Eins ist wohl allen werdenden Eltern gemeinsam: Wenn man Mutter oder Vater wird, tauchen mit den zwei Strichen auf dem positiven Schwangerschaftstest sofort völlig neue Themen auf, mit denen man sich vorher nie auseinandergesetzt hat. Wickeln, Stillen, Zähnchen, Beikost und kindgerechtes Tragen - das sind nur einige der Herausforderungen mit Kindern, die das eigene Leben fortan begleiten, egal, ob man nun sieht oder blind ist. Klar, man will optimal vorbereitet sein auf das neue, unbekannte Wesen, das das gesamte Leben auf den Kopf stellen wird. Soweit die graue Theorie, denn wenn ich eins in den sechs Jahren meiner Mutterschaft gelernt habe, dann vor allem, dass ein Leben mit Kindern eines ganz sicher nicht ist: berechenbar - und das gilt für alle Eltern, ob nun sehend oder blind.
Über ein Thema habe zumindest ich mir eigenartigerweise zunächst keinerlei Gedanken gemacht: Wie und was spiele ich, vor allem als blinde Mama, mit meinem Kind. Dabei gehört doch gerade in den ersten Monaten und Jahren der frühen Kindheit das Spiel wie selbstverständlich zur Natur des Kindes.
Erste Lektion: Spielen mit den Kleinsten
Das Spiel ist für ein Kind gewissermaßen lebenswichtig. Schon in den ersten Wochen beginnt es, im Spiel sich selbst und seine Umwelt zu entdecken, vor allem aber den eigenen Körper, also die Finger, die Zehen oder gleich die Füßchen. Ich persönlich habe es in dieser Phase immer ein wenig bedauert, meine beiden Mädchen, heute vier und sechs Jahre alt, dabei nicht beobachten zu können, aber sobald sie sich für die ersten Gegenstände interessierten, die dann auch Geräusche produzierten, war es auch für mich einfacher, meinen beiden Weltentdeckerinnen voller Faszination zu lauschen, wenn sie kleine Plastikflaschen, die ich mit Steinchen, Reis, Linsen oder ähnlichem befüllt und zugeklebt hatte, hin- und herdrehten oder sie auf den Boden fallen ließen, um zu sehen, wie sie rollten. Dabei war jedes Kind anders. Meine ältere Tochter liebte zum Beispiel baumelnde Mobiles. Eins davon aus bunten Holzvögeln hing über ihrem Babybett, und sie konnte stundenlang zuschauen, wenn ich es anschubste und sich die Flügel der Vögel drehten. Aber auch alles, was raschelte, wie Taschentücher-Päckchen, silbrig glänzende Alufolie oder die Stoffbücher mit Knisterseiten, auf denen alle möglichen Tiere abgebildet waren, hatten es ihr angetan. Meine Jüngste dagegen mochte und mag bis heute alles, was besonders viel Lärm macht. Da krachten dann schon mal Trinkbecher, Blechdosen oder besonders große Murmeln auf die Fliesenböden, weil das alles so schön laut war, oder Holzautos wurden mit Schwung gegen die Türen und Schränke gedonnert. Hauptsache, es macht Krach! Dass Mama dann auf den Knien durch die Wohnung rutschen musste, um die vielen Kleinigkeiten, die eifrig irgendwohin befördert wurden, wieder aufzusammeln, war zwar oft lästig, aber notwendig, wenn ich nicht jeden Abend wieder denselben Schmerz spüren wollte, den man empfindet, wenn man barfuß auf kleine Holzautos oder Bauklötzchen tritt - aua!
