In der Zeit nach der Wiedervereinigung und der Einführung der sozialen Pflegeversicherung durch das SGB XI und der mit diesen Ereignissen verbundenen Änderungen im Blindengeldrecht trat keineswegs eine Beruhigung ein. Vielmehr kam es infolge der in allen Ländern und im Bund auftretenden Haushaltsprobleme zu massiven Eingriffen in sämtlichen Blindengeldgesetzen.
In einem Teil der Bundesländer wurde das Landesblindengeld gegenüber der Blindenhilfe nach § 67 BSHG prozentual abgesenkt. Die Dynamisierung blieb damit erhalten.
In anderen Landesgesetzen wurde die Bezugnahme auf § 67 BSHG überhaupt aufgegeben. Für das Blindengeld wurden Festbeträge eingeführt. Die Dynamisierung ging damit verloren.
In einigen Ländern gab es Bestrebungen, das Landesblindengeldgesetz überhaupt abzuschaffen.
In Niedersachsen wurde das Landesblindengeld ab. 01.01.2005 für Blinde ab dem vollendeten 27. Lebensjahr völlig abgeschafft, jedoch ab. 01.01.2007 wieder eingeführt.
In Thüringen wurde das Landesblindengeld ab 01.01.2006 für Blinde ab Vollendung des 27. Lebensjahres abgeschafft aber ab 01.01.2008 wieder eingeführt.
Die Eingriffe erfolgten in einigen Ländern, z. B. in Niedersachsen, im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Thüringen in mehreren Stufen. Die Ereignisse können hier nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden. Für die Zeit bis 2002 wird auf die Dissertation von Demmel, S. 180 ff. verwiesen. Folgende Ereignisse sind hervorzuheben: Ab 01.01.2002 erfolgte durch Gesetzesänderungen die Umstellung der Blindengeldleistungen auf Euro.
Der erste Eingriff durch ein Haushaltsstrukturgesetz erfolgte in Schleswig-Holstein. Durch Art. 11 des Haushaltsbegleitgesetzes 1994 für das Land Schleswig-Holstein vom 08.02.1994 wurde § 1 des Landesblindengeldgesetzes in der Weise geändert, dass das Blindengeld mit Wirkung ab 01.01.1994 gegenüber der Blindenhilfe nach § 67 BSHG um 10 v. H. abgesenkt worden ist. Die letzte Änderung des Blindengeldgesetzes für Schleswig-Holstein erfolgte mit Gesetz vom 15.12.2005. Die Ankoppelung an die Blindenhilfe nach dem Sozialhilferecht wurde aufgegeben. Das Blindengeld beträgt seither 400,00 Euro für Volljährige und 200,00 Euro für Minderjährige. Wie schon bei der letzten Gesetzesänderung vom 12.12.2001 wurde die Geltung der Regelung befristet, und zwar bis zum 31.12.2010. Neu an diesem Gesetz ist, dass ein Fonds eingeführt wurde, mit dessen Mittel Strukturverbesserungen für blinde Menschen im Land Schleswig-Holstein gefördert werden sollen. Für die Mittelverwendung wurde dem Blinden- und Sehbehindertenverband von Schleswig-Holstein ein Mitspracherecht eingeräumt.
Der Bestand eines Landesblindengeldgesetzes wurde erstmals in Baden-Württemberg in Frage gestellt. Art. 17 des baden-württembergischen Haushaltsstrukturgesetzes für 1997 sah die Abschaffung des Landesblindengeldgesetzes vor. Begründet wurde dieses Vorhaben mit Haushaltsproblemen und damit, dass bedürftige Blinde einen Anspruch auf die Blindenhilfe nach § 67 BSHG hätten. Durch Eingaben der Blindenselbsthilfeorganisationen in Baden-Württemberg, eine Resolution des DBSV vom 16.11.1996, Gesprächen mit den sozialpolitischen Vertretern und Haushaltsexperten der im Landtag vertretenen Parteien sowie der Vorbringen bei einer Anhörung im finanzpolitischen Ausschuss des Landtages von Baden-Württemberg am 05.12.1996 konnte erreicht werden, dass das Gesetz über die Landesblindenhilfe erhalten blieb. Die Bezugnahme für die Höhe der Leistung auf § 67 BSHG wurde allerdings durch Art. 4 des Gemeindefinanzierungsstrukturgesetzes vom 16.12.1996 aufgegeben und eine Festbetragsregelung eingeführt. Volljährige Blinde erhielten ab 01.01.1997 ein Blindengeld von 800,00 DM (nunmehr 409,03 Euro), Minderjährige von 400,00 DM (nunmehr 204,52 Euro) monatlich.
