Bei der Braillezeile handelt es sich um ein Display, das an ein Lese-Sprech-Gerät (s. o.) oder an einen Computer angeschlossen werden kann. Der im Lese-Sprech-Gerät oder Computer gespeicherte Text wird mit Hilfe eines Umsetzungsprogramms in Brailleschrift ausgegeben. Die Braillezeile verfügt für die Textausgabe über 40 oder 80 Stellen, so dass 40 bzw. 80 Zeichen gleichzeitig dargestellt werden können. Die Braillezeile ist speziell für den Gebrauch durch blinde Menschen konzipiert. Es handelt sich deshalb nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die Behinderung wird durch die Braillezeile im Bereich der Information ausgeglichen. Es handelt sich somit um ein Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V (Urteil des BSG vom 16.4.1998 - B 3 Kr 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26).

Die Braillezeile findet sich im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V unter der Produktnummer 07.99.02. Im Hilfsmittelverzeichnis wird zur Ausstattung mit einer Braillezeile festgestellt:

"I.d.R. werden Geräte mit Sprachausgabe abgegeben, eine Erweiterung um eine zusätzliche Braillezeile ist nur bei besonderen, nachgewiesenen Leseanforderungen begründet. (...) Eine Versorgung kommt in Betracht, wenn ein erweitertes Informationsbedürfnis oder neben der Erblindung bzw. der hochgradigen Sehbehinderung eine Schwerhörigkeit vorliegt."

Für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen kommt es jedoch darauf an, ob sie für die Befriedigung eines Grundbedürfnisses erforderlich sind.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 16.4.1998 - B 3 Kr 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26 den Anspruch auf Ausstattung mit einer Braillezeile zusätzlich zu einem Lese-Sprech-Gerät damit begründet, dass mit Hilfe dieser Ausstattung Blinde in der Lage sind, alltägliche Schriftstücke, wie Zeitungen, Kontoauszüge, Rechnungen o. dergl. ohne fremde Hilfe zu lesen. Sie dient der Befriedigung des Grundbedürfnisses auf "(umfassende) Information" und damit der Schaffung eines geistigen Freiraums. Das BSG vertritt in der Entscheidung vom 16.4.1998 - B 3 Kr 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26 zurecht die Auffassung, dass das allein mit dem Lese-Sprech-Gerät nicht "im ausreichenden Maße" möglich sei. In der Begründung heißt es wörtlich:

"(Es) ist daran festzuhalten, dass das Grundbedürfnis auf Information in engem Zusammenhang mit dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben einschließlich der Schaffung eines eigenen geistigen Freiraums und der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben steht. Die Information ist für Persönlichkeitsentfaltung und Allgemeinbildung von elementarer Bedeutung. Informationsbedarf und -möglichkeiten nehmen in der modernen Gesellschaft ständig und in steigendem Maße zu, wobei immer wieder neue qualitative Stufen erreicht werden (Beispiel: Internet). Diesem Informationsbedürfnis ist in einem umfassenden Sinne Rechnung zu tragen, so dass die bloße Verweisung eines Blinden auf Rundfunk und Audiotheken nicht zulässig ist. Auch die Information im persönlichen Lebensbereich auf einfachster Stufe gehört zu einem selbstbestimmten Leben. Von daher kommt es nicht darauf an, ob der Kläger mit der Braillezeile auch weitergehende Informationen qualifizierter Art erreichen will, wie etwa die Erschließung von Fachliteratur oder von Belletristik im Allgemeinen, und ob ihm dies bereits mit der Lese-Sprech-Einrichtung, wenn auch teilweise mit Schwierigkeiten, ermöglicht wird. Denn es geht auch um schlichte Zeitungslektüre und die Kenntnisnahme von Telefonnummern, Telefonrechnungen, Arzneibeipackzetteln, Formularen usw., die mit der bereits vorhandenen Ausstattung praktisch nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand, wohl aber durch die Braille-Zeile möglich ist."