Zweite Lektion: Vom Kontrollieren und langsamen Loslass-Versuchen
Damit ich meine beiden Mädchen zu Hause gut "im Blick" haben konnte, hatten sie später einen so genannten Laufstall mit einer bunten Krabbel- und Spieldecke im Wohnzimmer stehen, wo sie sich ganze Nachmittage mit den unterschiedlichsten Gegenständen beschäftigten. Der Vorteil für mich: Wann immer sie dort waren, konnten sie weder davonkrabbeln noch konnten sie über das Gitter klettern, blieben also an Ort und Stelle. Ab dem Alter von etwa vier Monaten begann ich zunächst mit meiner Großen, dann mit beiden Mädchen eine Art Krabbelgruppe zu besuchen. FenKid nennt sich das Konzept, und bedeutet im Grunde einfach "die frühe Entwicklung des Kindes begleiten". Es ging darum, die sich entwickelnde Persönlichkeit meines Kindes zu verstehen, also auch, was es braucht, um gut und sicher seine Welt im Spiel zu erkunden. Dabei ist mir auch klar geworden, dass meine Kinder, je älter und je aktiver sie wurden, gerade in ihrem spielerischen Drang, ihre Umwelt zu erobern, mich immer weniger brauchten. Und wenn, dann als "Basisstation", um auftanken und dann wieder durchstarten zu können. In den angeleiteten Kursstunden, die wir besuchten, wechselten innige Krabbel-, Streichel- und Fingerspiele, die die Mamas mit ihren Kindern durchführten, mit dem freien Spiel ab, bei dem wir aber nur Zuschauer und Zuhörer unserer Kinder waren. Da die Umgebung mit altersgerechten Spielmaterialien vorbereitet und die Spielräume in jeder Hinsicht sicher waren, konnte auch ich meine Mädchen dabei immer mehr auf ihre Entdeckungsreisen gehen lassen, ohne Angst vor Gefahren haben zu müssen, die ich nicht einschätzen oder wahrnehmen konnte. Faszinierend war es beispielsweise zu erleben, wie meine Jüngste ab etwa acht Monaten unbedingt in das vorhandene Bällebad klettern wollte. Es brauchte mehrere Anläufe, bis sie es ganz ohne fremde Hilfe geschafft hatte, und als sie dann endlich in die vielen Bälle eintauchen konnte, waren ihr Stolz und ihre Freude auch für mich hörbar, und die Bälle flogen in hohem Bogen durch den Raum.
Dritte Lektion: Corona!
Jawohl, natürlich änderte dieses fiese Virus, das da mehr oder weniger zufällig um die Ecke kam, auch unseren Alltag ab dem 1. Geburtstag meiner Kleinsten vom einen auf den anderen Tag mit Macht. Kein FenKid, keine Kita, keine Oma, keine Freundinnen und keine Spielkameraden für meine Kinder, stattdessen war ab sofort Rund-um-die-Uhr-Bespaßung durch Mama angesagt.
Spielen wurde plötzlich für mich zu einer fast lebensrettenden Alltagsaufgabe, denn Ein- und Zweijährige lassen sich nicht vertrösten und nicht abstellen, und Geduld haben sie schon gar nicht. Also wurde ich quasi zur Kindergartentante: Wir gestalteten Morgenkreise mit den Lieblingskuscheltieren und Puppen, spielten kleine Geschichten mit Fingerpuppen nach, bastelten mit Muffinförmchen oder fuhren Rennen mit Bobbycar und Puppenwagen, wo Teddy und Puppen gegeneinander antraten. Wir machten Picknicks im Sandkasten unserer damaligen Wohnanlage, wir flochten Gänseblumenkränze und spielten nicht zuletzt Müllabfuhr in unserem Hof, der wahrscheinlich nie mehr so sauber und ordentlich ausgesehen hatte. Acht Wochen lang, bis Spielplätze wieder öffneten und ich beschloss, trotz mancher Unsicherheiten, meinen beiden diese ersten Spielplatzerfahrungen auf keinen Fall vorzuenthalten. So hatte ich schon vorher damit begonnen, den Mädchen, wenn wir im Freien waren, kleine Glöckchen an die Schuhe zu binden, so dass sie für mich jederzeit gut zu hören waren. Wegrennen gab es nicht, denn sie hatten offenbar schnell verinnerlicht, dass Mama nicht hinterherkommen und sie "retten" würde. Außerdem war mir der kleine Spielplatz direkt neben unserem Wohnhaus bekannt und die Fläche überschaubar, so dass ich sie mit 1,5 und fast drei Jahren dort ihre ersten eigenen Versuche an Kletterturm, Schaukel und Rutsche machen ließ. Ja, eine Portion Vertrauen brauchte es schon, insbesondere wenn andere Spielplatzeltern zwar freundlich, aber nicht ohne einen gewissen Unterton mir gegenüber ihr Unverständnis äußerten, wie ich so tiefenentspannt meine Mädchen einfach so loslaufen lassen konnte. Naja, entspannt war ich auch nicht immer, dennoch zog ich es vor, nicht ständig hinter meinen Kindern zu stehen oder ihnen permanent hinterherzurennen, damit sie auch ja nichts tun, was gefährlich sein könnte, sondern auf ihre kindlichen Fähigkeiten zu vertrauen, dass sie sich selbst besser einschätzen können als ich. Spielplätze besuchen sie mittlerweile auch schon mal ohne mich, und wenn ich dabei bin, bin ich bestenfalls Beiwerk mit Gummibärchen, und ja, sie leben immer noch, so frei und ungezwungen, wie es nur geht.
