Von Mirko Melz

Die Brailleschrift, 1825 vom französischen Blindenlehrer Louis Braille entwickelt, ermöglichte es blinden Menschen erstmals, Texte selbstständig zu lesen und zu schreiben. Doch es dauerte einige Zeit, bis sich die Brailleschrift verbreitete. Die ersten Braillebücher erschienen Mitte des 19. Jahrhunderts, oft noch in mühevoller Handarbeit erstellt. In Deutschland war es unter anderem die Deutsche Blindenstudienanstalt in Marburg, die sich 1916 maßgeblich für die Verbreitung der Brailleschrift einsetzte und eine eigene Bücherei gründete, die später den Namen Deutsche Blinden-Bibliothek (DBB) erhielt.

Doch wie kommen die tastbaren Punkte eigentlich auf das Papier, und wie hat sich die Technik im Laufe der Zeit verändert? Ein Blick auf die verschiedenen Produktionsmethoden zeigt eine spannende Entwicklung: von Handarbeit über mechanische Verfahren und Fußpedalmaschinen bis hin zu modernen Hochpräzisionsdruckern, die in Sekundenschnelle komplexe Braille-Texte erzeugen.

Die Anfänge: Handarbeit und Stichelarbeit

Die ersten Braille-Texte wurden tatsächlich von Hand gefertigt. Mithilfe von Schrifttafeln und einem Stichel wurde jeder Punkt einzeln in das Papier geprägt. Diese Technik erforderte Geduld und Präzision, denn jeder Fehler bedeutete, dass der Text unlesbar werden konnte. Dennoch war es für blinde Menschen eine bahnbrechende Möglichkeit, Texte selbstständig zu verfassen und zu lesen.

Die ersten Punziermaschinen: Zu Fuß auf dem Weg zur Buchproduktion

Eine bedeutende Weiterentwicklung für die Braille-Produktion waren Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Punziermaschinen. Auf der tischähnlichen Arbeitsfläche wurde eine Zinkplatte eingespannt. Darüber spannte sich ein Bogen, in dessen Mitte sich das Prägewerkzeug befand. Neben der Zinkplatte waren sechs Knöpfe, die jeweils einen Punkt steuerten. Unter dem Tisch war ein zentrales Pedal. Die Zeichen wurden in die Zinkplatten gestanzt - manche sagten auch „getrampelt“. Die geprägten Metallplatten dienten dann als Druckplatten für Papierbögen. Die Textprägungen der Platten wurden mittels handbetriebener Druckerpressen – Seite für Seite – auf Papier geprägt. Texte konnten somit vervielfältigt werden. Diese Technik ermöglichte die Herstellung von Braillebüchern in kleinen Auflagen und trug damit entscheidend zur Verbreitung von Literatur in Brailleschrift bei.

Fortschritt im Privatbereich: Mechanische Braille-Schreibmaschinen

Im Jahr 1899 erfand Oskar Picht die erste Bogenschreibmaschine für Blindenschrift. Sie verfügte über 6 Grundtasten, die zum Erzeugen der Punktschriftzeichen in der jeweiligen Kombination gleichzeitig gedrückt werden. Die Punkte wurden in einem gleichmäßigen Raster direkt in einen Papierbogen geprägt. Die Entwicklung bis zur Serienreife benötigte noch einige Jahre, aber das Funktionsprinzip war für alle späteren Entwicklungen wegweisend. Die Verbreitung der mechanischen Braille-Schreibmaschinen, wie der „Erika Picht“ oder des „Perkins Brailler“ gab nun endlich auch Privatpersonen die Möglichkeit, in größerem Umfang eigene Texte zu verfassen. Auch bezogen auf die Bildung bedeutete es einen enormen Fortschritt für blinde Menschen.

Puma und Heidelberger Tiegel: Der Weg zur Massenproduktion

In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die berühmten Heidelberger Tiegel – ursprünglich als Druckerpressen für den konventionellen Buchdruck entwickelt – für die Produktion von Braille angepasst. Die Tiegel aus Heidelberg hatten bereits eine lange Tradition im Druckwesen und waren bekannt für ihre Präzision und Langlebigkeit. Um sie für den Braille-Druck zu nutzen, wurden sie so umgerüstet, dass sie anstatt mit gesetzten Lettern und Druckerfarbe mit geprägten Zinkplatten betrieben werden konnten.

