Für Blinde ist der Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz besonders wichtig. Durch die Hilfe eines Arbeitsassistenten wird die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber nichtbehinderten Konkurrenten im Arbeitsleben erheblich verbessert. Das dürfte sich in der Privatwirtschaft positiv auswirken.
Es besteht einerseits ein Anspruch gegenüber dem für den Betroffenen zuständigen Rehabilitationsträger als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes und andererseits gegenüber dem Integrationsamt als begleitende Hilfe im Arbeitsleben, also zur Sicherung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses. Rechtsgrundlagen für den Anspruch auf Kostenübernahme für eine erforderliche Arbeitsassistenz sind gegenüber den Rehabilitationsträgern nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, also - abgesehen von den Krankenkassen, auf welche zwar verwiesen wird, obwohl sie von ihrer Aufgabenstellung nicht in Frage kommen - für die Bundesagentur für Arbeit, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und die Träger der Kriegsopferversorgung, § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX und gegenüber dem Integrationsamt § 102 Abs. 4 SGB IX. Der Anspruch gegenüber den Rehabilitationsträgern ist auf drei Jahre befristet. Danach wird der Anspruch gegenüber dem Integrationsamt nach § 102 Abs. 4 SGB IX wirksam. In Fällen, in welchen ein Anspruch gegenüber einem der genannten Rehabilitationsträger nicht besteht, wie das z. B. bei Beamten, Staatsanwälten und Richtern der Fall ist, ist von Anfang an der Anspruch gegenüber dem Integrationsamt gegeben. Um trotz der unterschiedlichen Zuständigkeitsnormen eine einheitliche Bewilligungs- und Verwaltungspraxis zu gewährleisten, sieht das SGB IX in § 33 Abs. 8 Satz 2 vor, dass die Durchführung der Leistungen zur Arbeitsassistenz von Anfang an durch das Integrationsamt in Abstimmung mit dem vorrangig zuständigen Rehabilitationsträger erfolgt. Der Rehabilitationsträger erstattet dem Integrationsamt seine Aufwendungen.
Maßgebend für die Voraussetzungen und den Inhalt der Leistung ist § 102 Abs. 4 SGB IX. Deshalb wird auf den Anspruch nach dieser Bestimmung im Folgenden näher eingegangen. Die Bundesregierung wird in § 108 SGB IX ermächtigt, in einer Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz zu regeln. Hierzu ist die Bundesregierung nicht verpflichtet. Der Anspruch auf Übernahme der Kosten ergibt sich unmittelbar aus den jeweiligen gesetzlichen Vorschriften.
Die Arbeitsgemeinschaft der Integrationsämter hat zur Wahrung einer einheitlichen Durchführung „Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz“ beschlossen.
Während die übrigen Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben als Ermessensleistungen erbracht werden, besteht auf die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz ein Rechtsanspruch (§ 102 Abs. 4 SGB IX, § 17 Abs. 1a SchwbAV). Der Anspruch ist zwar „aus den dem Integrationsamt zur Verfügung stehenden Mitteln" zu erfüllen. Hierin kann aber keine Einschränkung dieses Rechtsanspruchs gesehen werden. Darauf, dass die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, ist bei der Aufteilung der Ausgleichsabgabe für die verschiedenen Verwendungszwecke zu achten (vgl. Haufe SGB-Onlinekommentar RZ 23 zu § 102 SGB IX). So sind Leistungen der institutionellen Förderung von Einrichtungen nachrangig gegenüber den individuellen Leistungen an schwerbehinderte Menschen und die Arbeitgeber (§ 14 Abs. 2 SchwbAV).
Der Rechtsanspruch ist Bestandteil der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben.
Es geht bei der Arbeitsassistenz um eine Geldleistung, nicht um eine vom öffentlichen Leistungsträger zu organisierende Sachleistung. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer hat vielmehr selbst die Organisations- und Anleitungskompetenz, ist dafür aber auch selbst verantwortlich. Er ist auch für die Einhaltung aller gesetzlichen Arbeitgeberpflichten im Verhältnis zur Assistenzkraft verantwortlich.
