Wenn die Verschwörungstheorie stimmen würde, dass es die Stadt Bielefeld nicht gibt, hätten deutsche Archivar*innen im vergangenen September ihren Tagungsort nie erreicht. Doch vom 26.-28.09.2023 fand in der Bielefelder Stadthalle tatsächlich der 90. Deutsche Archivtag statt, ausgerichtet vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V. (VdA). Bei der Auftaktveranstaltung ging es um Barrierefreiheit, weshalb auch der Autor dieses Beitrags als Vertreter der DVBS-Fachgruppe "Medien" am Archivtag teilnahm.
Zum Hintergrund: Anfang 2023 erhielt die Fachgruppe eine Anfrage von Frau Dr. Petra Zadel-Sodtke aus Berlin von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit. Hierbei ging es um die Erfahrungen von blinden und sehbehinderten Mitarbeitenden in Archiven, ihre Tätigkeiten, Aufgaben, Probleme, aber auch um die Frage der Barrierefreiheit. Da ich seit vielen Jahren in der blista als Fachkraft für Medien- und Informationsdienste im Archivbereich tätig bin und im Mai 2023 ins Leitungsteam der DVBS-Fachgruppe "Medien" gewählt worden war, nahm ich Kontakt auf. Es folgte ein anregender Austausch, verbunden mit einer Einladung zum Archivtag im September.
Das Thema Barrierefreiheit in Archiven ist in den letzten Jahren zum Gegenstand einiger Examensarbeiten geworden, und es ist sehr zu begrüßen, dass auch der Deutsche Archivtag diesem Aspekt ein Forum geboten hat. Die Auftaktveranstaltung stand unter dem Titel "Ein Hürdenlauf? - Auf dem Weg zu barrierefreien Archiven". Das Format war eine sogenannte Fishbowl-Diskussion, das heißt, man befand sich in einem größeren Kreis, in dessen Mitte die Moderatorin und die Referierenden saßen. Letztere, zu denen auch Frau Dr. Zadel-Sodtke gehörte, hielten aber keine Referate, sondern gaben Statements zu den verschiedenen Facetten von Barrierefreiheit in Archiven ab. Im Anschluss an jedes Statement konnte das Publikum Fragen stellen und Anregungen geben. Mit dabei waren auch der Vorsitzende des VdA sowie Mitarbeitende des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).
Zunächst ging es um die Zutritts- und Zugangsmöglichkeiten zu Archiven, um behinderten Menschen die Arbeit zu erleichtern. Es wurde eine ebenerdige Bauweise angeregt, z.B. für Menschen im Rollstuhl. In einem anderen Statement wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch Blindenführhunde Zutritt haben sollen, da sie keine gewöhnlichen Haustiere, sondern Hilfsmittel und "Profis" seien. Bei der Zugänglichkeit von Materialien regte ich an, sie möglichst so aufzubereiten, dass auch blinde und sehbehinderte Menschen damit gut umgehen können, beispielsweise durch Scannen oder digitalen Versand als Mail oder in anderer elektronisch zugänglicher Form. Die Teilnehmenden waren sichtlich überrascht, dass ein blinder Archivmitarbeiter anwesend war. An der Diskussion nahmen zwar Menschen mit anderen Beeinträchtigungen teil, aber kein weiterer Blinder; auf diese Weise konnte ich Berater in eigener Sache sein.
Später ging es um Bewerbungen und Stellenausschreibungen. Eine Referentin gab zu bedenken, dass Arbeitgeber besser über die Fähigkeiten behinderter Menschen in Archiven informiert werden müssten, um sie bei ihren Ausschreibungen adäquat zu berücksichtigen; dem stimmte ich zu.
Als Fazit der Auftaktveranstaltung kann gesagt werden: Barrierefreiheit ist nicht nur für behinderte Menschen, sondern für alle wichtig. Eine ebenerdige Bauweise z.B. macht es auch anderen leichter, ein Gebäude zu nutzen. Alternativtexte von Bildern sind nicht nur für Blinde und Sehbehinderte hilfreich, sondern auch für alle anderen, die Fotos, Schaubilder oder Grafiken verstehen möchten.
Zum Schluss regte ich an, eine Resolution für mehr Barrierefreiheit in Archiven zu verfassen, um das Thema besser in die Öffentlichkeit zu transportieren. Eine solche Resolution war für diese Tagung nicht vorgesehen, aber man will die Anregung für den 91. Deutschen Archivtag mitnehmen, da man sich auch weiterhin mit diesem Thema befassen wird. Bis dahin wird ein Austausch zwischen den Teilnehmenden dieser Auftaktveranstaltung stattfinden.