Wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld von vorneherein nicht gegeben waren, richtet sich die Rücknahme in den Ländern, in welchen das SGB X für anwendbar erklärt ist, nach § 45 SGB X.

Ein Blindengeldbescheid kann z. B. deshalb von Anfang an unrichtig und damit rechtswidrig sein, weil der Anspruch infolge fehlender Tatbestandsmerkmale nicht bestand. Das ist z. B. der Fall, wenn die medizinischen Voraussetzungen für das Tatbestandsmerkmal Blindheit nicht gegeben waren, aber trotzdem Blindheit angenommen worden ist. In diesem Fall gewinnt die Bindungswirkung der Statusfeststellungen der Versorgungsverwaltung nach §§ 68 69 SGB IX besondere Bedeutung. Darauf wird weiter unten eingegangen.

Einschlägig ist in diesen Fällen § 45 Abs. 3 SGB X. Voraussetzung ist, dass der Verwaltungsakt schon bei seinem Erlass rechtswidrig war, dass er also so nicht hätte ergehen dürfen.

In der Regel kommt eine Rücknahme nur für die Zukunft in Frage; denn nach § 45 Abs. 4 S. 1 SGB X ist bestimmt, dass nur in den Fällen von Abs. 2 S. 3, auf welche in Abs. 3 verwiesen wird, und in den Fällen des Abs. 3 S. 2 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird. Eine rückwirkende Rücknahme bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes ist danach nach § 45 Abs. 2 S. 3 möglich,

  1. wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurde,
  2. wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
  3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Fälle des § 45 Abs. 3 S. 2 sind die Wiederaufnahmegründe gemäß § 580 Zivilprozessordnung. Das sind z. B. Fälle der vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht (Nr. 1), Urkundenfälschung (Nr. 2).

Auch in den Fällen, in welchen eine rückwirkende Rücknahme ausnahmsweise möglich ist, muss diese Entscheidung innerhalb einer Jahresfrist nach Kenntnis der die rückwirkende Rücknahme rechtfertigenden Umstände seitens der Behörde erfolgen (§ 45 Abs. 4 S. 2 SGB X).

Die Möglichkeit der Rücknahme ist außerdem an die Fristen des § 45 Abs. 3 gebunden. Es gelten folgende Fristen:

  1. Generell ist der Erlass eines Bescheides nach § 45 Abs. 3 S. 1 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe möglich. Diese Frist gilt in der Regel für den gutgläubigen Begünstigten. Für das bayerische Landesblindengeldgesetz ist diese Frist nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz auf vier Jahre verlängert. Das ist gemäß § 37 SGB I möglich, weil nach dieser Bestimmung abweichende Regelungen zugelassen sind. Der Grund für die abweichende Regelung ist in der oftmals schwierigen Sachverhaltsaufklärung bei Kindern zu sehen. 6 Abs. 1 S. 2 des sächsischen Landesblindengeldgesetzes enthält die Bestimmung, dass abweichend von § 45 Abs. 3 SGB X ein nach dem sächsischen Blindengeldgesetz erlassener rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden kann.
  2. Auf 10 Jahre verlängert sich die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X gemäß § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X bei Unlauterkeit im Sinne des Abs. 2 S. 3 Nr. 2 oder 3, wenn also der Begünstigte zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hatte oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder grob fahrlässig nicht kannte. In diesen Fällen ist die Rücknahme mit Rückwirkung möglich.
  3. Zeitlich unbegrenzt ist die Rücknahme möglich, wenn Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO vorliegen (§ 45 Abs. 3 S. 2 SGB X). Das sind auch die in 3 nicht ausdrücklich angesprochenen Fälle des Abs. 2 S. 3 Nr. 1 (arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung).
  4. Nach § 45 Abs. 3 S. 4 kann bei Unlauterkeit (Fälle des Abs. 3 S. 3) ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von 10 Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens, in welchem über die Rücknahme entschieden wird, gezahlt worden ist. Bei Unlauterkeit ist hier also ohne Befristung auch eine rückwirkende Rücknahme möglich. War die Frist von 10 Jahren am 15.04.1998 abgelaufen, kann auch in diesen Fällen der Verwaltungsakt zurückgenommen werden, allerdings nur mit Wirkung für die Zukunft.

Weil es sich bei den Blindengeldleistungen um laufende Geldleistungen handelt, ist damit bei Unlauterkeit eine unbefristete und - mit Ausnahme des letzten Falles (Ablauf der 10-Jahresfrist am 15. 04. 1998) - sogar rückwirkende Rücknahme möglich.

Wenn eine Rücknahme wegen Fristablauf nicht möglich ist - der Begünstigte war gutgläubig, die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 bzw. die Vierjahresfrist nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz ist verstrichen - kann die Leistung nicht mehr entzogen werden. Hier greift der Auffangtatbestand des § 48 Abs. 3 SGB X ein. Die Leistung wird auf dem Stand, den sie zum Zeitpunkt der Feststellung der Rechtswidrigkeit hat, eingefroren. Das ist bei Anpassungsbescheiden zu berücksichtigen. § 48 Abs. 3 ist ein Auffangtatbestand zu § 45. Durch § 48 Abs. 3 SGB X soll einerseits der Vertrauensschutz gewahrt, andererseits aber auch das Anwachsen von Unrecht verhindert werden.

