Von Dr. Michael Richter
1. Daten und Fakten
Uns, d.h. die Rechte behinderter Menschen gGmbH (rbm), gibt es nun seit fast 16 Jahren. Wir arbeiten inzwischen an den vier „Standorten“ Marburg, Berlin, Düren und München, wobei es sich bei den beiden letztgenannten um „Homeoffices“ zweier Juristinnen handelt. Insgesamt arbeiten wir derzeit mit fünf mindestens mittelbar selbst durch eine Sehbehinderung betroffenen Juristinnen und Juristen und sechs bis sieben weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von denen einige in Teilzeit arbeiten.
Mit diesem Team haben wir in den 16 Jahren ca. 10.000 Rechtsvertretungen und ca. 75.000 Rechtsberatungen in behinderungsspezifischen Rechtsfragen durchgeführt. Wir vertreten unsere Klientinnen und Klienten durch Widersprüche, Klagen, Berufungen etc. ausschließlich auf dem Gebiet des Sozial- oder Verwaltungsrechts (vgl. § 73 Absatz 2 Nr. 8 und § 67 Absatz 2 Nr. 6 und 7 VwGO). Die Fälle oder Anfragen werden je nach Thema unseren einzelnen Juristinnen und Juristen zugeordnet und von ihnen bearbeitet. Denn mittlerweile haben sich bestimmte Arbeitsschwerpunkte herausgebildet, wie z.B. Schwerbehindertenausweisangelegenheiten und damit verbundene Nachteilsausgleiche, Schul- und Ausbildungsangelegenheiten, Rentenrecht oder Krankenkassenrecht. Trotzdem verfügen natürlich alle unsere Juristinnen und Juristen über fundiertes Wissen in den Rechtsgebieten, in denen wir tätig sind. Wir tauschen uns außerdem wöchentlich telefonisch über die aktuell zu bearbeitenden Fälle aus. Denn es ist z.B. im Rahmen der Urlaubsvertretung auch einmal notwendig, über den eigenen Schwerpunkt hinaus Fälle oder Anfragen bearbeiten zu können. Auch wenn es um die Vertretung z.B. vor Gericht geht, weichen wir von der inhaltlichen Zuordnung der Arbeitsschwerpunkte ab, denn dann ist es aus Gründen der Arbeitseffizienz natürlich sinnvoller, wenn derjenige zum Vororttermin reist, der oder die eine kürzere Anreise hat. Auch in diesen Fällen ist in der Regel die Qualität der Vertretung gewährleistet, denn zum einen greifen unsere Juristinnen und Juristen bei der Vorbereitung des Termins auf eine detaillierte Fallakte zurück, zum anderen sprechen sie bei Unklarheiten mit dem vorherigen „Sachbearbeiter“. Außerdem sind alle derzeit beschäftigten fünf Juristinnen und Juristen bereits sehr erfahren und verfügen jeweils über mindestens knapp zehn Jahre Berufserfahrung bei der rbm.
Die Spezialisierung der rbm und ihrer Mitarbeiter, ihre Kompetenz und das klar begrenzte Rechtsgebiet führen zu einer sehr hohen Erfolgsquote in der Rechtsvertretung. Sie dürfte bei ca. 70 % liegen und ist damit mehr als doppelt so hoch wie der allgemeine Erfolgsdurchschnitt.
2. Die konkrete Arbeit der rbm: Rechtsberatung, Einzelvertretungen, Projekte
Der „Kern“ der Arbeit der rbm in rechtlichen Fragen besteht aus der individuellen Beratung und Vertretung von Mitgliedern des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) und Mitgliedern der Organisationen, die zu ihren korporativen Mitgliedern zählen, wie etwa Pro Retina, DVBS oder der Bundesvereinigung Eltern blinder und sehbehinderter Kinder e.V. (BEBSK) und LMU. Als gemeinnützige Tochtergesellschaft des DBSV und seiner vier Landesorganisationen (ABSV, BBSB, BSVH und BVN) haben wir unseren Sitz in Marburg. Unser Angebot für blinde und sehbehinderte Menschen ist mittlerweile etabliert. Das Wirken der rbm ist dabei in zweierlei Hinsicht wichtig: Zum einen erhalten blinde und sehbehinderte Menschen die individuell notwendige und bedarfsgerechte rechtliche Unterstützung, um ihr Leben selbstbestimmt gestalten zu können. Zum anderen bieten die gewonnenen Erfahrungen und Informationen aus den Einzelfallvertretungen wichtige Erkenntnisse über strukturelle Defizite und helfen dabei, die politische Arbeit der Selbsthilfeverbände – wie die des DBSV oder des DVBS – zu unterstützen, um rechtliche Grundlagen für eine Teilhabe zu verbessern.
