horus 2/2024
Schwerpunkt: Mehrfachbeeinträchtigung

Titelbild horus;

Titelbild: Vier Piktogramme in Weiß-Blau, die auf verschiedene Formen einer Behinderung verweisen: (1) Mensch im Rollstuhl, (2) durchgestichenes Ohr, (3) Kombination zweier Köpfe - im Profil und frontal - mit insgesamt zwei Augen und ineinander übergehenden Mündern, (4) durchgestrichenes Auge. Piktogramm-Collage: pixabay


Hier lesen Sie Auszüge aus horus 2/2024. Möchten Sie die Ausgabe bestellen, wahlweise in Schwarzschrift, Braille, Daisy und Digital? Dann wenden Sie sich bitte an die DVBS-Geschäftsstelle, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Tel.: 06421 94888-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Inhalt


Schwerpunkt: "Mehrfachbeeinträchtigung"

Blinde Menschen hören besonders gut! - Und wenn diese Aussage nicht zutrifft?

Von Leonore Dreves

Was mich angeht, ich bin geburtsblind und seit früher Kindheit hörbehindert. Meine Sehbeeinträchtigung ist durch den Langstock weithin sichtbar, meine Hörbehinderung hingegen wird nicht sogleich bemerkt.

Wenn mich Menschen in der Öffentlichkeit auf meine Blindheit ansprechen, fällt meist schnell eine Bemerkung wie "Aber dafür hören Sie viel besser als sehende Leute." Mein Gegenüber wirkt oftmals damit überfordert, dass in meinem Fall die einfache Gleichung, dass der Ausfall eines Sinnesorgans durch außergewöhnliche Leistung eines anderen kompensiert wird, nicht stimmt.

Besonderheiten einer doppelten Sinnesbeeinträchtigung

Wenn man das Nichtsehen nicht durch Gut-Hören kompensieren kann, sind andere Strategien vonnöten, um am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Einige meiner persönlichen Strategien möchte ich hier kurz vorstellen:

Training der auditiven Wahrnehmung

Es gibt professionelle Hörtrainings, bei denen das verbleibende Hörvermögen mit Hilfe besonderer Übungen trainiert wird: Man muss beispielsweise Geräusche einem Gegenstand zuordnen, die Anzahl von Füllwörtern in einer vorgelesenen Geschichte zählen und sich dabei gleichzeitig auf den Inhalt konzentrieren oder die Häufigkeit des Spiels einer Triangel in einem Orchesterstück wahrnehmen.

Ich habe innerhalb der letzten zehn Jahre zwei derartige Trainings von jeweils zwei Wochen mit mehreren täglichen Übungen durchgeführt. Die Ergebnisse sind für mich verblüffend: Mein auditives Verstehen hat sich jedes Mal merklich verbessert.

Auch das Hören von Hörspielen fördert meine Fähigkeit, mich im Straßenverkehr und in Gebäuden auditiv zu orientieren. Damit auch mein Sprachverständnis im Training bleibt, stelle ich die Lautstärke der Sprachausgabe von PC und Smartphone möglichst niedrig und die Sprechgeschwindigkeit möglichst hoch ein.

Hören ist keine Nebensache!

Wenn ich Musik, Podcasts, Hörspiele oder dergleichen anhöre, konzentriere ich mich darauf, höre hin, ohne mich nebenbei anderen Tätigkeiten zu widmen. So ermögliche ich es meinen Ohren, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sich in geräuscharmen Situationen zu erholen.

Bei Gesprächen verzichte ich am liebsten auf Hintergrundmusik, damit ich mitbekomme, wann welcher der Anwesenden spricht.

Taktil statt akustisch

Der Radius der taktilen Wahrnehmung ist leider viel kleiner als der der akustischen. Eine taktile Armbanduhr ist ein guter Ersatz für eine gesprochene Zeitansage; bei Durchsagen über Lautsprecher am Bahnhof gibt es hingegen genau so wenig eine taktile Alternative wie beim Straßenüberqueren an einem Zebrastreifen. In solchen Situationen sind diejenigen im Vorteil, deren Hörverlust zumindest teilweise durch Hörgeräte ausgeglichen werden kann: Die Entwicklung geht beispielsweise dahin, dass Lautsprecheransagen über den Bluetooth-Standard Auracast direkt im Hörgerät empfangen werden, so dass praktisch keine Störgeräusche das Sprachverständnis beeinträchtigen.