Diese Begründung darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, als käme es nur auf "die Information im persönlichen Lebensbereich auf einfachster Stufe" an. Dagegen spricht schon die Verwendung des Wortes "auch" in der Begründung des BSG und vor allem die Bedeutung der Information in einer Informationsgesellschaft. Da sich in den vergangenen Jahren der Einsatz von Computern im privaten Gebrauch und die damit verbundene Kommunikation über E-Mail und mit Hilfe des Internets durchgesetzt hat, erstrecken sich die Grundbedürfnisse auch auf diesen Bereich, von dem Blinde und hochgradig Sehbehinderte nicht ausgeschlossen werden dürfen. "Ganz allgemein" gehört es zu den Grundbedürfnissen, sich einen geistigen Freiraum zu schaffen; als Ziel der Versorgung mit elektronischen Hilfsmitteln hat das BSG ausdrücklich "die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einbezogen" (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 1 und Nr. 16).

Aus dem Gebot der Wirtschaftlichkeit kann in aller Regel nur eine 40-stellige Braillezeile (Halbzeile) und nicht eine 80-stellige Braillezeile (Vollzeile) beansprucht werden. Nur im Zusammenhang mit dieser Einschränkung, die gewisse Unbequemlichkeiten zur Folge hat, ist die Feststellung des BSG (Urteil vom 16.4.1998 - B 3 Kr 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26) zu verstehen, wenn es in der Begründung heißt: "Das Anerkennen eines Grundbedürfnisses auf umfassende Information bedeutet keine vollständig mit den Möglichkeiten des Gesunden gleichziehende Information des blinden Versicherten; (...)". Das ergibt sich eindeutig aus dem Textzusammenhang.

Zu großer Verunsicherung hat das Urteil des BSG zur Braillezeile vom 21. November 2002 - Az.: B 3 KR 4/02 R = Reg.Nr. 25997 (BSG-Intern) geführt.

In diesem Rechtsstreit begehrte ein Spätaussiedler aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion in Ergänzung zu seinem PC bzw. Lese-Sprech-Gerät eine Braillezeile. Er begründete das mit dem Wunsch, die deutsche Sprache in Wort und Schrift, insbesondere auch in der Orthographie, besser zu erlernen. Darin sah er neben seinem allgemeinen Informationsbedarf ein Grundbedürfnis, zu dessen Befriedigung nicht der Sozialhilfeträger im Wege der Eingliederungshilfe, sondern die Krankenkasse zuständig sei.

Das BSG hob auf die Revision des Klägers hin das negative Urteil des LSG für das Saarland vom 21. November 2001 - L 2 KR 8/01 - auf und wies den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das LSG für das Saarland zurück.

Zum Erlernen der deutschen Sprache in Wort und Schrift hält das BSG die Braillezeile nicht für erforderlich. Es lässt dabei offen, ob die "hinreichende Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift, insbesondere die Rechtschreibung, bei Erwachsenen generell und bei erwachsenen Spätaussiedlern im Besonderen" ein Grundbedürfnis ist. Die Braillezeile ist dafür schon deshalb nicht notwendig, weil es zum Erlernen der deutschen Sprache ausreichend Schul- und Lesebücher in Brailleschrift gibt.

Das BSG nimmt sodann ausdrücklich auf sein Urteil vom 16. April 1998 - B 3 KR 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26 - Bezug. Es stellt jedoch fest, dass sich diese Entscheidung auf den technischen Stand der Lese-Sprech-Geräte Mitte der 90er Jahre bezogen habe. An dieser Entscheidung hält das BSG grundsätzlich fest. Hiernach könnte - wie das BSG feststellt - "ein Versorgungsanspruch nur dann abgelehnt werden, wenn (1.) ein im Umgang mit einem PC vertrauter Versicherter Schriftstücke und Texte der genannten Art (Zeitungen, Arzneibeipackzettel, Kontoauszüge oder Telefonbücher) aufgrund seiner persönlichen Lebenseinstellung und Bedürfnisse nicht oder nur in sehr geringem Umfang "lesen" möchte oder wenn (2.) aufgrund des zwischenzeitlich eingetretenen technischen Fortschritts die heutzutage auf dem Markt befindlichen Lese-Sprech-Geräte, insbesondere das dem Kläger zur Verfügung gestellte Gerät, so ausgereift und technisch vervollkommnet sind, dass die Mitte der 90er Jahre noch zu verzeichnenden Schwächen ganz oder nahezu vollständig beseitigt worden und dadurch Braillezeilen insoweit überflüssig geworden sind." Besonders sei zu prüfen, ob zur Zeitungslektüre als dem Schwerpunkt der täglichen Information nach wie vor fremde Hilfe notwendig sei. Dazu müsse das LSG noch die notwendigen Feststellungen treffen.

