Seit April 2023 engagiert sich die blista mit einem neuen Angebot für mehr Teilhabe und Gleichberechtigung. Mit maßgeblicher Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration konnte die neue "Hessische Beratungsstelle für Menschen mit Hörsehbehinderung und Taubblindheit" im November 2023 ihre Arbeit aufnehmen.

Die Beratung mit Sitz in Frankfurt/Main ist ein wichtiger Schritt, um ein gutes Versorgungssystem für betroffene Menschen in Hessen aufzubauen, vorhandene Angebote zu vernetzen und Ratsuchenden begleitende und stärkende Gesprächsmöglichkeiten anzubieten. Ziel ist es, Impulse zu setzen, um die oft bestehende private und gesellschaftliche Isolation zu lösen.

Vier blista-Kolleginnen sind mit dem Aufbau des grundlegend neuen Angebotes in Hessen befasst. Ute Mölter, Leitung des blista-Beratungs- und Schulungszentrums, und Amélie Schneider, Stabsstelle Projektmanagement, haben bereits bundesweit Kontakte zu relevanten Netzwerkpartner*innen geknüpft und Konzepte vorbereitet. Lena Schmidt und Klara Bellinger konnten im November 2023 als Beraterinnen für die blista gewonnen werden. Die beiden Kolleginnen begegnen den Herausforderungen des komplexen Aufgabengebietes hoch motiviert. Sie erlernen die Deutsche Gebärdensprache, vernetzen sich und gestalten das neue Angebot mit vielen eigenen Ideen mit.

Statistik

Es gibt bislang keine verlässlichen Daten zur Prävalenz von Taubblindheit und Hörsehbehinderung in Deutschland. Veröffentlichte Daten lassen nur mithilfe internationaler und regionaler Relationsvergleiche Abschätzungen der Größe der Gruppe zu. Laut Kaul & Niehaus können aufgrund der stark variierenden Definitionen und Erhebungsmethoden weder biografische Verläufe nachgezeichnet noch sichere Daten erhoben werden. "Taubblinde Menschen finden sich als eigenständige Gruppe in keinem System wieder."(1) Eine internationale Vergleichsstudie der eben genannten Autoren kommt zu dem Ergebnis, dass vermutlich 9.100 Menschen mit Taubblindheit in Deutschland leben. Lang, Keesen und Sarimski ermittelten 2015 in einer Online-Befragung, dass bundesweit "[...] etwa 1300 Kinder und Jugendliche eine hörsehgeschädigtenspezifische Unterstützung [benötigen]. 72% der erfassten [...] Kinder und Jugendlichen weisen eine zusätzliche geistige Behinderung auf, 58% eine zusätzliche motorische Beeinträchtigung."(2)

Nach Aussagen des ehemaligen Hessischen Ministers für Soziales und Integration Kai Klose waren 2020 "[...] 45 Personen mit dem Kennzeichen TBL in Hessen erfasst [...]. Überdies waren 67 Personen mit der Kombination der Kennzeichen BL und GL erfasst. Die tatsächliche Anzahl können wir nur schätzen."(3) Christiana Klose, Projektleitung einer Studie "Taubblindheit in Hessen - auffinden, aufklären, inkludieren", sagte in einem Interview mit der Zeitung Unsere Kirche "Taubblinde fallen oft durch das Raster [...]. Nicht einmal eine amtliche Statistik gibt es. Schätzungen gehen von etwa 800 Taubblinden in Hessen aus."(4)

Hörsehbehinderung im Alter

Vermutlich stellen einen Großteil der Gruppe der hörsehbehinderten Menschen Senior*innen ab 65 Jahren dar. Mit zunehmendem Alter steigen die Risiken von spürbaren Seh- und Hörbeeinträchtigungen.

