horus 4/2020
Schwerpunktthema: "Zukunft"

horus titelblatt

Inhalt

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Vorangestellt

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir hatten jetzt aktuell das dreißigjährige Jubiläum der Wiedervereinigung Deutschlands. Hätten Sie 1988 dieses Ereignis für wahrscheinlich gehalten? Noch im Januar hätte keiner gedacht, dass ein Virus unsere Gesellschaft so umkrempeln könnte.

Die Zukunft ist ein unsicherer Gesell. Viele Geschäftsmodelle nutzen diese Ungewissheit. Früher waren es die Zelte auf dem Jahrmarkt, wo wir in Glaskugeln schauen konnten; Kartenlegen oder das Lesen in den Sternen sind immer noch bei Vielen beliebt. Wenn jemand die Zukunft sicher vorhersehen könnte, wir würden ihn um die Lottozahlen der nächsten Woche bitten.

Zukunft ist das, was wir daraus machen.

Ein afrikanisches Sprichwort lautet: "Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die nächstbeste Zeit ist jetzt."

Zukunft ist mehr als die Zeit, die ungewiss vor uns liegt. Es gilt hier und heute Entscheidungen zu treffen. Der Rückblick wird dann die Richtigkeit unseres eingeschlagenen Weges beurteilen.

Für uns an der blista ist der Weg klar: Jeder Mensch mit Blindheit und Sehbehinderung, egal ob jung oder alt, muss ideale Voraussetzungen zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen, beruflichen und kulturellen Leben erhalten.

Das war in der Vergangenheit und Gegenwart unsere Aufgabe und wird auch in Zukunft für uns im Zentrum stehen.

In dieser Ausgabe des horus lesen Sie Artikel, Beiträge und Texte, die sich mit Themen der Zukunft befassen, die aber über das Hier und Jetzt hinausgehen, die beschreiben, dass Zukunft schon längst begonnen hat.

Zum Inhalt

Der renommierte Armutsforscher Christoph Butterwegge beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem Sozialstaat der Zukunft und nimmt das bedingungslose Grundeinkommen und die solidarische Bürgerversicherung genauer unter die Lupe. Mirien Carvalho Rodrigues wirft einen spannenden Blick auf zukunftsweisende und innovative Wohnformen. Oliver Nadig hingegen lenkt unseren Blick auf eine - unter Umständen - nahe Zukunft, in der öffentliche Verwaltungen ihre IT-Systeme weg von Windows auf Linux umstellen, und beschreibt, wie das auch für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung funktionieren kann.

Im Artikel von Imke Troltenier lesen Sie, wie schon heute an der blista zukunftsorientiert miteinander gelernt und gearbeitet wird. Petra Krines hat DVBS-Mitglieder aus unterschiedlichen Generationen zu ihrer Sicht auf die Selbsthilfe der Zukunft befragt.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche und spannende Lektüre!

Ich wünsche Ihnen zudem stets einen positiven Blick auf die Zukunft, auf die persönliche und auf die Zukunft unserer Gesellschaft!

Lassen Sie uns gemeinsam weiter in diesem Sinne zusammenarbeiten!

Herzliche Grüße, und bleiben Sie gesund!

Ihr Claus Duncker
(blista-Direktor)

Foto: Claus Duncker. Foto: Bruno Axhausen [Claus Duncker lächelt. Er hat kurze graue Haare und trägt eine randlose Brille.]

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Aus der Redaktion

Auf dem Weg in die Zukunft

Das Jahr geht zu Ende, das neue steht vor der Tür, schon ist sie da: die Zukunft. Wie gehen wir mit ihr um, welche Hoffnungen und Wünsche haben wir an sie? "Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!", so lässt sich nicht nur die allgemeine Hektik am Jahresende erklären, sondern auch unser meist sehr bodenständiger Umgang mit Zukunft und der Ungewissheit, die sie mit sich bringt. Und daher ist diese horus-Ausgabe zum Thema "Zukunft" keine Science-Fiction-Ausgabe mit phantastischen Utopien geworden, sondern zeigt neben aktuellen Sorgen und Problemen viele kleine Schritte auf, mit denen Herausforderungen klug angegangen werden können. "Jede schwierige Situation, die Du jetzt meisterst, bleibt Dir in der Zukunft erspart", lautet ein Spruch des Dalai Lama, der dazu mahnt, Probleme des Jetzt nicht zu ignorieren - und das liegt schließlich ganz und gar in unserem Sinne, wenn es etwa um Barrieren im Alltag oder um Entscheidungen für unser künftiges Leben mit einer Behinderung geht.

So widersprüchlich Sprüche auch sein können, sie zeigen die Verbundenheit der Menschen über Generationen und Gesellschaftsformen hinweg. Und statt weitere Weisheiten zu liefern, die auch in den zum Jahreswechsel beliebten Glückskeksen stecken könnten, möchten wir Ihnen in dieser Ausgabe lieber Anregungen und Diskussionsstoff für eine bessere Zukunft geben. Allerdings: Glück, Geld, Gesundheit und Liebe kann Ihnen die horus-Redaktion im kommenden Jahr nicht garantieren. Aber dass wir für Sie mit Wort (und Tat) interessante horus-Ausgaben herausbringen, das haben wir doch zumindest fest vor.

Was die Planung der zukünftigen horus-Ausgabe 1/2021 betrifft, darf an dieser Stelle bereits verraten werden: Im Schwerpunkt wird es um Antworten gehen, die uns mehr oder minder prominente Persönlichkeiten von heute auf die Frage "Wie wir gesehen werden" geben. Lassen Sie sich mit uns überraschen, wer antwortet und was er oder sie zu sagen hat.

Die Redaktion wünscht allen Leserinnen und Lesern eine schöne Weihnachtszeit, einen guten Jahreswechsel und für 2021 nur das Beste.

[Zitat: "Wir lieben das Leben nur, weil es uns ungewiss ist." (Yoshida Kenko, 1283-1350)]

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Schwerpunkt: "Zukunft"

Sozialstaat der Zukunft: Grundeinkommen oder solidarische Bürgerversicherung?

Von Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Der deutsche Sozialstaat hat nach seinen rudimentären Anfängen im 19. Jahrhundert eine bewegte Geschichte mit vielfältigen Wandlungen hinter sich gebracht, für die ökonomische wie ideologische Einflussfaktoren maßgebend waren. Man kann davon ausgehen, dass sich diese Entwicklung auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten fortsetzen wird. Schon lange wird etwa über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) kontrovers diskutiert.[1] Gegenwärtig haben BGE-Modelle auch deshalb Hochkonjunktur, weil sie dem neoliberalen Zeitgeist entsprechen, also die Freiheit des (Wirtschafts-)Bürgers nicht gefährden, vielmehr "Privatinitiative", "Eigenverantwortung" und "Selbstvorsorge" glorifizieren sowie die tradierten Mechanismen der kollektiven Absicherung von Lebensrisiken problematisieren, auf die sozial Benachteiligte angewiesen sind. Auch schreit jene Spaltung der westlichen Wohlstandsgesellschaften in Arm und Reich, die sich auch in Deutschland beobachten lässt und durch die Covid-19-Pandemie verschärft wurde,[2] geradezu nach einer radikalen Alternative. Hier soll dargelegt werden, warum das Grundeinkommen trotzdem keine Lösung der skizzierten Probleme darstellt und andere Wege zu mehr sozialer Gerechtigkeit beschritten werden müssen.

Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens

Das medienwirksamste Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens stammt von Götz W. Werner, dem Gründer der "dm"-Drogeriemarktkette. Dieser erfolgreiche Großunternehmer nannte zuerst 1.500 Euro als monatlichen Zahlbetrag eines Grundeinkommens, das allerdings mit dem Erwerbseinkommen verrechnet werden soll. Später forderte er in einem Buch gleichen Titels aber bloß noch "1000 € für jeden",[3] deren Finanzierung rätselhaft blieb. Werner möchte das Grundeinkommen über die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf deutlich über 50 Prozent refinanzieren, obwohl sie kinderreiche Familien von Geringverdiener(inne)n und Transferleistungsbezieher(inne)n besonders hart träfe, weil diese praktisch ihr gesamtes Einkommen vor Ort in den Alltagskonsum stecken (müssen).

Werner beschwört das Grundeinkommen zwar sehr pathetisch als "Bürgerrecht", versteht darunter aber letztlich nur einen "bar ausgezahlten Steuerfreibetrag", der nötig ist, weil in seinem Modell alle direkten Steuern entfallen, was nicht die Armen, sondern die Vermögenden - besonders Milliardäre wie Werner - entlasten würde. Wenn man das Grundeinkommen als bloße "Rücküberweisung des Grundfreibetrages" interpretiert, wie dies Werner tut,[4] degeneriert es zum Abfallprodukt einer bestimmten steuerpolitischen Reformkonzeption, die eine Restauration früherer Gesellschaftszustände darstellen würde.

Ähnliches gilt für ein von Thomas Straubhaar entwickeltes Modell, das dieser als "fundamentale Steuerreform" bezeichnet, gleichfalls einen Zahlbetrag von 1.000 Euro pro Person vorsieht und alle Einkommen in Form einer Flat Tax mit dem Einheitssteuersatz von 50 Prozent belegt,[5] wodurch vor allem gut verdienende Mittelschichtangehörige stärker als bisher belastet würden. Zwar müssten Besserverdienende einen höheren Nettosteuersatz als Normalverdienende bezahlen, Geringverdiener/innen, deren Bruttoeinkommen 2.000 Euro im Monat überschreitet, dem Finanzamt allerdings von jedem Euro, den sie mehr einnehmen, die Hälfte abgeben.

Zwar versichert Straubhaar, es gehe ihm nicht um Sozialabbau. Sein BGE-Modell lässt jedoch vom Wohlfahrtsstaat bis auf Menschen mit schweren Behinderungen zugestandene Sonderleistungen wenig übrig. Dieser beschränkt sich aber gerade nicht - wie das Grundeinkommen - auf eine Geldleistung, sondern umfasst auch Sach- und Dienstleistungen, die bei einer Zerschlagung der Sozialversicherung entfielen, was Millionen Menschen der Möglichkeit berauben würde, durch verschiedene Beratungs-, Betreuungs- und Behandlungsangebote oder Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation wieder in den Arbeitsprozess zurückzufinden bzw. sich aus prekären Lebenslagen zu befreien.

Richard David Precht, der ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.500 Euro pro Monat fordert und die enormen Kosten über eine Finanztransaktionssteuer refinanzieren möchte, lehnt Modelle à la Straubhaar vehement ab: "Das wäre ohne Zweifel kein Menschheitsfortschritt, sondern ein Verhängnis; eine soziale Kahlschlagfantasie, die nichts verbessert, aber vieles verschlimmert."[6] Prechts eigener Vorschlag wiederum entspricht so wenig den gesellschaftlichen Herrschafts-, politischen Macht- und parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen, dass sich eine detaillierte Auseinandersetzung damit erübrigt. Selbst eine "abgespeckte" Form der Finanztransaktionssteuer, die nach Angaben des zuständigen Bundesministeriums nur 17,6 Milliarden Euro pro Jahr in die Staatskasse spülen würde, liegt nach der massiven Intervention von Wirtschaftslobbyisten auf Eis.

Verringerung der sozialen Ungleichheit und der Armut?

Im bedingungslosen Grundeinkommen bündeln sich gegensätzliche, miteinander unvereinbare Interessen, wodurch es einer politischen Wundertüte gleicht, aus der sich jede/r heraussucht, was sie/er an Wünschen und Hoffnungen bezüglich der Gesellschaftsentwicklung hineinprojiziert. Die heterogene Anhängerschaft des Grundeinkommens umfasst einen in der Tradition von Milton Friedman stehenden Ökonomen (Thomas Straubhaar), einen bekannten Großunternehmer (Götz W. Werner) sowie einzelne Spitzenmanager deutscher Konzerne wie BMW, SAP und Telekom), Vertreter der Unionsparteien, die ehemalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry, erhebliche Teile der Bündnisgrünen, die Piratenpartei sowie Mitglieder von Erwerbsloseninitiativen und Frauenverbänden, aber auch manche SPD-Untergliederungen und einen Teil der LINKEN mit ihrer Parteivorsitzenden Katja Kipping an der Spitze.

Ein derart breit gefächertes und buntscheckiges politisches Spektrum verbindet mit einer Reformidee wie dem Grundeinkommen natürlich ganz unterschiedliche Motive: Während die einen durch eine solche Pauschalierung staatlicher Transferleistungen vor allem Bürokratiekosten sparen, die "Lohnnebenkosten" der Unternehmer senken, den Niedriglohnsektor erweitern und die Steuerprogression zulasten von Massensteuern abmildern wollen, möchten die anderen die Bezieher/innen staatlicher Transferleistungen von Kontroll- und Sanktionsmechanismen befreien, durch die Erhöhung von Kapital- und Gewinnsteuern für mehr Steuergerechtigkeit sorgen und die soziale Ungleichheit zurückdrängen. "Die Modelle reichen von einem emanzipatorischen Grundeinkommen bis zu einer Umwandlung der Sozialhilfe in eine Pauschale für Bedürftige, die zum einen Verwaltungskosten spart und zum anderen nebenbei den Sozialstaat weitgehend abbaut."[7]

Bedarfsgerechtigkeit schafft das Grundeinkommen deshalb nicht, weil es alle Bürger/innen über einen Kamm schert, ohne deren spezifische Arbeits-, Wohn- und Lebenssituation (z.B. als Schwerstbehinderte/r) zu berücksichtigen. Statt den spezifischen Bedarf von Hilfesuchenden zu ermitteln und ihn durch ein differenziertes Sozialleistungssystem zu erfüllen, würde der Staat nur mehr eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip betreiben. Eine solche Gleichbehandlung aller Bürger/innen im Sinne der "Nivellierung nach unten" führt zwangsläufig zu individueller Ungerechtigkeit, weil sie gerade die Menschen in den schwierigsten Lebenslagen, etwa Schwerstbehinderte mit hohen Extrakosten, prinzipiell benachteiligt.

Leistungsgerechtigkeit verwirklicht das Grundeinkommen deshalb nicht, weil es alle Bürger/innen unabhängig von ihrer jeweiligen Arbeits- oder Lebensleistung in gleicher Höhe erhalten. Verteilungsgerechtigkeit ermöglicht das Grundeinkommen deshalb nicht, weil keine Umverteilung von Oben nach Unten dadurch stattfindet, dass jeder (Wohn-)Bürger denselben Geldbetrag erhält.

Die solidarische Bürgerversicherung - eine sinnvolle Alternative

Ein so hoch entwickelter Industriestaat wie die Bundesrepublik Deutschland benötigt ein funktionsfähiges Sozialsystem, das die unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen seiner (Wohn-)Bürger/innen berücksichtigt, also möglichst bedarfsgerecht ist und nicht alle Personen, unabhängig von ihrer spezifischen materiellen Lage, über einen Leisten schlägt. Behinderungen und Haushaltszusammenhänge darf es genauso wenig ignorieren wie Unterhaltsverpflichtungen der Menschen. Durch das auf eine Geldleistung beschränkte Grundeinkommen würden diese zudem sämtlicher Dienst- und Sachleistungen verlustig gehen, die der moderne Sozialstaat für sie bereithält - von der medizinischen Grundversorgung über Maßnahmen der Rehabilitation bis zur beruflichen Weiterbildung.

Um den Weg zu einem inklusiven Sozialstaat zu ebnen, der eine gleichberechtigte Partizipation aller Wohnbürger/innen am gesellschaftlichen Reichtum wie am sozialen, politischen und kulturellen Leben ermöglicht, ist die Schaffung einer solidarischen Bürgerversicherung nötig.[8] Es handelt sich nicht wie beim bedingungslosen Grundeinkommen um einen Systemwechsel, sondern um eine konstruktive Weiterentwicklung des bestehenden Sozialsystems.

Solidarisch zu sein heißt, dass die Bürgerversicherung zwischen den ökonomisch unterschiedlich leistungsfähigen Wohnbürger(inne)n einen sozialen Ausgleich herstellt. Nicht bloß auf Löhne und Gehälter, sondern auf sämtliche Einkunftsarten (Zinsen, Dividenden, Tantiemen sowie Miet- und Pachterlöse) wären Beiträge zu erheben. Entgegen einem verbreiteten Missverständnis bedeutet dies nicht, dass Arbeitgeberbeiträge entfallen würden. Nach oben darf es weder Beitragsbemessungsgrenzen noch eine Versicherungspflichtgrenze geben, die es privilegierten Personengruppen erlauben würde, in exklusive Sicherungssysteme auszuweichen und sich ihrer Verantwortung für sozial Benachteiligte zu entziehen.

Die strukturellen Defizite des Sozialstaates (Erwerbsarbeits-, Ehe- und Erwachsenenzentrierung) könnten mittels einer solidarischen Bürgerversicherung beseitigt werden, in die eine armutsfeste, bedarfsdeckende und repressionsfreie Grundsicherung einzulassen wäre, die ohne Sanktionsdrohung auskommt. Dies heißt jedoch nicht, dass Erwerbsfähige von der moralischen Verpflichtung befreit würden, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Auch die Beschränkung des in den Sozialstaat einbezogenen Personenkreises auf abhängig Beschäftigte und freiwillig Versicherte ist kein Naturgesetz: Freiberufler/innen, Selbstständige, Beamte, Abgeordnete und Minister/innen müssten gleichfalls inkludiert, sämtliche Einkunftsarten, mithin auch Zinsen, Dividenden und Tantiemen sowie Miet- und Pachterlöse, verbeitragt werden.

Einerseits geht es darum, die Finanzierungsbasis des bestehenden Sozialsystems zu verbreitern, andererseits darum, den Kreis seiner Mitglieder zu erweitern. Wer dazu finanziell in der Lage ist, muss Beiträge entrichten, um entsprechende Ansprüche zu erwerben. Da sich der Staat mit Steuergeldern am Auf- und Ausbau einer Bürgerversicherung beteiligen muss, kämen auf die öffentlichen Haushalte erhebliche finanzielle Belastungen zu. Diese lassen sich aber mit Hilfe einer sozial gerechteren, stärker an der ökonomischen Leistungsfähigkeit orientierten Steuer- und Finanzpolitik bewältigen. Auf der Leistungsseite muss die Bürgerversicherung das Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung beseitigen. Hierzu ist eine bedarfsgerechte, armutsfeste und repressionsfreie Mindestsicherung nötig, die alle Wohnbürger/innen nach unten absichert, auch solche, die im bisherigen System keine ausreichenden Anwartschaften erworben haben.

Welches der beiden hier erörterten Konzepte die Sozialstaatsentwicklung letztlich bestimmen und damit zu einer weiteren Veränderung führen wird, ist derzeit nicht absehbar. Während die deutsche Sozialdemokratie, die Gewerkschaften und kritische Ökonomen überwiegend das Modell der Bürgerversicherung favorisieren, stehen Wirtschaftskreise, sofern sie sich überhaupt dem Problem der Armutsbekämpfung widmen, dem Grundeinkommen eher aufgeschlossen gegenüber. Da aber beide Ansätze erhebliche fiskalische Eingriffe erforderlich machen, ist es auch gut möglich, dass sich in absehbarer Zukunft keiner von beiden durchsetzen wird. Entscheidend kann sein, ob und wie das Problem der sozioökonomisch auseinanderdriftenden Gesellschaft die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen sowohl ins Bewusstsein der politischen Entscheidungsträger wie auch breiter Bevölkerungsschichten rücken wird.

Zum Autor

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt das Buch "Ungleichheit in der Klassengesellschaft" veröffentlicht. Mehr über ihn und seine Arbeit erfahren Sie auf der Webseite www.christophbutterwegge.de

Foto 1: Prof. Dr. Butterwegge engagiert sich für eine Zukunft ohne Armut, in der Solidarität und Gerechtigkeit die Gesellschaft prägen. Foto: www.christophbutterwegge.de [Prof. Butterwegge steht vor einer großen, hellen Plakatwand mit vielen bunten Unterschriften, auf der in großen gedruckten Buchstaben das Wort "Gerechtigkeit" und das Wortfragment "arität" zu lesen ist. Er hält einen Edding in der Hand und wendet sich dem Betrachtenden zu.]

Foto 2: Prof. Dr. Christoph Butterwegge. Foto: Wolfgang Schmidt [Auf dem Portraitfoto stützt Prof. Butterwegge seinen Kopf in die rechte Hand. Er trägt eine randlose Brille und einen Ring. Dunkelgrau melierte Ponnysträhnen fallen über seine hohe Stirn.]

[1] Vgl. hierzu: Christoph Butterwegge/Kuno Rinke (Hg.), Grundeinkommen kontrovers. Plädoyers für und gegen ein neues Sozialmodell, Weinheim/Basel 2018

[2] Vgl. Christoph Butterwegge, Die zerrissene Republik. Wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland, 2. Aufl. Weinheim/Basel 2020; ders., Ungleichheit in der Klassengesellschaft, Köln 2020

[3] Vgl. Götz W. Werner/Adrienne Goehler, 1000 € für jeden. Freiheit. Gleichheit. Grundeinkommen, Berlin 2010, S. 226

[4] Siehe ders., Einkommen für alle, Köln 2007, S. 211

[5] Vgl. Thomas Straubhaar, Was ist ein Grundeinkommen und wie funktioniert es?, in: Christoph Butterwegge/Kuno Rinke (Hg.), Grundeinkommen kontrovers, a.a.O., S. 21 ff.

[6] Richard David Precht, Frei leben! - Digitalisierung, Grundeinkommen und Menschenbild, in: ebd., S. 48 f.

[7] Eva Douma, Sicheres Grundeinkommen für alle? - Wunschtraum oder realistische Perspektive?, Berlin 2018, S. 165

[8] Vgl. hierzu: Christoph Butterwegge, Krise und Zukunft des Sozialstaates, 6. Aufl. Wiesbaden 2018, S. 410 ff.

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WOHN:SINN: Nachhaltige Konzepte für inklusive Wohngemeinschaften

Von Mirien Carvalho Rodrigues

Auf der Suche nach Wohnformen der Zukunft stellte ich zunächst fest, dass sich die Art, wie wir wohnen, allzu häufig wie zufällig oder von selbst zu ergeben scheint. Menschen ziehen dahin, wo es für sie Arbeit gibt, wo der Wohnraum bezahlbar ist oder die Kinder eine gute Verkehrsanbindung zur Schule haben. Vielleicht war auch das Haus schon vorhanden und die Wohnform bereits von der Familie vorgegeben. Immer häufiger wohnen Menschen allein, bei vielen haben unvorhergesehene Umstände dazu geführt, oder es hat sich einfach so ergeben.

Die Wohnform in den Mittelpunkt stellen

In einem zweiten Schritt ließ ich meiner Kreativität freien Lauf und stellte mir vor, welche Faktoren und Kriterien idealerweise zusammengeführt werden müssten, um die eigene gewünschte Wohnform bzw. allgemein mehr Raum für neue Wohnformen zu schaffen.

Da ist zunächst der Wohnraum als solcher, der, sofern wir nicht selbst bauen und planen, oft für Familien mit zwei Kindern oder Paare gedacht ist. Küchen sind in den letzten Jahrzehnten kleiner geworden, was wie nebenbei unseren Alltag verändert hat. Es braucht also Menschen, die sich überhaupt erst einmal vorwagen und nach ihren persönlichen Wohnwünschen fragen, denen es nicht genügt oder die nicht darauf vertrauen, dass sich alles einfach so ergibt. Wacht man dann aus seinem Wunschtraum wieder auf und hat nicht gerade von der einsamen Insel geträumt, braucht man andere Menschen mit ähnlichen Vorstellungen. Dazu kommen die Fragen eines passenden Gebäudes, aber auch die Umgebung, weitere Nachbarschaft, Verkehrsanbindungen, Einkaufsmöglichkeiten, Nähe zur Natur - und all das muss auch noch finanzierbar sein. Da in meinen eigenen Wunschträumen eine bunte Vielfalt von Personen gern und aufgeschlossen nahe beieinander lebt und ich lange genug auf der Welt bin um zu wissen, dass ein bloßes Nebeneinanderwohnen dafür nicht ausreicht, landete ich per realer Google-Reise innerhalb von Minuten bei WOHN:SINN.

Denn dort heißt es: WOHN:SINN ist ein Zusammenschluss von inklusiven Wohnprojekten, Forschungsinstitutionen, Anbietern der Behindertenhilfe, Stiftungen, Unternehmen der Wohnwirtschaft, Interessenverbänden, Inklusionsaktivist*innen und vielen anderen Engagierten im deutschsprachigen Raum. Der Verein wurde 2018 aufbauend auf dem bundesweiten Netzwerk gegründet, das sich über die Onlineplattform WOHN:SINN (www.wohnsinn.org) gefunden hatte.

Die Motivation, in einer inklusiven Wohngemeinschaft zu leben

Angetan von der Idee, dass hier Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung sowie gemeinsames Wohnen auf Augenhöhe Hauptbestandteil eines groß angelegten, nachhaltigen Konzepts sind, bat ich bei WOHN:SINN um ein Gespräch und erhielt prompt eine äußerst herzliche und offene Antwort. Gäbe es nicht derzeit so viele Kontaktbeschränkungen, hätte ich auch direkt eine Wohngemeinschaft besuchen können. So kam es immerhin zu einem anregenden Telefonat.

Auch für Tobias Polsfuß, meinen Gesprächspartner, hatte sich die Wohnform zunächst einfach so ergeben. Er kam zum Studium nach München und suchte einen günstigen Platz in einer Wohngemeinschaft. Dabei stieß er auf den Verein Gemeinsam Leben Lernen e.V., der in München inklusive Wohngemeinschaften betreibt. Studierende ohne Behinderung können dort mietfrei wohnen und unterstützen dafür ihre Mitbewohner*innen mit sogenannter geistiger Behinderung regelmäßig. Heute, 7 Jahre später, wohnt Tobias Polsfuß nicht nur immer noch in der 9-Personen-WG, er ist inzwischen auch Geschäftsführer und Bundeskoordinator von WOHN:SINN - Bündnis für Inklusives Wohnen e.V.

Im Laufe der letzten Jahre hat er persönlich etliche Wohngemeinschaften besucht, um sich über die verschiedenen Konzepte zu informieren und die Erfahrungen unterschiedlicher Gruppen in diversen Städten zu sammeln und nach und nach systematisch auszuwerten. Auf meine Frage nach der Motivation, in eine inklusive Wohngemeinschaft zu ziehen, stellt er deutlich klar, dass günstige Miete bzw. die Aussicht auf Selbstbestimmung wichtige Faktoren, keinesfalls aber der einzige Grund sein können. Vor allem, so Tobias Polsfuß, muss man eine familiäre Wohnform mögen, eine Grundhaltung mitbringen, in der es schön, wichtig und selbstverständlich ist, aufeinander zu achten, miteinander etwas zu unternehmen und für einander da zu sein.

Die Zielgruppen - wer wohnt gern inklusiv?

Im Verlauf des Gesprächs wird deutlich, dass diese noch sehr junge Wohnform durchaus für viele Menschen ohne Behinderung interessant ist. So kommen auffallend viele Personen mit Migrationshintergrund oder einer nicht der Norm entsprechenden sexuellen Orientierung auf den Geschmack, da sie bei Besuchen schnell von einer herzlichen Atmosphäre begeistert sind, die ihnen zeigt, dass hier alle so akzeptiert werden, wie sie sind. Auf Seiten der Bewohner*innen mit Behinderung leben bisher in den meisten Gemeinschaften Personen mit einer geistigen Behinderung. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Idee durch diese Personengruppe und ihre Angehörigen entstanden ist, das Bündnis und die Konzepte sind jedoch selbstverständlich offen für Interessierte mit unterschiedlichen Einschränkungen und Besonderheiten.

Es gibt allerdings auch Grenzen der bunten Vielfalt. So können bei manchen Wohnprojekten, die im geförderten Wohnungsbau umgesetzt sind, nur Menschen mit geringem Einkommen einziehen. Für andere, selbst wenn sie großes Interesse haben, ist der Weg aufgrund von Bestimmungen verschlossen. Auch andersrum gibt es Wohnprojekte, in denen Menschen mit geringem Vermögen aufgrund der hohen Miete oder Wohneinlage nur schwer unterkommen können.

Weiterhin beobachtet Tobias Polsfuß, was er ein kulturelles Phänomen in Deutschland nennt, nämlich dass Menschen ab 35 nicht mehr in Wohngemeinschaften leben möchten. Ich für meinen Teil entspreche dieser Beobachtung derzeit voll und ganz und freue mich deshalb ungemein darüber, dass bei WOHN:SINN auch inklusive Hausgemeinschaften Beachtung finden. Die eigene Wohnung innerhalb eines Hauses oder Wohnkomplexes, in dem es beispielsweise einen Gemeinschaftsraum, Nachbarschaftshilfe und gemeinsame Aktivitäten gibt - für eine solche Form des Zusammenlebens begeistern sich vermutlich auch mehr Menschen jenseits der 35. Tobias Polsfuß räumt ein, er habe erst lernen müssen, dass Inklusion ja auch bedeutet, dass Menschen dazu gehören, die ein enges Zusammenleben aus welchen Gründen auch immer nicht wünschen. Er erzählt mir von der für ihn hochinteressanten Anfrage einer Autistin, die sich wünschte, mit Gleichgesinnten in einem Ruhehaus zu wohnen, um dem ständigen lauten und hektischen Treiben entfliehen und in einer Oase der Ruhe wohnen zu können, ohne dabei völlig allein zu sein.

