Ein elektronisches Produkterkennungssystem mit Sprachausgabe (Barcodelesegerät) wie z.B. der Einkaufs-Fuchs, kann für erblindete und hochgradig sehbehinderte Versicherte ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sein. Bei einem Barcode-Lesegerät werden in Strichcodes verschlüsselte Produktdaten über eine digitale Sprachausgabe für blinde und sehbehinderte Menschen hörbar gemacht. Darüber hinaus können Strichcode-Etiketten individuell beschriftet und eingesetzt werden.
Die Datenbank des Gerätes enthält inzwischen über eine Million verschiedener Artikel, wobei es sich um die wichtigsten Gebrauchsgüter im Haushalt sowie im Lebensmittelbereich handelt. Ferner sind alle erhältlichen Musik-CDs und Kassetten enthalten. Die Erweiterung der Daten ist jederzeit möglich durch Austausch der Speicherkarte. Im Übrigen besteht die Möglichkeit, dass neue, noch nicht bekannte Artikel von dem Nutzer selbst eingegeben werden. Zu diesem Zweck ist in das Gerät ein Mikrophon integriert, so dass ein bestimmter Barcode akustisch gekennzeichnet werden kann. Auf diese Weise kann der Nutzer Ordner oder Lernmaterialien kennzeichnen.
Zur zwischenzeitlich gefestigten Rechtsprechung der Sozialgerichte Vgl. z.B. Urteile des SG Gelsenkirchen vom 26.08.2008 - Az.: S 28 KR 39/08 -, SG Detmold vom 03.12.2008 - AZ.:S 5 KR 207/07 - und SG Dortmund vom 04.02.2009 - Az.: S 8 KR 213/07.
Das SG Detmold hat mit Urteil vom 03.12.2008 - S 5 KR 207/07 - die Hilfsmitteleigenschaft des Einkaufs-Fuchs im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V ausführlich begründet:
Der Einkaufs-Fuchs ist, wie das SG feststellt, kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, da er lediglich für die speziellen Bedürfnisse sehbehinderter Menschen gedacht ist und nur von diesem Personenkreis genutzt wird. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse ist somit nicht nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V ausgeschlossen.
Dass der Einkaufs-Fuchs zunächst mit Bescheid vom 02.08.2006 in das Hilfsmittelverzeichnis durch die Spitzenverbände der Krankenkassen aufgenommen, dann aber wieder gestrichen wurde, ist unschädlich, weil das Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V nur eine Auslegungshilfe ist, aber nach ständiger Rechtsprechung des BSG keine Bindungswirkung hat (vgl. 3.2.1.2.1.6).
In der Begründung des SG Detmold heißt es:
"Der Einsatz des begehrten Hilfsmittels ist nach Auffassung der Kammer der alltäglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse eines Menschen zuzuordnen. Nach ständiger Rechtsprechung fallen hierunter nicht nur die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege und das selbstständige Wohnen (BSG, Urt. vom 23.07.2002, SozR 3-2500 § 33 Nr. 46), sondern auch die Schaffung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 7). Dazu gehört auch die Fähigkeit, sich selbstständig und möglichst ohne fremde Hilfe im eigenen Umfeld zu orientieren, zurechtzufinden und bewegen zu können (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 18). Hierzu zählt nach Auffassung der Kammer ebenfalls die eigenständige Beschaffung der für die Lebensführung notwendigen Nahrungsmittel und der Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Ebenso fällt in diesen Grundbereich der eigenständigen Orientierung die selbstständige Haushaltsführung. Das Erkennen und Unterscheiden von Gegenständen ist im Rahmen dieser Lebensbereiche wesentlich, um eine freie Willensbetätigung entfalten zu können. So ermöglicht der Einkaufs-Fuchs dem Blinden auf akustische Weise das, was der Sehende auf einen Blick erkennt. Im Rahmen der Haushaltsführung kann der Kläger auf diese Weise seine Einkäufe gezielt sortieren und erhält eine Hilfe beim Wiederauffinden der Gegenstände."
Das Gericht folgt an dieser Stelle nicht einfach dem BSG-Urteil zum Farberkennungsgerät, sondern nimmt bewusst das Einkaufen notwendiger Waren zum Ausgangspunkt eines erweiterten Grundbedürfnisses, das sich nicht auf den Vorgang des Einkaufens beschränkt, sondern den Umgang mit den Waren im Haushalt einbezieht.
