horus 1/2021
Schwerpunktthema: "Wie wir gesehen werden"

horus titelblatt

Titelfoto: Stoppok. Foto: Tine Acke

Inhalt

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Vorangestellt

Liebe Leserinnen und Leser, liebe DVBS-Mitglieder,

das Jahr 2020 verabschiedete sich ohne große Knalleffekte. Aber die hatte es ja auch schon seit dem Frühjahr reichlich gegeben. Damit einher gingen neue Begriffe. Corona war nun kein Bier mehr, sondern etwas, das bald Epidemie und dann Pandemie genannt wurde. Ein bis dahin auch in der Juristenzunft fast unbekanntes Gesetz, das Infektionsschutzgesetz, bekam reichlich Aufmerksamkeit. Und neue Abkürzungen wie die AHA-Regel baten um Einlass in unseren Wortschatz.

Die Begriffe werden bleiben und ebenso die Erinnerung an ein Jahr, das vieles in unser aller Leben verändert hat und auch das jetzt angebrochene neue Jahrzehnt weiter prägen wird. Aber lamentieren ist nicht Sache des horus und seiner Herausgeber. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Ideen und Aspekten, die diese Zeitschrift weiterhin lesenswert machen. Und da hatten wir uns für Heft 1/21 etwas Besonderes vorgenommen, was ich mir gewissermaßen als Abschiedsgeschenk zu meinem Ausscheiden aus der Redaktion selbst gemacht habe.

Im letzten Jahr hatte ich die Idee, dass die Rubrik "Schwerpunkt" diesmal aus Statements von bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bestehen könnte. Wäre es nicht spannend, sie nach ihren Erfahrungen mit blinden und sehbehinderten Menschen zu fragen? Daraus entwickelte sich das Projekt mit dem Titel "Wie wir gesehen werden", das wir hier vorstellen. Wir haben dazu im September und Oktober 2020 ca. 60 Personen, die ich ziemlich willkürlich ausgesucht habe, mit dem an der Spitze des Schwerpunktes abgedruckten Brief angeschrieben. Natürlich waren die Reaktionen unterschiedlich. Sie reichten von Schweigen über freundliche Absagen bis zu Ankündigungen, sich den Fragen zu stellen. So ist der bunte Mix des vorliegenden Schwerpunktes entstanden. Die Bandbreite der Antwortenden ist groß. Sie reicht von Politikerinnen und Politikern über Künstler und Künstlerinnen bis hin zu vielleicht weniger bekannten Protagonisten. Meist sind bei den Antworten keine Plattitüden, sondern sehr persönliche Erinnerungen und Reflektionen herausgekommen, die das Lesen lohnen. Ganz bewusst haben wir auch Michael Richter, der als blinder Rechtsanwalt viel in der Republik unterwegs ist, um seine Erfahrungen mit dem Thema gebeten, um den Spieß sozusagen einmal umzudrehen.

Einige Personen hatten Schwierigkeiten, unseren Zeitplan einzuhalten, waren aber bereit, später zu antworten. Deshalb hoffe ich, dass nach diesem Schwerpunkt noch einige weitere Artikel zum Thema entstehen werden.

Dies ist, wie schon angedeutet, die letzte Ausgabe des horus, die ich gemeinsam mit den anderen Redaktionsmitgliedern verantworte. In den 10 Jahren, in denen ich das Vergnügen hatte, der Redaktion anzugehören, haben wir die unterschiedlichsten Themen in den Mittelpunkt der Zeitschrift gestellt. Dabei waren die Diskussionen innerhalb der Redaktion stets von gegenseitigem Respekt, viel Sachkunde und Freundschaft geprägt, was die Arbeit für mich zu einem wirklichen Vergnügen gemacht hat. Dafür allen Beteiligten mein herzlicher Dank. Trotzdem ist es, so finde ich, für mich Zeit, den horus nunmehr eher von der Seitenlinie aus zu beobachten, um hier eine Fußballmetapher einzuführen. Aber auch außerhalb der Redaktion werde ich gelegentlich meine Textverarbeitung bemühen, um Ihnen und Euch kleinere Beiträge zu präsentieren, die hoffentlich Interesse finden. Das wird vor allem für die Rubrik "Vorangestellt" gelten, für die ich gern weiter schreiben werde. So werde ich dem horus weiter verbunden bleiben, was ich auch bei Ihnen und Euch ganz stark hoffe.

Das wünscht sich

Ihr und Euer

Uwe Boysen

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Aus der Redaktion

"Das wollte ich schon immer mal vorschlagen!"

Gewöhnlich hebt man in dieser Rubrik kein Redaktionsmitglied hervor, sondern gibt wichtige Hinweise zum nächsten Heft o. ä.. In diesem Heft wollen wir uns herausnehmen, von dieser "Tradition" abzuweichen. Die Idee der vorliegenden horus-Ausgabe nebst ihrer Umsetzung lag beinahe ausschließlich in den routinierten, fleißigen und sich durch Scharfsinn auszeichnenden Händen von Uwe Boysen. Die Redaktion dankt Dir, Uwe, für Deine beinahe zehnjährige intensive Arbeit und oftmals auch für die Moderation der Redaktionssitzungen des horus.

Nun kommen wir zum bedauerlichen Teil dieser Zeilen, in denen wir Deinen Abschied aus der Redaktion verkünden müssen. Vermutlich wird uns erst im Laufe der nächsten Ausgaben bewusst werden, was wir an Dir verloren haben. "Niemals geht man so ganz, irgendwas von Dir bleibt hier", heißt es in einem Lied, mit dem seinerzeit die DVBS-Bezirksgruppe Hessen Dr. Otto Hauck aus seinem Amt des Vereinsvorsitzenden verabschiedet hat, und diese Worte gelten ebenso zu Deinem Abschied aus der Redaktion. Gerne werden wir uns an Deine vielen Wünsche, an noch nicht umgesetzte Ideen oder auch an Sätze wie: "Das wollte ich schon immer mal vorschlagen" erinnern, und es vielleicht schaffen, einige Deiner unendlich oft in die Runde geworfenen Stichpunkte nicht nur aufzugreifen, sondern auch umzusetzen. Manchmal haben wir über deine Vorschläge intensiv und fruchtbar diskutiert, einen Bruchteil deiner kreativen Ideen auch umgesetzt und es sind immer wieder unglaublich gute Werke durch deine Anregungen entstanden. In diesem Sinne freuen wir uns darüber, dass Du mindestens noch weiter für den horus, im Wechsel mit Claus Duncker, das "Vorangestellt", das, wie du uns neulich berichtet hast, deine Idee war, schreiben willst.

Nun soll die alte Gewohnheit wieder aufgegriffen und ein Ausblick auf das nächste Heft gegeben werden. Unser nächstes Schwerpunktthema heißt "Kinder, Kinder". Vielleicht haben auch Sie momentan mit den Kindern und deren Homeschooling zu tun. Eventuell haben Sie Lust, uns etwas darüber mitzuteilen, ob Sie trotz und mit Ihrer Behinderung mit Kindern umgehen. Wünschen Sie sich welche, haben jedoch vielleicht Bedenken? Oder sind Sie Eltern und erleben Situationen mit Kindern, von denen es interessant sein könnte, dass auch andere von ihnen erfahren? Vielleicht arbeiten Sie als Pädagoge mit Kindern, oder Sie werden vielleicht von Ihren Kindern betreut bzw. unterstützt. Über diese und ähnliche Beiträge freuen wir uns sehr. Schicken Sie diese per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Abb.: Herzlichen Dank an Uwe Boysen, der sich mit dieser horus-Ausgabe aus dem Redaktionsteam verabschiedet. Foto: pixabay / ahtree 23 [Eine Hand hält einen weißen Notizzettel mit der Aufschrift DANKE und einem Smily]

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Schwerpunkt: "Wie wir gesehen werden"

"Wie wir gesehen werden" - Ihr Beitrag für unsere Zeitschrift
Unser Ausgangsbrief in Auszügen

Von Uwe Boysen

(...) ich [möchte] Sie um einen Beitrag zu einem Thema bitten, mit dem Sie sich wahrscheinlich noch nicht beschäftigt haben, bzw. beschäftigen mussten.

Was steckt hinter diesem Anliegen? Ich bin blind und war lange Jahre neben meiner Tätigkeit als Richter Vorsitzender des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS). Seit 2011 bin ich darüber hinaus Redaktionsmitglied der Zeitschrift "horus - Marburger Beiträge zur Integration Blinder und Sehbehinderter", die sich mit für uns wichtigen Fragen befasst, gleichzeitig aber auch Aufklärungsarbeit leisten möchte. Das hat mir immer viel Freude bereitet. Gleichwohl ist es nach 10 Jahren Arbeit in der Redaktion und mit meinem Alter von demnächst 73 Jahren Zeit, diese Tätigkeit abzugeben. Zum Schluss meines Redakteurdaseins möchte ich mir aber noch selbst einen Wunsch erfüllen: Ich möchte prominente Menschen - so wie Sie - bitten, uns einen Beitrag unter dem Titel "Wie wir gesehen werden" für den horus 1/2021 zu schreiben.

Was würden wir gern von Ihnen wissen?

Die folgenden Punkte sollen nur eine beispielhafte Anregung darstellen. Selbstverständlich können Sie andere Schwerpunkte setzen:

Haben Sie schon Kontakt zu blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen gehabt? Was ist Ihnen ggf. dabei aufgefallen, was fanden Sie bemerkenswert? Und welche Fragen hätten Sie gerne gestellt, sie aber - aus welchen Gründen auch immer - für sich behalten?

Wie wäre Ihre Reaktion, wenn bei Ihnen plötzlich oder schleichend eine Verschlechterung des Sehsinns eintreten würde? Was würden Sie in Ihrem Leben ändern? Wie glauben Sie, würde Ihr Umfeld reagieren?

Unsere Erfahrungen zeigen, dass Antworten auf die zuletzt gestellte Frage nach dem Verhalten sehender Menschen bei einem möglichen Sehverlust naturgemäß sehr unterschiedlich ausfallen. Sie reichen von "mich erschießen" über andere, hoch emotionale Reaktionen bis zu sehr rationalen, optimistischen Vorgehensweisen. Was auch immer Sie uns antworten, kann ruhig "aus dem Bauch" kommen, muss nicht unbedingt "political correct" sein und stellt natürlich nur eine Momentaufnahme dar. Vielleicht können Sie Ihrer Inspiration ja auch mit einem guten Glas Weißwein weiter auf die Sprünge helfen.

Wenn Sie sich an dieser Aktion beteiligen, würde mich das wahnsinnig freuen.

In der Hoffnung auf Ihre Mitwirkung bei diesem etwas ungewöhnlichen Vorhaben
grüße ich Sie herzlich

Ihr

Uwe Boysen

Bild: Uwe Boysen. Foto: DVBS [Auf dem Portraitfoto trägt Uwe Boysen einen roten Pullover und eine dunkle Brille, seine Haare sind weiß. Das Sonnenlicht wirft gerade Flächen von Licht und Schatten an die Wand, auf Uwe Boysen fällt Licht. Er lächelt.]

