Die Blindheit oder Sehbehinderung hat Auswirkungen bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Blinde und Sehbehinderte sind aber nicht schon automatisch wegen ihrer Blindheit oder Sehbehinderung pflegebedürftig, weil ausschließlich die Fähigkeit, bestimmte Verrichtungen zu leisten, nicht Art oder Schwere von Schädigungen (wie z.B. Taubheit, Blindheit, Lähmung) zum Maßstab genommen werden (vgl. dazu Nr. 3.3 der Pflegerichtlinien; diese Ziffer besagt nicht, dass Blindheit alleine überhaupt nicht zur Pflegebedürftigkeit führen kann, das heißt: sie schließt nicht aus, dass Pflegebedürftigkeit auch ausschließlich auf Blindheitsfolgen beruhen kann). Hier zeigt sich der Systemunterschied zwischen dem Blindengeldrecht als Leistung der sozialen Förderung (Anbindung an die Blindheit) und dem Recht der sozialen Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII als Leistung des Sozialhilferechts (Anknüpfung an die Auswirkung). Blindheit und Sehbehinderungen sind aber Behinderungen im Sinn von § 14 Abs. 1 SGB XI bzw. § 61 Abs. 3 SGB XII. Es handelt sich um Funktionsstörungen der Sinnesorgane, nämlich des Sehsinnes (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 SGB XI). Blinde und Sehbehinderte benötigen auch für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer Hilfe (§ 14 Abs. 1 SGB XI, § 61 Abs. 1 SGB XII). Die Beurteilung, in welchem Ausmaß das der Fall ist, kann nicht pauschal festgestellt werden, sondern muss im Einzelfall im Rahmen der Begutachtung nach § 18 SGB XI durch den medizinischen Dienst erfolgen. Hilfebedarf kann wegen der fehlenden optischen Kontrolle vor allem bei rasch eintretender Erblindung im Bereich der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI, § 61 Abs. 5 Nr. 1 SGB XII) auftreten. Er wird insbesondere im Bereich der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2, § 61 Abs. 5 Nr. 2 SGB XII) gegeben sein, z. B. das mundgerechte Zubereiten der Nahrung (3.4.1 Nr. 8 der Pflegerichtlinien). Im Bereich der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) wird in der Regel das selbständige Verlassen und Wiederauffinden der Wohnung (3.4.1 Nr. 15 der Pflegerichtlinien) ohne Hilfe nicht möglich sein. Der Bereich der Mobilität wird jedoch nur in einem sehr begrenzten Ausmaß anerkannt. Beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (lfd. Nr. 15) sind nur solche Maßnahmen außerhalb der Wohnung zu berücksichtigen, die unmittelbar für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause notwendig sind und regelmäßig und auf Dauer anfallen und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen erfordern. Unberücksichtigt bleibt insbesondere die für Blinde notwendige körperliche Bewegung im Freien, z.B. bei Spaziergängen bzw. die Mobilitätseinschränkung beim Besuch kultureller Veranstaltungen oder bei Reisen und der darauf beruhende Hilfebedarf.

Hilfebedarf wird sich in der Regel auch bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI, § 61 Abs. 5 Nr. 4 SGB XII) ergeben. So zählt zum Einkaufen (3.4.1 Nr. 16 der Pflegerichtlinien) auch der Überblick über Einkaufsmöglichkeiten. Das erfordert die Orientierung in Geschäften und die Möglichkeit eines Preisvergleichs, das Erkennen des Wertes von Geldmünzen und Banknoten und die Feststellung der Haltbarkeit von Lebensmitteln (vgl. 3.4.2 der Pflegerichtlinien). Das Kochen von Mahlzeiten einschließlich der Vor- und Zubereitung der Bestandteile der Mahlzeiten wird einem Blinden häufig nicht möglich sein. Dasselbe gilt für das Reinigen der Wohnung.

Die Wäsche- und Kleiderpflege (3.4.1 Nr. 20 der Pflegerichtlinien) umfasst die gesamte Pflege der Wäsche und Kleidung, z. B. auch das Bügeln und Ausbessern. Tätigkeiten, die einem Blinden sehr häufig ebenfalls nicht möglich sind.

Ob die Pflegebedürftigkeit auf Dauer, d. h. mindestens für einen Zeitraum von sechs Monaten besteht (§ 14 Abs. 1 SGB XI), richtet sich auch danach, ob die Beeinträchtigungen durch Rehabilitationsmaßnahmen behoben werden können. Das entspricht dem Grundsatz, wonach Rehabilitation vor Pflege geht (§ 5 SGB XI). Zumindest teilweise lassen sich die durch die Blindheit verursachten Beeinträchtigungen, die für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit maßgebend sind, durch Rehabilitationsmaßnahmen, wie z. B. eine Orientierungs- und Mobilitätsschulung und die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten beseitigen.

Der Hilfebedarf eines Blinden ist im Übrigen von anderer Art. Er ist nicht "auf den engen Radius des eigenen Körpers und der unmittelbaren Umgebung" beschränkt.

Blindheit oder Sehbehinderung alleine wird nur ausnahmsweise zur Feststellung einer Pflegebedürftigkeit im Sinn des § 14 SGB XI führen. Anders ist der Sachverhalt zu bewerten, wenn zur Blindheit eine zusätzliche Krankheit oder Behinderung hinzukommt und dadurch als Gesamtwirkung das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit erreicht wird, der Blinde also ohne ein erhebliches Ausmaß an Hilfe nicht mehr imstande ist, die im § 14 Abs. 4 SGB XI bzw. § 61 Abs. 5 SGB XII bezeichneten Verrichtungen auszuüben. In solchen Fällen können je nach dem individuell notwendigen Hilfebedarf und dem Zeitaufwand für die erforderlichen Pflegeleistungen die Grenzen zu einer der drei Pflegestufen (§ 15 SGB XI) rasch überschritten sein. Bei der Beurteilung dürfen die Auswirkungen der Blindheit oder Sehbehinderung nicht unterschätzt werden.

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