Von Dr. Michael Richter

Eigentlich war für horus 4/2024 ein knapper Überblick zu neuen Entwicklungen aus der Genehmigungspraxis der Inklusionsämter in Sachen Arbeitsassistenz geplant. Beim Überblick soll es auch bleiben, allerdings reicht ein Artikel nicht aus, denn das Thema ist recht umfangreich und wichtig und bedarf mehr als eines Beitrags.

Rechtsstreit um das "Abtretungsmodell"

Von besonderer Bedeutung ist nach meiner Ansicht der aktuelle Versuch des Inklusionsamts Bayern, das sogenannte "Abtretungsmodell" gerichtlich als unzulässig feststellen zu lassen, obwohl es gerade für den Personenkreis der gut qualifizierten behinderten Menschen von besonderer Praxisrelevanz sein dürfte.

Das Abtretungsmodell ist eine der Möglichkeiten, Arbeitsassistenz im Rahmen des Persönlichen Budgets zu organisieren. Hierfür tritt der Mensch mit Behinderung seinen Anspruch auf das Persönliche Budget für die Arbeitsassistenz an eine andere Person, Einrichtung oder ein Unternehmen ab - typischerweise an den eigenen Arbeitgeber. Der Arbeitgeber übernimmt die Organisation der Arbeitsassistenz, bezahlt die Arbeitsassistenz aus dem abgetretenen Persönlichen Budget und rechnet direkt mit dem Kostenträger des Persönlichen Budgets ab.

Ablehnende Haltung des Inklusionsamts Bayern

Im vorliegenden Fall vertritt die Rechtsberatungsgesellschaft "Rechte behinderter Menschen" (rbm) ein DVBS-Mitglied. Denn das Inklusionsamt hat seinen Antrag auf Arbeitsassistenz in der gewünschten "Abtretungsform" rundweg abgelehnt. Es verwies alternativ auf die - nach seiner Auffassung allein möglichen - Alternativen "Arbeitgebermodell" oder das "Dienstleistungsmodell". Betroffene sollen also die Assistenz selbst bei sich anstellen oder bei einem gewerblichen Dienstleister einkaufen. Das Inklusionsamt argumentiert, für eine Bereitstellung der Assistenzleistung durch den eigenen Arbeitgeber bestehe kein Raum, denn das begehrte Abtretungsmodell stelle keine zugelassene Gestaltung, sondern vielmehr eine nicht statthafte Umgehung der vorgesehenen Formen für die Assistenz dar.

Einen Anspruch auf Unterstützung durch eine notwendige Arbeitsassistenzkraft könnten schwerbehinderte Menschen nur aus § 185 Abs. 5 SGB IX, § 17 Abs. 1a SchwbAV herleiten. In diesem Fall seien sie nach der Gesetzeskonzeption grundsätzlich verpflichtet, selbst als Arbeitgeber der Assistenzkraft aufzutreten oder einen Dritten mit der Organisation zu beauftragen. So sei es auch in Ziffer 2.2. der aktuellen BIH-Empfehlungen zur Arbeitsassistenz vorgesehen und ein Abtretungsmodell sei dort auch nicht vorgesehen. Alternativ - sofern sich der Arbeitgeber freiwillig bereit erklärt, für einen bestimmten schwerbehinderten Arbeitnehmer eigens eine Assistenzkraft einzustellen und damit auch alle mit der Assistenz zusammenhängenden organisatorischen Aufgaben und Betriebsrisiken zu übernehmen - sei dies als Arbeitgeberleistung nach § 185 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. e) SGB IX, § 27 SchwbAV förderfähig. Diese Systematik zeige auf, dass derjenige eine Leistung der begleitenden Hilfe beantragen und erhalten könne, bei dem die behinderungsbedingten Mehraufwendungen originär entstehen.

Für das begehrte Abtretungsmodell - oder anders umschrieben: Dienstleistungsmodell über den eigenen Arbeitgeber mit Abtretung von sozialrechtlichen Leistungen auf Arbeitsassistenz - sei dementsprechend kein Raum und auch kein Erfordernis. Vielmehr stelle es eine unzulässige Umgehung dar. Für diesen Fall sehe § 27 Abs. 2 SchwbAV ausschließlich die Möglichkeit einer unterstützenden Leistungsgewährung durch das Integrationsamt an den Arbeitgeber wegen außergewöhnlicher Belastungen im Ermessenswege vor. Dieser gesetzlich vorgezeichnete Weg könne nicht (...) durch (...) In- Rechnung-Stellen der Aufwendungen an den Arbeitnehmer umgangen werden, damit dieser gegebenfalls ungeschmälert Leistungen des Integrationsamtes an den Arbeitgeber auskehre.

Eine Anerkennung eines derartigen Abtretungsmodells würde faktisch die Regelung des § 27 SchwbAV hinsichtlich einer arbeitgeberorganisierten Assistenz leerlaufen lassen und damit der Intention des Verordnungsgebers widersprechen. Das in Ziffer 7.4. der BIH-Empfehlungen vorgesehene Wahlrecht beziehe sich gerade nur auf eine Wahl zwischen dem Arbeitgebermodell und dem Dienstleistungsmodell. Da das angestrebte Abtretungsmodell jedoch vielmehr eine arbeitgeberorganisierte Assistenz und im konkreten Fall nicht ein Dienstleistungsmodell darstelle, greife das Wahlrecht (mit möglicherweise höheren Kosten) nicht.

