Zum Steuerrecht vgl. näher auch Heft 7 Abschnitt 4. Mit Unterpunkten in dieser Schriftenreihe.

Rechtsquellen für die im Folgenden behandelten Steuervergünstigungen sind das Einkommensteuergesetz (EStG) und die Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) sowie als Anweisungen an die Finanzverwaltung die vom Bundesfinanzministerium erlassenen Einkommen- und Lohnsteuerrichtlinien. Diese sollen für eine bundeseinheitliche Auslegung und Anwendung des Steuerrechts sorgen.

Eine bei Kindern vorhandene Behinderung findet im Steuerrecht in verschiedener Hinsicht Berücksichtigung. Es muss sich um Kinder im Sinn von § 32 EStG handeln. Dieser lautet auszugsweise:

"(1) Kinder im Sinn vom § 32 Abs. 1 EStG sind

  1. im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandte Kinder,
  2. Pflegekinder (Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht).

(...)

(3) Ein Kind wird in dem Kalendermonat, in dem es lebend geboren wurde, und in jedem folgenden Kalendermonat, zu dessen Beginn es das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, berücksichtigt."

§ 32 Abs. 4 enthält Sachverhalte, bei welchen ein Kind über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus berücksichtigt wird. Nach § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG ist das der Fall, wenn ein Kind "wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist."

Außerstande sich selbst zu unterhalten ist ein behindertes Kind, wenn es behinderungsbedingt finanziell nicht dazu in der Lage ist, seinen notwendigen Lebensbedarf zu decken. Der notwendige Lebensbedarf eines behinderten Kindes setzt sich aus dem steuerlichen Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG (Im Jahr 2014 8.354 Euro) sowie dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen, z.B. Wäsche, Hilfeleistungen, Erholung und typische Erschwernisaufwendungen. Wenn der behinderungsbedingte Mehrbedarf geltend gemacht wird, muss dieser nachgewiesen werden. Es kann aber auch an Stelle des individuellen behindertenbedingten Mehrbedarf der Schwerbehindertenpauschbetrag nach § 33b Abs. 3 EStG eingesetzt werden. Dem so ermittelten notwendigen Lebensbedarf eines behinderten Kindes sind seine Einkünfte gegenüberzustellen. Sind sie niedriger, ist das Kind nicht in der Lage, selbst seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Zu den als Einkommen anzurechnenden "Bezügen" gehören auch das Pflegegeld nach dem SGB XI und das Blindengeld! Es wird jedoch vermutet, dass ein dem Pflegegeld entsprechender Pflegeaufwand besteht.

Dies wurde vom Bundesfinanzhof bereits in einem früheren Urteil anerkannt (BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 50/03). Mit Urteil vom 31.08.2006 - III R 71/05 - erkennt der Bundesfinanzhof an, dass dieselbe Vermutung auch für den Bezug von Blindengeld gilt. In dem Rechtsstreit ist es um die Gewährung des Kindergeldes für den erwachsenen Sohn an seine Mutter gegangen. Dieser ist am 5. September 1972 geboren und seit einer Operation im Jahr 1978 erblindet. In der Begründung des Urteils heißt es dazu:

"Die Grundsätze der Rechtsprechung zur Ermittlung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs bei Zahlung von Pflegegeld gelten ebenso bei der Zahlung von Blindengeld. Daher ist auch beim Blindengeld zu vermuten, dass ein behinderungsbedingter Mehrbedarf in Höhe des tatsächlich gezahlten Blindengeldes besteht. (...) Das bedeutet, dass das Blindengeld zwar bei den Bezügen zu erfassen ist, weil es sich (...) um finanzielle Mittel des Kindes zur Bestreitung seines Lebensunterhalts handelt. Ist das Blindengeld höher als der Behinderten-Pauschbetrag, ist es jedoch anstelle des Behinderten-Pauschbetrages als behinderungsbedingter Mehrbedarf anzusetzen."

