Auch für blinde und sehbehinderte Menschen bietet eine selbstständige Existenz Chancen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn die behinderungsbedingten Nachteile ausgeglichen werden. Schon seit Jahrzehnten sind blinde und sehbehinderte Menschen u. a. als selbstständige Handwerker, Kaufleute, Masseure, Physiotherapeuten oder Rechtsanwälte erfolgreich tätig.
Die Rehabilitationsträger (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 - 5 SGB IX) können nach § 33 Abs. 3 Nr. 5 SGB IX einen Gründungszuschuss entsprechend § 57 SGB III zur Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit im Rahmen der beruflichen Rehabilitation gewähren. Der Gründungszuschuss dient zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung. Diese Förderung ist allerdings nur möglich, wenn dadurch eine vorhandene Arbeitslosigkeit beendet wird.
Voraussetzung für die Bewilligung des Gründungszuschusses ist zunächst die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit. Ob eine unselbstständige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, beurteilt sich nach den Kriterien des § 7 Abs. 1 und 4 SGB IV. Eine unselbstständige Tätigkeit liegt vor, wenn sie nach Weisungen des Arbeitgebers erfolgt und eine räumliche und zeitliche Einbindung in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers gegeben ist. Anhaltspunkte für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit sind häufig die Anzeige eines Gewerbes sowie die steuerliche Anmeldung.
Eine weitere Voraussetzung ist nach § 57 Abs. 2 SGB III, dass vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ein Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III, z. B. Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, bestand oder eine Beschäftigung ausgeübt wurde, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach dem SGB III gefördert worden ist. Außerdem muss bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch ein Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen bestehen. Darüber hinaus muss eine fachkundige Stellungnahme über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt werden. Fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute. Der Gründungszuschuss wird gemäß § 58 Abs. 1 SGB III für die Dauer von neun Monaten in Höhe des Betrages, den der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld zuletzt bezogen hat, zuzüglich von monatlich 300,00 Euro, geleistet. Der Gründungszuschuss kann nach Abs. 2 für weitere sechs Monate in Höhe von monatlich 300,00 Euro geleistet werden, wenn die geförderte Person ihre Geschäftstätigkeit anhand geeigneter Unterlagen darlegt. Bestehen begründete Zweifel, kann die Agentur für Arbeit die erneute Vorlage einer Stellungnahme einer fachkundigen Stelle verlangen.
Soweit zur Ausübung einer unabhängigen Tätigkeit eine Zulassung erforderlich ist, soll schwerbehinderten Menschen, die eine Zulassung beantragen, bei fachlicher Eignung und Erfüllung der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen nach § 129 SGB IX die Zulassung bevorzugt erteilt werden.
Mit der Regelung in § 33 Abs. 3 Nr. 5 SGB IX wurde das Instrument des Gründungszuschusses auch für die Rehabilitation eingeführt. Diese Leistung, die der Sicherung des Lebensunterhalts während der Gründerphase dient, wäre aber in diesem Bereich nicht ausreichend, wenn die behinderungsbedingten Nachteile nicht durch Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben ergänzt würden. Die Hilfen im Arbeitsleben sind aber nicht nur für den Einstieg in die Selbstständigkeit, sondern darüber hinaus zur Sicherung der Konkurrenzfähigkeit selbstständig tätiger behinderter Menschen von größter Bedeutung. So benötigt z. B. ein blinder Rechtsanwalt eine Arbeitsassistenz zum Vorlesen von Schriftsätzen, zum Nachschlagen in Gesetzessammlungen und Kommentaren, zur Hilfe bei der Recherche in der Fachliteratur und zu Assistenzleistungen bei Verhandlungen. Zur Kostenübernahme für Arbeitsassistenz bei einem blinden Rechtsanwalt vgl. VG Stade 4. Kammer Urteil vom 25. Juni 2003, Az: 4 A 1687/01 (Behindertenrecht 2004, S. 19-20). Weiter benötigt er eine mit einer Braillezeile und Sprachausgabe sowie Texterkennung ausgestattete EDV-Anlage, um Gesetzes- und Entscheidungssammlungen auf Datenträgern benützen und Recherchen im Internet vornehmen zu können.
Die Integrationsämter können im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben Geldleistungen zur Gründung und Erhaltung einer selbstständigen beruflichen Existenz erbringen (§ 102 Abs. 3 Buchst. C SGB IX und § 17 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. C SchwbAV). Die Einzelheiten sind in § 21 SchwbAV geregelt.