Untersuchungen aus der Schweiz widmeten sich der doppelten Sinnesbeeinträchtigung. Für die Studie Sehen und Hören in Spitex- und Heimpflege wurden anonymisierte Angaben von über 40.000 Personen aus den Jahren 2014 und 2015 untersucht. Die Daten entstammen dem schweizerischen Verwaltungssystem RAI (Resident Assessment Instrument). Die Ergebnisse zeigten, dass 27 % der Heimbewohner*innen und 11 % der Senior*innen in der ambulanten Pflege eine doppelte Sinnesbeeinträchtigung im Hören & Sehen aufweisen.(5) Wissenschaftler*innen der University of Sydney haben bereits 2006 nachgewiesen, dass der Verlust der Sehkraft und des Hörvermögens bei älteren Menschen auf vergleichbare Risikofaktoren und biologische Alterungsmarker zurückgeführt werden könne.(6)

Anmerkungen zur Dunkelziffer

Der Fachdienst Integration taubblinder und hörsehbehinderter Menschen in Bayern geht davon aus, dass "die Dunkelziffer von älteren Menschen mit Problemen durch doppelte Sinnesbeeinträchtigung [...] erheblich sein [dürfte]"(7), da in den Einrichtungen der Seniorenhilfe weder Kapazitäten noch Kompetenzen zur ausreichenden Diagnostik vorhanden seien. Aus einer altersunabhängigen Erhebung ging 2009 hervor, dass es in Bayern ca. 150 taubblinde und 550 hörsehbehinderte Personen geben müsse. Die Dunkelziffer wurde jedoch auf 1300 Personen geschätzt.

Die Stiftung taubblind leben weist auf die ausgeprägte soziale Isolation betroffener Menschen als Ursache der anzunehmenden Dunkelziffer hin: "Die Folgen der Behinderung führen zum Rückzug. Die Betroffenen nehmen immer weniger am gesellschaftlichen Leben teil, bis sie schließlich auch in der engsten Nachbarschaft nicht mehr wahrgenommen werden. [...] Zugehende Hilfe fehlt weitgehend."(8)

Netzwerk & Kooperation

Eine sehr enge Vernetzung mit den Selbsthilfe- und Trägerstrukturen ist unerlässlich für die wirksame Beratung. Auch, da Rehabilitations-, Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen bisher nicht flächendeckend vorhanden sind, ist eine bundesweite Zusammenarbeit mit den aktiven Einrichtungen essenziell, um in der Beratung konstruktive Angebote machen zu können.

Die blista ist in der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik und der Selbsthilfe intensiv vernetzt. Am Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband ist der Gemeinsame Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind (GFTB) organisatorisch angesiedelt. In der o. g. AGTB arbeiten unterschiedliche Partner*innen mit, mit welchen auch die blista bereits langjährige Kooperationen und Interessensgemeinschaften bildet. 2023 wurde die blista ebenfalls in die AGTB aufgenommen.

Im Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik (VBS) zählt die AG hörsehbehindert/taubblind zu einem der aktivsten Arbeitsbereiche. Und nicht zuletzt beschult die Carl-Strehl-Schule in Trägerschaft der blista seit einigen Jahren selbst junge Menschen mit Hörsehbehinderung mit intensiver Begleitung durch einen Sonderpädagogen, der in beiden Förderschwerpunkten qualifiziert ist.

Die weitere Vernetzung und der Aufbau lebendiger Austauschstrukturen gehören zur wichtigsten Grundlagenarbeit, welche die Mitarbeiter*innen der neuen Beratungsstelle in den ersten Tätigkeitsjahren vollbringen müssen.

Zielgruppe der Hessischen Beratungsstelle

Für die Umrandung der Zielgruppe, welche die neue Beratung in Anspruch nehmen kann, orientieren wir uns an von der Arbeitsgemeinschaft der Einrichtungen und Dienste für taubblinde Menschen in Deutschland (AGTB) veröffentlichten Kennzeichen. Demzufolge bieten wir allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Beratung an, welche in den Bereichen der Kommunikation, dem Einholen von Informationen und der Orientierung & Mobilität aufgrund einer bestehenden oder drohenden Einschränkung beider Fernsinne (Sehen und Hören) blinden-/sehbehindertenspezifische und/oder hörbehindertenspezifische Unterstützung in Form von Förderung, Assistenz und Hilfsmitteln benötigen bzw. benötigen werden.

