Beispiele zur Anregung, Begründung von Leistungsforderungen und zum Erfahrungsaustausch

Von Klaus Winger

DVBS-Projekt "Good Practice Arbeitsassistenz"

Der DVBS möchte gerne interessante und gelungene Arbeitsassistenzlösungen unterschiedlichster Art kurz dokumentieren und allen Interessierten zur Information und zum Austausch zur Verfügung stellen.

Diese Lösungsbeispiele können Interessierte auf gute Ideen für eigene Arbeitsassistenzkonzepte bringen. Die Assistenznehmenden hinter den Beispielfällen stehen, vermittelt durch die DVBS-Geschäftsstelle, zum Austausch zur Verfügung. Die Beispiele sollen auch eine Hilfe sein für die Fälle, in denen vergleichbare Assistenzbedarfe angemessen sind aber von Integrationsämtern nicht wie gewünscht bewilligt werden. Dann können Antragstellende unter Verweis auf passende Beispiele leichter argumentieren. Denn: Warum soll bei mir nicht genehmigt werden, was im vergleichbaren Fall anderswo gut funktioniert?

Also sollen in der Zeit bis zum 1. Mai 2022, dem nächsten "Tag der Arbeit", gut funktionierende, zufriedenstellende und ganz oder teilweise besonders interessante Arbeitsassistenzlösungen kurz skizziert und über den DVBS veröffentlicht werden.

Sie als Assistenznehmende, deren Beispiele dokumentiert sind, bleiben bei der Veröffentlichung anonym. Im Falle von Rückfragen nimmt die DVBS-Geschäftsstelle Kontakt mit Ihnen auf und klärt, ob Ihr Beispiel von Interessierten mit Ihnen persönlich besprochen werden kann. Dann wird ein Kontakt vermittelt.

Das Projekt "Good Practice Arbeitsassistenz" soll bis zum 1.Mai 2022 laufen. Klaus Winger führt es im Auftrag der DVBS-Vorsitzenden durch.

Bitte wenden Sie sich per Mail an ihn, wenn Sie glauben, ein ganz oder teilweise gutes, pfiffiges, weitreichendes, gut gefördertes, funktionierendes Arbeitsassistenzmodell zu praktizieren bei: winger@dvbs-online.de.

Klaus Winger meldet sich bei Ihnen, bespricht mit Ihnen Ihr Modell und wenn Sie wollen, interviewt er sie etwa 20 Minuten lang. Das dokumentierte Interviewergebnis bekommen Sie zur Prüfung und Korrektur. Dann wird es anonym veröffentlicht.

Er wäre schön, wenn Sie mitmachen!

Und hier die ersten Beispiele guter Arbeitsassistenz:

Beispiel 1
Leitende Funktion im Bereich Beraten, Informieren, Bilden, Coachen

Als von Geburt an blinde Sozialarbeiterin bin ich in leitender Position tätig. Seit Beginn meines beruflichen Wirkens arbeite ich mit Arbeitsassistenz.

Mein Beruf erfordert das 2-3-mal wöchentliche Unterwegssein in meinem Bundesland, ca. 6 mal jährlich auch außerhalb meines Bundeslandes.

Ich habe eine Teilzeitstelle (75%), nutze ein Notebook und die üblichen Blindenhilfsmittel. Im Umfang von 18 Wochenstunden kann ich auf Assistenz zurückgreifen.

Aufgrund des häufigen Unterwegsseins und der bei einer Leitungsposition erforderlichen Flexibilität variieren meine Arbeitszeiten und damit verbunden auch der Einsatz der Assistenz sehr. Für meine Arbeitsassistenz nutze ich das Dienstleistungsmodell. Bei der Entscheidung für einen bestimmten Dienstleister ist die Sicherstellung von Vertretung ein Muss. Ich lege Wert darauf, dass die Abrechnung der von mir in Anspruch genommenen Assistenzleistung gegenüber dem Integrationsamt durch mich selbst erfolgt, nicht direkt durch den Dienstleister. Das Dienstleistungsmodell erhöht meine Flexibilität, z. B. auch bei der Urlaubsplanung.

An meinem Dienstort habe ich, vermittelt durch einen Assistenzdienstanbieter meines Dienstorts, eine Assistentin.

Zudem beziehe ich Assistenz von einem Assistenzanbieter meines Wohnorts, der einen relativ großen Assistenzpool zur Verfügung stellt. Durch beide von mir in Anspruch genommenen Assistenzdienstanbieter ist die Vertretung sichergestellt. Die Vergütung der Assistenz richtet sich nach den Stundensätzen des Assistenzdienstleistungsanbieters.

Regelmäßig arbeiten bei mir 4 Assistent*innen.

Zudem habe ich die Möglichkeit, dass, nach vorheriger Absprache mit meinem Leistungsträger, dem Integrationsamt, bei besonderen Bedarfen zusätzlich Arbeitsassistenzkräfte auf Rechnung für mich arbeiten können. (Hier wird der aktuell gültige Vergütungssatz meines Leistungsträgers zugrunde gelegt.) Dieses Vorgehen bewährt sich für mich bei der Inanspruchnahme von Assistenz bei ein- oder mehrtägigen Dienstreisen in eine andere Stadt.