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"Menschen mit Behinderungen sind ebenso vielfältig wie Menschen ohne Behinderungen"

Von Ministerpräsidentin Malu Dreyer

Schon als Sozialministerin hatte ich sehr viele Kontakte zu Menschen mit Sehbehinderungen, sei es als Kollegen und Kolleginnen, aber auch als externe Partner und Partnerinnen, als Einzelpersonen oder Vertreter und Vertreterinnen von Gremien und Verbänden. Ich nenne hier nur beispielhaft unseren früheren Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, Ottmar Miles-Paul, oder Vertreter und Vertreterinnen des Landesblinden- und Sehbehindertenverbandes Rheinland-Pfalz. Auch als Ministerpräsidentin pflege ich naturgemäß den Austausch mit Menschen mit Behinderungen und das ist für mich sehr schön, weil es mir wichtige Hinweise gibt, wo Menschen der "Schuh drückt".

Ich finde es schwierig, pauschal zu sagen, was mir an blinden oder sehbehinderten Menschen besonders auffällt. Menschen mit Behinderungen sind ebenso vielfältig wie Menschen ohne Behinderungen. Ich denke jedoch, wir Menschen haben die großartige Fähigkeit, uns auf das, was wir an Talenten und Fertigkeiten, aber auch an vermeintlichen "Defiziten" im Gepäck haben, besonders einzustellen. Ich glaube, Menschen mit Sehbehinderungen müssen sich stärker auf ihre anderen Sinne verlassen und bilden sie daher vielleicht stärker aus, schärfen sie möglicherweise. Sehbehinderte und blinde Menschen müssen besondere Strategien entwickeln, sich im Alltag zurechtzufinden, in der Wohnung, auf der Arbeit, im Straßenverkehr. Das beeindruckt mich sehr. Aber sie haben auch besondere Bedarfe; hier spielt sicherlich das Thema Barrierefreiheit eine wichtige Rolle.

Ich halte aber auch einen anderen Aspekt für wichtig. Es gibt diesen Spruch "Nicht die Behinderung behindert uns, sondern die Umwelt". Und da denkt man zunächst vielleicht in erster Linie an Barrierefreiheit, die ja auch für blinde und sehbehinderte Menschen sehr wichtig ist. Ich denke aber auch an die Diskriminierung, die im Alltag stattfindet und oft sehr unbewusst abläuft. Nehmen wir zum Beispiel Redewendungen wie "an den Rollstuhl gefesselt sein", "an einer geistigen Behinderung leiden" oder "wie ein Blinder von der Farbe reden". Jemand, der nicht behindert ist, wird sich vielleicht gar nichts bei diesen Redewendungen denken. Ein behinderter Mensch wird sich davon möglicherweise aber getroffen fühlen, weil sie ihn als Opfer oder als Unwissenden darstellen. Hier geht es - wie immer bei unserer Sprache - nicht um politische Korrektheit, sondern es geht um eine Haltung und um Sensibilität im Umgang miteinander. Es geht darum, dass echte Zwischenmenschlichkeit nur funktioniert, wenn wir uns in den anderen hineinversetzen und uns vorstellen, wie zum Beispiel solche Redewendungen auf uns wirken würden, wenn wir selbst sehbehindert, gehbehindert oder geistig behindert wären. Es geht aber auch darum, dem anderen mit Interesse und ohne vorgefertigte Meinungen gegenüberzutreten, ohne Mitleid oder den Anspruch, ungefragt zu raten oder zu bevormunden. Sondern indem man ehrlich interessierte Fragen stellt, die die Möglichkeit eröffnen, zu verstehen und - wo gewollt - zu unterstützen. Und es geht darum, jemanden nicht auf seine Behinderung zu reduzieren, sondern in seiner gesamten Persönlichkeit zu betrachten. Nur so funktioniert die Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung auf Augenhöhe, die letztlich auch die Voraussetzung für Selbstbestimmung ist.

Wenn plötzlich oder schleichend eine Verschlechterung des Sehsinns eintreten würde, wäre Eine solche Nachricht natürlich immer und für jeden Menschen zunächst ein Schock! Ich glaube, da muss man gar nicht drum herumreden. Das habe ich selber so mit der Diagnose der MS erlebt. Und ich kann eigentlich nur sagen, wie ich damit umgegangen bin und was für mich der richtige Weg war. Als dieser erste Schock vorbei war, habe ich angefangen, Informationen darüber zu sammeln, was das bedeutet, um zu begreifen, was von meinem bisherigen Leben noch übrigbleibt und wie ich mich darauf einstellen kann. Helfen kann auch, mit Leuten zu sprechen, denen ähnliches passiert ist; die Selbsthilfe ist hier eine sehr gute Adresse. Ganz allmählich beginnt man dann, sich darauf einzustellen, es als Teil seines Lebens zu begreifen und seinen Frieden damit zu machen. Das erleichtert es letztlich auch dem eigenen Umfeld, damit umzugehen. Ich würde es in meinem Fall so beschreiben: von hoch emotional am Anfang bis sehr rational im weiteren Verlauf. Und dann auch positiv und optimistisch, weil ich selbst erfahren habe, dass man mehr bewältigen kann, als man sich das manchmal so vorstellt. Meine Erfahrung ist: Wenn es gelingt, sich von einer solchen Diagnose nicht von seinen Zielen abbringen zu lassen, dann ist das ein großes Glück.

Zur Autorin

Marie-Luise Anna "Malu" Dreyer (SPD), geboren 1961, ist seit 2013 Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Zuvor war sie Staatsanwältin, Bürgermeisterin und Ministerin für Arbeit, Soziales, Familie, Gesundheit und Frauen. Weitere Infos: https://www.malu-dreyer.de.

Bild: Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Foto: © Staatskanzlei Rheinland-Pfalz [Malu Dreyer hat kinnlange, braune Haare und braune Augen. Auf dem Portraitfoto trägt sie zum schwarzen Blazer ein helles, halsfreies Shirt und lächelt.]

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Trügerischer Sehsinn

Von Bodo Wartke

Zwei Situationen sind mir besonders im Gedächtnis geblieben: Im Jahr vor meinem Abitur absolvierte ich ein Praktikum beim Flügel- und Klavierbauer "Steinway & Sons" in Hamburg. Einer der Klavierstimmer dort war von Geburt an blind. Jeden Tag lief er, bei einem der Klavierbau-Azubis untergehakt, schnellen Schrittes von der S-Bahn zum Werk und zurück. Aber auch ohne fremde Hilfe bewegte er sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Gänge und Hallen der Fabrik. Einmal, so erzählte mir der Personalchef, stand ein Flügel mitten im Gang. Der Stimmer wäre fast mit ihm kollidiert, blieb aber rechtzeitig stehen - und ging dann zielsicher drum rum. Vermutlich, weil er anhand des veränderten Nachhalls seiner Schritte im Gang hören konnte, dass etwas seinen Weg versperrte.

Die zweite Situation war nach einer Aufführung meiner Adaption von "König Ödipus", in der ich in meinen eigenen Worten und in Reimform die Tragödie des Ödipus nacherzähle. Dabei schlüpfe ich in vierzehn verschiedene Rollen, u.a. in die des blinden Sehers Teiresias und die der Sphinx. Letztere stelle ich mit einer Löwenhandpuppe dar, alle anderen Rollen lediglich durch Änderung meiner Körperhaltung und Stimmlage oder einer Schirmmütze als Requisit. Nach der Aufführung kam ich im Foyer mit einer blinden Zuschauerin bzw. Zuhörerin ins Gespräch, die mich fragte, ob sie die Löwenhandpuppe mal anfassen dürfe, um sich die Sphinx besser vorstellen zu können. Ich hatte die Puppe dabei und gab sie der Zuschauerin in die Hand. Sie musste kurz auflachen, wie die sehenden Zuschauer*innen es tun, sobald die Sphinx zum ersten Mal auf der Bühne erscheint. Denn ihr sehr niedliches und plüschiges Aussehen steht im starken Kontrast zur tiefen, bedrohlichen Stimme, die ich ihr verleihe. Ich fragte die Zuschauerin, ob sie denn ansonsten der Handlung gut habe folgen können, was sie sofort bejahte. Und ich hatte immer gedacht, man müsse die Figuren zwingend sehen können, um zu verstehen, wer wer ist und was überhaupt passiert. Aber die Zuschauerin meinte, all das sei ihr jederzeit klar gewesen, weil ich die unterschiedlichen Rollen mit meiner veränderten Stimme so gut kenntlich machen würde. Zum Abschluss schenkte sie mir ihren alten Blindenstab, damit ich mich in die Rolle des blinden Sehers Teiresias noch besser einfühlen könne.

Ich glaube, der Verlust meines Gehörs würde mich als Musiker noch deutlich härter treffen als der Verlust meines Sehsinns. Wenn er unter allen Sinnen auch der dominierendste zu sein scheint, so halte ich ihn doch auch für den trügerischsten. Und ich bin immer wieder beeindruckt zu erleben, um wie viel schärfer die anderen Sinne bei denjenigen Menschen ausgeprägt sind, denen der Sehsinn fehlt - wie in den o.g. Beispielen.

Ich finde, eine Behinderung ist erst dann eine, wenn man sie als solche definiert. Mir fehlt etwa von meinem linken Ringfinger, seit ich ihn mir als Achtjähriger in einer Zugtür eingequetscht habe, das letzte Glied. Und trotzdem - oder gerade deswegen? - bin ich Pianist geworden. Zwei Pianisten und Sänger, die ich meinerseits zu meinen großen Vorbildern zähle, sind blind: Ray Charles und Stevie Wonder. Beide sind herausragende Musiker - trotz oder vermutlich eher wegen ihrer Blindheit. Teiresias, der blinde Seher aus "König Ödipus", entpuppt sich als der einzig klar sehende Mensch in der ganzen Tragödie. Hätte man doch von Anfang an auf ihn gehört!

Ich glaube daher, zu erblinden ist vielleicht weniger schlimm, als man zunächst meint. Und mit den technischen Errungenschaften der heutigen Zeit ist ein blindengerechtes Leben vermutlich noch besser und unkomplizierter möglich als zuvor. Was ich an meinem Leben ändern und wie mein Umfeld auf eine Erblindung reagieren würde? Nun, das werden wir sehen ... :-)

Zum Autor

Der vielfach ausgezeichnete Musiker und Schauspieler Bodo Wartke, geboren 1977, pflegt "Klavierkabarett in Reimkultur". Nachdem verschiedene Musiklabels abgelehnt hatten, ihn zu vertreten, gründete er 2005 den Verlag "Reimkultur Musikverlag GbR". Bodo Wartke lebt in Berlin. Weitere Infos: https://www.bodowartke.de.

Bild: Musiker und Schauspieler Bodo Wartke. Foto: Sebastian Niehoff [Bodo Wartke sitzt auf einem dunkelbraunen Ledersofa, die Ellebogen ruhen auf den Oberschenkeln, während er sein Kinn auf die gefalteten Hände stützt und eine Augenbraue hebt. Er hat blaue Augen und eine Brille, seine braunen Haare sind zurückgekämmt. Zum dunkelblauen Anzug mit weißen Streifen trägt er ein dunkelviolettes Hemd.]

