horus 3/2023
Schwerpunkt: "Kontakt und Beziehungen"
Titelbild horus 3/2023: Fotocollage. Linkes Bild: Werner Wörder, 1. Vorsitzender des DVBS, moderiert die Mitgliederversammlung am 20. Mai 2023, vor ihm steht ein Mikrofon. Foto: DVBS. Rechts oben: Michael Herbst, Leiter der politischen Arbeit der cbm, und Afliana Lisnahan, Misaun Lepra Timor-Leste (Osttimor), nach einer Diskussion im Rahmen einer Nebenveranstaltung der Conference of the States Parties (COSP) in New York, Juni 2023. Foto: privat. Rechts unten: Shabnam Hemmatian spricht lächelnd in ihr iPhone. Foto: privat
Inhalt
- Vorangestellt
- Aus der Redaktion
- Schwerpunkt: "Kontakt und Beziehungen"
- M. Plarre: "Die Augen bleiben draußen" - Vom Kontakte knüpfen und Beziehungen pflegen
- I. Brawata: Die Einsamkeitsfalle oder: Ist das alles nur in meinem Kopf?
- Dr. I. Troltenier: Studien zum Schwerpunktthema
- I. Brawata: Gefangen im Zimmer: Wie Multimorbidität einsam machen kann
- M. Klaus: Erkundungen im Beziehungskosmos zwischen blind, sehbehindert und sehend
- W. Gerike: Neuer Kontakt - neue Freunde
- A. Katemann: Unterschiedliche Wahrnehmungen immer wieder neu denken - Das Miteinanderleben in Partnerschaften zwischen blinden und sehenden Menschen
- M. Herbst: Die zehn Gebote auf UN-Konferenzen
- Beruf, Bildung und Wissenschaft
- C. Axnick: Perspektiven der digitalen Arbeitswelt
- S. Ivanic: Agiles Arbeiten - "Schlüsselkompetenzen sind von überragender Bedeutung" - Ein Interview mit Otfrid Altfeld
- S. Tenberken: Charity oder Empowerment? Wohin geht es mit der Inklusion?
- Recht
- Dr. M. Richter: Leistungen zur Teilhabe an Bildung gem. § 112 SGB IX für die schulische oder hochschulische Bildung sowie für schulische Berufsausbildungen. Teil II: Systembedingte Ausnahmen im Rahmen der Schulbildung
- Aus der Arbeit des DVBS
- W. Wörder in Zusammenarbeit mit L. Dreves und S. Schmitz: Verein im Wandel - DVBS-Selbsthilfetage in bewegten Zeiten
- Resolution vom 20. Mai 2023
- E. Knell: DVBS-Geschäftsführung
- C. Axnick: Seminare
- Aus der blista
- Neue Beratungsstelle für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung
- S. Roesler: Kostenlose Downloads von 3D-Modellen
- "Toll, alle haben es geschafft!" - Absolvent*innen 2023
- Bücher
- T. Büchner: Hörbuchtipps aus der blista
- W. Gemril; J. Schäfer: Aus der Braille-Druckerei: Viel LeseLust für Klein und Groß
- Panorama
- Deutscher Hörfilmpreis 2023
- Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes verzögert sich
- Ältere Menschen vor Gewalt und Vernachlässigung schützen - BAGSO fordert Ombudsstellen in allen Bundesländern
- Antidiskriminierungsbericht 2022 erschienen
- Impressum
- Anzeigen
An dieser Stelle lesen Sie Auzüge aus horus 3/2023. Die gesamte Ausgabe wird nach Erscheinen des horus 4/2023 ab dem 27. November 2023 freigeschaltet. Eine kostenlose Probe-Ausgabe des horus in Print, Braille oder digital mit Daisy-Hörversion sowie das horus-Jahresabonnement erhalten Sie gerne über die DVBS-Geschäftsstelle, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Tel.: 06421 94888-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Vorangestellt
Liebe Leserinnen und Leser, liebe DVBS-Mitglieder,
Einsamkeit - was für ein Wort! Für viele Menschen eher angstbesetzt. Einsamkeit oder Mangel an Kontakten, um die es unter anderem in dieser Ausgabe geht, kann viele Facetten haben. Den meisten von uns wird der Begriff nicht gefallen. Er klingt wie gequält grüblerisch durchwachte Nächte, nach Verzweiflung oder nach Trauer, wie es im Beitrag "Gefangen im Zimmer" bewegend deutlich wird.
Und doch lässt sich auch eine Lanze für die Einsamkeit brechen. Vielleicht macht sie es möglich, in unruhigen Zeiten ruhig über das nachzudenken, was wirklich wichtig ist, abseits von geschäftigem Stress, der ständig unsere Aufmerksamkeit fordert, um nichts und niemanden zu verpassen.
Und dennoch: Meist ist die Einsamkeit keine bewusste Kontaktverweigerung, sondern ein Zustand, den wir mit Trauer bis Verbitterung konstatieren und der uns bedrückt.