Das SG Detmold stellt fest, dass der Einkaufs-Fuchs wie das Farberkennungsgerät der Ordnung im Haushalt dient, jedoch die für die selbstständige Haushaltsführung erforderlichen Informationen noch vielseitiger seien als die Informationen, welche sich mit einem Farberkennungsgerät erzielen lassen.
Diese Rechtsauffassung wurde vom Bundessozialgericht mit Urteil vom 10.3.2011 - B 3 RK 9/10 R - bestätigt. Das Bundessozialgericht hat mit diesem Urteil den Einkaufsfuchs (vom Gericht als "Barcodelesegerät" bezeichnet) als ein Hilfsmittel für blinde und hochgradig sehbehinderte Versicherte anerkannt, zu dessen Leistung die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) verpflichtet sein können. Bereits die beiden Vorinstanzen (SG Berlin, Gerichtsbescheid vom 2. Juni 2009, Az.: S 72 KR 3222/07 und LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Juli 2010 - AZ: L 1 KR 188/09) hatten der Klägerin das Hilfsmittel zugesprochen. Allerdings hat das BSG diese vorinstanzlichen Entscheidungen aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), weil der Sachverhalt hinsichtlich der Erforderlichkeit und der Wirtschaftlichkeit im individuellen Fall noch nicht ausreichend festgestellt sei. In der Begründung des BSG heißt es dazu:
"Das von der Klägerin begehrte Barcodelesegerät kann ein Hilfsmittel der GKV i.S. des § 33 Abs. 1 SGB V sein, denn es ist grundsätzlich geeignet, die Auswirkungen einer Sehbehinderung im Bereich der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens auszugleichen bzw. zu mildern. Die bisher vom LSG getroffenen Feststellungen reichen aber nicht aus, um abschließend entscheiden zu können, ob die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und wirtschaftlich (§ 12 SGB V) ist.".
Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 19. Oktober 2012 - L 1 KR 111/11 ZVW - endgültig zugunsten der Klägerin entschieden.
Das BSG stellt in seinem Urteil vom 10.3.2011 (RN. 9) zunächst fest, dass ein Barcodelesegerät nicht zu den "Sehhilfen" gehört, die nach § 33 Abs. 2 SGB V von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind. "Sehhilfen" sind solche Hilfsmittel, die das Restsehvermögen verstärken, also Brillen, Kontaktlinsen, Lupen und Lupenbrillen. Davon zu unterscheiden sind Hilfsmittel, die - wie der Einkaufsfuchs - das eingeschränkte Sehen durch das Ansprechen anderer Sinne (Hören, Tasten) ersetzen. Diese sind nicht von der Leistungspflicht ausgeschlossen. Sie sind Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 SGB V.
Sodann stellt das BSG in RN. 10 in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen klar, dass sich ein rechtlicher Anspruch auf das Hilfsmittel weder aus der ärztlichen Verordnung (§ 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V) noch daraus ergibt, dass das Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis (HMV) (§ 139 SGB V) des GKV-Spitzenverbandes aufgeführt ist. Den Krankenkassen steht vielmehr ein eigenes Entscheidungsrecht zu, ob ein Hilfsmittel nach Maßgabe des § 33 SGB V zur medizinischen Rehabilitation, also zur Sicherung des Erfolges der Krankenhausbehandlung, zur Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung oder zum Ausgleich einer bestehenden Behinderung, im Einzelfall erforderlich ist; dabei können die Krankenkassen zur Klärung medizinisch-therapeutischer Fragen den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung nach § 275 Abs. 3 SGB V einschalten.
In vergleichbaren Fällen wird an dieser Stelle in den betreffenden Urteilen meistens klargestellt, dass die fehlende Nennung im Hilfsmittelverzeichnis oder eine dortige negative Aussage keine rechtsverbindliche Wirkung hat. Hier stellt nun das BSG klar, dass sich auch aus der Nennung eines Hilfsmittels im Hilfsmittelverzeichnis noch keine Leistungspflicht ergibt: Der Einkaufsfuchs war schon sehr früh in das HMV unter der Positionsnummer 07.99.04.2001 aufgenommen worden. Das BSG wörtlich:
"Es (das HMV) schließt weder Hilfsmittel von der Versorgung der Versicherten aus, die den gesetzlichen Ansprüchen des § 33 SGB V genügen (...), noch besteht ein Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die zwar im HMV verzeichnet, für die aber nicht die gesetzlichen Voraussetzungen des § 33 SGB V erfüllt sind." Aus der rechtlichen Unverbindlichkeit des HMV ergibt sich nach Meinung des BSG aber auch folgendes: "Daher sind die für das (...) Barcodelesegerät im HMV formulierte Beschränkung (Einkaufshilfe im Rahmen der selbständigen Lebensführung unter Berücksichtigung elementarer Grundbedürfnisse) und der Leistungsausschluss bei Nutzung des Hilfsmittels ausschließlich zur Organisation der Wohnung für den klägerischen Anspruch ohne Bedeutung".