Parallel zur Umrüstung der Drucktiegel gab es in Marburg eine ebenfalls wichtige Weiterentwicklung für die Serienproduktion von Braille: Die automatisierten Punziermaschinen – auch Puma genannt. Diese ermöglichten eine motorgetriebene Prägung von Braille-Punkten direkt auf Metallplatten. Sie konnten komplette Seitenlayouts in kürzester Zeit in die Druckplatten prägen. Diese vorgefertigten Druckplatten konnten dann in den Heidelberger Tiegeln verwendet werden, um Seiten oder ganze Bücher in hohen Stückzahlen zu produzieren.

Puma und Tiegel revolutionierten die Braille-Produktion. Für Blindenbibliotheken und Verlage bedeutete dies, dass Braille-Literatur wesentlich schneller und in größeren Mengen verfügbar gemacht werden konnte. Die Kombination aus den umgerüsteten Heidelberger Tiegeln und den Marburger Punziermaschinen legte damit einen entscheidenden Grundstein für die moderne Braille-Drucktechnik und trug maßgeblich zur weltweiten Verbreitung von Braillebüchern und -Materialien bei.

Die Computergestützte Textproduktion und Brailledrucker

Mit der Digitalisierung der 1980er-Jahre begann für die Braille-Produktion eine völlig neue Ära. Ein wesentlicher Schritt war die Einführung von Braille-Texteditoren, wie dem Programm "HBS" (Hagener Braille System), die es ermöglichten, digitale Texte regelkonform in Brailleschrift umzuwandeln und für den Druck aufzubereiten. Diese Braille-Texteditoren übersetzen die Buchstaben und Zeichen des „Alphabets der Sehenden“ automatisch in das entsprechende Braille-Zeichen. Dabei können auch manuelle Formatierungen vorgenommen werden.

Wer mit diesen Programmen Texte übertrug, konnte sie auf einem normalen Bildschirm lesen und sie sich auch direkt in Braille-Notation anzeigen lassen. Mit dem Texteditor konnten auch besondere Texte, wie mathematische Formeln oder Noten für Musikschriften, übertragen und gesetzt werden. Die fertigen Texte wurden anschließend an eine PC-gestützte Punziermaschine oder einen damals ebenfalls neuartigen Brailledrucker gesendet.

Diese Brailledrucker (Embosser) arbeiten mit einem Nadel- oder Stempelsystem, das die Braille-Punkte durch mechanischen Druck in das Papier prägt. Das Papier wurde als Endlospapier mit Traktorlochung durch den Drucker befördert. Die Datenübertragung vom Texteditor an den Drucker erfolgte digital. Ein einziger Druckbefehl konnte somit komplette Dokumente oder Bücher in Brailleschrift innerhalb kurzer Zeit und in korrekter Lesereihenfolge ausgeben. Für die Menschen in der Produktion bedeutete dies eine enorme Verbesserung, da die Produktion nicht mehr Seite für Seite nacheinander erfolgte und anschließend zu ganzen Heften zusammengetragen werden musste. Die Entwicklung der Brailledrucker stellte einen riesigen Fortschritt für Schulen, Bibliotheken und Verlage dar, die blinde Menschen kurzfristig mit Literatur und Lernmaterial versorgen.

Matrizenbau und Tiefziehverfahren: Komplexere Druckformen und taktile Abbildungen

Parallel zu der Weiterentwicklung der Druckverfahren gewann auch das Tiefziehverfahren und der Matrizenbau an Bedeutung, denn was wären Schulbücher ohne tastbare Abbildungen? Bei diesem Verfahren werden Druckplatten mit taktilen Abbildungen, sogenannte Matrizen, mit großem handwerklichen Aufwand hergestellt. Diese Matrizen waren die Grundlage zur Produktion von taktilen Abbildungen oder Landkarten. Die Abzüge von den Matrizen wurden im Tiefziehverfahren vervielfältigt. Das Tiefziehverfahren stammt eigentlich aus der Verpackungsindustrie. Dabei wird eine spezielle Folie mittels einer Form, Hitze und Vakuum dreidimensional verformt. Auf diese Weise lassen sich taktile Abbildungen und Braille-Beschriftungen von der jeweiligen Matrize auf eine Folie übertragen und somit dauerhaft ertastbar machen. Mit diesem Verfahren wurden und werden Karten, Diagramme und Bildtafeln bis heute in Kleinserien produziert und zugänglich gemacht.

