Zu den Mitwirkungspflichten, die sich aus der Eigentümlichkeit des Sozialrechtsverhältnisses ergeben, gehört die Pflicht zur Anzeige von Änderungen der Verhältnisse oder Tatsachen, die für die Leistung erheblich sind.

In 12 der 16 Landesgesetze sind spezielle Anzeigepflichten normiert. Es handelt sich um die Landesgesetze von Baden-Württemberg (§ 6 Abs. 1), Brandenburg (§ 7 Abs. 2), Bremen (§ 6 Abs. 2), Hamburg (§ 7 Abs. 2), Hessen (§ 6), Mecklenburg-Vorpommern (§ 8 Abs. 1), Niedersachsen (§ 8), Rheinland-Pfalz (§ 8), Saarland (§ 7), Sachsen-Anhalt (§ 5), Schleswig-Holstein (§ 9 Abs. 1) und Thüringen (§ 10). Die Anzeigepflicht trifft jeweils den Leistungsberechtigten und, sofern dieser geschäftsunfähig ist, seinen gesetzlichen Vertreter.

Der Umfang der Anzeigepflicht ist unterschiedlich formuliert. Für die Einzelheiten wird auf den Gesetzestext der Blindengeldgesetze (Heft 11 der Schriftenreihe) verwiesen.

Wegen der generellen Verpflichtung zur Anzeige der für die Gewährung des Blindengeldes maßgebenden Tatsachen werden alle Tatbestandsmerkmale, die Voraussetzung für die Gewährung sind oder die zu einer Kürzung bzw. Entziehung des Blindengeldes führen können, erfasst. Das sind Änderungen in den medizinischen Voraussetzungen, Änderungen des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes, Eintritt in eine stationäre Einrichtung oder in einigen Blindengeldgesetzen auch in eine teilstationäre Einrichtung , der Bezug von Sozialleistungen, die den Blindengeldanspruch ausschließen oder auf diesen anzurechnen sind, wie z. B. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XI.

In den Landesgesetzen von Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen sind keine entsprechenden Spezialregelungen enthalten. Die Mitteilungspflicht ergibt sich hier aus § 60 SGB I. Auf die Anwendbarkeit des SGB I wird in diesen vier Gesetzen verwiesen.

Auch für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ergibt sich die Mitteilungspflicht aus § 60 SGB I. Nach § 60 Abs. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält,

  1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind ... und
  2. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen.

Auch hier handelt es sich um alle Tatsachen, die für die Gewährung des Blindengeldes Voraussetzung sind oder die zu einer Kürzung bzw. zum Entzug führen können.

Die Grenzen der Anzeigepflicht ergeben sich aus § 65 SGB I. Das gilt auch für die Landesgesetze, in welchen sich Spezialbestimmungen für die Mitteilungspflicht befinden, soweit in diesen Gesetzen auf die Anwendbarkeit des SGB I verwiesen ist. Weil § 65 Ausdruck des allgemein geltenden Grundsatzes der Beachtung der Verhältnismäßigkeit ist, müssen seine Schranken auch in diesen Gesetzen gelten.

Die Folgen der Verletzung der Anzeigepflicht sind teilweise in den Landesgesetzen geregelt. Soweit dies nicht der Fall ist, ergeben sie sich für die Landesgesetze, in welchen auf die Anwendbarkeit des SGB I und X verwiesen ist aus den §§ 66 und 67 SGB I i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X.

Für die Länder Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen sind, soweit die Landesgesetze selbst keine Regelungen enthalten, die §§ 48 ff. des jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes einschlägig.

In 8 der Landesgesetze sind neben den Anzeigepflichten auch Bestimmungen über die Folgen der Verletzung dieser Anzeigepflichten enthalten.