Nach § 33 Abs. 1 sind, worauf das BSG abstellt, folgende Gesichtspunkte von rechtlicher Bedeutung:
Das Hilfsmittel muss zu einem "Behinderungsausgleich" im Sinne des § 33 SGB V geeignet sein. Dabei kann der Behinderungsausgleich unmittelbar erfolgen, d.h. der Ausgleich erfolgt bei der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst in dem er direkt beim Funktionsdefizit ansetzt (eine Prothese ermöglicht nach einer Beinamputation wieder das Gehen, der Sehbehinderte kann mit einer Brille wieder besser sehen, ein Hörbehinderter kann mit einem Hörgerät wieder besser hören).
"Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. (...) Die gesonderte Prüfung, ob mit der vorgesehenen Verwendung ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt in Fällen der Erstausstattung mit Hilfsmitteln zum unmittelbaren Behinderungsausgleich, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht (RN. 12)."
Der Funktionsausfall kann aber auch mittelbar erfolgen, indem die Folgen der Behinderung direkt oder indirekt ausgeglichen werden. Letzteres ist immer der Fall, wenn der beeinträchtigte Sinn durch die Nutzung eines intakten anderen Sinnes ersetzt wird (RN. 13). Das ist beim Einkaufsfuchs, weil er die nicht wahrgenommenen optischen Informationen über die Sprache vermittelt, der Fall.
In diesem Falle - mittelbarer Behinderungsausgleich - gilt nach der Rechtsprechung die Einschränkung, dass das Hilfsmittel von der Krankenkasse nur dann zu gewähren ist, "wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis betrifft."
"Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (RN. 13)."
Wie das bei einem Barcodelesegerät wie z.B. beim Einkaufsfuchs zu beurteilen ist, wird vom BSG im vorliegenden Urteil in den Randnummern 15 bis 25 sehr ausführlich behandelt. Die diesbezüglichen Ausführungen des BSG lassen sich wie folgt verkürzt wiedergeben:
Das Grundbedürfnis des "selbständigen Wohnens" setzt Grundvoraussetzungen im hauswirtschaftlichen Bereich voraus. Diese Grundvoraussetzungen wiederum sind im Bereich der Pflegeversicherung umfassend in § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI beschrieben (Einkaufen, Kochen, Reinigung der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleider und das Beheizen). Seine Bezugnahme auf die Beschreibung der Pflegebedürftigkeit in § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI rechtfertigt das BSG durch folgende Feststellung: "Ungeachtet der unterschiedlichen Zielsetzung der GKV (Bewältigung von Krankheit und ihren Folgen) und der gesetzlichen Pflegeversicherung (partielle Abdeckung des Risikos der Pflegebedürftigkeit)" geht es bei den entsprechenden Verrichtungen um einen "Teil der funktionalen Gesundheit des Menschen". Zu beachten ist aber:
"Ebenso wie die Pflegebedürftigkeit nicht allein durch einen Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung begründet wird, sondern einen zusätzlichen Hilfebedarf im Bereich der Grundversorgung (...) verlangt, so setzt die Leistungspflicht der GKV nach § 33 Abs. 1 SGB V voraus, dass die durch das begehrte Hilfsmittel ermöglichte hauswirtschaftliche Versorgung notwendig ist, um ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens sicherzustellen (RN. 16)."