Hochmoderne Lösungen heute: UV-Direktdruck und Siebdruckverfahren

Heute ermöglichen moderne Techniken, Brailleschrift und Grafiken auf fast jedes Material zu bringen. Der UV-Direktdruck ist eine der fortschrittlichsten Methoden, um Braille-Punkte und taktile Abbildungen dauerhaft und präzise auf Oberflächen wie Metall oder Kunststoff anzubringen. Hierbei werden winzige Tropfen eines UV-härtenden Lacks exakt an den gewünschten Stellen aufgetragen und durch UV-Licht sofort ausgehärtet. Diese Methode sorgt für besonders haltbare, abriebfeste Braille-Beschriftungen, die auch in Außenbereichen und stark frequentierten öffentlichen Räumen einsetzbar sind. UV-Direktdruck wird vor allem bei taktilen Karten und Schildern verwendet und ermöglicht eine flexible Gestaltung, da Braille-Texte, Profilschrift sowie bunte Symbole und Abbildungen in einem Arbeitsgang aufgebracht werden können.

Auch das Siebdruckverfahren bietet sich als praktikable Methode zur Herstellung bestimmter Braille-Medien an. Beim Siebdruck wird eine Schablone – das Sieb – auf das Material gelegt, und die Braille-Punkte werden durch das Sieb mithilfe einer speziellen, dickflüssigen Farbe auf das Medium aufgetragen. Dieser Farbauftrag lässt die tastbaren Punkte entstehen und ist besonders geeignet für Kleinserien von Beschilderungen und taktilen Grafiken auf verschiedensten Materialien. Der Vorteil des Siebdrucks liegt in seiner Haltbarkeit und Flexibilität, da die Technik auf unterschiedlichste Oberflächen anwendbar ist und bei richtiger Ausführung eine hohe Widerstandsfähigkeit bietet.

Diese modernen Verfahren erweitern die Möglichkeiten, Braille-Texte und Informationen zugänglich zu machen, und bieten vielseitige Lösungen für taktile Beschilderungen und Informationsmaterialien.

Ein Ausblick: Die Zukunft der Braille-Produktion

Die Entwicklung der Braille-Produktionsmethoden zeigt eine beeindruckende Geschichte des technologischen Fortschritts, die vom manuellen Prägen über mechanische und computergesteuerte Verfahren bis hin zu modernen Hochpräzisionsdruckern reicht. Während Louis Braille seine Schrift noch mit einem einfachen Stichel erfand, steht uns heute eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Verfügung, um Braille effizient, qualitativ hochwertig und in großer Geschwindigkeit herzustellen. Es bleibt spannend zu sehen, welche weiteren Fortschritte die Zukunft bringt und wie die Braille-Produktion noch weiter verbessert werden kann, um für blinde und sehbehinderte Menschen den barrierefreien Zugang zur Welt der Information und Literatur zu sichern.

Bild: Eine alte mechanische Punziermaschine mit sechs Knöpfen oberhalb der Tischplatte und einem unteren Pedal steht ausgemustert im Keller (li). Die moderne Punziermaschine Puma 7 der Firma Brailletec (re) wird via Bildschirm digital gesteuert; sie hat einen Schaltschrank unterhalb der Prägeeinheit, einen Displayarm an der Seite sowie neben dem „Not-Aus-Schalter“ zwei weitere zentrale Schalttasten. Fotos: Mirko Melz (blista)

Bild: Mirko Melz trägt einen grauen Rollkragenpulli und eine Brille mit dunklem Rand. Zum Dreitagebart trägt er sein braunes Haar im Igelschnitt. Foto: privat

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