Technische Hörhilfen

Die Wahl des richtigen Hörsystems ist entscheidend: Hörgeräte für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen müssen nicht nur das Sprachverstehen unterstützen, sondern auch Richtungshören und differenziertes Geräuscherkennen ermöglichen. Damit ich mit dem Echo-Schall der Keramikspitze meines Langstocks Hauseingänge hören und die Höhe von Wänden einschätzen kann, musste die Impulsgeräuschunterdrückung deaktiviert und die Kompression angepasst werden.

Entscheidung zwischen Audiodeskription und Hörverstärkung

Man kann bei einem Kinobesuch nicht alles haben: Entweder folgt man als hör-sehbehinderter Mensch der Audiodeskription, wobei in der Regel die gesprochenen Inhalte nicht mehr verstanden werden - oder man genießt die Hörfassung ohne Bildbeschreibung.

Fazit

Ich finde es faszinierend, wie es dank der technischen Hilfsmittel und persönlichen Engagements möglich ist, mit zwei Sinnesbehinderungen am gesellschaftlichen und beruflichen Leben teilzuhaben. Darüber hinaus halte ich es für wichtig, die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit mehreren Handicaps zu schärfen und das Bewusstsein für Anforderungen an Barrierefreiheit für diesen Personenkreis zu stärken. Um diese Ziele gemeinsam mit anderen Betroffenen zu verfolgen, gründete ich mit Mitstreitern die DVBS-Interessengruppe LowVisionPlus.

Interessiert und/oder betroffen? Dann schreiben Sie an:

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Bild: Auch mit doppelter Sinnesbehinderung genießt Leonore Dreves den Frühling in der Natur und nimmt am gesellschaftlichen und beruflichen Leben teil. Sie steht zwischen Bäumen auf einer Wiese mit blauen Blumen, wendet ihr Gesicht der Sonne zu und lächelt. Sie hat rotes, lockiges Haar, trägt Creolen und hat ihren Mantel geöffnet. Foto: privat

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Partnerschaftliche Zusammenarbeit und Vernetzung
Frühförderung bei Kindern mit Blindheit und zusätzlichen Beeinträchtigungen

Von Sigrun Hartmann, Frühförderteam der blista

Durch unsere Frühförderstelle der blista werden Familien mit sehbehinderten oder blinden Kindern vom Säuglingsalter bis zum Schuleintritt begleitet. Im vergangenen Jahr unterstützten wir 80 Kinder und ihre Familien, etwa die Hälfte dieser Kinder wiesen neben der Sinnesbeeinträchtigung auch weitere Beeinträchtigungen auf.

Blindheit oder Sehbehinderung im Kindesalter stellen ein gravierendes Risiko für die gesamte Entwicklung dar. Ohne besondere Förderung bleiben diese Kinder häufig in ihrer Entwicklung hinter Gleichaltrigen zurück. Dies gilt umso mehr, wenn mehrfache Beeinträchtigungen vorliegen.

Neben der o.g. Entwicklungsförderung des Kindes spielt die Beratung der Bezugspersonen und Eltern eine große Rolle. Hinzu kommt die partnerschaftliche Zusammenarbeit und Vernetzung mit weiteren Fachpersonen wie Kinder- und Augenärzt*innen, Orthoptist*innen, Physiotherapeut*innen, Erzieher*innen, Logopäd*innen, Ergotherapeut*innen etc., die im interdisziplinären Austausch und mit den Eltern das Förderkonzept des Kindes vereinbaren.