Dieses relativ offene Assistenzorganisationsmodell gibt mir große Flexibilität. Der Preis dafür ist natürlich, sich immer wieder auf neue Menschen einzustellen und diese so, wie es für eine gute Zusammenarbeit sowie für die Erfüllung der jeweiligen Aufgaben erforderlich ist, einzuarbeiten.

Folgende Tätigkeiten werden von meinen Assistent*innen erledigt:

Mobilitätsassistenz (z. B. Begleitung zu bestimmten Orten, Heraussuchen von günstigen Reiseverbindungen); Informationsassistenz (Feedback zu nonverbalen Situationen, Vorlesen von Auslagen, Internet- bzw. Literaturrecherche, Erläuterung von Graphiken); Technische Assistenz (nach inhaltlichen Vorgaben: grafische Gestaltung und Formatierung von Präsentationen, Assistenz bei der Bedienung von Whiteboards in Onlinetreffen sowie bei der Bedienung von Onlinetools und -Plattformen, Konvertierung von Dokumenten in eine für mich barrierefrei lesbaren Form); Assistenz bei Verwaltungsaufgaben: Ablage, (nach meinen Vorgaben), Postversand, Assistenz bei der Unterzeichnung von Dokumenten, Textlayout.

Wie bei allen Stellenausschreibungen wird die erforderliche Kompetenz der Assistenz in der Stellenausschreibung entsprechend verzeichnet. Die Einarbeitung der Assistenz in blindenspezifische Aufgaben erfolgt aufgabenbezogen durch mich.

Die Kosten, die die Beschäftigung einer Assistenz verursacht und die Arbeitsmittel, die sie zusätzlich benötigt, wurden mir bisher von meinem Leistungsträger erstattet.

Beispiel 2
Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens

Der Geschäftsführer und Arbeitsassistenznehmer ist als studierter Betriebswirt insbesondere tätig in den Bereichen wirtschaftliche Leitung und Personaladministration, kaufmännischer Service für Partner und Vermögensverwaltung.

Er ist hochgradig sehbehindert, gesetzlich blind und muss mit weiterer Sehkraftverschlechterung rechnen. Er nutzt übliche Hilfsmittel, insbesondere Screenreader, Bildschirmlupe und in geringerem Maße auch eine Braillezeile.

Der Assistenznehmer kann wöchentlich 20 Stunden Arbeitsassistenz einsetzen. Im Rahmen des Arbeitgebermodells beschäftigt der Geschäftsführer seine Assistenzkräfte auf Minijobbasis zusätzlich zu deren Anstellungsverhältnis im Betrieb. Die Assistenzstunden verteilt er auf 3 bis 4 im Betrieb angestellte Mitarbeitende. Sie sind in seinen verschiedenen Tätigkeitsbereichen beschäftigt und verfügen so auch über entsprechend profunde Fach- und IT-Anwendungskenntnisse.

Ihre Assistenztätigkeiten sind insbesondere: Auf Anweisung Vertrags- und vergleichbare unterlagen (Papier) suchen, teilweise vorlesen; auf Anweisung Papierunterlagen und Grafiken (Folien) für Gespräche mit Geschäftsführungen anderer Unternehmen oder Partner vorbereiten und den Assistenznehmer zu und in Gesprächen begleiten; in Gesprächen von Dritten präsentierte Folien und Zahlenwerke vorlesen und beschreiben; Grafiken und Papierunterlagen bei Fortbildungen des Assistenznehmers darstellen und erläutern; Unterstützung bei Nutzung barrierehaltiger IT-Anwendung nach Anweisung.

Der Arbeitsassistenznutzer erhält im Jahr 2021 vom zuständigen Integrationsamt € 18,50 pro Assistenzstunde.

Er empfindet seine Arbeitsassistenzlösung als sehr positiv. Er kann das Assistenzpersonal bedarfsgerecht und flexibel einsetzen. Die Assistenzkräfte verstehen seine Assistenzanliegen und seine Anweisung sehr gut, weil sie selbst vom Fach sind und auch die genutzten IT-Systeme sehr gut kennen. Als Beschäftigte des Betriebes nehmen sie an Fortbildungen teil und sind so fachlich up to date. Ebenso sind Datenschutz- und -sicherheitsprobleme aufgrund der betrieblichen Beschäftigungsverhältnisse gelöst.

Beispiel 3
Lehrerin an einer Förderschule (Lernen und Sprache)

Die Arbeitsassistenznehmende ist mit einer vollen Stelle als Lehrerin beschäftigt. Sie leitet eine Klasse und ist in verschiedenen Lerngruppen eingesetzt. Sie ist auch für deren Beaufsichtigung in Innenbereichen verantwortlich. Pausenaufsicht für alle Schüler übernimmt sie nicht. Fahrten mit ihrer Klasse führt sie verantwortlich durch.

Die Lehrerin ist hochgradig sehbehindert, gesetzlich blind. An Hilfsmitteln nutzt sie Screenreader, Vergrößerungssoftware Bildschirmlese- und Braillenotiz-Gerät.

