Nach § 102 Abs. 1 SGB X hat ein Leistungsträger, der aufgrund besonderer Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, einen Erstattungsanspruch gegen den endgültig zur Leistung verpflichteten Leistungsträger.

Der Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X ist dadurch gekennzeichnet, dass

  1. durch den erstattungsberechtigten Sozialleistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorgeleistet wird,
  2. die Vorleistung im Hinblick auf einen bestehenden Sozialleistungsanspruch erfolgt, von dem nur noch nicht feststeht, gegen welchen Leistungsträger er sich richtet, für den endgültig Leistungspflichtigen erbracht wird und
  3. die Leistung deshalb als vorläufige Leistung erfolgt.

Es muss also eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zur Vorleistung gegeben sein.

Eine solche gesetzliche Ermächtigung ist vor allem die Vorleistung nach § 43 Abs. 1 SGB I. Wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist (negativer Kompetenzkonflikt), kann der unter ihnen zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er muss diese Leistungen erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt.

Ein solcher Fall kann gegeben sein, wenn z. B. bei einer durch einen Verkehrsunfall eingetretenen Erblindung unklar ist, ob es sich um einen Wegeunfall im Sinn von § 8 Abs. 2 Nr. 1-4 SGB VII handelt, so dass ein Anspruch auf Leistungen wegen der Blindheit, und zwar auch auf Pflegegeld, nach § 44 SGB VII besteht oder ob das nicht der Fall ist. Dann würde bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen ein Anspruch auf Blindengeld nach dem einschlägigen Landesblindengeldgesetz gegeben sein. Wenn zwischen der für die Leistung des Blindengeldes zuständigen Stelle und der Berufsgenossenschaft streitig ist, wer von beiden zur Leistung verpflichtet ist, kann der zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Wenn sich der Erblindete an die für das Blindengeld zuständige Stelle zuerst gewandt hat und diese Stelle die Möglichkeit der Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft erkannt hat, aber die eigene Zuständigkeit auch nicht ausgeschlossen ist, kann somit vorläufig geleistet werden. Die Leistungen müssen erbracht werden, wenn der Berechtigte dies beantragt. Die Leistungen beginnen spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang dieses Antrags (§ 43 Abs. 1 S. 3, 2. Halbsatz). Der Betroffene soll bei unklarer Zuständigkeit möglichst rasch Hilfe erhalten.

Ein anderer denkbarer Fall wäre die Erblindung infolge einer Verletzung durch einen Dritten, bei der noch nicht feststeht, ob ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff vorliegt, so dass ein Fall des § 1 Opferentschädigungsgesetzes gegeben ist und deshalb ein Anspruch auf Pflegegeld nach § 35 BVG besteht oder ob sich der Sozialleistungsanspruch nach einem Blindengeldgesetz richtet.

Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 102 Abs. 2 SGB X). Dieses Maß der Erstattung ist im Gegensatz zu § 103 Abs. 2, § 104 Abs. 2 und § 105 Abs. 2 SGB X angebracht, weil der Gesetzgeber den vorläufig leistenden Leistungsträger gegen dessen Willen zur Leistung verpflichtet hat. Er soll im Fall der Nichtverpflichtung alle seine erbrachten Leistungen zurückerhalten.

Hat der unzuständige Leistungsträger seine Leistungen nicht "aufgrund gesetzlicher Vorschriften" als Vorleistungen erbracht, sondern in irrtümlicher Annahme seiner Zuständigkeit, richtet sich die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers nicht nach § 102, sondern nach § 105 SGB X. Dazu vgl. unten.

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