Die Erkenntnis, dass blinde Menschen trotz der seit 1804 im deutschsprachigen Raum einsetzenden Bildung und Ausbildung dieses Personenkreises zum Ausgleich der mit dem Sehverlust verbundenen Belastungen auf eine laufende finanzielle Hilfe angewiesen bleiben, führte schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts zur Forderung nach einer "Blindenrente". Der selbst blinde Pädagoge und Gründer der Blindenschule von Breslau Johann Knie wies erstmals 1834 auf die Notwendigkeit einer laufenden Hilfe hin. Der ebenfalls blinde Pädagoge Friedrich Scherer hat zur Lösung des Problems 1880 die Einführung einer "Allgemeinen Blindenversicherung" vorgeschlagen.
Das Streben nach einer staatlichen Blindenrente verstärkte sich mit der Entstehung von Blindenselbsthilfeorganisationen. Konrad Luthmer erhob auf dem von ihm als Privatmann organisierten "ersten Blindenkongress", welcher vom 19. bis 21.09.1908 in Hannover stattfand, die Forderung nach einer staatlichen Blindenrente. Der an den deutschen Kaiser und König von Preußen gerichtete Antrag wurde 1909 abgelehnt.
Bei der Gründung des Reichsdeutschen Blindenverbandes 1912 in Braunschweig wurde die Frage einer Blindenrente ebenfalls diskutiert und auf dem zweiten Verbandstag 1914 in das Verbandsprogramm aufgenommen.
Der Erste Weltkrieg (1914-1918) hatte im politischen und sozialen Bereich wesentliche Änderungen zur Folge. Das 1871 gegründete Kaiserreich wurde durch die Weimarer Republik abgelöst.
Die Kriegsfolgelasten führten zu einem wirtschaftlichen Niedergang, verbunden mit einer unvorstellbaren Inflation. Viele blinde Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Die Blindenselbsthilfeorganisationen setzten sich deshalb nachhaltig für die Verbesserung der Lage blinder Menschen ein. Ihre Hauptforderungen waren:
- die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit,
- die Einräumung der gleichen Vergünstigungen, wie sie Kriegsblinde erhielten, und
- die Absicherung eines menschenwürdigen Lebens durch die Gewährung einer eigenen Blindenrente.
Die Forderung nach einer Blindenrente wurde vor allem auf den drei Blindenwohlfahrtstagen von 1924 in Stuttgart, 1927 in Königsberg und 1930 in Nürnberg erhoben. Die Blindenwohlfahrtstage wurden gemeinsam von den Organisationen der Blindenlehrer, der Blindenfürsorge und vom Reichsdeutschen Blindenverband als Spitzenverband der Blindenselbsthilfeorganisationen veranstaltet.
Bereits der erste Blindenwohlfahrtstag richtete einen Antrag an das Reichsarbeitsministerium, wonach dieses auf die Regierungen der Länder mit dem Ziel einwirken sollte, berufsfähigen, aber erwerbsbeschränkten Blinden, deren Einkommen das ortsübliche Existenzminimum nicht erreicht, eine Zusatzrente zu gewähren.
Die weitere Bearbeitung der Rentenfrage wurde einem Unterausschuss des für die Durchführung der Blindenwohlfahrtstage verantwortlichen Kongressausschusses, dem so genannten Rentenausschuss, übertragen. Die Leitung des Rentenausschusses ging 1926 von J. Koch auf Dr. Dr. Rudolf Kraemer (Heidelberg) über.
Aufgabe des Rentenausschusses war es, eine Vorlage für den zweiten Blindenwohlfahrtstag zu erarbeiten. Der vom Rentenausschuss ausformulierte und begründete Gesetzentwurf basierte auf den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04.12.1924 (RGBl. S. 765).
Die Notwendigkeit einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente wurde vom Rentenausschuss mit folgenden Thesen begründet:
- Selbst mit der besten Ausbildung und Arbeitsfürsorge wird es nie möglich sein, alle erwachsenen Blinden so erwerbsfähig zu machen, dass sie ihren Lebensunterhalt durch eigene Berufsarbeit verdienen können.
- Die freie Wohlfahrtspflege ist nicht in der Lage, der Gesamtheit der hilfsbedürftigen Blinden eine ausreichende dauernde Versorgung zu gewährleisten.
- Bezüglich der Daseinssicherung ist daher die Staatshilfe zur Ergänzung der bisherigen Blindenfürsorge unentbehrlich: Mit anderen Worten, eine endgültige und befriedigende Lösung der Blindenfrage wird sich nur durch Einführung der öffentlich-rechtlichen Blindenrente erreichen lassen.