Einen völlig neuen Weg ist der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen mit dem aufgrund von Art. 5 des Gesetzes zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1997 erlassenen Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) gegangen. Durch dieses Gesetz wurde mit Wirkung vom 01.01.1998 das Landesblindengeldgesetz vom 11.11.1992 abgelöst. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde die Hilfe für hochgradig Sehbehinderte, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, im Teil 2 des Gesetzes (§ 5) als Gesetzesleistung übernommen. Sie erhielten bisher bereits eine Landesleistung nach dem Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17.09.1980. Die Aufnahme der Landeshilfe für Sehbehinderte sollte der Beseitigung der unterschiedlichen Verwaltungsverfahren, der Harmonisierung des Leistungsrechts sowie der Vereinheitlichung und Optimierung des Verwaltungsverfahrens dienen.
Damit verbunden war eine Anhebung von bisher 120,00 DM auf 150,00 DM monatlich. Mit dem dritten Teil "Hilfe für Gehörlose" ist ein Gehörlosengeld von 150,00 DM monatlich neu eingeführt worden (§ 5). Eine wesentliche Änderung ist auch beim Blindengeld eingeführt worden. § 2 des GHBG bestimmt in Abs. 1, dass sich das Blindengeld in seiner Höhe nach den Vorschriften über die Blindenhilfe gemäß § 67 BSHG (nunmehr § 72 SGB XII) in der jeweils geltenden Fassung richtet. Das heißt, dass es zur Zeit des Inkrafttretens 1.063,00 DM betrug. Für Blinde, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, wurde das Blindengeld durch § 2 Abs. 1 GHBG auf 925,00 DM festgeschrieben. Eine Dynamisierung dieses Betrages ist nicht vorgesehen. Nach § 2 Abs. 1 S. 3 des GHBG ist das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung nach Zustimmung des für die kommunale Selbstverwaltung zuständigen Ausschusses des Landtags die Höhe des Blindengeldes nach Satz 2 anzuheben. Eine solche Anhebung ist bisher nicht erfolgt, so dass sich die Leistungen für Blinde bis zum vollendeten 60. Lebensjahr und ab dem vollendeten 60. Lebensjahr immer weiter auseinander entwickelt haben.
In Nordrhein-Westfalen wurde mit dieser Gesetzesänderung erstmals für blinde Menschen im berufsfähigen Alter und älteren ein Blindengeld in unterschiedlicher Höhe eingeführt. Diese Differenzierung wurde von vielen Betroffenen als ungerecht empfunden und veranlasste sie zu entsprechenden Klagen. Das OVG Münster entschied jedoch in einem wenig überzeugenden Urteil (vom 13.12.2001 - 16 A 4096/00), dass die Differenzierung rechtens sei (siehe die kritische Stellungnahme von Drerup, DBSV-Mitteilungen der Rechtsabteilung 5/2002).
Ein erneuter Versuch, ein Landesblindengeldgesetz abzuschaffen erfolgte im Jahre 2001 in Bremen. Es bestand die Absicht, das Bremische Pflegegeldgesetz - und damit auch die Landesleistung für Blinde - vollständig abzuschaffen, wobei für die bisherigen Leistungsfälle eine Besitzstandsregelung vorgesehen war (Senatsbeschluss der großen Koalition - CDU/SPD - vom 16.01.2001). Der Gesetzesentwurf wurde bereits ins Landesparlament (Bürgerschaft) eingebracht.
