Die Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ist Ersatz für das ganz oder teilweise nicht mehr erzielbare Einkommen. Der Rentenanspruch ist zwar hauptsächlich vom Gesundheitszustand der Versicherten abhängig, jedoch wird nicht allein nach der sog. abstrakten Methode verfahren. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung setzt voraus, dass der Versicherte mit der noch verbleibenden Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine entsprechende Teilzeitstelle finden kann; denn die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird aufgrund des Rentenartfaktors von 0,5 lediglich in Höhe der Hälfte der Vollrente geleistet. Daraus folgt:
Der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ist nicht nur auf die Fälle beschränkt, in denen das krankheitsbedingt geminderte Restleistungsvermögen auf einen täglichen Arbeitseinsatz von unter 3 Stunden reduziert ist. Voll erwerbsgemindert ist über den Wortlaut des Gesetzes hinaus auch der Versicherte, der noch 3, aber keine 6 Stunden täglich mehr erwerbstätig sein kann (und der damit nach dem Wortlaut des § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI nur teilweise erwerbsgemindert ist), wenn er einen seinem Restleistungsvermögen entsprechenden (Teilzeit-) Arbeitsplatz nicht innehat und damit arbeitslos ist (Haufe Onlinekommentar RZ. 15 zu § 43 SGB VI).
Man spricht von der so genannten „Arbeitsmarktrente“. Nur wenn gem. § 43 Abs. 3 SGB VI keine Erwerbsminderung vorliegt, weil der Versicherte unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Mit der Arbeitsmarktrente reduziert sich zugleich die Bedeutung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf die in der Praxis seltenen Fälle, in denen Versicherte zwar noch 3, aber keine 6 Stunden mehr arbeiten können und einen ihrem Restleistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz innehaben. Allerdings ist auch in diesen Fällen durch entsprechende medizinische Ermittlungen stets zu prüfen, ob die (konkret) ausgeübte Erwerbstätigkeit auf Kosten der Gesundheit und/oder auf der Grundlage eines unzumutbaren Energieaufwands bewältigt wird (dazu 5.2.1.3; vgl. BSG, Urteil v. 09.05.1984, 4 RJ 101/83). In diesem Fall wäre der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung trotz Erwerbstätigkeit begründet (Haufe Onlinekommentar RZ. 16 zu § 43 SGB VI).
Bei Versicherten, die noch zumindest 6 Stunden täglich arbeiten können, wird vom Grundsatz her unterstellt, dass sie noch über eine möglicherweise schlechte, jedoch noch realisierbare Vermittlungschance auf dem Arbeitsmarkt verfügen. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur dann, wenn die Versicherten auch in der Lage sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts (mindestens 6 Stunden täglich) zu arbeiten. Durch diese gesetzliche Schranke soll sichergestellt werden, dass für die Feststellung des Leistungsvermögens solche Tätigkeiten, für die es für den zu beurteilenden Versicherten unter Berücksichtigung seiner individuellen gesundheitlichen Verhältnisse einen Arbeitsmarkt schlechthin nicht gibt, nicht in Betracht gezogen werden sollen (BT-Drs. 14/4230 zu Nr. 10, § 43 S. 25). Das Gesetz enthält allerdings keine konkrete Beschreibung der Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts, an denen das Einsatzvermögen der Versicherten im Erwerbsleben zu orientieren wäre. Das BSG hat zu den Versicherungsfällen der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit nach den §§ 43, 44 alter Fassung eine Reihe von Einzelfällen (Katalogfälle) entwickelt, in denen Versicherten der Arbeitsmarkt trotz vollschichtigen Leistungsvermögens verschlossen und damit der Versicherungsfall der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit begründet war (vgl. BSGE 80 S. 24). Da die Gesetzesbegründung zu § 43 ausdrücklich auf diese (ständige) Rechsprechung des BSG Bezug nimmt, ist diese bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Tatbestandsmerkmals der üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts heranzuziehen. Ist einer der sog. Katalogfälle gegeben, sind Versicherte nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein. Damit ist der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen und volle Erwerbsminderung gegeben (Haufe Onlinekommentar RZ. 17 zu § 43 SGB VI).