Zusammenleben konkret - wie die Wohngemeinschaft gelingt

An dieser Stelle hole ich mir noch einen Tee und stelle mich auf ein längeres Gespräch ein, denn ich erkenne immer mehr spannende Themen. Die Dynamik in diesem Verein und seinen Verzweigungen wird mir immer klarer. Jede einzelne Person kann einsteigen, sich einbringen und etwas beitragen. Und so muss es auch innerhalb der WG sein, bestätigt mir der WOHN:SINN-Koordinator: "Es ist auf keinen Fall eine Einbahnstraße. Wenn ich krank bin, bringt mir meine Mitbewohnerin mit Downsyndrom auch einen Tee. Oder wenn ich nach einem langen Tag gestresst nach Hause komme und sie da sitzt und malt, mich in den Arm nimmt und fragt, wie es war, dann tut mir das gut." Jeder Mensch wird wertgeschätzt und das, was er beitragen kann, wird anerkannt.

Jede WG organisiert sich anders, mit mehr oder weniger Unterstützung von externen Fachkräften oder Angehörigen, mit unterschiedlich intensiver Beteiligung von Trägern. Allen gemeinsam ist, dass regelmäßig und viel Kommunikation stattfindet, um ein gutes Zusammenleben für alle zu gewährleisten. Gemeinsame Interessen über das Wohnen hinaus sind natürlich hilfreich. Es verbindet enger, wenn man etwa gemeinsam Sport treibt, Konzerte besucht oder einen Garten pflegt. Ebenso selbstverständlich braucht jede einzelne Person ihren Freiraum, ihre Privatsphäre und ihre Kontakte außerhalb der WG. Das bringt Tobias Polsfuß auf das Beispiel eines Pärchens mit Behinderung. Die beiden wollten nicht mehr in einer WG leben, sondern als Paar zu zweit zusammenleben, was, so Polsfuß, besonders Menschen mit geistiger Behinderung ungeheuerlicherweise nach wie vor oft nicht zugetraut wird. Die Lösung sieht so aus, dass die beiden in der Nähe einer inklusiven WG wohnen und also für sich leben, aber jederzeit zu netten Nachbarn kommen können, wenn sie Hilfe brauchen.

Nachhaltigkeit durch Beratung

Bereits jetzt findet man auf der Internetseite von WOHN:SINN einen ausführlichen Leitfaden, der zukünftigen Interessierten die Gründung einer inklusiven WG erleichtern soll. Im Rahmen eines fünfjährigen Projekts gibt es zudem ab sofort in vier Städten ein Beratungsangebot durch Menschen, die allesamt aus Überzeugung Inklusion vorantreiben. In der Pressemitteilung zur kürzlich stattgefundenen Auftaktveranstaltung heißt es dazu:

"Als Teil des Projekts begleiten vier Beratungsstellen in Bremen, Dresden, Köln und München ab sofort Privatgruppen sowie Organisationen der Behindertenhilfe und Wohnwirtschaft bei der Planung und Umsetzung von Wohnformen, in denen behinderte Menschen selbstbestimmt mit anderen Menschen zusammenleben. Alle Berater*innen haben in den letzten Jahren selbst inklusive Wohnprojekte mitgegründet, die überregional für Aufsehen sorgten.

Zum inklusiven Wohnen kamen die neuen Berater*innen von WOHN:SINN auf ganz unterschiedlichen Wegen. Für Lars Gerhardt, der ab sofort in Bremen die Regionalstelle Nord vertritt, führte der Weg über die Liebe. Die Tochter seiner Lebensgefährtin hat das Downsyndrom. 'Ihr Wunsch, ein selbstbestimmtes Leben wie alle anderen zu führen, bedeutete für mich, neue Wege erkunden zu müssen.', sagt Gerhardt heute. Für Kathrin Hettich aus der Beratungsstelle in München war die frustrierende Arbeit in institutionellen Einrichtungen die größte Motivation. Früher musste sie Menschen mit Behinderungen vor allem Grenzen setzen, jetzt kann sie ihnen Brücken bauen.

Gemeinsam haben die Berater*innen, dass sie wissen, wovon sie reden. Jede*r von ihnen hat in den letzten Jahren selbst ein inklusives Wohnprojekt verwirklicht. 'Es ist toll zu sehen, wie aus Unbekannten eine Projektgruppe entsteht - und aus einer Idee eine inklusive Wohngemeinschaft.', berichten Henrike Großmann und Christian Stoebe aus der Dresdner Beratungsstelle. Dass dafür eine professionelle Begleitung wichtig ist, weiß Christiane Strohecker. Sie hat in den letzten Jahren bereits zahlreiche Privatgruppen und Träger der Behindertenhilfe freiberuflich begleitet. Jetzt freut sie sich darauf, bei WOHN:SINN inklusiven Wohnprojekten in Westdeutschland als Ansprechpartnerin zur Verfügung zu stehen.

'Unser Ziel ist, dass auch Menschen mit Behinderung so leben können, wie sie es sich wünschen, denn Wohnen ist ein Menschenrecht', so Tobias Polsfuß, Geschäftsführer von WOHN:SINN und Leiter des Projekts, in dessen Rahmen die Beratungsstellen in Bremen, Dresden, Köln und München an den Start gehen. Die Expert*innen bringen hier [in den] kommenden Jahre[n] mit Vorträgen, Schulungen, Vernetzung und Begleitung inklusives Wohnen in ihren Regionen voran. 'In fünf Jahren sollen alle Organisationen, die Wohnraum für Menschen mit Behinderungen planen, und alle Betroffenen, die selbst etwas auf die Beine stellen möchten, über ein inklusives Haus oder eine inklusive Wohngemeinschaft nachdenken - und sich im besten Fall dafür entscheiden', erklärt Polsfuß."

Ausblick

Mein Tee ist leer, ich habe ungeheuer anregende Informationen erhalten, die mir den Eindruck vermitteln, dass hier eine neue Idee richtig Fahrt aufgenommen hat. Denn auch in Forschung und Politik kann die neue Wohnidee erste Erfolge verzeichnen. In Zusammenarbeit mit WOHN:SINN forscht die Heilpädagogikprofessorin Jessica Köpcke an der Berlin Medical School zum Thema Gelingungsfaktoren für inklusive Wohngemeinschaften. Erste Grundstücksvergaben in München richteten sich nicht mehr nach dem höchsten Gebot, sondern nach dem besten Konzept und gingen dadurch auch an inklusive Wohnprojekte. All diese Bereiche müssen im Zusammenspiel funktionieren. Dafür braucht es allen voran Menschen, die wirklich an neue Wohnformen in einer inklusiven Zukunft glauben. Der Weg dahin führt wie so oft über die direkte Begegnung. Oder wie Tobias Polsfuß es ganz konkret formuliert: "Wer mich in meiner WG besucht und später vor der Entscheidung steht, eine Person mit Behinderung einzustellen, der sagt dann vielleicht: Ach ja, die hat das, was die Mitbewohnerin vom Tobi damals hatte. Und hat keine Berührungsängste der Person gegenüber."

Foto 1: Wie wollen wir wohnen? WOHN:SINN - Bündnis für inklusives Wohnen e.V. setzt sich für ein Zusammenleben mit Begegnungen auf Augenhöhe, Selbstbestimmung und Inklusion ein. Foto: Daniela Buchholz [Auf einer großen braunen Pinnwand steht in Großbuchstaben "Konzept", verschiedene Bilder, Papiere und Worte sind aufgeklebt. Zwei Frauen und ein Mädchen stehen davor, das Mädchen hält das Transparent "Inklusion" hoch, die Frau an ihrer linken Seite das Transparent "Selbstbestimmung".]

Foto 2: Tobias Polsfuß. Foto: www.wohnsinn.org [Tobias Polsfuß lacht fröhlich. Er hat blaue Augen, blonde Haare und einen kurzen Bart.]

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Was Windows-Nutzende über Linux wissen sollten
- ein sehr freier Telefonchat zu einem freien Betriebssystem

Von Oliver Nadig

Vorbemerkung der Redaktion:

Die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg, teilweise auch Bremen, beabsichtigen, sich in den nächsten Jahren vom Betriebssystem Windows zu verabschieden und ihre Verwaltungsabläufe auf das frei zugängliche Betriebssystem Linux umzustellen, um so ihre "digitale Souveränität zurückzugewinnen". Da das zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Arbeitsplätze von blinden und sehbehinderten Menschen und auf ihre zukünftige Arbeitsfähigkeit haben wird, ist es wichtig, sich schon heute mit derartigen Planungen zu beschäftigen, um rechtzeitig Barrierefreiheit einzufordern. Deshalb hat sich der DVBS bereits im Juli dieses Jahres mit einem entsprechenden Schreiben an den in Schleswig-Holstein zuständigen Minister Albrecht gewandt.

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Mit drei Stunden Dauer war der insgesamt achte Telefonchat der DVBS-Fachgruppe "Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik" (MINT) zum Thema "Was Windows-Nutzende über Linux wissen sollten" am 14. Juli 2020 der bisher Längste in der Reihe. Der Referent Halim Sahin von der Technischen Hochschule Mittelhessen schaltete mehrfach gekonnt zwischen Referats- und Diskussionsmodus hin und her.

1. Grundlagen

1.1 Was sind Linux und Linux-Distributionen?

Linux ist ein frei kopierbares Betriebssystem. Es stammt historisch von verschiedenen Varianten des Großrechner-Betriebssystems Unix und besteht aus einem Betriebssystemkern (Kernel) und dem notwendigen "Drumherum", als "Userland" bezeichnet.

Da Linux unter der "General Public License" (GPL) steht und frei weitergegeben werden kann, dürfen Firmen und Privatpersonen es verbreiten. Dies tun sie in Form sogenannter "Distributionen". So sind tausende von Linux-Distributionen entstanden. Oft wird eine bestehende Linux-Distribution hergenommen und an bestimmte Spezialbedürfnisse angepasst. Deshalb sind die meisten Distributionen in der Art eines Stammbaums mehr oder weniger miteinander verwandt. Einige bekannte Distributionen sind Debian, Knoppix, OpenSUSE und Ubuntu.

Was gängige Distributionen technisch unterscheidet, wie screenreadertauglich sie sind und wem sie empfohlen werden können, wird weiter unten im Text thematisiert.

1.2 Wo findet man Linux?

Zu Hause ist Linux u. a.

  • auf Smartphones und Tablets (in Form von Android),
  • auf intelligenten Fernsehern der Firmen Samsung und Sony,
  • auf kostengünstigen Tablets und Notebooks für den Bildungsbereich vor allem in den USA (in Form von Chrome OS),
  • in Amazons Smarten Assistenten mit Bildschirm = Echo Spot und Echo Show, auf Amazons E-Book-Lese-Tablets der Kindle Fire-Serie sowie in Amazons smarten Fernseh-Tunern Fire TV und Fire TV Stick.
1.3 Was sind Linux Live-Systeme?

Das sind Linux-Varianten auf einer CD, einer DVD oder einem USB-Stick, die man beim Hochfahren des Rechners starten kann, ohne ein Linux fest installieren zu müssen. Wer in Linux nur mal so hineinschnuppern möchte, ohne gleich eine Distribution aufzuspielen, für den sind Live-Systeme bestens geeignet.

2. Was unterscheidet Linux von Windows?

2.1 Betrieb im Text- oder Grafik-Modus

Unter Windows läuft alles rein grafisch ab. Das gilt auch dann, wenn man dort mit der Kommandozeile arbeitet. In Linux gibt es dagegen einen echten Textmodus. Den kann man sich ähnlich wie das Arbeiten mit dem alt-ehrwürdigen Microsoft-Betriebssystem MSDOS vorstellen: Alles funktioniert über eine zeilenweise Ein- und Ausgabe von Text.

Ein im Textmodus ausgeführtes Programm kann auch eine Benutzeroberfläche haben. Diese ist dann aber eben nicht grafisch, sondern enthält Menüs, Listen, Schaltflächen und viele andere Arten von Steuerelementen, die rein aus Textzeichen aufgebaut sind. Selbstverständlich kann aber unter Linux auch mit grafischen Benutzeroberflächen gearbeitet werden.

2.2 Die Wahl der Desktop-Umgebung

Unter Windows können wir die Art der grafischen Oberfläche, die sogenannte Desktop-Umgebung, nicht verändern. Sie ist vorgegeben. Anders bei Linux.

Hier können wir im Grafik-Modus bei vielen - nicht bei allen - Distributionen zwischen dutzenden von Desktop-Umgebungen für verschiedenste Anwendungs-Szenarien wählen. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen:

  • GNOME: Ist das Standard-Desktopsystem unter anderem der Distributionen Debian und Ubuntu. GNOME hat sich den Prinzipien Einfachheit und "Zugänglichkeit für alle" verschrieben und wird deshalb vor allem Linux-Einsteigern empfohlen.
  • KDE: KDE ist der Standard-Desktop unter anderem bei der Distribution Kubuntu. KDE ist hochgradig konfigurierbar bei gleichzeitiger intuitiver Bedienbarkeit, wenn man es bei den Standard-Einstellungen belässt.
2.3 Bezugsquellen für Software und ihre Updates

Unter Windows besorgen wir uns unsere Software dezentral.

Das hat vier Nachteile:

  1. Nutzer sind selbst dafür verantwortlich, eine für eine Aufgabe geeignete Software zu kennen und zu finden.
  2. Über unseriöse Download-Quellen kann man sich - über die Webseite oder eine verunreinigte Installationsdatei - Schadsoftware und unerwünschte Huckepack-Programme (Adware) einfangen.
  3. Viele Programme benötigen dieselben Komponenten, beispielsweise eine Java-Laufzeitumgebung. Da die Windowsprogramme "nichts voneinander wissen", bringt jedes Programm diese Komponente individuell mit - darum finden sich Laufzeitumgebungen bestimmter Programmierwerkzeuge zehn- oder mehrfach auf Windows-PCs. Das frisst Speicherplatz!
  4. Da die Programme dezentral installiert wurden, muss sich jedes Programm individuell auch um seine Updates kümmern.

Linux geht hier einen anderen Weg: Die Software wird im Internet zentral vorgehalten und von dort heruntergeladen, sog. Repository (Software-Depot), das von Personen, die an der Entwicklung der jeweiligen Linux-Distribution beteiligt sind, gepflegt und überwacht wird. Das Zusammensuchen von Programmen und die Sorge um Schadsoftware entfallen dadurch.

Die Software in einem Linux Repository wird in sogenannten Paketen (Packages) vorgehalten. Viele Anwendungen sind auf mehrere Pakete aufgeteilt. Dadurch lassen sich Bibliotheken, die von vielen verschiedenen Programmen genutzt werden, in ein separates Paket stecken und müssen dann nur einmal heruntergeladen werden. Über ein Repository können auch sämtliche Software-Updates zentral bereitgestellt werden, was den Update-Mechanismus vereinheitlicht.

Der Paketmechanismus hat auch Probleme:

  1. Besteht eine Software z. B. aus 5 Paketen, so kann sie nicht laufen, wenn ich versehentlich nur vier Pakete herunterlade.
  2. Bei gemeinsam genutzten Komponenten kann es vorkommen, dass Software A eine andere Version der Komponente voraussetzt als Software B.

Diese Abhängigkeiten und Konflikte zu beherrschen, ist die Aufgabe sogenannter Paket-Manager, die in allen Linux-Distributionen enthalten sind.

2.4 Windows, Linux und das Kuchenbacken

Windows ist wie eine Fertigbackmischung: Sie enthält alles, was ein guter Kuchen braucht, und schmeckt bei sachgemäßer Zubereitung sehr lecker. Einzig: Über das Kuchenbacken lernt man sehr wenig. Linux verlangt das Durchlesen eines Rezepts. Bei jeder Zutat kann man sich überlegen, sie zu verwenden oder gegen eine andere, gleichwertige Zutat auszutauschen. Die Feinabstimmung bleibt einem selbst überlassen, und wenn man den gelungenen Kuchen nach rechtschaffener Arbeit fertig auf dem Teller hat, weiß man sehr viel übers Backen.

Eine Herausforderung unter Linux kann es sein, passende Treiber für neue oder exotische Hardware zu finden, etwa um NVIDIA-Grafikkarten befriedigend zum Laufen zu bekommen.

3. Linux mit Screenreader und Vergrößerung

3.1 Bedienhilfen im Textmodus

Seit 1996 gibt es mit BRLTTY (http://mielke.cc/brltty/) einen Linux-Screenreader für den Textmodus, der moderne Braillezeilen unterstützt. Zu den bekanntesten unterstützten Sprachausgaben gehören eSpeak NG, Festival und ViaVoice.

Bezogen auf Braille werden Cursorrouting, variable Blinkgeschwindigkeit und Anzeigeform des Cursors sowie die Darstellung von Textformatierungen wie "hervorgehoben" unterstützt.

3.2 Bedienhilfen im Grafikmodus

Aus dem als gescheitert anzusehenden Projekt Gnopernicus der Firma Baum ging 2005 der Screenreader "Orca" für grafische Linux Desktop-Umgebungen hervor. Dieser erhält seine Informationen über eine Softwareschnittstelle namens "Assistive Technology Service Provider Interface" (AT-SPI). AT-SPI - und damit Orca - stehen für verschiedene Desktop-Umgebungen, darunter GNOME, KDE und LXDE, zur Verfügung.

Orca verfügt über die folgenden Leistungs- und Funktionsmerkmale:

  • Eine gute Online-Dokumentation, die allerdings nicht an die hervorragende Qualität der Dokumentation von NVDA heranreicht,
  • Unterstützung von Sprachprofilen,
  • Zuweisung von Orca-Funktionen an Tastenkombinationen - ähnlich dem Tastatur-Manager von JAWS unter Windows,
  • seit Kurzem Unterstützung für Vocalizer-Stimmen, allerdings ohne die Möglichkeit der automatischen Sprachenumschaltung,
3.3 Problemfeld "Wayland"

Einige Vorbemerkungen: Während es zwanzig Jahre lang nur das "X Window System" als Grafiksystem gab, begann man vor zehn Jahren mit der Entwicklung eines moderneren und schlankeren Grafiksystems namens "Wayland". Aktuell hat der Screenreader Orca noch sehr große Probleme mit dem Auslesen von Oberflächeninhalt, wenn Wayland statt des X Window Systems eingesetzt wird.

3.4 Wie schlägt sich Orca mit wichtigen Anwendungen
  • Webbrowser: Im Gegensatz zu den Windows-Screenreadern JAWS und NVDA virtualisiert Orca Webseiten nicht. Trotzdem ist eine Navigation mit Kurztasten möglich. Die Tatsache, dass nicht virtualisiert wird, bietet den Vorteil, Texte direkt aus Webseiten herauskopieren zu können.
  • Libre Office Writer: Textformatierungen und Standard-Formatvorlagen wie Überschriften werden unterstützt. Ob sich beliebige Formatvorlagen ansagen lassen, ist uns nicht bekannt.
  • Libre Office Calc: Wir sind uns zwar nicht sicher, aber vermutlich ist dieses Tabellenkalkulationsprogramm unter Umständen unter Linux mit Orca zugänglicher als mit JAWS und NVDA unter Windows.
3.5 Linux mit Sehbehinderung?

Eine ausgewachsene Bildschirmvergrößerungssoftware wie etwa Zoomtext oder Supernova für Windows gibt es unter Linux nicht. Zwar bieten die Bedienhilfen einiger Distributionen Anpassungsmöglichkeiten für Schriftgröße und Kontraste. Insgesamt werden die vorhandenen Hilfen von der Community der sehbehinderten Menschen jedoch als unbefriedigend erachtet. Für eine Zusammenfassung der wenigen Vergrößerungsmöglichkeiten und weiteren Accessibility-Themen siehe: https://wiki.debian.org/de/accessibility

4. Entscheidungskriterien zur Distributionsauswahl

4.1 Selbständig blind installierbar

Ausgestattet mit entsprechenden Vorkenntnissen lassen sich heute Linux Mint und Ubuntu selbständig blind installieren. Eine weitere sehr zugängliche Installationsmöglichkeit bietet der Debian-Installer.

Dieser arbeitet im Textmodus und erkennt automatisch angeschlossene Braillezeilen während der Installation.

4.2 Ähnlichkeit zu Windows

Da jedes Betriebssystem eine Welt für sich ist, darf die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Forderung, das neue System möge dem bekannten Windows möglichst ähnlich sein, durchaus gestellt werden. Trotzdem ist der Wunsch bei einigen potenziellen Umsteigern von Windows auf Linux vorhanden. Ob das der Fall ist, hängt von der jeweiligen Programmierung ab.

4.3 Dauer der Versionsunterstützung und Aktualität der Updates

Hier kann Ubuntu punkten: In allen Jahren mit gerader Jahreszahl kommt zum April eine Version mit dem Zusatz "LTS" heraus. Dies steht für "Long Term Support" und bedeutet, dass exakt diese Version fünf Jahre lang mit Updates versorgt wird. Wer sich beispielsweise das aktuelle Ubuntu 20.04 LTS installiert, erhält bis ins Frühjahr 2025 dafür Updates.

Aktualität und Stabilität sind oft entgegengesetzte Forderungen. Die meiste Flexibilität hat man hier bei Debian: Man kann zwischen den Aktualisierungsarten "stable", "testing" und "unstable" wählen.

Wer immer die neuesten Updates möchte, wählt eine Linux-Distribution mit der Aktualisierungsmethode "rolling release": Sobald an einer Software-Komponente Änderungen vorgenommen werden, stehen diese als Update zur Verfügung.

4.4 Zielgruppe

Zwei sehr unterschiedliche Zielgruppen einer Linux-Distribution sind technische Laien und Technikfreaks. Während sich Ubuntu bewusst an Einsteiger wendet, sind für Technikverliebte Arch Linux und Gentoo Linux empfehlenswert.

4.5 Fazit

Knoppix eignet sich zum "hineinschnuppern" in Form eines Live-Systems. Linux Mint, Ubuntu und Ubuntu Mate sind für sehbehinderte und blinde Einsteiger zu empfehlen. Wer mit solchen Linux-Distributionen so richtig auf den Geschmack kommt, könnte mittelfristig auf Debian umsteigen.

Zum Referenten

Halim Sahin hat an der Technischen Hochschule Mittelhessen (früher: Fachhochschule Gießen-Friedberg) Informatik studiert und ist seit 2011 dort angestellt. Er ist seit 2015 in der IT-Abteilung für die Umrüstung klassischer Telefonie auf Voice over IP zuständig. Mit Linux arbeitet er sowohl privat seit mehr als zwanzig Jahren als auch beruflich. Der 43-Jährige ist geburtsblind und Vater zweier Kinder.

Zum Autor

Oliver Nadig engagiert sich ehrenamtlich im Leitungsteam der DVBS-Fachgruppe "Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik" (MINT) sowie im gemeinsamen Fachausschuss für Informations- und Telekommunikationssysteme (FIT) der überregionalen Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe. Der 47-Jährige Diplom-Psychologe arbeitet hauptberuflich als Rehabilitationslehrer der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista) und gehört seit Sommer dieses Jahres auch zum Team des DVBS-Projekts "agnes@work". Kontakt per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Foto 1 : Unter Linux kann unter anderem in einem echten Textmodus gearbeitet und programmiert werden. Foto: privat [Bildschirm mit Texteingaben, farblich modifiziert in gelber Schrift auf blauem Grund.]

Abb.: Linux-Maskottchen Pinguin Tux. Abb: OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Foto 2: Halim Sahin. Foto: privat [Halim Sahin hat einen dunkelbraunen Haarkranz und einen Bartansatz. Er trägt einen blauen Pullover und blickt freundlich in die Kamera.]

Foto 3: Oliver Nadig. Foto: privat [Oliver Nadig hat dunkle Haare und braune Augen. Er trägt ein helles, fliederfarbenes Hemd und lächelt.]

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Unterricht der Zukunft -
Pläne und konzeptionelle Entwicklungen an der blista

Von Dr. Imke Troltenier

Wie wird er aussehen, der Schulunterricht der Zukunft? In welche sozialen Situationen werden die Lernprozesse eingebunden sein? Wie werden Lernräume künftig gestaltet?

Sicherlich inklusiv. Auf dem blistaCampus lernen Kinder und Jugendliche mit und ohne Sehbeeinträchtigung seit dem Schuljahr 2018/19 zusammen. "Es zeigt sich, dass die Schülerinnen und Schüler voneinander profitieren. Die blista bietet allen ein stimmiges Konzept mit einem Lernumfeld, das Raum für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung eröffnet und dazu viele spannende Wege aufzeigt", erklärt blista-Direktor Claus Duncker.

Die Entwicklungen auf dem blistaCampus werden vom Fachbereich Erziehungswissenschaften der Philipps-Universität Marburg wissenschaftlich begleitet. Das Forschungsteam um Prof. Dr. Wolfgang Meseth legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die didaktischen Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens. Unter dem Titel "Von der Förderschule zur inklusiven Regelschule" untersucht eine zweijährige Begleitstudie die Etablierung des neuen, inklusiv ausgerichteten Schulkonzepts der Carl-Strehl-Schule und bestätigt damit die Öffnung der Carl-Strehl-Schule: "... das Lernen und die psychosoziale Situation der blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schüler (kann) .... durch den pädagogisch gerahmten Austausch mit vollsehenden Schülerinnen und Schülern deutlich gefördert werden", so nachzulesen im gerade fertiggestellten Abschlussbericht.

Claus Duncker unterstreicht in diesem Zusammenhang zugleich die Bedeutung von Schulkooperationen innerhalb der Universitätsstadt Marburg: "Wir planen u.a. ein neues Schulbündnis für den inklusiven Leistungssport. Das Gymnasium Steinmühle misst dem Potenzial des Sports für die Persönlichkeitsentwicklung seiner Schülerinnen und Schüler eine ähnlich hohe Bedeutung zu wie wir. Im Breitensport nehmen die Kinder und Jugendlichen unserer beiden Schulen seit vielen Jahren an gemeinsamen Sportkursen und Angeboten teil. Die Erfahrungen sind durchweg positiv", führt der blista-Direktor aus: "Kein mitleidiges Helfen oder erzwungene Freundlichkeiten geben den Ausschlag, sondern das Interesse, zusammen zu trainieren, sich zusammen anzustrengen: Mit allen und allem, was dazugehört an menschlichen Gefühlen, Hoffnungen, Jubel und Enttäuschungen, Begegnungen und Freundschaften."

Die neue Schulkooperation wird die Grundlage dafür bilden, die Leistungssportangebote an beiden Schulen zu erweitern und zu zeigen, dass ein Miteinander von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Beeinträchtigung auch im Leistungssport auf Augenhöhe funktioniert.

Welche Rolle spielt der Einsatz digitaler Endgeräte und moderner Kommunikationsmedien? Welche konkreten Maßnahmen zur Umsetzung digitalen Lernens gibt es bereits? Und was bleibt noch zu tun?

"Schule muss digitaler werden", fordert Kanzlerin Angela Merkel im aktuellen Podcast. Die Corona-Krise habe gezeigt, wie wichtig digitale Medien und digitale Bildungsformate sind. Es sei aber auch deutlich geworden, was noch nicht funktioniert. Die Digitalisierung der Schulen müsse mit Hochdruck vorangetrieben werden, sie sei eine unverzichtbare Ergänzung zum Präsenzunterricht.

Das milliardenschwere Förderprogramm "Digitalpakt Schule" wurde zuletzt auf sechs Milliarden Euro aufgestockt. Alle Schulen sollen so schnell wie möglich an das schnelle Internet angeschlossen werden, digitale Lernsysteme, Cloud-Angebote, geeignete Computer, Leihgeräte für bedürftige Schüler*innen, Laptops und Fortbildungen für Lehrkräfte sowie eine professionelle Betreuung der Technik an den Schulen sind vorgesehen.

"In Sachen Schuldigitalisierung ist die blista sehr gut aufgestellt. Ab der 6. Klasse werden alle Schülerinnen und Schüler mit Laptops ausgestattet. Das Arbeiten in Netzwerken ist durch den Schulalltag vertraut. Professionelle IT-Unterstützung gibt es bei der 'ZITA', der zentralen IT-Abteilung der blista", berichtet Patrick Temmesfeld, stellvertretender Direktor der blista. Mit der Lernplattform Moodle, dem kollaborativen Online-Editor "blista-Pad", dem Audio- und Videokonferenz-System Jitsi und last, not least Podcasts hat die blista beim Homeschooling sehr gute Erfahrungen gemacht. Durch Anpassungen im Quellcode der jeweiligen Anwendungen konnte die Barrierefreiheit der jeweiligen blista-Implementationen so stark verbessert werden, dass sie auch im Unterricht mit JAWS-Nutzer*innen problemlos eingesetzt werden können. "Wir arbeiten daran, diese Angebote weiter auszubauen und zu optimieren", betont Patrick Temmesfeld.

