Theaterregisseurin Magdalena Kaim und unser Redaktionsmitglied Thorsten Büchner haben sich vor knapp 20 Jahren auf der Theaterbühne kennengelernt. In den letzten Jahren haben sie in vielen Produktionen zusammengearbeitet und an der blista auch schonmal Theater-Feriencamps für blinde und sehbehinderte Jugendliche angeboten. Im folgenden Gespräch unterhalten sich beide darüber, welche Rolle und Bedeutung eigentlich Büchners Blindheit in den bisherigen Theaterarbeiten gespielt hat.

Thorsten Büchner: Als wir vor fast 20 Jahren das erste Mal gemeinsam beim Improvisationstheater auf der Bühne standen: Erinnerst du dich noch, ob du dir damals Gedanken gemacht hast, wie du mit einem blinden Schauspielkollegen auf der Bühne agieren sollst, und hattest du vorher schonmal Kontakt zu Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung?

Magdalena Kaim: Oh je, das ist ja wirklich schon 20 Jahre her... Ich glaube das war damals das erste Mal, dass ich mit jemandem im beruflichen Kontext Kontakt hatte, der blind ist. Soweit ich mich erinnern kann, hab‘ ich mir eigentlich gar nicht so viele Gedanken gemacht oder es war auch gar kein großes Thema für mich, was aber auch - glaube ich - zum großen Teil daran lag, dass es auch für dich kein großes Thema war. Du warst einfach der Thorsten, und da gab‘s eine kurze Info, dass wenn du auf die Bühne gehst, man diese vorher kurz beschreibt, was da so passiert bzw. wer alles da ist und was er gerade macht und man dann irgendwie ins Spiel kommt. Du warst dann für mich wie jeder andere Spieler auch. Naja, abgesehen davon, dass ich sehr gern mit dir Szenen gespielt habe, weil du einfach wunderbar die Geschichten weitererzählt hast und es bei Szenen mit dir nie irgendwie stagniert ist.

In den letzten Jahren stehen wir nicht mehr gemeinsam auf der Bühne, sondern du bist "meine" Regisseurin. Zuletzt bei "Arsen und Spitzenhäubchen" und im Dezember 2023 bei "Eine Weihnachtsgeschichte" nach Charles Dickens, die in der Marburger Waggonhalle aufgeführt wurde. Welche Gedanken machst du dir als Produktionsleiterin und Regisseurin, dass einer deiner Schauspieler blind ist? Gibt es da Unterschiede, die für dich eine Rolle spielen in der Vorbereitung des Stücks oder bei den Proben?

Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir die Gedanken erst immer im zweiten Schritt gemacht, dass du blind bist. Ich hatte mir erst mal überlegt: Wen hätte ich gerne am liebsten für welche Rolle? Wer passt denn dazu am besten, wer kann es so am besten spielen, wie ich mir die Rolle vorstelle? Also letztendlich so, wie man andere Rollen auch besetzt. Auch bei der Inszenierung habe ich immer eine Vorstellung im Kopf, wie das Stück sein soll. Wie soll zum Beispiel diese Szene sein. Ich versuche eben, ohne von vornherein irgendwie eingeschränkt zu denken: Der Thorsten ist blind, deswegen kann er das nicht. Als Beispiel: In "Arsen und Spitzenhäubchen", wo du den Teddy Brewster gespielt hast (übrigens mit dir eine perfekte Besetzung), war das irgendwie klar, dass die Figur immer mit "Attacke" brüllend ins Off rennen soll. Jetzt darauf zu verzichten, weil es vielleicht problematisch sein könnte, für dich schnell rauszurennen, wäre schade und war erst mal keine Option, sondern eher mit dir zu überlegen: Okay, ich will es so haben und wie kann ich das mit dir, Thorsten, umsetzen.

Ich bin jetzt nicht unbedingt fürs Tanztheater gemacht. Mal ganz ehrlich nachgefragt. Spürst du einen Unterschied beim körperlichen Ausdruck oder bei Gestik und Mimik?

Ich weiß nicht, ob ich die Frage so ganz pauschal beantworten kann. Ich erlebe es schon etwas unterschiedlich. Beim Lachen oder Weinen gibt es keine Unterschiede aus meiner Erfahrung - jedenfalls ich sehe diese nicht. Ich glaube eher, dass es so bei diesen feineren bzw. minimalistischen Ausdrücken Unterschiede gibt. Bei sehenden Menschen wird viel über die Augen ausgedrückt und man sieht Feinheiten. Das ist bei blinden Menschen, meiner Erfahrung nach, nicht so stark ausgeprägt.

