Bei der Frage nach rentenrechtlichen Besonderheiten für behinderte Menschen in geschützten Einrichtungen geht es um die
- Versicherungspflicht der in geschützten Einrichtungen tätigen behinderten Menschen (§ 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI),
- die Beitragsbemessung und die Einführung eines fiktiven Einkommens für die Beitragsbemessung (§ 162 Nr. 2 SGB VI),
- die Tragung der Beiträge (§ 168 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI),
- die Beitragserstattung (§ 179 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI) und
- um die Erfüllung einer Wartezeit von 20 Versicherungsjahren, wenn die Erwerbsunfähigkeit schon zu Beginn der Versicherungspflicht in der Einrichtung gegeben war (§ 50 Abs. 2 SGB VI).
Die Versicherungspflicht behinderter Menschen in geschützten Einrichtungen wurde durch das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter in geschützten Einrichtungen (SVBG) vom 7. Mai 1975 (BGBl. I S. 1061) eingeführt. Es galt bis zum 31.12.1991 und wurde durch Art. 83 Nr. 24 des Gesetzes v. 18.12.1989 (GVBl I S. 2261), durch dessen Artikel 1 das SGB VI (gesetzliche Rentenversicherung) erlassen wurde, m.W. v. 01.01.1992 aufgehoben. Seither sind die versicherungsrechtlichen Regelungen für behinderte Menschen in beschützten Einrichtungen im SGB VI zu finden.
Im Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter in geschützten Einrichtungen vom 7. Mai 1975 wurde festgelegt, dass körperlich, geistig oder seelisch Behinderte, die in Werkstätten für Behinderte beschäftigt werden, in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind (§ 1 SVBG) und dass deshalb die Träger der Einrichtungen Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten haben (§ 5 SVBG).
Die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung ist seit 01.01.1992 nunmehr in § 1 Satz 1 Nr. 2, § 162 Nr. 2 und § 168 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI geregelt.
Nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sind behinderte Menschen, die
- a) in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen (§ 136 SGB IX) oder in anerkannten Blindenwerkstätten im Sinne des § 143 des SGB IX oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
- b) in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen in gewisser Regelmäßigkeit eine Leistung erbringen, die einem Fünftel der Leistung eines voll erwerbsfähigen Beschäftigten in gleichartiger Beschäftigung entspricht, (hierzu zählen auch Dienstleistungen für den Träger der Einrichtung)
gesetzlich rentenversichert, obwohl sie nicht formell in einem Arbeitsverhältnis, sondern in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis stehen.
Welches Einkommen der Beitragsberechnung zur gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde zu legen ist, ergibt sich aus § 162 SGB VI. Nach § 162 Nr. 2 SGB VI wird der Berechnung des zu leistenden Beitrags für die gesetzliche Rentenversicherung bei behinderten Menschen, die in geschützten Einrichtungen beschäftigt sind, das Arbeitsentgelt, mindestens jedoch 80 vom Hundert der Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) zugrunde gelegt. Bezugsgröße im Sinne der Vorschriften für die Sozialversicherung ist gem. § 18 Abs. 1 SGB IV, soweit in den besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nichts Abweichendes bestimmt ist, das durchschnittliche Arbeitsentgelt aller Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächsthöheren, durch 420 teilbaren Betrag. Für das Beitrittsgebiet wird nach § 18 Abs. 2 SGB IV eine abweichende Bezugsgröße festgesetzt. Diese gilt dann nur für die Versicherten mit Beschäftigungsort (vgl. § 9 SGB IV) im Beitrittsgebiet.
Wenn 80 % der Bezugsgröße das erzielte Arbeitseinkommen übersteigt, handelt es sich bei dem übersteigenden Betrag um ein fiktives Einkommen. Dadurch sollen zu niedrige Renten vermieden werden, weil sich mit Beiträgen aus dem regelmäßig nur geringen Arbeitsentgelt ausreichender Versicherungsschutz nicht aufbauen ließe. Nach § 162 Nr. 2a SGB VI gilt für die Ermittlung des der Beitragsberechnung zugrunde zu legenden Einkommen das Gleiche für behinderte Menschen, die im Anschluss an eine Beschäftigung in einer nach dem SGB IX anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen in einem Integrationsprojekt (§ 132 SGB IX) beschäftigt sind.
Wer die Beiträge zur Rentenversicherung zu tragen hat, ist in dem (komplizierten und leider schwer verständlichen) § 168 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI geregelt. Angeknüpft wird an die Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen nach § 162 Nr. 2 SGB VI. Folgende Fälle sind zu unterscheiden:
- Der Träger der Einrichtung trägt den Beitrag allein, wenn der behinderte Mensch kein Arbeitsentgelt erhält oder ein Arbeitsentgelt bezieht, das 20 % der monatlichen Bezugsgröße, der so genannten Geringverdienergrenze nicht übersteigt. Im Beitrittsgebiet ist die Bezugsgröße Ost zu beachten (§ 228a SGB VI).