Wie kommt man aus so einem Teufelskreis heraus, oder - weniger pathetisch formuliert - wie schaffen wir befriedigende Kontaktaufnahmen und wie gelingt es, gute Kontakte festzuhalten und nicht durch das Sieb der Zeit fallen zu lassen? Das ist für uns Menschen mit einer Seheinschränkung besonders wichtig, wie der Beitrag von Plarre belegt; denn - ob es uns gefällt oder nicht - wir sind mehr als die "Durchschnittsbevölkerung" darauf angewiesen, mit anderen zu interagieren, sie für uns zu gewinnen, sei es für eine einmalige Hilfeleistung, sei es längerfristig. Natürlich gelingt das je nach Kontext und eigener Lebenssituation unterschiedlich gut, wie viele Beiträge in unserem Schwerpunkt deutlich zeigen. Und nicht jeder oder jede ist ein geborenes Kontaktaufnahmegenie. Doch auch wenn man nicht ganz "aus seiner Haut" kann, lassen sich einige Dinge lernen, die Kontakte erleichtern. Doch dazu gehört Mut und Ausdauer und das, was Menschen, die die Punktschrift beherrschen, eigentlich haben sollten, nämlich Fingerspitzengefühl, wobei das natürlich auch für unsere anderen Leserinnen und Leser gilt. Diese Eigenschaften lassen sich in gewissem Umfang erlernen, und hier kann auch die Selbsthilfe etwas Wichtiges beitragen, eine nicht zu unterschätzende Qualität.
Gute Kontakte wünscht Ihnen und Euch nicht nur bei der Lektüre dieses Heftes
Ihr und Euer
Uwe Boysen
Bild: Uwe Boysen trägt einen roten Pullover und eine dunkle Brille, sein Haar ist weiß. Das Sonnenlicht wirft gerade Flächen von Licht und Schatten an die Wand, auf Uwe Boysen fällt Licht. Er lächelt. Foto: DVBS
Schwerpunkt: "Kontakt und Beziehungen"
Erkundungen im Beziehungskosmos zwischen blind, sehbehindert und sehend
Von Matthias Klaus
Beziehungen zwischen blinden und sehenden Menschen sind nicht immer so ganz einfach. Es gibt Missverständnisse, falsche Erwartungen, Machtgefälle, Abhängigkeiten und viel Unausgesprochenes. Manchmal ist es allerdings auch nur großartig, Menschen finden sich und passen einfach gut zusammen.
Erfahrungen mit Beziehungen und Kontakt werden regelmäßig in den entsprechenden Gruppen auf Social Media diskutiert. Grund genug für uns, dort mal nachzufragen, wie es denn so ist mit Freundschaften, Kontakt und Beziehungen, wenn der Sehsinn fehlt oder eingeschränkt ist.
Hier drei Statements, eingesammelt in verschiedenen Facebook-Gruppen zu Blindheit und Sehbehinderung.
Daniel Dudek schreibt:
Ich bin 33, geburtsblind und wohne in Osnabrück.
In meiner Kindheit und Jugend war ich sehr viel in Internaten, hatte demzufolge mehr Kontakt zu blinden und sehbehinderten Menschen. Dies war auch nicht schlimm, da die meisten mich verstanden haben, wenn ich zum Beispiel Probleme in Bezug auf meine Blindheit hatte.
Leider verlaufen bei mir viele Freundschaften im Sande, was ich sehr schade finde. Aber ich habe auch einen besten Freund, dieser ist auch blind und wir kennen uns schon seit der Schulzeit.
Ich habe auch versucht, in einem Jugendchor Kontakt zu Sehenden aufzubauen, aber dies hat leider nicht so gut geklappt. Als ich dann vor fünf Jahren umgezogen bin, habe ich dann mal mein Glück bei Ebay Kleinanzeigen versucht. Dort ist nur eine richtige Freundschaft entstanden, die anderen waren alle sehr oberflächlich, oder hatten sich nach dem ersten Treffen erledigt. Eine Person meinte sogar mal zu mir, dass sie sich keine Freundschaft mit mir vorstellen könne, da sie ja immer auf mich aufpassen müsse. Fand ich schon ziemlich komisch, diese Aussage.
Mein Fazit: Ich finde, Freundschaften zu blinden oder sehbehinderten Menschen sind schon viel wert, da man eine "Sprache" spricht. Nichtsdestotrotz möchte ich aber auch weiterhin versuchen, Freundschaften zu sehenden Menschen aufzubauen, da ich ein sehr kontaktfreudiger Mensch bin.
Andrea Eberl hat nicht nur gute Erfahrungen gemacht:
Ich bin von Geburt an blind. Ich habe mir als Kind oder Jugendliche nie darüber Gedanken gemacht, dass meine Blindheit für mich ein Hindernis in Beziehungen darstellen könnte.
Mit 23 Jahren wurde ich allerdings eines Besseren belehrt. Ich hatte mich in einen jungen Mann verknallt, und es schien mir, dass auch er sich in mich verknallt hatte. Es machte mich aber stutzig, dass er mich immer nur dann besuchte, wenn kein Fußballmatch im Fernsehen war, und dass er mich nie zu sich nachhause einlud. Eines Tages trafen wir uns in einer Kneipe, und ich konfrontierte ihn mit meinen Gedanken dazu. Es stellte sich heraus, dass er sich für meine Blindheit schämte und sich nicht getraut hatte, seinen Eltern und Freunden zu erzählen, dass er eine blinde Freundin hat. Er nahm mich dann mit nachhause, und wir hatten deshalb einen Streit, worauf er die Tür abschloss, sodass ich ihm nicht mehr entfliehen konnte. Ich brüllte ihn an, er solle mir sofort ein Taxi rufen. Er tat es. Als ich ins Taxi einstieg, wollte er mitfahren, obwohl klar war, dass ich das nicht wollte. Dann klingelte er mich nächtelang immer wieder aus dem Bett, bis ich ihn ein einziges Mal rein ließ. Als er neben mir auf der Bank in meinem Wohnzimmer saß, blieb mir nichts anderes übrig als ihn zu demütigen, um ein für alle Mal meine Ruhe zu haben. Dieser Mann konnte mit der Niederlage nicht umgehen, die er selbst verursacht hatte.