In unserer Arbeit fällt uns häufig auf und die Familien berichten davon, dass nicht die eigentliche Beeinträchtigung wie die eingeschränkte Sehkraft, die Cerebralparese oder die zusätzliche chronische Erkrankung des Kindes im Vordergrund steht, sondern die Familien berichten von Einschränkungen in der Teilhabe und Partizipation im Alltag. Somit wird aus einer bestehenden Beeinträchtigung eine Behinderung des Menschen. In der UN-Behindertenrechtskonvention ist zu diesem Begriff zu lesen: "Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können." (1)

Somit ist der Begriff der Behinderung umfassender, da er die soziale Ebene einschließt und den Blick auf die gesellschaftliche Ebene und die Barrieren richtet, die verhindern, dass Partizipation umfassend gelingt. Auch für Finja, deren Mutter im folgenden Teil aus Ihrem Leben berichten wird, wünschen wir uns verringerte Barrieren und Barrierefreiheit, damit sie ihr Recht auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe nutzen kann.

Anmerkung

(1) https://www.behindertenrechtskonvention.info/menschen-mit-behinderungen-3755/, Abrufdatum 06.03.2024 zurück

Zur Autorin

Sigrun Hartmann ist Diplom-Pädagogin und seit über 20 Jahren für die blista als Frühförderin und im Begleitenden Fachdienst Frühförderung tätig. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Bild: Sigrun Hartmann hat lange, dunkle Haare, dunkle Augen und eine moderne Brille. Sie lächelt. Zur weißen Bluse trägt sie eine schmale Kette. Foto: privat

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Beruf, Bildung und Wissenschaft

Der Arbeitgeber-Service für schwerbehinderte Akademiker

Von Torsten Prenner

Vor 70 Jahren wurde der Arbeitgeber-Service für schwerbehinderte Akademiker (AG-S SBA) gegründet und fand seinen Platz bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV), einer Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit (BA). Vorrangiges Ziel des AG-S SBA war es damals, schwerbehinderte Akademikerinnen und Akademiker zu den oberen und obersten Bundesbehörden zu vermitteln. Über die Jahrzehnte konnte der AG-S SBA seine Angebote erweitern und vermittelt heute bundesweit Stellen im Öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft.

Der AG-S SBA besteht aktuell aus 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von denen selbst die Hälfte eine anerkannte Schwerbehinderung haben. Wichtig ist dem Team, beide Marktseiten zu unterstützen. Deshalb werden auf der einen Seite Bewerberinnen und Bewerber beraten und bei der Stellensuche unterstützt, auf der anderen Seite Arbeitgeber gezielt über die Potentiale schwerbehinderter Menschen informiert und geeignete Fach- und Führungskräfte vermittelt. Dabei kann der AG-S SBA aktuell auf bundesweit 8729 arbeitslose schwerbehinderte Akademikerinnen und Akademiker zugreifen (Statistik der BA, Stand Dezember 2023). Die Angebote der ZAV erfolgen in Kooperation mit den örtlichen Arbeitsagenturen und Jobcentern.

Unterstützung durch den AG-S SBA

Wie sieht die Arbeit konkret aus und wie kann man den AG-S SBA kontaktieren? Bewerberinnen und Bewerber können per Mail (ZAV.SBAkademiker@arbeitsagentur) oder telefonisch (0228-502082876) mit der ZAV in Kontakt treten. In der Regel werden in einem ersten Schritt die Bewerbungsunterlagen der Kandidatinnen und Kandidaten angefordert und im Anschluss ein Beratungsgespräch (telefonisch, per Skype, persönlich) vereinbart, um die individuellen Wünsche und die Unterstützungsmöglichkeiten durch die ZAV abzustimmen.

Ziel ist dabei immer, eine versicherungspflichtige Beschäftigung für die Bewerberinnen und Bewerber zu finden.

Auf den gleichen Wegen können Arbeitgeber und Schwerbehindertenvertretungen die ZAV kontaktieren. Die Vermittlungskräfte der ZAV informieren über Bewerberpotentiale und besuchen die Arbeitgeber gerne vor Ort, um eine Zusammenarbeit abzustimmen. Neben der Vermittlung steht das Team auch bei allen Fragen rund um die Einstellung zur Verfügung und vermittelt - da wo es sinnvoll und gewünscht ist - Kontakte zu Netzwerkpartnern vor Ort (z. B. Technischer Beratungsdienst, Inklusionsämter).