Für Sachsen ist § 6 Abs. 1 S. 2 des sächsischen Landesblindengeldgesetzes zu beachten, wonach abweichend von § 45 Abs. 3 SGB X ein nach dem sächsischen Blindengeldgesetz erlassener rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden kann.

Folgende Beispielsfälle sollen der Erläuterung dienen:

  1. erhält laut dem ihm am 10.02.1994 zugegangenen Bescheid mit Wirkung ab 01.02.1994 Blindengeld. Das ärztliche Gutachten attestiert ein Sehvermögen von 1/10. Gesichtsfeldeinschränkungen liegen nicht vor. Am 10.01.1996 wird der Fehler entdeckt. Blindheit lag von Anfang an nicht vor. A. ist medizinischer Laie, unter dem Sehverlust leidet er sehr stark. Der begünstigende Bescheid kann gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe zurückgenommen werden. Die Rücknahme ist aber gemäß § 45 Abs. 4 S. 1 nur mit Wirkung für die Zukunft, also mit Wirkung ab 01.02.1996, möglich, weil keine Bösgläubigkeit gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 bzw. Abs. 3 S. 2 vorlag.
  2. Wie Fall 1, der Fehler wird aber erst am 10.02.1996 entdeckt. Wenn A. in Bayern lebt, tritt an die Stelle der Zweijahresfrist in § 45 Abs. 3 S. 2 die Vierjahresfrist nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz. Die Rücknahme wäre frühestens mit Wirkung vom 01.03.1996 mit Wirkung für die Zukunft möglich. Erhält A. dagegen das Blindengeld nach einem anderen Landesblindengeldgesetz, auf welches das SGB X anwendbar ist, könnte wegen Fristablauf der ursprünglich rechtswidrige Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden. Das Blindengeld würde aber gemäß § 48 Abs. 3 frühestens mit Wirkung ab 01.03.1996 auf den zu diesem Zeitpunkt geltenden Stand eingefroren werden.
  3. kannte das Attest. Er hat sich entsprechend informiert und wusste auch bereits vor Genehmigung, dass ihm das Blindengeld nicht zusteht. Der Fehler wird am 10.01.1999 entdeckt. Der begünstigende Verwaltungsakt kann rückwirkend ab 01.02.1994 zurückgenommen werden. Das Vertrauen auf den Bestand ist nicht geschützt (§ 45 Abs. 4 S. 1 in Verbindung mit § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X).
  4. hat mit Bescheid vom 20.01.1988 Blindengeld zugesprochen bekommen. Er wusste, dass das ärztliche Attest unrichtig ist. Der Fehler wird im Mai 1998 entdeckt. Bis zur Einleitung des Verwaltungsverfahrens, in welchem über die Rücknahme entschieden werden soll, wurden laufend Leistungen bezahlt. Gemäß § 45 Abs. 3 S. 5 kann das Blindengeld nur mit Wirkung für die Zukunft, also frühestens ab 01.06.1998, eingestellt werden.
  5. erhielt mit Bescheid vom 20.05.1988 mit Wirkung ab 01.05.1988 Blindengeld. Er wusste, dass das ärztliche Attest falsch war, es beruhte auf unrichtigen Angaben seinerseits. Der Fehler wird im Januar 1998 entdeckt. Die Frist von 10 Jahren war am 15.04.1998 noch nicht abgelaufen. Das Blindengeld kann rückwirkend zum 01.05.1988 entzogen werden (§ 45 Abs. 3 S. 4 SGB X).

Die Bindungswirkung der Statusfeststellung nach den §§ 68 und 69 SGB IX ist auch bei der Rücknahme ursprünglich rechtswidriger Verwaltungsakte zu beachten.

Wenn die Feststellung der Blindheit fehlerhaft ergangen ist, weil z. B. das Sehvermögen zu hoch war, ist bereits dieser Feststellungsbescheid rechtswidrig. Wenn die Zuerkennung des Blindengeldes auf diesem Bescheid beruht, führt die Bindungswirkung dazu, dass eine Aufhebung des Blindengeldbescheides nach § 45 Abs. 3 SGB X nur möglich ist, wenn auch der Feststellungsbescheid der Versorgungsverwaltung aufgehoben wird. War der Begünstigte gutgläubig, ist diese Aufhebung nur innerhalb der Zweijahresfrist des § 45 Abs. 1 SGB X und nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. Ist die Zweijahresfrist verstrichen, kann der Feststellungsbescheid der Versorgungsverwaltung nur innerhalb der 10-Jahresfrist nach § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X, hier allerdings rückwirkend, aufgehoben werden. Eine Aufhebung nach Ablauf der 10-Jahresfrist ist selbst bei Bösgläubigkeit nicht möglich. Allerdings endet die Feststellungswirkung mit Ablauf der Frist, für welche die Feststellung getroffen wird.

Wenn die Feststellung der Versorgungsverwaltung gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 oder Abs. 3 S. 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, ist auch für die Aufhebung des Blindengeldbescheides der Weg für die rückwirkende Aufhebung frei.

Wird der das Merkzeichen "Bl" feststellende Bescheid wegen des Fehlens der Bösgläubigkeit mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen und liegt bereits ein Antrag auf Blindengeldgewährung vor, so muss wegen der Bindungswirkung für den Zeitraum zwischen dem 1. des Antragsmonats und dem Monat der Bekanntgabe des Rücknahmebescheides über die Feststellung der Blindheit Blindengeld bezahlt werden. Erst von diesem Zeitpunkt an ist auch eine Einstellung des Blindengeldes möglich.

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