Nach intensiven Verhandlungen des Bremischen Blinden- und Sehbehindertenvereins und des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) mit Politikern aller Fraktionen und einer eindrucksvollen Demonstration, die am 09.06.2001 in Bremen stattfand und an der sich über 4.000 Personen (überwiegend Blinde, aber auch Sehende, die die Forderungen der Blinden unterstützten) aus der ganzen Bundesrepublik beteiligt hatten, gab die zuständige Senatorin, Frau Adolf, am Sonntag, 17.06.2001, bekannt, dass das Pflegegeldgesetz erhalten bleiben soll. Das Pflegegeld werde allerdings auf 650,00 DM gekürzt. Diese Änderung erfolgte durch das Gesetz vom 04.12.2001. Ein erneuter Versuch, das Blindengeld in Bremen abzuschaffen, erfolgte 2003. Aber auch diese Absichten wurden nach intensiven Verhandlungen wieder aufgegeben. Bemerkenswert ist, dass das bremische Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Blinde und Schwerstbehinderte durch die Gesetzesänderung vom 18.12.2003 sogar eine Dynamisierungsklausel erhielt, wonach das Blindengeld jeweils um den selben Prozentsatz erhöht wird, um welchen auch die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII steigt.
In Niedersachsen verlief die Entwicklung besonders bewegt, ja dramatisch. Niedersachsen folgte mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 20.12.1995 dem Beispiel Schleswig-Holsteins. Das Blindengeld wurde ab 01.01.1996 in Höhe der Blindenhilfe nach § 67 BSHG abzüglich 10 v. H. gewährt. Ein erneuter Eingriff erfolgte durch das Haushaltsbegleitgesetz von 1999. Das Blindengeld wurde auf 800,00 DM für Volljährige und 400,00 DM für Minderjährige herabgesetzt und eingefroren. Ein weiterer besonders schwerer Eingriff erfolgte durch Art. 12 des Haushaltsbegleitgesetzes vom 17.12.2004. Blinde, die das 27. Lebensjahr vollendet hatten, erhielten ab dem 01.01.2005 kein Blindengeld mehr. Das Blindengeld bis zum vollendeten 27. Lebensjahr wurde auf 300,00 Euro festgesetzt. Auch in Niedersachsen wurde ein Fonds, der vor allem Hilfen in Härtefällen ermöglichen sollte, eingeführt. Dieser schwere Eingriff in das Landesblindengeldgesetz konnte durch intensive Verhandlungen auf der politischen Ebene und eine große Demonstration am 11.09.2004 in Hannover, an welcher 10.000 blinde und sehende Personen aus der gesamten Bundesrepublik teilnahmen, nicht verhindert werden. Im Bündnis mit zahlreichen sozialen Organisationen strebte der Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen deshalb in den Jahren 2005 und 2006 ein Volksbegehren mit dem Ziel der Wiedereinführung eines Landesblindengeldes für alle an. Das Volksbegehren startete am 15.04.2005. Die Gespräche auf der politischen Ebene wurden, unterstützt durch zahlreiche Kampagnen und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, fortgesetzt. All diese Bemühungen führten schließlich dazu, dass durch Art. 15 des niedersächsischen Haushaltsbegleitgesetzes für 2007 vom 14.12.2006 mit Wirkung ab 01.01.07 das Landesblindengeldgesetz geändert und ein einkommens- und vermögensunabhängiges Blindengeld für alle wieder eingeführt worden ist. Blinde bis zum vollendeten 25. Lebensjahr erhielten nunmehr 300,00 Euro, Blinde ab dem vollendeten 25. Lebensjahr 220,00 Euro monatlich. Die Grenze von 25 Jahren entspricht der ab 01.01.07 geltenden Höchstgrenze für das Kindergeld. Mit Gesetz vom 26.3.2009 wurde das Blindengeld für Blinde bis zum vollendeten 25. Lebensjahr auf 320 Euro und für Blinde ab vollendetem 25. Lebensjahr auf 265 Euro erhöht.