Ergänzt werden die Beratungsangebote u. a. durch einen Stellen-Newsletter, der alle 14 Tage per Mail an interessierte Bewerberinnen und Bewerber verschickt wird und eine Übersicht der eingegangenen Stellen enthält. Arbeitgebern werden quartalsweise ebenfalls per Mail anonyme Kandidatenprofile vorgestellt. Nähere Infos zu den Angeboten findet man unter folgendem Link: Arbeitgeber-Service für schwerbehinderte Akademiker.

Der AG-S SBA verfügt außerdem über ein eigenes Förderbudget und kann zur Erprobung schwerbehinderter Akademikerinnen und Akademiker auf bis zu 3 Monate befristete Arbeitsverhältnisse zu 100% fördern. Weiterhin können Eingliederungszuschüsse für bis zu 5 Jahre und bis zu 70% gewährt werden, z. B. wenn eine längere Einarbeitungsphase notwendig ist oder sich Einschränkungen aufgrund der Behinderung ergeben.

iXNet

Relativ neu (seit Mai 2022) bietet der AG-S SBA das "Inklusive Expertinnen- und Expertennetzwerk (iXNet)" an. iXNet empowert und unterstützt behinderte Akademikerinnen und Akademiker mit Netzwerkwissen und Online-Info-Veranstaltungen. Das Angebot wurde von der ZAV initiiert und im Rahmen eines vom BMAS geförderten, 3-jährigen Projekts von Menschen mit Behinderungen für Menschen mit Behinderungen entwickelt. Die Online-Info-Veranstaltungen dauern in der Regel 45-60 Minuten und informieren zu den unterschiedlichsten Themen. Zum Beispiel wurde 2023 über Sehbehinderungen, psychische Erkrankungen und den Übergang Studium-Beruf informiert. Verschiedene Themen wurden im Rahmen von Peer-Together vertieft. Diese Online-Veranstaltungen dauerten bis zu 2 Stunden und boten die Möglichkeit, sich intensiv in Kleingruppen auszutauschen.

Eine Übersicht über die geplanten Veranstaltungen finden Sie im Veranstaltungskalender. Gerne können wir auch Ihre Veranstaltung mit in den Kalender aufnehmen (bitte senden Sie bei Interesse eine Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Aktuelle Meldungen sowie Informationen für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Schwerbehindertenvertretungen finden Sie auf der iXNet-Homepage.

Kontakt

Wenn Sie Interesse an der Arbeit des AG-S SBA haben, weitere Fragen zu den Angeboten und Möglichkeiten haben oder Kooperationsmöglichkeiten mit dem AG-S SBA sehen, dann nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf:

Zentrale Auslands- und Fachvermittlung
Arbeitgeber-Service für schwerbehinderte Akademiker
Villemombler Str. 76
53123 Bonn
Telefon 0228 502082876
Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: www.zav.de
www.ixnet-projekt.de

Bild: Thorsten Prenner ist Berater in der Abteilung für die Vermittlung schwerbehinderter Akademikerinnen und Akademiker der ZAV in Bonn. Er hat dunkelblondes Haar und trägt zum blauen Hemd einen dunkelblauen Sakko. Foto: privat

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Aus der Arbeit des DVBS

Interessengruppe Digitale Barrierefreiheit wird flügge

Von Uwe Boysen

Die Vorgeschichte

Schon seit mehr als 25 Jahren beschäftigt sich der DVBS in Aufsätzen, Projekten, Fachtagungen und Stellungnahmen mit dem Thema digitale Barrierefreiheit. Als Beispiele unter anderen seien nur die Fachtagung zum 100-jährigen Jubiläum des DVBS von 2016 und die 2018 in Berlin durchgeführte Veranstaltung zur Umsetzung der EU-Richtlinie zu barrierefreien Webseiten und mobilen Anwendungen genannt.

Dabei ging und geht es immer um eine klassische Querschnittsaufgabe, die sämtliche Fach- und Bezirksgruppen unseres Vereins und unsere Mitglieder in ganz verschiedenen Ausprägungen erfasst, schreitet die Digitalisierung doch in ungeheurem Tempo fort und stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen, teilweise charakterisiert mit der Redensart von der Angst vor dem Update.