Inhaltlich sind die nachgefragten Themen breit gestreut. Sie beziehen sich schwerpunktmäßig regelmäßig auf sozialrechtliche Fragen, den Diskriminierungsschutz und verbraucherrechtliche Belange. Im thematischen Fokus stehen zahlreiche Rechtsstreitigkeiten aus den Bereichen Hilfsmittelversorgung (einschließlich Blindenführhunde), der Teilhabe am Arbeitsleben, der Erwerbsminderung sowie Fragen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. Insbesondere die Verfahren zu Ansprüchen auf Eingliederungshilfe sind zunehmend anspruchsvoll und zeigen ein im höchsten Maße heterogenes Vorgehen der Länder bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. Es zeichnet sich immer stärker auch ein politischer Handlungsbedarf ab, um zu einer bundesweit einheitlicheren Leistungsgewährung zu kommen.
Darüber hinaus hat die rbm gemeinsam mit dem DBSV das von Aktion Mensch geförderte Projekt „Barrierefreiheit durchsetzen, Diskriminierung ahnden“ jahrelang praktisch umgesetzt und begleitet auch aktuell noch ausgewählte Musterfälle in diesem Bereich. In den vergangenen Jahren konnten einige Erfahrungen im Umgang mit dem Instrument der Verbandsklage gemacht werden, und diese wurden auch entsprechend veröffentlicht. Erfolgreich waren beispielsweise einige Verbandsklagen gegen die ungeordnete Verleihung von E-Rollern in den Städten. Denn nun ist gerichtlich festgestellt, dass die Verleihfirmen eine Sondernutzungserlaubnis mit Auflagen zur Gefahrenminderung für z.B. blinde und sehbehinderte Menschen benötigen. Die ausführliche Berichterstattung der Medien über diese Fälle und über häufige Unfälle hat sogar dazu geführt, dass der aktuelle Bundesverkehrsminister ernsthaft über eine deutliche „schärfere“ Regulierung dieses Verleihangebots nachdenkt.
Immer wieder gelingt es der rbm, richtungsweisende, die selbstbestimmte Teilhabe sehbehinderter oder blinder Menschen unterstützende Entscheidungen herbeizuführen. Ein Beispiel aus dem letzten Jahr ist die Bestätigung des Verwaltungsgerichts Mainz vom 10.10.2024, dass ein Anspruch auf Arbeitsassistenz während der „Wiedereingliederungsphase in der Elternzeit“ zurück in den Beruf besteht (vgl. horus 2/2025, S. 40, Brailleausgabe S. 251).
Schließlich etablierte sich auch das Angebot der Antidiskriminierungsberatung, das die rbm im Rahmen einer durch Landesmittel finanzierten Beratungsstelle in Mittelhessen organisiert, um für eine bessere Vernetzung in diesem Bereich zu sorgen.
Zusammengefasst kann man mit Fug und Recht behaupten: Die Arbeit unserer Gesellschaft berührt oft individuell richtungsweisende Sachverhalte, z. B. bei der Durchsetzung einer Erwerbsunfähigkeitsrente, die Kostenübernahme für einen Schul- oder Berufswunsch, notwendige Teilhabeleistungen für ein selbstbestimmtes Leben, u. ä. Die Vertretung durch die rbm umfasst alle Instanzen, wie einige höchstrichterliche Urteile vom BSG oder BVerwG zeigen, und bedeuten oft sogar echte juristische Pionierarbeit, wie im vorbenannten Verbandsklageprojekt oder bei der Vertretung von Diskriminierungsfällen. Die Tätigkeit der rbm ist daher äußerst abwechslungsreich und sinnvoll.