Daniela Wallace hat lange gesucht, dann kam die Rettung aus dem Weltall.
Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Von der Vorschule an war ich im Internat untergebracht, nur einen Tag in der Woche zuhause bei den Eltern. Wenn ich dann draußen zum Spielen war, waren die Kinder sehr brutal zu mir, da sie sofort spitzbekommen haben, dass ich schlecht sehen kann. Sie verarschten mich nach Strich und Faden. Der Regelfall war, dass ich dann heulend wieder zu meinen Eltern gegangen bin. In meinem letzten Grundschuljahr zogen meine Eltern nach Weimar, um dort wegen einem Ausreiseantrag näher an der Behörde zu sein. Ich war also "Stadtkind", bin jeden Tag nach Hause gefahren. Hier war es mitunter noch heftiger, dass ich täglich Probleme mit brutalen Kindern hatte. Es war in diesem Sinne keine schöne Kindheit. Mein Kontakt beschränkte sich auf andere schlecht sehende Mitmenschen, Freundschaften gab es zwar, da man aber an verschiedenen Orten wohnte, konnten diese nicht wirklich gut gepflegt werden.
1989 bin ich kurz vor der Grenzöffnung mit meinen Eltern in den Westen gezogen. Ich war dann ein halbes Jahr auf einer normalen Grundschule, was für mich der blanke Horror war. Ständiges Mobbing, Schikanen am laufenden Band, auch mit direkten Nachbarn im Mehrfamilienhaus, in dem wir lebten. Es war nicht schön und ging so weit, dass mich die Nachbarskinder regelmäßig verängstigten, belagerten, belästigten. Opfer! Es ging dann bis zur Klage, dass sie sich mir nicht mehr nähern durften. Zum 2. Halbjahr der vierten Klasse wechselte ich dann auf die Sehbehindertenschule in Köln, die ich bis zur 10. Klasse besuchte. Kontakt mit "normalen" Menschen hatte ich so gut wie keinen, da auch der Konflikt mit den Nachbarskindern alles im Ort sehr schwierig machte. Viele Freundschaften konnten auch hier nicht entstehen, da wir alle mit Taxiunternehmen zur Schule gebracht wurden. Ich hatte zwar Freundinnen, aber eher selten besuchte man sich gegenseitig.
Nach der Hauptschule begann ich dann ein Förderjahr und eine dreijährige Ausbildung zur Bürokraft im BBW Soest. Auch hier wieder war ich nur am Wochenende bei meinen Eltern und hatte nur Kontakt mit Menschen, die sehbehindert oder blind waren. Zwar gab es durch das Internat und später die Hausgemeinschaften auch mehr Kontakt zu "normalen" Menschen, aber nur sporadisch. Auch hier wurde ich oft hintergangen, belogen, getäuscht, und man machte sich über mich lustig. Opfer. Weiterhin. Als ich die Ausbildung abgeschlossen hatte, war ich ein gutes Jahr arbeitslos. Ich verfiel in eine Chatsucht und Internetsucht und verlor mich in Rollenspielen. Dort konnte ich sein, wer ich wollte, Menschen akzeptierten mich so wie ich war.
2001 nahm ich dann ein Bewerbungsgespräch wahr, was eigentlich unweigerlich zur Absage hätte führen müssen. Doch da ich ehrlich war, weil ich mich nicht darauf vorbereitet habe und dies eingestand, gab man mir die Stelle. Seitdem arbeite ich beim Finanzamt, und inzwischen habe ich sogar die Hausmeisterwohnung. Ich fühle mich unter den Kollegen wohl und werde akzeptiert.
Der "Kosmos" der normalen Welt wurde mir jedoch eigentlich auf eine andere Weise eröffnet.
Frisch im Westen, 1989, verliebte ich mich unsterblich in Pille McCoy vom Raumschiff Enterprise. Ich verschlang jede Episode und wurde ein Fan der Serie Star Trek. Da ich aber noch nie viel davon gesehen hatte, war ich der Idee aufgesessen, dass ich den ersten Fanclub der Welt eröffnen wollte. Doch da war so viel mehr! Plötzlich, ich weiß nicht wie, entdeckte ich, dass es in Köln ein Trek Dinner gab. Und da brachten mich meine Eltern dann auch hin. Das erste Mal in meinem Leben wurde ich freundlich begrüßt, in den Arm genommen, ernst genommen, offen und ehrlich behandelt. Ohne Hintergedanken, ohne Ärger, ohne irgendeinen negativen Beigeschmack. Und ich fühlte mich so wohl.
Natürlich haben Trekkies, also Star Trek Fans, einen besonderen Bezug zu Menschen mit Beeinträchtigungen, da Geordi LaForge, der Chefingenieur der USS Enterprise D, ein blinder schwarzer Mann ist. Von daher war es für keinen ein Problem, dass ich schlecht sehen konnte.
Seit dem Besuch des Trek Dinner habe ich auch andere Kontakte mit Fans. Ich gehöre einem Fanclub an, dem Khemorex Klinzhai, treffe regelmäßig Freunde und wir haben schöne Erlebnisse. Gut, auch hier sind wir teilweise weit auseinander, aber wir sehen uns auch online und haben Spaß. Ich habe seitdem viele Conventions besucht, und meine Sehbehinderung ist kein Problem.
Beruf, Bildung und Wissenschaft
Charity oder Empowerment? Wohin geht es mit der Inklusion?