"Natürlich ist das Lernen über Podcasts und Co. wichtig und es ist eine gute Vorbereitung für die Oberstufe. Aber ich finde es doch schön und deutlich motivierender, wenn man Fragen direkt und konkret stellen kann und nicht erst eine Mail schreiben und genau formulieren muss", sagt Oberstufenschülerin Gina Marie Eichhoff. Sie favorisiert den Präsenzunterricht. Sprachen, Politik, Ethik seien Paradebeispiele für Fächer, die vom lebendigen Austausch profitieren und davon, dass man sich andere Meinungen anhöre. Gleichwohl gibt Gina zu bedenken: "Das Videokonferenzsystem Jitsi funktioniert gut und es gibt neben Corona natürlich noch viele andere Gründe, aus denen man vielleicht nicht am Präsenzunterricht teilnehmen kann. Wenn man sich zum Beispiel ein Bein gebrochen hat und Zuhause sitzt, kriegt man ja als vollblinder Mensch dann sechs Wochen lang wenig mit." Demgegenüber, so Gina, sei die digitale Anbindung an den Unterricht eine deutlich bessere Lösung.

Müssen Lehrende durch starke Steuerung klare Vorgaben machen? Oder lernen junge Menschen in Eigenverantwortung leichter? Sollen Kinder und Jugendliche künftig mitentscheiden? Wird die Schule der Zukunft partizipativer werden?

Im November dieses Jahres jährte sich die Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention zum 31. Mal. Sie schreibt fest, dass Kinder und Jugendliche das Recht haben, bei den Themen, die sie betreffen, gehört und beteiligt zu werden. Dass die Konvention in wichtigen Teilen unserer Gesellschaft angekommen ist, belegt eine neue Studie. Zum Weltkindertag 2020 hat UNICEF die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage unter deutschen Städten und Gemeinden unter dem Titel "Signale für einen Aufbruch" veröffentlicht. Demnach stufen 93 Prozent der befragten Kommunen die Partizipation von Kindern und Jugendlichen u.a. im Bereich der Bildung als wichtig oder sehr wichtig ein.

"Kinder lernen am besten, wenn sie lernen wollen", bestätigt Markus Biber, blista-Gesamtleiter der Montessori-Schulen. An der sechsjährigen Grundschule beinhaltet jeder Schultag Schulfächer, Pausen und einen Freiarbeitsblock. In der Freiarbeitszeit können die Kinder ihrem individuellen Lernvorhaben folgen und Zeit finden, sich vertieft mit einem Thema auseinanderzusetzen. "Die Kinder erhalten bei uns also die Freiheit, in ihrem eigenen Tempo zu lernen und zu begreifen", betont Markus Biber und fährt fort: "Unser großes Repertoire an Lernmaterialien und Versuchszubehör bietet jedem Kind die Möglichkeit, nach den eigenen Interessen zu forschen, seine Stärken zu erkennen und sich in allen Fachbereichen fortzubilden. Das Montessori-Material und die ausgebildeten Pädagogen unterstützen die Kinder dabei, die Konzepte hinter dem Lernstoff zu verstehen und ihr selbstbestimmtes Tun als sinnvoll und gewinnbringend zu erleben, ganz dem Leitspruch der Montessori-Pädagogik: 'Hilf mir, es selbst zu tun'." Traditionell steht der Einsatz digitaler Endgeräte und moderner Kommunikationsmedien nicht im Mittelpunkt der Montessori-Pädagogik, aber die Montessori-Lernwelten sind offen für Neues. Internetrecherche, Apps und spannende Online-Angebote stehen mit fortschreitendem Alter der Montessori-Kids immer mehr fürs selbstbestimmte Lernen bereit.

"An der Carl-Strehl-Schule wird der Unterricht in den letzten Jahren vielfach und zunehmend in Projekten gestaltet. Dafür entwickeln wir u.a. auch neue Lehr- und Lern-Materialien", erläutert Schulleiter Peter Audretsch. "Dazu zählen beispielsweise die 'Multimedialen Lernpakete für den inklusiven Unterricht', die an der blista für die MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik entwickelt werden. Die Lernumgebungen sollen idealerweise einen reichhaltigen Angebotscharakter besitzen und das "be-greifende" Lernen unterstützen."

Welche Lehr- und Lernbedingungen stärken die Neugier und den Erwerb von Fähigkeiten, Wissen und Kompetenzen? Wer oder was motiviert junge Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung, den Dingen auf den Grund zu gehen? Fragen über Fragen.

Wie es aussehen könnte, die Kurve flach zu kriegen - ein außerordentlich beliebter Lehrfilm machte in der Corona-Krise von sich reden. Über sechs Millionen Mal wurde das 22-minütige Wissenschaftsvideo angeklickt. Die Autorin Mai Thi Nguyen-Kim ist Chemikerin mit Doktortitel und bietet jeden zweiten Donnerstag in ihrem Kanal "MaiLab" Neues zum Lernen an. "In Zeiten, in denen Fake News im Netz wabern und junge Menschen umzingeln, schult sie, kritisch zu denken, zu hinterfragen und nichts als selbstverständlich hinzunehmen", schrieb die Süddeutsche Zeitung im Sommer.

"In der Zeit des Corona-Lockdowns haben wir mit der Digitalisierung gute Erfahrungen gemacht. Das Expertenwissen unserer digitalen Vorreiter soll in den nächsten Wochen und Monaten auf breite Schultern gestellt werden. Dazu bieten wir in diesem Schuljahr weitergehende Fortbildungen für die Lehrkräfte an", erzählt Schulleiter Peter Audretsch.

Oberstufenschülerin Gina freut sich auf die neuen Entwicklungen: "Ich finde, der Unterricht an der Carl-Strehl-Schule könnte noch viel interaktiver gestaltet sein." Sie erklärt: "Das ist hier an der blista vielleicht schwerer zu realisieren, weil ja alles barrierefrei sein muss. Aber wir haben ja schon mal das Glück, dass wir alle Laptops haben. Das blista-Pad (der kollaborative Online-Editor) geht in die richtige Richtung. Daraus könnte man noch mehr machen. Man könnte es nutzen, dass man so vernetzt ist. Das ist beim blista-Pad schon total cool: Du kannst als Gruppe an etwas arbeiten, alle lernen gemeinsam und sehen die Änderungen der anderen. Die Ergebnisse werden eingestellt und müssen nicht extra diktiert werden. In dieser Richtung sollte es noch viel mehr geben."

Linktipps

  1. Podcast der Kanzlerin: Schule muss digitaler werden, vom 19.09.2020 https://www.youtube.com/user/bundesregierung
  2. 4 Tipps aus der blista zum Homeschooling, https://www.blista.de/Homeschooling_4-Tipps-aus-der-blista
  3. Infos über die Multimedialen Lernpakete für den inklusiven Unterricht der blista (MuLis), https://www.youtube.com/watch?v=ClS21ElGyKY
  4. Signale für einen Aufbruch - https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/kinderrechte-in-kommunen-signale-fuer-einen-aufbruch/225268
  5. "Lebensweisheit Chemie", Carolin Werthmann, Süddeutsche Zeitung am 27./28. Juni 2020

Foto: Gina Marie Eichhoff arbeitet mit Laptop und Braillezeile. Digitales Arbeiten wird im Unterricht der Zukunft eine große Rolle spielen. Foto: blista [Gina Marie Eichhoff hat schulterlange, rotbraune Haare und lächelt über den aufgeklappten Laptop hinweg. Sie trägt eine Jeansbluse und eine dunkelblaue warme Jacke.]

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Mut zum eigenen Weg - Zukunft der Selbsthilfe

Von Petra Krines

Aktive Mitglieder der Selbsthilfe scheinen nicht gerne über Zukunftssorgen oder -befürchtungen zu sprechen. Selbstverständlich seien sie immer wieder mit Problemen oder Hindernissen konfrontiert, aber ihren Schwerpunkt möchten sie darauf legen, Lösungen zu finden. Dies betonen einstimmig und über alle Generationen hinweg vier engagierte Mitglieder des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS), die sich für den "horus" interviewen ließen.

Selbstbewusst auftreten und für Interessen kämpfen

Selbstbewusst für die eigenen Interessen eintreten, positiv denken und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, das zeichnet die Aktiven der Selbsthilfe aus. Und doch werden auch die Risiken zukünftiger Entwicklungen gesehen. So weist Hubertus Ellerhusen, ehemaliger Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht, darauf hin, dass der Turbo-Kapitalismus mit seinen Ansprüchen an schnelleres Arbeiten die Arbeitswelt für blinde und sehbehinderte Menschen immer schwieriger macht. "Auch der zunehmende Individualismus macht mir Sorge. Solidarität scheint kaum mehr eine Rolle zu spielen", sagt der 81-Jährige, der seit seinem 18. Lebensjahr Mitglied im DVBS ist. Damit ist er der 26 Jahre alten Kyra Theissen, die im August ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Lebenshilfe beendete, inhaltlich durchaus nahe. "Das 'Schöner, Schneller, Besser, Weiter' auf Instagram und Co. setzt nicht nur mich unter Druck", berichtet das sehbehinderte DVBS-Mitglied. "Äußerlichkeiten, Figur, Make-up und Mode spielen heute eine große Rolle. Dem kann ich mich kaum entziehen." Sorgen macht sich Kyra Theissen über die von Amazon beworbene "Zukunft des Einkaufens": Supermärkte ohne Personal. Mit einer App auf dem Handy und einem QR-Code erhalten Kunden Zutritt zu den Supermärkten. Die Produkte sind für den Bezahlvorgang an der Kasse mit RFID-Chips ausgestattet. Dort sitzen auch keine Mitarbeiter mehr. Selbstverständlich wird bargeldlos bezahlt und der Kunde während seines gesamten Einkaufs von Kameras überwacht. "Diese Entwicklung finde ich bedenklich", sagt sie. "Arbeitsplätze werden abgebaut und wir haben keine Ansprechpartner mehr für Fragen. Außerdem sind wir gezwungen, bargeldlos zu bezahlen." Das macht Kyra Theissen gerade in Corona-Zeiten ungern. Sie möchte sich nicht so dicht über das Kartenlesegerät beugen müssen, um die Angaben lesen zu können. Außerdem hat sie auch bereits die Erfahrung gemacht, dass blinde oder sehbehinderte Menschen betrogen werden. "Bei den Banken kann man schon sehr gut erleben, wie sich ein solcher Personalabbau auswirken kann. Oft reduziert sich dort der Service auf die Empfehlung, zum Online-Banking zu wechseln, auch wenn die Software alles andere als barrierefrei ist. Es sollte nicht sein, dass technische Änderungen als Fortschritt verkauft werden, wenn blinde und sehbehinderte Menschen dabei nicht berücksichtigt werden."

Auch Verena Hofmann, 32 Jahre alt und bis vor kurzem Jurastudentin, beschreibt gelegentliche Schwierigkeiten beim Online-Banking: "Ich wollte eine Überweisung ausführen und scheiterte. Die Telefon-Hotline war auch nicht hilfreich, da mir dort nur empfohlen wurde, auf einen bestimmten Button zu klicken, den ich aber nicht sehen konnte." Initiiert durch Aktive der Selbsthilfe, wurden die Entwickler*innen angeschrieben. "Sie hatten keine Ahnung von Screenreadern. So mussten wir ihnen alles erklären und die einzelnen Schritte gemeinsam durchexerzieren", sagt Verena Hofmann. Das ist ein praktisches Beispiel für die Arbeit und den Erfolg von Selbsthilfeorganisationen.

Generell ist (digitale) Barrierefreiheit ein wichtiges Thema für alle Interviewten.

Werner Wörder, Mitglied des DVBS-Vorstands und Gymnasiallehrer für Geschichte, Politik und Wirtschaft, sieht überwiegend Chancen in der Digitalisierung. Der 60-Jährige nutzt gerne Online-Banking und Online-Portale. Dennoch stellt er auf diesem Gebiet auch Aufklärungs- und Entwicklungsbedarf fest: "Vielen Unternehmen und auch öffentlichen Einrichtungen ist nicht bewusst, welche Hürden sich für blinde und sehbehinderte Menschen durch den zunehmenden Einsatz von Touchscreens oder nicht barrierefreien Websites ergeben.

Nur weil die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet wurde, heißt das noch lange nicht, dass sie auch konsequent umgesetzt wird", sagt Werner Wörder. Das gleiche gelte für den European Accessibility Act (EAA), der sich noch in der Umsetzung in deutsches Recht befindet. Erforderlich sei die kontinuierliche Zusammenarbeit mit Entwicklern und Hilfsmittelanbietern: "Die Selbsthilfe hat hier wichtige Aufgaben zu übernehmen und selbstbewusst ihre Interessen zu vertreten."

Weitere Themen, die momentan mit Sorge beobachtet werden, sind die geräuscharme E-Mobilität, zunehmende Vereinzelung durch inklusive Beschulung und mögliche finanzielle Einbrüche durch die Corona-Krise. Doch auch hier zeichnen sich bereits Lösungen ab. So könnten E-Fahrzeuge mit künstlichen Geräuschen hörbar gemacht werden und die Organisationen der Selbsthilfe thematisieren bereits bei Politik und Wirtschaft die finanziellen Folgen, welche die Pandemie für ihre Arbeit, aber auch für ihre Zielgruppen haben könnte.

"Vergangenheit war auch nicht immer erstrebenswert"
(Werner Wörder)

Dass Selbsthilfe wirkt, hat sie in vielen Jahrzehnten beeindruckend unter Beweis gestellt. Noch vor 100 Jahren konnten viele blinde und sehbehinderte Menschen, obwohl sie oft gebildet und arbeitsfähig waren, für ihren Lebensunterhalt nicht selbst sorgen. Erst durch die Gründung von Selbsthilfeorganisationen verbesserte sich allmählich ihre Situation. In den 50er-Jahren war Inklusion noch kein Thema und seheingeschränkte Studierende hatten größere Barrieren bei der Literatursuche, außerdem keine Fachgruppe im DVBS, die sie unterstützte. Heute dagegen geht es um gleichberechtigte Teilhabe bei Arbeit, Freizeit und Kultur. "Die Situation blinder und sehbehinderter Menschen hat sich in der BRD stetig verbessert. Allerdings ist das kein linearer Weg nach oben, sondern oft ein Kampf gegen Windmühlenflügel", findet Werner Wörder. Kaum sei ein Problem gelöst, erscheine oftmals ein neues. Doch viele davon ließen sich mit Ausdauer, Know-how und einer gewissen Beharrlichkeit lösen.

So setzten sich beispielsweise der DVBS und der DBSV zwanzig lange Jahre für das Recht auf Arbeitsassistenz ein, bis es endlich Gesetz wurde. Für das Blindengeld und dessen Erhalt wurde Anfang der 2000er Jahre mit Demonstrationen und einer eigens von der Selbsthilfe gegründeten Taskforce auf politischer Ebene gekämpft. In Zeiten knapper öffentlicher Mittel drohte auch der Anspruch auf kostenfreie Beförderung im ÖPNV abgeschafft beziehungsweise eingeschränkt zu werden. Doch der Widerstand organisierter Betroffener konnte das erfolgreich verhindern. Hubertus Ellerhusen berichtet über die Sorgen, als die "Computerei" von DOS auf die grafische Oberfläche Windows umstellte: "Je schöner die Darstellung für das sehende Auge wurde, desto schwieriger wurde die Bedienung für uns. Aber an dem Punkt 'Barrierefreiheit von Windows' hat die Selbsthilfe Großartiges geleistet. Ich habe größten Respekt vor den Menschen, die unter den Bedingungen Sehender arbeiten und darüber hinaus durch ihr Engagement die Situation für blinde und sehbehinderte Menschen verbessern. Ich verbinde mit solchen Aktiven die Hoffnung, dass so auch zukünftige Schwierigkeiten überwunden werden können."

"Mein Gerechtigkeitssinn ist entflammt!"
(Kyra Theissen)

Bis vor kurzem hatte Kyra Theissen nur wenig mit der Selbsthilfe zu tun, obwohl sie seit vier Jahren Mitglied im DVBS ist. Das änderte sich mit dem Ende ihres Freiwilligen Sozialen Jahres bei der Lebenshilfe im August 2020. Bereits die Suche nach einer FSJ-Stelle gestaltete sich schwierig, aber erst nachdem die Träger von ihrer Sehbehinderung erfuhren. Bei ihrem ersten Rundgang am zukünftigen Einsatzort wurde lobend erwähnt, dass "das Treppensteigen schon ganz gut funktioniert". Um viele Erfahrungen reicher nahm sie an ihrem ersten Selbsthilfe-Stammtisch teil und freute sich über das entgegengebrachte Verständnis. Doch sie will mehr. "Mein Gerechtigkeitssinn ist entflammt. Es ist wichtig, die Öffentlichkeit für unsere Themen zu sensibilisieren. Und ich möchte anderen seheingeschränkten Menschen helfen, die ebenfalls ein FSJ planen. Dazu gehört perspektivisch auch die Aufklärung der Träger", sagt die 26-Jährige, die sich darauf freut, ihre Anliegen mit dem DVBS voranzutreiben.

Grundsätzlich sind Interessensvertretung, Vernetzung, Informationsaustausch und gegenseitige Hilfe für alle interviewten Mitglieder wichtige Aspekte der Selbsthilfe. "Aber auch der Wissenstransfer durch (Online-)Seminare, Workshops, Fach- und Interessengruppen ist mir neben der sozialen Kommunikation sehr wichtig", sagt Verena Hofmann. Die Vernetzung der Selbsthilfeorganisationen untereinander sowie mit allen relevanten gesellschaftlichen und politischen Organisationen spricht Werner Wörder an: "Wir müssen Verbündete suchen und uns vernetzen. So können wir selbstbewusst auftreten und uns beharrlich für die Aufgaben und Ziele der Selbsthilfe engagieren. Wenn wir als Gleichberechtigte wahrgenommen werden wollen, müssen wir auch für unsere Interessen kämpfen." Dem schließt sich Hubertus Ellerhusen mit seiner über 60-jährigen Selbsthilfeerfahrung an: "Wir brauchen einen schlagkräftigen DVBS und genügend Mitglieder, die nicht nur Leistung erwarten, sondern auch ihre Erfahrung und Kraft einbringen." Dass Selbsthilfevereine über solche Mitglieder verfügen, zeigt eindrucksvoll dieser Artikel. Doch gerne dürfen sich noch mehr Menschen mit viel Optimismus und einer Prise Idealismus für die Zukunft der Selbsthilfe engagieren. Gemeinsam wird es auch in Zukunft gelingen, selbstbewusst die Interessen blinder und sehbehinderter Menschen zu vertreten, (digitale) Barrierefreiheit voranzubringen, Vorurteile abzubauen und für die gleichberechtigte Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen einzutreten.

Selbsthilfe lohnt sich!

Zur Autorin

Petra Krines koordiniert seit April 2020 die Öffentlichkeitsarbeit des DVBS. Hierbei kommen der 55-Jährigen ihre Erfahrungen als Journalistin und PR-Beraterin (DAPR) zugute, die sie für Non-Profit-Organisationen, Kommunen und Unternehmen unter anderem im Bereich Marketing und Unternehmenskommunikation gewonnen hat. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Tel.: 06421 94888-13.

Foto 1: Sich vernetzen, um Lösungen für Probleme von Heute zu finden und Zukunft zu gestalten: Werner Wörder, Hubertus Ellerhusen, Kyra Theissen und Verena Hofmann vertreten ihre Interessen im Rahmen der Selbsthilfe. Fotos: Ellerhusen (links unten) und Thyssen (mittig): privat; Wörder (li oben): DVBS / Kronenberg; Hofmann (re): DVBS [Bildcollage 4 Portraitfotos.]

Foto 2: Petra Krines. Foto: privat [Petra Krines hat blondes, schulterlanges Haar und blaue Augen und lächelt. Zum dunklen Blazer trägt sie eine zierliche Halskette.]

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Beruf, Bildung und Wissenschaft

Berufliche Qualifizierung und Eingliederung blinder und sehbehinderter junger Menschen - eine Langzeitbetrachtung (*)

Von Erwin Denninghaus und Kai Lammert

Im Zeitraum von 1988 - 2016 hat das LWL-Berufsbildungswerk Soest insgesamt sechsmal langfristige Nachbefragungen seiner Absolventinnen und Absolventen durchgeführt, um ihren Erwerbsstatus zu erheben. Die wichtigsten Erkenntnisse aus den Befragungen werden in dieser Zusammenfassung dargelegt.

Das LWL-Berufsbildungswerk Soest, Förderzentrum für blinde und sehbehinderte Menschen (BBW Soest), ist eine berufsbildende Einrichtung für blinde und sehbehinderte junge Menschen, die in den Berufsfeldern Wirtschaft und Verwaltung, Metalltechnik sowie Ernährung und Hauswirtschaft ausbildet.

Der Anstoß zur Evaluation des Ausbildungserfolges erfolgte 1986 durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes, Olaf Sund, der feststellte, dass der Erfolg der beruflichen Eingliederung blinder und sehbehinderter Absolventinnen und Absolventen des Jahrganges 1985 "sehr zu wünschen übrigließ".

Als Konsequenz aus den schlechten Vermittlungsergebnissen bereitete das BBW Soest als eines der ersten Berufsbildungswerke systematisch seine Absolventinnen und Absolventen auf die Arbeitsaufnahme vor und begleitete sie auch nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Berufsausbildung bei ihrer Arbeitsuche.

Um festzustellen, ob die Arbeitsverhältnisse langfristig trugen, befragte das BBW Soest insgesamt sechsmal in den Jahren 1996, 2000, 2003, 2007, 2012 und 2016 jeweils die letzten acht Entlassjahrgänge hinsichtlich ihres aktuellen Erwerbsstatus.

Ergebnisse

Die ausgewerteten Daten belegen für den Beginn des Erhebungszeitraums:

  • Blinde und sehbehinderte Menschen ließen sich gut in Arbeit vermitteln, wenn sie während ihrer Ausbildung auf das Berufsleben vorbereitet und auch nach Beendigung der Ausbildung sowohl vom BBW Soest als auch von den Arbeitsämtern auf ihrem Weg in die Berufstätigkeit begleitet wurden.
  • Allerdings benötigten einige blinde und Sehbehinderte Personen, die am Beginn ihrer Berufslaufbahn standen, länger, um ins Berufsleben einzusteigen. Manche Teilnehmenden brauchten bis zu 3 Jahre, um eine Arbeitsstelle zu finden.
  • Wird in die Vermittlung von blinden und sehbehinderten Arbeitssuchenden Zeit und Manpower investiert, lässt sich eine Erwerbsquote erzielen, die der allgemeinen Erwerbsquote entspricht.

Ab 2003 setzte jedoch eine sehr ungünstige Entwicklung ein. Markant ist ein Rückgang der langfristigen Eingliederungsquote um 2004/2005, dem Zeitpunkt der Arbeitsmarktreform und der Einführung des SGB II, der sich bis Ende des Befragungszeitraums im Jahr 2016 beobachten ließ. Die Erwerbsquote blinder und sehbehinderter Absolventinnen und Absolventen sank von 80 auf 60%.

Eine weitergehende Betrachtung der Ergebnisse fördert Folgendes zutage:

  1. Trotz ihrer schwerwiegenden Beeinträchtigungen gelang dem überwiegenden Teil der Absolventinnen und Absolventen des BBW Soest der Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt (siehe Abb. 1).
  2. Dies gilt auch für Absolventinnen und Absolventen mit einer Ausbildung nach § 66 BBiG, sprich mit einer gesondert geregelten Ausbildung für junge Menschen mit Beeinträchtigung.
  3. Junge Männer und junge Frauen profitieren nahezu gleichermaßen von der Qualifizierung im BBW Soest.

Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten:

  1. Die berufliche Eingliederung von Absolventinnen und Absolventen mit einem GdB von 100 - also blinden und hochgradig sehbehinderten jungen Menschen - ist im Laufe des Erhebungszeitraums schwieriger geworden.
  2. Die Eingliederungsquoten der einzelnen Entlassjahrgänge sind starken Schwankungen unterworfen.
  3. Die Eingliederungsquote ist sowohl kurzfristig - also innerhalb des ersten Jahres nach erfolgreicher Abschlussprüfung - als auch langfristig bei Betrachtung der ersten 8 Jahre nach Abschluss der Berufsausbildung - im Vergleich zum Zeitraum vor 2004 zurückgegangen von ca. 75 % auf etwa 60 %.

Diskussion einiger ausgewählter Aspekte

Zu 1: Dass das BBW Soest nach wie vor den überwiegenden Teil seiner Absolventinnen und Absolventen in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit innerhalb eines Jahres beruflich eingliedert, ist keine Selbstverständlichkeit. Sowohl die Klientel, die dem BBW Soest zugewiesen wird, als auch der Arbeitsmarkt, auf den die Absolventen vermittelt werden, hat sich massiv verändert. Die Zahl der Teilnehmenden mit einer Sehbeeinträchtigung an stationären Bildungsmaßnahmen ist gesunken, während der Anteil der blinden Teilnehmer gestiegen ist.

Die Zahl irregulärer Beschäftigungsverhältnisse, die für blinde und hochgradig sehbehinderte junge Menschen kaum eine Beschäftigungsperspektive bieten, ist massiv gestiegen. Insbesondere sind zahlreiche Stellen im öffentlichen Dienst, auf denen früher blinde Mitarbeiter beschäftigt wurden, gestrichen worden.

Zu 2: Eine Ausbildung nach § 66 BBiG ist für blinde und sehbehinderte junge Menschen keine Sackgasse, sondern ein probater Weg in den Arbeitsmarkt. Denn junge Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung haben ohne abgeschlossene Berufsausbildung praktisch keine Chance auf ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Geringer qualifizierte brauchen eher länger, um eine geeignete Arbeitsstelle zu finden, als höher qualifizierte Arbeitsuchende.

Zu 3: Trotz der doppelten Diskriminierung junger Frauen mit Behinderung konnte die Vermittlungsquote sehbehinderter Absolventinnen durch die starke Nachfrage in den Pflegeberufen verbessert werden.

Zu 4: Sehr bedauerlich ist, dass es für blinde und hochgradig sehbehinderte junge Menschen in den vergangenen Jahren deutlich schwieriger geworden ist, auf dem allg. Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Blinde und hochgradig sehbehinderte junge Menschen haben auf unterem und mittlerem Bildungsniveau praktisch ausschließlich eine Chance auf berufliche Teilhabe im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung, sofern eine Qualifizierung im Berufsfeld Physiotherapie für sie nicht in Betracht kommt. Der Anteil derjenigen, die fremdsprachig aufgewachsen sind, ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich angewachsen. Defizite in der Beherrschung der deutschen Sprache stellen jedoch in diesem Berufsfeld ein zusätzliches Vermittlungsrisiko dar.

Eine deutlich größere Bedeutung kommt jedoch der technischen Entwicklung zu: Waren blinde und sehbehinderte Mitarbeiter in den 80er Jahren häufig die ersten, die im Kollegenkreis einen Computer als Hilfsmittel bekamen und sich damit völlig neue Möglichkeiten erschlossen haben, so machen sie heute immer häufiger die Erfahrung, dass sie die Anwendungsprogramme, die ihre Kolleginnen und Kollegen benutzen, nicht bedienen können, weil sie nicht barrierefrei programmiert sind. Aktuell birgt die Digitalisierung daher für blinde und sehbehinderte Menschen mehr Risiken als Chancen.

Zu 5: Die Analyse der Schwankungen der Vermittlungsquote ermöglicht Rückschlüsse auf ihre Ursachen (s. u.). Daraus ergeben sich Handlungsansätze von der pädagogischen Arbeit bis zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Zu 6: Die Ergebnisse der langfristigen Nachbefragungen machen deutlich, dass sich die durchschnittliche Vermittlungsquote der drei Erhebungen vor 2005 deutlich von derjenigen nach 2005 unterscheidet. Betrachtet man zusätzlich die Statistik der Vermittlungsergebnisse nach einem Jahr, so stellt man fest, dass der absolute Tiefpunkt bei den Absolventenjahrgängen 2004 und 2005 liegt. Diese beiden Jahrgänge waren direkt von der Arbeitsmarktreform betroffen und haben sich - wie die Erhebungen 2007 und 2012 gezeigt haben - davon auch langfristig nicht wieder erholt (siehe Abbildung 2).

Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen und ihre Effekte

Gravierende Veränderungen hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen vollzogen sich um die Jahrtausendwende:

  • Die Überführung des Arbeitsförderungsgesetzes in das SGB III 1998,
  • Das Inkrafttreten des SGB IX 2001 und
  • Das Inkrafttreten des SGB II zum 01.01.2005

Im Zeitraum von 1998 bis 2004 waren die Kosten für Leistungen der beruflichen Rehabilitation bei der Bundesanstalt für Arbeit um 54 % auf 2,9 Mrd. € (Pflicht- und Ermessensleistungen) gestiegen, so dass es geboten erschien, hier gegenzusteuern.