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Im Europäischen Parlament ist Diversität selbstverständlicher als in Berlin

Von Dr. Katharina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments

In meiner Jugend und Schulzeit hatte ich keinen Kontakt zu blinden oder sehbehinderten Menschen. Das änderte sich, als ich zum Studium nach Marburg verschickt wurde. Das war mehr oder weniger Zufall, eigentlich hatte ich in meiner Heimatstadt Köln bleiben wollen. Aber im Nachhinein bin ich unendlich dankbar für die Erfahrungen und Beziehungen, die aus dieser Zeit geblieben sind.

Das hat auch mit dem besonderen Stellenwert zu tun, den Menschen mit Behinderung in der Stadt Marburg einnehmen. In meinem Semester war auch ein blinder Student. Ich erinnere mich noch gut, als ich ihn einmal in seiner Wohnung besuchte und der Fernseher lief. Soweit nichts Ungewöhnliches, aber es lief ein Tennismatch. Da habe ich mir von ihm schon etwas ausführlicher erklären lassen, worin der Reiz für einen blinden Menschen an der - mir eher monoton vorkommenden - Geräuschkulisse eines solchen Spiels besteht.

Gleich in den ersten Tagen lernte ich auch eine Kommilitonin im Rollstuhl kennen, die heute noch zu meinen engsten Freundinnen gehört. Sie wohnte in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung mitten in der Altstadt Marburgs, dem Konrad-Biesalski-Haus. Dort verbrachten wir sehr viel Zeit und so entstand eine ganze Clique. Die besten Partys meiner Studi-Zeit haben wir in diesem Haus gefeiert. Unter den BewohnerInnen waren auch blinde und sehbehinderte Studierende. Eine von ihnen steht mir heute noch sehr nah.

Schließlich hatte ich noch einen Kontakt mit einer blinden Studentin, die einen Job ausgeschrieben hatte. Sie suchte jemanden zum Auflesen von Fachtexten für eine juristische Hausarbeit. An diese Zeit erinnere ich mich noch gut, obwohl sie schon über 30 Jahre zurückliegt. Das Thema war ungeheuer kompliziert, es ging um echtes und unechtes Factoring - ich könnte heute gar nicht mehr sagen, was das genau ist. Die aufgelesenen Texte waren entsprechend komplex und sehr lang. Es hat mich unfassbar beeindruckt, wie die Studentin den Überblick behielt und mir dann sagte, wo ein Widerspruch zu einem vorigen Text bestand - nicht nur den Titel und Autor, sondern ziemlich genau die Fundstelle. Sie war von Geburt an blind und hatte sich diese herausragende Fähigkeit angeeignet.

Ganz anders meine andere Freundin, auch Juristin. Sie hat eine degenerierende Augenerkrankung und konnte während des Studiums noch einigermaßen sehen. Wir bekamen uns damals manchmal in die Wolle, weil sie rauchte, obwohl sie wusste, dass das den Abbau ihrer Sehfähigkeit noch beschleunigen würde. Ich konnte das überhaupt nicht nachvollziehen, aber natürlich musste ich ihre Entscheidung respektieren.

Mit ihr habe ich viel später mehrere Reisen nach Italien unternommen. Dabei war immer noch ein dritter Kommilitone, der eindeutig der ernsthafteste von uns war und alles akribisch vorbereitete. Wir kamen deshalb auch in den Genuss weitläufiger kultureller Ausführungen. In den Museen waren wir oft beeindruckt davon, wie viele Modelle für Sehbehinderte dort aufgestellt waren, vor allem architektonische. Und einmal bot uns eine Mitarbeiterin unaufgefordert an, dass meine Freundin eine große Pietà-Skulptur ertasten dürfe. Ich war ganz beeindruckt, als wir über die Absperrung kletterten und sie begann, mit ihren Händen über das Kunstwerk zu fahren. Ich bemühte mich, ihr möglichst genau zu beschreiben, was sie dort gerade tastete. Nachdem wir das Museum verlassen hatten, gestand sie uns, dass ihr so etwas überhaupt nichts bringen würde. Sie erklärte es damit, dass sie ihre Sehfähigkeit erst im Erwachsenenalter vollständig verlor. Jedenfalls konnte sie durch das Tasten keine Bilder in ihrem Kopf erzeugen. Sie war aber - mir oder der Museumsmitarbeiterin gegenüber - so höflich, uns dort in unserem Enthusiasmus nicht zu bremsen.

Insgesamt kann ich sagen: In all meinen Beziehungen zu Menschen mit Behinderungen gab es nie Berührungsängste, über die Behinderungen zu sprechen, sobald ein gewisser Grad an Vertrautheit vorhanden war. Ob das an ihnen, an mir oder der Sozialisierung in Marburg liegt, kann ich schwer sagen. In Marburg waren Tonsignale an den Ampeln, abgesenkte Bürgersteige und Orientierungsmarken für Blindenstöcke normal, schon in den späten achtziger Jahren. Menschen mit Behinderung waren ein bedeutender und selbstverständlicher Teil des Stadtlebens, sie waren sichtbar und überall dabei.

Das gilt natürlich vor allem für Sehbehinderte und Blinde, durch die Blindenstudienanstalt blista (den Namen fand ich immer ziemlich aus der Zeit gefallen, ich weiß gar nicht, ob sie heute noch so heißt). Ich bin sehr dankbar für diese Zeit, die mein späteres Verhältnis zu Menschen mit Behinderung sicher sehr beeinflusst hat. Das Gefühl der Unsicherheit, das viele Menschen im Kontakt haben, geht mir weitgehend ab.

Das habe ich beispielsweise gemerkt, als ich geschäftsführende Ministerin für Arbeit und Soziales wurde und mit der damaligen Beauftragten für Menschen mit Behinderung, Verena Bentele, eng zusammenarbeitete. Ich bin ein großer Biathlon-Fan und damit auch von ihr, die diesen Sport über so viele Jahre mit überragendem Erfolg betrieben hatte. Aber auch bei vielen anderen Begegnungen habe ich, wenn ich mich hinterfrage, den Eindruck, weitestgehend "normal" mit Blinden und Sehbehinderten umzugehen. Ich hoffe, dass das auch dem Empfinden meiner jeweiligen Gegenüber entspricht.

Die Fragen, Wie meine Reaktion wäre, wenn bei mir plötzlich oder schleichend eine Verschlechterung des Sehsinns eintreten würde oder Was ich dann in meinem Leben ändern müsste, sind schwierig zu beantworten. Als ein enger Freund vor wenigen Jahren relativ jung an Parkinson erkrankte, kam in meinem Freundeskreis ein intensives Gespräch darüber auf, wie wir mit eintretenden Behinderungen umgehen, beziehungsweise umgehen würden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist ja nicht gerade gering. Je später im Leben eine solche fundamentale Veränderung eintritt, umso schwerer ist ein konstruktiver Neuanfang. Andererseits wird in jüngeren Jahren so ein Ereignis vielleicht noch stärker als Schicksalsschlag wahrgenommen, was die Akzeptanz der Situation erschwert.

Ich hoffe, auch durch meine Vertrautheit mit sehbehinderten oder blinden Menschen, dass ich die Veränderung annehmen könnte. Das entspricht auch generell meiner Natur, ich neige nicht zum Hadern. Natürlich hätte ich den großen Vorteil, mir Rat und Hilfe holen zu können - gerade von meiner Freundin, die nicht von Geburt an blind war. Und mein Mann ist Profi-Sportcoach, er würde mir mit Sicherheit helfen, sich dieser Herausforderung des Lebens zu stellen.

Eine interessante Frage ist, was das für mein berufliches Umfeld bedeuten würde. Mir fällt kein blinder Spitzenpolitiker ein. Verena Bentele kommt dem nach meiner Kenntnis am nächsten. Aber ihr Bemühen um eine Bundestagskandidatur scheiterte und sie ist nun zwar auch in einer Weise politisch tätig, aber in einem Verband und nicht in einem Parlament. Ich kann mir nicht gut vorstellen, nach dem Verlust meiner Sehfähigkeit weiter als Spitzenpolitikerin tätig zu sein. Aber ich würde es sicher versuchen. Im Europäischen Parlament ist das vielleicht auch eher möglich. Hier ist Diversität, verschieden sein, selbstverständlicher als in Berlin. Und die Medien sind weniger brutal.

Die tägliche Arbeit einer Parlamentarierin erscheint mir auch blind oder sehbehindert zu bewältigen, natürlich mit entsprechender Assistenz und Hilfsmitteln. Schwerer stelle ich mir einen Wahlkampf vor. Das mag für Menschen mit angeborener Sehbehinderung anders sein, aber ich bin nun sehend sozialisiert und könnte diese Eindrücke sicher nicht von heute auf morgen durch andere kompensieren. Und als Politikerin ist es eben existenziell, das Gegenüber einschätzen zu können, Stimmungen wahrzunehmen, nonverbale Reaktionen einzuordnen.

Also würde ich mich beruflich vielleicht anders orientieren. Möglicherweise zurück in meine ursprüngliche Berufswelt, Recht und Justiz. Aber vielleicht auch in eine ganz andere Richtung, Mediation oder Coaching zum Beispiel. Jedenfalls hoffe ich, dass ich mit der Hilfe von Familie und Freunden nach einer Weile die neue Situation bewältigen könnte.

Zur Autorin

Dr. Katarina Barley, geboren 1968, hat Rechtswissenschaften studiert und ist seit 2019 Mitglied und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Im Alter von 26 Jahren trat sie in die SPD ein und war von 2013 bis 2019 Mitglied des Deutschen Bundestages, u. a. als Familien- und Justizministerin. Ihren Podcast und weitere Infos gibt es unter https://katarina-barley.de

Bild: Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Dr. Katarina Barley. Foto: Katarina Barley / www.katarina-barley.de [Portrait einer schmalen Frau mit etwa schulterlangen, braunen Haaren. Sie stützt ihren Unterarm auf ein Geländer im Foyer eines modernen, hellen Gebäudes. Katarina Barley trägt einen dunkelroten Blazer, ein weißes Shirt und eine dunkle Hose sowie eine zierliche Halskette und Ringe am Mittelfinger.]

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Eine Art lässiges "Drüber-Stehen" über dem unbedeutenden Optischen

Von Dota Kehr

In meiner Band spielte für mehrere Jahre ein blinder Pianist - Jonas Hauer. Seit 2007 hat er gelegentliche Gastauftritte bei Konzerten oder Studioaufnahmen gemacht, war dann 2012-2017 fest in der Band, hat vier Alben mit aufgenommen und wohl über zweihundert Konzerte gespielt. Ich und meine anderen zwei Mitmusiker haben seine Entscheidung, 2017 aus der Band auszusteigen, sehr bedauert, konnten sie aber nachvollziehen, weil uns klar war, wie viel anstrengender und nerviger das Touren für ihn war, und dass er auf Tour weniger unabhängig ist als zuhause, weil wir jeden Tag in einer anderen Umgebung waren.

Auch wenn er jetzt nicht mehr fest in der Band ist, spielt er weiterhin als Gastmusiker eine wichtige Rolle und hat auch an dem letzten Album mitgewirkt (einer Platte mit Gedichtvertonungen von Mascha Kalékos Texten, die wir im April 2020 veröffentlicht haben). Seine genialen Arrangementideen, sein gutes Gespür für Sounds und seine Virtuosität sind prägend für unseren Bandklang. Er ist einer der talentiertesten Musiker, die ich kenne.