Von Sabriye Tenberken
Durch unsere internationalen Kontakte haben wir die Möglichkeit, Debatten zum Thema Integration und Inklusion in den sog. Entwicklungsländern und in Europa zu verfolgen. Wir wundern uns, dass es immer wieder um die folgenden "Gegensätze" zu gehen scheint: Regelschule = Inklusion und Förderschule = Exklusion. Dabei würden wir uns vielmehr eine kritische Auseinandersetzung über die Diskrepanz von "wohlgemeinter Theorie" und oft undurchdachter Praxis wünschen.
Ich selbst bin blind und daher werde ich mich hauptsächlich auf die Situation der Blinden und Sehbehinderten beziehen. Ich war auf einer Förderschule und bin in der Lage, mein Leben in die Hand zu nehmen, eben weil ich entsprechend gefördert wurde. Mit 12 Jahren entschloss ich mich, einen Integrationsversuch in einer Regelschule abzubrechen und auf das Marburger Gymnasium für Blinde und Sehbehinderte (kurz: blista) zu wechseln. Für mich war das ein Glücksfall.
Was macht die blista zu einer hervorragenden Förderschule?
- Kleine übersichtliche Klassen
- Hoch motivierte Lehrkräfte, die durch kreative und interdisziplinäre Unterrichtsansätze die Schüler zum kritischen Denken anregen
- Unterricht, der die Schüler zu Problemlösungen anregt, der fordert und nicht zu geringe Ansprüche stellt.
- Ein Medienzentrum, das den Lehrern hilft, naturwissenschaftliche und mathematische Konzepte taktil und akustisch aufzuarbeiten.
- Ein umfassender Sportunterricht mit den mannigfaltigsten Angeboten (von Ballspielen über "Risiko-Sport", wie Reiten, Voltigieren, Kayak-fahren, Skifahren, Windsurfen und Trampolinspringen)
- Intensives Training in lebenspraktischen Fertigkeiten, Lesen und Schreiben in Brailleschrift, Mobilität und Orientierung.
Die Mutter eines blinden Kindes kam mal zu mir und sagte: "Mein Sohn ist so begabt, der braucht nicht nach Marburg, er kann auf eine Regelschule." Ich habe dann mal nachgefragt, wie das denn im Sportunterricht oder in naturwissenschaftlichen Fächern liefe. Und da wurde sie ein wenig nachdenklich. Der blinde Sohn aber, der bis dahin nicht viel gesagt hatte, wurde lebendig und meinte, dass Sport langweilig sei und Mathe und Naturwissenschaften nicht so sein Ding seien. Das mag sein. Viele sehende Kinder mögen das ähnlich sehen. Die Frage ist nur, ist es ihm vielleicht langweilig, weil er nicht entsprechend darin gefördert werden kann?
Wir treffen auf unseren Vortragsreisen in Deutschland oft auf Lehrer und Sonderpädagogen, die der Inklusion aus eigener Erfahrung kritisch gegenüberstehen und auf blinde Schülerinnen und Schüler, die sich von der Inklusions-Euphorie ihrer Eltern nicht haben anstecken lassen. Warum nicht? Vielleicht weil es bei vielen Inklusions-Versuchen zwar um wohlgemeinte karitative Maßnahmen, aber nicht um wirkliche Förderung geht?
Was bedeutet "Inklusion" eigentlich?
Man kann zwischen der ursprünglichen lateinischen Wortbedeutung und einer gesellschaftlichen Definition unterscheiden. Gibt man in eine Suchmaschine "Inklusion Bedeutung" ein, stolpert man schnell über eine soziologische Definition. Ich zitiere:
"Als soziologischer Begriff beschreibt das Konzept der Inklusion eine Gesellschaft, in der jeder Mensch akzeptiert wird und gleichberechtigt und selbstbestimmt an dieser teilhaben kann - unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft, von Religionszugehörigkeit oder Bildung, von eventuellen Behinderungen oder sonstigen individuellen Merkmalen. ... So auch im Bereich der Bildung. Die inklusive Pädagogik beschreibt einen Ansatz, der im Wesentlichen auf der Wertschätzung der Vielfalt beruht. In einem inklusiven Bildungssystem lernen Menschen mit und ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam. Homogene und damit separierende Lerngruppen werden nicht gebildet. Von der Kindertagesstätte über die Schulen und Hochschulen bis hin zu Einrichtungen der Weiterbildung wird niemand aufgrund einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen. Vielmehr ist es die Aufgabe des Bildungssystems, durch Bereitstellen von speziellen Mitteln und Methoden einzelne Lernende besonders zu unterstützen und zu fördern. Nicht das Individuum muss sich also an ein bestimmtes System anpassen, sondern das System muss umgekehrt die Bedürfnisse aller Lernenden berücksichtigen und sich gegebenenfalls anpassen." (Autorin: Andrea Schöb, Juli 2013)
Dies ist eine sehr gute umfassende Beschreibung des Sollzustandes. Betrachten wir aber den Istzustand der Inklusion, so hilft es vielleicht, der ursprünglichen lateinischen Bedeutung "includere" auf den Grund zu gehen:
"Includere" heißt wörtlich übersetzt "einschließen"
Ich kenne diesen Begriff aus der Mineralogie (Einschluss von Fremdsubstanzen) und ich stelle mir jedes Mal, wenn ich das Wort "Inklusion" höre, einen Bernstein mit einem eingeschlossenen Insekt vor; sieht hübsch aus, aber das Insekt ist gefangen und kann sich nicht wirklich einbringen.
Zwar verändern sich Wortbedeutungen durch den Zeitgeist. Aber ich glaube, dass die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes eine gewisse Gravitationskraft behält. Das würde in unserem Zusammenhang bedeuten: Einschluss eines blinden Kindes in eine Klassengemeinschaft von Sehenden. Wie wirkt sich das aus?