- Werden 20 % der Bezugsgröße durch einmalig gezahltes Arbeitsentgelt überschritten, tragen der Träger der Einrichtung und der behinderte Mensch die Beiträge von dem die genannte Grenze übersteigenden Teil des Arbeitsentgelts jeweils zur Hälfte; im Übrigen trägt der Einrichtungsträger den Beitrag allein (§ 168 Abs. 2 SGB VI).
- Beträgt das gezahlte Arbeitsentgelt zwischen 20 % und 80 % der Bezugsgröße, tragen der Einrichtungsträger und behinderte Menschen den auf das Arbeitsentgelt entfallenden Beitragsanteil jeweils zur Hälfte. Zusätzlich trägt der Träger der Einrichtung den Beitragsanteil für den Betrag zwischen dem gezahlten Arbeitsentgelt und 80 % der Bezugsgröße allein.
- Übersteigt das Arbeitsentgelt die Mindestbemessungsgrundlage von 80 % der Bezugsgröße, tragen der behinderte Mensch und Einrichtungsträger die Beiträge jeweils zur Hälfte.
Ein Beispiel findet sich bei Haufe Onlinekommentar RZ. 24a zu § 168 SGB VI.
Durch § 168 Abs. 1 Nr. 2a SGB VI wird die Regelung über die Beitragstragung für Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen auf behinderte Menschen in Integrationsprojekten erstreckt, wenn sie vorher in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt waren.
In Ergänzung zu § 168 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI wird in § 179 Abs. 1 SGB VI die Erstattung der Beitragsaufwendungen für die behinderten Menschen geregelt, deren tatsächliches monatliches Arbeitsentgelt 80 % der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt.
Nach § 179 Abs. 1 Satz 1 erstattet der Bund den Trägern der Einrichtung für behinderte Menschen nach § 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a die Beiträge, die auf den Betrag zwischen dem tatsächlich erzielten monatlichen Arbeitsentgelt und 80 vom Hundert der monatlichen Bezugsgröße entfallen, wenn das tatsächlich erzielte monatliche Arbeitsentgelt 80 vom Hundert der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt. Im Übrigen erstatten die für die behinderten Menschen zuständigen Kostenträger den Trägern der Einrichtung die von diesen getragenen Beiträge für behinderte Menschen. Für behinderte Menschen, die im Anschluss an eine Beschäftigung in einer nach dem SGB IX anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen in einem Integrationsprojekt (§ 132 SGB IX) beschäftigt sind, gilt § 179 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Satz 1 entsprechend. Die Einzelheiten zur Durchführung der Beitragserstattung sind in der Aufwendungserstattungs-Verordnung v. 11.7.1975 (BGBl. I S. 1896) in der jeweiligen Fassung geregelt.
Nach § 256 Abs. 4 SGB VI werden für Zeiten vor dem 01.01.1992, für die Pflichtbeiträge nach § 1 des bis dahin maßgebenden Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter in geschützten Einrichtungen gezahlt worden sind, auf Antrag für jedes volle Kalenderjahr der Rentenberechnung mindestens 0,75 Entgeltpunkte zugrunde gelegt (zur Rentenberechnung vgl. 5.1.1.3). Bei Teilzeiträumen ist in Anwendung von § 123 Abs. 3 SGB VI für jeden Tag ein 360tel des Jahreswertes anzusetzen. Betroffen von der Regelung in § 256 Abs. 4 SGB VI sind nur Zeiten ab 01.07.1975 (Inkrafttreten des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter in geschützten Einrichtungen, da es sich bei Zeiten vor diesem Stichtag nicht um „Beiträge für behinderte Menschen in geschützten Einrichtungen" handeln kann).
Die Regelung gilt auch für entsprechende Zeiten im Beitrittsgebiet, wenn der Versicherte in einer Einrichtung beschäftigt war, die mit den geschützten Einrichtungen in den alten Bundesländern vergleichbar war.
Unter „geschützten Einrichtungen" nach dem SVBG waren die in den §§ 1 und 2 des SVBG genannten Einrichtungen zu verstehen, nämlich
- die nach dem Schwerbehindertengesetz (jetzt § 142 SGB IX) anerkannten Werkstätten für Behinderte,
- die nach dem Blindenwarenvertriebsgesetz anerkannten Blindenwerkstätten und
- Anstalten, Heime und gleichartige Einrichtungen, wenn die Leistung des Beschäftigten einem Fünftel der Leistung eines voll erwerbsfähigen Beschäftigten in einer gleichartigen Beschäftigung entsprach.
Die Erfüllung der Wartezeit von 20 Jahren ist nach § 50 Abs. 2 SGB VI Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung an Versicherte, die die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI) vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung nicht erfüllt haben. Das wird auf behinderte Menschen, die in geschützten Einrichtungen beschäftigt sind, in den meisten Fällen zutreffen. Vgl. dazu 5.2.1.5.