Für 2005 wurden Mittel für die Rehabilitation in gleicher Höhe wie für 2004 in den Haushalt eingestellt, allerdings flossen 330 Mio. € in das Eingliederungsbudget der neu eingerichteten Jobcenter. Dies führte dazu, dass zu Beginn des Jahrs 2005 bereits 77 % der Reha-Mittel der Bundesagentur für Arbeit gebunden waren. Hatten Menschen mit Behinderungen gehofft, dass durch die Verabschiedung des SGB IX die Verfahren für sie deutlich vereinfacht und beschleunigt würden, passierte nun genau das Gegenteil: Reha-Anträge bei Arbeitsagenturen und Jobcentern wurden in Ermangelung ausreichender Haushaltsmittel und aufgrund ungeklärter Verfahrensfragen nicht gesetzeskonform bearbeitet, obwohl es sich um Pflichtleistungen handelte, die keinem Haushaltsvorbehalt unterliegen. Parallel dazu wurden die Ermessensleistungen mehrfach drastisch gekürzt, was vor allem zur Folge hatte, dass die Eingliederungszuschüsse bei Vermittlung in den Arbeitsmarkt zusammengestrichen wurden. Zu allem Überfluss lief auch noch die Aktion 5 des LWL-Integrationsamtes aus, durch die der Eingliederungszuschuss der Agentur für Arbeit aufgestockt werden konnte. Dies schlug sich nachhaltig in den Vermittlungsergebnissen des BBW Soest nieder. Mit dem Teilhabe-Chancen-Gesetz (SGB II § 16i) steht heute zwar wieder ein Instrument zur Verfügung, das umfangreiche Eingliederungszuschüsse (EGZ) ermöglicht, aber nicht für junge Menschen mit Behinderungen. Dasselbe gilt für EGZ gem. § 16e SGB II.

Eine weitere Gesetzesänderung im Kontext der Arbeitsmarktreform 2005 hat nachhaltigen Einfluss auf die langfristige berufliche Eingliederung der Absolventinnen und Absolventen des BBW Soest genommen: Bis 2003 konnte beobachtet werden, dass das Potential der eingliederungsfähigen und -willigen Absolventen erst nach 3 Jahren voll ausgeschöpft ist. Wurden früher im zweiten und dritten Jahr nach Abschluss der Berufsausbildung noch 5 - 10 % der Absolventen vermittelt, so sind es heute nur noch Einzelfälle. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Regelung, dass die Arbeitsagenturen nur noch ein Jahr für arbeitslose Absolventen verantwortlich sind. Danach werden sie in den Rechtskreis SGB II überführt, sprich: Das Jobcenter ist für sie zuständig und erbringt offenbar nicht mehr die Eingliederungsleistungen in dem Umfang, wie es die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit vor 2005 getan haben.

Auf der Basis dieser Daten wäre es zur Sicherung des Rehabilitationserfolges zweckmäßig, wenn die Verantwortung für die berufliche Eingliederung der Absolventinnen und Absolventen von Berufsbildungswerken für mindestens drei Jahre bei den Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit verbliebe, um den Rehabilitationserfolg zu sichern. Eine entsprechende Weiterentwicklung der Arbeitsförderung - SGB II und SGB III - könnte Teil einer Reform sein, die auch die Zuständigkeit für schwerbehinderte Fach- und Führungskräfte umfasst sowie die Verbesserung der Reha-Kompetenz der Jobcenter insgesamt. Bis heute sind die Jobcenter in Sachen Rehabilitation und Schwerbehinderung sehr unterschiedlich aufgestellt, da es weder ausreichende Vorgaben für die Organisation dieses Arbeitsfeldes gibt noch gesonderte Kennzahlen für die Eingliederung von Rehabilitanden und Kunden mit Schwerbehinderung.

(*) Gekürzte Fassung. Den vollständigen Beitrag gibt es in der online-Ausgabe des horus 4/2020 im folgenden Abschnitt "Additiv" (www.dvbs-online.de/publikationen/horus/horus-marburger-beiträge-4-2020)

Abb. 1: Ergebnis der Nachbefragung 2016: Quote der Absolvent*innen 2008 - 2015 zum Stichtag 01.09.2016 in Arbeit (Quelle: LWL Berufsbildungswerk Soest) [Tortendiagramm. Von 162 erreichten Absolvent*innen waren 59,6 % in Arbeit, 28,6 % waren arbeitslos, und die restlichen 11,8 % verteilten sich auf Erwerbsunfähige, Teilnehmer*innen in Elternzeit oder in Weiterbildung sowie Sonstige.]

Abb. 2: Prozentsatz der in Arbeit vermittelten Absolvent*innen nach Entlassjahrgang zum 15.10. des Folgejahres, also ca. 15 Monate nach Abschluss der Berufsausbildung für die Jahrgänge 1992 - 2018 (Quelle: LWL Berufsbildungswerk Soest) [Liniendiagramm. Der Höhepunkt liegt im Jahr 1993 mit knapp 80 %. 2002 führt die Linie steil nach unten zum Tiefpunkt bei den Absolventenjahrgängen 2004 und 2005 mit rund 25 %. Danach steigt die Linie mit Einbrüchen langsam wieder bis maximal knapp 62 % im Jahr 2012 an.]

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Berufliche Qualifizierung und Eingliederung blinder und sehbehinderter junger Menschen - eine Langzeitbetrachtung (Ungekürzte Fassung)

Von Erwin Denninghaus und Kai Lammert

Zusammenfassung

Im Zeitraum von 1988-2016 hat das LWL-Berufsbildungswerk Soest insgesamt sechsmal langfristige Nachbefragungen seiner Absolventinnen und Absolventen durchgeführt, um ihren Erwerbsstatus zu erheben. Die Ergebnisse dieser sechs Befragungen werden nachfolgend dargestellt und diskutiert. Markant ist ein Rückgang der langfristigen Eingliederungsquote um 2004/2005, dem Zeitpunkt der Arbeitsmarktreform und der Einführung des SGB II.

1. Hintergrund

Das LWL-Berufsbildungswerk Soest, Förderzentrum für blinde und sehbehinderte Menschen (BBW Soest), ist eine berufsbildende Einrichtung für blinde und sehbehinderte junge Menschen, die seit 2015 auch junge Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung beruflich qualifiziert. Es bietet in Zusammenarbeit mit dem LWL-Berufskolleg berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen sowie Berufsausbildungen nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) in den Berufsfeldern Wirtschaft und Verwaltung, Metalltechnik sowie Ernährung und Hauswirtschaft. Das BBW Soest ist eines von 52 Berufsbildungswerken bundesweit, von denen drei - die Berufsbildungswerke in Chemnitz, Soest und Stuttgart - auf die berufliche Qualifizierung blinder und sehbehinderter junger Menschen spezialisiert sind.

Mit dem Bewilligungsbescheid für den Neubau des LWL-Berufsbildungswerkes Soest vom 05.05.1986 hatte der Präsident des Landesarbeitsamtes, Olaf Sund, die folgenden Erwartungen formuliert:

"... Sie werden wissen, dass leider der Erfolg (bei der beruflichen Eingliederung) für den Jahrgang 1985 sehr zu wünschen übrigließ. Welche Gründe hierfür im Einzelnen mit welchem Gewicht maßgeblich waren, ist sicherlich schwer festzustellen, wird sich aber möglicherweise in der Zukunft besser beurteilen lassen, wenn der Gesamtprozess über einen längeren Zeitraum verfolgt wurde." (Sund 1986)

Olaf Sund mahnte eine engere Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern bei der beruflichen Eingliederung an und stellte verschiedene Aktivitäten des Landesarbeitsamtes dar, die zum Ziel haben, die Eingliederungsquote zu verbessern. Eine konkrete Maßnahme bestand darin, eine Stelle für einen Sozialarbeiter im BBW Soest zu schaffen, der sich in enger Abstimmung mit den Rena-Beratern der Arbeitsämter gezielt um die berufliche Eingliederung kümmern sollte. Diese Stelle konnte zum 01.01.1986 erstmals besetzt werden.

Das LWL-Berufsbildungswerk Soest hat sich die Worte, die Olaf Sund ihm "ins Gesangbuch geschrieben" hatte, zu Herzen genommen. Als eines der ersten Berufsbildungswerke bereitete es systematisch seine Absolventinnen und Absolventen auf die Arbeitsaufnahme vor und begleitete sie auch nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Berufsausbildung bei ihrer Arbeitsuche, lange bevor dies zur Pflichtaufgabe der Berufsbildungswerke wurde. Auch die von Olaf Sund angesprochene Evaluation wurde umgesetzt: Jährlich wurden die Vermittlungsergebnisse erhoben. Um festzustellen, ob die Arbeitsverhältnisse auch langfristig trugen, befragte das BBW Soest 1996 erstmals systematisch seine Absolventen der letzten acht Entlassjahrgänge hinsichtlich ihres beruflichen Status zum Stichtag 1. März 1996 (Denninghaus 2001).

Insgesamt sechsmal hat das BBW Soest von 1996 bis 2016 jeweils die letzten acht Entlassjahrgänge hinsichtlich ihres aktuellen Erwerbsstatus befragt, und zwar in den Jahren 1996, 2000, 2003, 2007, 2012 und 2016. Wurden die Befragungen 1996 noch im Wesentlichen über die Adressen und Telefonnummern der Eltern durchgeführt, erwies sich diese Vorgehensweise mit zunehmender Einführung des mobilen Telefonierens als unpraktikabel. Das Internet, insbesondere Facebook, gewann zunehmend an Bedeutung. Da der überwiegende Teil der Absolventen langfristig über Freundschaften vernetzt ist, konnten bis auf die Erhebung 2012 80 - 90 % der Absolventinnen und Absolventen erreicht werden. Es handelt sich also nahezu um eine Totalerhebung, die aufgrund der deutlich verschärften Datenschutzbestimmungen in dieser Vollständigkeit heute kaum noch realisiert werden könnte.

Abb. 1: Anteil erreichter Absolvent/innen

Abb. 1

2. Ergebnisse

Die Grundgesamtheit der nachfolgend referierten Zahlen bildeten jeweils alle Auszubildenden, die im Befragungszeitraum erfolgreich ihre Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer bzw. der Landwirtschaftskammer - einige wenige auch vor der Handwerkskammer - abgelegt haben.

Bei den ersten drei Nachbefragungen konnte festgestellt werden, dass die Zahl der erwerbstätigen Absolvent/innen über 70 % lag. Betrachtete man jeweils die Absolvent/innen, deren Abschluss länger als 2 Jahre zurücklag, so lag die durchschnittliche Erwerbsquote für die Entlassjahrgänge 1988 bis 2003 bei ca. 80 %. Damit entsprach die Erwerbsquote der Absolventinnen und Absolventen des BBW Soest der allgemeinen Erwerbsquote. Für die drei Erhebungen 2007, 2012 und 2016 sieht das Bild leider etwas anders aus: die Erwerbsquoten der Absolventinnen und Absolventen der Jahrgänge 2003 bis 2015 liegen nur noch um 60 %, wobei das Ergebnis der Befragung 2012 aufgrund der relativ geringen Beteiligung eher noch überschätzt sein dürfte.

Abb. 2: Erwerbsquoten zu den sechs Befragungszeitpunkten im Vergleich

Abb. 2

Den Zahlen ist zu entnehmen, dass die Erwerbsquote der einzelnen Entlassjahrgänge bis 2003 ca. drei Jahre nach Abschluss der Berufsausbildung anstieg, d. h. dass dann erst alle Absolventinnen eines Jahrganges einen geeigneten Arbeitsplatz gefunden hatten. Dieser Effekt konnte nach 2003 nicht mehr beobachtet werden.

Abb. 3: Erwerbsquote nach Entlassjahr für die Erhebungen 2000 und 2003.

Abb. 3

Über alle sechs Erhebungen hinweg kann festgestellt werden, dass es nur einen relativ geringen Unterschied hinsichtlich der Erwerbsquoten von Absolventinnen und Absolventen mit einer Berufsausbildung nach § 5 des BBiG und nach § 66 BBiG gibt. D. h.: Auch blinde und sehbehinderte junge Menschen mit Berufsausbildungen in sog. Helfer-, Werker- oder Fachpraktiker-Berufen konnten erfolgreich beruflich eingegliedert werden. Ausbildungen nach § 66 BBiG bzw. § 42 r HWO stellen für blinde und sehbehinderte junge Menschen, die den Anforderungen einer Berufsausbildung nach § 5 BBiG nicht entsprechen können, also durchaus eine erfolgversprechende Perspektive dar.

Abb. 4: Erwerbsquote nach § 5 / § 66 BBiG

Abb. 4

Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich beim Vergleich der Erwerbsquoten von männlichen und weiblichen Absolventen: Im Durchschnitt waren die männlichen Absolventen zwar zu einem höheren Prozentsatz erwerbstätig. In zwei Erhebungszeiträumen hatten jedoch die Absolventinnen die Nase vorn. Der Arbeitsmarkt steht also – eine entsprechende Qualifikation vorausgesetzt - sowohl blinden und sehbehinderten jungen Männern als auch jungen Frauen offen.

Abb. 5: Erwerbsquote nach Geschlecht

Abb. 5

Ein anderes Bild zeigt sich allerdings, wenn man die Erwerbsquoten nach dem Grad der Behinderung (GdB) differenziert betrachtet: Die Erwerbsquote der Absolventinnen und Absolventen mit einem Grad der Behinderung von 100 hat von 2003 bis 2016 tendenziell abgenommen, während die Erwerbsquote der Absolventinnen und Absolventen mit einem GdB kleiner 50 zugenommen hat. Für blinde und hochgradig sehbehinderte Absolvent/innen des BBW Soest ist es offenbar schwerer geworden, einen Arbeitsplatz zu finden und eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufzunehmen.

Abb. 6: Erwerbstätigkeit und Grad der Behinderung

Abb. 6

Die nachfolgende Grafik veranschaulicht den Status der Absolventinnen und Absolventen der Entlassjahrgänge 2008 bis 2015 zum 01.09.2016: Von 162 erreichten Absolventen waren zu diesem Zeitpunkt 59,6 % in Arbeit, 28,6 % waren arbeitslos, und die restlichen 11,8 % verteilten sich auf Erwerbsunfähige, Teilnehmer/innen in Elternzeit oder in Weiterbildung sowie Sonstige.

Abb. 7: Ergebnis der Nachbefragung 2016: Quote der Absolvent/innen 2008 - 2015 zum Stichtag 01.09.2016 in Arbeit

Abb. 7

Zusammengefasst kann festgestellt werden:

  1. Trotz ihrer schwerwiegenden Beeinträchtigungen gelang dem überwiegenden Teil der Absolventinnen und Absolventen des BBW Soest der Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
  2. Dies gilt auch für Absolventinnen und Absolventen mit einer Ausbildung nach § 66 BBiG, sprich mit einer gesondert geregelten Ausbildung für junge Menschen mit Beeinträchtigung.
  3. Junge Männer und junge Frauen profitieren nahezu gleichermaßen von der Qualifizierung im BBW Soest.

Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten:

  1. Die berufliche Eingliederung von Absolventinnen und Absolventen mit einem GdB von 100 - also blinden und hochgradig sehbehinderten jungen Menschen – ist im Laufe des Erhebungszeitraums schwieriger geworden.
  2. Die Eingliederungsquoten der einzelnen Entlassjahrgänge sind starken Schwankungen unterworfen.
  3. Die Eingliederungsquote ist sowohl kurzfristig - also innerhalb des ersten Jahres nach erfolgreicher Abschlussprüfung – als auch langfristig bei Betrachtung der ersten 8 Jahre nach Abschluss der Berufsausbildung – im Vergleich zum Zeitraum vor 2004 zurückgegangen von ca. 75 % auf etwa 60 %.

3. Diskussion

Zu 1:

Dass das BBW Soest nach wie vor den überwiegenden Teil seiner Absolventinnen und Absolventen in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit innerhalb eines Jahres beruflich eingliedert, ist keine Selbstverständlichkeit. Sowohl die Klientel, die dem BBW Soest zugewiesen wird, als auch der Arbeitsmarkt, auf den die Absolventen vermittelt werden, hat sich massiv verändert. Durch das Angebot "MobiliS modular" zur Unterstützung einer betrieblichen Berufsausbildung durch das BBW Soest, aber vor allem durch den Aufbau der auf blinde und sehbehinderte Menschen spezialisierten Integrationsfachdienste im Rheinland und in Westfalen-Lippe, haben sehbehinderte junge Menschen deutlich bessere Rahmenbedingungen für eine betriebliche Berufsausbildung. Aus diesem - aber auch aus weiteren Gründen - ist die Zahl der Teilnehmenden mit einer Sehbeeinträchtigung an stationären Bildungsmaßnahmen bezogen auf die Platzzahl von vormals ca. 140 auf nunmehr ca. 90 gesunken. Der Anteil der blinden Teilnehmer ist von 15 % auf 30 % gestiegen. Parallel zu dieser Entwicklung ist die Zahl sog. irregulärer Beschäftigungsverhältnisse (Leiharbeit, Minijobs, Befristung etc.), die für blinde und hochgradig sehbehinderte junge Menschen kaum eine Beschäftigungsperspektive bieten, massiv gestiegen. Insbesondere sind zahlreiche Stellen im öffentlichen Dienst u. a. im Zuge der Einführung der bundesweit einheitlichen Behördenrufnummer (Projekt D 115), auf denen früher blinde Mitarbeiter beschäftigt wurden, gestrichen worden (vgl. Denninghaus und Große-Drenkpohl 2010). Allein in den Verwaltungen der Stadt und des Kreises Soest waren das 2 von 3 Stellen, die vormals mit vollblinden Angestellten besetzt waren.

Zu 2:

Die Sinnhaftigkeit von Berufsausbildungen nach § 66 BBiG wird mit Blick auf die meist geringere Qualifikation der Absolventen immer wieder in Frage gestellt. Auf der Grundlage unserer Erhe­bungs­ergebnisse kann festgestellt werden, dass eine Ausbildung nach § 66 BBiG für blinde und sehbehin­der­te junge Menschen keine Sackgasse, sondern ein probater Weg in den Arbeitsmarkt ist. Denn junge Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung haben ohne abgeschlossene Berufsausbildung praktisch keine Chance auf ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die leichte Vergrößerung der Differenz zwischen den Absolvent/innen mit Abschluss nach § 5 und nach § 66 BBiG könnte ihre Ursache in veränderten Qualifikationsanforderungen sowie in der Arbeitsmarktreform haben (s. u.). Geringer qualifizierte brauchen eher länger, um eine geeignete Arbeitsstelle zu finden, als höher qualifizierte Arbeitsuchende.

Zu 3:

Blinde und sehbehinderte Frauen werden zwar im Durchschnitt zu einem etwas geringeren Prozentsatz als junge Männer berufstätig. Sie nehmen häufiger die Elternzeit wahr als ihre Partner und kümmern sich um Haushalt und Kinder. Dies war in den 90er Jahren bei den Hauswirtschafterinnen noch sehr stark ausgeprägt. Sie wurden z. T. nur zu 50 % vermittelt. In den vergangenen Jahren führten sie aber aufgrund des Mangels in Pflege- und Service-Berufen die Vermittlungsstatistik in manchen Jahren an.

Zu 4.:

Sehr bedauerlich ist, dass es für blinde und hochgradig sehbehinderte junge Menschen in den vergangenen Jahren deutlich schwieriger geworden ist, auf dem allg. Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Hierfür werden vor allem zwei Gründe gesehen:

  • Blinde und hochgradig sehbehinderte junge Menschen haben auf unterem und mittlerem Bildungsniveau praktisch ausschließlich eine Chance auf berufliche Teilhabe im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung, sofern eine Qualifizierung im Berufsfeld Physiotherapie für sie nicht in Betracht kommt. Der Anteil derjenigen, die fremdsprachig aufgewachsen sind, ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich angewachsen. Defizite in der Beherrschung der deutschen Sprache stellen jedoch in diesem Berufsfeld ein zusätzliches Vermittlungsrisiko dar. Darüber hinaus mag der Kulturkreis eine Rolle spielen hinsichtlich der Bereitschaft, den Wohnort zum Zwecke der Arbeitsaufnahme zu wechseln und sich räumlich vom familiären Umfeld zu entfernen.
  • Eine deutlich größere Bedeutung kommt jedoch der technischen Entwicklung zu: Waren blinde und sehbehinderte Mitarbeiter in den 80er Jahren häufig die ersten, die im Kollegenkreis einen Computer als Hilfsmittel bekamen und sich damit völlig neue Möglichkeiten erschlossen haben, so machen sie heute immer häufiger die Erfahrung, dass sie die Anwendungsprogramme, die ihre Kolleginnen und Kollegen benutzen, nicht bedienen können, weil sie nicht barrierefrei programmiert sind. Sehr hilfreich für die beruflichen Teilhabechancen blinder und sehbehinderter Menschen wäre es, wenn private und öffentliche Arbeitgeber wie Kreisverwaltungen oder Landesbehörden sich stärker um die Barrierefreiheit von Anwendungsprogrammen bemühen und die Barrierefreie Informationstechnikverordnung (BITV) vollumfänglich auch intern umsetzen würden. Aktuell birgt die Digitalisierung - im Gegensatz zu den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts - daher für blinde und sehbehinderte Menschen mehr Risiken als Chancen.
Zu 5:

Der Vermittlungserfolg ist unterschiedlichen Einflüssen unterworfen. Die Grundlage bilden einerseits die Leistungsstärke und die Soziale Kompetenz der Absolventinnen und Absolventen, die von Jahr zu Jahr schwankt und andererseits konjunkturelle Einflüsse bzw. die Nachfrage nach Arbeitskräften. Formal kann festgestellt werden, dass der Notendurchschnitt der Auszubildenden des BBW Soest in der Regel nah am Kammerdurchschnitt liegt, bei deutlichen individuellen Abweichungen. Eine weitere Variable sind die Kolleginnen und Kollegen, die mit der Vermittlung der Absolventinnen und Absolventen betraut sind. Sie unterscheiden sich in Mentalität und Arbeitsweise, was durchaus Einfluss auf die Vermittlungserfolge haben kann. Schließlich sind es die Konzepte und Ressourcen, die die BBW-Leitung für die Vermittlungsarbeit bereitstellt. An äußeren Faktoren sind vor allem die Arbeitsmarktsituation zu nennen, die in den vergangenen 30 Jahren erheblichen Schwankungen unterlegen ist, sowie die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Arbeit der Berufsbildungswerke und deren Ausgestaltung durch das Bundesarbeitsministerium (BMAS) sowie die Bundesagentur und ihre Regionaldirektionen für Arbeit.

Zu 6:

Die Ergebnisse der langfristigen Nachbefragungen machen deutlich, dass sich die durchschnittliche Vermittlungsquote der drei Erhebungen vor 2005 deutlich von derjenigen nach 2005 unterscheidet. Betrachtet man zusätzlich die Statistik der Vermittlungsergebnisse nach einem Jahr, so stellt man fest, dass der absolute Tiefpunkt bei den Absolventenjahrgängen 2004 und 2005 liegt. Diese beiden Jahrgänge waren direkt von der Arbeitsmarktreform betroffen und haben sich - wie die Erhebungen 2007 und 2012 gezeigt haben - davon auch langfristig nicht wieder erholt.

Abb. 8: Prozentsatz der in Arbeit vermittelte Absolvent/innen nach Entlassjahrgang zum 15.10. des Folgejahres, also ca. 15 Monate nach Abschluss der Berufsausbildung für die Jahrgänge 1992 - 2018

Abb. 8

4. Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen und ihre Effekte

Gravierende Veränderungen hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen vollzogen sich um die Jahrtausendwende: Hier sind insbesondere zu nennen:

  • Die Überführung des Arbeitsförderungsgesetzes in das SGB III 1998,
  • Das Inkrafttreten des SGB IX 2001 und
  • Das Inkrafttreten des SGB II zum 01.01.2005

Zu dieser Zeit lag die Zahl der Arbeitslosen deutlich über dem heutigen Niveau, was die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder zur Erarbeitung und Umsetzung der Agenda 2010 veranlasst hat. Parallel dazu waren im Zeitraum von 1998 bis 2004 die Kosten für Leistungen der beruflichen Rehabilitation bei der Bundesanstalt für Arbeit um 54 % auf 2,9 Mrd. € (Pflicht- und Ermessensleistungen) gestiegen, so dass es geboten erschien, hier gegenzusteuern.

Für 2005 wurden Mittel für die Rehabilitation in gleicher Höhe wie für 2004 in den Haushalt eingestellt, allerdings flössen 330 Mio. € in das Eingliederungsbudget der neu eingerichteten Jobcenter. Dies führte dazu, dass zu Beginn des Jahrs 2005 bereits 77 % der Reha-Mittel der Bundesagentur für Arbeit gebunden waren. Hatten Menschen mit Behinderungen gehofft, dass durch die Verabschiedung des SGB IX die Verfahren für sie deutlich vereinfacht und beschleunigt würden, passierte nun genau das Gegenteil: Reha-Anträge bei Arbeitsagenturen und Jobcentern – sie waren zunächst auch für die Berufsausbildung junger Menschen mit Behinderungen zuständig – wurden in Ermangelung ausreichender Haushaltsmittel und aufgrund ungeklärter Verfahrensfragen nicht gesetzeskonform bearbeitet, obwohl es sich um Pflichtleistungen handelte, die keinem Haushaltsvorbehalt unterliegen. Parallel dazu wurden die Ermessensleistungen mehrfach drastisch gekürzt, was vor allem zur Folge hatte, dass die Eingliederungszuschüsse bei Vermittlung in den Arbeitsmarkt zusammengestrichen wurden (vgl. hierzu Deutscher Bundestag 2005). Zu allem Überfluss lief auch noch die Aktion 5 des LWL-In­te­grations­amtes aus, durch die der Eingliederungszuschuss der Agentur für Arbeit aufgestockt werden konnte. Dies schlug sich nachhaltig in den Vermittlungsergebnissen des BBW Soest nieder. Mit dem Teilhabe-Chancen-Gesetz (SGB II § 16 i) steht heute zwar wieder ein Instrument zur Verfügung, das umfangreiche Eingliederungszuschüsse (EGZ) ermöglicht, aber nicht für junge Menschen mit Behinderungen. Dasselbe gilt für EGZ gem. § 16 e SGB II.

Eine weitere Gesetzesänderung im Kontext der Arbeitsmarktreform 2005 hat nachhaltigen Einfluss auf die langfristige berufliche Eingliederung der Absolventinnen und Absolventen des BBW Soest genommen: Bis 2003 konnte beobachtet werden, dass das Potential der eingliederungsfähigen und -willigen Absolventen erst nach 3 Jahren voll ausgeschöpft ist (vgl. Abb. 3). Wurden früher im zweiten und dritten Jahr nach Abschluss der Berufsausbildung noch 5 – 10 % der Absolventen vermittelt, so sind es heute nur noch Einzelfälle. Die Autoren gehen davon aus, dass ein wesentlicher Grund dafür in der Regelung liegt, dass die Arbeitsagenturen nur noch ein Jahr für arbeitslose Absolventen verantwortlich sind. Danach werden sie in den Rechtskreis SGB II überführt, sprich: Das Jobcenter ist für sie zuständig und erbringt offenbar nicht mehr die Eingliederungsleistungen in dem Umfang, wie es die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit vor 2005 getan haben. Hier besteht also deutlicher Handlungsbedarf. Auf der Basis dieser Daten wäre es zur Sicherung des Rehabilitationserfolges zweckmäßig, wenn die Verantwortung für die berufliche Eingliederung der Absolventinnen und Absolventen von Berufsbildungswerken für mindestens drei Jahre bei den Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit verbliebe, um den Rehabilitationserfolg zu sichern.

5. Ausblick

Leider wird das Berufsbildungswerk Soest zukünftig keine langfristigen Nachbefragungen mehr durchführen können, denn es ist nun verpflichtet, die Daten seiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach zwei Jahren zu vernichten. Auch von der Bundesagentur für Arbeit gibt es mit Verweis auf den Datenschutz keine Zahlen zur beruflichen Teilhabe einzelner Gruppen von Menschen mit Behinderungen. Es gibt also keine aktuellen Zahlen zur beruflichen Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen und deren Qualifikationswege, die als Grundlage für eine Weiterentwicklung der Bildungsangebote sowie Leistungen und Strategien zur beruflichen Eingliederung dienen könnten. Daher erscheint es nach 25 Jahren, die die letzte Erhebung zur "beruflichen Integration der Blinden" des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) mittlerweile zurückliegt, angezeigt, wieder eine entsprechende Erhebung durchzuführen (LVR 1995). Im Jahr 1987 hatte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) eine entsprechende Studie vorgelegt. Sie offenbarte eine erschütternd niedrige Erwerbsquote von ca. 20 % gesetzlich blinder Menschen und wurde in dem Satz zusammengefasst: "Die Arbeitsmarktbenachteiligung der Blinden ist in weiten Bereichen so krass, dass selbst die mögliche Fehlertoleranz sie nicht in Frage stellt." (Ritz, 1987 S. 5, vgl. hierzu auch Bach 2017)

Für die Sicherung der beruflichen Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen ist es von zentraler Bedeutung, dass ihre Bedarfe im Zuge der zunehmenden Digitalisierung berücksichtigt werden. Anwendungsprogramme, die nicht barrierefrei programmiert sind, führen dazu, dass blinde und sehbehinderte Menschen zukünftig nicht bzw. nicht wirtschaftlich arbeiten können. Was hinsichtlich der barrierefreien baulichen Gestaltung mittlerweile flächendeckend umgesetzt wird, muss auch für die Softwareentwicklung realisiert werden.