Das Arbeitgebermodell - eine Apologie

Diese Rechtsauffassung scheint im Licht des "Grundsatzurteils" des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.01.2018 (Az.: G 5 C 9.1) bedenklich. Dort wurde festgestellt, dass es sich beim Anspruch nach § 185 Absatz 5 SGB IX um einen Rechtsanspruch handelt, bei dessen Auslegung die Förderung von Chancengleichheit im Erwerbsleben auch für Menschen mit einer Behinderung Maßstab für die Leistungsgewährung sein müsse. Insbesondere wurde mit dem Urteil auch festgestellt, dass die ergangenen BIH-Empfehlungen für diesen Bereich nicht bindend sein können, wenn sie den Rechtsanspruch verkürzen.

Folgende Punkte sprechen - nach meiner Auffassung - gegen die nunmehr vom Inklusionsamt Bayern vertretene Auslegung:

  1. Nach dem Wortlaut von § 185 Absatz 5 SGB IX wird "nur" von "Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz" gesprochen.
  2. Die Unterscheidung der zugelassenen Modelle (Arbeitgeber- und Dienstleistermodell) sind "lediglich" in der BIH-Empfehlung vorgesehen. Auch an entsprechender Stelle wird nicht der Einkauf von dritten, spezialisierten Dienstleistern gefordert.
  3. Es ist kein gesetzlicher Grund ersichtlich, dass der Einkauf einer betriebsnahen Dienstleistung vom eigenen Arbeitgeber unzulässig ist, d.h. es gibt keine gesetzliche Voraussetzung, die benötigte Dienstleistung bei einem Dritten einzukaufen.
  4. 27 SchwbAV kann für den Fall einer beantragten "selbstorganisierten Arbeitsassistenz" keine Sperrwirkung für eine Arbeitgeberdienstleistung entfalten, denn diese Vorschrift regelt allein eine durch den Arbeitgeber selbst beantragte Ausgleichsleistung und eben gerade nicht eine Leistung an den Assistenznehmer selbst.
  5. Die Behauptung, es gäbe für das sog. Abtretungsmodell keine Notwendigkeit, ist schlichtweg falsch, denn
    1. beim Arbeitgebermodell trägt der Assistenznehmer alle Risiken als Arbeitgeber und ist auf die Zustimmung des Arbeitgebers zur Umsetzung dieses Modells angewiesen.
    2. Beim Einkauf von Arbeitsassistenz bei einem dritten Assistenzanbieter besteht kein Anspruch auf spezielle Assistenzgeber. Mithin ist dieses Modell in aller Regel nicht geeignet, wenn qualifizierte und eingearbeitete Assistenz benötigt wird.
    3. Der Zuschuss an den Arbeitgeber gem. § 27 SchwbAV ist als Ausgleich bei gelegentlicher Inanspruchnahme von Assistenz durch Kollegen geeignet und als Ermessensleistung auch angemessen.
    4. Bedarf für das sog. Abtretungsmodell bleibt in den Fällen, in denen eine qualifizierte, umfangreiche Assistenz benötigt wird und z.B. der Arbeitgeber die Zustimmung für "externe" Assistenz nachvollziehbar nicht erteilt, etwa weil Kenntnisse betrieblicher Abläufe oder Umgang mit vertraulichen Informationen nötig sind, der Umfang der benötigten Assistenz über die gelegentliche kollegiale Hilfe hinausgeht und im Rahmen der regelmäßig nicht kostendeckenden Zuschussgewährung ein erheblicher Wettbewerbsnachteil durch die Beschäftigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters entstehen würde.

Um die Chancengleichheit von schwerbehinderten Menschen im Arbeitsleben zu fördern, ist das sog. Abtretungsmodell in einigen Fällen sogar offensichtlich die einzig geeignete Möglichkeit. Schließlich dürfte die unter 5. bezeichnete Situation auch eine zu berücksichtigende Rechtfertigung darstellen, falls der Arbeitgeber für die Inanspruchnahme einer betriebsfremden Arbeitsassistenz die Zustimmung verweigert.

Zusammengefasst geht es schlichtweg um die bloße, möglichst reibungslose und aufwandsreduzierende Organisation und Umsetzung eines Nachteilsausgleiches im bereits festgestellten und anerkannten Umfang. Vor diesem Hintergrund ist es schwer nachvollziehbar, eine Begrenzung der möglichen Umsetzungsformen aus der Systematik nicht verbindlicher Empfehlungen abzuleiten. Schwer nachvollziehbar ist ebenfalls das Argument, dass keine ausdrückliche Zulassung des gewählten Modells in der einschlägigen Literatur oder durch die Rechtsprechung erfolgt ist. Dem steht entgegen, dass die Inklusionsämter schließlich die Aufgabe haben, schwerbehinderte Menschen zu begleiten und ihnen die bestmögliche Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere, da gemäß § 185 Absatz 8 SGB IX sogar die Gewährung in Form eines persönlichen Budgets für die begehrte Leistung vorgesehen ist. In diesem Fall wird Betroffenen ein bedarfsdeckendes Budget für den Einkauf von Arbeitsassistenz zur Verfügung gestellt. Wie der Budgetnehmer dann seinen Arbeitsassistenzbedarf deckt, ist dann schlichtweg nicht mehr das Problem des zuständigen Inklusionsamtes.

Mit Blick auf die Möglichkeit, dass persönliches Budget beantragt werden kann, handelt es sich vielleicht bei dem dargestellten Streit um eine rein akademische Frage. Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass Inklusionsämter wieder eine rechtswidrige Umgehung des "eigenen Systems" sehen würden, wenn Budgetmittel für den Einkauf von Arbeitsassistenz beim eigenen Arbeitgeber verwendet werden.

Mein Fazit: Die Welt könnte so einfach sein, wenn Inklusionsämter konstruktive und bewährte Lösungen für die Herstellung von Chancengleichheit von Menschen mit einer Behinderung fördern und nicht verhindern würden.

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