Die Beratung richtet sich ebenfalls an Angehörige, weitere Unterstützer*innen betroffener Menschen sowie an Fachkräfte und Einrichtungen in Hessen. Aus den Erfahrungen der Beratungsstellen geht hervor, dass sie aufgrund mangelnder Angebote länderübergreifend angesprochen werden. Allen Ratsuchenden wird daher eine Erstberatung angeboten, um zu eruieren, ob die Hessische Anlaufstelle den Beratungsprozess aufnehmen oder eine andere Stelle zuständig sein kann.

Es ist Ziel der Hessischen Beratungsstelle, in den ersten Beratungsjahren die alters-, behinderungs- und lebenskontextgemäßen Bedarfe der Zielgruppe in Hessen näher zu beschreiben.

Wege & Inhalte der Beratung

Geht es um Themen wie den Schwerbehindertenausweis, das Taubblindengeld, Assistenz oder die Kostenübernahme für Hilfsmittel, erhalten die Ratsuchenden Informationen, konkrete Unterstützung bei der Antragstellung und falls erforderlich Begleitung zu Ämtern und Kostenträgern.

Zudem bieten die Berater*innen in allen Lebensphasen begleitende Gespräche an, um Krisen zu meistern, persönliche Perspektiven zu entwickeln und passende Angebote zu finden. Sie recherchieren bundesweit und stellen für die Ratsuchenden Kontakte zu Selbsthilfegruppen, Vereinen, Bildungs-, Reha- und Förderangeboten her.

Die Gespräche können in den Räumen in Frankfurt am Main oder in Marburg, online per Zoom, am Telefon, bei den Menschen zuhause oder in Einrichtungen stattfinden. Dank eines Dienstwagens und dem Job-Ticket sind die beiden Beraterinnen hessenweit mobil. Die Beratung ist kostenfrei, und für jeden Gesprächstermin besteht die Möglichkeit, qualifizierte Dolmetscher*innen (Deutsche Gebärdensprache, taktile Gebärden, Schriftdolmetschung, Lormen) zur Verfügung zu stellen.

In diesem Jahr soll das Angebot um Veranstaltungen erweitert werden, die Möglichkeiten für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen aus Hessen bieten, sich u. a. persönlich zu treffen, Lormen zu lernen oder alles Wichtige über das Taubblindengeld zu erfahren.

Zur Autorin

Amélie Schneider ist Diplom-Pädagogin, Blinden- und Sehbehindertenpädagogin (M.A.) und arbeitet in den Bereichen Projektmanagement und Koordination Taubblindenberatung für die blista. Sie hat zahlreiche Fortbildungsangebote und inklusive Projekte entwickelt, wie z. B. das Straßentheaterprojekt "Hürdenlauf" und ist eine der vier Mitarbeiterinnen der "Hessischen Beratungsstelle für Menschen mit Hörsehbehinderung & Taubblindheit".

Kontakt

Hessische Beratungsstelle für Menschen mit Hörsehbehinderung und Taubblindheit
Mörfelder Landstraße 6-8
60598 Frankfurt am Main
Telefon: 069 1301483-8 oder -9
E-Mail: tbl-beratung@blista.de
Internet: www.blista.de/tbl-beratungsstelle

Literatur

Anmerkungen

(1) Kaul, Thomas; Niehaus, Mathilde (2014): 64.zurück

(2) Lang, Markus; Keesen, Elisa; Sarimski, Klaus (2015): 142.zurück

(3) Hessischer Landtag (2021): 10.zurück

(4) Unsere Kirche (2019): o. S.zurück

(5) Spring, Stefan; Bartelt, Guido (2017): 23-24.zurück

(6) Chia, Ee-Munn; Mitchell, Paul; Rochtchina, Elena et al. (2006): 1465-1470.zurück

(7) Fachdienst Integration taubblinder und hörsehbehinderter Menschen in Bayern (ITM): o. S.zurück

(8) Stiftung taubblind leben (2015): 5.zurück

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