Blockflöte kann jeder spielen?

Beinahe jeder Mensch wurde mindestens in den 80-er Jahren in der Grundschule mit der Blockflöte bekannt gemacht. Für viele war es offensichtlich eine nicht nur erfreuliche Erfahrung. Denn letztlich ist das "Spielen" auf diesem Instrument nicht leicht. Durch die Anblastechnik entscheidet sich, ob es exakt gestimmt ist. Daher klingen Anfänger-Blockflötengruppen häufig nicht nur hart, sondern vor allem unsauber. Auch die Gruppe, in der ich in der Grundschule gespielt habe, klang am Anfang recht unsauber, doch hatte sie am Ende für Schüler*innen ein ganz beachtliches Niveau erreicht. Das "Spielen" miteinander will gelernt sein, denn bei einem Stück, egal aus welcher Epoche, muss jeder exakt an der richtigen Stelle einsetzen, mit dem richtigen Ton, exakt im Tempo, mit dem korrekten Rhythmus. Was also ist da "spielerisch"? Auf Anfänger bezogen muss die Antwort wohl lauten, zunächst kaum etwas, kämpfen sie doch mit all den genannten Regeln Tempo, Rhythmus, Ton und, bei der Blockflöte deutlich hörbar, mit der Anblastechnik. Hat man mehr Übung, kann ein Stück, das man zusammen spielt, leicht, lustig, tänzerisch, traurig, melancholisch oder fröhlich klingen. Dabei kann ein Stück von seiner Komposition her eher einen tänzerischen oder melancholischen Charakter haben, man kann, und im Idealfall sollte man, diesen Charakter durch das solistische Spiel oder dasjenige im Ensemble noch verstärken. Eine*n Gewinner*in oder eine*n Verlierer*in gibt es beim Zusammenspielen nicht. Das "Spiel" wird gerade harmonisch, wenn alle gleichermaßen beteiligt sind. Das heißt nicht, dass alle immer gleich laut spielen, oder schon mal überhaupt nicht, dass immer alle gleichzeitig Töne von sich geben müssen.

Wenn ich auf das gemeinsame Musizieren mit der Blockflöte zurückblicke, gibt es vier Momente, die in diesem Artikel im Zusammenhang mit dem Begriff "Spielen" näher beschrieben werden sollen: Im Duett mit einem Cembalo, im Ensemble, als Solistin bei einem Geburtstag und mit einem Saxophon während eines Improvisationskurses. Letzterer war auch insofern eine interessante Erfahrung, da das "Spielen" nach Noten überhaupt keine Bedeutung hatte. Man dachte nicht in Notenwerten und musste vorher kein Stück vorbereiten.

Ich mag es, obwohl es als blinde Person, egal, wie man sich den Zugang zu einem Stück verschafft, immer mehr Aufwand ist, prinzipiell sehr, Werke zu lernen. Dabei greife ich vorwiegend auf mein Gehör zurück. Früher ließ ich mir die Stücke häufig auf mein Diktiergerät spielen. Diese Technik gilt bis heute, doch hat man dank des Internets viele andere, elektronische Quellen als Lernressource zur Verfügung. Muss man sich einmal nicht um die Vorbereitung eines Werkes kümmern, um miteinander "spielen" zu können, ist dieses aber in vielerlei Hinsicht wertvoll.

Spiel im Duett

Ich hatte noch gar nicht so lange Einzelunterricht auf der Blockflöte, damit hatte ich allerdings erst in der Oberstufe in Marburg begonnen, da ergab es sich, dass meine Flötenlehrerin mich fragte, ob ich Lust hätte, ein Stück mit einer Cembaloschülerin eines guten Freundes von ihr zu spielen. Naiv wie ich war, sagte ich zu. Als die Schülerin kam, bemerkte ich sehr schnell, dass sie wenig Routine beim Stimmen ihres Instrumentes hatte. Dabei dachte ich mir noch gar nichts. Als wir die ersten Töne begannen zu spielen, merkte ich, dass sie meinem Spiel nicht folgen konnte. Ich bemühte mich, das Tempo zu verlangsamen, auf sie zu hören, ihr entgegenzukommen, sie verbal zu fragen, wie wir beim Zusammenspiel vorgehen sollten. Nichts half. Erschreckt, entmutigt und irritiert ging ich nach unserem "gemeinsamen" Spiel nach Hause. Meine Lehrerin merkte, dass hier etwas nicht stimmte, und kontaktierte ihren guten Freund. Ihm war die Angelegenheit so entsetzlich peinlich, dass er selbst einsprang. Ich spielte nun mit ihm das Stück, das ich eigentlich mit seiner Schülerin hätte spielen sollen, und wurde reich belohnt. Er reagierte so wunderbar auf mich, setzte immer an den korrekten Stellen ein und "spielte" mit den Tasten in einer solchen Leichtigkeit, dass ich noch bis heute fasziniert bin, wenn ich daran zurückdenke. Bei dem Konzert, in dessen Rahmen wir gemeinsam auftraten, fühlte ich mich recht sicher, und ich genoss an der Stelle, einen so kompetenten Begleiter zu haben.