Da war es nicht ganz fernliegend, ab 2019 eine Arbeitsgruppe einzurichten, die sich dem Thema digitale Barrierefreiheit und seiner bestmöglichen Verankerung in unserem Verein konzentriert widmen sollte. Verschiedene Personen aus unterschiedlichen Bereichen trafen sich hier, diskutierten diesen Themenkreis und stellten als erstes Ergebnis 2021 einen Zoom-Workshop auf die Beine, bei dem es um die Frage ging, wie man richtig Barrieren melden kann (siehe Boysen in: horus 3/21).

Im Anschluss hieran wuchs die Erkenntnis, die jetzt vorhandenen Möglichkeiten unserer Satzung zur Gründung von Interessengruppen zu nutzen, um hier eine bessere und kontinuierlichere Vernetzung zu erreichen. Im November 2022 wurde die Interessengruppe Digitale Barrierefreiheit dann vom Arbeitsausschuss des Vereins als weitere Vereinsgliederung anerkannt mit der Folge, dass sie nunmehr Sitz und Stimme im Arbeitsausschuss hat, eine Mailingliste besitzt und Mitglieder aufnehmen kann (dazu Boysen, horus 1/23), von denen es derzeit 53 gibt.

Themen des ersten Workshops der IG Digitale Barrierefreiheit

Konsequenterweise trafen sich am Wochenende des 17. und 18. Februar 2024 35 Teilnehmende in Marburg zum ersten Workshop der IG, der verschiedene Aspekte rund um das Thema behandelte.

Im ersten Themenblock gab Andreas Carstens (Richter am Finanzgericht Hannover) einen Überblick über die vorhandenen gesetzlichen Regelungen in Bund und Ländern. Zentral sind hier Vorschriften in den jeweiligen Behindertengleichstellungsgesetzen zu den Anforderungen an Barrierefreiheit für die sog. öffentlichen Stellen, aber auch Normen, die sie verpflichten, ihre elektronische Vorgangsbearbeitung und Aktenführung barrierefrei zu gestalten (für den Bund § 12a Abs. 1 des BGG). Hinzu kommen zahlreiche Normen in verschiedensten Gesetzen und Verordnungen, die teilweise unterschiedlich ausgestaltet sind (zum Ganzen auch Carstens in horus 3/22).

In Themenblock zwei referierte Oliver Nadig (Dipl.-Psych. und Mitglied im Leitungsteam der Fachgruppe MINT im DVBS) über Standards zur Schaffung und Gewährleistung digitaler Barrierefreiheit und ging dabei ausführlich auf die vorhandenen Regelwerke (Stichworte: BITV 2.0, WCAG 2.2 und DIN EN 301 549) ein. Letztere Norm befasst sich mit "Barrierefreiheitsanforderungen zu IT-produkten und -Dienstleistungen". Dies ist der einzige für die BITV 2.0 rechtlich verbindliche Kriterienkatalog. Bei der Erläuterung der vier grundlegenden Barrierefreiheitsmerkmale Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit hob Nadig das sonst oft nur kurz gestreifte Prinzip "Robustheit" hervor. Er betonte: Wenn beispielsweise eine Webseite nur in einer ganz speziellen Kombination aus Screenreader, Browser und Betriebssystem von Menschen mit Blindheit genutzt werden kann, so ist Robustheit nicht gegeben, was durchaus als Barriere gemeldet werden kann.

In Themenblock 3 widmeten sich Ursula Weber (beschäftigt bei der BA) und Alexander Pfingstl (Mitarbeiter der "Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik", kurz: BFIT-Bund) Fragen des Vergaberechts, dem gerade bei neu zu beschaffender Software eine Schlüsselrolle zukommt, wenn es um die Barrierefreiheit der Produkte geht. Thema war hier auch die Möglichkeit der Einleitung von Schlichtungsverfahren über die dafür zuständige Schlichtungsstelle. Dazu Pfingstl: "Solche Verfahren sind sinnvoll, sie lösen nicht akute Probleme, helfen aber, Probleme mittelfristig zu lösen und sind damit empfehlenswert."