Nach diesem Urteil des BSG sind widersprüchliche Entscheidungen ergangen:

Das SG Leipzig hat mit Urteil vom 22. April 2004 Az.: S 13 KR 92/01, das inzwischen rechtskräftig ist, trotz des technischen Fortschritts im Vergleich zu den Lese-Sprech-Geräten, deren Standard der Entscheidung des BSG vom 16.04.1998 zugrunde gelegen hat, den Anspruch auf die ergänzende Ausstattung eines Lese-Sprech-Gerätes mit einer Braillezeile anerkannt. Es hat seine Entscheidung vor allem damit begründet, dass mit Hilfe einer Braillezeile bei mehrspaltigen Texten in Zeitschriften die zusammengehörenden Spalten viel zielgerichteter aufgefunden werden können. Der Aufwand, mit einer Sprachausgabe Magazine zu lesen, die aus ein- und mehrspaltigem Text bestehen und sich über mehrere Seiten erstrecken, sei unzumutbar. Außerdem können Tabellen, wie sie vor allem in Rechnungen und Kontoauszügen vorkommen, leichter erfasst werden.

Demgegenüber hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 26.8.2004 - L 5 KR 59/04 - und vom 3. März 2005 - L 5 KR 117/04 - den Anspruch auf Ausstattung mit einer Braillezeile abgelehnt. Die Revision wurde in beiden Urteilen nicht zugelassen. In den Verfahren ging es allein um die Ergänzung eines geschlossenen Lese-Sprech-Gerätes durch eine Braillezeile. Das Gericht sah deshalb in der Erweiterung des Systems durch eine Braillezeile keine Verbesserung der Informationsmöglichkeit. Das Gericht nimmt auf die beiden Urteile des BSG zur Braillezeile vom 18.4.1998 und vom 21.11.2003 Bezug. Das Gericht ist der Auffassung, dass Texte, soweit sie beim Einscannen nicht einwandfrei umgesetzt wurden, mit Hilfe der Braillezeile nicht besser erkannt werden könnten als mit Hilfe der Sprachausgabe. Den Einwand der Kläger, dass sie über die Braillezeile gelesenen Text besser erfassen können als nur gehörten Text, lässt das Gericht nicht gelten. Es ist der Auffassung, dass das eine Frage der Gewohnheit sei.

Demgegenüber hat das LSG für das Land Nordrhein-Westfalen mit rechtskräftigem Urteil vom 24.11.2005 - L 2 KN 12/05 KR - den Anspruch des Klägers auf Ausstattung mit einer Braillezeile anerkannt und die Berufung der Krankenkasse gegen das positive Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.06.2003 zurückgewiesen.

Das LSG stützt seine Entscheidung auf das Gutachten des Sachverständigen Werner Krauße, Fachberater und Trainer für Informations- und Kommunikationssystem für Blinde und stark Sehbehinderte aus Metten vom 10.12.2004 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 12.02.2005. Der Senat geht davon aus, dass der Klägerin erst mit der Braillezeile die schlichte Zeitungslektüre sowie die Kenntnisnahme tabellarischer Aufstellungen, so z. B. Telefonbücher, Telefonrechnungen, Arzneibeipackzettel und Formulare, ermöglicht wird und die bereits vorhandene Ausstattung der Klägerin (ein Lese-Sprech-Gerät) dies praktisch nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand zulässt.