Thüringen folgte dem Beispiel von Niedersachsen. Nachdem das Blindengeld ab 01.03.2005 bereits von ursprünglich 480,00 Euro auf 400,00 Euro gekürzt worden war, wurde es durch Art. 14 des Haushaltsbegleitgesetzes vom 23.12.2005 ab 01.01.2006 für Blinde ab dem vollendeten 27. Lebensjahr völlig abgeschafft. Blinde bis zum vollendeten 27. Lebensjahr erhalten 300,00 Euro monatlich. Ein Härtefonds nach dem Beispiel von Niedersachsen wurde eingerichtet. Auch in Thüringen kam es zu einer Demonstration gegen diese Maßnahme. Dazu kamen rund 6.000 Blinde und Sehbehinderte sowie Sehende am 08.10.2005 nach Erfurt. Die Demonstration, zahlreiche Aktionen und Verhandlungen auf politischer Ebene sowie die Absicht, ein Volksbegehren anzustreben führten schließlich auch in Thüringen dazu, dass mit dem Haushaltsbegleitgesetz, welches der Landtag am 14.12.07 verabschiedete, ab 01.01.2008 ein Blindengeld für alle Blinden wieder eingeführt wurde. Es betrug 220,00 Euro monatlich. Blinde Menschen, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die bereits Blindengeld erhielten bzw. einen Antrag auf Blindengeld bis zum 31. Dezember 2007 stellten, erhielten noch das Blindengeld nach bislang geltendem Recht in Höhe von 300,00 Euro bis zur Vollendung ihres 27. Lebensjahres. Wird der Antrag nach dem 31.12.07 gestellt, erhalten auch Blinde, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 220,00 Euro monatlich. Das Blindengeld soll durch eine beabsichtigte Gesetzesänderung auf 270 Euro monatlich festgesetzt werden.
Die übrigen Bundesländer mussten einschneidende, z. T. wiederholte Kürzungen des Landesblindengeldes um bis zu 20 % hinnehmen. Dabei lagen die Leistungen vor diesen Kürzungen zum Teil schon unter dem Satz der Blindenhilfe nach § 67 BSHG bzw. nunmehr § 72 SGB XII. In Bayern sollte zum 01.04.2004 eine Kürzung um 30 % erfolgen. Protestaktionen, eine Unterschriftensammlung und eine Demonstration mit rund 4.000 Teilnehmern führten dazu, dass durch das Gesetz vom 24.03.2004 eine Kürzung um 15 % gegenüber der Blindenhilfe nach dem Sozialhilferecht vorgenommen wurde.
Die Kürzungen des Blindengeldes in praktisch allen Ländern waren ein harter Schlag für das Blindengeldrecht. Die Entwicklung hat dazu geführt, dass die Blindengeldleistungen der Länder sehr stark voneinander abweichen und damit wegen der unterschiedlichen Lebensverhältnisse für blinde Menschen in den Bundesländern eine unbefriedigende Situation besteht. Es hat sich aber auch gezeigt, dass die Geschlossenheit der Blindenselbsthilfeorganisationen, die Überzeugungskraft ihrer Argumente und die praktische Erfahrung in den Ländern dazu geführt hat, dass - wie in Niedersachsen und in Thüringen - selbst abgeschaffte Sozialleistungen wieder gewährt werden. Das Blindengeldsystem hat sich insgesamt damit bewährt.
Hinzuweisen ist aber auch darauf, dass die Blindenselbsthilfeorganisationen die Auffassung vertreten, dass notwendige Ausgleichsleistungen auch für andere Behindertengruppen geschaffen werden sollten. Die Blindenselbsthilfeorganisationen haben deshalb die Schaffung eines Bundesbehindertengeldgesetzes vorgeschlagen. Der Vorschlag wurde in einem "Runden-Tisch-Gespräch" am 19.10.2005 Vertretern der Sozial- und Behindertenverbände präsentiert.