Als ich mit meinem Handicap der physischen Blindheit im Jahr 2000 mein Studium an der Fachhochschule Westküste in Heide begann, war es für die meisten Dozenten noch eine neue Erfahrung, einen Studenten mit Handicap in ihren Reihen zu haben. Als ich 2004 mein Diplom in Händen hielt, war es vollkommene Normalität. Mit Umwegen über die Fernuniversität Hagen und die Goethe-Universität Frankfurt/Main erlangte ich sogar meinen Doktortitel. Seit 2016 lehre ich nun das Fach "Menschen mit Behinderung als Zielgruppe - Barrierefreiheit als Wettbewerbsvorteil". Dieses Thema habe ich auch in meinem Film "Barrierefreies Dithmarschen" zum Ausdruck gebracht (https://youtu.be/_WdoZPyCJ9E). Insbesondere der Tourismus-Schwerpunkt macht diese Hochschule weit über die Grenzen Norddeutschlands bekannt. Betriebswirtschaft, Wirtschaftspsychologie, Green Energy und vieles mehr runden den Fächerkanon ab.
Heide ist eine Stadt von 22.000 Einwohnern. Die FH Westküste hat aktuell etwa 2.000 Studierende. Ein Studentenwohnheim befindet sich auch nicht weit entfernt von der Hochschule. Ich würde mich auch im Namen der FH Westküste freuen, wenn noch mehr Studierende mit Handicap die familiäre Atmosphäre der FHW kennenlernen und den Studienalltag somit für alle bereichern. Schließlich sollten wir mittendrin statt nur dabei sein.
"Zielgruppe: Menschen mit Behinderung" - Bericht eines Studierenden
Eine studentische Einschätzung des deutschlandweit einzigartigen Faches "Menschen mit Behinderung als Zielgruppe - Barrierefreiheit als Wettbewerbsvorteil" befindet sich nachstehend:
"Als Studierende des Fachbereichs Wirtschaft der Fachhochschule Westküste in Heide haben wir dieses Semester die Möglichkeit, am Kurs "Menschen mit Behinderung als Zielgruppe" teilzunehmen. Dieser inspirierende Kurs wird von Dr. Carsten Dethlefs geleitet, der neben seiner freiberuflichen Tätigkeit an der Fachhochschule hauptsächlich Unternehmen, Vereine sowie Städte und Kommunen berät. Sein Fokus liegt dabei darauf, durch barrierefreie Gestaltung des eigenen Umfelds einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern zu erzielen.
Dr. Dethlefs, selbst seit seinem vierten Lebensjahr vollständig erblindet, eröffnet uns Studierenden einen neuen Blickwinkel im Bereich der Menschen mit Handicap. Er zeigt uns, wie man diese Zielgruppe richtig anspricht und sogar einen Wettbewerbsvorteil erzielen kann. In seiner Vorlesung vermittelt er nicht nur theoretisches Wissen, sondern greift auch auf praxisnahe Methoden zurück.
Ein Beispiel hierfür ist das blinde Erkennen von Werbespots. Ohne den visuellen Input sollten wir anhand des Gehörten die beworbene Marke identifizieren. Dabei wurde deutlich, dass viele bekannte Marken ohne visuelle Unterstützung schwer zu erkennen sind. Dies spiegelt die Realität vieler Menschen wider, die von herkömmlichen Werbespots nicht erreicht werden. Herr Dethlefs betonte, dass barrierefreie Werbung für alle dabei aber durchaus realisierbar ist.
Ein wichtiger Faktor ist dabei die klare Nennung der Marke sowohl zu Beginn als auch am Ende des Werbespots. Zusätzlich können Vertrauensstimmen und einfaches Storytelling effektiv eingesetzt werden. Die Werbespots sollten kurz sein und Musik verwenden, die emotionale Resonanz erzeugt.
Ein weiteres praxisorientiertes Beispiel sind Selbstversuche mit Augenbinden. Als "unerfahrene Blinde" wurden wir nicht allein gelassen, sondern hatten stets einen Partner oder eine Partnerin an unserer Seite. Diese Begleiter unterstützten uns während unserer blinden Erkundungstour durch die Fachhochschule und halfen uns, mögliche Hindernisse zu erkennen. Eine der Aufgaben war beispielsweise das Kaufen, Finden des Sitzplatzes und Trinken eines Getränks in unserem "Coffee-Shop". Diese Aufgabe erwies sich als überraschend herausfordernd und verdeutlichte uns, welche Hindernisse Menschen mit Handicaps im Alltag begegnen können.
Ein zentraler Bestandteil unseres Kurses war auch die Überprüfung der Barrierefreiheit von Restaurants. Dazu verteilten wir uns zu zweit - eine/r davon mit Augenbinde - in verschiedene Restaurants in Heide und Kiel, um das Gelernte in der Praxis anzuwenden. Die Erkenntnisse waren aufschlussreich: Zwar zeigt sich, dass in vielen Restaurants bereits Maßnahmen zur Barrierefreiheit implementiert sind, jedoch bleibt noch erheblicher Spielraum für Verbesserungen.
Von scheinbar kleinen Details wie fehlenden Kontraststreifen bis zu der Abwesenheit barrierefreier Toiletten - häufig gibt es Aspekte, bei denen eine Anpassung den Menschen mit Handicap erheblich entgegenkommen würde. Diese praktischen Erfahrungen verdeutlichen, dass trotz vorhandener Bemühungen noch Handlungsbedarf besteht, um die Gastronomie für alle zugänglicher zu gestalten.
Selbst die Struktur der Vorlesung präsentierte uns neue Unterrichtsmethoden, die für uns ungewohnt waren. Im Gegensatz zu herkömmlichen Präsentationen auf einer Leinwand hatten wir immer unsere eigenen Unterlagen vor uns und erarbeiteten den Großteil des Vorlesungsinhaltes im aktiven Austausch mit dem Dozenten. Dieser interaktive Ansatz erforderte nicht nur unsere Aufmerksamkeit, sondern auch die regelmäßige Beteiligung. Statt der üblichen Handzeichen zur Meldung nutzten wir Klopfgeräusche auf den Tischen, was zunächst ungewohnt war, aber rasch zu einer festen Gewohnheit wurde. Diese Umstellung mag anfangs als herausfordernd erscheinen, doch wir haben sie schnell adaptiert, und nun kommt sie uns selbstverständlich vor.
Es ist wichtig zu betonen, dass selbst solch vermeintlich kleine Änderungen im Unterrichtsformat für Menschen mit Handicaps bedeutsam sein können. Diese scheinbar kleinen Herausforderungen, an die wir uns relativ leicht anpassen konnten, offenbaren uns erneut die Perspektive von Menschen mit Handicaps. Unsere Fähigkeit zur Anpassung erweitert nicht nur unseren Horizont im Hinblick auf die Inhalte der Vorlesung, sondern sensibilisiert uns auch für die Barrieren, denen Menschen mit Handicaps oft gegenüberstehen und die nicht immer so schnell überwunden werden können."