Die Frage ist, inwieweit das Blindengeld, das eine Sozialleistung ist, im Unterhaltsrecht als Einkommen behandelt wird und damit für Unterhaltsleistungen zur Verfügung steht.

Im Unterschied zum Sozialrecht wird im zivilen Unterhaltsrecht das Blindengeld als Einkommen angesehen. Das heißt: Nach Auffassung der Zivilgerichte gehört das Blindengeld zu den Einkünften, die grundsätzlich für den eigenen oder fremden Unterhalt zur Verfügung zu stehen haben.

Auslöser dieser Rechtsprechung war ein Urteil des BGH (BGH Urteil vom 21.01.1981 - FamRZ, 1981, S. 338), das die Grundrente nach § 31 BVG betraf und worin der Grundsatz aufgestellt wurde, dass Sozialleistungen trotz ihrer Zweckbestimmung nicht davon ausgeschlossen seien, zur Deckung des privaten Unterhaltsrechts mit herangezogen zu werden. Zwar seien die für den behinderungsbedingten Mehraufwand erforderlichen Mittel dem Beschädigten zu belassen, jedoch trage der Betreffende die Beweislast dafür, ob und in welchem Umfang solche Mittel erforderlich seien. Folge dieser Rechtsprechung war, dass die betroffenen Sozialleistungsempfänger regelmäßig in Beweisnot gerieten und letztlich dazu gezwungen wurden, einen Teil der Sozialleistung zweckwidrig für den (eigenen oder fremden) Unterhalt einzusetzen. Die Verbände der Blindenselbsthilfe forderten deshalb jahrelang eine gesetzliche Regelung, die diese Folgen verhindern sollten. Schließlich wurde gegen den harten Widerstand der Richterschaft mit Gesetz vom 15.01.1991 (BGBl. I, S. 46) der § 1610a ins BGB eingefügt.

Diese Regelung ist ein Kompromiss: Die von ihm erfassten Sozialleistungen zählen zwar zum unterhaltspflichtigen Einkommen. § 1610a BGB spricht aber die gesetzliche Vermutung aus, dass die Kosten der Aufwendungen infolge eines Körper- oder Gesundheitsschadens nicht geringer sind, als die Höhe der hierfür geleisteten Sozialleistungen. Aufgrund der Verweisungen in §§ 1361 und 1571 BGB sowie § 12 Abs. 3 S. 2 Lebenspartnerschaftsgesetz gilt diese Vermutung für das gesamte Unterhaltsrecht. Es handelt sich um eine Beweislastregelung, die zu einer Umkehrung der Beweislast führt. Körperlich und gesundheitlich Beschädigten soll die Beweislast dafür abgenommen werden, dass die empfangenen Sozialleistungen tatsächlich zur Deckung des konkreten schadensbedingten Mehraufwandes erforderlich sind und benutzt werden (Palandt RN. 1 zu § 1610a BGB). Zu den von § 1610a BGB erfassten Sozialleistungen gehört wegen seiner Zweckbestimmung auch das Blindengeld (Palandt RN. 3 zu § 1610a BGB). § 1610a BGB gilt dagegen nicht für Sozialleistungen, die Lohnersatzcharakter haben (Palandt RN. 4).

§ 1610a BGB gilt für den Unterhaltsberechtigten wie für den Unterhaltsverpflichteten, wirkt sich also ggf. bedürftigkeitserhöhend wie leistungsfähigkeitsmindernd aus.

Bei Unterhaltsansprüchen minderjähriger unverheirateter Kinder oder von Kindern bis zum vollendeten 21. Lebensjahr, solange diese noch im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden, ist allerdings § 1603 Abs. 2 BGB zu beachten. Danach sind ihnen gegenüber die Eltern verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und dem Unterhalt dieser Kinder gleichmäßig zu verwenden. Daraus ergibt sich, dass in solchen Fällen § 1610a BGB nur eine sehr eingeschränkte Wirkung hat (vgl. Palandt RN 2 zu § 1610a BGB). Das OLG Hamm hat im Urteil vom 14.12.1998 - Az. 8 UF 274/98 - festgestellt: "Bezieht ein auf Kindesunterhalt in Anspruch genommener Verpflichteter Pflegegeld und wird dieses nicht für eine Fremdbetreuung eingesetzt und damit nicht bestimmungsgemäß verwendet, ist die Vermutung des BGB § 1610a widerlegt und das Pflegegeld ist als unterhaltsrechtlich berücksichtigungsfähiges Einkommen des Verpflichteten zu behandeln.". Diese Einschränkung kann allerdings für das Blindengeld nicht gelten, da dessen Zweckbestimmung weiter ist als die Zweckbestimmung des Pflegegeldes nach den §§ 36 ff. SGB XI.