Weiter ist auf ein positives Urteil des SG Frankfurt vom 19.6.2006 - S 30 KR 2748/04 zu verweisen. In diesem Urteil wird auf das Grundbedürfnis des "aktiven Lesens" hingewiesen. Bemerkenswert ist, dass sich diese Entscheidung auf den Wert der selbst gelesenen (und nicht nur vorgelesenen) Schriftinformation konzentriert und nicht auf den technischen Fortschritt abstellt.

Über die Möglichkeit, mit Hilfe einer Braillezeile als Erweiterung zum eigenen PC im Internet surfen zu können, wurde zu Gunsten des Antragstellers entschieden. (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 16.02.2005, Az.: L 1 KR 18/03)

Als Ergebnis ist festzuhalten:

Die Frage, ob zusätzlich zu einem Lese-Sprech-Gerät eine Braillezeile erforderlich ist, muss in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden.

Es ist zwar richtig, dass die Texterkennung gegenüber dem technischen Stand der 90er-Jahre wesentliche Fortschritte gemacht hat. Das ändert aber nichts daran, dass sich Text durch aktives Lesen (mit Hilfe der Braillezeile) besser erfassen lässt als durch Hören. Eigennamen, Fremdwörter, insbesondere aus mehreren Fremdwörtern bestehende Passagen bzw. fremdsprachliche Passagen, wie sie in Zeitschriften und Zeitungen häufig vorkommen, lassen sich mit Hilfe der Braillezeile nachlesen. Es ist unzumutbar, sich solche Passagen beim Hören vollkommen buchstabieren zu lassen. Tabellen, Kontoauszüge und Rechnungen können rein über das Gehör nur schwer erfasst werden. Das Gedächtnis des Hörers wird überfordert, wenn er sich Zahlen und ihre Zuordnung in Tabellen merken soll. Die Struktur eines Schriftstückes, z. B. Überschriften, Einrückungen, Hervorhebungen, lassen sich über eine Braillezeile räumlich erfassen. Auch die für die Interpretation eines Textes wichtige Interpunktion kann nur über Sprachausgabe häufig nicht ausreichend erfasst werden. Insbesondere Anführungszeichen, Klammern und Gedankenstriche sind für die Textinterpretation wichtig. Es wäre aber sehr störend, wenn die Interpunktion bei der akustischen Wiedergabe mitgelesen würde. Das LSG Rheinland-Pfalz stellt in seinen Urteilen fest, dass mangelhaft erkannter Text gleichermaßen über Sprache wie über die Braillezeile fehlerhaft wiedergegeben wird. Das ist zwar richtig. Der daraus gezogene Schluss, dass die Braillezeile hier zu keiner besseren Information führe, ist aber falsch; denn die Erfahrung zeigt, dass leicht verstümmelter Text beim Lesen mit Hilfe einer Braillezeile leichter ergänzt und somit richtig erkannt wird als über das Hören. Der erfahrene Leser weiß z. B., dass der Buchstabe n bei schlechten Vorlagen auf der Braillezeile mit "rr" wiedergegeben wird. Z. B. wird das Wort "Landkarte" als "larrdkarte" ausgegeben. Die taktile Erkennung ist hier viel leichter möglich als die akustische.

Sowohl am Urteil des BSG vom 21.11.2002 - B 3 RK 4/02 - als auch an den Urteilen des LSG Rheinland-Pfalz vom 26.8.2004 - L 5 KR - 59/04 - und vom 3. März 2005 ist zu bemängeln, dass einseitig auf die Funktion des Lese-Sprech-Gerätes und nicht auf die Erfassungsmöglichkeiten des Textes durch den Benutzer abgestellt wird. Die physischen und psychischen Grenzen, die auf Seiten des Benutzers für die Texterfassung gegeben sind, dürfen nicht übersehen werden.

Bei der Beurteilung, ob eine Braillezeile notwendig ist, müssen ferner auch gesundheitliche Gegebenheiten, wie Hörbeeinträchtigungen berücksichtigt werden.

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