Von Wilhelm Gerike
Der 24. Mai 2002 war ein etwas regnerischer Freitag. Die deutsche Fußballnationalmannschaft hatte ihr Trainingslager bei der WM in Japan und Südkorea bezogen. Meine Frau Claudia und ich waren etwas aufgeregt, wollten wir doch an diesem Tag standesamtlich heiraten. Und dann wollten wir noch unsere Gäste überraschen. Ob das wohl klappen sollte?
Rückblende
Im April 2002 besuchte uns beim Stammtisch der Marburger Bürgermeister Egon Vaupel (SPD). Gemeinsam mit drei Mitstreitern wollte Vaupel wissen, was uns das Leben in der Stadt erleichtern würde. „Jetzt oder nie“, dachte ich mir, und erzählte, dass wir im Mai heiraten wollten und uns unsere Heiratsurkunde in Blindenschrift wünschen. Vaupel, ein Mann der Tat, meinte: „Das kriegen wir hin!“ Seine Referentin brachte gleich Datenschutzgründe an. Das sei doch so leicht gar nicht machbar, wenn man die Daten an die blista weitergeben müsse. „Ich vertraue Ihnen da voll und ganz“, antwortete ich, „Das kriegen Sie schon hin, schließlich kennen wir doch diejenigen, die das an der blista realisieren können.“
„Ich begrüße Sie herzlich im steinernen Haus, einem der ältesten Häuser in Marburg“, sagte unsere Standesbeamtin, Frau Bäcker. Vorher hatten wir noch ein wenig Aufregung, weil unsere Gäste erst einmal einen Parkplatz finden mussten. Frau Bäcker konnte pünktlich beginnen und fand für uns wunderbare Worte. Dann kam der große Augenblick. Wir wurden gefragt, ob wir heiraten wollten, was wir mit „Ja“ beantworteten. Dann las sie uns die Heiratsurkunde vor. Wir fanden noch einen Fehler, den Frau Bäcker zu korrigieren versprach. So etwas käme schon einmal vor, beruhigte sie uns. Sie wolle eine neue Version der Urkunde gleich drucken und uns ins Restaurant „Zur Sonne“ bringen, wo wir einen Tisch bestellt hatten. „Aber vorher habe ich noch etwas für Sie“, fuhr Frau Bäcker fort. „Ich habe hier Ihre Heiratsurkunde in Blindenschrift.“ Na, das gab ein ordentliches Hallo. Herr Vaupel hatte also Wort gehalten.
Nach der Trauung gingen wir raus, machten Fotos und tranken ein Glas Sekt. Egon Vaupel ließ es sich nicht nehmen, uns zur Hochzeit zu gratulieren. Mein Vater war richtig baff: „Junge, da kommt sogar der Bürgermeister und gratuliert dir.“ Ich habe ihm nicht gesagt, dass die Wahl zum nächsten Oberbürgermeister in absehbarer Zeit noch ansteht. Für uns überraschend war Claudias Freundin Lucy zu unserer Trauung gekommen, die gerade in Marburg war. Wir haben sie spontan eingeladen, mit uns zu essen. Frau Bäcker kam später vorbei, ließ uns und die Trauzeugen noch einmal unterschreiben. Sie erzählte von einer Hochzeit, wo es ein ähnliches Missgeschick gegeben hat. Sie ist dann im strömenden Regen ins Gasthaus gelaufen und hat die Heiratsurkunde vorbeigebracht. „Mein Kleid war so nass, dass ich mich erst einmal vor der nächsten Trauung umziehen musste.“
Ein Presse-Echo fand die erste Heiratsurkunde in Blindenschrift erst viel später. Wir dachten ja, dass Vaupel die örtliche Presse informiert hätte, dem war aber nicht so. Einige Monate später telefonierte ich mit Keyvan Dahesch und erzählte ihm von unserer Urkunde. „Ich bringe das bei der dpa unter“, versprach er. Ein Freund rief einige Zeit später an und erzählte, dass er die Meldung im Videotext gelesen habe.
Einen Tag später haben wir kirchlich geheiratet und eine wunderschöne Hochzeitsfeier gehabt. Wir haben Freunde, die noch heute von dieser Feier schwärmen.