Spiel im Ensemble

Ich wurde gefragt, ob ich bei einigen Stücken aus der "Wassermusik" von Georg Friedrich Händel mitspielen wollte. Sie sollten auf dem Marktplatz in Marburg im Rahmen eines größeren Programmes aufgeführt werden. Dabei spielten, soweit ich mich erinnere, etwa 12 Blockflöten miteinander. Das Proben hat Spaß gemacht, da die Gruppe recht schnell gut aufeinander abgestimmt war und die Wassermusik nicht wahnsinnig kompliziert ist. Somit gab es genügend Zeit, sich damit zu beschäftigen, die Gruppe sauber, leicht, elegant und strahlend klingen zu lassen. Interessant war bei diesem Ereignis, dass mir der eigentliche Auftritt auf dem Marktplatz nicht gefallen hat. Dies lag überhaupt gar nicht an der Gruppe, sondern an dem Rahmen rundherum und an dem "Spiel" im Freien. Die Akustik mochte ich überhaupt nicht, und für viele Menschen bedeutet Musizieren im Freien, verständlicherweise, dass sie nicht in Ruhe zuhören, sondern die Musik als Kulisse begreifen möchten. Hier Akteurin zu sein, ist durchaus gewöhnungsbedürftig, aber eine Erfahrung, die mich heute als Chorsängerin immer darüber nachdenken lässt, wann ich bei einem Konzert im Freien mitsingen möchte und wann nicht. Hier muss natürlich jeder und jede für sich persönlich abwägen. Manchmal geht es also nicht nur um das Spiel auf einem Instrument, sondern um das Zusammenspiel mit dem Publikum und um äußere Faktoren, die Einfluss auf das zu spielende Stück und auf die persönliche Stimmung und evtl. auch auf die Wirkung in der Gruppe haben können.

Spiel als Solistin

Ein Bekannter fragte mich, ob ich für einen Geburtstag etwas Solistisches spielen könne. Er liebe Blockflöte sehr und freue sich an der Musik. Ich sagte zu. Es war eine nette, wohlwollende, interessierte Gesellschaft. Ich fühlte mich gut vorbereitet, und, so dachte ich noch vor meinem Auftritt, es würde jetzt überhaupt niemand merken, wenn ich falsche Töne im Stück spielen würde. Und dennoch war ich, als ich meinen kleinen Auftritt hatte, obwohl zu der Zeit schon recht erfahren und lange Unterricht habend, sehr aufgeregt. Ich spielte Töne, dachte mich in das Stück ein, doch machte es mir durch die Aufregung Mühe, dem Klang etwas "Spielerisches", Leichtes zu verleihen. Vermutlich machte ich gar nicht so viele Fehler, und in der letzten Hälfte legte sich meine Aufregung. Ich fand zu mir und zu einem erträglichen Abschluss. Den Gästen hat es gefallen, zumindest behaupteten sie es hinterher. Darf man es glauben?

