Musik als Perspektive für einen Nebenjob

Die Idee, eine sogenannte "C-Ausbildung" in der Fachrichtung Orgel anzugehen, war bei mir schon lange irgendwie präsent, da vor einigen Jahren bereits ein Freund meinte, ich hätte doch Talent dazu, und so wurde ich überhaupt auf diese Möglichkeit aufmerksam. Es ist eine kirchliche Weiterbildung, bei der man nach dem Abschluss nebenberuflich die Chance hat, als Chorleiterin tätig zu sein und als Organistin zu unterstützen.

Zunächst lernte ich im Privatunterricht die Grundlagen der Notenschrift, zu mehr fehlte mir aber dann die Zeit, und ich wandte mich musikalischen Möglichkeiten zu, die mir leichter von der Hand gingen, wie die Arbeit in Seniorenheimen in Form von musikalischen Singangeboten. Als dann der erste Lockdown kam, waren meine derzeitigen Honorartätigkeiten im Seniorenbereich und der Arbeit als Lehrkraft plötzlich dahin, und ich wollte mir gern eine neue Aufgabe suchen.

So war dann die Idee geboren, es nun ernsthaft mit der C-Ausbildung zu versuchen, vielleicht sogar in den Fachrichtungen Orgel und Chorleitung.

Viel Planung und Organisation

Natürlich brauchte ich einiges an Vorlaufzeit, denn meine privat erworbenen Blindennotenkenntnisse waren sehr rudimentär. Ich besorgte mir ein Lehrbuch und studierte alles, so gut ich konnte.

Dann ging es also daran, das Gelernte auf das Blattspiel anzuwenden. Denn Notenschrift zu lesen ist durchaus möglich, doch dann schnell das Gelesene in Rhythmus und Töne umzusetzen, war für mich zunächst durchaus eine Herausforderung. Mit viel Geduld, dem Üben in kleinen Abschnitten und durch die Unterstützung einiger blinder Personen gelang es mir schließlich, immer schneller zu werden.

Die C-Ausbildung besteht aus Gruppenseminaren, Einzelunterricht und intensivem, eigenständigem üben. Dabei wird allerdings der Einzelunterricht zum großen Teil von der Kirche bezahlt. Dennoch muss man sich die Lehrer selbst organisieren.

Nun waren also ein Orgellehrer, ein Gesangslehrer und ein Klavierlehrer zu suchen.

Der Kantor der nächstliegenden Gemeinde war bereit mich zu unterrichten, wenn ihm auch jegliche Erfahrung als Lehrer fehlte. Er war es gewohnt, im Gottesdienst zu begleiten, aber im Rahmen dieser Ausbildung unterrichtet hatte er bisher noch nie. Die anderen benötigten Lehrkräfte fand ich durch Rückmeldungen von Bekannten, durch Recherche im Internet und durch glückliche Zufälle.

Erkundung der Kirchen und der Orgeln zum Üben

Ein sehender Mensch kennt die Kirchen, die sich in seiner Nähe befinden, und kann sie entweder mit dem Auto oder dem öffentlichen Nahverkehr erreichen. Selbstverständlich kannte ich ebenfalls die Kirchen in meiner Nähe, doch erreichen konnte ich sie trotzdem nicht, da mir die Wege nicht vertraut waren. Ich beantragte also Mobilitätstraining. Glücklicherweise wurde es mir genehmigt und tatsächlich hatte gerade eine Trainerin Kapazitäten frei, was auch nicht selbstverständlich war.

So lernte ich den Weg zur Orgel, entsprechenden Unterricht gab es noch keinen bis zur bestandenen Aufnahmeprüfung.

Die Aufnahmeprüfung

Bisher hatte ich nur Klavierkenntnisse und bereitete mich selbst auf die Aufnahmeprüfung im Orgelspiel vor. Ein Stück mit Pedal war zu spielen, man spielt hier die Töne mit den Füßen, am Klavier ist man dieses nicht gewohnt, zum Glück sollte ich nur ein Stück dieser Art spielen! Vorgaben, was ich hätte spielen können, erhielt ich über die Kirche keine. Sehende Menschen kaufen sich ihre Noten oder bekommen sie von ihren Lehrern. Ich musste mir alles selbst organisieren. Nun wusste ich auch nicht, was in Blindenschrift verfügbar und für einen Anfänger gut zu spielen ist.

Hier erhielt ich Hilfe aus der Fachgruppe Musik im DVBS. So beschäftigte ich mich mit einem der kleinen Bach-Präludien, mein erstes Stück, das ich ausschließlich nach Blindennoten gelernt hatte! Und immerhin das konnte ich gut spielen.

Ich brauchte schon einige Wochen, bis ich irgendwie in der Lage war, insbesondere die Koordination meiner Füße und Hände so weit zu trainieren, dass es für eine Aufnahmeprüfung reichte. Als ich sie in Bezug auf die Orgel bestanden hatte, gab es Grund zum Feiern! Für Chorleitung hatte man mir aber nahegelegt, ich solle eine Weile hospitieren und sehen, ob die Zusammenarbeit mit dem Dozenten gut funktioniere, dann werde man entscheiden, ob ich dieses Fach weiter belegen könne.

Trainieren, Recherchieren, organisieren

Zwischenzeitlich wurde mir mitgeteilt, dass ich wegen Renovierungsarbeiten nicht auf meiner Übe-Orgel spielen könne, ich musste also auf eine andere Kirche ausweichen. Da ich noch Stunden aus dem beantragten Mobilitätstraining übrig hatte, war auch das machbar.