Die Tatsache, dass er blind ist, hat in unserer Zusammenarbeit einen geringen Einfluss gehabt, natürlich in dem Aspekt, dass ich ihn zu Proben manchmal abgeholt habe. Andererseits hätte ich das wegen des Transports von Equipment auch bei einem sehenden Keyboarder ohne eigenes Auto gemacht. Aber in der eigentlichen Arbeit, dem Proben, Arrangieren, Aufnehmen und Spielen von Konzerten, hat es keine Rolle gespielt. Natürlich habe ich gestaunt, wie schnell und scheinbar mühelos er das Auswählen von Sounds bewerkstelligt, ohne das Display zu sehen.

Ich glaube, ich habe ihm alle Fragen gestellt, die mich bewegt haben. Jedoch bin ich sicher, dass ich trotzdem keine wirklich genaue Vorstellung davon habe, wie es sich anfühlt, nicht zu sehen. Ganz bestimmt ist es eine große Einschränkung, aber im Umgang mit Jonas habe ich immer den Eindruck gehabt, dass es auch eine gewisse Überlegenheit, eine Art lässiges "Drüber-Stehen", über dem unbedeutenden Optischen bedeutet.

Wie ich darauf reagieren würde, selber zu erblinden? Das kann ich nicht genau abschätzen. Natürlich hätte ich Angst. Angst vor der Dunkelheit, die nicht aufhört. Angst vor Stürzen und Unfällen und Betrügern. Und natürlich müsste ich sehr, sehr viel Lernen. Aber meine Arbeit, Lieder zu schreiben und zu singen und Gitarre zu spielen, wäre weiterhin möglich. Und das bedeutet mir ein großes Glück. Musik ist mir sozusagen ein lebensnotwendiges Glück.

Zur Autorin

Die Berliner Songschreiberin und Sängerin Dota Kehr, Jahrgang 1979, veröffentlicht seit 2003 Alben, zunächst unter dem Pseudonym "Kleingeldprinzessin" - eine Anspielung auf ihre Erfahrung als Straßenmusikerin -, nun unter "DOTA", einem die Bandmusiker zusammenfassenden Signet. Sie studierte Medizin und begann früh, die Musik Südamerikas zu lieben. "Kleingeldprinzessin Records" ist ihr eigenes Label. 2019 gab sie ein Konzert beim Louis Braille Festival in Leipzig.

Weitere Infos zu Dota Kehr und Band: https://kleingeldprinzessin.de/, zum Musiker Jonas Hauer siehe http://jonas-hauer.de

Bild: Sängerin Dota Kehr. Foto: Annika Weinthal [Dota Kehr blickt den Betrachtenden ernst und direkt an. Sie hat blaue Augen und lange, braune Haare und trägt Kleidung mit großen, lachsfarbenen Blumen auf dunkelblauem Hintergrund sowie eine zierliche Halskette.]

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Unser großes Ziel ist, die Gesellschaft zusammenzuhalten und allen Menschen gleiche Chancen zu ermöglichen

Von Ministerpräsident Volker Bouffier

In meiner politischen Arbeit begegne ich immer wieder blinden oder sehbehinderten Menschen. Die Integration von Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft ist der Hessischen Landesregierung ein großes Anliegen und wir treiben die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Hessen schon lange engagiert voran. In den vergangenen Jahren haben wir beispielsweise insgesamt 16 Modellregionen mit der Zielsetzung von mehr Inklusion gefördert. Diese greifen die unterschiedlichsten Bereiche der Konvention auf und setzen sie um - zum Beispiel, indem sie Angebote für Menschen mit Sehbehinderung in Museen entwickeln, um ihnen eine Teilhabe am kulturellen Leben zu ermöglichen.

Bemerkenswert finde ich die Fähigkeiten, welche blinde Menschen entwickeln, um ihren Alltag zu bewältigen: Sie verlassen sich stark auf ihr Gedächtnis, ihren Tast- und Gehörsinn. Oft ist ihnen der fehlende Sehsinn zunächst gar nicht anzumerken, das finde ich immer wieder beeindruckend. Was mich interessieren würde: Was haben blinde Menschen zu schätzen gelernt?

Der Verlust der Sehkraft ist sicherlich für jede betroffene Person ein Schock und eine Extremsituation, mit der man lernen muss, umzugehen und die einem viel Kraft abverlangt. Die Angst, den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren, die Frage, wie man den Alltag weiterhin meistern soll und auch einfach die Trauer um die schwindende Sehkraft sind sicherlich Dinge, die mich in einer solchen Situation beschäftigen würden. Ich habe das große Glück, ein stabiles familiäres und soziales Umfeld zu haben sowie Angehörige, die mich auffangen und unterstützen würden.

Des Weiteren würde ich auch weiterhin aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und mich informieren, welche Unterstützungsmöglichkeiten zur Teilhabe es gibt. Erst wenn man wirklich selbst in der Situation ist, kann man ja einschätzen, auf welche Hilfen und Angebote man angewiesen ist. Glücklicherweise hat sich gerade in den vergangenen Jahren vieles im Hinblick auf Inklusion geändert und in vielen Bereichen entwickelt sich die Barrierefreiheit immer weiter. Hervorragendes auf diesem Gebiet leistet zum Beispiel die Deutsche Blindenstudienanstalt e. V. (blista), ein bundesweites Kompetenz-zentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung in Marburg, das verschiedene Schul- und Berufsabschlüsse auf dem inklusiven Bildungscampus anbietet. Auch das "BliZ - Zentrum für sehbehinderte und blinde Studierende" der Technischen Hochschule Mittelhessen setzt sich unter der Führung von Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten beispielhaft dafür ein, Barrieren im Studium abzubauen und blinden und sehbehinderten Studierenden optimale Unterstützung zu bieten.

Die Hessische Landesregierung hat des Weiteren zum Beispiel als erstes Bundesland eine Beauftragte für barrierefreies Internet eingesetzt, um Informationen im Netz für Menschen mit Behinderungen noch besser zugänglich zu machen. Es ist unser großes Ziel, die Gesellschaft zusammenzuhalten und allen Menschen gleiche Chancen zu ermöglichen. Deshalb werden wir uns auch weiterhin dafür einsetzen, blinden und sehbehinderten Menschen Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen.

Zum Autor

Volker Bouffier ist seit 2010 Hessischer Ministerpräsident. Der 1951 geborene Politiker hat Rechtswissenschaften studiert und ist Landesvorsitzender der hessischen CDU sowie stellvertretender Vorsitzender der CDU Deutschlands. Sein erstes Mandat erhielt er 1979 als Stadtverordneter in Gießen. Ein Jahr zuvor hatte er die Zulassung als Rechtsanwalt erhalten, 1984 auch die Zulassung als Notar. Weitere Infos: https://www.volker-bouffier.de

Bild 1: Ministerpräsident Volker Bouffier. Foto: © Hessische Staatskanzlei Tobias Koch [Auf dem Portraifoto trägt Volker Bouffier über dem weißen Hemd ein schwarzes Jackett und eine blaue Krawatte. Er hat graue Haare und blaue Augen und lächelt.]

Bild 2: Andreas Deitmer (li), Stellvertretender Direktor, und Ali Gürler (re), IT-Experte, setzen sich am BliZ Zentrum für sehbehinderte und blinde Studierende der Technischen Hochschule Mittelhessen für den Abbau von Barrieren im Studium ein. Foto: DVBS / Jan Bosch [Die beiden Männer laufen mit Blindenstöcken in einem Büroflur auf den Betrachtenden. Links im Bild ein Rollup des BLITZ]

Bild 3: Hessen hat als erstes Bundesland eine Beauftragte für barrierefreie IT eingesetzt: Prof. Dr. rer. nat. Erdmuthe Meyer zu Bexten. Foto: © HZD [Portraitfoto. Prof. Meyer zu Bexten lächelt. Sie hat hellblonde, kurze Haare und trägt eine Brille.]

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Erleuchtete Augen des Herzens

Von Dr. Margot Käßmann

Meine Großmutter ist im Alter nach und nach erblindet. Sie konnte zuletzt noch grob hell und dunkel unterscheiden. Es fiel ihr schwer, in diesem Sinne behindert zu sein. Ich erinnere mich, dass meine Schwester sie mit Materialien für Erblindete versorgt hat. Aber sie war nicht wirklich glücklich damit. Sie war traurig, uns und die Natur nicht mehr zu sehen, nicht mehr lesen oder Fernsehen schauen zu können. Und sie war zu alt, um noch die Braille-Schrift zu lernen. Aber hören konnte sie noch. Und sie ging gern am Arm anderer in die Natur.

Zudem bin ich in Marburg geboren, acht Jahre zur Schule gegangen und habe drei Semester dort studiert. Die Stadt ist auf Menschen, die blind sind, wahrhaftig eingestellt. Sie gehören zur Normalität im Stadtbild. Und ich habe sie oft bewundert, mit welcher Unerschrockenheit sie mit dem Stock oder dem Blindenhund durch die Stadt gehen. Es war klar: Sie brauchen keine herablassenden Hilfsangebote, es sei denn, sie bitten darum. Blinde oder Erblindete sind nicht die anderen, sondern schlicht Teil der Stadtbevölkerung. Menschen wie du und ich mit Freuden und Ängsten, Liebe und Leid, aber mit einer besonderen zusätzlichen Belastung.

Als bei mir ein Glaukom festgestellt wurde, dachte ich: Wie würde es dir ergehen, wenn du nichts mehr sehen kannst? Es wäre keine Erfahrung, die ich mir wünsche, das ist klar. Aber das Leben wäre für mich dadurch auf keinen Fall nicht mehr lebenswert. Traurig wäre ich sicher auch, weil ich vieles so gern sehe. Aber ich würde das Lachen der Kinder noch hören, könnte mit Menschen sprechen, die ich liebe oder interessant finde. Ich könnte noch spazieren gehen, kommunizieren, dafür wäre ich dankbar.

Und: Ich habe vieles sehen dürfen. Die Natur, die Farben, das einzigartige Grün junger Buchenblätter und das unbeschreibliche Rot eines Sonnenuntergangs. Wüsste ich, dass ich erblinde, würde ich wie die Maus Frederic in der wunderbaren Geschichte von Eric Karle die Farben sammeln. Ich würde mir einprägen, wie rot Rot ist und wie gelb eine Sonnenblume, wie wunderbar der Sonnenuntergang und wie blau der Himmel sein kann. Ich empfinde es als Privileg, all diese Farben schon einmal gesehen zu haben. Würde ich erblinden und andere sagten mir: diese Rose hat ein Gelb, das fast in Orange übergeht, hätte ich eine Vorstellung.

Wäre ich ohne den Sinnesnerv des Sehens geboren, würde ich andere bitten, mir zu beschreiben, was das bedeutet: Grün! Aber ich stelle es mir sehr, sehr schwierig vor, eine Farbe zu imaginieren, ohne je gesehen zu haben. Ich kann Blätter ertasten, Wasser ebenso. Essen kann ich erschmecken, ohne es zu sehen, aber Farben? Wie von Geburt an Blinde sie sich vorstellen, das wüsste ich gern.

