Bevor ich beginne, möchte ich an alle Leser*innen dieses Textes einige wenige Worte richten. Mein Text bezieht sich auf mein Arbeitsleben. Dies resultiert daraus, dass ich so schon meine Ausführungen für umfangreich halte. Würde ich jetzt noch vom Alltag, von Hobbys und Reisen schreiben, würde der Text den Rahmen sprengen. Dies bedeutet aber nicht, dass mich die Einschränkungen des Arbeitslebens nicht in anderen Bereichen begleitet hätten. Allein aus pragmatischen Gründen habe ich mich entschieden, einen einzelnen Bereich zu beschreiben.

Glück und Verstand, so möchte ich mein Arbeitsleben betiteln.

Eigentlich heißt dieses Sprichwort doch "mehr Glück als Verstand", aber in meinem Fall, bei dieser Arbeitsaufnahme, waren Glück und Verstand gleichermaßen im Spiel. Lassen Sie mich kurz ausholen und es beschreiben. Zuerst ein paar Worte zu meiner Person: Ich bin 48 Jahre alt, seit Geburt habe ich RP. Leider gesellte sich in jungen Jahren eine chronische Erkrankung dazu, die mich so manches Mal in meinen Wünschen für mein Erwachsenenleben innehalten und immer wieder auch umdisponieren ließ. Pläne eines Lehramtsstudiums oder der Wunsch, Psychologie zu studieren, wurden verworfen. Letztendlich habe ich Pädagogik studiert und auch abgeschlossen. Und hier sind wir an der Stelle, einige wenige Worte zu meinem zweiten Handicap zu verlieren, aber bitte sehen Sie es mir nach, wenn ich einige Details zu meiner Person weglasse. Neben der Sehbehinderung begleitet mich seit vier Jahrzehnten nun eine Erkrankung, die jede Woche aufs Neue viel Zeit in Anspruch nimmt, mir Energie raubt, mich viele Stunden pro Woche beinahe untätig werden lässt.

Von meinem Studienende bis jetzt sind über 20 Jahre vergangen. Wie habe ich diese verbracht? In dieser Zeit habe ich zweimal gearbeitet, sowohl bei einem Bildungsträger als auch im Blindenwesen. Teilweise waren hier von vornherein Befristungen vereinbart, teilweise war mein zweites Handicap ein Bremsklotz in der Weiterbeschäftigung. Wochenendarbeitszeit und nur wenige Stunden Home-Office ließen mich vor dem Arbeitsleben kapitulieren und verzweifeln. Ich möchte an dieser Stelle nicht verschweigen, dass in unserer Kapitalismus-geprägten Gesellschaft der Selbstwert gehörig auf die Probe gestellt wird, wenn man einsehen muss, nicht die erforderliche Energie und Kraft für eine Arbeitsstelle zu haben, auch wenn die Vorgaben des Arbeitgebers und nicht die Tätigkeit selbst einen kapitulieren lassen. Viele Jahre habe ich dann mein Leben mit Ehrenamt und freiwilligem Engagement gefüllt!

Zum einen gab es reichlich Aufgaben für mich in der Blindenselbsthilfe. Darüber hinaus engagierte ich mich im Seniorenbereich unserer Stadt.

Und nun sind wir im Jahre 2020 angekommen, und einer meiner Lebensträume, wieder berufstätig sein zu können, wandelte sich in einen echten Tagtraum und schlussendlich in Wunsch und Aktion.

Ich dachte daran, mich in meiner Stadt initiativ auf Praktikumsstellen zu bewerben bzw. wegen eines Praktikums bei verschiedenen Organisationen und Vereinen anzufragen.

Dies erschien mir die einzige Möglichkeit zu sein, irgendwie wieder die Luft des Arbeitslebens zu schnuppern, Ich war im Laufe der vielen Jahre von Ehrenamt und Engagement in verschiedenen Maßnahmen für Arbeitssuchende gewesen. Dort jedoch stieß ich bald auf Ratlosigkeit bei den Beratenden, mich mit Sehbehinderung und einem zweiten chronischen Handicap irgendwie in Lohn und Brot zu bringen. Bevor ich aber mit den Bewerbungen für ein Praktikum beginnen konnte, klingelte wieder einmal das Telefon, und ein Reha-Berater trug mir die Idee einer Maßnahme vor. Das Konzept klang diesmal anders als die mir bis dato angepriesenen Maßnahmen.

