Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Der besondere Kündigungsschutz nach den §§ 85 ff. SGB IX ist unabhängig von der Betriebsgröße des Arbeitgebers, gilt also auch in den Fällen, in denen der Arbeitgeber nicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verpflichtet ist. Er gilt auch in Betrieben, in denen 10 oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt sind und in denen der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht gilt (vgl. 5.5.2). § 85 SGB IX gilt für Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, also für Angestellte und Arbeiter. Er gilt auch für Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte. Das ergibt sich daraus, dass diese Personengruppe in § 90 SGB IX, in dem die Ausnahmen von der Geltung des besonderen Kündigungsschutzes für schwerbehinderte Arbeitnehmer geregelt sind, nicht aufgeführt ist.
Der Kündigungsschutz der §§ 85 ff. SGB IX besteht nach § 90 SGB IX nicht für schwerbehinderte Menschen,
- deren Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate besteht, was damit übereinstimmt, dass auch der Kündigungsschutz nach § 1 KSchG erst nach sechs Monaten eingreift, oder
- die auf Stellen im Sinne des § 73 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 beschäftigt werden oder
- deren Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet wird, sofern sie
- das 58. Lebensjahr vollendet haben und Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung aufgrund eines Sozialplanes haben oder
- Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistung nach dem Sechsten Buch oder auf Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus haben, wenn der Arbeitgeber ihnen die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt hat und sie der beabsichtigten Kündigung bis zu deren Ausspruch nicht widersprechen.
Der Kündigungsschutz nach den §§ 85 ff. SGB IX besteht ferner nicht bei Entlassungen, die aus Witterungsgründen vorgenommen werden, sofern die Wiedereinstellung der schwerbehinderten Menschen bei Wiederaufnahme der Arbeit gewährleistet ist (§ 90 Abs. 2 SGB IX).
Der Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen besteht auch nicht, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Nachgewiesen ist eine Behinderung, wenn sie offensichtlich, also sichtbar ist, oder eine entsprechende Feststellung der Schwerbehinderung durch das Versorgungsamt nach § 69 Abs. 1 SGB IX erfolgt ist. Der besondere Kündigungsschutz gilt aber auch dann, wenn das Versorgungsamt nach Ablauf der Fristen des § 69 i.V.m. § 14 SGB IX (i.d.R. drei Wochen) keine Entscheidung getroffen hat, obwohl es der Antragsteller nicht an der erforderlichen Mitwirkung hat fehlen lassen.
Der Arbeitgeber sollte, bevor er eine Kündigung in Erwägung zieht, beim Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten, die zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen könnten, aus präventiven Gründen möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, die in § 98 SGB IX genannten betrieblichen Interessenvertretungen sowie das Integrationsamt einschalten, um mit ihnen alle Möglichkeiten und zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und Leistungserbringung zu erörtern, um zu erreichen, dass die bestehenden Probleme beseitigt und das Arbeitsverhältnis auf Dauer fortgesetzt werden kann. Vgl. dazu die unter 5.3 behandelten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Wenn der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigt, ohne die Zustimmung beantragt und erhalten zu haben, so ist die Kündigung allein deshalb, weil die Zustimmung fehlt und damit gegen ein gesetzliches Verbot (hier § 85 SGB IX) verstoßen wird, gemäß § 134 BGB unwirksam. Die Kündigung ist in diesen Fällen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts selbst dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gar nicht wusste, dass sein Arbeitnehmer schwerbehindert ist. Sollte der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigen, ohne dass er die Genehmigung des Integrationsamtes eingeholt hat, ist der Arbeitgeber auf die Notwendigkeit der Genehmigung für die Wirksamkeit der Kündigung hinzuweisen und sofort das Integrationsamt einzuschalten.
Die Zustimmung zur Kündigung muss der Arbeitgeber nach § 87 Abs. 1 SGB IX bei dem für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle zuständigen Integrationsamt schriftlich beantragen. Das Integrationsamt holt im Rahmen des Zustimmungsverfahrens eine Stellungnahme der zuständigen Arbeitsagentur, des Betriebsrates oder Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung ein und hört den schwerbehinderten Menschen an. Es hat in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinzuwirken (§ 87 Abs. 3 SGB IX).