Ich habe auch vieles gesehen, was ich lieber gemieden hätte. Elend in den Flüchtlingslagern, Verzweiflung in Gesichtern. Manchmal denke ich, genau das wollen viele Sehende nicht wahrnehmen. Ob Erblindete für die Not anderer empfindsamer sind, frage ich mich. Im Englischen wird "disabled" ja inzwischen als "differently abled" ausgedrückt, mit anderen Gaben also ausgestattet.

Sehen an sich ist ein hohes Gut. Aber es macht nicht den Wert eines Menschen aus. Bei meinen Besuchen bei Partnerkirchen im globalen Süden habe ich Menschen getroffen, die Aufgrund ihrer Erblindung als Kinder verstoßen, als Erwachsene vertrieben wurden. Sie galten als wertlos oder gar als Fluch für die Familie oder den Ort. Wenn sie in einer Schule oder Bildungseinrichtung Wertschätzung erlebten, ein Gefühl für die eigene Würde entwickeln konnten, die Braille-Schrift lesen und schreiben lernten uns so eine Öffnung der Welt erlebten, war das wie eine Befreiung. Die Geschichte von Helen Keller, die als Kleinkind taub und blind wurde, der Bildung und Teilhabe aber so wichtig war und die sich die Welt erschließen konnte gerade durch die Brailleschrift, finde ich eindrücklich.

Mir ist als Christin wichtig, dass Jesus in den Erzählungen der Evangelien immer wieder mit Blindheit konfrontiert war: Mit real blinden Menschen, die um Heilung baten und mit Menschen, die nicht sehen, erkennen wollten, was geschieht. Für Jesus war Krankheit keine Strafe. Er begegnete auch Erkrankten auf Augenhöhe. Es geht darum, dass sich Menschen mit einer Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen fühlen und die ohne Beeinträchtigung ihnen nicht verunsichert begegnen.

Und für diese typisch menschlichen Beziehungsfragen finden sich Beispiele in der Bibel, die zeigen, dass es um Menschheitserfahrungen insgesamt geht.

Die Geschichte von Bartimäus im Markusevangelium erzählt von einem blinden Bettler am Straßenrand. Er bemerkte die Unruhe um sich herum und begriff, dass Jesus auf dem Weg nach Jerusalem vorbei kam. "Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!", schrie er laut, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Offenbar sah Bartimäus in Jesus den verheißenen Messias, von dem die Schriften erzählten, er würde kommen, die Menschen zu erlösen. Deshalb war er überzeugt, dass Jesus ihn heilen könnte.

Die Jünger reagierten so, wie Menschen eben reagieren, wenn jemand nervt: "Du störst! Benimm dich!" Aber Jesus ließ sich von Bartimäus stören. Er wies die Jünger an, ihn durchzulassen, zu holen. In dem Moment geschieht das Wunder: Als Bartimäus von anderen Menschen wahrgenommen wird, erwachsen ihm ungeahnte Kräfte. Er springt auf, wirft seinen Mantel weg und geht zu Jesus. Er wird gesehen und kann wieder sehen. "Geh hin! Dein Glaube hat dir geholfen" (Mk 10,52), sagt Jesus. Der Glaube, sein Vertrauen machte ihn also sehend.

Im Grunde hat Jesus damals alle gemeinsam geheilt: Bartimäus von Krankheit und Einsamkeit, die Umstehenden von ihrem kalten Herzen. Sie alle erfahren, dass in einer lebendigen Gemeinschaft alle Menschen gleichermaßen ihren Platz haben.

Menschen, die mit diesen Bibelerzählungen aufwachsen und für ihr Leben geprägt werden, haben nach meiner Erfahrung keine Berührungsprobleme mit besonderen Bedürfnissen von Menschen. Im Epheserbrief heißt es: "Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens". Das ist eine wunderbare Formulierung, finde ich, denn solche brauchen wir in menschlichen Beziehungen, ganz gleich, ob wir mit Einschränkungen leben müssen oder nicht.

Ich bin dankbar, sehen zu dürfen. Aber ich bin überzeugt, der Lebenswert des Lebens hängt nicht daran.

Zur Autorin

Die Theologin Dr. Margot Käßmann, geboren 1958, war, u. a. als erste Frau in diesem Amt, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages und Bischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. 2009/2010 war sie Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Seit ihrem Ruhestand 2018 ist sie vor allem als Autorin tätig und engagiert sich für soziale Projekte. Weitere Infos: https://margotkaessmann.de

Bild: Theologin Dr. Margot Käßmann. Foto: © Julia Baumgart Photography [Margot Käßmann lächelt. Sie hat dunkelbraune Augen und einen rotbraunen Bubikopf. Zum weißen Shirt trägt sie einen roten Reißverschlussblazer.]

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"Ich war als Kind eine gute Traviata":
Konstantin Wecker im Interview über seine Leidenschaft für Hunde, über Farben und Musik

horus (h): Lieber Konstantin Wecker (KW), erst einmal vielen Dank, dass Sie sich von mir interviewen lassen. Haben Sie denn schon einmal etwas vom horus gehört?

KW: Ich habe vor ein paar Wochen von einem jungen 25-jährigen blinden Dichter, Christoph Kornel, einen Gedichtband mit einem ganz tollen Brief bekommen. Mit dem bin ich jetzt in Mailkontakt und habe ihn anlässlich der Interviewbitte gefragt, ob er den horus kennt, was er natürlich bejaht hat.

h: Damit sind wir ja schon beim Thema. Gibt es bei Ihnen Bilder von Menschen, die nicht sehen können? Sind Ihnen auch früher schon welche begegnet? Ist es der blinde Akkordeonspieler am Bahnhof mit der Mütze, oder wer könnte es sein?

KW: Im privaten Kreis gar nicht. Aber im Laufe der Jahrzehnte sind mir natürlich viele blinde Menschen in meinem Publikum begegnet. Und da habe ich großartige Erlebnisse gehabt. Ich bin auch Pate eines Münchener Blindenhundes, den ich sehr schätze. Einmal wurde ich beim Soundcheck von einem jungen blinden Mann gebeten, während ich spiele, am Flügel stehen zu dürfen, um die Musik auch noch mit seinen Fingern am Flügel zu fühlen. Ich glaube, es gibt kaum ein Konzert, wo nicht auch eine blinde Frau oder ein blinder Mann, meist mit Begleitung oder mit einem Hund, da war. Vorher wurde ich oft angeschrieben, ob es mir recht sei, dass Hunde kommen. Und da stößt man bei mir auf viel Verständnis, denn ich bin ein Hundenarr und hätte am liebsten lauter Hunde in meinen Konzerten. Das gilt besonders für Blindenhunde. Außerdem gibt es ja auch noch die Begleithunde.

Ich glaube, einmal hat ein Haus gesagt, bei ihnen dürften keine Hunde rein. Aber von mir aus gibt es da immer ein ganz offenes Ohr.

h: Ich frage jetzt den Dichter, den Literaten, sind Sie auf Blindheit in der Literatur gestoßen? Verbinden Sie damit ein Erlebnis oder, um pathetisch zu sein, eine Erleuchtung?

KW: Schon als Kind bin ich durch meinen Vater, der Opernsänger war, mit italienischer Oper aufgewachsen. Verdi und Puccini waren meine Helden. Als Sopran habe ich noch die ganzen Frauenpartien gesungen. Also ich war wirklich eine tolle Traviata. Mit der Pubertät begann dann mein Sturz aus dem Paradies. Musik habe ich eigentlich fast immer blind wahrgenommen, auf jeden Fall mit geschlossenen Augen. Ich wollte nicht sehen, wenn ich in die Musik vertieft war.

Im Beethovenjahr habe ich auch so einen Brief an Beethoven geschrieben. sein Violinkonzert -

h: Mein Lieblingskonzert!

KW: - habe ich als Zwölfjähriger im Radio gehört.

h: Ich auch, und zwar als Zehnjähriger zu Weihnachten.

KW: Da war ich allein zu Haus und habe begonnen, die Musik in Farben zu sehen. Erst viel später habe ich erfahren, dass einige Musiker alle Töne in Farben sehen. Das war für mich ein unglaublich prägendes und mystisches Erleben. Das müsste es doch auch bei blinden Menschen geben?

H: Ja, davon habe auch ich schon gehört.

KW: Erst in den letzten Jahren habe ich erfahren, dass es auch Musiker gibt, die sich ihre Noten in Farben notieren. Wenn sie dann auswendig spielen, stellen sie sich nicht die Noten vor, sondern Farben. Mir war immer klar, dass auch wir Sehenden mit Grün, Rot oder anderen Farben völlig unterschiedliche Vorstellungen verbinden. Ich glaube, das gilt letztlich auch für unsere Ideen von Menschen. Im Gegensatz zu meiner Frau könnte ich mir nicht einmal meinen eigenen Sohn mit geschlossenen Augen vorstellen. Ich habe also keine Fotos im Kopf.

H: Jetzt möchte ich Ihnen noch diese andere Frage stellen, die wir in unserer Bitte um einen Artikel angesprochen hatten, nämlich, wie es für Sie wäre, wenn Sie nicht mehr sehen könnten.

KW (nach einer etwas längeren Pause): Ich habe keine Ahnung. Manchmal stellt man sich die Frage, was wärst Du lieber, taub oder blind? Als Musiker habe ich mich logischerweise gegen die Taubheit gewehrt. Aber ich habe keine Ahnung. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Und vielleicht muss man sagen: Ich wollte es mir auch gar nicht vorstellen.

Aber da hat sich in unserer Gesellschaft doch für behinderte Menschen schon viel getan. Ich habe beispielsweise mehrere körperlich schwer behinderte Freunde, und wenn ich überlege - ich bin ab und zu auch in Asien gewesen -, wie sich Menschen in unserem Land bewegen können, dann möchte ich in Bangkok kein Rollstuhlfahrer sein! Diese Vorteile in unserer Gesellschaft gilt es, unbedingt zu bewahren und noch zu steigern.

H: Auch wenn es nicht zu unserem engeren Thema gehört, muss ich doch noch die Klassikerfrage stellen: Was macht und plant Konstantin Wecker gerade?

KW: Für den 24. Dezember (Anm. der Redaktion: Das Interview wurde am 21.12. geführt!) habe ich gerade ein Dankeschönkonzert für die Menschen zum Streamen vorbereitet, die Weihnachten allein sind. Das ist auch für diejenigen, die während der ersten Pandemiezeit so großzügig für meine Musiker, Techniker und sonstigen Begleiter über 60.000 Euro gespendet haben.

H: Wenn Sie noch Fragen haben, dann gern. Aber meine sind ungefähr erschöpft.

KW: Nein, das war ein sehr interessantes Gespräch. jetzt fällt mir aber doch noch eine Frage zur Blindenschrift ein: Ich wurde früher oft gefragt, ob Bücher oder Gedichtbände von mir in Blindenschrift erschienen sind. Ist die Blindenschrift in der heutigen IT-Zeit überhaupt noch ein Thema?