Unter Leistungsgesichtspunkten scheint Einschluss zu funktionieren. Viele blinde Schüler haben gute Noten, und nicht selten machen sie ihr Abitur an Regelschulen.
Sind aber gute Noten die einzigen Erfolgskriterien? Wie wäre es, wenn man zu den gängigen Erfolgskriterien auch Bildung eines guten Selbstbewusstseins, Fähigkeit Probleme zu lösen, eigenständig Freundschaften zu schließen, mobil zu sein und damit sein Leben selbstständig in die Hand nehmen zu können zählt? Ist es nicht für jeden wichtig, das Gefühl zu haben, gleich unter Gleichen zu sein und sich aktiv einbringen zu können?
Wir stellen uns zurzeit die Frage, ob sich blinde Kinder unter den jetzt gegebenen Bedingungen eigenständig am Integrationsprozess beteiligen können. Wir haben unsere Zweifel. Blinde Schüler aus Regelschulen erzählen uns, dass sie zwar in den meisten Unterrichtsfächern mithalten können, aber oft nicht einbezogen werden, wenn es den Lehrern oder auch Mitschülern zu kompliziert wird. Besonders im Sport, bei sozialen Aktivitäten und im naturwissenschaftlich technischen Bereich werden sie oft außenvor gelassen.
Das führt mich zu einem weiteren Punkt: Education light - "Ausbildung ja, aber bitte ohne Mathe, Technik und Naturwissenschaften."
Es gibt in den Inklusionsschulen sowohl in Deutschland als auch in den sogenannten Entwicklungsländern eine berechtigte Scheu davor, Blinde in Mathematik und natürlich auch in den Naturwissenschaften zu unterrichten.
In unserer Wahlheimat Indien diskutieren wir immer wieder mit blinden Schülern und Pädagogen ein Gesetz, das Blinde und Sehgeschädigte von der achten Klasse an nach Wunsch vom Mathematikunterricht befreit. Übrigens ein Gesetz, das bei den Betroffenen großen Zuspruch erhält. Denn Mathematik, von solchen Lehrern nahegebracht, die niemals gelernt haben, wie man Graphiken taktil aufarbeitet, kann sich nicht inspirierend auf den Schüler auswirken. Und so wird natürlich Mathematik zu einem Fach, das man lieber nicht haben möchte. Dass damit Blinde später nur Sprachen studieren können, sonst aber nichts, nicht einmal Jura, Psychologie oder Informatik, das wird sowohl von den Betroffenen selbst wie auch von den Pädagogen ausgeblendet.
Zugunsten einer scheinbar funktionierenden Inklusion werden schwierige Hürden umschifft, Einschränkungen ignoriert, mit der Folge, dass sie später niemals wirklich kompensiert werden können.
Das, was das Blindengymnasium in Marburg schafft, nämlich durch eigens entwickelte Medien die Schüler umfassend, auch in Mathematik und Naturwissenschaften, auf eine höhere Bildung vorzubereiten, kann man von Regelschulen nicht verlangen. Also konzentriert man sich auch in Deutschland überwiegend auf die "machbaren" Fächer, Sprachen, Sozialwissenschaften, Geschichte usw. Sport für Inklusionsschüler wird in vielen Regelschulen zum unauflösbaren Problem.
Wie könnte es anders und besser laufen? Muss es immer entweder "Exklusion", also "Förderschule", oder "Inklusion", also "Regelschule", sein? Gibt es nicht einen Mittelweg?
Selbstintegration - ein dritter Weg
Während wir im Ausland unsere eigenen Wege suchten, etablierte sich in Amerika und in Europa der Begriff "Inklusion" als Ersatz für "Integration". Wir sind in diesem Punkt traditionell und bleiben bei dem Wort "Integration". Denn bedenkt man die lateinische Wortbedeutung "integrare", kommen wir schnell auf die Begriffe: "einbeziehen", "ergänzen".
Die Wahl zwischen "einschließen" oder "ergänzen" fällt leicht. Denn beim Ergänzen kann ich mich aktiv daran beteiligen, dass meine Integration für alle Beteiligten ergänzend wirkt.
In Tibet haben wir daher das Konzept der "Selbstintegration" entwickelt. Es beruht auf der Annahme, dass wirkliche Integration niemals von außen erzwungen werden kann, sondern von der Person selbst geleistet werden muss.
Die Selbstintegration funktioniert jedoch nur durch eine gute und intensive Förderung. Dazu gehört Training in Kommunikation, selbstständigem Denken, Problemlösen und in Blinden- und Mobilitätstechniken.
Vor wenigen Jahren wurde in der tibetischen Autonomen Region ein Gesetz verabschiedet, für das wir mehr als zehn Jahre gekämpft hatten. Es besagt, dass körperlich behinderte und blinde Kinder nach Wunsch der Betroffenen in Regelschulen aufgenommen werden müssen. Ein Grund zum Feiern, denn bisher wurden Kinder sogar mit jeder Art körperlicher Behinderung vom Unterricht ausgeschlossen. Eigentlich absurd, denn warum soll ein Kind mit einer Körperbehinderung - wir hatten z.B. den Fall eines kleinwüchsigen Mädchens - nicht gleichwertig am Unterricht teilnehmen können? Die einzigen Kinder mit Behinderungen, die bis dahin in Tibet in Regelschulen gesichtet wurden, waren unsere blinden Schüler, die wir ohne Gesetz, zunächst auf Probe, den Regelschulen nahezu aufgeschwätzt hatten.