In den Landesgesetzen von Hessen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 6 Abs. 1 Buchstabe b), Niedersachsen (§ 6 Abs. 1 Buchstabe b), Rheinland-Pfalz (§ 5 Abs. 2) und Schleswig-Holstein (§ 7 Abs. 1 Nr. 2) wird bestimmt, dass bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht kein Anspruch auf das Blindengeld besteht. In den Landesgesetzen von Mecklenburg-Vorpommern (§ 8 Abs. 2) und Schleswig-Holstein (§ 9 Abs. 2) wird trotz Aberkennung des Anspruchs als Rechtsfolge bestimmt, dass bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht durch den Blinden das Blindengeld gekürzt oder entzogen werden kann. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung. Diese Rechtsfolge wird trotz Aberkennung des Rechtsanspruches in den Blindengeldgesetzen von Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz selbst nicht ausgesprochen. Die Rechtsfolge ist vielmehr für Hessen aus dem Landesverwaltungsverfahrensgesetz und für Niedersachsen und Rheinland-Pfalz aus § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X zu entnehmen, wobei wegen der Sonderbestimmungen in den Landesgesetzen nur die vorsätzliche Verletzung der Mitteilungspflicht des bewilligenden Verwaltungsaktes genügt.

In den Landesgesetzen von Baden-Württemberg (§ 6 Abs. 2) und Bremen (§ 8 Nr. 4) fehlt eine den Regelungen in den oben genannten Landesgesetzen entsprechende Bestimmung, wonach bei Verletzung der Mitteilungspflicht der Anspruch nicht besteht, es wird aber bestimmt, dass bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht das Blindengeld gekürzt oder entzogen werden kann.

Eine von den bisherigen Regelungen abweichende Bestimmung findet sich im Blindheitshilfegesetz für das Saarland. Nach § 6 Abs. 4 sind Blinde zur Rückerstattung von Überzahlungen unter Beachtung des Sozialgesetzbuches X verpflichtet, wenn sie oder die gesetzlichen Vertreter oder Betreuer eine Verbesserung des Sehvermögens nicht mitgeteilt haben. Diese Bestimmung ist im Zusammenhang mit § 6 Abs. 3 S. 2 zu sehen, wonach eine durch Besserung der Sehfähigkeit bedingte Minderung oder Entziehung der Blindheitshilfe mit Ablauf des Monats eintritt, der auf die Bekanntgabe des die Änderung aussprechenden Bescheides eintritt. Dieser Zeitpunkt soll demnach nur gelten, wenn die Mitteilungspflicht nicht verletzt worden ist. Die Folgen der Verletzung der Mitteilungspflichten nach § 7 werden dadurch im Übrigen nicht berührt. Sie richten sich wegen der Verweisung in § 8 Blindheitshilfegesetz auf das SGB I und X nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X.

Für den Geltungsbereich der Landesgesetze von Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen sowie für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII sind die Folgen der Verletzung der Mitteilungspflicht ausschließlich dem SGB I und dem SGB X zu entnehmen.

Die Kürzung oder Entziehung des Blindengeldes erfordert einen Bescheid. Das Verfahren richtet sich nach dem SGB X, wenn dieses im Landesblindengeldgesetz für anwendbar erklärt ist, in den Ländern Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen nach dem jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetz.