H: Für uns ist das absolut weiter ein Thema. Wenn man sich die Dinge nur noch mit einer Sprachausgabe vorlesen lässt, dann weiß ich z. B. nicht, ob Wecker sich mit "e" oder mit "ä" schreibt. Noch schwieriger wird es bei ungewöhnlichen Fremdsprachen, die möglicherweise von einer Sprachausgabe nicht richtig erfasst werden.

KW: Wenn ich gern hätte, das meine Gedichte in Blindenschrift erscheinen, könnte ich mich dann an einen Blindenschriftverlag wenden?

H: Natürlich. Entsprechende Kommunikationsdaten schicke ich Ihnen gern.

Lieber Konstantin Wecker, für mich, aber sicher auch für unsere Leserinnen und Leser, war das ein sehr interessantes Gespräch. Haben Sie dafür herzlichen Dank!

Das Interview führte Uwe Boysen. Eine Langfassung, bei der Wecker auch über andere Dinge spricht, gibt es demnächst im Podcast des DVBS auf www.podcast.dvbs-online.de.

Zur Person

Der Musiker, Komponist, Schauspieler und Autor Konstantin Alexander Wecker, Jahrgang 1947, zählt zu den bedeutendsten deutschen Liedermachern, die sich, ohne einer Partei anzugehören, politisch engagieren. Einem großen Publikum wurde er in den 1970er Jahren mit dem Album "Genug ist nicht genug" und der Ballade über einen von Rechtsradikalen erschlagenen Freund bekannt. Er arbeitet mit international bekannten Künstlern zusammen und hat mit "Sturm & Klang" ein eigenes Label. Das Weihnachtskonzert 2020 finden Sie auf YouTube. Zu aktuellen Terminen und Projekten siehe https://wecker.de

Bild: Konstantin Wecker, Musiker, Komponist, Schauspieler und Autor. Foto: Thomas Karsten [Portraifoto vor Graffiti-Mauer mit großem roten Farbklecks. Konstantin Wecker trägt ein weißes Hemd und eine graue Schirmmütze. Er hat eine Brille und einen kurzen, grauen Bart und lächelt.]

Weitere Abbildungen: Schattenriss eines Flügels sowie Schattenrisse zweier Hunde. Abb.: pixabay

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"Es gibt so Vieles jenseits des Sehens"

Von Jan Metzger

Es ist eine listige Provokation. Eine, die mich dazu bringt, mich in die Lage von Menschen in einer anderen Lebenssituation hineinzudenken. Wie jede Provokation enthält sie auch eine Zumutung: Der Gedanke, plötzlich blind zu sein, kostet Überwindung - die Belohnung sind neue Gedanken und Empfindungen.

Also: "Wie würden Sie reagieren, wenn sie schleichend oder plötzlich blind würden?"

Furcht:

Mein erster Impuls ist Furcht. Als Augen-Mensch, der seine Mitmenschen und seine Umwelt durch Anschauen und Beobachten wahrnimmt, nervt es mich schon, dass ich altersbedingt über die Jahre immer schlechter sehe. Die Augen werden müder. Der Blick wird trüber. Die Farben verlieren an Leuchtkraft. Aber immerhin: Das intuitive Erfassen von anderen Menschen über ihre Mimik, ihre Gestik, ihre Körperhaltung, ihre Bewegungen funktioniert noch gut. Und ich sehe auch noch die wechselnden Blaus des Meeres, genieße die täglich anderen Farben des Himmels, Wolken und Sonnenuntergänge, das Dutzend verschiedener Grüns im Frühlingswald. All das sind intensive Eindrücke und Erfahrungen, ohne die ich mir mein Leben nicht vorstellen kann. Und doch könnten sie eines Tages verschwinden. Das ist eine furchtbare Vorstellung.

Erfahrung:

Meine erste Erfahrung mit einem (fast) blinden Menschen, der von einem auf den anderen Moment sein Sehvermögen verloren hatte, war vor 45 Jahren mit einem Freund, der in Israel in einen Bombenanschlag geraten war. Wir teilten damals für einige Zeit eine Wohnung in Berlin - und das Projekt war, dass das Leben für ihn weitergeht. Ich glaube nicht, dass ich damals wirklich verstanden habe, was es bedeutet, plötzlich im Dunkeln zu stehen und einen Großteil dessen, was vorher Orientierung bedeutet hat, nicht mehr zur Verfügung zu haben. Ich war beeindruckt, wie er sich nicht unterkriegen ließ: Kein Fernsehen mehr? Dann eben Radio und Audio-Kassetten… Ich vermute, so einfach war es dann doch nicht wirklich. Und ich war genervt, wie man in einer Wohngemeinschaft eben genervt ist, als er zum zweiten Mal unsere Wohnung und die Wohnung unter uns unter Wasser gesetzt hatte, weil er einen rinnenden Wasserhahn nicht erkennen konnte. So einfach war es dann eben doch nicht.

Ich bin dann immer mal wieder blinden Menschen begegnet, meist im Zusammenhang mit meiner Arbeit bei Radio Bremen: Der öffentliche Rundfunk wird von allen finanziert und hat deshalb für alle da zu sein - das gilt auch für Menschen mit Sehbehinderungen. Barrierefreiheit, auch in Bezug auf andere Einschränkungen, ist deshalb auf der DNA unserer Sender. Und ich weiß auch, dass wir - in der zwingenden Abwägung mit anderen Prioritäten - immer zu wenig für Barrierefreiheit tun und das immer zu langsam. Beeindruckt hat mich hier stets, mit welch beharrlicher Geduld die Vertreter von Behindertenverbänden in unseren Aufsichtsgremien und außerhalb von ihnen ihre legitimen Interessen und Ziele verfolgt haben. Sie haben nie den geringsten Zweifel daran gelassen, dass es ihre Aufgabe und auch ihr Recht ist, uns zu größeren Anstrengungen und zu einem besseren Dienst für alle, die mit solchen Einschränkungen leben, anzutreiben. Sie haben dies aber stets so entspannt und freundlich getan, dass es leicht und angenehm war mit ihnen zusammenzuarbeiten. Dafür bin ich immer dankbar gewesen. Ich weiß nicht, ob ich an ihrer Stelle immer so geduldig gewesen wäre. Ich glaube, ich wäre häufiger wütend darüber gewesen, wie langsam unsere Mühlen mahlen und wie unvollkommen das Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe, auf die sie einen Anspruch haben, erreicht ist.

Hoffnung:

Mit unseren damals halbwüchsigen Kindern haben wir mehrmals das Dialogmuseum in Frankfurt besucht und die Führung "Dialog im Dunkeln" gemacht. Da war er, der plötzliche Sehverlust, wenn auch als kontrollierter Selbstversuch und mit sicherer Ausgangstür. Es war eine tiefe Erfahrung für uns alle, uns unserem blinden Guide durch die Räume anzuvertrauen: Wir waren eingeschüchtert vom plötzlichen Kontrollverlust. Er war in dieser Situation ganz klar der Sehende unter uns, denn er "sah" alles, ganz ohne Licht und Farben. Er konnte sich orientieren, wir nicht. Wir waren es, die von einem auf den anderen Moment im Dunkeln standen und unsere Sinnes-Haltung komplett ändern mussten: Die nutzlosen Augen abschalten, die Ohren aufsperren, den Tast-Sinn nutzen, das Riechen aktivieren, die Haut als ein Organ, das Wärme, Kälte, Feuchtigkeit, Trockenheit empfindet, in das innere "Sehen" einbeziehen. Das war die Erfahrung, dass sehen bei weitem nicht alles ist, dass es so viel mehr Möglichkeiten gibt, seine Umwelt zu erfahren.

Das wäre also meine Hoffnung, wenn ich plötzlich blind würde: Dass mir das Gehör hilft, andere Menschen intuitiv zu erfassen. Stimmen und Stimmlagen sagen so viel über die Person und über den Moment. Und als alter Radio-Mann habe ich auch gelernt "Athmo" zu lesen, also den Soundtrack einer Situation bewusst wahrzunehmen. Dass mir der Geruch hilft, zu empfinden, wo ich bin: Die unterschiedlichen Wald-Gerüche, die im Wald anders sind als auf einer Wiese, wo der Frühling anders riecht als der Sommer, der Herbst oder der Winter. Der Geruch des Bodens nach einem warmen Sommer-Regen. Der Geruch von Wasser, das am Meer anders riecht als an einem See. Dass mir der Tastsinn helfen würde, Gegenstände und Menschen zu erfahren oder mich in der räumlichen Welt zu orientieren.

Es gibt so Vieles jenseits des Sehens. Und wenn andere damit klarkommen, dass sie nicht sehen können, warum nicht auch ich?

Zum Schluss eine Frage in die Runde: Vielleicht kennen Sie die Jenny Aaron-Romane von Andreas Pflüger. Der Autor hatte mich gepackt, als er in einer der ersten Szenen die blinde Protagonistin an einem regnerischen Tag in Berlin im Berufsverkehr über eine sechsspurige Straße fliehen lässt. Irgendwie schafft sie das Unmögliche. Es geht dann in den drei Bänden auch sehr viel um Nicht-Sehen und um Sehen. Die plötzlich erblindete Polizistin Aaron jedenfalls hat sich selbst zu einer nicht-sehenden Hochleistungs-Seherin ausgebildet. Sie nimmt schärfer wahr und "sieht" im Ergebnis besser, als alle um sie herum. Und sie gerät in vollkommene Desorientierung als ihr Sehnerv allmählich wieder anfängt zu arbeiten. Ist diese Darstellung der Empfindenswelt einer blinden Person (nach Abzug aller dramatischen Zutaten) lebensnah und überzeugend? Mich haben Pflügers Beschreibungen jedenfalls sehr beeindruckt. Sie verringern die Furcht und sie machen Hoffnung.

Zum Autor

Der Journalist, Coach und Organisationsberater (DGTA) Jan Christoph Metzger, Jahrgang 1956, arbeitete u. a. als Redaktionsleiter des ZDF heute-journals und von 2009 bis 2019 als Intendant von Radio Bremen (ARD). Metzger ist Mitglied bei "Reporter ohne Grenzen" und gehört zu den Unterzeichnern des Offenen Briefs an den Rat der EKD von 2020, einer Initiative zur Rettung der Evangelischen Journalistenschule. Seine Webseite finden Sie unter http://www.janmetzger.de

Bild: Jan Metzger, Journalist und früherer Intendant von Radio Bremen. Foto: privat [Jan Metzger steht am runden Geländer eines hohen Gebäudes und lächelt. Er trägt ein blaues Hemd und ein dunkles Jackett. Jan Metzger hat eine hohe Stirn und sehr kurze Haare sowie eine randlose Brille. Im Hintergrund die Stadt Berlin mit Blick hinunter auf eine breite Allee und den Fernsehturm am Horizont.]