Die dargestellten Zahlen zur beruflichen Integration der Absolventinnen und Absolventinnen des BBW Soest machen aber auch deutlich, wie stark sich Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen auf die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen auswirken. Rechtliche und organisatorische Maßnahmen sollten ergriffen werden, um die Teilhabechancen zu verbessern. Die Verantwortlichkeit für den Rehabilitationsprozess bis zur erstmaligen beruflichen Eingliederung sollte neu geregelt werden und wieder - wie vor 2005 – durchgängig bei den Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit liegen, die im Gegensatz zu den Jobcentern flächendeckend über einschlägig qualifiziertes Fachpersonal verfügen.

Literatur

Bach, Heinz Willi: Teilhabechancen an Arbeit und Beruf: Was muss geschehen, um die Erwerbsbeteiligung blinder und sehbehinderter Menschen zu verbessern? in: horus - Marburger Beiträge zur Integration Blinder und Sehbehinderter (2017), H. 4 S. 177-181 SW: Arbeit# Integration, berufliche#

Denninghaus, Erwin: Die berufliche Eingliederung von Absolventinnen und Absolventen des Berufsbildungswerkes Soest von 1991-1999. In: blind-sehbehindert, Ausgabe 3/2001, S. 174-182.

Denninghaus, Erwin; Große-Drenkpohl, Michael: Projekt D 115 - Das Aus für blinde Telefonisten? In: blind-sehbehindert, Ausgabe 3/2010, S. 197-201.

Deutscher Bundestag, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technologieabschätzung: Bericht des BMWA für die Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 1. Juni 2005 – TOP 2: Berufliche Ausbildungsförderung behinderter Menschen. Berlin, 24.05.2005, A-Drs. 15(17)312

Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): Blinde und Arbeit – eine Untersuchung zur beruflichen Integration Blinder im Rheinland. Rheinland-Verlag, Köln 1995.

Ritz, Hans-Günther: Berufliche Situation der Blinden in Westfalen-Lippe. Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster 1987

Sund, Olaf, Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen: Bewilligungsbescheid für die institutionelle Förderung für das Berufsbildungswerk Soest vom 05.05.1986, unveröffentlicht.

Autoren

Erwin Denninghaus
Auf der Klocksborg 14
59494 Soest
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Kai Lammert
LWL-Berufsbildungswerk Soest
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59494 Soest
Tel.: 02921 684-251
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Neues Sehen für Erblindete
Der Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2020 geht an Botond Roska

Pressemitteilung der Körber-Stiftung

Den mit einer Million Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2020 erhält der ungarische Mediziner Botond Roska. Roska hat mit seiner Arbeit die Augenheilkunde revolutioniert und zählt zu den weltweit führenden Experten für die Erforschung des Sehens und der Netzhaut. Er hat sich zum Ziel gesetzt, Erblindeten das Augenlicht zurückzugeben.

Die meisten Seherkrankungen gehen auf erbliche oder altersbedingte Defekte in der Netzhaut (Retina) zurück. Roska und Kollegen haben in einer Pionierarbeit die etwa hundert unterschiedlichen Zelltypen in der Retina aufgespürt und deren komplexes Zusammenspiel bei der Signalverarbeitung ergründet. Dabei gelang es, zahlreiche Netzhauterkrankungen auf genetische Defekte in einzelnen Zellen zurückzuführen. Nun arbeitet der Wissenschaftler daran, diese grundlegenden Einsichten für Patienten fruchtbar zu machen und deren Erkrankungen mit Gentherapien zu lindern oder zu heilen. Einen echten Durchbruch schaffte Roska, als er einen Zelltyp im Auge so umprogrammierte, dass dieser die Funktion von defekten Lichtrezeptor-Zellen übernehmen konnte. Blinde Netzhäute konnte er damit wieder lichtempfindlich machen - und die klinische Erprobung bei blinden Menschen hat bereits begonnen.

Botond Roska, 50, studierte zunächst Cello an der Musikakademie in Budapest, musste seine Musikerkarriere aber wegen einer Verletzung aufgeben und absolvierte im Anschluss ein Medizin- und Mathematikstudium. Er promovierte als Neurobiologe in Berkeley, USA und forschte dann als Harvard Fellow auf den Gebieten der Genetik und der Virologie in Harvard weiter. Von 2005 bis 2017 leitete Roska eine Forschungsgruppe am privaten Friedrich-Miescher-Institut für biomedizinische Forschung in Basel. Zusammen mit Professor Hendrik Scholl wurde er im Dezember 2017 Gründungsdirektor des Instituts für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel, IOB.

Die Vorstellung, zu erblinden, ist für viele Menschen noch schlimmer als beispielsweise eine Erkrankung an Alzheimer oder Krebs. Zudem nehmen Augenerkrankungen stark zu, weil Menschen immer älter werden. Weltweit sind geschätzt etwa 36 Millionen Menschen blind und über eine Milliarde leiden an einer erheblichen Sehbehinderung.

Lange Zeit verliefen Innovationen in der Augenheilkunde frustrierend langsam. "Das liegt daran, dass Grundlagenforscher oft die therapeutischen Bedürfnisse in den Kliniken nicht genau genug kennen", erklärt Roska. Unter anderem, weil ihnen der unmittelbare Kontakt zu den Patienten fehlt. Die Wissenschaftsteams in den Kliniken hingegen seien meist nur unzureichend über den neuesten Stand der Grundlagenforschung informiert. Um diese Lücke zu schließen, verfolgt das IOB seit 2017 einen interdisziplinären Ansatz, bei dem "Grundlagenforscher und Kliniker täglich Hand in Hand zusammenarbeiten". Ein wesentlicher Faktor des Erfolges vom IOB ist der multidisziplinäre Zugriff und die Kombination von Methoden aus Genetik, Molekularbiologie, Neurowissenschaften und Informatik. Traditionell hatten Mediziner die Netzhaut des Auges vorwiegend als Gewebe untersucht. Roska und Kollegen hingegen machten sich die Mühe, erstmals intensiv die rund hundert Zelltypen in der Netzhaut und deren funktionelles Zusammenwirken zu studieren. Das Team lokalisierte und kartierte zudem Gendefekte, die zu Augenleiden führen. Damit schufen die Forscher einen Fundus an neuem Wissen, der die Augenheilkunde auf eine neue Basis stellt.

Die Retina befindet sich im hinteren Teil des Augapfels - gegenüber der Augenlinse, die Bilder auf sie projiziert. Ihre lichtempfindlichen Elemente sind sogenannte Stäbchen und Zapfen, die das eintreffende Licht in elektrische Signale umwandeln. "Die Netzhaut ist ein nach außen verlagertes Stück des Hirns. Ihr komplexes Netzwerk aus Nervenzellen verarbeitet die Signale ähnlich wie ein Computer", sagt Roska.

Der komplizierte Aufbau macht die Netzhaut besonders anfällig und sie ist von allen Organen des Körpers am stärksten von genetischen Erkrankungen betroffen. Der häufigsten genetischen Augenerkrankung, der Retinitis pigmentosa, gilt Roskas besondere Aufmerksamkeit.

Retinitis pigmentosa beginnt mit Defiziten beim Sehen im Dunkeln, weil die Stäbchen absterben. Später verlieren die Zapfen ihre Lichtempfindlichkeit, was zur Erblindung führt. Bislang gilt Retinitis pigmentosa generell als unheilbar. Botond Roska will nun eine von ihm bereits 2008 erprobte Heilmethode anwenden: Mittels Genfähren (Transportvehikeln) werden lichtempfindliche Protein-Kanäle, die aus Algen, Pilzen oder Bakterien stammen, in noch intakte Zellen der Netzhaut eingebaut. Diese übernehmen dann die Aufgabe der Lichtrezeptorzellen und erlauben ein zumindest teilweise wiederhergestelltes Sehen. Eine klinische Studie mit fünf Probanden läuft bereits.

Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist eine weitere Erkrankung der Photorezeptoren. Diese Krankheit betrifft nur die zentrale Region der Netzhaut, die so genannte "Makula" oder "Fovea", die für das scharfe Sehen verantwortlich ist und dem Menschen zum Beispiel ermöglicht zu lesen oder Gesichter zu erkennen. Das Team von Botond Roska hat vor kurzem eine neue Technologie entwickelt, die es in Zukunft ermöglichen könnte, die Sehfunktion in der degenerierten Fovea von AMD-Patienten wiederherzustellen. Die Forscher sensibilisierten menschliche Netzhautzellen für infrarotes Licht, das mit Hilfe einer Spezialbrille auf die Fovea projiziert werden kann.

Als ein entscheidendes Hilfsmittel dürfte sich dabei Roskas neuester Erfolg erweisen. Ihm ist es erstmals gelungen, in Petrischalen eine vollständige künstliche Netzhaut zu züchten. Aus einer Hautzelle des Patienten wächst über diverse gentechnische Schritte in etwa 30 Wochen ein Netzhaut-Organoid. Diese Organoide enthalten ähnliche Zelltypen mit denselben oder verwandten Funktionen wie die ausgewachsene Netzhaut. Weist der Patient, dem die Hautprobe entnommen wurde, Gendefekte in der Retina auf, so finden sich diese Defekte auch in den künstlich gezüchteten Organoiden. An diesen Mini-Netzhäuten können die Wissenschaftler nun testen, ob bestimmte Gentherapien funktionieren, und dabei unterschiedliche Ansätze ausprobieren.

Der Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2020 wurde Botond Roska am 7. September im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses überreicht. Der mit einer Million dotierte Körber-Preis zählt zu den weltweit höchstdotierten Forschungspreisen. Fünf Prozent der Preissumme sind für die Wissenschaftskommunikation zu verwenden. Die Körber-Stiftung zeichnet mit dem Körber-Preis seit 1985 jedes Jahr einen wichtigen Durchbruch in den Physical oder den Life Sciences in Europa aus. Prämiert werden exzellente und innovative Forschungsansätze mit hohem Anwendungspotenzial. Nach Verleihung des Körber-Preises erhielten bislang sechs Preisträgerinnen und Preisträger den Nobelpreis.

Weitere Informationen gibt es unter https://www.koerber-stiftung.de/koerber-preis-fuer-die-europaeische-wissenschaft/bisherige-preistraeger/2020

Foto 1: Prof. Dr. Botond Roska im Labor. Foto: Körber-Stiftung / Friedrun Reinhold [Prof. Roska verschränkt die Arme und lacht. Er trägt ein weißes Hemd, hat braune Haare und eine Brille.]

Foto 2: Dünnschnitt eines Retina-Organoids. Foto: Körber-Stiftung / Friedrun Reinhold [Ein angeschnittener Kreis auf schwarzem Hintergrund, das Zentrum des Kreises liegt am linken Bildrand und ist tief tintenblau gefärbt. Die Farben laufen Richtung Kreisrand nach außen in helles Blau über und werden dort durch ein rotes breites Band begrenzt. Zwischen roter und blauer Zone laufen verschiedene unregelmäßige neongrüne Linien strahlenförmig zum Zentrum hin.]

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Recht

Erhöhung der Steuerfreibeträge für Menschen mit Behinderungen

Von Uwe Boysen

Man mag es kaum glauben. Aber nun sollen die seit 1975 (!) nicht mehr angepassten steuerlichen Freibeträge für Menschen mit Behinderungen tatsächlich drastisch erhöht werden (vgl. Bundestagsdrucksache 19/21985).

Derzeit beträgt der Behinderten-Pauschbetrag gemäß § 33b Abs. 2 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) bei "Hilflosen" und "Blinden" jeweils 3.700 Euro. Er soll künftig (ab Steuerjahr 2021) auf 7.400 Euro verdoppelt werden. Das gilt auch für hochgradig Sehbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100.

Vom "Behinderten-Pauschbetrag" zu unterscheiden ist der in § 33 EStG geregelte "Fahrtkosten-Pauschbetrag". Hier soll die bisherige Regelung in § 33 Abs. 2 EStG um Fälle von durch eine Behinderung veranlassten Fahrten erweitert werden. In deren Genuss kommen auch blinde Menschen (vgl. § 33 Abs. 2a Nr. 2 EStG). Der Pauschbetrag soll 4.500 € betragen und wird auf Antrag gewährt.

Weitere steuerliche Verbesserungen sieht der Entwurf beim sog. Pflege-Pauschbetrag vor. Bei der Pflege von Personen mit den Pflegegraden 4 und 5 erhöht er sich auf 1.800 Euro. Für die Pflege von Personen mit den Pflegegraden 2 und 3 wird er neu eingeführt und sich auf 600 bzw. 1.100 Euro belaufen. Das gilt künftig "auch unabhängig vom Vorliegen des Kriteriums 'hilflos' bei der zu pflegenden Person", erklärt die Bundesregierung (zum Ganzen § 33b Abs. 6 EStG des Entwurfs).

Mit der geplanten Erhöhung der Pauschbeträge für Menschen mit Behinderungen werden sowohl diesen als auch den Bearbeitern im Finanzamt die Arbeit erspart, sich mit individuellen Kleinigkeiten bei der Bewertung behinderungsbedingter Belastungen abzugeben. Die Erhöhungen sind längst überfällig, aber gleichwohl natürlich zu begrüßen.

Das spiegelte sich auch in einer am 29. September 2020 durchgeführten öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages wider, bei der alle Sachverständigen - u. a. auch Christiane Möller für die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe - den Entwurf insgesamt positiv bewerteten, aber forderten, die Freibeträge künftig zu dynamisieren, damit nicht wieder 45 Jahre bis zu ihrer neuerlichen Erhöhung vergehen müssen.

Mittlerweile ist der Gesetzentwurf vom Bundestag verabschiedet und wird voraussichtlich ab 2022 seine Wirkung entfalten.

Foto: Pauschbeträge erleichtern die Steuererklärung. Foto: pixabay / Andreas Lischka [Steuerformular]

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Barrierefreiheit und Mobilität

HBS-Tools für Word

Von Richard Heuer gen. Hallmann

Gegenstandsbestimmung:
Worum geht es?

Effektives Lesen und Verarbeiten wissenschaftlicher Texte ist für Menschen, die zur Aneignung elektronischer Dokumente am Bildschirm ein sog. Screen-Reader-Programm verwenden, nicht immer einfach. Das kontinuierliche Lesen auch solcher Texte funktioniert in der Regel zwar fast in jedem Fall, aber mit kontinuierlichem Lesen ist es bei der Aneignung wissenschaftlicher Texte meist nicht getan. Zum Wunsch, den gesamten Text - Wort für Wort, Zeile für Zeile, Absatz für Absatz - nacheinander lesen zu können, treten andere Anforderungen hinzu. Der Leser sollte/möchte die Möglichkeit erhalten, diverse Eigenschaften seines Dokuments auf Knopfdruck abfragen zu können. Er muss sich in umfangreichen Texten außerdem rasch orientieren und in ihnen diverse Navigationen durchführen können. Hier treten in der Praxis für blinde und hochgradig sehbehinderte Leser oft große, manchmal schier unlösbare Probleme auf. Schneller als mancher Anwender erwartet, stößt er im Hinblick auf Orientierungs- und Navigationshilfen an die Grenzen der Leistungsfähigkeiten seines Screen-Reader-Programms.

Mit dem Ziel, blinden und sehbehinderten Word-Anwendern für Probleme dieser Art spezielle Software-Hilfen anbieten zu können, wurde im Arbeitsbereich "Audiotaktile Medien" im "Zentrum für Medien und IT" (ZMI) an der FernUniversität in Hagen in mehrjähriger Arbeit ein Tool-Paket entwickelt, das sich auf jedem Windows-Rechner unter Word einsetzen lässt.

Voraussetzung für das HBS-Word-Tool-Paket ist eine Office-Version von Microsoft, die über ein Menüband verfügt. Dies ist der Fall ab Office 2007.

Im Hinblick auf die Frage, welche Windows-Version Voraussetzung für den Einsatz der HBS-Word-Tools ist, kann einfach festgehalten werden: Sie spielt keine Rolle.

Zentrales Ziel war und ist es, für Word-Anwender zusätzliche Orientierungs-, Navigations- und Abfrage-Tools zu entwickeln, die mit einer Bedienoberfläche ausgestattet sind, welche sich von sehenden Anwendern (meist Mausnutzer) und blinden bzw. hochgradig sehbehinderten Menschen (meist Tastaturnutzer) gleichermaßen komfortabel, effektiv und barrierefrei bedienen lässt.

Dieses Ziel ist vermutlich am ehesten zu erreichen, wenn gleich zu Beginn festgelegt wird, dass auf dieser Programmbedienoberfläche ausschließlich elementare Bedienelemente - wie Check-Boxen, Listenelemente, Buttons - eingesetzt werden dürfen, d.h. solche, die das Betriebssystem - hier Windows - vorsieht und vermutlich immer unterstützt.

Die beiden Begriffe "Befehlstastenfolgen" und "Befehlstastenkombinationen" spielen für die HBS-Tools für Word eine wichtige Rolle. Da beide nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können, sollen sie hier zunächst definiert werden:

  • Unter "Befehlstastenfolgen" werden die Eingaben von Tasten verstanden, die nacheinander einzugeben sind und einen Befehl (eine Aktion) auslösen. Befehlstastenfolgen beginnen immer mit dem Drücken der "Alt"-Taste. Sie bilden die Vorgehensweise des menügesteuerten Arbeitens nach und entsprechen dieser.
  • Mit "Befehlstastenkombinationen" sind Tastatureingaben gemeint, bei denen mehrere Tasten gleichzeitig gedrückt werden und die beim Loslassen einen Befehl (eine Aktion) auslösen. Befehlstastenkombinationen funktionieren unabhängig von menübasierten Arbeitstechniken.

Eine wichtige Zielvorgabe bei der Entwicklung der HBS-Tools für Word besteht darin, die Möglichkeiten beider Tastaturunterstützungssysteme vollumfänglich zu nutzen und auszuschöpfen.

Eine weitere Zielvorgabe betrifft das Verhalten von Dialogfenstern, die einen Suchvorgang auslösen. Im Unterschied zu den Standard-"Suche"-Dialogen von Word, die vom Anwender selbst zunächst geschlossen werden müssen, etwa durch Drücken der "Escape"-Taste, bevor das gefundene Objekt den Fokus erhält, sollen sich analoge Dialogfenster der HBS-Tools für Word stets selbstständig schließen, damit sich der Cursor unmittelbar auf das gesuchte Objekt bewegt.

Für den Anwender sichtbar werden die HBS-Tools für Word durch ein zusätzliches Menübandelement mit der Bezeichnung "HBS".

Die eigentlichen HBS-Word-Tools lassen sich in vier Kategorien aufteilen:

  1. Werkzeuge,
  2. Abfrage-Tools,
  3. Navigationshilfen,
  4. Tastaturhelfer.

1 Werkzeuge

In den "Werkzeugen" sind die HBS-Tools für Word zusammengefasst, die sich das Ziel setzen, Inhalt oder Gestaltung des aktuell geöffneten Word-Dokuments - bei einigen Makros auch nur eines markierten Bereichs - irgendwie zu verändern.

Wird eines dieser Makros aufgerufen, bevor ein Bereich markiert wurde, blendet sich ein Fehlermeldungsfenster mit dem Hinweis ein, dass kein Bereich markiert und deshalb nichts unternommen wurde. In solchen Fällen beginnt das aufgerufene Tool gar nicht erst mit seiner eigentlichen Arbeit.

Die HBS-Werkzeuge enden alle mit der Einblendung eines Abschlussfensters, in welchem der Anwender darüber informiert wird, welche Änderungen das jeweilige Werkzeug im aktuellen Dokument vorgenommen hat.

Die "Werkzeuge" setzen sich aus folgenden Unterstützungstools zusammen:

  • Dokument als "Nur-Text"-Datei inkl. Seitenvorschubzeichen speichern,
  • Absatzmarken vermindern,
  • Absatzmarken verdoppeln,
  • Absatzmarken minimieren,
  • Einfachabsatzmarken löschen, Mehrfachabsatzmarken erhalten,
  • Seitenwechsel in "manuelle Seitenwechsel" umwandeln,
  • Sämtliche Formatiereigenschaften entfernen,
  • Grafiken löschen,
  • Hervorhebungseigenschaften entfernen,
  • Kursivdruck und Unterstreichungen als Fettdruck,
  • Rahmen löschen,
  • Grafiken mit Grafiktextdaten untertiteln,
  • Formatnamen bei Überschriften vereinheitlichen,
  • Absatzlistenelemente in editierbaren Text umwandeln,
  • Seitenumbrüche für HBS-Lese-Software fixieren,
  • Tabellen zeilenweise sequenzialisieren,
  • Formatnamen bei Marginalien vereinheitlichen,
  • Alle Lesezeichen löschen,
  • Farbige Textteile an- und abkündigen,
  • Grafiktyp als Alternativtext in Grafiken einfügen,
  • "Kein Alternativtext" als Alternativtext in Grafiken einfügen,
  • Hochstellungen an- und abkündigen,
  • Tiefstellungen an- und abkündigen,
  • Text in Unicode-Braille umwandeln,
  • Ausgeblendeten Text sichtbar machen und kennzeichnen,
  • Dokument mit Passwort versehen und speichern,
  • Fuß-/Endnotentexte in Lehrtext integrieren.

2 Abfrage-Tools

Die unter "Abfrage-Tools" zusammengefassten Hilfsroutinen sollen dem Word-Anwender helfen, sich leichter und schneller in Fremddokumenten orientieren zu können, indem Informationen über diverse Eigenschaften des aktuell geöffneten Word-Dokuments auf Knopfdruck zur Verfügung gestellt werden.

Mit den "Abfrage-Tools" lassen sich u.a. folgende Eigenschaften auf Knopfdruck ermitteln:

  • Positionsangabe des Cursors (Spalten-, Zeilen-, Seitenangabe, Position im Text ...),
  • Zeicheneigenschaften (Schriftgröße, Schriftart, Hervorhebung, Schriftfarbe ...),
  • Absatzeigenschaften (Bündigkeit, Zeilenabstände, Absatzumfang ...),
  • Seiteneigenschaften (Papierformat, Ränder, Kopf-/Fußzeile ...).

3 Navigationshilfen

Die "Navigationshilfen" sind so konzipiert, dass die jeweils ausgelöste Suchaktion nicht im Textdokument zirkuliert. Der Suchvorgang wird nicht weiter fortgesetzt, wenn Anfang oder Ende des Textes erreicht sind. In diesen Fällen weist ein Meldungsfenster darauf hin, dass keine weiteren Vorkommnisse mehr gefunden wurden. Das gilt gleichermaßen für die Suche nach Formatvorlagen, speziellen Dokumentbestandteilen (wie Absätzen, Überschriften, Seitenanfängen, Tabellen, Links, Kursiv-/Fettdruck, Unterstreichungen, Abschnittswechseln, Hoch-/Tiefstellungen, Kommentaren, Grafiken), Originalseitenwechseln, Fußnoten, Marginalien, Grafiken, Vordergrundfarben, Rahmen und Gliederungsebenen.

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, hier alle Navigationshilfen aufführen zu wollen. Stattdessen werden hier nur einige wenige exemplarisch kurz vorgestellt:

3.1 Suche nach Formatvorlagen

Angeboten wird u.a. ein Tool, das sich die Aufgabe setzt, alle im aktuell geöffneten Dokument eingesetzten Formatnamen in einer alphabetisch geordneten, mit Hilfe des Cursors steuerbaren Liste zusammenzutragen. Nach jedem Formatnamen lässt sich gezielt im Text vorwärts oder rückwärts suchen.

3.2 Suche nach speziellen Dokumentbestandteilen

Die alphabetisch geordnete Liste der Suche nach speziellen Dokumentbestandteilen ermöglicht es, vorwärts und rückwärts nach folgenden Eigenschaften eines Dokuments suchen lassen zu können:

  • Absatzanfängen,
  • Absatzanfängen nach Leerzeilen,
  • Abschnitts-/Bereichswechseln,
  • Feldern,
  • Fettdruck,
  • Grafiken als "Inline Shapes",
  • Grafiken als "Shapes",
  • Hochstellungen (Exponenten),
  • Kommentaren,
  • Kursivdruck,
  • Links mit Internetquelle,
  • Links mit Textquerverweis,
  • manuellen Seitenwechseln,
  • beliebigen OLE-Objekten,
  • Rahmen mit Text,
  • Seitenanfängen (erste Textzeile von Seiten),
  • Tabellenanfängen (Sprung in die oberste Tabellenzeile),
  • Tabellenenden (Sprung in die unterste Tabellenzeile),
  • Tabulatoren,
  • Tiefstellungen (Indizes),
  • Unterstreichungen.

3.3 Suche nach Gliederungsebenen

Screen-Reader-Programme versprechen, im sog. "Schnellnavigationsmodus" nach Überschriften suchen lassen zu können. Sie erreichen dies, indem sie Formatvorlagen mit bestimmten Namen suchen. Eine Überschrift der obersten Kategorie liegt demnach dann vor, wenn die eingesetzte Formatvorlage den Namen "Überschrift 1" trägt. Bei einer Überschrift der zweiten Ebene wird angenommen, dass die Formatvorlage "Überschrift 2" heißt.

Diese Suchstrategie und -praxis ist leider nur dann erfolgreich, wenn die Schreibweise des Namens einer Formatvorlage exakt dem entspricht, was angenommen und damit erwartet wird. Auch die kleinsten Abweichungen im Namen einer Formatvorlage - beispielsweise das Fehlen des Leerzeichens - führen dazu, dass die Überschrift in der Praxis nicht gefunden wird.

Die HBS-Tools zur Suche nach Überschriften verwenden eine völlig andere Suchtechnik. Sie suchen nicht mehr nach Namen von Formatvorlagen, sondern nach Textabsätzen, denen eine Gliederungsebene zugewiesen wurde. Die Namen der eingesetzten Formatvorlagen spielen damit keine Rolle mehr. Das entscheidende Suchkriterium ist die Frage, ob und gegebenenfalls welche Gliederungsebene vorliegt.

3.4 Suche nach farbigem Text

Das sog. "Farbnavisystem" beantwortet auf Knopfdruck die Frage, ob im aktuell geöffneten Textdokument Farben als Gestaltungsmittel eingesetzt werden und, wenn ja, welche Farben benutzt werden und an wie vielen Stellen wie viele Zeichen betroffen sind.

4 Tastaturhelfer

"Tastaturhelfer" werden die HBS-Tools für Word genannt, die Tastaturnutzern die Durchführung von Aktionen erleichtern, die unmittelbar an der Stelle des aktuellen Cursors im Text durchgeführt werden sollen.

Ergonomisch sinnvoll lassen sich Tastaturhelfer insbesondere dann einsetzen, wenn sie durch Eingabe der jeweils vorgesehenen Befehlstastenkombination ausgelöst werden. Tastaturhelfer funktionieren natürlich auch dann, wenn sie von einem Bedienelement auf der Registerkarte "HBS" aus gestartet werden. Ihr Einsatz ist dann in der Regel aber nicht so effektiv.

Bezugsquelle

FernUniversität in Hagen

Zentrum für Medien und IT

Arbeitsbereich Audiotaktile Medien

Postfach 940

58084 Hagen

Tel.: 02331 9874218

E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

Foto 1: Luftbild der FernUniversität in Hagen. Seit vielen Jahren gehören Studierende mit Blindheit und Sehbehinderung zu den rund 76.000 Menschen, die ein Fernstudium an der FU Hagen nutzen. Für sie wurde am Arbeitsbereich Audiotaktile Medien ein HBS-Word-Tool-Paket entwickelt. Foto: FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla

 

Foto 2: Autor Richard Heuer gen. Hallmann. Foto: privat [Richard Heuer hat dunkle Augen und kurze hellblonde Haare. Er lächelt.]

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Ein Markt im Wandel
Probleme im Hilfsmittelmarkt für blinde und sehbehinderte Menschen in Deutschland
Teil 2

Von Franz Erwin Kemper

Fortsetzung Abschnitt IV. Wie muss der Markt (...) gestaltet werden, damit er nachhaltig unsere Hilfsmittelversorgung sichert?(*)
E. Information und Vorführung auf Messen o.ä.:

-- Messen und Präsentationen von Hilfsmitteln verursachen Kosten von 1.000 bis 2.000 € pro Tag und Standperson. Sie sind deshalb eine erhebliche Kostenkomponente bei der Preiskalkulation dieser Hilfsmittel.

== Hilfsmittelmessen nur für Fachpersonal: Dann ist der Aufwand ähnlich wie auf anderen Investitionsgütermessen. Deshalb ist dieser privatwirtschaftliche Aufwand von Anbietern und Eintrittsgeldern zu erbringen.

== Messen und Informationsveranstaltungen mit Konsumentencharakter: Sie haben überwiegend die spezifische Information behinderter Interessenten zum Inhalt und müssen folglich angemessen gemeinnützig subventioniert werden. Deren Veranstalter müssen diese Subventionen beantragen und durchsetzen und die Anbieter mit dieser uneigennützigen Informationstätigkeit beauftragen.