Nach § 21 Abs. 1 SchwbAV können schwerbehinderte Menschen Darlehen oder Zinszuschüsse zur Gründung und zur Erhaltung einer selbstständigen beruflichen Existenz erhalten, wenn
- sie die erforderlichen persönlichen und fachlichen Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit erfüllen,
- sie ihren Lebensunterhalt durch die Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer im wesentlichen sicherstellen können und
- die Tätigkeit unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts zweckmäßig ist.
Darlehen sollen nach § 21 Abs. 2 SchwbAV mit jährlich 10 vom Hundert getilgt werden. Von der Tilgung kann im Jahr der Auszahlung und dem darauf folgenden Kalenderjahr abgesehen werden. Wenn Darlehen verzinslich gegeben werden, kann für diese im Jahr der Auszahlung und dem darauf folgenden Kalenderjahr ebenfalls abgesehen werden.
§ 21 Abs. 4 SchwbAV bestimmt, welche Vorschriften der SchwbAV zugunsten von schwerbehinderten Menschen, die eine selbstständige Tätigkeit ausüben oder aufzunehmen beabsichtigen, entsprechend anzuwenden sind.
Das sind danach die §§ 17 bis 20 und die §§ 22 bis § 27 SchwbAV.
Zu nennen sind im Einzelnen:
- Arbeitsassistenz - § 17 Abs. 1a SchwbAV (vgl. dazu 5.3.2.2),
- technische Arbeitshilfen - § 19 SchwbAV (vgl. dazu 5.3.2.1),
- Hilfen zum Erreichen des Arbeitsplatzes (Kraftfahrzeughilfe) - § 20 SchwbAV (vgl. dazu 5.3.2.3),
- Hilfen zur Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behinderungsgerechten Wohnung - § 23 SchwbAV (vgl. dazu 5.3.2.4),
- Hilfen zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten - § 24 SchwbAV (vgl. dazu 5.3.2.5),
- Hilfen in besonderen Lebenslagen - § 25 SchwbAV (vgl. dazu 5.3.2.6),
- Leistungen bei außergewöhnlichen Belastungen - § 27 SchwbAV (vgl. dazu 3.2.7).
Durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung vom 16.1.2004 (BGBl I S. 77) ist § 21 Abs. 4 mit Wirkung v. 1.1.2004 geändert worden. Seitdem gehören auch die Leistungen zur behinderungsgerechten Einrichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für schwerbehinderte Menschen (§ 26 SchwbAV) zu den Leistungen, die zur Ausübung oder Aufnahme einer selbstständigen Existenz erbracht werden können.
Zur Deckung von Kosten des laufenden Betriebs, wie sie jedem selbstständig Tätigen entstehen, können Leistungen gemäß § 21 Abs. 3 SchwbAV nicht erbracht werden. So hat das VG Halle (Saale) 4. Kammer im Urteil vom 29. November 2001, Az: 4 A 496/99 (Behindertenrecht 2003, S. 195-197) zur Notwendigkeit einer Arbeitsassistenz im Falle eines blinden Psychotherapeuten festgestellt: „Der Kostenübernahmeanspruch nach SGB IX § 102 Abs. 4, SchwbAV § 17 Abs. 1a besteht nur, soweit die Arbeitsplatzassistenz „notwendig“ ist. Da es im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben um den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile geht, ist die Vorschrift so zu verstehen, dass der Kostenübernahmeanspruch sich auf den Umfang der Assistenztätigkeit beschränkt, der aufgrund der Behinderung des schwerbehinderten Menschen notwendig ist. Soweit die Assistenztätigkeit unabhängig von der Behinderung für die jeweilige Berufsausübung notwendig ist, etwa als Sprechstundenhilfe, besteht ein Kostenübernahmeanspruch nach SGB IX § 102 Abs. 4, SchwbAV § 17 Abs. 1a nicht, denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine Besserstellung der schwerbehinderten Menschen gegenüber Nichtbehinderten beabsichtigt hat.“ In dieser Entscheidung wurde weiter festgestellt, dass eine Kostenbeteiligung des Schwerbehinderten aufgrund von § 18 Abs. 2 Nr. 2 SchwbAV unzumutbar ist, wenn die Leistung wegen der Behinderung erforderlich ist. Deshalb durften im der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall die Einkommensverhältnisse des Klägers nicht berücksichtigt werden.
Wenn der selbstständig tätige schwerbehinderte Mensch seinerseits schwerbehinderte Menschen beschäftigt, sind selbstverständlich die für Arbeitgeber vorgesehenen Leistungen nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB IX und § 17 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV möglich (vgl. 5.3.1).