Es gab für mich immer wieder Momente im Leben, in denen Personen in Gesprächen mit mir Impulse gaben, die mich zu wichtigen Entscheidungen bewegt haben. Das begann eigentlich schon mit dem Studium.

Meine damalige Situation lässt sich wie folgt beschreiben: Ich war knapp 36 Jahre alt, getrennt lebend, hatte ein Abitur, eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bürokraft, drei Kinder zwischen acht und 13 Jahren und eine lange Familienzeit hinter mir. In den erlernten Beruf wollte und konnte ich nicht zurück. Den Gedanken, ein Studium zu organisieren, hatte ich mit der Geburt meines ersten Kindes eigentlich aufgegeben.

Ein Studium wagen

Ein Therapeut nahm das Thema Studium auf und legte mir dar, wie ich Uni und Kinder miteinander vereinbaren könnte. Auch Tage später konnte ich mir noch vorstellen, das hinzubekommen. Ausschlaggebend waren die Argumente, dass es lange vorlesungsfreie Zeiten gibt und ich mir die Präsenzzeiten passend einteilen könnte. Hinzu kam Unterstützung aus einem Kreis fortbildungsenthusiastischer und engagierter Mittdreißiger*innen mit Kindern, in dem ich mich damals befand. Diese Frauen schienen permanent damit befasst zu sein, etwas Neues zu lernen.

Eine nachmittägliche Betreuung für meine Kinder konnte ich, der Einführung der Ganztagsschule sei Dank, organisieren.

Die Entscheidung für Geschichte und Literaturwissenschaften als Studienfächer war dann eher eine praktische. Beide Themenfelder sind mir immer leichtgefallen und ich habe mich damit bewusst gegen die Empfehlung des Studienberaters gestellt, Jura zu studieren. Ein konkretes berufliches Ziel hatte ich zunächst nicht im Auge. Ich war mir anfangs gar nicht sicher, ob ich es überhaupt schaffen würde, zumal sich die Themen "Assistenz im Studium" und "Hilfsmittel" nicht so schnell klären ließen.

Zu einem frühen Zeitpunkt im Studium fragte mich eine Dozentin, was ich mit meinem Geschichtsstudium im Sinn hätte. Sie war nicht für die Berufsberatung von Studierenden zuständig. Meine immer noch anhaltende Orientierungslosigkeit aufgreifend, kam sie mit dem Gedanken, ich könne doch in Museen etwas für blinde und sehbehinderte Menschen tun. Da gäbe es doch nichts.

Das war richtig. Wir waren im Jahr 2007. Von Inklusion war noch keine Rede. Über Museum hatte ich auch schon nachgedacht, aber diesen Ort nicht ernsthaft als mögliches Arbeitsfeld in Betracht gezogen. Die Dozentin empfahl mir Seminare einer Kollegin. Die Veranstaltungen zu Museumsthemen habe ich dann auch fleißig besucht, denn ich hatte sehr schnell Feuer gefangen, den Weg in Richtung Museum gehen zu wollen.

Inzwischen hatte sich die Frage der Assistenz dahingehend geklärt, dass es keinerlei Leistungen für mich geben würde, weil ich bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung hatte.

Assistentinnen und Assistenten hatte ich mir bis dahin selbst organisiert und aus meinem Blindengeld bezahlt. Mir kam zugute, dass die Uni einen Blindenarbeitsplatz einrichtete, der von mehreren Studierenden genutzt wurde. So brauchte ich ab dem dritten Semester nur noch Assistenz beim Heraussuchen von Literatur, gescannt habe ich selbst. Mit dieser technischen Möglichkeit war es einfach, vieles an Literatur zugänglich zu machen. Ich würde fast so weit gehen zu sagen, ohne den Blindenarbeitsplatz wäre ich im Studium gescheitert.

Im auslaufenden Magisterstudium wurde ich auf einen Masterstudiengang aufmerksam, der sich mit Didaktik, u. a. auch für Museumsarbeit, auseinandersetzte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eigentlich nicht mehr viel Energie, um noch weiter zu studieren.

