Von Dr. Michael Richter(1)
Erst kürzlich wurde vom Bundestag und Bundesrat das sogenannte „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes“ (Bundestag-Drucksache 20/5664, Bundestag-Drucksache 20/6442) beschlossen. Es tritt am 01.01.2024 in Kraft. Das Ziel ergibt sich aus dem Namen und es beinhaltet im Wesentlichen Regelungen zur Änderung insbesondere einiger Förderregularien des SGB IX. Die wichtigsten sind:
1. Die sogenannte Ausgleichsabgabe wird erhöht
Zukünftig wird für Arbeitgeber ab 60 Beschäftigte, die keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, eine sogenannte „vierte Staffel“ bei der Ausgleichsabgabe eingeführt. Für solche Arbeitgeber heißt das, dass sich ihre künftige Ausgleichsabgabe ab dem 01.01.2024 erhöht. Quasi im Gegenzug entfällt jedoch die Möglichkeit zur Ahndung eines Verstoßes gegen die Beschäftigungspflicht im Rahmen eines zusätzlichen Bußgeldes.
2. Konzentration der Mittel der Ausgleichsabgabe
Die Möglichkeit, Mittel aus der Ausgleichsabgabe auch für zum Beispiel Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), das heißt für Maßnahmen außerhalb der Förderung der Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt zu verwenden, wird zukünftig ausgeschlossen.
3. Einführung einer Genehmigungsfiktion für Anspruchsleistungen des Integrationsamtes
Schwerbehinderte Menschen haben unter anderem Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz. Künftig wird eine Genehmigungsfiktion nach Ablauf von sechs Wochen gelten. Das bedeutet, dass ein Integrationsamt spätestens innerhalb von sechs Wochen über einen eingegangenen Antrag (zum Beispiel für Arbeitsassistenz) entschieden haben muss! Andernfalls gilt der Antrag als genehmigt. Dies soll den zeitnahen Abschluss des Bewilligungsverfahrens der Integrationsämter und, insbesondere mit Blick auf übliche Probezeiten, die Arbeitsfähigkeit von neu eingestellten schwerbehinderten Beschäftigten sicherstellen.
4. Aufhebung der Deckelung für den Lohnkostenzuschuss beim Budget für Arbeit
Ziel des Budgets für Arbeit ist es, durch die Kombination aus finanzieller Unterstützung an den Arbeitgeber und kontinuierlicher personeller Unterstützung am Arbeitsplatz, sozialversicherte Arbeitsmöglichkeiten auf dem „Ersten Arbeitsmarkt“ für Menschen mit Behinderungen - anstatt einer Werkstattunterbringung - zu ermöglichen. Bisher ist der beim Budget für Arbeit zu erstattende Lohnkostenzuschuss auf 40 Prozent des regelmäßigen Arbeitsentgelts begrenzt. Durch die Abschaffung der Deckelung wird sichergestellt, dass auch nach Anhebung des Mindestlohns in 2023 auf 12 Euro bundesweit der maximale Lohnkostenzuschuss gewährt werden kann.
5. Neue Zusammensetzung des Sachverständigenbeirates versorgungsmedizinische Begutachtung
Um Betroffene als Expert*innen in eigener Sache besser bei der Arbeit des „Ärztlichen Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizin“ zu berücksichtigen, wird dieser zu einem „Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizinische Begutachtung“ weiterentwickelt. Die Verbände für Menschen mit Behinderungen, die Länder sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) können zukünftig je sieben Mitglieder benennen. Die Partizipation behinderter Menschen in Entscheidungsprozessen wird so deutlich gestärkt.
Die vorgestellten Neuregelungen entsprechen ausnahmslos langjährigen Forderungen behinderter Menschen. Von besonderer praktischer Relevanz für unseren Personenkreis dürfte jedoch die Einführung einer zukünftigen Genehmigungsfiktion für Leistungen des Inklusionsamtes sein. Denn diese begründet die Hoffnung auf deutlich kürzere Bearbeitungszeiten, z.B. der Anträge auf eine selbstorganisierte Arbeitsassistenz, und bietet für den Fall der Nichteinhaltung immerhin die Möglichkeit, dass der Antragssteller in Vorleistung tritt und damit seine Arbeitsfähigkeit herstellen kann, ohne den Verlust seines Anspruchs fürchten zu müssen.
6. Das Gesetz in Kürze
- Erhöhung der Ausgleichsabgabezahlung gem. § 160 SGB IX
- Begrenzung der Mittelverwendung gem. § 216 SGB IX
- Genehmigungsfiktion gem. § 185 Absatz 9 SGB IX
- Erhöhung der Pauschale für das Budget für Arbeit gem. § 161 SGB IX
- Neuregelung des Sachverständigenbeirates gem. § 153a SGB IX
Rat und Hilfe
Der Autor ist Geschäftsführer der rbm Rechte behinderter Menschen gGmbH, der Rechtsberatungsgesellschaft des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV). Die rbm bietet Hilfe bei Fragen zum Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts. Kontakt:
rbm gemeinnützige GmbH
Rechte behinderter Menschen
Biegenstraße 22
35037 Marburg
Internet: https://www.rbm-rechtsberatung.de/
Anmerkung
(1) Aus: Infobrief: Unterstützung für die erfolgreiche Interessenvertretung sehbeeinträchtigter Menschen Nr. 1/2023, Juli 2023 (siehe www.agnes-at-work.de/aktuelles/infobriefe/sbv-infobrief-1-2023/).