Das Ohr im Hintergrund - Wie Audiodeskription im Theater und Film funktionieren

Von Isabella Brawata

Viele von euch waren vielleicht schon mal in einem Theaterstück, in welchem das Geschehen auf der Bühne live beschrieben wurde, oder haben sich einen Film angeschaut, in welchem die Szenen für blinde und sehbehinderte Zuschauerinnen und Zuschauer erläutert wurden. Falls ihr neugierig seid, wie das Ganze abläuft: Hier ein Einblick hinter die Kulissen.

Ich mache schon seit einigen Jahren Audiodeskription, vor allem fürs Theater, aber auch einmal für einen Fernsehfilm.

Was ist die Aufgabe einer blinden oder sehbehinderten Person, die beim Erstellen einer Audiodeskription behilflich ist?

Ich bin das Ohr im Hintergrund. In der Regel höre ich mir ein Theaterstück zunächst ohne Audiodeskription an. Entweder besuche ich das Stück oder ich bekomme einen Link zu einem Mitschnitt. Ich mache mir beim ersten Anschauen Gedanken, was mir so auffällt. Einmal lag ich total daneben. Ich bekam den Mitschnitt eines Theaterstücks, das komplett auf Französisch war. Da meine Französischkenntnisse nicht besonders gut sind und die Tonqualität der Aufnahme leider auch nicht so super war, malte ich mir aus, das Theaterstück würde auf einem Marktplatz in einem afrikanischen Land spielen und es gäbe irgendeinen Konflikt, vielleicht einen Aufstand. Dann bekam ich das Stück nochmal mit Audiodeskription zugeschickt, und es stellte sich heraus, dass es in einer Sporthalle spielte und es um Hochleistungssport ging. Aber eigentlich handelte das Stück von der ausbeuterischen Beziehung zwischen Publikum und den Schauspielenden, und es ging auch um die Trauer um den verstorbenen Bruder der Regisseurin, die sie im Stück verarbeitete. So kann man sich irren!

Kreativität kennt keine Grenzen

Ich werde zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten in die Zusammenarbeit eingebunden. Einmal wurde ich gebeten, dabei mitzuhelfen, ein internationales Theaterstück mit Audiodeskription zu versehen. Ich war tief beeindruckt, denn die Leute kamen aus Polen, Schweden, China, Spanien, Amerika ... und das Theaterspielen verband sie über alle Landes- und Sprachgrenzen hinweg. Das Stück handelte, grob gesagt, von den "Geistern", die uns alle quälen, Gewalterfahrungen, unbewältigten Ereignissen aus der Vergangenheit. Die inneren Kämpfe der Darstellenden vermittelten sich vor allem durch ausdrucksstarke Bewegungen und Gefühlsäußerungen. Es wurde keine klassische Audiodeskription erstellt, sondern es sollte eine offene Audiodeskription sein, die nicht nur Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung durch das Stück begleiten sollte, sondern auch das sehende Publikum. Das Außergewöhnliche war, dass die Audiodeskription "nüchterne" Elemente wie bei einer üblichen Audiodeskription enthielt, aber auch eher poetische Passagen, die die Gefühle und Stimmungen auf der Bühne auffingen. Ich kam dazu, als das Stück noch mitten im Entstehen war. Da es aber nicht meine Aufgabe ist, beim Entstehungsprozess des Stücks mitzuwirken, klinkte ich mich aus und kam erst wieder dazu, nachdem sich das Theaterensemble gemeinsam ausreichend ausprobiert und der Kreativität freien Lauf gelassen hatte und aus dem gemeinsamen Agieren eine Kollage entstanden war, die sich beschreiben ließ. Es stellte sich heraus, dass es gar nicht so leicht ist, eine offene Live-Audiodeskription für ein experimentelles Stück zu erstellen. Es war ganz schön kniffelig, die Lautstärke und den Einsatz der Schauspielenden, der Musik und der Audiodeskription so aufeinander abzustimmen, dass sich ein harmonisches Stück ergab.