Zwei Modelle stehen zur Verfügung:
- Der schwerbehinderte Arbeitnehmer stellt die Assistenzkraft selbst ein (Arbeitgebermodell) oder
- beauftragt einen Anbieter von Assistenzdienstleistungen auf eigene Rechnung mit der Arbeitsassistenz (Auftragsmodell).
Es steht aber auch eine dritte Möglichkeit zur Verfügung:
In der Praxis werden Leistungen zur Arbeitsassistenz auch zusammen mit Leistungen an Arbeitgeber zur Abdeckung außergewöhnlicher Belastungen erbracht (§ 27 SchwbAV). Dies ermöglicht flexible Formen der Arbeitsassistenz. Da in diesem Fall die Assistenzkraft zu den Betriebsangehörigen zählt, bietet diese Lösung arbeitsrechtlich Vorteile; denn in diesem Fall ist der Arbeitgeber für die Einhaltung aller gesetzlichen Arbeitgeberpflichten im Verhältnis zur Assistenzkraft verantwortlich. Sie wird deshalb vielfach vorgezogen werden. Bei der Auswahl der für die Arbeitsassistenz vom Arbeitgeber bereitzustellenden Arbeitskraft sollte dem schwerbehinderten Menschen unbedingt ein Mitspracherecht eingeräumt werden.
Wenn ein betriebsfremder Arbeitsassistent herangezogen wird, ist eine schriftliche Erklärung des Arbeitgebers/Dienstherrn, dass er mit dem Einsatz einer nicht von ihm angestellten Assistenzkraft einverstanden ist, Leistungsvoraussetzung (2.7 der Empfehlungen der BIH).
Bei der Entscheidung, welches der oben erwähnten Modelle zur Anwendung kommen soll, muss das Wahlrecht des behinderten Menschen nach § 9 SGB IX beachtet werden.
Für die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz gilt ebenfalls § 102 Abs. 2 Satz 3 SGB IX, das heißt, dass der Anspruch nicht nur bei unbefristeten, sondern auch bei befristeten oder Teilzeitarbeitsverhältnissen i.S. von § 73 Abs. 1, SGB IX - bei Teilzeitarbeitsverhältnissen abweichend von § 73 Abs. 3 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von wenigstens 15 Stunden - besteht.
Für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gilt folgendes: Nach § 270a SGB III sind schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 2 Abs. 2 des Neunten Buches abweichend von den §§ 264 und 266 für die Dauer der Zuweisung auch die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz zu übernehmen. Die Leistung wird in Abstimmung mit der Agentur für Arbeit durch das Integrationsamt durchgeführt. Die Agentur für Arbeit, welche der eigentliche Kostenträger ist, erstattet dem Integrationsamt seine Aufwendungen.
Eine persönliche Arbeitsassistenz ist notwendig, wenn weder die behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung noch eine vom Arbeitgeber bereitgestellte Assistenz (z.B. durch Arbeitskollegen) ausreichen, um dem schwerbehinderten Menschen die Ausführung der Arbeit in wettbewerbsfähiger Form zu ermöglichen. Die Arbeitsassistenz muss über gelegentliche Handreichungen deutlich hinausgehen und zeitlich, wie auf die Tätigkeit bezogen, umfangreich sein. Die Leistung setzt jedoch voraus, „dass die schwerbehinderten Menschen in der Lage sind, den das Beschäftigungsverhältnis inhaltlich prägenden Kernbereich der arbeitsvertraglich/dienstrechtlich geschuldeten Arbeitsaufgaben selbstständig zu erledigen (2.2 der Empfehlungen der BIH). Sie müssen also über die für den Arbeitsplatz erforderlichen fachlichen Qualifikationen verfügen. Die Arbeitsassistenz gibt ausschließlich die notwendigen Hilfestellungen, also die Unterstützung bei der vom schwerbehinderten Menschen zu erbringenden Leistung. Die Kostenübernahme soll - gemäß dem allgemeinen sozialrechtlichen Angemessenheitsgebot - in einem ausgewogenen Verhältnis zu dem damit erzielten wirtschaftlichen Integrationserfolg stehen, d.h. zu dem sozialversicherungspflichtigen Einkommen, das der schwerbehinderte Mensch selbst erzielt.
