Ein Satz vorweg: Ich verwende hier mit Absicht keine Klarnamen. Wer sich diesen Artikel entweder von Herrn Duensing oder über eine Sprachausgabe vorlesen lässt, erlebt es sonst vielleicht, dass sich der ein oder andere Sprachassistent meldet. Das stört, und das wollen wir nicht.
Als die A-Dame zu uns kam und was wir mit ihr erlebten
"Na, dann kauf doch so ein Teil." Die beste Ehefrau von allen lässt sich nicht leicht überzeugen, also habe ich sie überredet. Unser Radio in der Küche machte Ende 2020 allmählich schlapp. Statt fröhlicher Musik kam nur noch ein Krächzen aus den Lautsprechern. Das Teil hatte uns viele Jahre gut gedient, hatte es doch auch einen CD-Player eingebaut, auf dem die ein oder andere Silberscheibe gern abgespielt wurde.
Kurz nach Weihnachten stand das Paket vor der Haustür. Auspacken und Anschließen war kein Problem, und die auf dem iPhone laufende App half mir bei der Inbetriebnahme. Ich freute mich wie ein Kind, als die künstliche weibliche Stimme das erste Mal mit mir sprach. Frisch ans Werk und los. "A-Dame, spiele meinen Lieblingssender." Das wurde bestätigt, und schon war der wunderbare Dudelfunk-Sender zu hören. Mit "A-Dame, stopp!" kehrte wieder Ruhe ein. Na, das klappt doch. Auch Songs des Lieblingsinterpreten wurden ohne Murren abgespielt. So allmählich begann ich die Dame auszuhorchen: "Wie wird das Wetter?" "Wie hoch ist die Inzidenz?" (das war die Anzahl derjenigen, die sich durchschnittlich mit dem Corona-Virus infizierten.) "Lese mir den Artikel aus Wikipedia über Louis Braille vor." So ging die Zeit ins Land. Eines Tages kam ich nach Hause und hörte deutsche Schlager aus den 70er Jahren. "Damit sind wir doch aufgewachsen. Ich hab's ausprobiert, und einfach gesagt, dass sie Schlager spielen soll." Die beste Ehefrau von allen ist gut gelaunt, und vielleicht erlebe ich den Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Inzwischen hatte ich noch ein Modul gekauft, das ich mit meiner HiFi-Anlage koppeln konnte, so hatten wir nun auch Musik im Wohnzimmer. An langen Nachmittagen in der Corona-Zeit erstellte ich ein paar Playlisten, also Musik, die ich besonders gern höre. Kehrt nun also der große Friede ein? Sie ahnen es schon, es ist eher ein Waffenstillstand.
Du bist doch gar nicht gemeint
Eine liebe Freundin schickte eine WhatsApp und erzählte: "Ich habe jetzt auch eine A-Dame." Da erwachte unser Exemplar aus dem Dämmerschlaf und fragte, wie sie helfen könne. "Du bist nicht gemeint", gab die beste Ehefrau von allen etwas grimmig zurück. "Alles klar", ließ sich die weibliche Stimme wieder vernehmen, dann schwieg sie. Und dann kam wieder eine WhatsApp von einer anderen lieben Freundin: "Du, das muss ich Dir erzählen. Ich sitze auf der Terrasse und will Fußball hören. Ich sage also A-Dame, spiele die Bundesliga-Konferenz von der Sportschau. Und nichts passiert. Ich sage das nun etwas lauter und wundere mich, warum ich die Reportagen so leise höre. Da kommt der Nachbar an den Zaun und sagt, dass ich jetzt seine A-Dame aktiviert hätte. Mann, habe ich gelacht!" "Liebe Freundin, nicht nur Du, ich auch", antworte ich ihr.
Und dann war da noch das kleine Experiment beim Italiener um die Ecke. "He Iris, wie spät ist es?", frage ich einfach mal. Die Antwort kommt von irgendwo her. Ein Mann am Nebentisch meint, jetzt habe sein iPhone geantwortet.
D-Dame, Du hast wohl was an den Ohren
Die Helferin von Amazon und ihr Pendant von Apple gerieten 2023 gewaltig ins Hintertreffen. ChatGPT und der Copilot von Microsoft zeigten, was man heute schon mit künstlicher Intelligenz machen kann. Amazon hatte sich vorgestellt, dass die Kundinnen und Kunden ihre Assistentin auch zum Einkaufen benutzen könnten. Das ging daneben, weil die Kundschaft eher auf die Dienste eines künstlichen DJs setzte. Aber auch das geht nicht immer: Ich habe die irische Sängerin Eleanor McEvoy fest in mein Herz geschlossen. Wenn ich Musik von ihr hören will, ist unsere A-Dame damit offensichtlich überfordert. Sie versteht irgendwas und spielt etwas Grausiges, was wir nicht hören wollen. Einmal haben wir im Chor "A-Dame, du bist doof" gerufen. Antwort: "Das habe ich leider nicht verstanden."
Ich wage einen Blick in die Glaskugel
Ich denke, der Nutzen von KI-gesteuerten Systemen ist größer als der Schaden. Wir werden es bald erleben, dass die Dialoge der Helden in den Science-Fiction-Serien der 60er und 70er Jahre bald von der Wirklichkeit eingeholt werden. Wir werden Fahrkarten und Umsteigehilfen sowie Hotels mit unserer Stimme buchen können. Länger wird es dauern, bis uns ein elektronischer Blindenhund durch die Welt führen wird. Wir dürfen aber nie die Kontrolle über die Maschinen verlieren, das ist wichtig. Bis dahin kann uns die A-Dame ein paar Platten spielen, die wir in unserer Jugend gehört haben. Und da gibt es ja noch die alten Krimis mit dem Privatdetektiv Paul Temple, die findet die A-Dame übrigens ohne Probleme.
Zum Autor
Wilhelm Gerike ist seit Geburt blind. Nach dem Abitur an der blista absolvierte er dort eine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann. Er arbeitet in der DVBS-Geschäftsstelle in Marburg und ist unter anderem für die Erstberatung bei sämtlichen Fragen um das Thema Blindheit, Sehbehinderung und Technik zuständig.