Nun waren es die Mitarbeitenden vom Lehrstuhl der Didaktik der Geschichte, die mich mit der Tatsache aus dem Gespräch über das Masterstudium entließen, dass viele Leistungen aus dem Magisterstudium angerechnet werden können. Unter dem Strich wäre gar nicht mehr so viel zu tun und man könne sich vorstellen, dass zur Didaktik der Geschichte die Didaktik der Kunstpädagogik gut passen würde. Die Professorin und ein Mitarbeitender des Lehrstuhls hatten sich richtig Zeit für mich genommen, und für beide war es vollkommen selbstverständlich, dass ich den Master studieren würde. Skeptisch war ich in dieses Gespräch gegangen, mit dem Gefühl, unterstützt zu werden, habe ich es verlassen. Diese Unterstützung durch das Team des Lehrstuhls bestand während des gesamten Masterstudiums.

Mit abgeschlossenem Magisterstudium und laufendem Masterstudium ging es nun aber auch ums Geldverdienen. Die Zeit der regelmäßigen Einkünfte aus BAföG war vorüber.

Weiterbildungen und freiberufliches Arbeiten

Über die Seminare zu Museumsthemen konnte ich Kontakte zu Museumsmenschen knüpfen, jedoch reichten die Einnahmen aus den ersten Aufträgen nicht aus, um mein Leben und das meiner Kinder zu finanzieren.

Aus einem dieser Kontakte ergab sich die Möglichkeit, an einer Ausbildung für Stadtführer*innen in Augsburg teilzunehmen. Eine Listen-E-Mail machte mich auf ein Seminar für Audiodeskription aufmerksam. All das hatte wenig bis gar nichts mit dem Museum zu tun, spielte zunächst aber keine Rolle. Gleichzeitig war ich damit beschäftigt, mich bei verschiedenen Institutionen zu bewerben, auch als Quereinsteigerin. Hätte sich eine Anstellung ergeben, hätte ich das Masterstudium aufgegeben. Es ergab sich aber nichts, nicht einmal ein Vorstellungsgespräch. So begann ich allmählich, mich mit dem Gedanken an eine freiberufliche Tätigkeit auseinanderzusetzen.

Inzwischen war Inklusion ein Thema. Dafür wollte ich mich einsetzen. Ich wollte mithelfen, Führungen und Ausstellungen inklusiv zu gestalten. Ich habe mir in den folgenden Jahren viele barrierefrei gestaltete Museen in Deutschland und - wenn es möglich war - auch in anderen Ländern angesehen. Ich habe an Führungen für blinde und sehbehinderte Menschen teilgenommen. Ich habe jede Tagung besucht, auf der Inklusion und Barrierefreiheit in Museen ein Thema war. So kam es nach und nach zu Kontakten und zu Aufträgen in der Museumsberatung. Meine Masterarbeit 2015 beleuchtete dann schließlich auch die damalige Situation blinder und sehbehinderter Menschen in Museen und Ausstellungen.

Heute, im Jahr 2024, arbeite ich erfolgreich als freie Museumsberaterin und Autorin in der Audiodeskription.

Über die Filmbeschreibung bin ich in den letzten Jahren vermehrt zur Beschreibung von Gemälden, Kunstobjekten und anderen Museumsexponaten gekommen. Unter anderem war ich als Teil eines Teams für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden tätig, wie auch für das Deutsche Museum München und das Klostermuseum Ottobeuren.

Ich konnte regelmäßige Vorstellungen mit Audiodeskription am Staatstheater Augsburg anstoßen, auch ein Arbeitsfeld, das mich immer wieder begeistert.

Auf dem Gebiet der Museumsberatung erinnere ich mich sehr gern an ein Projekt für das Stadtpalais in Stuttgart 2023/2024. Als ein Team aus drei blinden bzw. sehbehinderten Personen durften wir eine Ausstellung im Dunkeln von Beginn an konzipieren und verantworten.