Nicht nur Blinde haben den Anspruch auf Arbeitsassistenz, sondern allgemein schwerbehinderte Menschen, also auch schwer Sehbehinderte. Es kommt darauf an, ob im einzelnen Fall die Arbeitsassistenz notwendig ist; das ist sie dann, wenn sich die Sehbehinderung so auswirkt, dass dieser Mensch in seiner unselbstständigen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit seine Arbeit nur mit Hilfe einer Assistenzkraft zu leisten vermag. In qualifizierten Berufen, z. B. als Jurist, Pädagoge oder Wirtschaftswissenschaftler, ist für einen Blinden die Hilfe durch eine solche zusätzliche Arbeitskraft unentbehrlich. Früher wurden diese Hilfskräfte als „Vorlesekraft" bezeichnet. Besser ist die Bezeichnung als „Arbeitsplatzassistent"; denn deren Arbeitsaufgaben haben sich auf viele eigenverantwortliche Tätigkeiten ausgeweitet. So gehört es z. B. zu Aufgaben der Arbeitsplatzassistenz „hard- und softwaregesteuerte Systeme zu bedienen, Texte zur Weiterverarbeitung vorzubereiten oder Datenbankrecherchen durchzuführen" (U. Boysen, Marb. Schrift, S. 8). Auch können typische Bürotätigkeiten wie Aktenversand, Registratur u.ä. übertragen werden (K. Hahn, S. 99; W. Angermann, S. 118).
Da es bei der Arbeitsassistenz um eine Geldleistung an schwerbehinderte Menschen geht, bietet es sich an, die Form des persönlichen Budgets zu wählen (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 - 3 SGB IX). Die Integrationsämter stellen ein solches persönliches Budget zur Verfügung. Die Leistungshöhe bemisst sich dabei anhand des durchschnittlichen täglichen Bedarfs an Arbeitsassistenz. Ziffer 4.1 der Empfehlungen der BIH lautet:
„4.1 Für die notwendige Arbeitsassistenz werden den schwerbehinderten Menschen - abhängig von ihrem individuellen Unterstützungsbedarf - monatliche Budgets zur Verfügung gestellt. Diese betragen bei einem durchschnittlichen arbeitstäglichen Unterstützungsbedarf von
- weniger 1 Stunde = bis zu 275,00 Euro
- 1 Stunde bis unter 2 Stunden = bis zu 550,00 Euro
- 2 Stunden bis unter 3 Stunden = bis zu 825,00 Euro
- mindestens drei Stunden = bis zu 1.100,00 Euro
Als Aufwandspauschale für Regiekosten (z. B. Meldung zur Sozialversicherung, Entgeltberechnung, Lohnbuchhaltung, Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern) können die vorgenannten Beträge bei einer Fremdvergabe an Dritte um einen Betrag von 20,00 Euro pro Monat erhöht werden.“
Wenn jedoch, wie dies bei Blinden und hochgradig Sehbehinderten häufig der Fall sein wird, eine Arbeitsplatzassistenz in erheblich höherem zeitlichem Umfang erforderlich ist, muss das bei der Bemessung der Leistung berücksichtigt werden. Die tatsächlich erforderlichen Beträge müssen dann gewährt werden.
Bei Erkrankung der Assistenzkraft müssen gegebenenfalls die Kosten für eine Ersatzkraft übernommen werden (Ziffer 4.4 der Empfehlungen der BIH).
Örtlich zuständig ist das Integrationsamt, in dessen Bereich der Arbeitsplatz des schwerbehinderten Menschen liegt. Bei Telearbeit bzw. alternierender Telearbeit ist der Betriebssitz des Arbeitgebers maßgeblich (Ziffer 5.1 der Empfehlungen der BIH).
Der Bewilligungszeitraum beträgt in der Regel zwei Jahre. Notwendige Leistungen zu den Kosten einer Arbeitsassistenz werden auf Antrag weiterbewilligt, wenn die Voraussetzungen weiterhin vorliegen (Ziffer 5.3 der Empfehlungen der BIH).