Über die Fachgruppe Musik bekam ich den Hinweis, wo man das Gesangbuch, zumindest den sogenannten "Stammteil", der in ganz Deutschland gleich ist, mit Noten und Text beziehen konnte. Später habe ich mir auch noch den Regionalteil fürs Rheinland übertragen lassen, weil nie klar war, ob der Stammteil ausreicht.

Zudem habe ich mir das Notensatzprogramm Braille Music Editor zugelegt und angeeignet. Mit dem Programm Sibelius hätte ich auch arbeiten können, aber ich wollte Blindennoten schreiben und fühlen können, nicht lediglich übers Gehör arbeiten müssen, was mit dem Braille Music Editor möglich ist.

So, dachte ich, bin ich einigermaßen ausgerüstet für den Start.

Die Ausbildung beginnt

In meinen Dozenten und auch zwei Kurskolleginnen hatte ich engagierte Leute gefunden, die mir mit Fahrdiensten und auch später bei der Tonsatzprüfung mit Rat und Tat zur Seite standen.

Meine Tonsatzlehrerin tüftelte mit mir eine Generalbass-Schrift aus, die wir dann gemeinsam am Computer nutzen konnten. So konnte ich eine Zeit lang auch diese Aufgaben mit viel Mühe lösen, was aber dann zum Glück für den Abschluss nicht mehr nötig war.

Wir hatten also alle zwei Wochen samstags Chorleitung und Musiktheorie, und noch auswärtige Intensivkurse.

Netterweise war mein Chorleitungsdozent bereit, das Gesangbuch und das Freiburger Chorbuch, das ich bei dem Deutschen Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb) leihen konnte, als Kursmaterial zu benutzen. Für die Orgelliteratur habe ich in der Fachgruppe Musik Beratung gefunden, welches Material für Anfänger geeignet ist.

Trotzdem wäre in meinem Fall eine längere Zeit vor Beginn der Ausbildung Orgelunterricht von Grund auf sinnvoll gewesen, bevor man ein solches Projekt angeht, zumal ich zwei große Orgeln im Wechsel zu spielen hatte - da fehlte mir einfach die Übersicht.

Mit der Zeit merkte ich, dass es sinnvoller ist, mich auf Chorleitung zu konzentrieren. Mein Dozent war dann auch bereit, ein "gutes Wort" einzulegen, so dass ich zur Abschlussprüfung zugelassen wurde. Allerdings habe ich "heimlich" bei meiner Klavierlehrerin, die auch als Chorleiterin tätig ist, in Form von zusätzlichem Privatunterricht Dirigieren geübt. Zudem habe ich jede Möglichkeit genutzt, im privaten Rahmen einen kleinen Chor aufzustellen und daran zu üben, was auch recht erheiternd für uns alle war.

Abschlussprüfung

Im letzten Jahr habe ich die Chorleitungsprüfung bzw. im Jahr davor die theoretischen Fächer Kirchenmusikgeschichte und Liedgeschichte etc. abschließen können.

Allerdings wäre auch das ohne Assistenz für mich kaum möglich gewesen. Im ersten Fall half eine Kombination aus Taxi und Kollegen, im zweiten jemand aus der Familie, denn die Prüfung fand auswärtig statt, und ich hatte viel Gepäck mit Büchern und Laptop usw. Die Prüfung war auch nur machbar, weil meine engagierte Tonsatzdozentin extra mit dem Zug von ihrem Heimatort nach Düsseldorf kam und mir bei der Zugänglichmachung der Aufgabenstellung half.

Mir war es nicht möglich, im Voraus irgendetwas zu klären, weil es hieß, als Prüfling dürfe man vorher keinen Kontakt mit den Prüfern aufnehmen.

Ich hatte dann gebeten mir zu sagen, in welchem Gesangbuchteil die Prüfungsstücke zu finden seien, und habe dann vorher angegeben, welche Nummern in meinem Blindenschriftexemplar wo zu finden sind.

Natürlich war ich aufgeregt, ob die Kommunikation hier gut klappt. Denn wir alle waren nie richtig aufgeklärt worden, wie genau die Prüfungsordnung aussieht. Sie war so uneindeutig und es gab keinen Raum, alles zu klären, sodass man kurz vor der Prüfung noch sich widersprechende Infos über die Prüfungsinhalte bekam. Die Prüfungsordnung online war veraltet, die Broschüre hat jeder anders interpretiert, obwohl ich nur gebeten hatte, sie mir vorzulesen ... Das bekomme ich so gar nicht mehr zusammen, leider, es wäre im Nachhinein sonst ein rechter Lacherfolg.

Als die genannten Prüfungen bestanden waren, fielen mir vermutlich zehn Steine vom Herzen.

Perspektiven nach der Ausbildung

Schon während der C-Ausbildung habe ich hin und wieder über eine Seniorenbeauftragte, die ich durch eine Kollegin kennenlernte, einen Singe-Nachmittag angeboten. Daraus entstand nach meiner Ausbildung ein Singkreis, den ich Mithilfe der Seniorenbeauftragten aufbauen konnte. Wir haben alle viel Spaß zusammen, und ich freue mich immer noch darüber, dass ich auf diese Weise während der Lockdowns eine erfüllende Aufgabe hatte.

Ich habe mir Vieles aneignen und immer wieder neue organisatorische Herausforderungen meistern müssen. Doch inzwischen freue ich mich darüber, all das gemacht und geschafft zu haben. Mich hat die Ausbildung viel Kraft gekostet, aber sie hat mir auch Selbstbewusstsein gegeben.

Auch wenn sich für Jeden die Situation wieder anders darstellt, möchte ich mit diesem Bericht Mut machen für diesen Weg und wünsche allen, die diese Ausbildung anstreben, viel Freude und gutes Gelingen.

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