Stets mit neuen Themen unterwegs: Museums- und Touristenführerin

Immer wieder führe ich, sei es allein oder mit einem blinden Kollegen, Sensibilisierungsworkshops für Museumspersonal durch. Zudem bin ich regelmäßig Teil von Guide-Tandems. Für dieses Format erstelle ich Konzepte für Museumsführungen, die so gestaltet sind, dass sehende, blinde und sehbehinderte Menschen gleichberechtigt daran teilnehmen können. Oft gefallen sehenden Menschen detaillierte Werkbetrachtungen sehr gut und es ergibt sich ein anregender Austausch zu Exponaten, Kunst oder Künstlern.

Ich führe aber auch allein, zum Beispiel durch Augsburg, die Stadt, in der ich seit 1992 lebe. Inzwischen bin ich als gesetzlich blinder Touristguide wahrscheinlich für einen Großteil der Kolleg*innen selbstverständlich. Zu Beginn meiner Gästeführer*innentätigkeit musste ich dem Auftraggeber mehrmals versichern, dass ich Touristen ebenso gut begleiten kann wie eine sehende Person. Die Gäste fühlen sich stets gut unterhalten und informiert. Nach manchmal anfänglicher Skepsis kommen sie gut damit zurecht, dass ein blinder Mensch sie führt. Jedenfalls habe ich nichts Gegenteiliges gehört.

Ich schätze meine Arbeit sehr, auch deswegen, weil sie immer wieder neue Herausforderungen und Themen bietet. Ich kann meine Begeisterung für das wissenschaftliche Arbeiten und das Lesen immer wieder im Rahmen von Recherchen ausleben. Dazu darf ich weiterhin den Blindenarbeitsplatz in der Uni-Bibliothek nutzen.

Die meisten der Tätigkeiten, die ich erwähnt habe, funktionieren nicht ohne Unterstützung durch Assistent*innen. Vor jeder Stadtführung müssen Tickets gescannt oder augenscheinlich kontrolliert werden, ich muss mich in Listen eintragen, um zu dokumentieren, dass ich mit den Gästen bestimmte Orte besichtige. Auf Tagungen helfen mir Arbeitsassistenzen, Personen zu finden, mit denen ich sprechen möchte. Wenn ich mir Ausstellungen in anderen Städten ansehe, sind sie für die Orientierung vor Ort und das Beschreiben der Ausstellung von großer Bedeutung. Eine Audiodeskription von Kunstgegenständen oder Theaterstücken wäre mir allein genauso wenig möglich wie Bibliotheksrecherchen. Die Assistent*innen organisiere ich selbst. Glücklicherweise hatte ich bisher so gut wie keinen Wechsel beim unterstützenden Personal.

Es freut mich, dass in den zurückliegenden Jahren auch andere blinde oder sehbehinderte Menschen sich auf dem Gebiet der Kultur beruflich engagieren. Wir arbeiten alle mit ein bisschen anderen Schwerpunkten und sind dabei in einem guten Austausch untereinander. So ein Netzwerk ist, wie ich finde, sehr hilfreich, wenn man sich in einer Sache unsicher ist oder die Meinung eines Kollegen/einer Kollegin zu einem Thema hören möchte. Auch geht es um den Austausch zur Arbeitssituation blinder und sehbehinderter Menschen oder Assistenzorganisation.

Rückblickend war die Entscheidung für das Studium eine der besten meines Lebens. Dass ich heute auf einem Arbeitsfeld angekommen bin, das nie geplant war, hat in meinem Fall viel mit der Unterstützung und dem Vertrauen anderer Menschen zu tun. Mich auf Stellen zu bewerben, habe ich vor einigen Jahren aufgegeben. Ich hatte häufig das Gefühl, nur wegen der Schwerbehinderung eingeladen worden zu sein. Oft war die Stelle schon vergeben.

Und ganz ehrlich: Auch wenn die Freizeit manchmal etwas zu kurz kommt, so spiegeln mir das meine inzwischen selbst berufstätigen Kinder, möchte ich genau so arbeiten, wie ich es tue und insbesondere blinden und sehbehinderten Menschen zu freudigen Kulturerlebnissen verhelfen.

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