Dazu, dass der Einkaufsfuchs diese Voraussetzungen erfüllt stellt das BSG fest:
" e) Die für das selbständige Wohnen elementaren hauswirtschaftlichen Verrichtungen setzen eine uneingeschränkte visuelle Wahrnehmung voraus. Das gilt sowohl für die Wahrnehmung, dass bestimmte Verrichtungen notwendig sind (z.B. Verschmutzungsgrad der Wohnung), als auch für die bei Ausübung der jeweiligen Verrichtung notwendigen Arbeitsschritte (z.B. Auswahl der Reinigungsmittel, Auswahl der Zutaten beim Kochen). Diese Wahrnehmungsmöglichkeit ist bei einem sehbehinderten Menschen aufgehoben bzw. beeinträchtigt. Durch ein Barcodelesegerät können (...) die für elementare hauswirtschaftliche Verrichtungen erforderlichen Informationen über einzelne Produkte und Gegenstände mittels einer Sprachausgabe (...) zugänglich gemacht werden. (...) Auf diese Weise können z. B. die für das Sauberhalten der Wohnung und Kleidung notwendigen Reinigungsmittel zutreffend ausgewählt sowie sachgerecht und vor allem gefahrenfrei verwendet werden. Die genaue Kenntnis des Produktinhalts ist gerade bei der Verwendung von Reinigungsmitteln von Bedeutung, deren unsachgemäße Verwendung zu Gesundheitsschäden führen kann (z. B. bei ätzenden Flüssigkeiten). Auch die hauswirtschaftliche Verrichtung des Kochens als Vorstufe zum anerkannten Grundbedürfnis der Nahrungsaufnahme wird durch ein Barcodelesegerät nicht nur unwesentlich erleichtert, sondern teilweise erst ermöglicht. Denn Voraussetzung für die selbständige Nahrungszubereitung ist eine zutreffende Auswahl und Abmessung der Speisen und Zutaten (RN. 17). (...) Darüber hinaus ist ein Barcodelesegerät grundsätzlich auch geeignet, die infolge einer Sehbehinderung bestehenden Einschränkungen bei der Erschließung des für das selbständige Wohnen erforderlichen körperlichen und geistigen Freiraums auszugleichen." Damit ist gemeint: Zum selbständigen Wohnen gehört auch die Fähigkeit, im Nahbereich der Wohnung Alltagsgeschäfte zu erledigen. Und auch dabei - beim Einkaufen von Gegenständen des täglichen Bedarfs - ist das Barcodelesegerät hilfreich. Das BSG setzt jedoch eine Grenze: "Damit ist jedoch weder eine Anerkennung des Einkaufens als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens noch die Ermöglichung von Einkäufen jeder Art durch Hilfsmittel der GKV verbunden. Zu gewährleisten ist von der GKV vielmehr nur die Möglichkeit des Einkaufs als Alltagsgeschäft, d. h. die Beschaffung von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs (...), soweit die Befähigung hierzu aufgrund einer Behinderung aufgehoben bzw. eingeschränkt ist und durch das Hilfsmittel ausgeglichen werden kann (RN. 18)."
Das wiederum heißt: In diesem Sinne muss die Wirkung des Barcodelesegeräts "erheblich" sein. Dementsprechend stellt das BSG fest:
"Die mit dem Barcodelesegerät abrufbaren Informationen (z.B. Name bzw. Produktbezeichnung, Hersteller und Mengenangabe) sind entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht unerheblich, denn sie ermöglichen einem sehbehinderten Menschen einen weitgehend selbständigen Einkauf von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs und damit eine überwiegend selbständige Haushaltsführung. Damit ggf. nicht entschlüsselbare Informationen über den Preis und die Mindesthaltbarkeit von Lebensmitteln können im Geschäft leicht erfragt werden. Zudem ist davon auszugehen, dass Lebensmittel in aller Regel nicht außerhalb der Mindesthaltbarkeitsdauer angeboten werden. Im Hinblick auf die persönliche Haushaltsgestaltung und Vorratshaltung können überdies zusätzliche wesentliche Produktinformationen - wie etwa das Einkaufsdatum - zu Hause durch Verwendung der mitgelieferten Strichcodeetiketten verfügbar gemacht werden (RN. 19)."
In RN. 20 des Urteils wird die "vielfältige Einsetzbarkeit" durch die "individuelle Verwendung der mitgelieferten Strichcodeetiketten" noch einmal angesprochen.
Die nächsten Abschnitte im Urteilstext befassen sich mit den Fragen: Darf die Klägerin auf die mögliche Hilfe durch Dritte hingewiesen werden? Könnte die Versicherte - entsprechend geschult - nicht auch ohne das Hilfsmittel zurechtkommen?