Improvisation mit einem Saxophon

Es ergab sich vor einigen Jahren, dass ich mich zu einem Improvisationskurs für alle Instrumente angemeldet habe. Aufeinander trafen hier u.a. eine Blockflöte, ein Cello, eine Geige, zwei Saxophone, eine Klarinette, ein Klavier und all das, was mit einer Singstimme möglich ist. Beschäftigt man sich mit Improvisation, so folgt das Zusammenspiel vollkommen anderen Regeln, zumindest dann, wenn man sehr frei improvisiert. Man entwickelt sozusagen gemeinsam ein Stück. Dabei kommt es eventuell gar nicht darauf an, ob man die richtige Note trifft, und möglicherweise auch nicht, ob man zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt hat. Die "Regeln" zu einem Stück gibt man sich selbst. Man kann z. B. sagen, dass man gemeinsam einen Sonnenaufgang, eine Blume, eine Landschaft oder eine Geschichte erzählen will. Natürlich gibt es viele klassische Komponisten, die Variationen über ein bestimmtes Lied, eine Tonfolge oder bestimmte Rhythmen geschrieben haben. Der Kurs, der laut der Dozentin ein sehr gut aufeinander abgestimmter Kurs wurde, hatte sich das Ziel gesetzt, anhand einer Stimmung in drei Gruppen Improvisationen zu entwickeln. In meiner Gruppe war auch eines der beiden Saxophone. Anfangs dachte ich, dass ein solches Zusammenspiel überhaupt nicht funktionieren kann. Denn immer, wenn das laute Instrument einige Töne von sich gab, dachte ich, dass ich überhaupt nicht durchdringen würde. Als Blockflötistin ist man gewohnt, immer ein leises Instrument zu haben und kaum gehört zu werden. Doch mit diesem Saxophon hatte es nochmal eine neue Qualität. Ich hatte zunächst das Gefühl, dass man nicht einmal die Klangfarbe der Blockflöte heraushört. Wir mussten uns schon sehr gut aufeinander abstimmen, damit man die Flöte noch hören konnte. Ich habe anfangs immer die lautesten Töne, die möglich waren, gespielt. Doch sehr bald merkte ich, dass dieses Vorgehen einfach nur langweilig ist. Man musste, je nach gewünschter Stimmung, einen Wechsel zwischen Pausen des Saxophons, leisem und lautem Spiel meinerseits und Abstimmungen in den Tonhöhen finden. So konnte ich bei leisen, tiefen Tönen des Saxophons auch mal "normal" spielen. Die Saxophon spielende Person hat letztlich gut auf das gehört, was ich versucht habe, vorzuschlagen. Auch im Stil mussten wir uns aneinander gewöhnen. Mit einem Saxophon spielt man durchaus oft Jazz, mit einer Blockflöte entweder barocke, renaissance, mittelalterliche oder moderne Musik. In meiner Gruppe waren noch die Querflöte, die Geige, das Cello und das Klavier. Der Cellist sagte von sich selbst, dass er in kein Orchester gehe, da er rhythmisch vollkommen unbegabt sei. Beim Improvisieren spielte dieses kaum eine Rolle. Seine rhythmischen Figuren fügten sich letztlich in ein Gesamtwerk, das wir nach Regeln, die wir uns selbst gaben, schufen. Wir entschieden uns als Improvisationsthema für einen Tag mit seinen Tageszeiten, die uns als Grundgerüst und als Assoziationsmöglichkeit dienen sollten. Dabei gab es am Morgen, natürlich klischeehaft, u. a. Vögel, die man mit der Blockflöte darstellen konnte. Nicht alle unsere Motive entsprachen einer solchen simplen Logik. Am Ende des Kurses war so ein kleines Stück entstanden, in dem alle Instrumente gleichberechtigt vorkamen und so miteinander spielten.

Während des Kurses wurde ich, wie man sich denken kann, durchaus mit der Aussage konfrontiert, dass ich es doch gewohnt sei, einerseits ohne Noten zu spielen und andererseits stärker darin geübt sei, aufeinander zu hören. Ich denke, dass man sich auch als blinde Person intensiv in die Möglichkeiten hineinhören muss, die man mit einer Gruppe hat, mit der man improvisieren will. Doch alle anderen müssen dieses auch machen. So lernt man gemeinsam ohne Druck mit der gleichen Lernstrategie, miteinander zu spielen.

Spiel mit Klang

In der modernen, klassischen Musik ist es durchaus üblich, die Blockflöte nicht als Instrument zu verstehen, das ausschließlich Töne spielt, die man blasen kann, sondern das Holz als solches und die Löcher auf der Flöte haben einen eigenen Klang, den man durch Klopfen, durch das direkte Blasen in die Löcher und nicht in das Mundstück erzeugen kann. Auch haben die einzelnen Teile einer Flöte einen eigenen Klang, den man durch unterschiedliche Blas- und Klopftechniken auslösen kann.

Ich will ehrlich sein: Bis heute spiele und höre ich sehr gerne barocke Musik, bei der man ganz gewöhnliche Töne bläst. So kann und muss man mir am Ende dieses kleinen Streifzuges durch die "Spielarten" auf der Blockflöte vorwerfen, dass ich manche Spielvariante komplett ausgelassen habe. Ich bin nicht sicher, ob ich mich jemals intensiv mit moderner Musik für Blockflöte beschäftigen werde, denn leider spiele ich heute viel zu selten. Dennoch glaube ich, dass man beim Spielen eines Instrumentes eine Art von Teambildung lernen kann, die ganz sicher auch in anderen Künsten vermittelbar ist, doch hat eben jeder und jede einen anderen Zugang zu Kunst und Musik. Für mich war und ist die Blockflöte letztlich ein herrliches Instrument, das, wenn man genau hinhört, auch in der Barocken Musik viele "Spielarten" kennt. Man kann eine "Flatterzunge" machen, man kann hart und weich anblasen, man kann einzelne Töne fröhlich oder traurig erklingen lassen und somit Kälte oder Wärme ausdrücken. Diese Vielfalt hat mich als Spielende immer fasziniert.

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