Von Dr. Elke Irimia

Wer schreibt, sollte sich irgendwann die Frage stellen: Für wen schreibe ich? Erzähle ich für mich und meine Angehörigen, hat das andere Folgen für mein Schreiben, als wenn ich für die Öffentlichkeit und damit für den Buchmarkt schreibe. Ich richte mich mit meinem Schreiben an den Buchmarkt, damit an Publikumsverlage. Deshalb greife ich im Folgenden Chancen und Schwierigkeiten auf, die mir im Zusammenhang mit dem Buchmarkt begegnen.

Grundsätzlich ist die Ausgangssituation für alle Schreibenden, blind oder sehend, die gleiche: Am Anfang steht die Kurzgeschichte, die für eine Anthologie geschrieben wird, oder der Roman. Und der Text muss gut sein, sonst wird es ein Ladenhüter. Was gut ist, bestimmt der Buchmarkt, also Verlage und Lesererwartungen.

Doch eines ist klar: Blinde schreiben anders als Sehende.

Während Patrick Süskind ("Das Parfum") oder Robert Schneider ("Schlafes Bruder") große Erfolge erzielten, indem sie ihre Protagonisten mit einem dominanten Sinn, Geruchssinn bzw. Hörsinn, ausstatteten, ist der Buchmarkt heute weitgehend vom visuellen Sinn beeinflusst. Das rührt von der weiten Verbreitung der Streamingdienste her. Die sehende Leserschaft setzt nicht auf den Film, der vor dem inneren Auge abläuft, sondern auf den des Displays. Für den Buchmarkt gilt, vor allem für Fantasy, Frauenromane oder Familien-Sagas und historische Romane, dass sie weitschweifende Landschafts- und Tierbeschreibungen enthalten. Aber auch die anderen Genres leben vor allem von der möglichst realistischen Beschreibung der Umgebung. Die ist in erster Linie visuell. Eine Landschaftsbeschreibung etwa gibt die Atmosphäre und Stimmung der Figur wieder und steigert die Spannung. Das macht den Roman lebendig. Vernachlässigt dagegen werden die anderen Sinneseindrücke. Eine Dominanz des auditiven Sinns etwa ist dem Publikum trotz des o. g. Titels fremd.

In Romanen blinder Schreibender findet sich oft eine Ansammlung von Formulierungen anderer (sehender) Schreibender, um die visuellen Eindrücke von Landschaften zu beschreiben. Das Zurückgreifen auf Formulierungen Sehender wirkt wie ein Abklatsch. Sehende verpacken einen visuellen Eindruck in ein Bild. Bildersprache ist sehr abwechslungsreich und einzigartig. Oft werden visuelle Eindrücke auch durch Lautmalerei beschrieben. Sie gibt unter anderem den ganz persönlichen Stil des Autors wieder. Blinde Schreibende sind auf die Formulierungen der sehenden Assistenzen angewiesen.

Oft verzichten vollblinde Schreibende ganz auf die Beschreibung visueller Eindrücke, was an ihrem gewohnten Alltag liegt. Auch die Beschreibung der nonverbalen Kommunikation, die bei Sehenden den größten Teil der menschlichen Interaktion ausmacht, wird immer vergessen.

Da ich als Vollblinde meine Umgebung oder Personen nicht visuell, sondern nur anhand meiner verbliebenen Sinne beschreiben kann, behelfe ich mir mit diversen Apps, wie etwa Flora Incognita oder Be My Eyes zur Bildbeschreibung. Doch zuverlässig sind diese Hilfsmittel nicht immer, weshalb ich häufig auf persönliche Assistenz angewiesen bin. Das Inklusionsamt sagt dazu jedoch: "Schreiben ist Liebhaberei und keine Berufstätigkeit, weshalb hierfür eine Assistenz aus Mitteln der Ausgleichsabgabeverordnung nicht bewilligt werden kann." Weder meine Veröffentlichungen unter Pseudonym in Anthologien noch die Ansicht des Finanzamts, das die "Absicht, dauerhaft mit dem Schreiben Gewinn zu erzielen," anerkannt hat, stimmen das Inklusionsamt um. Zurzeit bezahle ich die Assistenzen selbst. Da Menschen unterschiedlich beschreiben, achte ich sehr darauf, mit den gleichen Personen zu arbeiten. Das ist vor allem bei einem Roman wichtig. Meine Assistenzen habe ich darin geschult, worauf sie achten müssen und worauf es bei der Beschreibung ankommt.

Ich liebe die Recherche vor Ort. Während meine Assistenz mir die Umgebung beschreibt, nehme ich die Atmosphäre mit allen mir verbliebenen Sinnen, Empfindungen und Gefühlen auf. Die Atmosphäre vor Ort macht den Roman oder die Geschichte lebendig und spannend und ist deshalb unverzichtbar. Eine Recherche der Assistenzen auf Google Maps kann das nicht bieten und ist für mich lediglich die zweite Wahl.

Schwierig sind für mich häufig Messebesuche oder Lesereisen, die mich in unbekannte Regionen führen. Hier bin ich auf Hilfe angewiesen, um nicht schon völlig ausgelaugt am Zielort anzukommen. Messebesuche sind wichtig, um sich Verlagen vorzustellen oder mit anderen Schreibenden zum Austausch zu vernetzen.

Schreiben ist eine sehr einsame Tätigkeit. Während des Schreibprozesses verbringe ich viele Stunden allein mit meinem PC, meinem Schreibtisch und meinen Figuren. Was aber, wenn ich an einer Stelle plötzlich nicht mehr weiterkomme? Hier helfen andere Schreibende weiter. Sie sind in der gleichen Situation und verstehen mich. Diskussionen über Plots, die nicht funktionieren, und eigensinnige Figuren, die ganz unverhofft ein Eigenleben entwickeln, sind ihnen nicht fremd. Der Zusammenschluss mit anderen Schreibenden bietet mir auch die Möglichkeit, vor einem Publikum zu lesen.

Lesungen bringen mich in Kontakt mit Lesenden. Wir Schreibenden können uns vor einem Publikum "ausprobieren". Aber in der direkten Kommunikation der Lesenden erfahren wir auch, was sie von unseren Geschichten halten und ob wir ihre Erwartungen erfüllen.

Nicht immer ist es mir möglich, meine Assistenzen zu einer Lesung oder einem Messebesuch mitzunehmen oder bei anderen Schreibenden mitzufahren. Dann greife ich auf die örtlichen Hilfsangebote zurück oder ich beiße mich tatsächlich alleine durch. Letzteres dient zwar nicht gerade dazu, das Ziel ausgeruht zu erreichen, bietet mir aber häufig bereits eine erste Anekdote, um in meine Lesung einzusteigen. Auf diese Weise bin ich gleich zu Beginn im Austausch mit dem Publikum.

Noch bin ich, was die Beschreibung betrifft, auf der Suche nach dem idealen Weg zwischen visuellen Eindrücken und anderen Sinneskanälen. Mein Romandebüt habe ich vom Lektorat zur Überarbeitung zurückbekommen. Die visuellen Eindrücke müssen stärker in den Vordergrund treten.

Zur Autorin

Dr. Elke Irimia, Jahrgang 1966, arbeitet als Krimi-Autorin (Pseudonym: Elke Jan), Sensitivity Readerin und Hörfilmtexterin. Ehrenamtlich engagiert sich Dr. Irimia im Leitungsteam der DVBS-Bezirksgruppe Bayern. Auf der Webseite https://www.elkes-schreibatelier.de gibt es Aktuelles über ihre Arbeit.

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