Inklusion ist unser Auftrag
Grußwort des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier für horus 3/2024
Berlin, im Mai 2024
Künstliche Intelligenz wird unser aller Leben radikal verändern. Ich bin dankbar, dass Sie sich in dieser Ausgabe diesem wichtigen Thema widmen. Wir alle haben erlebt, wie sehr das Smartphone unseren Alltag revolutioniert hat. Und durch neue Apps wird auch hier KI immer häufiger zur Anwendung kommen.
Gerade im Alltag von blinden und sehbehinderten Menschen erleichtert das Smartphone vieles. Schon jetzt hilft ihnen KI, Gegenstände, Bilder und Personen zu erkennen oder auch beim Vorlesen, selbst von handschriftlichen Texten. Sie bekommen durch KI Erläuterungen über die Kennzeichnung von Lebensmitteln. Und sie hilft bei Fahrten mit Bus oder Bahn. Menschen, die sich in der Stadt oder in der Natur bewegen, unterstützt KI bei der Orientierung und stellt Informationen über die Umgebung bereit. Und neben dem Smartphone gibt es bereits weitere Hilfsmittel, etwa die KI-Brille oder den Navigürtel.
Es ist zu erwarten, dass KI Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am sozialen Leben weiter erleichtern wird. Wie genau diese Veränderungen aussehen werden, wie sich KI-gestützte Technologie und unsere sozialen Beziehungen gegenseitig beeinflussen werden, das ist heute noch weitgehend unbekanntes Terrain. Umso wichtiger ist es, dass wir auf diesem Weg in die Zukunft einen guten Kompass haben, der auf die Teilhabe der Menschen weist und stärkt, was uns verbindet. Dieser Kompass zeigt in Richtung Inklusion.
Es ist Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen für mehr Inklusion zu gestalten. Unser Grundgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention weisen den Weg, wenn es darum geht, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu verwirklichen, und die Bundesinitiative Barrierefreiheit der Bundesregierung ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Barrierefreiheit bedeutet aber auch möglichst wenig Bürokratie. Deshalb ist es wichtig, dass die Beschäftigten in den Verwaltungen sensibilisiert und geschult werden, um gesetzliche Regelungen gut anwenden zu können.
Um die Möglichkeiten der KI gut nutzen zu können, müssen nachhaltige KI-gestützte Lösungen etwa für die Gestaltung von Arbeits- und Lernprozessen entwickelt und erprobt werden. Entscheidend ist, dass Menschen mit Behinderungen an diesem Prozess beteiligt werden. Entscheidend ist aber auch, die Akzeptanz für diese Innovationen zu fördern, etwa in Unternehmen, die sogenannte Cobots zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung einsetzen können.
Ein weiterer Aspekt ist mir wichtig. Wenn wir den Einsatz von KI zur Unterstützung im Alltag und im Arbeitsleben, in Schule, Ausbildung, Studium und Beruf als Chance betrachten, müssen wir für eine datensichere Anwendung sorgen. Dafür brauchen wir sorgfältige Regeln, dafür brauchen wir aber auch die Vermittlung von KI-Kompetenz in Bildung und Weiterbildung. Eine der wichtigsten Aufgaben wird sein, es allen Menschen mit Behinderung, auch Kindern, zu ermöglichen, die technischen Innovationen zu nutzen - und zwar unabhängig von Einkommen und Bildung der Eltern.
In unserer Demokratie und für unsere Demokratie spielt Inklusion eine wichtige Rolle: Ohne die Anerkennung der menschlichen Vielfalt, des Selbstbestimmungsrechts aller Bürgerinnen und Bürger kann eine offene Gesellschaft nicht bestehen. Inklusion bedeutet immer auch, Menschen zusammenzubringen und damit den Zusammenhalt zu fördern, und das wird in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen sich in Gruppen zurückziehen, umso wichtiger. Die Nutzung von KI muss deshalb möglichst auch mit persönlichem Austausch einhergehen.
Ich bin überzeugt: KI kann uns dabei helfen, das Ziel der inklusiven Gesellschaft zu erreichen.
Frank-Walter Steinmeier
Wertschätzung
Viele Leserinnen und Leser des horus werden sich fragen, wie der vorstehende Beitrag des Herrn Bundespräsidenten zustande gekommen ist. Dieses Rätsel will ich gern auflösen.
Als Teilnehmer der Bremer Bürgerdelegation zum Tag der deutschen Einheit 2023 in Hamburg hatte ich am 3. Oktober vergangenen Jahres die Möglichkeit, mich etwas länger mit dem Bundespräsidenten zu unterhalten. Dabei konnte ich ihm berichten, dass wir ihn 2021 um einen Beitrag für den horus gebeten hatten, in dem es um Prominente und ihr Verhältnis zur Blindheit ging. Damals hatten wir leider eine Absage bekommen. Daraufhin bot er freundlicherweise an, uns für eine der Ausgaben des horus von 2024 einen Text zu übersenden, der sich hier findet. Darüber freue ich mich sehr und sehe das als Wertschätzung unserer Arbeit.
Uwe Boysen