Das Konzept sah ein Team aus einer Beraterin für Bewerbungstraining, einer Sozialarbeiterin und einer Psychologin zur Betreuung sehr unterschiedlicher Bedarfe vor. Weiterhin sah das Konzept dieser Maßnahme nicht vor, die Angebote aller drei Berater*innen nutzen zu müssen. Und so entschied ich mich, lediglich das Angebot für die Arbeitssuche anzunehmen. Die psychosozialen Angebote waren für mich persönlich nicht relevant.

Eine Onlinefortbildung im Bereich der Seniorenarbeit verwarfen wir aufgrund der Situation am Arbeitsmarkt. Nun blieb mir nur, auf Stellengesuche zu reagieren oder Initiativbewerbungen anzustoßen.

Bis hierher war Vieles mit Verstand geplant, natürlich hatte ich auch ein wenig Glück gehabt, in der Maßnahme den richtigen Menschen für meine Belange zu begegnen, aber das eigentliche Glück stand nun vor der Tür.

Ich kontaktierte unter anderem einen Verein, der Menschen, die sich engagieren möchten, an Organisationen mit entsprechendem Bedarf vermittelt.

Da genau dieser Verein mir bereits das Engagement in der Seniorenarbeit vermittelt hatte, war ich bekannt, und gepaart mit dieser Tatsache entstand in jenem Verein gerade ein neues Projekt zum Thema inklusive Freizeitgestaltung von Engagierten und Menschen mit Handicap. Ich hatte nun ein Pädagogikstudium, viel Erfahrung im Bereich des Ehrenamts und des freiwilligen Engagements und einen kleinen finanziellen Obolus im Säckel.

Der Verein wiederum plante dieses Projekt, das mich inhaltlich und auch vom geringen Stundenumfang her sehr ansprach. So kamen der Verein, das Projekt und ich zusammen.

Und so entstand vor einigen Jahren eine Stelle, überwiegend, aber nicht nur, im Home-Office, die mich im Bereich Inklusion - sowohl nach innen als auch nach außen - forderte und immer noch fordert. Inhaltlich habe ich eine kreative Tätigkeit und ein extrem sympathisches Team. Durch die Projekte meiner Kolleg*innen habe ich darüber hinaus die Möglichkeit, auch Tätigkeiten außerhalb meines Projekts zu übernehmen.

Ich bin sehr frei in der Gestaltung meiner Arbeitszeiten, was vor allem meinem zusätzlichen Handicap Rechnung trägt. Auch kann ich für mich sagen, dass ich zu denen gehöre, die immens vom Home-Office profitieren. Ich kann teilweise meine Arbeitszeit meiner Fitness anpassen. Bei mir ist es die Mischung aus Home-Office-Zeit und Bürozeit.

Die Vorteile des Home-Office haben inzwischen viele Arbeitnehmer*innen schätzen gelernt, so ich auch. Home-Office erlaubt mir auch an gesundheitlich schwierigen Tagen zu arbeiten, aber die Bürozeit ist die Arbeitszeit, die natürlich von einer ganz anderen Kommunikation mit den Kolleginnen geprägt ist als die Arbeit daheim an meinem Esstisch. Auch gehört viel Disziplin dazu, dass sich Frühstücksteller und Arbeitsnotebook am selben Platz abwechseln, und dass beide strikt voneinander getrennt werden.

Dies ist nicht immer einfach, spüre ich doch bei dieser Tätigkeit dieselbe Energie wie bei meinen Ehrenämtern. Ich brenne für die Inhalte, mit denen ich mich vier Tage in der Woche beschäftigen darf. Ich spreche von Glück, noch einmal die Möglichkeit bekommen zu haben, der Gesellschaft neben meiner freiwilligen Tätigkeit noch durch einen Job etwas zurückgeben zu können. Ein Job, der mir obendrein extrem viel Freude bereitet, bei dem ich gern aus dem Urlaub zurück komme und bei dem ich meinen Handicaps Rechnung tragen kann und mich selbst nicht überfordere, weil auch meine Arbeitgeber mich nicht überfordern, was in der Vergangenheit nicht immer gegeben war. Dieser Job ist ein Sechser im Lotto, und sollte er einmal zu Ende gehen - wie vielenorts unterliegt auch mein Projekt der "Projektitis" -, wird es keinen Job mehr geben, aber ein Traum war dann in Erfüllung gegangen, und ich werde, wenn es meine Kräfte dann noch zulassen, wieder im freiwilligen Engagement aktiv. Aber dies sind Zukunftspläne.

Noch läuft das Projekt einige Jahre, und wenn ich in dieser Zeit mit Verstand auf meine Kräfte aufpasse und ein bisschen Glück wieder dabei ist, wird es eine gute Zeit in einem doch eher kurzen Arbeitsleben.

Wonach suchen Sie?