Es gibt aber auch starke Unterschiede bei sehenden Menschen. Menschen, die eher nicht so stark emotional sind, also von ihrem Temperament nicht so expressiv sind, und Menschen, die ohnehin eine lebendige Mimik haben. Das ist schon ein spannendes Thema.

Was für mich in der Arbeit mit blinden Schauspieler*innen einen Unterschied macht, ist, dass ich nicht einfach schnell Sachen vormachen kann, wie ich es gerne hätte bzw. was ich mir vorstelle, sondern erklären muss. Also eine bestimmte Geste oder ein bestimmter Gang, wie der Charakter laufen soll. Dann erfordert das viel mehr "Einsatz". Dann laufe ich z.B. der Person hinterher und gebe ganz genaue Anweisungen: mehr mit der Hüfte wackeln, die Füße etwas nach innen, oder außen. Rücken gerade, aber nicht steif....  Und übrigens: Ich finde, Tanztheater mit dir wäre bestimmt fantastisch.

Was ich an der Zusammenarbeit mit dir immer sehr schätze, ist, dass viel ausprobiert wird und du konkrete Vorstellungen hast, was du von den Schauspieler*innen möchtest. Es wird nicht lange herumdiskutiert und problematisiert. Weil wir schon solange zusammenarbeiten, merken wir es vielleicht gar nicht mehr so unbedingt: Gab oder gibt es Reaktionen, von anderen Schauspieler*innen oder dem Publikum, darauf, dass jemand mitspielt, der nichts sieht, über die du dich gewundert hast?

Ich finde die Arbeit mit dir auch absolut unkompliziert und angenehm, so dass ich das manchmal einfach komplett vergesse, dass du nicht siehst. Was die Reaktionen von anderen betrifft: Viele Menschen im Publikum - also bei "Arsen und Spitzenhäubchen" und der "Weihnachtsgeschichte" - haben gar nicht gemerkt, dass du blind bist, weil es eben auch gar kein Thema war. Und das finde ich auch gut so, dass es nicht darum geht: Schau, wie toll der blinde Mann Theater spielt, sondern: Schau, wie toll dieser Mensch Theater spielt. Auch für die Mitspielenden war es kein Thema. Nach anfänglichem Staunen und vielleicht interessiertem Genauerhinschauen warst du irgendwann einfach nur Thorsten.

Persönliche Frage zum Schluss: Was bedeutet dir Theaterspielen oder Theatermachen? Was begeistert dich daran?

Magdalena Kaim: Beim Schauspielen ist es natürlich toll, in eine ganz andere Rolle zu schlüpfen, jemand komplett anderes zu sein. Aus einer anderen Figur heraus zu agieren, aus deren Logik; verstehen, wie sie sich verhalten würde. Der Figur, die man spielt, auch gerecht zu werden. Beim Theatermachen: Meine Vorstellung von Geschichten dann auf der Bühne umzusetzen. Mir geht es so, wenn ich mich dafür entscheide, ein Stück zu machen, dann habe ich eigentlich schon immer die komplette Inszenierung im Kopf. Meine Wunschvorstellung, wie alles sein soll. Diese verändert sich manchmal im Laufe des Probens: Mal freiwillig, mal unfreiwillig, aber am Anfang ist erstmal der Wunsch, diese Idee umzusetzen. Das finde ich einfach toll.

Zur Person

Magdalena Kaim, Regisseurin, Schauspielerin, Autorin. Schauspielausbildung u.a. an der Academy of Stage Arts und Meiser Technik bei Hendrik Martz. Zahlreiche Weiterbildungen im Bereich Regie und Theater. Sie leitet Theaterprojekte in diversen Kontexten (u.a. 2005-2015 Gründung und Leitung des Seniorentheaters Wetzlar, 2016 Videoprojekt mit Menschen mit Behinderung Vitos Herborn, div. Schultheaterprojekte, Unternehmenstheater), inszeniert und schreibt Stücke. Im Jahr 2016 wurde sie für Ihre Hauptrolle in der Webserie "Number of Silence" auf Festivals in Los Angeles, Rom und Seoul dreimal als beste Schauspielerin ausgezeichnet.

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