Der Erfolg dieser "gesetzlosen" Integration war mit ausschlaggebend für den neuen Entscheid. Die Leichtigkeit, mit der sich unsere blinden Kinder im Unterricht einbrachten, gute Noten erzielten und Freundschaften schlossen, überzeugte die Lehrkräfte und Schulleiter davon, dass sich ein blindes Kind ohne Spezialbetreuung in den Schulalltag selbst integrieren und darüber hinaus den Unterricht und das soziale Miteinander erheblich bereichern kann.
Ist nun ein Gesetz, das auf diesen positiven Erfahrungen beruht, ein Grund zum Feiern? Für körperlich Behinderte ja, für Blinde nein. Denn ein solches Gesetz gibt nicht darüber Auskunft, wie es bei den Blinden zu diesem Erfolg kommen kann. Es verschleiert den Hindernis-Parcours, der genommen werden muss, wenn eine gelungene Integration von blinden und sehgeschädigten Kindern erzielt werden soll.
Was ist aber eine gelungene Integration?
Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass es nur ein entsprechendes Gesetz braucht, um die Integration des blinden Kindes einzuleiten. Denn ein blindes Kind ist in einer Klasse mit sehenden Kindern nicht ohne weiteres integriert, es erzielt nicht automatisch gute Noten und verbreitet auch nicht naturgemäß nur Freude.
Der Mangel eines so wichtigen Sinnes, wie der des Sehens, kann durchaus eine erhebliche Einschränkung in vielen Lebenslagen darstellen. In folgenden Bereichen müssen große Hindernisse überwunden werden:
Ausgrenzung im sozialen Miteinander:
Blindheit gilt in Tibet als Strafe für eine schlechte Tat in einem vergangenen Leben. Menschen schämen sich oft für ihre blinden Familien-Angehörigen. Wir hatten Schüler, die viele Jahre vor der Gesellschaft versteckt wurden und erst in unserer Einrichtung mühsam Sprechen, Laufen oder Treppensteigen lernen mussten. Viele unserer Kinder wurden von sehenden Gleichaltrigen mit Steinen beworfen oder sogar von Erwachsenen mit "Shargo" beschimpft. "Shargo" bedeutet "Blinder Tölpel", und dieses Wort sagt eine ganze Menge über die Einstellung der Bevölkerung zu Blinden aus.
Keine oder geringe Erwartungen an ein blindes Kind in schulischer Ausbildung:
Blinde galten in Tibet nicht als förderungswürdig, denn wie soll ein Mensch ohne Sehsinn Sinnvolles zur Gesellschaftsentwicklung beitragen können? Wir wurden auch schon von internationalen Entwicklungshelfern angesprochen, warum wir auf die Alphabetisierung und auf eine akademische Ausbildung bei Blinden so viel Wert legten, wenn noch nicht einmal alle Sehenden in Tibet lesen und schreiben können. Die Antwort darauf erübrigt sich.
Mangel an Mobilität und lebenspraktischen Fertigkeiten:
Die Welt ist für Sehende gemacht. Für Blinde ist deshalb nichts offensichtlich oder unmittelbar einsehbar. Daher sind sie zunächst einmal ausschließlich auf fremde Hilfe angewiesen. Sie müssen geführt werden und sie brauchen zum Beispiel auch beim Einkaufen eine Begleitung.
All dies sind klare Hindernisse auf dem Weg zur Integration. Was muss also getan werden, um sie erfolgreich zu überwinden? Man kann natürlich alle Hindernisse umgehen und mit entsprechenden Hilfestellungen freie Fahrt für den blinden Schüler schaffen.
Wir setzen dagegen eine praktische Vorbereitung, die sie instand setzt, eigenständig Hindernisse zu überwinden, also "Selbstintegration".
Dahinter steht die Auffassung, dass Integration nicht von außen, also von Lehrern oder Familienangehörigen gesteuert werden kann, sondern dass wirkliche Integration vom blinden Kind selbst in Angriff genommen werden muss. Somit fokussieren wir uns nicht auf das Umfeld, auf Eltern und Lehrer, sondern ausschließlich auf die Befähigung (Empowerment) des blinden Kindes. In Tibet nahmen wir dafür die Kinder für 1 bis 3 Jahre aus den Familien und bereiteten sie intensiv in allen nötigen Fertigkeiten auf ein Leben in der Regelschule vor.
Was sind die wichtigen Fertigkeiten, die unsere blinden Kinder beherrschen müssen?
- Zunächst natürlich Blindentechniken: Lesen und Schreiben der Braille-Schrift-Systeme. Da sie in den Regelschulen in drei Sprachen, in Tibetisch, Chinesisch und Englisch, unterrichtet werden, müssen sie mindestens drei unterschiedliche Braille-Schrift-Ssysteme beherrschen.
- Und sie müssen in der Lage sein, sich selbstständig, weitgehend ohne fremde Hilfe zu orientieren. Daher bekommen sie ein umfassendes Mobilitätstraining.
Wenn ein blindes Kind fließend lesen und schreiben und sich weitgehend ohne fremde Hilfe orientieren kann, ist schon viel gewonnen. Und doch fehlt etwas Entscheidendes: Es muss den Mut und das Selbstvertrauen haben, auf seine sehenden Mitmenschen zuzugehen und sich nicht kleinkriegen zu lassen.
"Blinder Dummkopf", "Bettler", "Parasit", das sind nur einige der Schimpfworte, denen sich die tibetischen Kinder täglich ausgesetzt sehen. Das blinde Kind muss mehr als alles andere genau darauf vorbereitet werden. Es darf Blindheit nicht mehr als Mangel empfinden, es sollte Blindheit sogar als Chance betrachten können. Es muss sich seiner Fähigkeiten bewusstwerden und darf sich nicht mehr dafür schämen, blind zu sein. Es muss mit Spaß sagen können: "Ja, ich bin blind, na und? Aber ich bin nicht blöd! Ich kann mich konzentrieren, denn ich werde nicht so schnell abgelenkt, und ich kann etwas, was sich sehende Kinder niemals träumen lassen: Ich kann im Dunkeln lesen und schreiben."