3. Die rbm als Inklusionsfirma und Ausbildungsbetrieb
Wie eingangs bereits dargestellt, sind alle unsere fünf Juristinnen und Juristen – zumindest mittelbar – von einer Behinderung betroffen. Dieser Umstand macht die rbm als gemeinnützige GmbH und als Inklusionsbetrieb so besonders, denn während bei der Vielzahl dieser Betriebe in der Regel die Personen in der Geschäfts- und Personalführung „nicht behindert“ sind, ist dies bei der rbm genau umgekehrt.
Die Kombination dieser Ausgangssituation mit unseren hochspannenden Sachthemen und dem inzwischen wohl auch ganz passablen Ruf führt regelmäßig zu Anfragen bei der rbm, ob wir nicht auch als Ausbildungsbetrieb zur Verfügung stehen könnten und unterschiedlichste Formate, wie Praktika oder Ausbildungen, betreuen könnten. Diesen Wünschen – sofern möglich – kommen wir gerne nach. Dies führt und führte zur Betreuung unterschiedlichster Praktika, d.h. zweiwöchiger Schülerpraktika in der 10. Klasse, Halbjahrespraktika von Fachoberschulabsolventen, vierwöchiger Studienpraktika von Jurastudenten bis hin zu zwei vollständigen Ausbildungen zur Rechtsanwaltsfachangestellten (IHK) und mehreren Betreuungen von Referendaren als Stationsausbilder auf dem Weg zum 2. Staatsexamen.
Sehr spannend ist dabei festzustellen, dass die rbm nicht nur für Menschen mit einer Behinderung als Ausbildungsbetrieb attraktiv zu sein scheint, bei denen man vermuten könnte, dass die Hoffnung auf ein möglichst barrierefreies Arbeitsumfeld Motivation zur Bewerbung sein könnte. Auch für Bewerberinnen und Bewerber ohne eine Behinderung hat die rbm offenbar etwas zu bieten. Insbesondere an der Universität Marburg scheint es sich im Fachbereich „Jura“ herumgesprochen zu haben, dass man in der rbm interessante Sachverhalte bearbeiten darf und mit Rechtsgebieten in Kontakt kommt, die oft nicht Teil der hochschulischen Ausbildung sind und bei denen man einen wichtigen und wertvollen Beitrag zu echter „Pionierarbeit“ leisten kann.
4. Fazit
Die rbm hat sich bewährt und ist aus der Selbsthilfearbeit, insbesondere der Verbände, die sich mit Sehbehinderung oder Blindheit beschäftigen, nicht wegzudenken.
Leider gibt es in den juristischen Tätigkeitsfeldern, mit denen wir uns beschäftigen, viel zu wenig Akteure. Deshalb ist es uns wichtig, möglichst viele Multiplikatoren zu erreichen. Gerne klären wir über unsere Arbeit auch im Rahmen eines Praktikums oder im Rahmen von Ausbildungen auf, gewähren Einblicke und hoffen, für unsere Anliegen zu werben – bestenfalls mit dem Ergebnis, zukünftige qualifizierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu gewinnen. Natürlich passt dies nicht immer zeitlich oder organisatorisch in den innerbetrieblichen Ablauf, wir bemühen uns aber immer, den Wünschen nachzukommen und Anfragen positiv zu beantworten.
Letztlich muss ich aber leider eingestehen, dass ich die Hoffnung von Menschen mit einer Behinderung, bei uns auf vollständig barrierefreie Arbeitsstrukturen zu stoßen, enttäuschen muss. Denn trotz großer Anstrengungen und einem gehörigen Eigeninteresse scheitern auch wir an einzelnen Stellen, z.B. bei der Verwendung einer barrierefreien Rechtsanwaltssoftware, weil es diese einfach gar nicht gibt.