Nach dem SGB X gilt folgendes: Einschlägig ist für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung § 48 SGB X. Bei den Blindengeldleistungen handelt es sich mit Ausnahme der Blindenhilfe gemäß § 72 SGB XII um Leistungen aufgrund eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung. Dass ein begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufgehoben werden kann, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ergibt sich aus § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Der zunächst rechtmäßige Verwaltungsakt würde bei Nichtanpassung rechtswidrig. Die Anpassung dient deshalb der Herstellung der korrekten Rechtslage. Auch nach den Landesgesetzen, in welchen bestimmt ist, dass bei Verletzung der Anzeigepflicht das Blindengeld entzogen oder gekürzt werden kann, liegt deshalb insoweit kein Ermessen vor, als die Schranken der gesetzlichen Voraussetzungen eingehalten werden müssen. Wird z. B. eine anzurechnende Leistung bei häuslicher Pflege nach dem SGB XI nicht gemeldet, so kann die Kürzung nicht über die mögliche Anrechnung hinausgehen. Wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, hat das zur Folge, dass die Anpassung nicht nur für die Zukunft erfolgen muss, sondern dass die Aufhebung rückwirkend bis zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse erfolgen soll (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X). Hier ist zu beachten, dass in mehreren Landesgesetzen, in welchen die Anzeigepflicht geregelt ist, eine vorsätzliche Verletzung verlangt wird. In den übrigen Gesetzen genügt gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 neben Vorsatz auch eine grob fahrlässige Verletzung der Anzeigepflicht. Dabei kommt es auf den subjektiven Maßstab für die Sorgfalt des Betroffenen an. Das Verschulden muss sich auf die Mitteilungspflicht beziehen. Die Sorgfaltspflicht ist in grober Weise verletzt, wenn in den Bescheiden über die Gewährung des Blindengeldes, z. B. auch in den Anpassungsbescheiden, deutlich auf die bestehende Mitteilungspflicht über konkrete Sachverhalte hingewiesen worden ist.

Beispielsfall: A. hat mit Bescheid vom 10.01.2005 Blindengeld nach dem bayerischen Blindengeldgesetz mit Wirkung ab 01.01.2005 erhalten. Im Januar 2006 erlangt er durch eine Operation das Sehvermögen wieder. Das Blindengeld hätte nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz mit Wirkung ab 01.02.2006 entzogen werden können. A. meldet die Wiedererlangung des Sehvermögens nicht. Die Sehwerte haben sich infolge der Operation nur leicht verbessert. Sie betragen auf dem besseren Auge 1/20. Gesichtsfeldeinschränkungen liegen nicht vor. A wird über die neuen Sehwerte nicht informiert. Im Februar 2007 erhält die Behörde Kenntnis von der Operation und von den Ergebnissen.

Hier sind im Januar 2006 wesentliche Veränderungen eingetreten. A. wäre nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I zur Mitteilung verpflichtet gewesen. Da A. nach wie vor ein sehr stark beeinträchtigtes Sehvermögen hatte und ihm die Sehwerte nicht mitgeteilt worden sind, hielt er sich nach wie vor für berechtigt. Grobe Fahrlässigkeit scheidet aus. Das Blindengeld kann nicht gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 rückwirkend ab 01.02.2006 entzogen werden. Die Entziehung ist erst ab 01.03.2007 vorzunehmen.

Für die Länder Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen sind die jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetze maßgebend. Für den Widerruf sind die §§ 49 Abs. 2 der Verwaltungsverfahrensgesetze einschlägig. Die Rücknahme ist auch in diesen Fällen nur insoweit möglich, als durch die geänderten Verhältnisse der ursprünglich rechtmäßige Verwaltungsakt mit der Rechtslage nicht mehr übereinstimmt.

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist, da es sich bei der Genehmigung nicht um einen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, für die Rücknahme § 45 SGB X einschlägig. Nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X ist eine Rücknahme auch für die Vergangenheit möglich, wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Wer für ihn nachteilige Angaben trotz gesetzlicher Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht gemacht hat, erfüllt diese Tatbestandsvoraussetzung.

In der Praxis spielen vor allem folgende Verletzungen der Anzeigepflicht eine Rolle:

  • Nichtanzeige des Umzuges in ein anderes Bundesland,
  • Nichtanzeige des Einzuges in ein Heim,
  • unterlassene Meldung eines Klinikaufenthaltes,
  • unterlassene Anzeige des Bezuges von Pflegeleistungen nach dem SGB XI.

Der Einwand: "Das hab ich nicht gewusst!" hilft nichts. Es ist grob fahrlässig, wenn man den Bescheid nicht liest und die dort genannten Mitteilungspflichten nicht zur Kenntnis nimmt.

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