Wenn erstmal die "Lästermäuler" gestopft sind, können die Kinder sich ungestört selbst organisieren.
Da es in den Regelschulen keine Blindenpädagogen gibt, haben sie bei uns Methoden gelernt, eigene Probleme zu lösen. Dem ahnungslosen Lehrer erklärten sie, was sie gut alleine ausrichten konnten, und wo sie von Lehrern oder auch Mitschülern Hilfestellungen brauchten. Dabei war es wichtig, dass sie ihre Bedürfnisse, aber auch ihre Möglichkeiten klar kommunizierten. Weil sie natürlicherweise hier und da Hilfe brauchten, war es ausschlaggebend, dass sie nicht nur nehmen, sondern auch etwas zurückgeben können. Und so haben wir dafür gesorgt, dass die Kinder einen Wissensvorsprung in den Sprachen Englisch und Chinesisch bekamen, der ihnen gegenüber ihren Mitschülern eine Verhandlungsbasis verschafft hat, z.B. in der Art: "Du sagst mir, was auf der Tafel steht, und ich helfe dir später bei den Englisch-Hausaufgaben."
Englisch ist ihre Stärke, und manche tibetischen Lehrer nutzten diesen Vorsprung, um sich vor dem Unterricht selbst noch schnell einen Rat zu holen. Andere fühlten sich aber auch in ihrer Ehre gekränkt. So bekam eine Schülerin Punktabzüge, weil ihre Aussprache "zu englisch" sei. Ein anderer Lehrer stritt sich mit unseren Kindern über die Aussprache der westlichen Spezialität "Hambarjar". Als unsere Kinder anmerkten, der Lehrer meine wohl, "Hamburger", erklärte er mürrisch, "You can say either way."
In der Zwischenzeit haben sich mehr als dreihundert blinde und sehgeschädigte Schülerinnen und Schüler in Grundschulen, Mittelschulen und Oberschulen integriert. Viele gehen zur Universität. Einige werden Übersetzer, eine ehemalige Schülerin hat erfolgreich Journalismus studiert, eine andere studiert tibetische Medizin. Viele haben Auszeichnungen für gute Leistungen erhalten, zwei unserer Kinder zählten in ihrem Jahrgang offiziell zu den zehn besten Schülern der ganzen Tibetischen Autonomen Region.
Oft höre ich, das Selbstintegrationskonzept ohne sonderpädagogischen Begleitdienst möge ja vielleicht in Tibet funktionieren, aber in Deutschland sähe das ganz anders aus.
Warum? Eigentlich sind die Grundbedingungen in Tibet sehr viel schwieriger als hier in Deutschland. In deutschen Schulen wird viel mehr als in tibetischem Unterricht Wert auf mündliche Mitarbeit gelegt. Man baut auf Team-Arbeit und Solidarität. Auch die Klassenstärke mit 23 bis 30 Schülern ist überschaubarer als tibetische Klassen mit 40 bis 50 Schülern.
Dann wären doch die Bedingungen für die Selbst-Integration, also Inklusion mit entsprechender Vorbereitung, in deutschen Schulen viel günstiger!
Das Wichtigste sollte doch immer sein, dass die blinden Kinder den Mut haben, Blindheit nicht nur als Mangel, sondern immer auch als Chance für sich und alle Beteiligten wahrzunehmen und damit bereit zu sein, das Abenteuer der Integration einzugehen. Diese Vorbereitungen können gut ausgestattete Förderschulen wie zum Beispiel die blista in Marburg leisten. Wie Thomas Hill, ein selbst blinder Psychologe und ehemaliger blista-Schüler vorschlägt, könnte eine Einrichtung wie zum Beispiel die blista dann zu einem sonderpädagogischen Kompetenz-Zentrum werden. Ich stimme ihm zu: Das Blindengymnasium in Marburg ist nicht nur in Deutschland, sondern weltweit führend, wenn es um die blindengerechte Transformation komplexer Lerninhalte besonders in den Naturwissenschaften geht.
Die Frage ist nur, ob das deutsche Ausbildungssystem einer erfolgreichen Integration in diesem Sinne entgegenkommt oder ihr entgegensteht.
Kann der von den meisten gewollte Soll-Zustand der Inklusion erreicht werden, solange ausschließlich die Vermittlung des Fachwissens im Mittelpunkt steht und nicht die ganzheitliche Förderung jedes Kindes?
Wir brauchen eine qualitative Veränderung der Ausbildung in allen Bereichen, nur dann wird die Einbeziehung Behinderter als Bereicherung und nicht als karitative Maßnahme verstanden werden.
Zur Autorin
Sabriye Tenberken ist Mit-Gründerin von Braille Ohne Grenzen, Tibet, und des kanthari Instituts, Indien (www.kanthari.ch). Sie ist außerdem Autorin u. a. von "Mein Weg führt nach Tibet" (200), "Mein siebtes Jahr" (2006) und "Die Traumwerkstatt von Kerala: Die Welt verändern - das kann man lernen" (2015).
Foto: Sabriye Tenberken und Paul Kronenberg, während ihres blista-Besuchs in der "Woche des Sehens 2022". blista-Alumna Sabriye Tenberken gründete 2005 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Paul Kronenberg kanthari international, ein Bildungs- und Trainingsinstitut in Kerala, Indien. Foto: blista
Aus der Arbeit des DVBS
DVBS-Geschäftsführung
Liebe Leserinnen und Leser
ich freue mich, seit dem 1. Juli neuer Geschäftsführer des DVBS sein zu dürfen.