Die Beweisumkehrung des § 1610a BGB hat zur Folge, dass nicht der Sozialleistungsberechtigte die Erforderlichkeit und die Verwendung für den behinderungsbedingten Bedarf beweisen muss, sondern dass derjenige, der Unterhaltsansprüche geltend macht, die Vermutung zu widerlegen hat. Allerdings haben die Zivilgerichte diese Norm insoweit aufgeweicht, als sie verlangen, dass bei einer Beweisaufnahme zuerst der Blindengeldempfänger über seine behinderungsbedingten Ausgaben Auskunft zu geben hat. Die Gegenseite hat dann den Beweis dafür anzutreten, dass das nicht zutrifft. Dem Prozessgegner des Behinderten obliegt es dabei, im Unterhaltsrechtsstreit substanziiert, also nicht nur pauschal, sondern durch den Vortrag genügender Tatsachen, darzulegen, dass die Sozialleistung den tatsächlichen behinderungsbedingten Mehraufwand übersteigt. Außerdem hat er dafür dann den Beweis zu führen. Trägt der Gegner nichts oder unsubstanziiert vor, bleibt seine Einlassung unberücksichtigt (Palandt RN. 5 zu § 1610a BGB; Drerup: ZfSH/SGB 1991, S. 345).

Bedenklich ist die allerdings in der Literatur und Rechtsprechung herrschende Meinung, dass sich der Gegner des Behinderten dafür, dass die Sozialleistung über dem behinderungsbedingten Mehrbedarf liegt, im Rahmen des Negativbeweises auf allgemeine Erfahrungswerte berufen kann. Wenn sich der Prozessgegner auf einen allgemeinen Erfahrungssatz stützt, wonach die Sozialleistung höher sei, als der behinderungsbedingte Mehraufwand, sei es nach dieser Auffassung Sache des Behinderten, seine Mehraufwendungen konkret darzulegen, weil nur er dazu in der Lage sei (vgl. Palandt RN 5 zu § 1610a mit weiteren Nachweisen). Das führt praktisch zu einer Umkehrung der vom Gesetzgeber gewollten Umkehrung der Beweislast. Vgl. dazu Drerup NJW 91, S. 683. Die gesetzliche Vermutung des § 1610a BGB kann jedoch nach der Rechtsprechung nur durch den Nachweis entkräftet werden, dass mit den Sozialleistungen entweder der allgemeine Konsum oder eine Vermögensbildung finanziert wird (Urteil des OLG Koblenz vom 7. April 2005, Az.: 7 UF 999/04 - FamRZ 2005, 1482-1483; OLG Hamm OLGR 1999, 313).

Häufig wird nach einer Trennung oder Scheidung im Unterhaltsstreit vorgetragen, dass das Blindengeld während der Ehe nicht vollständig für blindheitsbedingte Aufwendungen verwendet worden ist und sich daraus ergebe, dass es nicht vollständig für den blindheitsbedingten Mehrbedarf benötigt werde. Daraus kann ein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach die blindheitsbedingten Mehraufwendungen für den Betroffenen niedriger lägen als das Blindengeld, nicht hergeleitet werden. Gerade infolge der Trennung ist die Situation so verändert, dass sich häufig auch die blindheitsbedingten Bedürfnisse erhöhen. So sind z. B. Hilfskräfte für die Haushaltsführung, zum Vorlesen oder für Begleitung bei Spaziergängen, Reisen, Arzt- oder Behördenbesuchen notwendig, während vorher diese Hilfe vom Ehe- oder Lebenspartner geleistet worden ist.

Soweit der Gegenbeweis gelingt, sind die Sozialleistungen bei der Feststellung des Unterhaltsanspruches anzurechnen.

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