Grundlegende Leistungsvoraussetzung ist nach allen Blindengeldgesetzen Blindheit.
Unter Blindheit ist nicht nur Amaurose (Lichtlosigkeit) zu verstehen. Der Blindheitsbegriff wurde im Blindengeldrecht im Laufe der Entwicklung unterschiedlich definiert. Auf die verschiedenen in der Wissenschaft diskutierten Definitionen der Blindheit, wie z. B. orientierungsbezogene Blindheit, erwerbsbezogene Blindheit oder pädagogikbezogene Blindheit, die teilweise auch in der Entwicklung des Blindengeldrechts eine Rolle gespielt haben, wird hier nicht näher eingegangen. Eine ausführliche Darstellung findet sich in der Dissertation von Demmel auf S. 212 ff.
Für das geltende Recht ist in allen Blindengeldgesetzen einheitlich der sozialrechtliche Blindheitsbegriff maßgebend. Er wird in § 72 Abs. 5 SGB XII folgendermaßen definiert:
"(5) Blinden Menschen stehen Personen gleich, deren beidäugige Gesamtsehschärfe nicht mehr als ein Fünfzigstel beträgt oder bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleichzuachtende, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens vorliegen."
Die Landesblindengeldgesetze enthalten entweder eine Verweisung auf § 72 Abs. 5 SGB XII oder eine eigene, inhaltlich übereinstimmende Begriffsbestimmung, wobei allerdings in einigen Blindengeldgesetzen, wenn noch ein Restsehvermögen auf beiden Augen vorhanden ist, nicht auf das "beidäugige" Sehvermögen, sondern noch auf das bis vor wenigen Jahren geltende "Sehvermögen des besseren Auges" abgestellt wird. Aber auch bei der Beurteilung der Blindheit nach diesen Gesetzen sollte im Interesse einer einheitlichen Beurteilung auf das beidäugige Sehvermögen abgestellt werden.
Auf § 72 Abs. 5 SGB XII wird in folgenden Gesetzen verwiesen: Brandenburg (§ 2 Nr. 2), Hamburg (§ 1 Abs. 1).
Eigene Definitionen enthalten die Landesgesetze von: Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 2), Bayern (Art. 1. Abs. 2), Berlin (§ 1 Abs. 2), Bremen (§ 1 Abs. 2), Hessen (§ 1 Abs. 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 3), Niedersachsen (§ 1 Abs. 2), Nordrhein-Westfalen (§ 1 Abs. 1 S. 2), Rheinland-Pfalz (§ 1 Abs. 2 und 3), Saarland (§ 1 Abs. 3), Sachsen (§ 1 Abs. 2), Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 2), Schleswig-Holstein (§ 1 Abs. 3) und Thüringen (§ 1 Abs. 2).
Bei der Beurteilung, ob Blindheit vorliegt, handelt es sich um medizinische Feststellungen. Anknüpfungspunkte in den Blindengeldgesetzen sind einerseits die Sehschärfe, andererseits das Sehvermögen. Unter der Bezeichnung "Sehvermögen" werden in der Augenheilkunde alle Funktionen des Sehorgans, d. h. vor allem Sehschärfe, Gesichtsfeld, Farben-, Dunkelsehen, Adaptionsvermögen zusammengefasst.
Der einheitlichen Beurteilung der Blindheit im Sozialrecht dienen die Versorgungsmedizin-Verordnung - Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (VersMedV) vom 10.12.2008, (BGBl. I. S. 2412)und die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze", die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung erlassen worden sind. Dazu vgl. auch Heft 02 Abschnitt 2.1. Die VersMedV ist auf Grund der Ermächtigung in § 30 Abs. 17 des Bundesversorgungsgesetzes ergangen.
Die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" sind im Internet bei www.google.de unter dem Stichwort: "Versorgungsmedizin-Verordnung Anlage zu § 2" zu finden.
Die Blindheit ist in der Anlage zu § 2 VersMedV in Teil A Nr. 6 Buchstabe a) bis c) der Grundsätze wie folgt definiert:
- Blindheit und hochgradige Sehbehinderung
- Blind ist ein behinderter Mensch, dem das Augenlicht vollständig fehlt. Als blind ist auch ein behinderter Mensch anzusehen, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind.
- Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 (1/50) oder weniger gleichzusetzende Sehbehinderung liegt nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft bei folgenden Fallgruppen vor:
- bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
- bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
- bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
- bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
- bei großen Skotomen (Gesichtsfeldausfällen) im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
- bei homonymen Hemianopsien (Ausfall einer Gesichtsfeldhälfte an beiden Augen), wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
- bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Blind ist auch ein behinderter Mensch mit einem nachgewiesenen vollständigen Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit), nicht aber mit einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen.
Wichtige Merkmale sind also die Sehschärfe und das Gesichtsfeld. Die Sehschärfe wird dabei in einem Bruch angegeben. Eine Sehschärfe von 1/50 besagt, dass zwei Punkte in einem Abstand von 50 Winkelminuten erkannt werden. Bei einer Sehschärfe von 1/10 werden zwei Punkte in einem Abstand von 10 Winkelminuten erkannt. Vergröbernd ausgedrückt kann man auch sagen: Wer über eine Sehschärfe von 1/50 verfügt, kann Gegenstände erst in einem Abstand von 1 Meter sehen, die bei normaler Sehschärfe in einem Abstand von 50 Metern erkannt werden.
Eine der schwierigsten Fragen ist, ob Blindheit beim Vorliegen einer visuellen Agnosie (in der Rechtsprechung und Literatur auch bezeichnet als optische oder optisch-visuelle Agnosie) gegeben sein kann. Blindheit kann nur angenommen werden, wenn die Sehbeeinträchtigung auf einem Defekt des optischen Apparates beruht bzw. in der Verarbeitung optischer Reize ihre Ursache hat. Andere hirnorganische Störungen sind nicht zu berücksichtigen. Im Einzelnen vgl. dazu unten 6.1.2.
Im Folgenden wird auf die für die Beurteilung der Blindheit maßgebenden Kriterien näher eingegangen.