Immer wieder wurde in Rechtsstreitigkeiten von Seiten der Krankenkassen geltend gemacht, dass das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis nicht enthalten sei und deshalb keine Leistungspflicht bestehe. Das trifft nicht zu.
So waren bei der Entscheidung des Bundessozialgerichts über die Lese-Sprech-Geräte vom 23.08.1995 und über das Farberkennungsgerät vom 17.01.1996 diese Gegenstände noch nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt. Das BSG hat in diesen Entscheidungen (Urteile zum Lese-Sprech-Gerät vom 23.08.1995 - 3 RK 7/95 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 16 - sowie Entscheidung zum Farberkennungsgerät vom 17.01.1996 - 3 RK 38/94 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 18) ausgeführt:
"Ein Ausschluss der Lese-Sprech-Geräte (bzw. des Farberkennungsgerätes) aus der Leistungspflicht der Krankenkassen ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis. Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen."
Das vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf der Grundlage von § 139 SGB V erstellte Hilfsmittelverzeichnis legt ebenfalls auch die Leistungspflicht der GKV gegenüber den Versicherten nicht verbindlich und abschließend fest. Es schließt weder Hilfsmittel von der Versorgung der Versicherten aus, die den gesetzlichen Anforderungen des § 33 SGB V genügen (BSG, Urteil vom 10. April 2008 - B 3 KR 8/07 R -, BSG SozR 4-2500 § 127 Nr 2 Rn. 10), noch besteht ein Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die zwar im Hilfsmittelverzeichnis verzeichnet, für die aber nicht die gesetzlichen Voraussetzungen des § 33 SGB V erfüllt sind (BSG, Urteil zum Barcodelesegerät vom 10. März 2011 - B 3 KR 9/10 R -, SozR 4-2500 § 33 Nr 33 Rn 10).
Allerdings ist, wie das BSG in Rn. 25 des Urteils zum Barcodelesegerät vom 10. März 2011 - B 3 KR 9/10 R - feststellt, "die Aufnahme des Gerätes in das HMV ein gewichtiges Indiz dafür, dass es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt (BSG, Urteil zur Versorgung eines Schwerhörigen mit einer Lichtsignalanlage (Klingelleuchte) vom 29. April 2010 - B 3 KR 5/09 R -, BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 30 Rn. 17 ff).
Unmittelbare rechtliche Bedeutung hat das Hilfsmittelverzeichnis aber für die Beziehungen zwischen den Krankenkassen und den Hilfsmittelherstellern. Die Beziehungen zu Leistungserbringern von Hilfsmitteln sind im sechsten Abschnitt des vierten Kapitels (§§ 126 und 127 SGB V) geregelt.
Nach § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 Abs. 1, 2 und 3 abgegeben werden. Vertragspartner der Krankenkassen können nur Leistungserbringer sein, die die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen gibt Empfehlungen für eine einheitliche Anwendung der Anforderungen nach Satz 2, einschließlich der Fortbildung der Leistungserbringer, ab.
Die Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, beim Abschluss der Verträge mit den Leistungserbringern diese Standards einzuhalten. In § 127 Abs. 1 Satz 3 heißt es: "Die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte sind zu beachten." Worauf sich diese Anforderungen beziehen können, wird in § 139 Abs. 2 ausgeführt:
"Soweit dies zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist, können im Hilfsmittelverzeichnis indikations- oder einsatzbezogen besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel festgelegt werden. Besondere Qualitätsanforderungen nach Satz 1 können auch festgelegt werden, um eine ausreichend lange Nutzungsdauer oder in geeigneten Fällen den Wiedereinsatz von Hilfsmitteln zu ermöglichen. Im Hilfsmittelverzeichnis können auch die Anforderungen an die zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringenden Leistungen geregelt werden."
Neben dem Hilfsmittelverzeichnis bestehen aber auch Hilfsmittelrichtlinien. Damit ist das Verhältnis zwischen dem Hilfsmittelverzeichnis und den Hilfsmittelrichtlinien angesprochen.
Anders als das Hilfsmittelverzeichnis sind die Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und der Krankenkassen nach § 92 SGB V verbindlich. Den Bundesausschüssen gehören nicht nur Vertreter der Krankenkassen, sondern auch der Bundesärztevereinigung und unabhängige Mitglieder an (§ 91 SGB V).
Die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Hilfsmitteln in der kassenärztlichen und vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-RL) vom 17. Juni 1992 (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 183b vom 29. September 1992) in der jeweils gültigen Fassung haben ihre Rechtsgrundlage in § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V.
Die Hilfsmittelrichtlinien befassen sich vor allem mit den diagnostischen Voraussetzungen und den bei der Verordnung eines Hilfsmittels zu beachtenden Grundsätzen. Nach Nr. II 3 der Hilfsmittelrichtlinien dürfen von den Ärzten nur die im Hilfsmittelverzeichnis enthaltenen Hilfsmittel verordnet werden. Das ändert aber nichts daran, dass es für den Anspruch auf ein Hilfsmittel nicht darauf ankommt, ob es bereits in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen worden ist; denn der Anspruch des Versicherten auf die erforderliche Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) kann dadurch nicht beschränkt werden (vgl. Urteil des 8 Senats des BSG vom 29.9.1997 - 8 RKN 27/96 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 25). Diese Auffassung des BSG ist schon deshalb zu begrüßen, weil sonst die Krankenkassen eigenmächtig ihre Leistungspflicht bestimmen bzw. begrenzen könnten. Das wäre ein Rechtssetzungsakt, für den es an einer Ermächtigung fehlt. Demgegenüber wird die Ermächtigung zum Erlass von Richtlinien in § 92 SGB V als ausreichend betrachtet.
Für die Praxis ergibt sich aus dem Verhältnis des Hilfsmittelverzeichnisses zu den Hilfsmittelrichtlinien folgendes: Wenn ein Hilfsmittel benötigt wird, ist es immer empfehlenswert, zu prüfen, ob dieses im Hilfsmittelverzeichnis enthalten ist. In diesem Fall ist dem Antrag an die Krankenkasse eine ärztliche Verordnung und zweckmäßigerweise eine Begründung beizufügen. Wurde ein Hilfsmittel noch nicht in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen, erfüllt es aber die Anforderungen nach § 33 SGB V, kann ein begründeter Antrag an die Krankenkasse selbst dann gestellt werden, wenn eine ärztliche Verordnung nicht erfolgt ist; denn die Versorgung mit Hilfsmitteln ist nicht ausschließlich von einer ärztlichen Verordnung abhängig. Der Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V gilt insoweit nicht (BSG Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 1/99 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 33; Noftz in Hauck/Haines, SGB V, § 15 RdNr.17 aE; BSG Urteil vom 13. Mai 1998, Az.: B 8 KN 13/97 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 28).