Maßgebend für die Teilnahme am Straßenverkehr - auch als Fußgänger ! - ist die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vom 18. August 1998.
Grundsätzlich ist jeder zum Straßenverkehr zugelassen, soweit nicht für bestimmte Verkehrsarten, wie z.B. zum Führen eines Kraftfahrzeugs eine besondere Erlaubnis vorgesehen ist (§ 1 FeV). § 2 der FeV enthält jedoch für behinderte Verkehrsteilnehmer erhebliche Einschränkungen. Er lautet:
"§ 2 Eingeschränkte Zulassung
(1) Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet. Die Pflicht zur Vorsorge, namentlich durch das Anbringen geeigneter Einrichtungen an Fahrzeugen, durch den Ersatz fehlender Gliedmaßen mittels künstlicher Glieder, durch Begleitung oder durch das Tragen von Abzeichen oder Kennzeichen, obliegt dem Verkehrsteilnehmer selbst oder einem für ihn Verantwortlichen.
(2) Körperlich Behinderte können ihre Behinderung durch gelbe Armbinden an beiden Armen oder andere geeignete, deutlich sichtbare, gelbe Abzeichen mit drei schwarzen Punkten kenntlich machen. Die Abzeichen dürfen nicht an Fahrzeugen angebracht werden. Wesentlich sehbehinderte Fußgänger können ihre Behinderung durch einen weißen Blindenstock, die Begleitung durch einen Blindenhund im weißen Führgeschirr und gelbe Abzeichen nach Satz 1 kenntlich machen.
(3) Andere Verkehrsteilnehmer dürfen die in Absatz 2 genannten Kennzeichen im Straßenverkehr nicht verwenden."
Ein blindes oder sehbehindertes Kind, das eine Verkehrserziehung erfahren und *im Bedarfsfall* ein Orientierungs- und Mobilitätstraining absolviert hat, kann am Straßenverkehr als Fußgänger auch ohne Begleitperson teilnehmen. Eltern und sonst Aufsichtspflichtige sollten hier nicht zu ängstlich sein und ihrem Kind durchaus etwas zutrauen.
*Zu beachten ist aber in jedem Fall das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr und dies kann beinhalten, dass eine Kennzeichnung als behinderter Mensch i. S. v. § 2 Abs. 2 FeV erforderlich ist. Es gibt hier keine starren Visuswerte, bei deren Vorliegen eine Kennzeichnung immer angezeigt ist. Der Gesetzgeber überlässt bis zu einem gewissen Grad jedem selbst die Einschätzung, ob er sicher am Straßenverkehr teilnehmen kann, ohne eine Gefahr für sich oder andere Verkehrsteilnehmer darzustellen und ab wann er selbst Vorsorgemaßnahmen treffen sollte - etwa in Form einer entsprechenden Kennzeichnung. Bei Minderjährigen ist diese Entscheidung durch die Eltern zu treffen. Dadurch, dass der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 FeV aber von "wesentlich Sehbehinderten" spricht, sollte bei einem Visus von 30 % oder dem Schweregrad entsprechend gleichzuachtenden Gesichtsfeldeinschränkungen eine Kennzeichnung in Betracht gezogen werden.* Verständlicherweise wird die Pflicht, die gelbe Armbinde mit drei schwarzen Punkten zu tragen oder sich durch einen weißen Blindenstock zu kennzeichnen, bei blinden oder sehbehinderten Kindern und Jugendlichen auf Widerwillen treffen. Hier muss an die Verantwortlichkeit appelliert werden. Es geht nicht nur darum, selbst die erforderliche Rücksichtnahme zu erfahren, sondern auch darum, andere Verkehrsteilnehmer vor Schaden zu bewahren.
Wenn ein blindes oder wesentlich sehbehindertes Kind oder Jugendlicher mit einem Begleiter unter Wegs ist, brauchen diese Kennzeichen nicht getragen zu werden. Ein Begleiter kann auch ein Freund sein, der über das erforderliche Geschick beim Führen verfügt.
Wenn bei einem Verkehrsunfall ein Schaden entstanden ist, kann es durchaus zu einem Rechtsstreit kommen, der vor Gericht ausgetragen werden muss. Die Frage, wen die Schuld am Unfall trifft, spielt eine entscheidende Rolle. Wenn die vorgeschriebene Kennzeichnung fehlt, wird von den Gerichten sehr leicht "prima facie", also nach erstem Anschein, von einem Verschulden des unbegleiteten Behinderten ausgegangen. Wenn das Verkehrschutzzeichen verwendet wurde, hat das zur Folge, dass die übliche Beweislastverteilung gilt, nach welcher der Geschädigte beweisen muss, dass das Verschulden den blinden oder sehbehinderten Verkehrsteilnehmer trifft. Aber auch wenn der nicht begleitete blinde oder sehbehinderte Verkehrsteilnehmer einen Schaden erlitten hat wird bei fehlender Kennzeichnung der Nachweis, dass den anderen Verkehrsteilnehmer das Verschulden trifft und dieser deshalb schadensersatzpflichtig ist, erheblich erschwert.
