Um das Erbe dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu entziehen, wurden verschiedene Lösungen entwickelt.
Zunächst könnte man daran denken, dem behinderten Kind nichts oder nur wenig zukommen zu lassen. Das hätte zur Folge, dass der Pflichtteilsanspruch entsteht, der dann wiederum vom Sozialhilfeträger geltend gemacht werden könnte. Das angestrebte Ziel lässt sich auf diese Weise nicht verwirklichen. Die Eltern wollen ihrem behinderten Kind ja gerade etwas zukommen lassen, um dessen Lebenssituation zu verbessern. Folgende Lösungsmöglichkeiten sollten überlegt werden:
Auszugehen ist von der Situation zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung. Dementsprechend ist die zweckmäßigste Lösung zu wählen.
1. Situation:
Es ist zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung nur ein Elternteil mit einem behinderten Kind vorhanden.
Lösung:
Hier ist es möglich, das Kind zum nicht befreiten Vorerben und z.B. eine gemeinnützige Organisation zum Nacherben einzusetzen. Die Anordnung einer lebenslangen Testamentsvollstreckung ist ratsam. Dem Testamentsvollstrecker können Verwaltungsanweisungen gegeben werden, die dafür sorgen, dass die Erträgnisse zum Wohle und im Interesse des behinderten Kindes verwendet werden.
2. Situation:
Ein Elternteil hat ein behindertes Kind und ein oder mehrere nichtbehinderte Kinder.
Lösung:
Das behinderte Kind wird wie im Fall 1 als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt. Als Nacherben werden z. B. die anderen Kinder eingesetzt. Testamentsvollstreckung auf Lebenszeit wird angeordnet. Die Testamentsvollstreckung wird mit einer Verwaltungsanordnung verbunden. Die nichtbehinderten Kinder werden als Erben eingesetzt.
3. Situation:
Beide Eltern leben. Sie haben ein behindertes Kind. Es ist der Erbfall beim Tod des erstversterbenden Elternteils und der Erbfall beim Tod des zweitversterbenden Elternteils zu bedenken.
Lösung:
Die Eltern setzen sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Das behinderte Kind erhält ein Vorvermächtnis in Höhe mindestens des Pflichtteils. Das behinderte Kind wird als nicht befreiter Vorerbe nach dem Tod des zweitversterbenden Elternteils eingesetzt. Ein Nacherbe muss ebenfalls bestimmt werden. Sowohl für das Vorvermächtnis als auch für die Vorerbschaft wird für das behinderte Kind lebenslang andauernde Testamentsvollstreckung mit einer Verwaltungsanweisung angeordnet.
Oder:
Der überlebende Ehegatte und das behinderte Kind werden für den ersten Erbfall als Erben eingesetzt, wobei der Erbteil des behinderten Kindes mindestens die Höhe seines Pflichtteilsanspruches haben muss. Das behinderte Kind wird dabei als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt. Außerdem wird das behinderte Kind auch für den zweiten Erbfall als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt. Der oder die Nacherben müssen sowohl für den ersten als auch für den zweiten Erbfall bestimmt werden. Der oder die Nacherben können für den ersten Erbfall andere als für den zweiten Erbfall sein. Außerdem muss sowohl für den ersten als auch für den zweiten Erbfall Testamentsvollstreckung für die Lebensdauer, verbunden mit einer Verwaltungsanweisung, angeordnet werden.
Der Sozialhilfeträger kann sich weder beim Tode des erstversterbenden Elternteils noch beim Tode des zweitversterbenden Elternteils an den in die Vorerbschaft fallenden Nachlass halten, um Erstattung seiner Aufwendungen zu erreichen. Auch den Nacherben kann der Sozialhilfeträger nicht heranziehen, denn dieser ist nicht Erbe des behinderten Kindes, sondern Erbe des verstorbenen Elternteils.
4. Situation:
Die Eltern haben sowohl ein behindertes Kind als auch ein oder mehrere nichtbehinderte Kinder. Regelungen müssen sowohl für den ersten, als auch für den zweiten Erbfall getroffen werden.
Lösung:
Die Eltern setzen sich gegenseitig zu Erben ein. Die Kinder erhalten ein Vermächtnis, das mindestens die Höhe ihres Pflichtteils beträgt. Das Vermächtnis für das behinderte Kind wird als Vorvermächtnis zugewendet. Die Verpflichtung zur Auszahlung der Vermächtnisse kann bis zum Tod des überlebenden Ehegatten ausgesetzt werden. Dadurch bleibt dem überlebenden Ehegatten die Nutzung des gesamten Vermögens, und er gerät nicht etwa in Gefahr, ein Hausgrundstück verkaufen zu müssen, um die Vermächtnisse zu erfüllen.