Als Antwort auf die erste Frage verweist das Gericht in RN. 22 auf frühere Entscheidungen, wonach die Hilfsmittelversorgung durch die GKV ja gerade dazu dient, zur Selbständigkeit und damit zur Unabhängigkeit von der Hilfe Dritter beizutragen. Zeitgemäß begründet das BSG dies nun zusätzlich mit dem Hinweis auf Art. 19 (Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft) und 20 (Persönliche Mobilität) der UN-Behindertenrechtskonvention.
Bei der Antwort auf die zweite Frage erinnert das BSG an sein Urteil zum Farberkennungsgerät (Urteil vom 17.1.1996 - 3 RK 38/94): Ohne das Farberkennungsgerät - so das BSG damals - müsste ein Blinder zur Identifizierung von Gegenständen sich eines besonderen Ordnungssystems bedienen und dies kann - so das BSG auch noch heute - sich sehr leicht als unzureichend erweisen:
"Zum einen werden hierdurch Verwechslungen (...) nicht ausgeschlossen, weil das menschliche Erinnerungsvermögen weder grenzenlos noch unfehlbar ist. Zum anderen sind Entwicklung und Einhaltung solcher Ordnungssysteme häufig mit einem erheblichen zeitlichen und intellektuellen Aufwand verbunden. (...) Die mit der Entwicklung und Einhaltung entsprechender Ordnungssysteme verbundene Mehrbelastung kann im Einzelfall sogar die Grenze des Zumutbaren überschreiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich gelegentlich andere mit den Ordnungssystemen nicht vertraute Personen besuchsweise in der Wohnung des Sehbehinderten aufhalten oder wenn mit den sekundären Sinnen (Riech-, Tast- und Hörsinn) die Produktbeschaffenheit nicht eindeutig identifizierbar ist (z.B. Konservendosen, Tetrapacks). Die Öffnung der Verpackung, um den Inhalt über den Riechsinn wahrzunehmen, würde nicht dem Vorgehen im Rahmen einer normalen Haushaltsführung entsprechen (RN. 23)."
Hinzu kommt dann noch, dass die Fähigkeit des Betroffenen, sich zu sensibilisieren und zu trainieren, "zumindest in den Fällen begrenzt ist, in denen der Betroffene - wie hier - nicht seit Geburt erblindet bzw. sehbehindert ist (RN. 24)." Die weitere Aussage in diesem Abschnitt, dass diese Fähigkeit mit zunehmendem Alter abnimmt, entnimmt das BSG der DBSV-Broschüre "Mobil im Alltag". Mit dieser Feststellung kann aber nicht begründet werden, dass ein Barcodelesegerät zur Haushaltsführung für Personen, welche ihr Sehvermögen in jüngeren Jahren verloren haben oder bei welchen die Behinderung angeboren ist, für die Haushaltsführung nicht erforderlich wäre.
In RN. 25 des Urteils des BSG wird festgestellt, dass es sich bei einem Barcodelesegerät um keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, weil die für sehbehinderte Menschen angebotenen Barcodelesegeräte "nach ihrer Funktion und Bauart speziell auf die Bedürfnisse dieser Gruppe von behinderten Menschen zugeschnitten" sind.
"Anders als bei handelsüblichen Barcodelesegeräten wird die in einem Strichcode verschlüsselte Produktinformation über eine Sprachausgabe für die Betroffenen hörbar gemacht. Zudem kommen handelsübliche Barcodelesegeräte nicht in privaten Haushalten, sondern ausschließlich im gewerblichen Sektor zum Einsatz und können bereits aus diesem Grund nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens angesehen werden."
In den letzten Abschnitten des Urteils (RN. 26 bis RN. 30) begründet das BSG, warum es den Fall nicht abschließend entscheidet, sondern zur Aufklärung weiterer Einzelheiten an das Landessozialgericht zurückverweist.
Dazu stellt das BSG folgende Fragen:
a) Zur persönlichen Lebensführung der Klägerin: Führt sie den Haushalt alleine? Wie ist sie bisher zurechtgekommen? Wirkt sich das Alter einschränkend auf eventuelle kompensierende Fähigkeiten aus (RN. 27)? Kann die Klägerin das begehrte Hilfsmittel bedienen? Kann sie sich "im Ladengeschäft" orientieren?