F. Demonstration und Test von Gesamtlösungen und der Nutzerfähigkeiten vor Ort im Außendienst:

-- Der Erfolg einer Hilfsmittelinvestition am Arbeitsplatz ist von vielen technischen und personellen Voraussetzungen abhängig, die erst beim Besuch durch den Vorführer/Berater/Verkäufer erkannt, bewertet und oft auch erst geschaffen werden. Die Qualifikation dieser Außendienst-Berater ist deshalb eine erhebliche Komponente für die Bewertung des Lieferanten.

-- Erkenntnisse über die Kompatibilität der anbietbaren Lösungen mit der geplanten Arbeitsplatz-Aufgabenstellung unter vorgefundenen Bedienabläufen, Betriebssystem, Anwenderprogramm, Overlays, Hardware-Kompatibilitäten, Regeln der Netzwerk-Administration und des Datenschutzes, Arbeitsplatzumfeld (Lärmpegel und Sprachausgabe), Akzeptanz bei Kollegen, Vorgesetzten, Personalvertretung und Behindertenvertretung, persönliche Eigenschaften wie Besonderheiten und Fähigkeiten sowie Lernbereitschaft des vorgesehenen Nutzers - all dies ist Gegenstand der vor-Ort-Analyse durch den Außendienst-Berater und kann bei Nichtbeachtung zum Misserfolg führen.

== Diese Berater müssen deshalb einheitlich qualifiziert und zertifiziert werden, und sie müssen standardisierte Besuchsprotokolle und Situationsanalysen erstellen und diese - gegen Bezahlung - den anderen Investitionsentscheidern aushändigen. Nur so können Entscheidungsverantwortungen zugewiesen und die Kosten der Entscheidungsfindung gemindert werden. Bei erhöhter Entscheidungsunsicherheit kostet dann auch die Beauftragung mit einer Zweitanalyse ein zweites Honorar.

G. Auslieferung, Aufbau und Systemintegration am Arbeitsplatz:

-- Diese mehrfach-qualifizierte Außendienstleistung ist das extreme Gegenteil zu kartonschiebenden Billiganbietern.

-- Sie umfasst die Anlieferung vorinstallierter Komplettanlagen, den Aufbau, Anschluss, die gemeinsame Netzwerkintegration mit der IT-Administration und Einstellung aller Komponenten, bis die Anlage für die Einzelplatzschulung und Fernwartungsbetreuung bereit ist.

== Diese Leistungen müssen industrie-üblich vergütet werden.

== ISO-zertifizierte Lieferanten verlangen heute schon von diesen Außendienstlern handfeste Installations- und Problemprotokolle. Diese Transparenz sollte sowohl Kostenträgern als auch Arbeitgebern in den Grenzen des Datenschutzes gewährt werden, um Folgeentscheidungen und Regresse zu erleichtern.

H. Einzelplatzschulung vor Ort und innerhalb des Systems am Arbeitsplatz:

-- Der Trainer für diese Tätigkeit braucht außer einer hohen und hierfür zertifizierten Qualifikation noch das Vertrauen des Anwenders, des Arbeitgebers und seiner in die Arbeitsvorgänge einbezogenen Kollegen sowie eine hohe Flexibilität, sich auf die - oft erst spontan auftretenden - Anforderungen und Einschränkungen der sich ständig ändernden Technologie-Umgebung und Kollegen einzustellen.

-- Da spätestens hier das Vertrauen von Arbeitgebern, Kollegen und Nutzern unverzichtbar ist, erfordern Datenschutz und organisierte Zugriffsrechte an die Dokumentation besonders hohe Anforderungen. Nur eine aussagefähige Kundenakte ermöglicht es den hierzu qualifizierten Lieferanten-Mitarbeitern, spontane Hilfestellung und Beratung zu leisten.

-- Für den Fall einer Fernwartung muss die Wahrung von Arbeitsplatzgeheimnissen organisiert und gesichert sein. (Ich und mein jeweiliger Arbeitsassistent, wir sind vielfach vorab von den geheimnis-schützenden Einrichtungen per Fragebogen und Hintergrund-Check auf unsere Eignung als Träger höchster Dienstgeheimnisse hin geprüft und vor Ort vereidigt worden, bevor wir in Geheimdienstgebäude und Ministerialzentralen eingelassen wurden.)

== Personalaufwand sowie Datenschutz und Datensicherheit müssen vor Auftragsbestätigung vom Anbieter sorgfältig geplant und aussagefähig ins Angebot integriert werden.

I. Kontinuierliche Nutzer-Hotline - telefonisch, Datenkontakt, Fernwartung:

-- Für Arbeitsplatzausstattungen muss dies während der büroüblichen Tageszeit von Lieferanten garantiert werden, und die Zugangsdaten müssen leicht und immer für den Nutzer erreichbar sein (z.B. Brailleaufkleber mit Hotline-Telefonnummer am Gerät).

-- Bei Fernwartung muss der Lieferant fähig und bereit sein, mit Netzwerk-Administrator oder Datensicherheitsbeauftragtem am Arbeitsort zu kooperieren.

-- Für Kunden, die nicht während der Bürozeit betreut werden können, muss der Lieferant eine Lösung anbieten.

== Der Kostenträger bzw. Investor muss die Zusicherung der Hotline-Leistungsbereitschaft einfordern und sporadisch überprüfen, um die Betreuung der Anlage zu sichern.

J. Beratung und Begleitung von Nutzer, Arbeitgeber und Betriebs-EDV:

-- Bei Auslieferung muss eine Kommunikationsform vereinbart werden, die eine rechtzeitige Warn-Mitteilung über Systemänderungen an alle davon betroffenen sicherstellt.

-- Gleiches gilt für alle Updates, die beim Nutzer Schulungsbedarf erfordern.

== Auf dieser Basis muss der Lieferant Nachrüstbedarf und Nachschulungsbedarf erkennen, unaufgefordert melden und für den Kostenträger das passende Angebot erstellen.

== Mit einem Kunden-Rundbrief ohne Werbecharakter muss der Lieferant alle Beteiligten über aktuelle Tendenzen informieren, die das Kundensystem betreffen, um vor Fehlentscheidungen zu warnen oder auf Updates und deren Chancen und Probleme hinzuweisen.

V. Wie könnte das Markt-Dilemma in unseren Hilfsmittelmärkten bewältigt werden?

Wo Marktwirtschaft funktioniert, dort sind Preise das Maß für Vergleiche und Entscheidungen. Sobald jedoch gemeinnützige Leistungen einbezogen werden, die politisch gewollt sind, müssen öffentliche Akteure mit einer Alternative zum Geld ins Geschehen eingreifen. Und das können Gutscheine für jene gemeinnützig gewollten Leistungen sein, die dann bei der Gutschein-Ausgabestelle vom Leistungserbringer eingereicht und abgerechnet werden.

Die Blockchain-Technologie wäre ein Weg, den Verwaltungsaufwand für die Abrechnung zu automatisieren und minimieren.

Denkbar wäre die Ausgabe von Gutscheinen für

  • Beratung,
  • Schulung und Weiterbildung,
  • für die zeitbegrenzte aktuellste Screenreader-Nutzung,
  • für zeitlich begrenzte Vorlesemaschinennutzung auch als Online-Service,
  • für behindertenspezifische Weiterbildung von Volkshochschulmitarbeitern und Behindertensporttrainern vor Ort,
  • für zeitbegrenzte Zugangscodes für Hörbüchereien und
  • zur behindertenspezifischen Rechtsberatung und Rechtsvertretung sowie vieles andere ähnliche mehr.

Nicht einmal Papier müsste versendet werden, wenn ein Blockchain-Code übermittelt wird, sondern hier reicht bereits eine SMS oder E-Mail mit dem Code.

Zum einen brächte dies eine mächtige Verwaltungsvereinfachung mit Kostendämpfung, zum anderen wird ein Markt zwischen Gutschein-Inhabern und Leistungserbringern aufgebaut, der dem Gesundheitsmarkt der Pflichtversicherten mit Gesundheitskarte ähnelt.

Für privatwirtschaftliche Vertreiber und damit Berater vieler kleiner Einzelprodukte für sehgeschädigte Nutzer wie Marland muss die anteilig sehr teure Beratungstätigkeit als gemeinnützige Aufgabe in ein subventioniertes Integrationsunternehmen ausgegliedert werden, was zudem Arbeitsplätze für Behinderte schaffen mag. Da diese Beratung per Telefon, via E-Mail und über soziale Netzwerke geschieht, können solche Arbeitsplätze sogar als Heimarbeitsplätze "auf dem Lande" gestaltet werden.

Hier liegen die Instrumente seit Jahren bereit für eine angemessene Nutzung - sie müssen nur beantragt und die Firmenkonzeptionen daran angepasst werden.

Gleiches gilt für die Computeranbieter, weil gerade hier die Fachkompetenz einiger potenzieller Nutzer einbringbar und extrem kostengünstig finanzierbar ist.

Fragen Sie sich nicht auch, warum so etwas Simples, mit dem manche Firma aus der Personalkostenfalle hätte gerettet werden können, nicht schon lange umgesetzt wurde? Nur wer diesen Spagat zwischen Privatwirtschaft und Gemeinnützigkeit schafft, kann nachhaltig Hilfsmittelanbieter bleiben!

(*) Teilschritte wurden mit -- gekennzeichnet, Maßnahmenvorschläge mit ==.

Foto: Gute und passende Hilfsmittel am Arbeitsplatz sind wichtig. Foto: DVBS [Eine Frau arbeitet mit Laptop, Braillezeile und Kopfhörer am Schreibtisch.]


Barrierefreiheit im Netz - Ohne Wenn und Aber

Vom Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen

Öffentliche Stellen in Bund, Ländern und Kommunen sind nach der Richtlinie (EU) 2016/2102 verpflichtet, ihre Webseiten und mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten. Seit dem 23. September 2020 müssen auch vor 2018 veröffentlichte Webseiten zusätzlich mit Erklärungen zur Barrierefreiheit versehen sein. Die Erklärungen beinhalten konkrete Feedback- und Durchsetzungswege für Menschen mit Behinderungen, wenn digitale Barrieren auftreten. Diese Verpflichtung gilt für nach 2018 veröffentlichte Webseiten bereits seit vergangenem Jahr, für mobile Anwendungen läuft die Umsetzungsfrist am 23. Juni 2021 ab. Bund und Länder haben in Umsetzung der Richtlinie ihre Regelungen zur barrierefreien Informationstechnik angepasst.

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, begrüßt in einer Pressemitteilung vom 22. September die Umsetzung dieser Richtlinie sehr, mahnt aber auch eine weitere Ausweitung auf den privaten Sektor an. "Menschen mit Behinderungen leben nicht nur im öffentlichen Sektor, sie wollen selbstverständlich auch auf Informationen von beispielsweise Unternehmen zugreifen. Ich fordere eine Verpflichtung auch des privaten Sektors zu mehr Barrierefreiheit. Eine erste Chance wird die Umsetzung des European Accessibility Act (EU-Richtlinie 2019/882) in Deutschland bis spätestens 2022 sein. Hier wünsche ich mir von der Bundesregierung ein konsequentes Bekenntnis zu Inklusion und Barrierefreiheit - ohne Wenn und Aber." Umfassende digitale Barrierefreiheit ist eine seit langem gestellte Forderung, die Behindertenbeauftragte von Bund und Ländern beispielsweise im November 2019 gemeinsam in der Bad Gögginger Erklärung formuliert haben.

Zu den öffentlichen Stellen in Bund und Ländern, die von der EU-RL 2016/2102 umfasst werden, gehören Ämter und Behörden, wie z. B. Ministerien, Sozialversicherungsträger oder Bürgerämter, aber auch Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wie z. B. kommunale Nahverkehrsunternehmen oder Abfallentsorger, sowie andere privatrechtliche Institutionen in öffentlicher Hand. Falls ihre Webseiten nicht barrierefrei nutzbar sind, müssen diese Stellen darlegen, welche Gründe es dafür gibt und ob es ggf. alternative Zugänge zu den Inhalten gibt. Für Menschen mit Behinderungen wurden transparente und gut zugängliche Beschwerdemöglichkeiten eingeführt: Zum einen müssen die Erklärungen zur Barrierefreiheit von Webseiten einen sogenannten Feedback-Mechanismus enthalten, mittels dessen man sich an die öffentlichen Stellen wenden kann, um Mängel zu melden. Für den Fall, dass die öffentliche Stelle die Barriere auf die Beschwerde hin nicht beseitigt, haben Bund und Länder Durchsetzungs- bzw. Schlichtungsverfahren eingerichtet. Auf Bundesebene wird hierfür das bereits 2016 eingerichtete und etablierte Schlichtungsverfahren genutzt. Die Länder haben in ihrem Landesrecht zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen eigene Durchsetzungsmechanismen geregelt. Diese zum Teil ebenfalls in Form einer unabhängigen Schlichtungsstelle eingerichteten bzw. bei der jeweiligen Landesverwaltung angesiedelten Stellen haben ihre Arbeit bereits aufgenommen.

Der sogenannte "European Accessibility Act (EAA)" vom 17. April 2019 zu Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen war bereits zuvor am 28. Juni 2019 in Kraft getreten und soll in Teilen auch private Anbieter verpflichten. Der EAA ist bis zum 28. Juni 2022 in nationales Recht umzusetzen und muss - abgesehen von Ausnahmen - ab dem 28. Juli 2025 angewandt werden. Weitere Informationen gibt es unter https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/Themen/European-Accessibility-Act/european-accessibility-act_node.html

Anmerkung der Redaktion

Einen vertiefenden Überblick zum EAA wird das Seminar "European Accessibility Act für die Selbsthilfearbeit nutzen" bieten (siehe Beitrag in der Rubrik "Aus der Arbeit des DVBS" .

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Berichte und Schilderungen

Widerstand der Verwundbaren - Das Beispiel Otto Weidt und seiner Helfer (*) Teil 1

Von Uwe Boysen

Wie viele andere Organisationen und Institutionen begann auch der DVBS in den 1980er Jahren (viel zu spät!), sich mit seiner Vergangenheit in der Zeit des Faschismus auseinanderzusetzen. Ergebnis war unter anderem ein im November 1989 in Berlin durchgeführtes Seminar, 1991 dokumentiert in Bd. 8 der Schriftenreihe von DVBS und blista mit dem Titel "Blinde unterm Hakenkreuz". Durch Inge Deutschkron, deren Autobiographie "Ich trug den gelben Stern" 1978 erschienen war, wurden wir erstmals auf die Blindenwerkstatt Otto Weidt und die Geschichte der von Weidt im zweiten Weltkrieg versteckten Jüdinnen und Juden aufmerksam. Gerade in einer Zeit, in der der lange totgeschwiegene, aber nie wirklich verschwundene Antisemitismus offenbar in Deutschland wieder "modern" zu werden scheint, sollten wir uns an Weidt und die Schicksale der Menschen, denen er und viele seiner Helferinnen und Helfer Zuspruch und Obdach gewährten, erinnern. Anlass dazu gibt auch die Dissertation von Robert Kain mit dem Titel "Otto Weidt. Anarchist und 'Gerechter unter den Völkern' " (Lukas Verlag, 2017), der ich viele der folgenden Informationen verdanke.

Die "Blindenwerkstatt Otto Weidt" in Berlin und das Blindenhandwerk

Otto Weidt wurde 1883 in Rostock geboren. Seine Lebensjahre bis in die 1920er hinein verliefen turbulent. Nach einer Ausbildung zum Tapezierer kam er Anfang des 20. Jahrhunderts nach Berlin und schloss sich dort verschiedenen anarchistischen Kreisen an, bei denen er einen Griff in die Kasse getan haben muss. Wegen Verbreitens anarchistischer Literatur wurde er 1907 auch zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Ab 1908 begannen Weidts Wanderjahre, konkret wohl mit einer Unterschlagung; denn er kaufte eine Nähmaschine, zahlte 5 Mark an, verkaufte das gute Stück gleich weiter und verschwand mit dem Überschuss in Richtung Schweiz. In der Folgezeit kam er nach München, fand aber kein Gefallen an der Schwabinger Bohème. Die seien nur mit Saufen statt mit Revolution beschäftigt, kommentierte er.

1924-25 verschlechterte sich sein Sehvermögen erheblich, so dass er nur noch einen geringen Sehrest behielt. Man wird davon ausgehen können, dass er danach mindestens hochgradig sehbehindert war. Weidt selbst gab 1947 an, dass seine Erblindung auf den Einsatz im ersten Weltkrieg zurückgehe. Da er nie an der Front war, erscheint das jedenfalls fraglich. Gleichwohl ist er aber letztlich als kriegsblind anerkannt worden.

Die Ausbildung zum Bürstenmacher für Späterblindete, die an den Blindenanstalten angeboten wurde, dauerte zwei Jahre. Wichtiges Unterrichtsfach war die sog. Geschäftskunde, in der Themen wie Preiskalkulation und Buchführung behandelt wurden. Wann Weidt diese Ausbildung abschloss und ob er danach in einer der zahlreichen Blindenwerkstätten Berlins tätig war, lässt sich nicht mehr ermitteln. Jedenfalls ab 1931 ist nachgewiesen, dass Otto Weidt selbstständig mit Besen und Bürsten handelte.

1939 gründete Weidt dann seine Blindenwerkstatt, in der er schon bald viele jüdische Menschen, ob blind, gehörlos oder sehend, beschäftigte. Weidt produzierte wohl schon seit Kriegsbeginn auf Grund von Einzelaufträgen auch für die Wehrmacht. Anfang 1943 erhielt er insoweit einen ersten Großauftrag. 1944 verkaufte die Werkstatt ihre Fabrikbesen zum Einzelpreis von 3,75 RM und handgefertigte Klosettbürsten zu 1,75 RM. An Fliegergeschädigte wurden 1944 in Berlin 50.000 Sortimente, bestehend aus je einem Handfeger, einem Zimmerbesen, je einer Kleider-, Schuh- und Scheuerbürste sowie einem Schrubber, einer Zahnbürste, und weiter 100.000 Zahnbürsten, 350.000 Kämme und 25.000 Rasierpinsel ausgeteilt. Daran muss auch Weidt verdient haben. Denn er steigerte seine Umsätze 1944 um 85 % auf 154.161,54 RM.

Das Versteck in der Blindenwerkstatt Otto Weidt und die Schicksale einiger Untergetauchter

Die wohl zuverlässigste Zeugin über Weidts Aktivitäten ist die Journalistin Inge Deutschkron, nach deren Schicksal in den 1980er Jahren das Theaterstück "Von nun an heißt Du Sara" für das Gripstheater entstand.

1. Inge Deutschkron

Inge Deutschkron begann im Sommer 1941 ihre Arbeit im Büro der Blindenwerkstatt Otto Weidt. Hier traf sie sowohl auf Alice Licht, genannt Ali, wie später auch auf einen Hans Rosenthal, damals Mitte 30, der Einkäufer für die jüdische Gemeinde Berlins war und häufiger auch mit der Gestapo Geschäfte machen musste (nicht zu verwechseln mit dem späteren Quizmaster).

Deutschkron tauchte Anfang 1943 mit falscher neuer Identität unter und wechselte diese nochmals 1944, bevor sie und ihre Mutter 1945 befreit wurden.

2. Alice Licht

Alice Licht arbeitete seit 1941 bei Weidt als Sekretärin und war für ihn offenbar unentbehrlich. Ende 1942 / Anfang 1943 wurde es auch für sie gefährlich und Weidt schlug ihr vor, unterzutauchen. Das wollte sie aber nur zusammen mit ihren Eltern. Sie lebten dann nach späteren Aussagen von Licht von Januar bis Oktober 1943 illegal in der Neanderstraße 12, heute Heinrich-Heine-Straße. Dort befand sich in einem ehemaligen Konfitürenladen damals ein Auslieferungslager der Blindenwerkstatt Otto Weidt. Licht arbeitete auch während ihrer Illegalität weiter für Weidt und ebenfalls ihr Vater. Für sie soll Weidt sogar den Ausweis seiner Schwiegertochter entwendet haben, um ihr plausible Dokumente zu verschaffen.

Mitte Oktober 1943 kam es zu einer Razzia in der Blindenwerkstatt Otto Weidt, bei der viele Mitarbeiter, u. a. auch Alice Licht, seine Sekretärin, und ihre Eltern verhaftet wurden. Weidt versuchte noch, seinen Mitarbeitern im Sammellager Werkzeug zuzustecken, mit der Idee, dass sie sich damit aus den Waggons, die in den Tod rollten, befreien könnten. Der Fluchtversuch sollte in der Nähe von Erkner stattfinden, wurde aber letztlich nicht ausgeführt. Jedenfalls gelang es Weidt aber, die Namen von Alice Licht und ihren Eltern aus der Liste des 44. Transports in den Osten streichen zu lassen. Die Familie Licht wurde dann schließlich am 15.11.1943 nach Theresienstadt und nicht nach Auschwitz deportiert. Weidt ließ seine früheren Angestellten "aus der Ferne" auch dort nicht im Stich. Schon vorher hatte er seine Mitarbeiter in der Werkstatt mit Lebensmitteln unterstützt.

Von Theresienstadt kam Licht dann doch 1944 nach Auschwitz. Hier beginnt eine der abenteuerlichsten Episoden aus dem Leben des Otto Weidt. Im Mai 1944 warf Alice Licht eine Postkarte aus dem sie nach Auschwitz bringenden Zug, auf der zu lesen stand: "Finder wird gebeten, Karte in Briefkasten zu stecken. Vielen Dank." Auf der Karte informierte Licht Weidt über ihre Deportation, deren Tragweite sie wohl damals noch nicht überblickte. Weidt begab sich daraufhin nach Auschwitz und versuchte, direkten Kontakt mit ihr aufzunehmen, ohne dass er sie "freikaufen" konnte. Licht gelang, nachdem sie Anfang 1945 in ein anderes KZ gebracht worden war, von dort aus die Flucht zurück nach Berlin.

Warum es nach der Verhaftung von Weidt’schen Mitarbeitern 1943 nicht zu erheblichen Repressalien gegen ihn selbst kam, ist nicht recht erklärlich. Weidts Ehefrau Else sagte nach dem Krieg, die Gestapo habe ihm erklärt, man verhafte ihn nicht, weil er krank sei und weil er Juden in seinem Gewerbebetrieb nützlich beschäftige. Eine andere Deutung liegt ebenso nahe. Da Weidt Mitarbeiter der Gestapo vielfach bestochen hatte, hätte seine Verhaftung für den Fall, dass er "auspacken" würde, zu einem größeren Skandal führen können.

Im zweiten Teil wird es um diejenigen gehen, die im Umkreis von Weidt Jüdinnen und Juden beim Überleben halfen.

(*) Gekürzte Fassung eines Vortrags, den der Autor in Lübeck auf der Tagung "Vom Widerstand und seinen Formen zwischen 1933 und 1945" am 19. Oktober 2019 gehalten hat.

Foto 1: Otto Weidt, Berlin, um 1943. Foto © Gedenkstätte Deutscher Widerstand [Otto Weidt trägt zum dunklen Anzug eine dunkle Weste, weißes Hemd, Krawatte und Einstecktuch. Er hat ein schmales Gesicht und eine hohe, mit Linien durchzogene Stirn. Seine dunklen Haare liegen nach hinten gekämmt eng an.]

Foto 2: Inge Deutschkron. Foto: © Gedenkstätte Deutscher Widerstand [Portrait einer jungen Frau mit dunklen Augen und dunklen, locker-kranzförmig gesteckten Haaren. Sie trägt eine geschlossene Bluse und lächelt zurückhaltend.]

Foto 3: Alice Licht. Foto: © Gedenkstätte Deutscher Widerstand [Portrait einer schmalen jungen Frau in dunklem Kleid mit weißem Kragen. Alice Licht lehnt die Arme an eine Stuhllehne und hält die Hände an ihre rechte Wange. Sie trägt eine Armbanduhr, ein Armband sowie einen Ring und lächelt den Betrachtenden an.]

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Aus der Arbeit des DVBS

DVBS-Projekt agnes@work: "Akteure einer neuen Diversity-Kultur"

Von Savo Ivanic

"Wir stehen am Rande der vierten industriellen Revolution" lautet die einhellige Meinung der Fachwelt. In den vergangenen zwei Jahrhunderten haben erst die Dampfmaschine (erste industrielle Revolution), dann die Elektrizität und danach die Elektronik die Warenproduktion immer weiter automatisiert. Nun führen Big Data, Künstliche Intelligenz (KI) und digitale Vernetzung - die sogenannte Industrie 4.0 - zu einem neuen Quantensprung, der die gesamte Arbeitswelt umkrempelt. Verstärkt wird dieser Trend zur Digitalisierung durch die Corona-Krise und ihre Folgen: Home Office, Telearbeit und Einsatz digitaler Konferenzsoftware gehören zum Alltag vieler Berufstätiger.

Digitalisierung trifft Sehbeeinträchtigte besonders

Auch sehbeeinträchtigte Menschen profitieren davon - sofern die nötigen Unterstützungssysteme vorhanden sind. Gleichzeitig sind sie von den Risiken besonders betroffen: Sprachcomputer ersetzen zunehmend Call-Center-Agents. Routinetätigkeiten wie Erfassungsvorgänge bei Versicherungen, die häufig von seheingeschränkten Mitarbeitenden ausgeübt werden, fallen der Digitalisierung zum Opfer. Smarte Bürosoftware ersetzt Angestellte. Aber auch Hochqualifizierte und Akademiker*innen sind betroffen: KI findet sich in Gesetzestexten mitunter besser zurecht als jeder Einserjurist.

Neue Diversity-Kultur

Das neue DVBS-Projekt agnes@work sieht Digitalisierung hingegen als Chance. Das Akronym "agnes" steht für "Agiles Netzwerk für sehbeeinträchtigte Berufstätige - Beratungs- und Kompetenznetzwerk am Arbeitsplatz." Der Name ist Programm: "Wir können die Digitalisierung nicht aufhalten, aber gestalten", sagt Projektleiter Dr. Klaus-Peter Pfeiffer (Köln). Dabei sieht er blinde und sehbehinderte Arbeitnehmer*innen als Akteure einer neuen Diversity-Kultur. Mit anderen Worten: Sehbeeinträchtigte sind weit mehr als ihr Handicap und können eine Bereicherung für ihren Arbeitgeber und ihr Umfeld sein. Bestenfalls profitieren alle von ihren Kompetenzen und Fähigkeiten, nicht zuletzt sie selbst. Deshalb richtet "agnes" den Fokus auf Stärken, Potenziale und Ressourcen, ohne Beeinträchtigungen und Begrenzungen zu beschönigen. Speziell geschulte Expert*innen, sogenannte Task Forces, unterstützen dabei vor Ort.

Barriereabbau

Flankiert wird diese Hilfe zur Selbsthilfe, neudeutsch "Empowerment", durch Informationen, Schulungen und Vernetzung von Unterstützungsakteuren wie Schwerbehindertenvertretungen (SBV), Arbeitsagentur, Jobcenter oder Deutscher Rentenversicherung. Deren Mitarbeitende sind meist guten Willens, haben aber wenig Erfahrung mit der adäquaten Betreuung seheingeschränkter Kund*innen. Dabei versteht sich agnes nicht als Konkurrenz zu Integrationsfachdiensten oder Berufsförderungswerken, sondern sieht sich als Ergänzung und Teil eines größeren Ganzen. Auch hinsichtlich des Themas Barrierefreiheit. "Die Barrieren sind häufig in den Köpfen der Menschen", sagt Projektleiter Dr. Pfeiffer. Deshalb ist Barriereabbau ein weiteres agnes-Ziel - technisch wie mental, und nicht nur auf Sehbeeinträchtigte beschränkt. agnes definiert Barrierefreiheit behinderungsübergreifend und nimmt wo möglich andere Betroffene mit in den Blick.

Nationale Weiterbildungsstrategie

Ein weiterer agnes-Schwerpunkt ist die kritisch-konstruktive Begleitung der Nationalen Weiterbildungsstrategie (NWS) der Bundesregierung. Diese berücksichtigt bislang kaum das Thema Barrierefreiheit. Die Einbindung der im mittlerweile abgeschlossenen DVBS-Projekt iBoB entwickelten Weiterbildungsplattform (https://weiterbildung.dvbs-online.de) in die NWS soll das ändern.

Laut Experten werden künftig jene Tätigkeiten am sichersten vor Jobabbau sein, die Kreativität und soziale Kompetenz erfordern - beispielsweise Sozialarbeit oder Beratung. Felder, in denen sehbeeinträchtigte Menschen durchaus punkten können.

Umfrage

Um die Wünsche und Bedarfe blinder und sehbehinderter Berufstätiger zu kennen und seine Angebote besser darauf abzustimmen, hat das agnes-Team eine Umfrage entwickelt. Sie steht unter https://www.surveymonkey.de/r/NDJLS3S

Die Befragung ist bis zum 31. Januar 2021 geöffnet. Bitte nehmen Sie daran teil. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!

Kontakt

Projekt agnes@work
c/o DVBS e.V.
Frauenbergstraße 8
35039 Marburg
Telefon: 06421 94888-33
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Foto: Dr. Klaus-Peter Pfeiffer leitet das DVBS-Projekt agnes@work. Foto: privat [Dr. Pfeiffer trägt zum weißen Hemd ein schwarzes Jackett mit rotem Einstecktuch sowie eine rote Krawatte. Er hat braune Augen und meliertes Haar, Ponnyfransen fallen über seine hohe Stirn. Er lächelt.]