Vierte Lektion: An Aufgaben wachsen
Ich hätte es eigentlich nicht erwartet, aber mit der Zeit hat sich für mich eine Erkenntnis herauskristallisiert, die ich mir selbst erst eingestehen musste, so seltsam sie vielleicht anmuten mag: Ich spiele nicht gern, und es stellen sich mir sämtliche Nackenhaare auf, wenn meine jüngste Tochter zu mir kommt und bettelt: "Mama, baust du mit mir ein Legohaus? Aber es muss einen Balkon haben, und eine Treppe ..." Dabei ist sie überaus genau. Natürlich tue ich ihr oft noch den Gefallen, doch es kostet mich noch immer, auch nach sechs Jahren Mamasein, regelmäßig größte Überwindung, denn der Ausgang eines solchen Spielnachmittags ist vorprogrammiert und mir nur allzu vertraut, zumal sie inzwischen sowieso findet, dass sie viel schönere Legohäuser bauen kann als ich, und meine Bauwerke einfach wieder einreißt. Zur Verzweiflung bringt mich dabei aber das regelmäßig hinterlassene Chaos. Wir sind inzwischen in ein Haus gezogen und die Kleine hat nun drei Etagen Platz (mit dem Keller sind es sogar vier), ihr gesamtes Spielzeugkontingent auszubreiten, so dass sich in Kinderzimmern, Bädern, Küche und Wohnzimmer nach maximal zehn Minuten ein Wust aus Puzzle-Einzelteilen, Bauklötzen, vertrockneter Knete, Geschenkbändern und Schnüren, dazwischen Bügelperlen, bekritzeltes Malpapier und Wachsmalkreiden oder Buntstifte, vermischt mit Spielkarten, Pixibüchern, verklebten Kinderscheren und undefinierbaren Basteleien befindet. Im Kindergarten wird nach dem Freispiel dann ein bestimmtes Lied gesungen: "Eins, zwei, drei, / Das Spielen ist vorbei. / Alle Kinder, groß und klein, / Räumen jetzt das Spielzeug ein ..." - Pustekuchen, denn was dort funktioniert, muss zu Hause noch lange nicht funktionieren, weil unserer "Verhau-Nudel", wie die Oma sie nennt, nach dem Spielen immer so sehr die Füße wehtun, dass sie nicht mehr aufräumen kann, und außerdem findet, dass Mama und Papa ihr gefälligst auch mal helfen sollen! Da mir nichts anderes übrigbleibt, als dieses Schlachtfeld mit meinen Händen zu inspizieren, dauert es gefühlte Ewigkeiten, bis die einzelnen Räume wieder halbwegs begehbar sind. Natürlich ist das der Tatsache geschuldet, dass ich eben eine Mutter mit Handicap bin, wie man so sagt. Anders als bei meinem sehenden Partner genügt bei mir eben nicht der umherschweifende Blick, um zu sehen, welche Spuren sich auf Kinderzimmer, Bad und Küche verteilen. Es ist aber wohl auch hier so, wie in vielen anderen Lebensbereichen: Man wächst mit seinen Aufgaben, und auch hier lerne ich zunehmend, locker zu lassen und das, was für Kinder ja gar kein Chaos, sondern eben Spiel ist, mehr und mehr auszublenden. Ein kindgerechtes Zuhause, das ist eben nicht durchgestylt und blitzeblank, das ist eher wie Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt oder das wilde Bullerbü, was für Kinder vor allem eins bedeutet: Freiheit.
Zur Autorin
Bettina Koletnig lebt bei München. Derzeit, so sagt sie von sich, ist sie vor allem Lehrerin für Französisch und Deutsch und Mädchenmama.