dem erläuternden Satz versehen: "Die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson ist nachgewiesen." In § 146 Abs. 2 SGB IX heißt es dazu: "(2) Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Die Feststellung bedeutet nicht, dass die schwerbehinderte Person, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder für andere darstellt." Vgl. dazu auch Nr. 3.3.1 in Heft 2 dieser Schriftenreihe.

Wonach suchen Sie?