Kontakte und Beziehungen von Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung bzw. die Wahrnehmung von Defiziten bei der sozialen Einbindung wurden in den letzten Jahren auch zu Themen von wissenschaftlichen Studien und Erhebungen. Mit zwei ausgewählten Hinweisen möchten wir Interessierten gern Quellen für weitere Recherchen anbieten.
"Bisher ist wenig darüber bekannt, ob und in welchem Maße sich Einsamkeit auf das Leben von Menschen mit Sehbehinderung auswirkt", stellten die norwegischen Autor*innen Audun Brunes, Marianne B. Hansen und Trond Heir in ihrer Querschnittsstudie "Einsamkeit bei Erwachsenen mit Sehbehinderung: Prävalenz, assoziierte Faktoren und Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit" aus dem Jahr 2019 fest. Sie untersuchten die Häufigkeit des Vorkommens von Einsamkeit anhand von Interviews und Testverfahren. Das Forschungsteam kam zu dem Ergebnis, dass in Norwegen "fast jeder zweite Erwachsene mit Sehbehinderung von mittelschwerer oder schwerer Einsamkeit betroffen ist ..." und dass Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung Einsamkeit in allen Altersgruppen stärker betrifft als die Allgemeinbevölkerung. Arbeitslosigkeit, Mobbing- und Gewalterfahrungen sowie eine geringere Lebenszufriedenheit waren laut der Studie u.a. mit diesen Werten assoziiert.
Abschließend wird auf Studien aus den Niederlanden, Island und Finnland verwiesen, die ähnlich hohe Einsamkeitsraten bei Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung ermittelt haben. Gleichwohl scheint es auch anders möglich, deutlich niedriger lägen diese in den USA und in Kanada.
▶ Einsamkeit bei Erwachsenen mit Sehbehinderung: Prävalenz, assoziierte Faktoren und Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit. Kompass Ophthalmol (2019) 5 (3): 110-117. https://doi.org/10.1159/000502498
Die Teilhabebefragung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wurde im März 2022 publiziert. Sie gibt Auskunft über die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in zentralen Lebensbereichen. Im empirischen Vergleich zu Menschen ohne Beeinträchtigung geht es dabei um Besonderheiten und spezifische Probleme. Die Teilhabebefragung unterscheidet nach Personen, die in Privathaushalten bzw. in Wohneinrichtungen und Alten- und Pflegeeinrichtungen leben.
In Kapitel 6 wird unter dem Titel "Selbstbestimmung und soziale Einbindung" u.a. dargestellt, welche Ergebnisse für das Gefühl der gesellschaftlichen Zugehörigkeit ermittelt wurden. Differenziert nach der Art der stärksten Beeinträchtigung zeigt sich, bei welchen Menschen das Gefühl gesellschaftlicher Zugehörigkeit bzw. Ausgeschlossenheit stärker ausgeprägt ist. Demnach sagen 69 Prozent der Personen mit der stärksten Beeinträchtigung im Bereich des Sehens "Ich fühle mich (eher) dazugehörig". Etwas weniger dazugehörig fühlen sich 67 Prozent der Personen mit der stärksten Beeinträchtigung im Bereich des Hörens, während sich Personen mit der stärksten Beeinträchtigung durch psychische oder seelische Probleme mit nur mehr 32 Prozent am stärksten ausgeschlossen fühlen (Befragte hier jeweils aus Privathaushalten).
Für die Befragung in Einrichtungen (Alten- und Pflegeheime, Stationäres Wohnen, Betreutes Wohnen) wurde ein anderer Weg gewählt, die subjektiv wahrgenommene gesellschaftliche Position wurde anschaulich ermittelt. Man zeigte den Befragten das Bild eines Fischschwarms, in dem drei Fische farbig hervorgehoben waren. Die Frage lautete: "Der 'gelbe' Fisch schwimmt mittendrin und gehört dazu. Der 'rote' Fisch gehört zum Schwarm, aber er schwimmt ganz am Rand. Der 'blaue' Fisch schwimmt außerhalb des Schwarms und ist von den anderen ausgeschlossen. Stellen Sie sich vor, Sie wären einer dieser Fische. Welcher dieser Fische sind Sie, wenn Sie an Ihr Leben mit anderen Menschen denken?" "Mittendrin" sah sich insgesamt nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent).
▶ Forschungsbericht 598, Abschlussbericht Repräsentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung. infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH. Bonn, 2022. bundesregierung.de/breg-de/suche/abschlussbericht-repraesentativbefragung-zur-teilhabe-von-menschen-mit-behinderungen-2053322
Bild: Fühlen sich Menschen mit Behinderung gesellschaftlich ausgeschlossen? Interessante Antworten gibt es im "Abschlussbericht Repräsentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung". Titelbild des Forschungsberichts.