Besonders herausfordernd wird die Erstellung einer Audiodeskription, wenn mehrere Ebenen in einem Stück ineinanderfließen und Meta-Ebenen erzeugt werden, also wenn beispielsweise Schauspielende mal im Stück agieren und dann wieder sie selbst sind. Dann muss man sehr aufpassen, dass man die Szenen so beschreibt, dass einerseits deutlich wird, um welche Ebene es geht, man aber andererseits nicht die freie Assoziation der Zuhörenden unterdrückt, weil man die Interpretation vorwegnimmt.

Spannend ist es auch, wenn mehrere Schauspielende eine Rolle spielen. Bei einer Inszenierung des Struwwelpeter-Musicals in Marburg wurde jede Figur durch alle Schauspielenden verkörpert. Daher hatte sich das Audiodeskriptions-Team entschieden, bei der Beschreibung die Namen der Schauspielerinnen und Schauspieler zu nennen, damit man weiß, wer gerade wen spielt. Ich wandte ein, dass die Absicht, weshalb alle alle spielen, vermutlich die ist, aufzuzeigen, dass in allen von uns ein wenig von jeder Figur steckt. Daher schlug ich vor, das Merkmal zu wählen, an dem man die Schauspielerinnen und Schauspieler erkennen kann: ihre Frisur.

Jede Performance ist anders

Durch meine Tätigkeit habe ich auch einige überraschende Erkenntnisse über die Schauspielerei gewonnen. So war ich etwa davon überzeugt, dass in einem Theaterstück jede Szene immer gleich gespielt wird und dass auch ein Stück immer auf dieselbe Art performt wird. Aber mitnichten. Wenn man sich ein Theaterstück mehrfach ansieht, fällt einem auf, dass an einem Abend die Vorführung länger dauert als an einem anderen, weil die Darstellenden des Stücks mal schneller reden und spielen und mal langsamer. Oder man bekommt mit, dass eine Schauspielerin oder ein Schauspieler an einem Tag herausragend spielt und im Gedächtnis bleibt, und an einem anderen Tag spielt sie wesentlich weniger beeindruckend. Und auch eine Rolle wird nicht immer gleich interpretiert. Das ist mir besonders beim Theaterstück zum achthundertjährigen Jubiläum der Stadt Marburg aufgefallen, das ich vier oder fünf Mal gesehen hatte. Die Schauspielerin Mechthild Grabner spielte das Wollnashorn mal eher niedlich, mal eher wütend-rebellisch, mal eher frustriert.

Text und Timing müssen passen

Insbesondere die Erstellung von Theaterstücken mit Audiodeskription erfordert einen sehr hohen Aufwand. Ein Text muss erarbeitet werden, der punktgenau beschreibt, was auf der Bühne geschieht. Die Beschreibung muss nicht nur präzise schildern, was auf der Bühne passiert, sondern vor allem das Timing muss fast auf die Sekunde genau stimmen, damit die Beschreibung nur in den Sprechpausen erfolgt. Das bedeutet, dass manchmal stundenlang an den Formulierungen gebastelt werden muss, damit sie in die "Lücke" passen. Es wird teilweise auch vermerkt, wann eine Sprecherin oder ein Sprecher langsam oder schnell sprechen muss, und der Einsatz muss auf die Millisekunde exakt erfolgen. Gleichzeitig muss das Bühnengeschehen stets im Auge behalten werden, weil jede Aufführung sich von der vorangegangenen unterscheidet.

Da der Aufwand für die Erstellung einer Audiodeskription enorm hoch ist, gibt es immer wieder Versuche, ihn zu verringern. Das geschieht leider häufig, indem auf die Kontrolle durch eine blinde oder sehbehinderte Person verzichtet wird. Doch die Einschätzung durch eine blinde oder sehbehinderte Person ist äußerst wichtig, um eine gute Qualität in der Audiodeskription aufrechtzuerhalten.

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