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Unser Land kann es sich nicht leisten, die Talente von Menschen mit Handicap nicht zum Tragen zu bringen

Von Dr. Gregor Gysi, MDdB

In meinem Leben habe ich mehrfach sehbehinderte und blinde Menschen kennengelernt. Zunächst empfand ich Mitleid, was ihnen oft gar nicht gefiel. Sie wollten einfach gleichwertig behandelt werden. Das kann ich gut nachvollziehen. Dann stellte ich aber fest, dass die Menschen bestimmte Organe viel sensibler nutzen und auch das Gehirn dort für eine bessere Qualität sorgt, wenn andere Organe ausfallen. Bei mir war vorrübergehend der rechte Arm gelähmt und plötzlich der linke Arm so stark wie nie zuvor und später nicht wieder. Ich stellte also fest, dass blinde und sehgestörte Menschen besser fühlen, besser hören, einen ganz anderen Sinn für das Erfassen von Gegenständen und das Hören von Musik und Worten entwickeln. Deshalb ist es nicht selten, dass sehbehinderte und blinde Menschen Musik mehr schätzen als andere.

Mir geht es sicher wie den meisten Sehenden - der Verlust dieses Sinnes und ein Leben ohne diese Fähigkeit, meine Umwelt, meine Mitmenschen wahrnehmen zu können, sind für mich zunächst unvorstellbar. Und man kann wohl auch generell einen solchen Verlust nicht einkalkulieren, schiebt die Möglichkeit weit von sich, will sich gar nicht erst damit beschäftigen. Natürlich macht sich trotzdem jede und jeder Gedanken, wie er sein Leben gestaltete, wenn ihm plötzlich die Sehkraft verloren ginge. Ich bin hier aber ein anderer Typ. Ich habe entschieden, darüber nicht nachzudenken, es sei denn, es passiert mir. Vielleicht ist es ein Fehler, so heranzugehen, aber das ist nun einmal meine Herangehensweise.

Umso größer ist meine Hochachtung vor den vielen Menschen, die sich von diesem Handicap nicht unterkriegen lassen und ein erfülltes Leben leben. Und mich ärgert maßlos, wenn die Politik ernsthaft darum feilscht, was an Unterstützung geleistet werden muss, um Menschen mit Handicaps eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Nicht nur weil Solidarität eine Gesellschaft erst menschlich macht und deshalb die Grundwerte täglich gelebt werden müssen. Sondern auch weil es sich unser Land gar nicht leisten kann, die Talente von Menschen mit Handicap nicht zum Tragen zu bringen. So wie das von Uwe Boysen, der als Richter gearbeitet hat. Oder jenes von Lutz Bertram, ein begnadeter Radio-Moderator. Oder die sportlichen und politischen Talente von Weltmeisterin und Paralympics-Siegerin Verena Bentele, die sich als Behindertenbeauftragte der Bundesregierung und VdK-Vorsitzende für Menschen mit Handicaps stark macht.

Am meisten hat mich beeindruckt, wie blinde und sehbehinderte Menschen einen bei der Begegnung mit ihnen ihr Handicap vergessen machen können. Und wie sie dann auch herzlich lachen können, wenn einem im Gespräch die Frage herausrutscht, wie sie dies oder jenes sehen. Ich kann mir vorstellen, dass dies nicht immer so war und man auch immer wieder mit seinem Schicksal hadert, wenn es einem solche Grenzen setzt. Diese Grenze zu überwinden, kostet Kraft und braucht Mut. Ich denke, da kann unsere Gesellschaft, in der doch schnell gejammert wird, wenn es nicht ganz genau nach unseren Vorstellungen läuft, noch einiges lernen mit und von den Menschen, die das tagtäglich tun müssen. Ich zum Beispiel frage mich, wie man es hinbekommt, sich so viel und auch schnell abrufbar merken zu können, wenn man es eben nicht einfach mal schnell nachlesen kann.

Sicher gibt es technische Hilfsmittel, mit denen man einige Nachteile kompensieren kann. Ich nutze ja inzwischen selbst welche, um weiterhin genau hören zu können, was mir im Bundestag aus den hinteren Reihen so zugerufen wird, wenn ich dort spreche. Das meiste kann man zwar ignorieren, aber ab und zu verdient es auch eine gebührende Antwort. Doch auch diesen technischen Hilfsmitteln sind eben Grenzen gesetzt. Trotzdem ist es für mich schlicht unvorstellbar, dass es einen Moment geben könnte, wo man diese Grenze als gegeben hinnehmen müsste.

Mitunter wird in Filmen oder Büchern die Frage gestellt, auf welchen der Sinne man am ehesten verzichten könnte. Ich glaube, das ist keine Auswahl, die man ernsthaft treffen kann. Ein fehlender Geschmacks- und Geruchssinn beeinträchtigen das Alltagsleben scheinbar weniger als anderes. Aber gerade die Symptome der Covid-19-Erkrankung machen vielen deutlich, wie sehr auch dieser Sinn das Leben lebenswert macht. Überhaupt zeigen die Corona-Pandemie wie auch die Folgen des Klimawandels, wie verletzlich die Gattung Mensch ist und dass die Hoffnung oder gar das Streben danach, die Natur zu beherrschen, Folgen haben kann, die den menschlichen Anspruch dabei in sein Gegenteil verkehren.

"Blind sein" wird in unserer Sprache häufig dafür verwendet, um Menschen zu bezeichnen, die das Offensichtliche nicht erkennen. Vielleicht sollten wir den Gedanken zulassen und entsprechend handeln, dass "Blind sein" viel eher "anders und anderes sehen" bedeutet. Damit würden wir nicht nur den etwa 650.000 Menschen gerecht, die in unserem Land blind oder sehbehindert sind, sondern unseren eigenen Horizont ein wenig öffnen für eine Dimension des Sehens, die eben nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Sehende und Nicht-Sehende können und sollten voneinander lernen.

Zum Autor

Den Politiker und Juristen Gregor Florian Gysi, geboren 1948, zeichnet neben seinem politischen Engagement die Gabe aus, ein begnadeter Redner zu sein. In der DDR arbeitete er ab 1971 als einer der wenigen freien Rechtsanwälte. 1990 war er als PDS-Fraktionsvorsitzender Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR, ab Oktober Mitglied des Deutschen Bundestages. Zu weiteren politischen Stationen gehören seine Tätigkeiten als Wirtschaftssenator in Berlin (2002), Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag (2005-2015) und Präsident der Europäischen Linken (2016-2019) (www.gregorgysi.de)

Bild: MdB Dr. Gregor Gysi, Politiker und Jurist. Foto: Die LINKE im Bundestag [Auf dem Portraitfoto mit weißem Hintergrund trägt Gregor Gysi ein dunkles Jackett, weißes Hemd und eine rote Krawatte mit dunklen Streifen. Er hat braune Augen, eine Nickelbrille und einen kurz geschnittenen Haarkranz.]

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"Musik bekommt eine enorme Kraft und Intensität"

Von Stoppok

So richtig engen Kontakt hatte ich bisher noch nicht zu blinden und sehbehinderten Menschen, also keinen in meinem direkten persönlichen Umfeld. Aber bei meinen Konzerten treffe ich immer wieder blinde Menschen und oft haben sich schon wunderbare Gespräche danach entwickelt. Man redet natürlich ganz anders über ein Konzert, wenn man den visuellen Aspekt außen vor lässt. Das ist definitiv ein Vorteil, auch wenn er natürlich das Manko nicht ausgleichen kann, aber die Musik bekommt eine enorme Kraft und Intensität. Dabei fällt mir auch auf, dass ich von sehr vielen blinden Musikern beeinflusst wurde und schon von Klein an diese spezielle Gabe, die Töne anders zu fühlen und hörbar zu machen, bewundert habe. José Feliciano, Stevie Wonder, Blind Lemon Jefferson, The Blind Boys Of Alabama, um nur einige zu nennen. Ich stelle mir aber gerade vor, dass dieses intensive Hörempfinden heutzutage auch eine Qual sein kann. Überall wird man mit akustischem Müll beballert, der sich in die Gehörgänge reinbohrt und intensives Zuhören quasi unmöglich macht. Ein zusätzliches Dilemma. Das wäre eine Diskussion für sich, ob es besser ist, nur schlechte Sachen zu hören, oder dabei auch noch visuellem Müll ausgesetzt zu sein.

Wie ich reagieren würde, wenn bei mir plötzlich oder schleichend eine Verschlechterung des Sehsinns eintreten würde, ist wirklich schwer zu beantworten. Zum Glück bin ich ja Musiker und hätte die schon erwähnten Vorteile, dass ich mich noch viel intensiver mit meiner Musik beschäftigen könnte. Dabei würden natürlich all die praktischen Sachen, die ich sehr gerne in Verbindung mit der Musik mache, wegfallen; angefangen vom Autofahren, bis hin zu all den technischen Beschäftigungen im Studio. Allein die Aufnahmegeräte zu bedienen, wäre dann nicht mehr möglich. Ich würde mich dann ganz und gar an meinen Instrumenten orientieren. All das wäre natürlich nur möglich, wenn meine Familie weiter helfend an meiner Seite wäre, wovon ich in jedem Fall ausgehe. Ein wiederum positiver Aspekt wäre, dass ich mit meiner Frau nicht mehr über geschmackliche Sachen, was Kleidung oder Wohnungseinrichtung anbelangt, diskutieren müsste. An dieser flapsigen Aussage merkt man schon, dass ich mich nur bedingt in so eine Situation reindenken kann.

Zum Autor

Stoppok, Jahrgang 1956, gründete 1982 die gleichnamige Band und 2000 gemeinsam mit anderen Musikern die Platten- und Verlagsfirma "La-La-Land". Die teils satirischen, teils nachdenklichen Songtexte trägt er mit lässig anmutender Stimme und eigener Gitarrenbegleitung vor. Für Uwe Boysen sind einige seiner besten Lieder "Dumpf dröhnt es aus dem Beton", "Learning By Burning", "Wenn ich an der Wupper schnupper" und "Wetterprophet". Weitere Infos: http://www.stoppok.com

Bild: Stefan Stoppok, Musiker. Foto: Tine Acke [Stoppok lächelt. Er hat eine getönte Brille, dunkle Augen und einen Dreitagevollbart. Über seinem schwarzen Shirt trägt er ein dunkles Jackett, dessen braun-gelb-blaue Muster an ovale Augen mit blauen Iriskreisen erinnern. Der Männerschmuck besteht aus Halskette und Ohrring. Portraitfoto vor türkiser Wandtapete mit blühenden Mandelzweigen.]

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"Geht das? Und wie!"

Von Hans-Ernst Böttcher

Als Kind habe ich in Kiel jeden Sonntag die blinde Organistin der Jakobigemeinde im Kindergottesdienst erlebt. Frau Marquard hat mich sehr beeindruckt. Schon musikalisch. Aber auch dadurch, wie sie sich immer aufrecht und würdevoll auf die Empore zu ihrem Instrument führen ließ oder auch in den Mittelgang, um ein Lied mit uns einzuüben und zu dirigieren. Wie selbstverständlich. Wie schafft sie das, mit den Noten, mit dem Üben, mit dem Auswendiglernen, mit der Mitwirkung "aus der Ferne" in der Liturgie? Die gleiche Selbstverständlichkeit, mit der sie die Frage praktisch, nicht durch Worte beantwortete, habe ich kürzlich bei der blinden Sopranistin Gerlinde Sämann als Solistin in einem großen kirchenmusikalischen Werk wieder erlebt. Auch sie ließ sich an ihren Platz als Solistin vor dem Orchester führen, und ich sah dann, wie sie sich mit dem Dirigenten verstand, auch ohne dass sie seine Gesten sah. Ob ihr Einsatz wohl zehntelsekundengenau exakt kommen würde, habe ich zunächst gezittert. Ich, nicht sie.