Die zweckentsprechende Verwendung der Geldleistungen ist dem Integrationsamt nachträglich durch Vorlage geeigneter Unterlagen zu belegen. Liegen die notwendigen tatsächlichen Ausgaben für die Assistenzkraft unter dem bewilligten Budget, sind zuviel gezahlte Beträge zurückzuerstatten bzw. mit der nächsten Vorauszahlung zu verrechnen (Ziffer 5.6 der Empfehlungen der BIH).
Für den Anspruch auf Arbeitsassistenz ist nicht auf den engen Begriff des Arbeitsplatzes nach § 73 SGB IX abzustellen. In § 102 Abs. 4 wird von „begleitender Hilfe im Arbeitsleben“ und nicht von „Arbeitsplätzen“ gesprochen. Vgl. dazu auch Urteil des BVwG vom 14. November 2003 - Az: 5 C 13/02 - (Behindertenrecht 2004, S. 79-81), in welchem einer blinden Pastorin zur behindertengerechten Ausstattung ihres Arbeitsplatzes der Anspruch auf begleitende Hilfe im Arbeitsleben zugesprochen wurde, obwohl es sich bei Geistlichen einer Religionsgemeinschaft um keine Arbeitsplätze im Sinn von § 73 SGB IX handelt.
Die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz ist auch zur Aufnahme bzw. Sicherung einer wirtschaftlich selbstständigen Existenz möglich (vgl. § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX sowie § 21 Abs. 4 i.V.m. § 17 Abs. 1a SchwbAV). Das bedeutet, dass ein blinder Rechtsanwalt mit eigener Praxis einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die notwendige Arbeitsassistenz hat.
Demgegenüber hat nach einem Urteil des VG Hamburg vom 7. Mai 2002, Az: 5 VG 4974/2001 ein Arbeitgeber in der Rechtsform der GmbH keinen Anspruch auf den Ersatz der Kosten einer Arbeitsassistenz für den schwerbehinderten Gesellschafter - Geschäftsführer der GmbH - wenn dieser 50 % der Anteile der GmbH oder mehr hält. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin, ein Software Entwicklungs- und Beratungsunternehmen in der Gesellschaftsform der GmbH, begehrte die Gewährung von Mitteln aus der Ausgleichsabgabe für eine Arbeitsassistenz ihres seinerzeit als Geschäftsführer tätigen blinden Gesellschafters. Dieser hatte einen Gesellschaftsanteil von mehr als 50 %. Er führte Programmierarbeiten für die Kunden der Gesellschaft und zwar zum großen Teil im Rahmen von Projekten in deren Geschäftsräumen aus. Zu diesen Arbeiten benötigte er eine Arbeitsassistenz. Die Arbeitsassistentin hilft ihm, sich bei seinen Kundenbesuchen, die er vier Tage in der Woche tätigt, zu orientieren; sie liest ihm Gesprächsvorlagen vor, hilft ihm bei der Unterlagenbewältigung und bei der Übertragung visueller Informationen (Flipchart, Folien und sonstige visuelle Präsentationsmittel). Das VG Hamburg hat den Anspruch abgelehnt. Der Geschäftsführer hat in der GmbH eine Organstellung inne und ist somit nicht Arbeitnehmer. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass das Gesetz neben den schwerbehinderten Arbeitnehmern - nur noch - den schwerbehinderten Einzelunternehmer bzw. Freiberufler fördern will. Einen Arbeitsplatz i.S.d. Gesetzes hat der Gesellschafter - Geschäftsführer der Klägerin nicht inne. Der Geschäftsführer der Klägerin hat keinen Arbeitsplatz inne. Als Geschäftsführer der Klägerin ist er ihr gesetzliches Vertretungsorgan (§ 35 Abs. 1 GmbHG). Nachdem die bisherige Arbeitsassistentin zur Geschäftsführerin der GmbH bestellt worden war und der bisherige blinde Geschäftsführer aufgrund eines mit der GmbH abgeschlossenen Arbeitsvertrages seine Tätigkeit fortsetzte, wurde die Arbeitsplatzassistenz genehmigt.