Der Sonntag gehörte zunächst in Themenblock 4 dem Konzept des agilen Arbeitens, das neue Herausforderungen an die Entwickler von IT-Produkten stellt und jedenfalls zum Teil auch eine Chance ist, Barrierefreiheit von Anfang bis Ende im Entwicklungsprozess zu verankern und so kontinuierlich auf ihn Einfluss zu nehmen. Das bringt zwar erhebliche Herausforderungen für Betroffene im Hinblick auf ihre Flexibilität mit sich, wird aber gleichwohl von Pfingstl als eine Chance zur besseren Verankerung digitaler Barrierefreiheit gesehen.

Vereinsinterna

Danach galt es, eine Leitung der IG zu bestimmen. Die Anwesenden einigten sich auf Bianca Kronhardt aus Bielefeld als IG-Leiterin sowie Dr. Andreas Wagner, Ursula Weber, Martin Falge, Wencke Schönmetzler und Philipp Fischer als weitere Mitglieder des Leitungsteams. Daneben bestand Einigkeit, die kleine Steuerungsgruppe, ergänzt um die Mitglieder des Leitungsteams, weiter als Ideenproduzentin und Informationsplattform bestehen zu lassen.

Workshopauswertung und Ausblick

In der sich anschließenden Auswertung des Workshops wurde deutlich, wie notwendig die Bündelung unserer Erfahrungen auf diesem alle Lebensbereiche erfassenden Gebiet ist, wenngleich für die Teilnehmenden die mit der IT verbundenen beruflichen Herausforderungen eindeutig im Vordergrund standen.

Eine ganze Reihe weiterer Themen drängt sich für die zukünftige Arbeit der IG auf: Zu nennen sind:

  • die Rolle der Schwerbehindertenvertretung bei der Durchsetzung digitaler Barrierefreiheit,
  • Möglichkeiten der Einflussnahme auf Ausschreibungsverfahren
  • Auswirkungen des 2025 Inkrafttretenden Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes, BFSG (zu ihm auch die Resolution der DVBS-Mitgliederversammlung in horus 3/23),
  • denkbarer Einfluss der KI auf digitale Barrierefreiheit,
  • Barrierefreiheit der neuen digitalen Gesundheitsleistungen sowie
  • Folgen einer ausgeweiteten Anwendung von open-source-Software auf unser berufliches Fortkommen,

um nur die derzeit wichtigsten Entwicklungen zu benennen. Man sieht: An für uns relevanten Themen besteht wahrlich kein Mangel.

Mit Erfahrungsaustausch, Solidarität und Ideen sollte es uns auch als kleiner Gruppe von Menschen mit Seheinschränkungen gelingen, unsere Bedürfnisse und Ansprüche an die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von IT-Anwendungen wirksam zu vertreten, auch wenn uns allen die damit verbundenen Schwierigkeiten bewusst sind.

Kontakt

Leitungsteam IG Digitale Barrierefreiheit
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Aus der blista

So modern und notwendig wie vor 70 Jahren

Siebzig Jahre Hörbuchproduktion in den Studios der Deutschen Blinden-Hörbücherei (DBH)

Von Andrea Katemann, Leiterin der DBB

Am 23.02.1954, also vor 70 Jahren, entstand die DBH. Aus heutiger Sicht wirkt es umständlich, Bücher auf Tonbänder zu sprechen und diese dann an blinde und sehbehinderte Menschen zu verschicken. So wurde die damals neueste Technik genutzt, um späterblindeten und kriegsblinden Menschen einen Zugang zu Literatur zu ermöglichen. Technisch klingen die Aufnahmen von damals verrauscht und etwas dumpf - und doch lässt sich die Mühe und die Leidenschaft erahnen, mit der die ersten Werke aufgesprochen wurden. Den Sprecher*innen wurde recht bald die Aufgabe gegeben, mehr mitzuteilen, als sich heute in einem gekauften Hörbuch finden lässt. So wurden, insbesondere in populärwissenschaftlicher oder philosophischer Literatur, Zitate kenntlich gemacht und Grafiken beschrieben. Dieses Vorgehen wird bis heute - mit technisch anderen Möglichkeiten - beibehalten.