Da Sie in Zukunft öfter von mir hören oder lesen werden, darf ich mich an dieser Stelle vorstellen:
Mein Name ist Elias Knell, in den letzten fünf Jahren habe ich als Persönlicher Referent beim Landeswohlfahrtsverband gearbeitet. Marburg ist mir noch gut aus meiner Studentenzeit bekannt, hier habe ich Politikwissenschaft auf Bachelor und Master studiert. Ich bin verheiratet, lebe in einem kleinen Dorf im Schwalm-Eder-Kreis und habe eine sechsjährige Tochter und einen fast zweijährigen Sohn. Mit mir sind die beiden Kleinen Münsterländer Hunde Dori und Bilbo in die Geschäftsstelle gezogen. Sie schlafen nun tageweise hinter meinem Schreibtisch und erinnern mich daran, dass eine "bewegte Mittagspause" eine gute Idee ist, um die eigene Kreativität und Schaffenskraft zu erhalten.
Ich persönlich und das gesamte Team der Geschäftsstelle freut sich, mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in Kontakt zu kommen. Ihre Eindrücke, Anregungen und Ihr Wissen hilft uns, den Verein lebendig, einflussreich und interessant zu halten und weiterzuentwickeln. Lassen Sie es uns gemeinsam angehen!
Ihr
Elias Knell
Bild: DVBS-Geschäftsführer Elias Knell lächelt offen. Er hat braune Augen, blondes Haar und trägt auf dem Portraitfoto im grünen Außenbereich zum blau karierten Hemd einen grünen Lodenjanker. Foto: Lars Zacharias Video & Audio Design GmbH
Aus der blista
Neue Beratungsstelle für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung
Land finanziert hessenweit agierende Beratungsstelle für taubblinde Menschen mit 500.000 Euro.
Der Alltag taubblinder und hörsehbeeinträchtigter Menschen birgt viele Herausforderungen. Um die Unterstützung Betroffener und ihrer Angehörigen weiter auszubauen, finanziert das Land künftig eine hessenweit agierende Beratungsstelle in Trägerschaft der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista). "Nachdem wir in Hessen bereits das Landes-Taubblindengeld eingeführt haben, ist die Beratungsstelle ein weiterer Schritt, um die bedarfsgerechte Versorgung taubblinder und hörsehbehinderter Menschen sicherzustellen und ihre gesellschaftliche Teilhabe maßgeblich zu verbessern. Wir bieten Taubblinden damit Unterstützungsleistungen, mit denen Hessen auch im bundesweiten Vergleich eine Spitzenposition einnimmt", so Sozial- und Integrationsminister Kai Klose. "Mit der blista haben wir einen hochkompetenten Partner an unserer Seite, dessen Expertise und Netzwerke über viele Jahre gewachsen und weit über die Grenzen Hessens hinaus anerkannt sind."
"Ich freue mich sehr, dass uns das Ministerium maßgeblich darin unterstützt, diese wichtige Aufgabe für mehr Teilhabechancen von Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung anzugehen und damit einen weiteren Baustein im hessischen Beratungsangebot realisieren zu können", fügt der Vorstandsvorsitzende der blista, Patrick Temmesfeld, hinzu. Sitz der Beratungsstelle wird das neue Reha-Beratungs- und Schulungszentrum der blista in Frankfurt am Main sein. Neben der Betreuung vor Ort wird auch mobile Beratung angeboten, in deren Rahmen Menschen mit Informationsbedarf zu Hause aufgesucht werden.
"In der neuen Beratungsstelle möchten wir gemeinsam mit den ratsuchenden Menschen und ihren Angehörigen die für sie passenden Angebote finden und sie auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung und Autonomie begleiten", sagt Ute Mölter, Leiterin der Hessischen Beratungsstelle für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung der blista.
"Unser Ziel ist, taubblinde und hörsehbehinderte Menschen aus der Isolation zu holen", bekräftigt Minister Klose. "Deswegen gestalten wir das Angebot so niedrigschwellig wie möglich, schulen die Beratenden in den wichtigsten Kommunikationstechniken und ziehen bei Bedarf Dolmetschende hinzu. Alle Betroffenen, die Rat suchen, sollen ihn auch erhalten."
In den ersten beiden Jahren fördert das Hessische Ministerium für Soziales und Integration den Aufbau mit insgesamt fast 500.000 Euro. Während dieser Phase sollen wichtige Erkenntnisse über die weitere Ausgestaltung gesammelt und das Angebot verstetigt werden.
Wie geht es weiter? Die nächsten Schritte
Die Hessische Beratungsstelle für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung befindet sich im Aufbau. Derzeit sucht die blista mit einer Stellenausschreibung zwei Berater*innen, die die neue Beratungsstelle mit Leben füllen. Das neue Team wird künftig vor Ort in Frankfurt, online, am Telefon und auch mobil bei den ratsuchenden Menschen zuhause seine Beratungen anbieten.
Wir informieren Sie gern
Hessische Beratungsstelle für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung
blista Frankfurt
Mörfelder Landstraße 6-8
60598 Frankfurt am Main.
Sie erreichen uns fußläufig mit 3 Minuten Gehzeit von der S-Bahn-Haltestelle Lokalbahnhof oder vom Südbahnhof aus.
Ihre Ansprechpartnerinnen
Ute Mölter und Amélie Schneider
Telefon: 069 13014838
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: www.blista.de/tbl-beratungsstelle