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Neue Projektgruppe Finanzdienstleistungen im DVBS gegründet

Von Aytekin Demirbas und Markus Ertl

Am 30. Juli 2020 hat sich offiziell die Projektgruppe "Finanzdienstleistungen" im DVBS gegründet.

Sie bietet die Möglichkeit zur Vernetzung von Beschäftigten in der Finanzdienstleistungsbranche, z.B. in privaten und Genossenschaftsbanken, Sparkassen, Versicherungen und deren Dienstleistungsgesellschaften.

Die Digitalisierung und damit einhergehende technische Veränderungen stellen blinde und sehbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meist vor schwierige Aufgaben. Das Verständnis für die damit verbundenen Herausforderungen und Ängste ist oftmals bei Arbeitgebern nicht vorhanden. Im besten Fall wird Interesse gezeigt, aber durch strukturelle Vorgaben sind die Möglichkeiten zur barrierefreien Gestaltung häufig nur bedingt oder sogar vermeintlich nicht gegeben. Nur selten werden der Integrationsfachdienst, ein Hilfsmittelanbieter oder andere unterstützende Stellen mit ins Boot geholt oder gar einfache Lösungsmöglichkeiten umgesetzt.

Interessengemeinschaften haben eine lautere Stimme als eine einzelne Person. Somit können wir effektiver auf einem höheren Niveau verhandeln und die für uns wichtigen Belange kommunizieren. Nehmen wir uns die Natur zum Vorbild: Einzelne kleine Fische vereinen sich zu einem großen Schwarm, welcher dem großen Fisch Respekt einflößt.

Unter dem Dach des DVBS werden wir zunächst aktiv auf den Deutschen Sparkassen- und Giroverband zugehen, um mehr Bewusstsein für unsere Probleme zu schaffen. Nicht zuletzt hat sich die Projektgruppe aus einer Initiative von Mitarbeitenden der Sparkassenorganisation gegründet. Die Projektgruppe Finanzdienstleistungen hat sich zum Ziel gesetzt, auch auf andere Finanzdienstleistungsunternehmen zuzugehen, um die Interessen blinder und sehbehinderter Beschäftigter zu vertreten.

In den Organisationen, in denen wir arbeiten, stehen große Veränderungen an. Es besteht die Gefahr, dass wir als blinde und sehbehinderte Mitarbeitende durch geplante oder bereits begonnene Maßnahmen abgehängt werden, wenn unsere Interessen in den Veränderungsprozessen nicht angemessen berücksichtigt werden. Als verantwortungsvolle Unternehmen haben Banken, Sparkassen und Versicherungen die moralische Pflicht, den Regelungen des SGB IX, der UN-Behindertenrechtskonvention und nicht zuletzt des Grundgesetzes gerecht zu werden. Daran wollen wir sie, wenn nötig, mit Nachdruck erinnern.

Lassen Sie uns gemeinsam dazu beitragen, dass die Projektgruppe wächst, und nehmen Sie Kontakt zu uns auf. Berichten Sie von Ihren technischen und Alltagsbarrieren, auf die Sie mit Ihrer Seheinschränkung bei Ihrer Arbeit in einem Finanzdienstleistungsunternehmen stoßen. Auch über Rückmeldungen zu positiven Erfahrungen, über Berichte zu erfolgreichen Lösungen und über den konstruktiven Austausch untereinander freuen wir uns.

Möchten Sie Ihre und unsere gemeinsame Zukunft mitgestalten? Wir freuen uns auf Sie!

Markus Ertl
Tel.: 08042 503078
Mobil: 0171 21 52 895
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Aytekin Demirbas
Tel.: 0531 4873197
Mobil: 0173 62 01 040
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Foto: Beschäftigte mit Blindheit und Sehbehinderung, die bei Finanzdienstleistern arbeiten, stehen vor besonderen Herausforderungen. Foto: pixabay / Michael Gaida [Obere Ecke eines modernen Hochhausgebäudes mit Sparkassen-Logo.]

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"Nähe trotz Ferne": Neues Angebot zum telefonischen Austausch

Von Marianne Preis-Dewey, Christian Karges und Karla Schopmans

Der DVBS ist mit seinem umfangreichen Angebot in ganz unterschiedlichen Bereichen aktiv. Doch manchmal kann es bei Gesprächen auch zu Situationen kommen, die einen anderen Rahmen als den der Stammtische und des fachgruppenspezifischen Austauschs benötigen. Das kann zum Beispiel der Wunsch nach Austausch über Schwierigkeiten in der eigenen (Lebens-)Situation oder die Suche nach Menschen sein, die zuhören oder Rat geben können. Deshalb haben wir als ein neues DVBS-Angebot den Telefon-Chat "Nähe trotz Ferne" entwickelt.

Hier können Mitglieder gemeinsam über das, was sie besonders beschäftigt oder ihnen Schwierigkeiten macht, miteinander ins Gespräch kommen. Der Telefon-Chat lädt dazu ein, sich als Ratsuchende und Ratgebende unkompliziert und zwanglos zu treffen und auszutauschen, ohne vorgegebene Themen, aber mit viel Verständnis füreinander. So kann jede und jeder durch die Gruppe Stärkung und Rat erfahren.

Denn schließlich gehört es zu den Grundpfeilern der Selbsthilfe, sich gemeinsam auszutauschen und gegenseitig zu stärken. Da wir alle als blinde und sehbehinderte Menschen mit Schwierigkeiten vertraut sind, die die eigene Beeinträchtigung mit sich bringt, können wir uns gut in die Situation der anderen Person hineinversetzen und sie in ihrer Situation so annehmen, wie sie ist.

Die ersten Telefonchats fanden im August und Oktober statt. Das Moderatorenteam Karla Schopmans und Christian Karges freut sich auch weiterhin auf einen gewinnbringenden, respektvollen und guten Austausch. Die Termine der nächsten Telefonchats "Nähe trotz Ferne" werden auf der DVBS-Webseite bekannt gegeben.

Fragen zum neuen Telefonchat beantwortet gerne Christian Karges, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Telefon: 06421 94888-0.

Foto: Telefonchats vermitteln auf unkomplizierte Art und Weise Unterstützung. Foto: pixabay / Gundula Vogel [Mit dem Rücken zur Kamera hält eine Frau mit Pferdeschwanz und großen Creolen einen Telefonhörer an ihr Ohr.]

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European Accessibility Act für die Selbsthilfearbeit nutzen

Von Christian Axnick

Die Ehrenamtsakademie wurde 2020 vom Corona-Virus in eine Zwangspause geschickt. Nachdem Aktion Mensch dankenswerterweise zugestimmt hat, den Durchführungszeitraum für dieses Projekt bis Oktober 2021 zu verlängern, nehmen wir das Seminarprogramm wieder auf und beginnen am 16./17. Januar 2021 mit einer Veranstaltung, die sich schwerpunktmäßig mit dem European Accessibility Act beschäftigt.

Richtlinien der Europäischen Union spielen für das Leben von Menschen mit Behinderung eine wachsende Rolle. Gerade für ehrenamtlich in der Selbsthilfe tätige Menschen ist es wichtig, die Prozesse und Mechanismen auf europäischer Ebene und die Umsetzungsprozeduren zu verstehen, um darauf Einfluss nehmen zu können.

Am 28. Juni 2019 trat die EU-Richtlinie 2019/882 in Kraft. Dieser European Accessibility Act legt Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen fest. Dies betrifft zum Beispiel Hardware und Betriebssysteme, Geld- und Fahrkartenautomaten, Smartphones, elektronische Kommunikationsdienstleistungen, bestimmte Personenbeförderungsdienste, Bankdienstleistungen und den Online-Handel.

Die Richtlinie ist bis zum 28. Juni 2022 in deutsches Recht umzusetzen und muss ab dem 28. Juni 2025 angewandt werden, wobei allerdings umfangreiche Ausnahmen möglich sind. Außerdem sind wichtige Bereiche, wie etwa Gesundheitsdienstleistungen und Bildung, ohnehin aus dem Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Wirtschaftsakteuren wird unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, die Barrierefreiheitsanforderungen nicht oder nur teilweise zu erfüllen. Die Fristen, die zur Schaffung von Barrierefreiheit eingeräumt werden, sind sehr lang.

In unserem Seminar wollen wir uns einen vertiefenden Überblick über die Regelungen der Richtlinie sowie die Vorarbeiten zu deren Umsetzung in der Bundesrepublik verschaffen. Wo gibt es aus Sicht der Selbsthilfe Lücken? Wie können wir den Umsetzungsprozess begleiten und in ihn eingreifen? Welche Ansätze zur Koordination von Stellungnahmen oder Aktivitäten gibt es bereits?

Mit dem gleichen Ziel wird kurz über weitere Richtlinien informiert werden, deren Umsetzung ansteht oder deren Novellierung geplant ist.

Die vollständige Ausschreibung finden Sie auf unserer Webseite dvbs-online.de unter Projekte - Ehrenamtsakademie. Die Veranstaltung soll als Web-Seminar stattfinden.

Ihr Ansprechpartner in der DVBS-Geschäftsstelle ist Christian Axnick, Telefon: 06421 94888-28, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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Aus der blista

Ausbildungen mit guten Zukunftsaussichten

Sechs abwechslungsreiche und innovative Ausbildungen bietet das Zentrum für berufliche Bildung (ZBB) der blista an.

Die drei Informatikberufe haben ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Bei den Fachinformatiker*innen für Anwendungsentwicklung steht das Programmieren, das Entwickeln von Software im Mittelpunkt. Gaming-Fans, die es spannend finden, wie Games oder andere Programme entstehen, und die Spaß haben, im Team etwas gemeinsam zu entwickeln, sind hier genau richtig. Der Logik einer Anwendung auf den Grund gehen zu wollen, ist genauso wichtig wie das Interesse, kreativ nach digitalen Lösungen zu suchen, die das Leben leichter machen.

Fachinformatiker*innen für Systemintegration sind in Unternehmen nicht wegzudenken. Im übertragenen Sinne sitzen sie im "Maschinenraum" und halten die IT-Systeme am Laufen. Wer verstehen will, wie IT-Systeme zusammenhängen, warum die gerade abgeschickte Mail ankommt oder wie es gelingt, unterschiedliche IT-Systeme zu einem Netzwerk zusammenzuschließen, findet in dieser Ausbildung die passenden Antworten. Systemintegrator*innen unterstützen oft auch Kolleginnen und Kollegen, die Probleme mit ihrer IT haben.

Fachinformatiker*innen für Daten- und Prozessanalyse arbeiten strukturiert und nehmen digitale Abläufe genau unter die Lupe. Was muss ein Online-Shop mitbringen, damit die Kundinnen und Kunden ihn gut finden? Wieso bieten wir Artikel an, die gar nicht lieferbar sind? Wer solche Prozesse hinterfragen und optimieren möchte, dem macht die Ausbildung in diesem immer wichtiger werdenden Berufsfeld sicherlich Freude.

Ähnliche Aufgaben, allerdings mit einem klaren kaufmännisch-unternehmerischen Einschlag, üben Kaufleute für Digitalisierungsmanagement aus. Dabei geht es häufig um Zahlen - das hat weniger mit Mathematik zu tun, als vielmehr damit, dass sich anhand von Zahlen gewisse Aussagen treffen lassen. Diese "Kennzahlen" machen sich Unternehmen gern zunutze. Kaufleute für Digitalisierungsmanagement sind wichtig, weil sie das digitale Arbeiten im Unternehmen koordinieren und weiterentwickeln. Dazu arbeiten sie oft eng mit Fachinformatiker*innen zusammen.

Die Ausbildung der Kaufleute für Büromanagement ist deutschlandweit eine der beliebtesten. Wer einen abwechslungsreichen Arbeitsalltag mit unterschiedlichen Aufgaben schätzt und Spaß am Organisieren und Kommunizieren hat, ist hier an der richtigen Stelle. Kaufleute für Büromanagement sind multitaskingmäßig unterwegs, organisieren, bereiten vor und halten ganze Abteilungen und vielleicht sogar kleinere Unternehmen am Laufen.

Spannend ist auch die Ausbildung Kaufmann/-frau im E-Commerce. Der Trend geht zum Online-Shopping. Aber wie funktioniert das eigentlich genau? Wie spricht man Kundinnen und Kunden online an? In welchem Umfeld wird gerne eingekauft? Woran lassen sich die Wünsche der Kundinnen und Kunden erkennen? Für alle, die sich für diese und viele weitere Fragen rund um die breite Palette der Online-Shops interessieren, ist die neue Ausbildung im E-Commerce eine gute Basis für den Einstieg in Beruf und Karriere.

Neues Video stellt Ausbildungen im ZBB vor

"Die Zukunft ist digital!" - unter diesem Titel steht ein neues Video im YouTube-Kanal der blista. Die Auszubildenden Tom, Willi und Jason stellen ihre Ausbildungen kurzweilig vor. Ausbildungsleiter Otfrid Altfeld und Koordinatorin Susanne Becker informieren über die Angebote für junge Leute mit Blindheit und Sehbehinderung im Zentrum für berufliche Bildung (ZBB). Das neue Video finden Sie unter: www.youtube.com/c/blistaCampus.

ProStart - Arbeitserprobung

Wer neugierig auf eine der sechs Ausbildungsberufe geworden ist, kann sich in einer fünftägigen Arbeitserprobung ein eigenes Bild davon machen.

Die nächsten Termine sind: 07. bis 11.12.2020, 08. bis 12.02.2021, 12. bis 16.04.2021, 07. bis 11.06.2021

Die Ausbildungen dauern drei Jahre, das Ausbildungsjahr beginnt jeweils am 1. September. Meist ist ein mittlerer Bildungsabschluss schon eine gute Voraussetzung.

Kontakt und weitere Infos

Zentrum für berufliche Bildung

Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

Otfrid Altfeld, Ressortleiter "focus arbeit"

Susanne Becker, Ausbildungskoordination

Tel.: 06421 606-541 und -543

E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Internet: www.blista.de/ausbildungen-und-umschulungen

 

Foto: "Die Zukunft ist digital!" - Tom, Willi und Jason stellen in einem Video ihre Ausbildungen im blista-Zentrum für berufliche Bildung vor. Foto: blista

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Produktionsteam von "Sendung mit der Maus" für zwei Tage bei der blista zu Besuch

Wer kennt sie nicht, die Lach- und Sachgeschichten für Fernsehanfänger*innen und lebenslange Fans. Meistens gibt es pro Sendung zu den kurzen Lachgeschichten zwei längere Sachgeschichten. Manchmal wird auch eine Sondersendung produziert, die sich nur mit einem einzigen Thema befasst.

Jetzt soll eine neue, zwei- oder dreiteilige Sachgeschichte entstehen, die sich um die Frage dreht, mit welchen Materialien blinde Schülerinnen und Schüler lernen. Der Fokus liegt dabei auf dem Biologie- und Chemieunterricht an der blista mit Lehrer Tobias Mahnke, den Multimedialen Lernpaketen und den Typhlografien. Natürlich geht die Maus den Dingen dabei auf den Grund: Wo werden die taktilen Lernmaterialien eigentlich entwickelt und produziert, wie lernen Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Seheinschränkungen, macht das Lernen Spaß und wo befindet es sich eigentlich, dieses Gymnasium, von dem da die Rede ist ...?

Mitgewirkt haben die Klasse 9a der Carl-Strehl-Schule und Oberstufenschülerin Vanessa. Die Schülerinnen Kaya (Foto) und Chiara berichten: "Es hat Spaß gemacht und war eine coole Erfahrung. Natürlich mussten Einstellungen wiederholt werden: Treppe rauf, Treppe runter noch mal und noch mal - aber irgendwann hat es gepasst." Mitschüler Jason, der Chemie eigentlich viel lieber mag als Biologie, hat für die "Maus" eine der taktilen Grafiken für das Fach Biologie beschrieben. Alle sind sich einig: "Das würden wir in jedem Fall noch mal machen."

Die Sachgeschichten sollen Anfang kommenden Jahres ausgestrahlt werden, vielleicht schon im Januar 2021. "Ich werde der Redaktion vorschlagen, daraus zusätzlich auch eine Sondersendung zu machen. Wir haben so viel schönes Material gedreht", sagt Drehbuchautorin Birgit Quastenberg.

Das Thema Blindheit ist der orangefarbenen Maus und ihren Freunden, dem neugierigen blauen Elefanten und der frechen gelben Ente, durchaus nicht fremd. So gibt es in der Mediathek des WDR eine gelungene Sachgeschichte zum Thema Orientierung und Mobilität. "Blindenstock" heißt sie und ist online abrufbar unter: https://www.wdrmaus.de/filme/sachgeschichten/blindenstock.php5

Foto: Die Maus, hier auf der Hand von Kaya, plant zusammen mit ihrem Team neue Sachgeschichten. Foto: blista [Kaya trägt lange blonde Haare und eine Brille. In ihrer rechten Hand sitzt eine kleine Plüschmaus mit braunen Ohren und Beinen.]

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"Lebendig - Vielfältig - Nachhaltig": Hessischer Aktionstag auf dem blistaCampus

Leckeres Essen aus der Region, über 50 aussortierte Brillen, fünf mobile Telefone fürs Rohstoffrecycling und tolle Vorschläge für mehr Umweltbewusstsein und nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen unserer Erde ... - die Resonanz auf dem blistaCampus zum Hessischen Tag der Nachhaltigkeit am 10. September 2020 war beachtlich.

Küchenchef Peter Wiersbin wartete mit kulinarischer Nachhaltigkeit auf: Am Aktionstag kamen die Zutaten für das Bio-Menü mit einem Kürbis-Apfel-Curry-Süppchen als erstem Gang, gefolgt von Kartoffeln aus neuer Ernte mit grüner Soße und der abschließenden Krönung durch einen "blista-Apfeltraum" - (wie so oft) aus der Region. "Ein guter Tipp in puncto Nachhaltigkeit ist es", sagt der blista-Küchenchef, "in die Saisonkalender zu schauen. Da sieht man, dass Erdbeeren normalerweise von Mai bis Ende Juni/Anfang Juli, Spargel von Ende April bis zu Johanni am 24.06., Grünkohl von November bis Januar ihre Zeit haben. Soll heißen: Wenn ich mich gesund und nachhaltig ernähren möchte, sollte ich mich erst mal bei mir zu Hause, also bei den Bauernhöfen im Kreis umsehen oder auf den Wochenmärkten." Er empfiehlt: "Explizit nachfragen, wo die Produkte herkommen, und darauf achten, sie frisch und den Jahreszeiten gemäß zu kaufen. Damit stärke ich die heimische Landwirtschaft, vermeide den Transport über den halben Globus und entlaste die Umwelt. Dann noch beim Kauf darauf achten, keine Plastiktüten und Verpackungen zu verwenden - geht eigentlich einfach!"

Lieber gesund und umweltfriedlich

"Lieber mit dem Zug fahren, weil Autos und Flugzeuge sehr umweltschädlich sind", lautet eine Anregung von Monica aus der Klassenstufe 5 der Carl-Strehl-Schule. Sie zählt zu den Gewinner*innen des Ideenwettbewerbs und hat ihren Vorschlag in Brailleschrift eingereicht. Monica schlägt vor: "Man kann auch Fahrrad fahren. Das ist nicht umweltschädlich. Man kann auch laufen. Das ist gesund und umweltfriedlich." Klug und sensibel macht sie darauf aufmerksam, dass Plastikmüll entsteht, wenn man im Unterricht Tesafilm, Trennblätter und Hefter aus Plastik verwendet. "Ich finde auch das Getränkepäckchen in der Schule unnötig. Weil der Strohhalm aus Plastik besteht. Man könnte Glasflaschen benutzen. Die Plastiktüten, wo die Äpfel drinnen sind, könnte man abschaffen. Statt Plastiktüten kann man Papiertüten nehmen. Wenn man einkaufen geht, muss man nicht Plastiktüten nehmen. Man kann Stofftüten benutzen." Strategischer Natur ist die Idee ihres Klassenkameraden Dev, der für seinen tollen Vorschlag unter dem Titel "Die blista rettet die WELT" gleichfalls prämiert wurde. Sein Ziel lautet: "Alle Bereiche der blista versuchen, mehr auf die Umwelt zu achten." Beim Einkauf dürfe zunächst noch 250 Gramm Plastik enthalten sein, nach fünf Monaten noch 150 Gramm und am Ende quasi 0 Gramm. Denn wenn "mit 0,01% nur mehr das allernötigste Plastik verwendet wird, ist das Projekt fertig und die blista zu 99,99% eine Umweltfreundin".

Wir danken dem freundlichen Team vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für die zur Verfügung gestellten Materialien und ihre barrierefreie Gestaltung.

Die gesammelten Brillen treten nun eine weite Reise an, um mit Unterstützung des Deutschen Katholischen Blindenwerks e. V. genau dort zu landen, wo andere sich riesig darüber freuen. iPhones, Smartphones und Co. enthalten wertvolle Rohstoffe. Im Rahmen der Aktion Schutzengel des Internationalen Katholischen Missionswerks e. V. soll der Erlös des Recyclings und der Wiederverwertung Familien in Not unterstützen.

Foto: Dev und Monica wurden für ihre guten Vorschläge für mehr Nachhaltigkeit von Patrick Temmesfeld, stellv. blista-Direktor, ausgezeichnet. Foto: blista [Dev und Monica halten ihre Auszeichnungen in den Händen, Patrick Temmesfeld steht zwischen ihnen und trägt eine Mund-Nasen-Maske.]

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Bücher

Hörbuchtipps aus der blista

Von Thorsten Büchner

Bastian Berbner: 180 Grad. Geschichten gegen den Hass

Beck, München, 2019. Bestellnummer: 1434681, Laufzeit: 8 Std. 24 Min.

Tiefe Risse durchziehen Deutschland, Europa und die Welt. Grabenkämpfe zwischen Links und Rechts, Arm und Reich, zwischen den Geschlechtern oder Jung und Alt - die Polarisierung der Gesellschaft schreitet unaufhaltsam voran. Und wir stehen daneben: unsicher, verängstigt und vor allem ratlos. Ist eine 180-Grad-Wende noch möglich?

Karina Sainz Borgo: Nacht in Caracas

Fischer, Frankfurt am Main, 2019. Bestellnummer: 1434911, Laufzeit: 6 Std. 33 Min.

Adelaida beerdigt ihre Mutter, aber sie bleibt nur kurz am Grab stehen. Auf dem Friedhof ist es gefährlich, genau wie an jedem anderen Ort in Venezuela. Noch vor kurzem kamen die Menschen aus Europa, um hier ihr Glück zu machen. Nun versinkt das Land in Chaos und Elend. Als Adelaida gewaltsam aus ihrer Wohnung vertrieben wird, weiß sie nicht wohin. Alles, was sie geliebt hat, existiert nur noch in ihrer Erinnerung. Wenn sie sich retten will, bleibt ihr nur die Flucht.

Susanne Koelbl: Zwölf Wochen in Riad. Saudi-Arabien zwischen Diktatur und Aufbruch

Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2019. Bestellnummer: 1434831, Laufzeit: 12 Std. 9 Min.

Wohin wird sich Saudi-Arabien entwickeln? Wie erleben Frauen und Künstler, Oppositionelle und tiefgläubige Männer den Bruch mit alten Traditionen und Gewissheiten? Susanne Koelbl gibt faszinierende Einblicke in ein Land, dessen Zukunft für die Region, aber auch für den Westen von zentraler Bedeutung ist.

Hörbücher zum Schwerpunkt "Zukunft"

Harald Welzer: Alles könnte anders sein. eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen

Fischer, Frankfurt am Main, 2019. Bestellnummer: 858121, Laufzeit: 10 Std. 6 Min.

Der Soziologe und Zukunftsarchitekt Harald Welzer entwirft eine gute, eine mögliche Zukunft. Anstatt nur zu kritisieren oder zu lamentieren, macht er sich Gedanken, wie eine gute Zukunft aussehen könnte: In realistischen Szenarien skizziert er konkrete Zukunftsbilder u.a. in den Bereichen Arbeit, Mobilität, Digitalisierung, Leben in der Stadt, Wirtschaften, Umgang mit Migration usw.

Arthur Brehmer (Hg): Die Welt in 100 Jahren

Olms, Hildesheim, 2010. Bestellnummer: 755441, Laufzeit: 9 Std. 5 Min.

In den Jahren 1909 und 1910 entstand dieses Buch über eine damals ferne Zukunft, das, anders als die literarischen Visionen jener Zeit, von Experten verschiedener Bereiche geschriebene und möglichst sachliche Prognosen versammelte. Dem einflussreichen Journalisten Arthur Brehmer (1858-1923) gelang es, prominente Autoren zu gewinnen, sich Gedanken über die Zukunft zu machen.

Ihr Kontakt zur DBH

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Am Schlag 2-12
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Kinderbuchtipps aus der Braille-Druckerei

Von Wencke Gemril und Jochen Schäfer

Weihnachten steht vor der Tür. Daher stellen wir einige unserer neu erschienenen Kinderbücher vor - inklusiv, lecker, lustig.

Birgit Wenz: Kinderleichte Becherküche

Mit dem Konzept der "Kinderleichten Becherküche" wird backen und kochen zum Kinderspiel. Die Bücher aus dieser Reihe enthalten ausführliche Anleitungen für die jeweiligen Rezepte. Jedes Rezept wird mit einer Schritt-für-Schritt-Bildanleitung präsentiert und unter den jeweiligen Bildern stehen die einzelnen Arbeitsschritte nochmal als Text. Zu den Bildern gibt es kurze, übersichtliche Bildbeschreibungen. Zu den Büchern gehört ein Becherset aus fünf Bechern, die sich in Größe und Farbe voneinander unterscheiden. Damit der farbliche Unterschied auch für blinde Menschen erfassbar wird, sind die Becher an ihrem Stiel in Blindenschrift mit der jeweiligen Farbe so beschriftet, dass die Beschriftung auch nach einem Spülmaschinendurchlauf noch wunderbar zu lesen ist. Die Zutaten müssen nicht mit einem Messbecher oder der Küchenwaage umständlich abgemessen werden, sondern können ganz einfach mit den verschiedengroßen Bechern dosiert werden. So steht dann Beispielsweise im Text, dass man erst 2 blaue Becher Mehl in die Rührschüssel schütten und anschließend 3 rote Becher Zucker hinzufügen soll. Die Becher werden bis zum Rand gefüllt und so muss auch kein Markierungsstrich beachtet werden.

Kinder können mit der Becherküche die Farben, das Zählen und auch das Lesen üben. Jugendliche und Erwachsene können sich über die verschiedenen Rezeptideen freuen und von den einfachen Anleitungen profitieren. Es ist also ein Konzept, das sinnvoll für Groß und Klein ist. Mit unserer Adaption können nun auch blinde Menschen die "Kinderleichte Becherküche" nutzen und allein oder zusammen mit Sehenden backen und kochen, was dadurch zu einem inklusiven Erlebnis wird.

Wir haben jetzt alle fünf großen Bücher übertragen, die es momentan von der Becherküche gibt. Sie können als Komplettset (Preis: jeweils 49,90 €) oder nur als Punktschriftbuch wahlweise in Voll- oder Kurzschrift (Preis: jeweils 19,90 €) erworben werden. Zum Komplettset zählt neben dem Punktschriftbuch das Schwarzschriftbuch, bei dem wir die Rezeptanfänge und den Titel mit Selbstklebefolie beschriftet haben und außerdem das wichtigste: die fünf Becher. Das Becherset ist für alle fünf Bücher identisch.

Die ersten Bände sind für das Kochen und Backen mit Kindern ausgelegt. Doch es ist nun auch ein Buch für Erwachsene erschienen, und auch die anderen Bücher sind durchaus genauso für Jugendliche und Erwachsene geeignet, die sich für dieses Konzept interessieren.

Bd. 1: "Kinderleichte Becherküche für die Backprofis von morgen" (Bestell-Nr. 4890): Rezepte für verschiedene Kastenkuchen sowie für Muffins, Waffeln, Dinkelbrot, Vollkornkekse, Pizza Margherita, verschiedene Brötchen, Hefegebäck und sogar für selbstgemachtes Knuspermüsli.

Bd. 2: "Ofenrezepte für die ganze Familie" (Bestell-Nr. 4902): Rezepte u.a. für zwei Nudelaufläufe, einen Tomaten-Zucchini-Auflauf, verschiedene Fleisch-, Fischgerichte und Salate. Bis auf die Salate werden alle Rezepte im Ofen zubereitet, und für die Nudelaufläufe werden rohe Nudeln verwendet, sodass der Herd nicht benötigt wird.

Die Becherküche "Gesund und lecker" (Bestell-Nr. 4903) beinhaltet u.a. Rezepte für verschiedene Suppen, Gemüse, Salate, Fischgerichte, einen Couscous-Topf, eine Hirsepfanne und einen Schokoladenpudding.

Der Band "Meine Becherküche vegetarisch" (Bestell-Nr. 4904) ist für Erwachsene erschienen, kann aber auch von Kindern und Jugendlichen genutzt werden. Er beinhaltet u.a. Rezepte für Suppen, Pestos, Gemüse, Salate, verschiedene Gerichte mit Reis, Mais und Kartoffeln.