„Bei behinderten Menschen darf allerdings nicht allein aus der Art und Schwere der Behinderung pauschal und undifferenziert ohne weiteres auf volle Erwerbsminderung geschlossen werden, weil häufig nur eine partielle Leistungsunfähigkeit besteht, die mit individuell erforderlichen Hilfen überwunden werden kann (BSG vom 23.04.1990, BSGE 66 § 295 = SozR 3-2200 § 1247 Nr. 1 = SGb 1991 § 71, Anm. Reichart; BSG vom 25.04.1990, BSGE 67 § 1 = SozR a.a.O. Nr. 3 = SGb 1991, 156, Anm. Schmidt, jeweils zum Begriff der Erwerbsunfähigkeit). Auch schwerstbehinderte Menschen sind imstande, Leistungsvermögen, das ihnen verblieben ist, erwerbswirtschaftlich zu nutzen und Arbeitsentgelt zu erzielen. Das gilt auch dann, wenn sie ihre Arbeit nur auf einem individuell behinderungsgerechten Arbeitsplatz und mit Unterstützung durch einen Arbeitsassistenten leisten können - immer vorausgesetzt, es handelt sich um eine Arbeit, die vom Typ her dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekannt ist (rechtlich verkürzt „mittelunterstützte Arbeit" genannt).
Hennies führt in seinem Buch „Der Blinde im geltenden Recht" S. 112 folgendes aus: „Blinde und hochgradig Sehbehinderte, die mit Hilfe solcher Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben imstande sind, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, sind rentenversicherungsrechtlich nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 3 SGB VI), mag auch bei ihnen die Minderung der Erwerbsfähigkeit als schwerbehinderter Mensch beim Grad von 100 (gemeint ist nach heutiger Begriffsbestimmung Grad der Schädigung von 100) unverändert bleiben. Gerade das Schwerbehindertenrecht zeigt, dass es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich ist, durch begleitende Hilfen im Arbeitsleben die behinderungsgerechte Einrichtung von Arbeitsplätzen zu fördern, um zu erreichen, dass schwerbehinderte Menschen und ganz besonders diejenigen, die wegen der Schwere ihrer Behinderung besonders betroffen sind, eine Beschäftigung auf einem für sie geeigneten Arbeitsplatz erhalten (§§ 102 ff. SGB IX, §§ 14 ff. SchwbAV). Hieraus folgt: Blinde und hochgradig Sehbehinderte, die eine Beschäftigung auf einem speziell für sie eingerichteten und ausgestatteten Arbeitsplatz ausüben, sind unter üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbsfähig.“
„Solange der blinde oder hochgradig sehbehinderte Mensch in der Lage ist, die in seinem Beschäftigungsverhältnis erforderliche Arbeit mit begleitenden Hilfen mindestens sechs Stunden täglich zu leisten, ist er also nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Sobald er aber seinen behinderungsgerechten Arbeitsplatz verliert oder auf andere Weise die Möglichkeit wegfällt, sein durch Blindheit oder Sehbehinderung bedingtes Leistungsdefizit mit technischen Arbeitshilfen oder mit Hilfe einer Assistenzkraft zu überbrücken, ist er voll erwerbsgemindert (vgl. BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 57). Die bisherige Rechtsprechung des BSG auf das jetzt geltende Recht entsprechend angewendet, ist in diesem Fall die Situation eingetreten, dass der Blinde nicht mehr in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein (klarstes Beispiel: Der Blinde wird von seiner Assistenz(Vorlese-)kraft verlassen, ohne dass in absehbarer Zeit eine Ersatzkraft deren Stelle einnimmt)“ (Hennies „Blinde im geltenden Recht“ S. 114).