Das Integrationsamt soll nach § 88 Abs. 1 SGB IX innerhalb eines Monats vom Tage des Eingangs des Antrages an entscheiden, ob es der Kündigung zustimmt. Erforderlichenfalls soll die Entscheidung nach einer mündlichen Verhandlung erfolgen. Da es sich bei der Einmonatsfrist um eine Sollbestimmung handelt, ist auch eine nach Ablauf dieser Frist ergangene Entscheidung wirksam. Wenn das Integrationsamt innerhalb der Vierwochenfrist nicht entschieden hat, gilt das - anders als in den Fällen der außerordentlichen Kündigung (§ 91) - und in den in § 88 Abs. 5 SGB IX aufgeführten Fälle nicht als Zustimmung.
Inhaltlich ist der Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer von weit geringerer Bedeutung als gemeinhin angenommen wird. Das Gesetz sagt für den Normalfall nichts darüber aus, unter welchen Voraussetzungen das Integrationsamt seine Zustimmung zur Kündigung geben muss oder sie verweigern kann. Bei der Zustimmung des Integrationsamtes handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, soweit dieses nicht nach § 89 SGB IX eingeschränkt ist. Nach § 89 Abs. 1 muss die Zustimmung zu Kündigungen in Betrieben und Dienststellen, die nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst werden, erteilt werden, wenn zwischen dem Tage der Kündigung und dem Tage, bis zu dem Gehalt oder Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen. Unter der gleichen Voraussetzung soll es die Zustimmung auch bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen erteilen, die nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt werden, wenn die Gesamtzahl der weiterhin beschäftigten schwerbehinderten Menschen zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 71 SGB IX ausreicht. Die Zustimmung muss jedoch dann nicht erteilt werden, sondern liegt wieder im Ermessen des Integrationsamtes, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz desselben Betriebes oder derselben Dienststelle oder auf einem freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb oder einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers mit Einverständnis des schwerbehinderten Menschen möglich und für den Arbeitgeber zumutbar ist (§ 89 Abs. 1 S. 3 SGB IX). Das Integrationsamt soll die Zustimmung auch dann erteilen, wenn dem schwerbehinderten Menschen ein anderer angemessener und zumutbarer Arbeitsplatz gesichert ist (§ 89 Abs. 2 SGB IX).
Für die Frage, ob es sich um eine Betriebseinstellung handelt, sind die Grundsätze des § 111 Betriebsverfassungsgesetz heranzuziehen. Eine Betriebseinstellung, die das Integrationsamt zur Zustimmung zur Kündigung verpflichten würde, liegt nicht vor, wenn der Betrieb von einem Erwerber übernommen und fortgeführt wird (§ 613a BGB).
Nach § 89 Abs. 3 SGB IX soll das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung erteilen, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet ist und
- der schwerbehinderte Mensch in einem Interessenausgleich namentlich als einer der zu entlassenden Arbeitnehmer bezeichnet ist (§ 125 der Insolvenzordnung),
- die Schwerbehindertenvertretung beim Zustandekommen des Interessenausgleichs gemäß § 95 Abs. 2 beteiligt worden ist,
- der Anteil der nach dem Interessenausgleich zu entlassenden schwerbehinderten Menschen an der Zahl der beschäftigten schwerbehinderten Menschen nicht größer ist als der Anteil der zu entlassenden übrigen Arbeitnehmer an der Zahl der beschäftigten übrigen Arbeitnehmer und
- die Gesamtzahl der schwerbehinderten Menschen, die nach dem Interessenausgleich bei dem Arbeitgeber verbleiben sollen, zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 71 ausreicht. In den in § 89 Abs. 1 S.1 und 3 geregelten Fällen muss die Entscheidung des Integrationsamtes über die Zustimmung zur Kündigung innerhalb eines Monats vom Tage des Eingangs des Antrages an getroffen werden. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt.