Der zweite Blindenwohlfahrtstag von 1927 in Königsberg stimmte dem vom Rentenausschuss vorgelegten Entwurf zu. Am 06.06.1928 wurde der Gesetzentwurf für eine öffentlich-rechtliche Blindenrente dem Reichstag vorgelegt und nach einer Mitteilung vom 28.09.1928 dem sozialpolitischen Ausschuss zwecks Beratung zuständigkeitshalber überwiesen. Der Antrag hatte keinen Erfolg.
Die Rentenfrage war nochmals Gegenstand des dritten und letzten Blindenwohlfahrtstages, der vom 30.07. - 03.08. 1930 in Nürnberg stattfand. Der Kongress forderte in einer Resolution erneut die Einführung einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente. Ein auf Grund dieser Resolution vom Reichsdeutschen Blindenverband am 01.12.1930 erneut eingereichte Antrag auf Erlass eines Gesetzes zur Gewährung einer Blindenrente wurde vom Reichstag der Regierung "als Material" übergeben, d. h. praktisch abgelehnt.
Rudolf Kraemer trat vom Vorsitz des Rentenausschusses zurück und wurde von Max Schöffler ersetzt. Die Forderung nach einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente wurde durch eine Kundgebungswoche in der Zeit vom 13. - 29. Februar 1932 in 75 Großstädten unterstützt.
In einer erneuten an den Deutschen Reichstag gerichteten Eingabe vom 11.05.1932 forderte der Rentenausschuss keine Blindenrente mehr, sondern ein Blindenpflegegeld von 25,00 RM monatlich, das allen Blinden über 18 Jahren gewährt werden sollte, wenn sie mit ihren Einkünften die steuerfreien Grenzen nicht überschritten. Der Reichstag wurde jedoch am 04.06.1932 aufgelöst, so dass dieser Antrag nicht mehr behandelt werden konnte. Die Bemühungen um eine öffentlich-rechtliche Blindenrente durch ein Reichsgesetz waren endgültig gescheitert.
Auf Länderebene bemühten sich die Blindenselbsthilfeorganisationen parallel zu den oben dargestellten Bestrebungen des Reichsdeutschen Blindenverbandes zur Erlangung einer Blindenrente darum, eine Verbesserung für die Blinden dadurch zu erreichen, dass diese in die gehobene Fürsorge nach der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.02.1924 (RGBl. I, S. 100) und den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04.12.1924 (RGBl. S. 765) aufgenommen wurden. Bei den Fürsorgeverordnungen handelte es sich um Fürsorgerecht. Sie wurden 1962 durch das Sozialhilfegesetz (BSHG) abgelöst. Dem BSHG folgte ab 01.01.2005 das SGG XII. Die Reichsfürsorgeverordnungen unterschieden zwischen der Armenfürsorge für notleidende Menschen und einer gehobenen Fürsorge für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene und Kleinrentner. Insbesondere in den durch den Ersten Weltkrieg hervorgerufenen Notlagen sollte dadurch geholfen werden. Die Länder hatten das Recht, weitere Gruppen von Hilfsbedürftigen von der Armenfürsorge in die gehobene Fürsorge zu übernehmen (§ 35 RGR). Die Länder konnten aufgrund von § 6 der Fürsorgepflichtverordnung weitergehende Hilfsmaßnahmen vorschreiben; sie konnten dabei für einzelne Gruppen der Hilfsbedürftigen die den örtlichen Verhältnissen angepassten Richtsätze um "in der Regel wenigstens ein Viertel des allgemeinen Richtsatzes" erhöhen. Diese Vergünstigung wurde blinden Fürsorgeempfängern in den Ländern in der Zeit der Weimarer Republik nach und nach eingeräumt.
Nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus, die mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg am 31.01.1933 begann, setzten die Blindenorganisationen zunächst ihre Bemühungen um eine staatliche Blindenrente fort. Die Reichsregierung lehnte jedoch einen Antrag vom April 1933 auf Gewährung einer Blindenrente im Mai 1933 ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass die Durchführung der allgemeinen Fürsorge Aufgabe der Länder und Provinzen sei. Sie verwies dazu auf § 6 der Fürsorgepflichtverordnung vom 13.02.1924 und auf § 35 RGR vom 04.12.1924. Die Blindenselbsthilfeorganisationen wurden - wie alle Vereine im Reichsgebiet - politisch gleichgeschaltet. Sie unternahmen während der Zeit des Nationalsozialismus keine weiteren Bemühungen zur Einführung einer Blindenrente. Einer solchen widersprach die Ideologie des Nationalsozialismus.