Ganz neu erschienen ist der Band "Kreative Motivkuchen" (Bestell-Nr. 4972). Er enthält 14 Rezepte für Motivkuchen und Cupcakes, passend zu den verschiedenen Jahreszeiten.

Abb.: Rezepte für leckere Gerichte liefert die "Becherküche". Abb.: Open Clipart-Vectors auf pixabay [Zeichnung eines pausbäckigen Kochs mit Schnurrbart und hoher Kochmütze, der mit der Handgeste "exzellent" signalisiert.]

Margit Auer: Die Schule der magischen Tiere

Wer glaubt, Schule sei doof oder langweilig, kennt diese Kinder-Fantasy-Serie noch nicht. Hier geht es um die Wintersteinschule und die ganz besondere Klasse von Miss Cornfield. Dort gibt es 24 Kinder, und einige von ihnen haben magische Tiere, die sprechen können, ihren Besitzern in jeder Lebenslage helfen und echte Freunde für die Ewigkeit sind. Die Tiere kommen von Miss Cornfields Bruder, Mister Morrison von der magischen Zoohandlung. Die Lehrerin weiß genau, wer von ihren Schülern Hilfe braucht, und wählt danach die magischen Tiere aus. Gemeinsam erleben die Kinder mit ihren Tieren spannende Abenteuer. So wundern sie sich z. B. über die vielen Löcher im Schulgarten oder warum in der Schule ständig das Licht ausgeht, und wie es auf einer Klassenfahrt zugeht, wird auch geschildert. Mehr darf aber nicht verraten werden, denn die magischen Tiere sind ein großes Geheimnis.

In dieser Serie werden Alltagsprobleme von Kindern angesprochen, die mit Hilfe der magischen Tiere auf besondere Weise gelöst werden. Eine spannende, fantasieanregende Lektüre, vor allem für Grundschulkinder, erhältlich in Voll- und Kurzschrift. Erschienen sind bisher: "Die Schule der magischen Tiere" (Bestell-Nr. 4941), "Voller Löcher" (Bestell-Nr. 4944), "Licht aus" (Bestell-Nr. 4945) und "Abgefahren" (Bestell-Nr. 4946). Jedes dieser Bücher umfasst einen Band in Kurz- und zwei Bände in Vollschrift (Preis: je 21,50 € in Kurz-, 43 € in Vollschrift).

Alle Bücher können bestellt werden bei

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Panorama

Ringvorlesung zu den Chancen neuer Technologien und einer gerechten Gesellschaft

Unter dem Titel "Reale Utopien. Technik und soziale Gerechtigkeit" hält die Mediathek des Deutschen Hygiene-Museums Dresden eine spannende Ringvorlesung bereit.

Da die Menschheitsgeschichte auch eine Geschichte der Entdeckungen und Erfindungen ist, die den Alltag grundlegend verändert, bisweilen gar revolutioniert haben, erwarten wir von Technik und Wissenschaft vor allem, dass sie unser Leben besser und einfacher machen. Dies ist leider nicht immer der Fall, oft kommen Gewinn und Wohlstand nicht allen Menschen gleichermaßen zu Gute: Die einen sind als Arbeiter*innen vor allem an der Produktion und Verbreitung neuer Entwicklungen beteiligt, von denen die anderen als Konsument*innen profitieren. Dieses Ungleichgewicht führt global und lokal zu sozialen Spannungen. Die Ringvorlesung fragt nach und zeigt bisher wenig bekannte und genutzte Möglichkeiten auf, Erfindungsgeist weltweit und vor Ort für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen: Wie sehen die Initiativen aus, die das Gemeinwohl und den technisch-naturwissenschaftlichen Wandel zu neuen zukunftsfähigen Ideen verknüpfen wollen? Welche Rolle kann die Privatwirtschaft in diesem Prozess übernehmen, welche die Verbraucher*innen, welche NGOs und Wissenschaftler*innen?

In zehn ganz unterschiedlichen Vorträgen geht es um die Zukunft des Körpers, der Mediennutzung, des Politischen Engagements, der Künste, der Sexualität, der digitalen Arbeitswelt, der Chancengleichheit, der politischen Willensbildung, der Ernährung oder einer Zukunft ohne Plastik. Die Themen, Theorien und Utopien werden unter anderem vom Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Sven Engesser (Technische Universität Dresden), dem Arbeitswissenschaftler Prof. Dr. Axel Haunschild (Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft Hannover), der Biologin Tessa Böttcher (Pacific Garbage Screening e.V.), der Technikphilosophin Silvia Woll (Karlsruher Institut für Technologie), von Elle Nerdinger (Cyborgs e.V.) oder Mads Pankow, Politikberater für Fragen künstlicher Intelligenz, präsentiert.

Die rund eineinhalbstündigen Veranstaltungen fanden von April bis Juni 2019 in Kooperation mit Cyborgs e. V. und der Technischen Universität Dresden statt. Als Audio- oder Videomitschnitte sind die Vorlesungen auf der Webseite des Deutschen Hygiene-Museums zugänglich unter https://www.dhmd.de/dhmdigital/mediathek-veranstaltungsarchiv/ringvorlesung-reale-utopien/

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Achter Altersbericht veröffentlicht: Ältere Menschen und Digitalisierung

Von Thorsten Mittag

Die digitalen Technologien können dabei unterstützen, im Alter selbstbestimmt zu leben. Das ist eine der zentralen Aussagen des achten Altersberichts, der am 12. August 2020 von Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey in Berlin vorgestellt wurde. Aber: Der Bericht kommt zum Schluss, dass ein Teil der Älteren bei der Digitalisierung und im Netz abgehängt wird. Die Corona-Krise zeige erneut die Bedeutung der Vernetzung.

Befürchtet wird eine regelrechte Spaltung zwischen Jung und Alt. Experten kritisieren, dass digitale Teilhabe bereits an der Infrastruktur scheitere. Entsprechend geben die Autoren des achten Altenberichts Empfehlungen zum Umgang mit der Digitalisierung.

In ihrer Stellungnahme zum Altenbericht zeigt die Bundesregierung auf, dass bereits vielfältige Maßnahmen eingeleitet wurden, um in den von den Sachverständigen angesprochenen Bereichen gute Teilhabemöglichkeiten gerade auch für ältere Menschen zu schaffen und die angemahnten Infrastrukturen auf den Weg zu bringen.

Der Achte Altersbericht befasst sich mit der Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien sowie mit deren Auswirkungen vor allem in den Lebensbereichen Wohnen, Mobilität, soziale Integration, Gesundheit, Pflege und auch mit dem Leben im Quartier. Darüber hinaus unterstreicht er die Bedeutung von digitaler Souveränität, die Voraussetzung ist für digitale Teilhabe. Anregungen geben die Sachverständigen auch zum Umgang mit ethischen Fragen, die beim Einsatz von digitalen Technologien entstehen können.

Die interdisziplinär zusammengesetzte Achte Altersberichtskommission unter der Leitung von Professor Dr. Andreas Kruse hatte den Auftrag, herauszuarbeiten, welchen Beitrag Digitalisierung und Technik zu einem guten Leben im Alter leisten können. Die Kommission beendete ihre Arbeit bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Die Erkenntnisse der Sachverständigen sind gerade jetzt aber besonders wertvoll.

Eine 54-seitige Kurzfassung unter dem Titel "Ältere Menschen und Digitalisierung: Erkenntnisse und Empfehlungen des Achten Altersberichts" (Artikel Nr. 3BR195) kann beim BMFSFJ bestellt werden per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Telefon: 030 182722721 und steht auch in der Infothek des Paritätischen Gesamtverbandes als PDF-Datei zur Verfügung (http://infothek.paritaet.org/pid/fachinfos.nsf/0/2568cc933459ce94c12585c7005804b7/$FILE/achter-altersbericht-kurzfassung-data.pdf)

Die PDF-Datei der Langfassung ist zugänglich unter: https://www.bmfsfj.de/blob/159938/3970eecafb3c3c630e359379438c6108/achter-altersbericht-langfassung-data.pdf

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Der Rehabilitationsbegriff im Wandel - DVfR legt Begriffsdefinition vor

Die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation e. V. (DVfR) setzt sich für ein modernes und anerkanntes Rehabilitationssystem ein. Die DVfR hat unter Beteiligung aller Mitgliedergruppen und ausgewiesener Reha-Expertinnen und Reha-Experten eine eigene Definition des Begriffs "Rehabilitation" erarbeitet und am 19. Februar 2020 im Hauptvorstand verabschiedet.

Ein modernes Rehabilitationssystem stellt Menschen mit Beeinträchtigungen unter Mobilisierung aller Ressourcen zuverlässig jede individuell erforderliche Unterstützung für ihre selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bereit. Die gesetzliche Grundlage hierfür bilden Artikel 26 der UN-Behindertenrechtskonvention (Habilitation und Rehabilitation) und das SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) mit seiner Reform durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG). Eine allgemeingültige Definition für Rehabilitation gibt es nicht. Die DVfR hat daher eine eigene Reha-Definition entwickelt.

Die Reha-Definition der DVfR lautet:

Rehabilitation fördert Menschen mit bestehender oder drohender Behinderung.

Ziel ist die Stärkung von körperlichen, geistigen, sozialen und beruflichen Fähigkeiten sowie die Selbstbestimmung und die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen.

Sie umfasst medizinische, therapeutische, pflegerische, soziale, berufliche, pädagogische oder technische Angebote einschließlich der Anpassung des Umfelds der Person.

Rehabilitation ist ein an individuellen Teilhabezielen orientierter und geplanter, multiprofessioneller und interdisziplinärer Prozess.

Sie achtet das Recht auf Selbstbestimmung.

Erläuterungen

In der Diskussion wurde schnell klar, dass eine angemessene Definition von "Rehabilitation" in einem einzigen Satz nicht zu leisten ist. Deshalb besteht die Definition nun aus fünf Sätzen.

Der erste Satz beschreibt, um wen es bei der Rehabilitation geht, nämlich um alle Menschen mit bestehender oder chronischer Behinderung, unabhängig davon, ob sie als "schwerbehindert" anerkannt sind. Deshalb gehört auch die Mehrzahl der chronisch kranken Menschen und z. B. pflegebedürftige Menschen zu den Personen, für die Rehabilitation wichtig ist.

Das Ziel der Rehabilitation wird im zweiten Satz formuliert. Es geht sowohl um die Stärkung von Fähigkeiten als auch um Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe. § 1 SGB IX nennt Selbstbestimmung und volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Ziel der Leistungen zur Teilhabe. Die Satzung der DVfR spricht ebenfalls von Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.

Der dritte Satz der Definition macht deutlich, was alles zur Rehabilitation gehört: einerseits ein breites Spektrum von Leistungsangeboten, andererseits aber auch die Stärkung fördernder und die Verminderung hemmender Kontextfaktoren ("Anpassung des Umfelds der Person"). Damit bezieht sich die Definition auch auf die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Im vierten Satz werden zentrale Merkmale des Rehabilitationsprozesses genannt: Er richtet sich an den je individuellen Rehabilitations- bzw. Teilhabezielen aus und besteht aus dem Zusammenwirken von Elementen ganz unterschiedlicher Disziplinen und verschiedener Berufsgruppen.

Der fünfte Satz schließlich betont die Bedeutung der Selbstbestimmung nicht nur als Ziel der Rehabilitation, sondern auch für die Durchführung der Rehabilitation.

Die Reha-Definition der DVfR ist unter dem Link www.dvfr.de/rehabilitation-und-teilhabe/reha-definition-der-dvfr/ abrufbar.

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10 Jahre discovering hands: Medizinisch-Taktile Untersucherin - Ein ärztlicher Assistenzberuf gewinnt an Attraktivität

Ihr Einsatzgebiet ist die Brustkrebsfrüherkennung, ihre Arbeitsmittel sind ihre Hände: Blinde und sehbehinderte Medizinisch-Taktile Untersucherinnen (MTUs) setzen ihren Tastsinn ein, um kleinste Gewebeveränderungen in der weiblichen Brust zu erkennen. Dabei gehen sie nach einer medizinisch anerkannten und wissenschaftlich abgesicherten Methode vor. MTUs arbeiten in Frauenarztpraxen und Kliniken weitgehend selbstständig, aber immer unter Verantwortung eines Arztes. Die nötige Qualifizierung für den Beruf bietet das Sozial- und Inklusionsunternehmen "discovering hands" an.

Ungeachtet der Hürden, die durch die Corona-Krise zu überwinden sind, konnte discovering hands im Herbst 2020 zwei weitere Qualifizierungskurse zur Medizinisch-Taktilen Untersucherin erfolgreich abschließen. Damit sind deutschlandweit bereits 43 blinde und stark sehbehinderte Frauen als MTU im Einsatz. Die Taktile Brustuntersuchung (Taktilographie) wie auch die Anleitung zur Taktilen Selbstuntersuchung der Brust (ATS) kann in immer mehr Regionen Deutschlands angeboten und von Patientinnen wahrgenommen werden. Außerdem ist damit zu rechnen, dass die Anzahl der 28 bisher kooperierenden gesetzlichen Krankenkassen, die die Kosten für die Früherkennungsmaßnahme übernehmen, steigt.

Dank dieses Wachstums wird discovering hands die Gehaltsoptionen für MTUs verbessern: Anstelle der Vollzeitvergütung von zurzeit 1.800 Euro erhalten MTUs künftig monatlich bis zu 2.200 Euro. Auf Wunsch sind auch Teilzeitverträge für mindestens 16 Wochenstunden bei entsprechend angepassten Konditionen möglich. Diese strukturelle Neuregelung soll spätestens mit der 50sten aktiven MTU greifen. Discovering hands stellt Medizinisch-Taktile Untersucherinnen nach bestandener Prüfung fest und unbefristet ein, um Sicherheit und eine langfristige Berufsperspektive zu bieten.

Weitere Teilnehmerinnen an den Qualifizierungskursen sind herzlich willkommen. Als zertifizierte berufliche Rehabilitationsmaßnahme können die Kosten der Weiterbildung im Rahmen eines Antrags auf berufliche Teilhabe von den zuständigen Kostenträgern übernommen werden. Seit 2019 können an Interessentinnen ohne Anspruch auf eine berufliche Rehabilitation bei nachgewiesener Eignung auch Stipendien zur Finanzierung der Qualifizierung vergeben werden. Die nächste Chance, einen Platz in einem stipendiengeförderten Kurs zu erhalten, ist im April 2021. Bewerbungen sind bereits jetzt möglich. Discovering hands bietet kurzfristig individuelle Beratungsgespräche und die Teilnahme an Eignungserprobungen für den Beruf der MTU an. Ausführlichere Informationen gibt es auf der Webseite https://www.discovering-hands.de/ueber-uns/mtu-ausbildung oder bei MTU-Trainerin Birte Hauser, Telefon: 0208 30996156 (AB).

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LEGO® Braille-Steine für Leseanfänger -dzb lesen ist offizieller Partner der LEGO Stiftung

Wer kennt nicht die wunderbaren LEGO-Steine, mit denen sich die fantastischsten Gebäude und Muster stecken lassen? Bei der Erinnerung an die Kinderspiele mit den Kunststoffbausteinen wird sofort das Gefühl, die eckigen Steine mit den runden Noppen auf ihrer Oberseite in den Fingern zu halten, wach. Die haptischen Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten hat die LEGO-Foundation nun genutzt, um im Rahmen eines Projekts in Zusammenarbeit mit Blindenverbänden LEGO Braille Bricks zu entwickeln und zu produzieren.

Unter dem Motto "Kinder lernen spielerisch!" unterstützen die LEGO® Braille-Steine den spielerischen Umgang mit der Brailleschrift. Zielgruppe sind Leseanfängerinnen und Leseanfänger, d. h. Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren.

Das gesamte Projekt ist nicht kommerziell und wird weltweit hauptsächlich durch die LEGO-Stiftung getragen. Alle Rahmenbedingungen sind von den Gebern vorgeschrieben und werden in Deutschland durch dzb lesen, den offiziellen Partner der LEGO Stiftung, umgesetzt. So wurden Boxen mit LEGO® Braille-Steinen an die Förderzentren und Schulen mit dem Förderschwerpunkt Sehen für den Einsatz im Unterricht verteilt. Außerdem bekamen Schülerinnen und Schüler zum Schulanfang im August persönliche Gutscheine mit Codes, die über ein Bestellformular bei dzb lesen eingelöst werden können. Allerhand Tipps, Lern- und Lesespiele ergänzen das Angebot.

Wer einem Kind, das aufgrund von Blindheit oder Sehbehinderung Brailleschrift lernt, eine Box mit LEGO® Braille-Steinen und eine bunte Lesetüte zukommen lassen möchte, kann sich an dzb lesen wenden: Caroline Schürer, Telefon: 0341 7113-201, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Es besteht auch die Möglichkeit, online ein Bestellformular auszufüllen: https://www.dzblesen.de/lego/bestellung. Für die Bestellung ist der Nachweis einer Seh- oder Lesebehinderung (Vorder- und Rückseite) oder der Gutschein-Code nötig.

Impressum horus 4/2020

Jg. 82 der Schwarzschriftausgabe

Herausgeber

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

Redaktion

  • für den DVBS: Uwe Boysen, Andrea Katemann und Mirien Carvalho Rodrigues
  • für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner und Dr. Imke Troltenier

Koordination

Sabine Hahn
DVBS-Geschäftsstelle
Frauenbergstraße 8
35039 Marburg
Tel.: 06421 94888-0,
Fax: 06421 94888-10
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: www.dvbs-online.de

Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.)

Uwe Boysen (DVBS) und Dr. Imke Troltenier (blista)

Verlag

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389

  • Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
  • Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
  • Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Erscheinungsweise

Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf CD-ROM bzw. per Download-Link mit der DAISY-Aufsprache sowie den HTML-, Braille-, RTF-, docx- und PDF-Dateien.

Jahresbezugspreis

  • 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe,
  • 35 Euro für alle übrigen Ausgaben.

Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

Bankkonto des DVBS

Sparkasse Marburg-Biedenkopf
IBAN: DE42 5335 0000 0000 0002 80
BIC: HELADEF1MAR

Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt. [Logo der Glücksspirale]

Titelbild

Foto: pixabay / Kurt Boude. Zitat: "Wer wendet sein Gesicht ...": Heinrich von Kleist [Eine kleine Pflanze liegt bereit, um in die Erde gesetzt werden. Im Hintergrund Kinderhände. Im Vordergrund rechts zwei Kreise mit Sprüchen: "Zukunft ist das, was wir daraus machen.", sowie: "Wer wendet sein Gesicht nicht gerne der Zukunft zu, wie die Blumen ihre Kelche der Sonne?"]

Nächste Ausgabe (horus 1/2021)

Schwerpunktthema: "Wie wir gesehen werden"
Erscheinungstermin: 1. März 2021
Anzeigenannahmeschluss: 21. Januar 2021
Redaktionsschluss: 4. Januar 2021

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Anzeigen

>Private Kleinanzeigen bis zu einer Länge von 255 Zeichen werden kostenlos abgedruckt. Danach werden 17 Euro pro angefangene 255 Zeichen berechnet. Für die korrekte Wiedergabe des Inhalts (z. B. Namen, Anschriften usw.) kann keine Haftung übernommen werden. Für gewerbliche Anzeigen und Beilagen fordern Sie bitte die horus-Mediadaten an.

blista

Schnuppern macht Spaß!

Reinschauen in eine Schule mit einem einmaligen Profil: Ganzheitliche Förderung, spezifische Unterstützung und eine große Auswahl an qualifizierten Bildungsabschlüssen ...

Schnuppertage

(jeweils von10 Uhr bis 15 Uhr)

jeweils Samstag: 05.12.2020, 20.02.2021, 24.04.2021

Orientierungswochen
  • Owo 1 (Zielklasse 5 / 6): Di 09.02. - Fr 12.02.2021, Anreise Mo., 08.02.2021
  • Owo 2 (Zielklasse 7 - 10): Di 16.03. - Fr 19.03.2021, Anreise Mo., 15.03.2021
  • Owo 3 (Zielklasse 11 AG/BG und berufliche Schulzweige): Di 20.04. - Fr 23.04.2021, Anreise Mo., 19.04.2021
  • Owo 4 (Nachzügler) Di 04.05. - Fr 07.05.2021, Anreise Mo., 03.05.2021

Das Zentrum für berufliche Bildung, der Ausbildungsbetrieb der blista, bietet zudem sechs Ausbildungen in zukunftssicheren und nachgefragten Berufen an:

Arbeitserprobungen
  • 07.-11.12.2020
  • 08.-12.02.2021
  • 12.-16.04.2021
  • 07.-11.06.2021

Jetzt anmelden, wir beraten Sie gern!

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Tel.: 06421 6060-339
www.blista.de/schnuppertage

Draeger Lienert

Wettbewerbsfähig im Beruf

Mit den inklusiven DL Produkten erschließt Draeger Lienert Arbeitsplätze, die mit Standardlösungen nicht zugänglich gemacht werden können. Unsere Systeme ermöglichen intuitives und wettbewerbsfähiges Arbeiten. Fordern sie bitte unsere exzellenten Referenzen an.

Draeger Lienert ist herstellerunabhängig und vertreibt Blindenhilfsmittel wie Braillezeilen und Bildschirmlesegeräte fast aller Anbieter. Wir arbeiten für Bundes- und Landesbehörden, Kommunen, Industriebetriebe und Selbständige im deutsch- und englischsprachigen Raum.

Ob Roboteranbindung oder Standardausstattung - alles, was einen Blindenarbeitsplatz schafft oder erhält können Sie bei uns bekommen.

Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit!

Draeger Lienert GmbH & Co. KG
Stadtwaldstr. 65
D-35037 Marburg
Tel.: 06421 95240-0
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www.dlinfo.de

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Feelware bietet barrierefreie Heißluftfritteusen, Elektroherde, Waschmaschinen, Mikrowellen mit Grill sowie haltbare taktile Beschriftungen für viele Anwendungen.
0157 57165693
www.feelware.eu
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Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. - DVBS

Selbsthilfe lohnt sich!

  • Vernetzung durch Fach-, Interessen und Bezirksgruppen
  • Beratung zu Ausbildung, Studium und Berufstätigkeit
  • Mentoring in Ausbildung, Studium und Beruf durch erfahrene, selbst von Sehbeeinträchtigung Betroffene
  • Weiterbildung in Seminaren und Tagungen
  • Arbeitsmarkt-News durch die Mailingliste "DVBS Jobservice"

Wir sind für Sie da!

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V.
Frauenbergstraße 8
35039 Marburg
Telefon: 06421 94888-0
Fax: 06421 94888-10
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
https://www.dvbs-online.de
https.//weiterbildung.dvbs-online.de

Helptech

Alles aus einer Hand. Ein Anbieter. Eine Vielfalt an Hilfsmitteln. Für mehr Unabhängigkeit!

Umfassendes Know-how: Unsere Mitarbeiter - ob in der Kundenberatung, Support oder Entwicklung - sind teilweise selbst blind und wissen, worauf es ankommt.

Eine Vielzahl an Hilfsmitteln: Ob elektronische Lupen, Bildschirmlesegeräte, Kamerasysteme, Vorlesesysteme, Daisy-Player, mobile Vorlesekamera OrCam, Handy Tech Braillezeilen sowie Notizgeräte und Software wie JAWS und ZoomText.

Unser Service - seit mehr als 25 Jahren

Komplette Abwicklung mit der Krankenkasse, Lieferung, Installation und Einweisung in die Bedienung des Hilfsmittels vor Ort sowie Support nach dem Kauf.

Anerkannter Vertragspartner der Krankenkassen.

Übrigens: Help Tech wurde ausgezeichnet - Finalist beim "Großen Preis des Mittelstandes" 2020

Help Tech GmbH
www.helptech.de
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Zentrale: 07451 5546-0
Stuttgart 0711-2202299-0
Köln 0221-921556-0
Marburg 06421-690012-0
Lüneburg 04131-699698-0

Bildbeschreibung: Zu sehen ist ein Mann im mittleren Alter, der an seiner Brille das Vorlese- und Erkennungssystem OrCam MyEye befestigt hat. Das Vorlesesystem OrCam liest ihm auf Fingerzeig einen Artikel aus einer Zeitschrift vor.

horus

Schenken macht Sinn ...

... zum Beispiel mit einem Jahresabonnement der Fachzeitschrift "horus". Für nur 22 Euro jährlich (Inlandspreis) erfahren die Beschenkten,

  • wie blinde und sehbehinderte Menschen Beruf und Alltag bewältigen und ihre Träume leben
  • was schulische und berufliche Bildung blinden und sehbehinderten Kindern und Jugendlichen bietet
  • wofür sich die Blinden- und Sehbehindertenhilfe aktuell engagiert.

Bestelladresse:
DVBS
Frauenbergstraße 8
35039 Marburg
Telefon 06421 94888-0
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

IPD

IPD Ihr Fachhändler!

JAWS 2021 spricht das Bild wie folgt: Ein Mann, der lächelt.

Was JAWS nicht sagt: Das Bild zeigt Manfred Jaklin, den Gründer und seit 25 Jahren mit der IPD Ihr kompetenter Ansprechpartner für Hilfsmittel für Sehgeschädigte!

JAWS 2021 bietet Ihnen an Neuheiten neben dem "sprechende Bild" einen Sprachassistenten zur Steuerung von JAWS per Sprachbefehl sowie eine verbesserte Unterstützung von Zoom für eine effektive Teilnahme an Videokonferenzen.

Sprechen Sie mit uns, wenn Sie auf eine qualifizierte Beratung und Betreuung Wert legen.

Ihre IPD
Tel.: 0511 9363090
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Web: www.ipd.gmbh

Papenmeier

Papenmeier 25 Jahre BRAILLEX®

Wegweisend vielseitig. 25 Jahre BRAILLEX® ...made in Germany

Kostenfreie Hotline: +49 2304 946 118

F.H. Papenmeier GmbH & Co. KG
Talweg 2
58239 Schwerte
Telefon: +49 2304 946 0
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: www.papenmeier-rehatechnik.de

Bildbeschreibung: Papenmeier 25 Jahre BRAILLEX ® Zu sehen ist eine geradeaus verlaufende Straße, eingebettet in grüne Graswiesen. Auf dieser Straße präsentieren sich alle BRAILLEX® Geräte perspektivisch aufgereiht.

RTB

Ampel - Detektion - Parken - E-Mobilität

Gezielte Steuerung der Signale - Per App sicher unterwegs

  • Immer sicher unterwegs
  • Ohne Anwohnerkonflikte
  • Kostenfreie Smartphone-App

RTB
www.rtb-bl.de
Tel. +49 52529706-0

Bildbeschreibung: Nächtlicher Blick auf die Akustikanlage einer Ampel. Im Hintergrund Lichter der Straßenbeleuchtung und Häuser.]

SynPhon

Elektronische Hilfen für Sehgeschädigte GmbH

Im Hilfsmittelkatalog gelistet: Der EinkaufsFuchs Produkterkenner sagt ganz einfach, was es ist. Abermillionen Waren erkennt er bereits und er merkt sich auch alle Dinge, die man selbst damit kennzeichnet.

"Tütütüt, Hallo!", begrüßt Sie der EinkaufsFuchs, und dann piepst er, sobald er den Produktcode erblickt. Sofort spricht er, was es denn diesmal ist: "Vollmilchschokolade, 100 Gramm ...". Er liest und spricht exakt und sehr sehr deutlich alle Produktangaben. Leichter kann Dinge unterscheiden nicht sein.

Haben Sie Fragen? Rufen Sie an!

Telefon 07250 929555
www.synphon.de

Vanda Pharmaceuticals Germany GmbH

non-24.de

Sind Sie völlig blind? Fühlen Sie sich oft nicht fit und unkonzentriert? Schlafen Sie nachts schlecht und sind tagsüber sehr müde? Die mögliche Ursache: Ihre innere Uhr. Jeder Mensch besitzt eine innere Uhr. Der wichtigste Taktgeber ist das Tageslicht. Es setzt die innere Uhr immer wieder auf exakt 24 Stunden zurück. Völlig blinden Menschen fehlt die Lichtwahrnehmung, deshalb kann es dazu kommen, dass der Körper nicht mehr zwischen Tag und Nacht unterscheiden kann. Diese Menschen leiden an der Nicht-24-Stunden-Schlaf-Wach-Rhythmusstörung, kurz NON-24.

Wie äußert sich Non-24? Betroffenen fällt es phasenweise sehr schwer, sich tagsüber wachzuhalten und zu konzentrieren. Nachts hingegen signalisiert der Körper oftmals kein Schlafbedürfnis.

Werden Sie aktiv: Ein Termin bei einem Arzt ist der nächste Schritt oder informieren Sie sich in unseren Tele-Vorträgen. Die Termine finden Sie unter dem Punkt Informationen auf non-24.de

Rufen Sie das Team des Non-24 Service an. Die erfahrenen Mitarbeiter finden den richtigen ärztlichen Ansprechpartner in Ihrer Nähe und beantworten Ihre individuellen Fragen. Sie sind rund um die Uhr erreichbar unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 2432108 oder per E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Non-24 Eine zyklische Schlaf-Wach-Rhythmusstörung bei völlig blinden Menschen. Dies ist ein Service der Firma Vanda Pharmaceuticals Germany GmbH.

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