Bei der Ausübung des Ermessens durch das Integrationsamt ist das Interesse des Arbeitgebers, die vorhandenen Arbeitsplätze wirtschaftlich zu nutzen, gegen das Interesse des betroffenen schwerbehinderten Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz zu behalten, abzuwägen. Behinderte Menschen dürfen gegenüber nichtbehinderten nicht benachteiligt werden. Ihren Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben muss die Verwaltungsbehörde einerseits bei ihrer Erwägung optimal zu verwirklichen suchen. Andererseits muss sie bestrebt sein, möglichst viel noch von der nach Art. 12 GG verfassungsrechtlich geschützten Gestaltungsfreiheit des Betriebsinhabers zu erhalten. Der Schwerbehindertenschutz engt zwar - wenn auch im Einklang mit der Verfassung - den Arbeitgeber in seinen Gestaltungsmöglichkeiten ein. Keinesfalls darf aber die Freiheit so weit eingeschränkt sein, dass sie ausgehöhlt wird. Der Schwerbehindertenschutz bezweckt nicht, die schwerbehinderten Arbeitnehmer praktisch unkündbar zu machen. Vgl. dazu Urteil des BVwG vom 28.2.1968 - 5 C 33/66 -.
Die Entscheidung wird dem Arbeitgeber und dem schwerbehinderten Menschen zugestellt. Der Bundesagentur für Arbeit wird eine Abschrift der Entscheidung übersandt (§ 88 Abs. 2 SGB IX). Die Entscheidung des Integrationsamtes ist ein Verwaltungsakt, und zwar ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt mit Doppelwirkung. Die Wirksamkeit der Entscheidung richtet sich nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen, maßgeblich sind hier die Bestimmungen des SGB X. Für die Form der Zustellung sind die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Zustellungsverfahren maßgebend (§ 65 Abs. 2 SGB X).
Wenn das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung erteilt, kann der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach ihrer Zustellung erklären (§ 88 Abs. 3 SGB IX), und zwar auch dann, wenn gegen die Zustimmung vom betroffenen schwerbehinderten Arbeitnehmer Widerspruch erhoben worden ist.
Wenn die Zustimmung versagt wird, kann der Arbeitgeber dagegen Widerspruch erheben.
In den Fällen des § 88 Abs. 5 und der außerordentlichen Kündigung (§ 91 SGB IX), in welchen nach Fristablauf die Zustimmung als erteilt gilt, liegt ein Verwaltungsakt vor. Diese fingierte Zustimmung kann deshalb ebenfalls mit Widerspruch angefochten werden.
Auch für die außerordentliche Kündigung gilt nach § 91 SGB IX der Kündigungsschutz nach den §§ 85 ff. mit Ausnahme von § 86 SGB IX. D. h., es besteht keine Kündigungsfrist von mindestens 4 Wochen (§ 86 SGB IX). Eine fristlose außerordentliche Kündigung ist nach § 626 Abs. 1 BGB möglich, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Der Arbeitgeber muss auch in den Fällen, in denen ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliegt, vorher die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Wird eine solche Zustimmung nicht eingeholt, ist die Kündigung unwirksam. Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung kann nach § 91 Abs. 2 SGB IX nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden; maßgebend für die Fristwahrung ist der Eingang des Antrages bei dem Integrationsamt. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Das Integrationsamt muss die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tage des Eingangs des Antrages an treffen. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung nach § 91 Abs. 3 SGB IX als erteilt. Damit kann die außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden. Im Hinblick auf die einzuholende Zustimmung des Integrationsamtes und die diesem eingeräumte Entscheidungsfrist kann die Frist des § 626 Abs. 2 BGB, wonach die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis vom Kündigungsgrund zulässig ist, nicht eingehalten werden. Deshalb sieht § 91 Abs. 5 SGB IX vor, dass die Frist auch dann noch eingehalten ist, wenn die Kündigung unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung ausgesprochen wird. Unverzüglich heißt, „ohne schuldhaftes Zögern". In Fällen einer fristlosen Kündigung ist es wegen der kurzen Frist, in welcher das Integrationsamt das Verfahren durchführen und seine Entscheidung treffen muss, dringend erforderlich, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer Kontakt zum Integrationsamt aufnimmt, insbesondere dann, wenn die Kündigung nach seiner Auffassung aufgrund der Schwerbehinderung erfolgt ist.
Das Integrationsamt soll bei außerordentlichen Kündigungen nämlich seine Zustimmung erteilen, wenn die Kündigungsgründe in keinem Zusammenhang zu der Behinderung stehen (§ 91 Abs. 4 SGB IX).