Die Hörbücher wurden an blinde und sehbehinderte Menschen ausgeliehen. Verschickt wurden sie in großen Versandboxen. Schon mit der technischen Möglichkeit, Werke auf Tonkassetten zu kopieren, wurden die Versandboxen kleiner und handlicher. Durch das Verschicken der Bücher als CDs passen die Boxen nun wirklich in jeden Briefkasten. Heute sind im Bestand unserer Hörbücherei ca. 70.000 Hörbücher aus sämtlichen Genres und zu aktuellen Themen zu finden. Genutzt werden dürfen die Werke von blinden, seh- und lesebehinderten Menschen, die beispielsweise aufgrund einer körperlichen Behinderung ein Buch nicht halten können, oder aber von Personen, die eine attestierte Lese-Rechtschreibschwäche haben. Ausleih- und abspielbar ist alles über die App "Leselust". Sie ist für iOS und Android Smartphones verfügbar. Auch über die Seite https://katalog.blista.de lassen sich die Bücher nach Registrierung herunterladen und mit jedem gängigen MP3-Player abspielen.

Moderne Möglichkeiten erlauben es heute, die Kommunikation mit den Hörer*innen in vielfältiger Weise zu führen. So freuen wir uns über alle Buchvorschläge, die über Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! an uns geschickt werden. In Online-Veranstaltungen, an denen auch eine telefonische Teilnahme möglich ist, informieren wir regelmäßig über unser Angebot.

Kontakt

Nähere Informationen erhalten Sie gerne unter
katalog.blista.de
oder durch eine Anfrage per Telefon: 06421 606-0 oder E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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Bücher

Linktipp

Von Dr. Imke Troltenier

Taub und Blind. FREI von der Leber.

"Einfach mal reden - FREI von der Leber weg", das ist das Motto des Podcasts von Tobias Josef und Marcell Feldmann. Seit Dezember 2023 sprechen die beiden ca. wöchentlich über ihre eigene Taubblindheit und das Usher-Syndrom. Rund eine Stunde berichten sie von ihrem herausfordernden Alltag, geben mit schönem Witz Anekdoten zum Besten. Das Zuhören lohnt sich, das Themenspektrum ist kreativ und vielfältig. Sie unterhalten sich mit Jürgen Dusel, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, über seine Aufgaben und Möglichkeiten, machen ihre eigene medizinische Reha zum Thema, plaudern mit Anke Engelke über Hörer*innen, berichten vom Musikerleben oder "schnacken einfach mal" mit Fans und Freund*innen.

Ihr Anliegen: "Wir wollen mit anderen betroffenen Menschen sprechen, und wir wollen mit Freunden und Angehörigen, sowie mit Menschen sprechen, die sich mit Taubblindheit beschäftigen. Einfach mal reden über Taubblindheit, Hörsehbehinderung, Usher-Syndrom und den ganz normalen Spaß des Lebens."

Den Podcast gibt es bei Spotify, YouTube, Amazon Music und Apple Podcasts unter den folgenden Links:

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Panorama

Europawahl: Inhalt der Stimmzettel telefonisch und online abrufbar

Am 9. Juni 2024 findet in Deutschland die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Erstmals besteht bundesweit die Möglichkeit, Informationen zu den Inhalten der Stimmzettel barrierefrei auch im Internet und telefonisch zu erhalten.

Dies ist dank eines Pilotprojekts des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) möglich. Das Verfahren wurde bereits erfolgreich bei Wahlen in Nordrhein-Westfalen angewandt.

Wie gewohnt, können blinde und sehbehinderte Menschen mit Hilfe einer Wahlschablone an der Europawahl teilnehmen. Die Wahlschablone kann zusammen mit einer Informations-CD bei den Landesverbänden des DBSV kostenlos angefordert werden. Wer Mitglied eines der DBSV-Landesverbände ist oder als DVBS-Mitglied einen Wohnsitz in Hessen hat, erhält diese Unterlagen automatisch per Post. Bitte denken Sie als Mitglied unbedingt daran, eine eventuelle Adressänderung rechtzeitig mitzuteilen!

Kontakt

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV)
Torsten Resa
Ansprechpartner "Barrierefrei Wählen"
Tel.: 030 285387-281
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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