ür den zweiten Erbfall werden die Kinder bzw. deren Nachkommen als Schlusserben eingesetzt. Die Erbeinsetzung für das behinderte Kind erfolgt wieder in der Form der nicht befreiten Vorerbschaft. Ein Nacherbe muss eingesetzt werden, z. B. die Geschwister oder eine Einrichtung. Außerdem wird sowohl für das Vorvermächtnis als auch für die Vorerbschaft lebenslang andauernde Testamentsvollstreckung mit einer Verwaltungsanweisung angeordnet.
Oder:
Die Kinder werden für den ersten Erbfall neben dem überlebenden Elternteil als Erben eingesetzt. Die Einsetzung des behinderten Kindes erfolgt in der Form der nicht befreiten Vorerbschaft. Für den zweiten Erbfall werden die Kinder als Erben eingesetzt. Das behinderte Kind wird auch für den zweiten Erbfall als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt. Für das behinderte Kind wird sowohl für den ersten als auch für den zweiten Erbfall lebenslang andauernde Testamentsvollstreckung, verbunden mit einer Verwaltungsanweisung, angeordnet.
Die Lösung für Vor- und Nacherbfolge sowohl für den ersten als auch für den zweiten Erbfall wird in der Literatur als die sicherste empfohlen. Notwendig ist es, zu bestimmen, dass der Vorerbe von gesetzlichen Beschränkungen nicht befreit ist.
Sinnvoll ist es auch, dem Testamentsvollstrecker Verwaltungsanweisungen zu geben, die sicherstellen sollen, dass die Erträgnisse über die Leistungen des Sozialhilfeträgers hinaus zum Wohl des behinderten Kindes verwendet werden. In diesen Verwaltungsanweisungen könnte z. B. bestimmt werden:
"Der Testamentsvollstrecker wird gemäß § 2216 Abs. 2 BGB verbindlich angewiesen, die Mittel aus dem jährlichen Reinertrag des Nachlasses ausschließlich in folgender Form unserem Kind zuzuwenden:
- ein Taschengeld und Geldzuwendungen, die jedoch, wenn unser Kind erstattungspflichtige Sozialleistungen in Anspruch nimmt, den Rahmen dessen nicht übersteigen dürfen, was nach den einschlägigen Bestimmungen maximal zur freien Verfügung stehen darf.
- Geschenke zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten und zu seinem Geburtstag, wobei bei der Auswahl der Geschenke auf die Bedürfnisse und Wünsche unseres Kindes ausdrücklich einzugehen ist.
- Finanzierung von Freizeiten und Urlaubsaufenthalten, einschließlich der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände und ggf. Bezahlung einer erforderlichen, geeigneten Begleitperson.
- Zuwendungen zur Befriedigung geistiger und künstlerischer Bedürfnisse sowie zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisse unseres Kindes in Bezug auf Freizeit, wozu insbesondere auch Hobbys und Liebhabereien zählen.
- Aufwendungen für Besuche bei Verwandten und Freunden.
- Aufwendungen für ärztliche Behandlungen, Heilbehandlungen, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) gezahlt werden, z.B. Brille, Zahnersatz usw.
- Anschaffungen von Hilfsmitteln und Ausstattungsgegenständen, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) bezahlt werden, wobei die Hilfsmittel von der Qualität so bemessen und ausgewählt sein sollen, dass sie unserem Kind optimal dienlich sind.
- Aufwendungen für zusätzliche Betreuung, z.B. bei Spaziergängen, Theater- und Konzertbesuchen, Einkäufen und ähnliches entsprechend den Wünschen unseres Kindes.
- Aufwendungen für Güter des persönlichen Bedarfs, z.B. Kleidung oder Einrichtung seines Zimmers. Der Testamentsvollstrecker wird ausdrücklich angewiesen, auf die Bedürfnisse und soweit wie möglich auf die Wünsche unseres Kindes einzugehen.
Für welche der genannten Leistungen die jährlichen Reinerträgnisse verwendet werden sollen, d.h. ob diese auf sämtliche Leistungen gleichmäßig oder nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden und ob diese in einem Jahr nur für eine oder mehrere der genannten Leistungen verwendet werden, entscheidet der Testamentsvollstrecker nach billigem Ermessen. Er muss dabei auf das Wohl unseres Kindes bedacht sein.
Werden die jährlichen Reinerträgnisse des unserem Kind zustehenden Erbteils ihm nicht in einem Jahr in voller Höhe in Form der vorbezeichneten Leistungen zugewendet, sind die Überschüsse gewinnbringend anzulegen. Für nach obigen Grundsätzen geplante größere Anschaffungen oder Reisen sind vorab Rücklagen zu bilden."
Sowohl im Internet (Stichwort Behindertentestament) als auch in der unten angegebenen Literatur sind Mustertestamente zu finden, die natürlich der konkreten Situation angepasst werden müssen.