Wegen der unterschiedlichen Höhe des Blindengeldes in den Ländern hat der Bundesfinanzhof keine Bedenken. Er führt dazu aus:

"Der Vermutung des tatsächlichen behinderungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe des Blindengeldes steht nicht entgegen, dass in den einzelnen Bundesländern Blindengeld in unterschiedlicher Höhe gezahlt wird. Denn die unterschiedliche Höhe des Blindengeldes lässt sich nicht nur mit der Haushaltslage der einzelnen Bundesländer erklären, sondern auch mit den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten. Daher ist die Annahme des FG, alle Blinden hätten in allen Bundesländern einen gleich hohen behinderungsbedingten Bedarf, unzutreffend. Es ist gerichtsbekannt, dass die Lebenshaltungskosten z.B. in den vom FG genannten Ländern Hamburg und Brandenburg wesentlich voneinander abweichen. Entgegen der Auffassung des FG führt die Vermutung, dass das jeweilige Blindengeld dem tatsächlichen Mehrbedarf entspricht, nicht zu einer Ungleichbehandlung von Blindengeldempfängern hinsichtlich des Kindergeldes. Denn bei den Empfängern von niedrigerem Blindengeld wäre einerseits auch nur ein entsprechend geringerer Betrag i. S. von § 32 Abs. 4 S. 2 EStG zu erfassen. Andererseits wäre als Mindestbetrag bei dem behinderungsbedingten Mehrbedarf stets der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 S. 3 EStG zu berücksichtigen, wenn das ausbezahlte Blindengeld tatsächlich unter diesem Betrag läge. Anderenfalls bliebe vom Gesetzgeber pauschal angenommener behinderungsbedingter Mehraufwand zu Unrecht außer Betracht."

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes muss die Behinderung des Kindes Erheblich mitursächlich für seine mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt sein (BFH, Urteil vom 19. November 2008 - III R 105/07 -, BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057). Dabei kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalls an. Die Ursächlichkeit der Behinderung kann grundsätzlich angenommen werden, wenn im Schwerbehindertenausweis das Merkmal "H" (hilflos) eingetragen ist oder der Grad der Behinderung (GdB) 50 oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint.

Ein Kind ist dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensunterhalts ausreicht (BFH-Urteile vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72, und VI R 40/98, BFHE 189, 449, BStBl II 2000, 75)

Indizien für eine Ursächlichkeit der Behinderung für eine fehlende Erwerbsfähigkeit ergeben sich hingegen aus einem GdB von 100, dem Merkmal H sowie einer fehlenden Vermittelbarkeit durch die Agentur für Arbeit. Je höher der GdB ist, desto stärker wird die Vermutung, dass die Behinderung der erhebliche Grund für die fehlende Erwerbstätigkeit ist.

Zu beachten ist, dass Ein behindertes Kind sowohl wegen der Behinderung als auch wegen der allgemeinen ungünstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt oder wegen anderer Umstände (z.B. mangelnder Mitwirkung bei der Arbeitsvermittlung, Ablehnung von Stellenangeboten) arbeitslos und damit außer Stande sein kann, sich selbst zu unterhalten. Nur wenn die Behinderung die erhebliche Ursache dafür ist, dass sich das Kind nicht selbst unterhalten kann, ist dieser Sachverhalt entscheidend (BFH-Urteil vom 19.11.2008 III R 105/07).

So geht das FG Düsseldorf bei einer Erblindung in seinem Urteil vom 23. Mai 2013 - 14 K 2164/11 Kg - davon aus, dass im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung aller Indizien eine Behinderung in Form einer Erblindung nicht grundsätzlich den Schluss auf eine mangelnde berufliche Leistungsfähigkeit rechtfertigt. Das FG führt dazu aus:

"Insoweit ist gerichtsbekannt, dass blinden Menschen eine Vielzahl beruflicher Möglichkeiten eröffnet ist und deshalb die Blindheit als solche, auch unter Berücksichtigung der durch sie regelmäßig ausgelösten Merkzeichen H und G, nicht die Annahme einer erheblichen Mitursächlichkeit für die fehlende Möglichkeit zum Selbstunterhalt indiziert" (RN. 53).

Die Klägerin hatte ihre Ausbildung in einer Blindenschule wegen einer Schwangerschaft abgebrochen. Sie ist zwischenzeitlich Mutter von drei Kindern. Das FG vertritt in seinem Urteil die Auffassung, dass die Klägerin trotz ihrer Behinderung in der Lage wäre, sich z.B. zu einer Telefonistin ausbilden zu lassen und ihren Unterhalt damit zu erwerben. Dafür, dass sie dazu nicht in der Lage sei, seien ihre Lebensumstände und nicht die Blindheit ursächlich.

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