Die Pflicht, für die erforderlichen Vorkehrungen zu sorgen, trifft nicht nur den Verkehrsteilnehmer (also das blinde oder sehbehinderte Kind) selbst, sondern auch einen für den wegen der Minderjährigkeit oder Behinderten Verantwortlichen, also die Eltern oder sonst aufsichtspflichtige Personen (§ 832 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Aufsichtspflichtige seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde (§ 832 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Die Verletzung dieser Pflichten stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 75 FeV). Wird bei einem Unfall eine andere Person verletzt, kann das strafrechtliche Folgen haben. Auf diese wird hier nicht eingegangen. Daneben entstehen aber auch zivilrechtliche Verpflichtungen zum Schadensersatz.
Wird ein anderer Verkehrsteilnehmer verletzt oder erleidet er sonst einen Schaden, so entstehen für den Geschädigten Schadensersatzansprüche (§§ 823 ff., 249 ff. BGB gegen den Schädiger, §§ 832, 249 ff. BGB gegen den Aufsichtspflichtigen). Nicht nur der materielle Schaden ist zu ersetzen (§ 249 BGB), sondern es kann auch Schmerzensgeld verlangt werden (§ 847 BGB).
§ 832 Abs. 1 bestimmt:
"(1) Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde."
Die Aufsichtspflicht der Eltern ergibt sich aus § 1631 BGB. Sie bewegen sich dabei in einem ständigen Spannungsfeld. Auf der einen Seite steht der Auftrag, Kinder zu selbstständigem, verantwortungsbewusstem Handeln zu erziehen und dabei deren wachsende Fähigkeiten und Bedürfnisse zu berücksichtigen. Das heißt Kinder benötigen dafür auch Freiräume, um zu lernen, mit Risiken und Gefahren umzugehen. Auf der anderen Seite bedeutet Aufsichtspflicht, die Kinder und auch Dritte vor Schaden zu bewahren und das Tun der Kinder dementsprechend zu beaufsichtigen. Der konkrete Inhalt der Aufsichtspflicht ist gesetzlich nicht geregelt. Art und Ausmaß der Aufsichtspflicht hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Der Reife- und Erziehungsstand ist bei jedem Kind individuell einzuschätzen. Insbesondere bei der Aufsichtspflicht im Straßenverkehr richten sich die Anforderungen an das Alter des Kindes. Bis zum Beginn des schulpflichtigen Alters sind nach der Rechtsprechung Kinder gründlich zu beaufsichtigen, da sie zu unberechenbarem Verhalten neigen. Wenn Eltern ein blindes oder sehbehindertes Kind, das fähig ist, am Straßenverkehr als Fußgänger teilzunehmen, dieses über die Gefahren fehlender Kennzeichnung für es selbst oder für andere Verkehrsteilnehmer aufgeklärt und dafür gesorgt haben, dass sich das Kind entsprechend kennzeichnet und wenn sie sich darauf verlassen können, muss das zur Wahrung der Aufsichtspflicht genügen. Sie haben dann ihre Informationspflicht erfüllt. Aus der Überwachungspflicht ergibt sich, dass die Aufsichtspflichtigen überwachen müssen, ob sich das Kind auch tatsächlich entsprechend verhält und die erforderliche Kennzeichnung vornimmt. Daraus folgt aber nicht, dass das Kind ständig überwacht werden muss.
Die Haftung von Kindern, die das 7. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist nach § 828 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Kinder, die das 7. Lebensjahr vollendet haben, sind bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres für den Schaden, den sie bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügen, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn das Kind den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat (§ 828 Abs. 2 BGB). In § 828 Abs. 3 wird die Haftung auch für Minderjährige, die das 7. bzw. 10 Lebensjahr vollendet haben, dahin eingeschränkt, dass sie für einen Schaden nicht verantwortlich sind, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht haben. Nach § 829 BGB kann sich aber trotzdem eine Schadensersatzpflicht ergeben, wenn der Schadensersatz nicht von einem Aufsichtspflichtigen erlangt wird und es nach den gegebenen Umständen unbillig wäre, von einer Schadensersatzleistung durch den Minderjährigen abzusehen.