Sie kann pro Woche 26 Stunden Arbeitsassistenzleistungen im Rahmen des von ihr favorisierten Dienstleistungsmodells einsetzen. Eine der Assistenzkräfte ist im Volumen von 20 Stunden wöchentlich eingesetzt, die andere ist 6 Stunden tätig. Die 20-Stunden-Kraft begleitet die Lehrerin an vier Tagen im Unterricht, die andere Kraft an einem Tag. Im Unterricht werden auf Anweisung insbesondere Tafelbilder erstellt und Texte aus Unterrichtsmaterialien (Papier) und schriftlichen Produkten der Schüler vorgelesen. Außerdem wird die Assistenznehmerin bei der Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht in der Lerngruppe unterstützt. Im Rahmen der Unterrichtsvor- und -nachbereitung übernehmen die Arbeitsassistenzkräfte Aufgaben wie Scannen von Materialien, Vorlesen handschriftlicher Schülerarbeiten, Lernmaterialsichtung und -aufbereitung nach Anweisung.

Die Assistenzkräfte sollten zugewandt und offen sein, sich aber auch zurücknehmen können (keine Ersatzlehrer sein wollen). Sie müssen gute Rechtschreib- und PC-Kenntnisse haben und sollten Grafiken sowohl verbal darstellen als auch auf Anweisung erstellen können.

Das Integrationsamt vergütet den regionalen Dienstleister entsprechend dessen Preisen, 2021 ca. € 23 pro Stunde.

Die Assistenznehmerin ist mit ihrem Modell zufrieden. Der Dienstleister sorgt in aller Regel für Vertretungspersonal. Dabei ist zu bedenken, dass die Lehrerin in einer sehr ländlichen Region tätig ist, was die Suche nach geeigneten Vertretungs-Assistenzkräften manchmal etwas erschwert.

Beispiel 4
Lehrerin an einer Regelgrundschule

Die Arbeitsassistenznehmende ist mit einer 75-prozentigen Stelle als Lehrerin an einer Regelgrundschule beschäftigt. Sie arbeitet mit Sprachlerngruppen in mehreren Kitas und gibt Ethikunterricht in Klassenverbänden für deren Beaufsichtigung in Innenbereichen sie auch verantwortlich ist. Pausenaufsicht für alle Schüler übernimmt sie nicht.

Die Lehrerin ist hochgradig sehbehindert, gesetzlich blind. An Hilfsmitteln nutzt sie Screenreader, Spracherkennungssoftware, Orcam, ein Bildschirmlesegerät und hauptsächlich ihr iPhone.

Sie kann pro Woche 17,5 Stunden Arbeitsassistenzleistungen im Rahmen des von ihr favorisierten Arbeitgebermodells einsetzen. Die Lehrerin beschäftigt drei Assistenzkräfte in Minijobs. Die Assistenzkräfte fahren die Arbeitsassistenznehmerin zu ihren unterschiedlichen Einsatzorten für die Sprachförderung, holen die Förderkinder dort aus ihren Gruppen und sind im Unterricht präsent. Sie teilen nach Anweisung Arbeitsblätter aus, lesen vor, überprüfen wo nötig, ob die Schüler*innen die Arbeitsanweisungen auch ausführen, bedienen eine Videokamera und unterstützen bei der Korrektur von Heften und Arbeitsblättern. Außerdem wird die Assistenznehmerin von ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht im Unterricht unterstützt.

Die Arbeitsassistenzkräfte sind für ihre Tätigkeiten nicht besonders qualifiziert. Die in einer sehr ländlichen Region tätige Assistenznehmerin hatte und hat keine Möglichkeiten der Auswahl besser geeigneter Kräfte. Sie hat deshalb in Absprache mit der Schulleitung ihr Tätigkeitsspektrum pragmatisch so gestalten können, dass sie die anfallenden pädagogischen Tätigkeiten wie auch die Unterrichtsvorbereitung weitestgehend selbständig durchführen kann. Diese Tatsache reduziert auch die Abhängigkeit von der Assistenzkraft, was die Lehrerin als großen Vorteil empfindet.

Die Assistenzkräfte werden bei konkreten Anlässen durch Ansprache möglicher Verhaltensoptimierungen oder von Fehlverhalten von der Arbeitsassistenznehmerin so gut wie möglich fortgebildet.

Die Lehrerin nutzt Arbeitsassistenz seit etwa sieben Jahren. Das Integrationsamt finanziert die Arbeitsassistenzleistung in 2021 durch einen monatlichen Betrag von ca. 1.200,- Euro.

Die Assistenzkräfte erhalten in ihren Minijobs 11,- € pro Leistungsstunde. Vom Integrationsamt ist angekündigt, dass die Finanzierung bei Erhöhung des Mindestlohns auf 12,- € entsprechend angepasst wird.

Die Assistenznehmerin hat ihr Modell entsprechend den regionalen Möglichkeiten pragmatisch nach Machbarkeit gestaltet. Durch die Beschäftigung der drei Assistenzkräfte kann sie krankheitsbedingte Fehlzeiten gut ausgleichen.

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