"Hierbei wird das LSG - ausgehend von seinen bereits getroffenen Feststellungen - zugrunde legen können, dass die Klägerin aufgrund ihres 2 %-igen Restsehvermögens in der Lage ist, Kontraste sowie Hell und Dunkel wahrzunehmen, so dass die durch das Barcodelesegerät nicht gewährleistete Orientierung im Ladengeschäft über die vorhandene Sinneswahrnehmung sichergestellt ist. (RN. 28)"
b) Zur Wirtschaftlichkeit der Hilfsmittelgewährung (§ 33 Abs. 1 SGB Satz 1 V in Verbindung mit § 12 Abs. 1 SGB V) heißt es in Urteil des BSG:
"Sowohl der Umfang der konkreten Nutzung des Barcodelesegeräts durch die Klägerin unter Berücksichtigung seiner Einsatzmöglichkeiten als auch die im Rahmen der Wirtschaftlichkeit vorzunehmende Kosten-Nutzen-Analyse bedingen (...) noch weitere Ermittlungen. "Die Sachleistungspflicht nach § 33 Abs. 1 SGB V beschränkt sich auf die kostengünstigste Hilfsmittelversorgung; es besteht also kein Anspruch auf Optimalversorgung, sondern nur auf ausreichende, wirtschaftliche und zweckmäßige Hilfsmittel (...). Soweit ein kostengünstigeres Hilfsmittel zum Ausgleich der Behinderung funktionell ebenso geeignet ist, besteht daher kein Anspruch auf die Versorgung mit einem teureren Hilfsmittel (...). Trotz der Bedeutung der durch ein Barcodelesegerät vermittelten Information bedarf es in Anbetracht des hohen Anschaffungspreises einer relativ häufigen Nutzung des Geräts pro Tag, um dessen Wirtschaftlichkeit bejahen zu können. Ferner wird das LSG zu prüfen haben, ob andere ebenso einsetzbare, aber kostengünstigere Hilfsmittel angeboten werden (RN. 29)."
Das LSG soll sich also nach vergleichbaren Geräten anderer Anbieter erkundigen und danach, wie hoch die zusätzlichen Kosten für ein mobil einsetzbares Gerät sind.
Die vom BSG gestellten Fragen waren Gegenstand des Urteils des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.10.2012 - L 1 KR 111/11 ZVW. Wie bereits festgestellt, hat das LSG Berlin-Brandenburg den Anspruch der Klägerin auf Ausstattung mit einem Barcode-Lesegerät Einkaufsfuchs bejaht.
Die vom BSG gestellten Fragen werden in den Randnummern 35 ff. behandelt. Die Klägerin führe weitgehend den Haushalt. Sie sei auf den Einkaufsfuchs angewiesen und könne diesen auch bedienen.
"Es war und ist unstreitig, dass sie das Gerät täglich mehrfach einsetzen wird, da es nicht nur bei der Nahrungszubereitung, der Körperpflege, der Haushaltsreinigung und bei der Ablage bzw. dem Wiederfinden von Dokumenten zu Hause zum Einsatz kommen kann, sondern darüber hinaus zu seinem primären Zweck, beim Einkaufen zu helfen."
Zur Frage einer wirtschaftlicheren Alternative stellt das LSG fest, dass es zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt keine wirtschaftlichere Alternative gebe. Zwar gebe es ein Zusatzgerät das als Barcodelesegerät zusammen mit einem Smartphone mit einem entsprechenden Betriebssystem benützt werden könne (RN. 37).
"Da die Klägerin zutreffend und unwidersprochen darauf verweist, dass mit dem Alternativprodukt für eine Person wie sie, welche nicht selbstverständlich mit einem Smartphone umgehen kann, ein erheblicher Schulungsaufwand besteht, weil jedenfalls sie sich nicht ohne solche mit dem benötigten Handy und der zusätzlich erforderlichen Vorlesesoftware zu Recht findet. "Unter dem Strich" ist deshalb von einem entscheidungserheblichen Wirtschaftlichkeitsvorteil des Alternativsystems nicht auszugehen (RN. 37)."
Zum für die Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt wurde der Einkaufsfuchs für ca. 3.000 Euro, das alternativ angebotene Barcodelesegerät für ca. 2.200 Euro angeboten. Die Entscheidung zeigt, dass es für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit durchaus darauf ankommt, über welche Hilfsmittel der blinde oder sehbehinderte Versicherte verfügt und ob etwa mit Hilfe eines Zusatzgerätes oder einer entsprechenden Software eine wirtschaftlichere Alternative verfügbar ist.