Zurück zur Nachkriegszeit: Da gab es noch die vielen Kriegsblinden. Ich erinnere mich an viele gelbe Armbinden mit schwarzen Punkten im Straßenbild. Das war mit "Mitleid" assoziiert und hat wohl mein Bild der Blinden und das Verhältnis zu ihnen lange geprägt.

Später, nach dem juristischen Studium, in meiner ersten praktischen Ausbildungs-Station als Gerichtsreferendar am Amtsgericht Gettorf bei Kiel traf ich als Mitreferendar meinen jetzigen langjährigen Freund Uwe Boysen. Natürlich habe ich als erstes auch gedacht: Geht das? Und wie es ging! Von ihm habe ich unendlich viel gelernt. Dass Blinde die meisten Verrichtungen des Lebens und auch in der Profession - natürlich nach Training, wie ja jeder andere auch - mit Selbstverständlichkeit beherrschen und dass da die angebotene "Hilfe" oft eher eine (und sei sie noch so ungewollt) Diskriminierung ist. Dass es manchmal wichtig ist zu fragen: Geht das so, oder kann oder muss ich helfen? Und wenn ja, was und wie? Auch das läuft dann später wie von selbst. Und ist, wie ich bestätigt bekam, gelegentlich wirklich eine Hilfe und geht nicht auf die Nerven.

In Bremen dann, wo wir uns als Kollegen wieder getroffen haben, hat ein anderer blinder Jurist, der Richter am Arbeitsgericht Dr. Joachim Steinbrück, die ideale Form der zugleich selbstorganisierten und professionalisierten Hilfe in Selbsthilfe gefunden: als Landesbehindertenbeauftragter.

Was wäre, wenn ich selbst erblindete?

Die Frage brauchte mir nicht erst die Redaktion dieser Zeitschrift zu stellen. Ich habe sie mir so manches Mal schon selbst gestellt, vor allem einmal in Zusammenhang mit einer urplötzlichen schweren Augenerkrankung. Auch wenn damals mit einer eiligen Operation alles sofort wieder gut wurde: mit dem Alter stelle ich mir die Frage umso häufiger.

Die Antwort: Es wäre eine Katastrophe. Ich habe mich so manches Mal gefragt, ob ich dann so weiterleben wollte; ob ich die Selbstdisziplin, das Selbstvertrauen und die permanente Hoffnung und den Lebenswillen aufbrächte, die notwendig sind, um das Leben im Dunkeln nicht nur zu ertragen, sondern mit Freude und aktiv zu führen. Ich glaube, das Problem liegt vor allem im Psychischen und es hat schon Tage gegeben, an denen die (glücklicherweise nur für den hypothetischen Fall gegebene) Antwort war: Nein, das möchte ich nicht.

Glücklicherweise geben mir die erlebten Personen und gibt mir auch die Bitte der Redaktion des "horus" die Hoffnung, ich möchte mir "im Falle eines Falles" wünschen, mein Leben auch dann gern zu führen und zu meistern, so wie sie ihres.

Zum Autor

Hans-Ernst Böttcher, geboren 1944, ist Jurist. Ab 1974 arbeitete er als Richter in Bremen. Ab 1982 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht. Später betreute er beim Bremischen Finanzsenator die - erfolgreiche - Klage Bremens gegen den Länderfinanzausgleich. Von 1991 bis 2009 war er bis zu seiner Pensionierung Präsident des Landgerichts Lübeck. Von Böttcher stammen zahlreiche Aufsätze, häufig zur juristischen Zeitgeschichte und zur Unabhängigkeit der Richterschaft.

Abb: Landgerichtspräsident i. R. Hans-Ernst Böttcher. Foto: privat [Hans-Ernst Böttcher blickt den Betrachtenden offen an. Er hat kurze graue Haare und dunkle Augen. Seine Brille hat er nach oben Richtung Haarkranz geschoben. Im Hintergrund Bistromöbel und Fachwerkhäuser der Altstadt in Conques (Frankreich)]

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Wie sie uns sehen

Von Dr. Jens Bisky

Die Frage, wie ich Blinde und Sehschwache sehe, bringt mich in Verlegenheit, weil ich darüber noch nie gründlicher nachgedacht habe. Es fehlt mir an Wissen und Erfahrungen, ich kann nur Erinnerungen anbieten und Analogieschlüsse.

Dem Zehnjährigen, der ich war, schien Blindsein wie eine andere Welt. Es gab sie, aber ich konnte sie mir nicht vorstellen. Obwohl auch ich wie meine Spielkameraden ab und an die Augen schloss und versuchte, mich dennoch wie gewohnt zu bewegen, war mir klar, dass ich auf diese Weise die andere Welt nicht verstehen würde. Da war eine Grenze, die sich nicht überschreiten ließ. Man konnte als Sehender weder wissen noch fühlen, wie es ist, nichts zu sehen. Doch war ich davon überzeugt, dass Blinde außerordentliche Fähigkeiten besaßen: Sie nahmen wahr, was mir entging, sie lasen mit den Fingern, merkten sich fast alles. Weil sie nicht so abgelenkt waren, sahen sie im übertragenen Sinne mehr.

Dass ich so über Blinde dachte, so ungenau und romantisierend, hing mit einer alten Taschenuhr, meiner Mutter und einem Buch zusammen. Die Uhr hatten die Eltern bei einem Trödler gekauft. Klappte man den silbern schimmernden Deckel auf, blickte man auf ein kupfernes Ziffernblatt ohne die Ziffern, die ich gerade gelernt hatte. Wo auf meiner Kinderuhr die 12 und die 6, die 3 und die 9 standen, hatte die alte Taschenuhr erhöhte Punkte, drei kleine Knubbel markierten den großen Zeiger.

Warum meine Eltern diese Uhr kauften, weiß ich nicht. Vielleicht gefiel sie ihnen einfach, vielleicht wollten sie unter den vielen neuen Gegenständen in der Wohnung auch etwas Älteres haben. Schön war die Uhr, sie stammte aus fernen Zeiten und einer mir fernen Welt. Ich kannte niemanden, der sehr schlecht sah oder blind war, nur wenige Mitschüler und einige Verwandte trugen Brillen. Wenn ich aus der Schule kam und aufgeregt berichtete, dass etwa meine Mitschülerin Ulrike "Brillenschlange" und "Blindschleiche" gerufen wurde, schaute Mutter sehr streng und abweisend. Das gehörte sich nicht, wer so etwas tat, verhielt sich unmöglich. Von ihren Söhnen erwartete sie, solchen Beschimpfungen entgegenzutreten.

Wir sollten freundlich sein zu allen, denen misstrauen, die sich für etwas Besseres, die sich für überlegen hielten und andere herabsetzten. Und wir hätten gefälligst zu helfen, wenn es möglich war. Dann erzählte sie, was Blinde alles konnten und dass jene, die schon über so etwas nützliches und notwendiges wie Brillen spotteten, doch wohl außergewöhnlich dumm sein müssten.

Damals lieh ich aus der Kinderbibliothek Ludwig Renns "Herniu und der blinde Asni" aus, eine Geschichte über den Kampf der Germanen gegen die Römer. Heute würde ich das Buch, das im historischen Gewand Gesinnungsertüchtigung betrieb, wahrscheinlich mit großem Unwillen lesen. Damals befriedigte es meine Sehnsüchte nach Abenteuer und Heldentum. Asni, von den Römern geblendet, zieht als Sänger, als eine Art germanischer Homer, durch die Lande und organisiert den Befreiungskampf. Ihn begleitet, ihm hilft Herniu, der dann auch die Schlacht im Teuteburger Wald miterlebt.

Diese allgemeinen Vorstellungen, die ich von Blinden und Sehschwachen hatte, wurden lange durch keine Begegnung, keine Wirklichkeit herausgefordert. Es gab keinen Anlass, sich mit dem Thema näher zu beschäftigen. Die Familie zog von Leipzig nach Ost-Berlin, ich ging auf die Erweiterte Oberschule und hatte genug zu tun, mir auf die Welt zwischen Plattenbaugroßsiedlung und Prenzlauer Berg, zwischen offiziellem Sprechen und privatem Unmut einen Reim zu machen, meinen Weg durch die Pubertät zu finden und mir darüber klar zu werden, wer ich sein wollte. Eines Tages kam der Vater einer stillen, sympathischen, oft in sich zurückgezogenen Mitschülerin in unsere Klasse und erzählte von seiner Arbeit als Slawist und seinem Engagement für die Blinden und Sehschwachen in der DDR. Gegen den Sozialismus sagte er naturgemäß nichts, aber dass denen, die nichts oder fast nichts sahen, das Leben viel mehr erleichtert werden könnte, wenn man denn nur wollte, daran ließ er keinen Zweifel. Ich hatte gerade ein Praktikum in einer Klinik für behinderte Kinder absolviert und auch dort erlebt, dass jene, die nicht der leistungs- und gesundheitsideologischen Norm entsprachen, es schwer hatten, an den Rand gedrängt wurden, obwohl doch der Sozialismus, so wie ich ihn damals verstand, allen Solidarität versprach, die Hilfe des Staates sowie ein Dasein ohne Not und Bitterkeit. Der Gegensatz zwischen den immer wieder verkündeten Idealen und der Wirklichkeit hat mich lange umgetrieben. Die Ausrede, dass der Sozialismus erst stärker und noch erfolgreicher werden müsse, bis er auch diese Probleme lösen könne, überzeugte immer weniger. Mich verstörte vor allem, dass in der pädagogischen Diktatur der DDR zwar viele Lebensbereiche streng reglementiert waren und viel Energie auf die Erziehung zu konformem Verhalten verschwendet wurde, aber nur selten über Ignoranz und Rohheit im Umgang mit allen, die anders waren, gesprochen wurde. Jahrzehnte später las ich eine kleine Meldung, dass jener Vater, der uns damals vom Leben der Blinden und Sehschwachen erzählt hatte, das Bundesverdienstkreuz erhielt.

Eines Tages dann lag ich, der ich doch stolz auf scharfe Augen war, selber beim Augenarzt auf dem OP-Tisch. Der Graue Star konnte erfolgreich operiert werden. Ich trage jetzt eine Brille, habe manchmal Schwierigkeiten mit dem räumlichen Sehen, aber ich sehe immer noch sehr viel besser als der nette Nachbar, ein freundlicher, älterer Herr. An ihn habe ich denken müssen, als ich mir vor der OP kurz ausmalte, wie es sein würde, wenn mir nicht geholfen werden könnte, wenn ich bald blind oder doch fast blind wäre. Er kommt, soweit ich das einschätzen kann, gut durchs Leben, strahlt Freude aus und wirkt zugewandt, anders als das Klischee von den Berlinern es besagt. Ich misstraue der Frage, wie einer sich in einer grundsätzlich neuen oder in einer extremen Situation verhalten würde. Oder genauer: ich misstraue den Antworten auf solche Fragen. Bei Freunden, die plötzlich mit einer Krebsdiagnose zurechtkommen mussten, habe ich erlebt, dass vieles, was sie vorher über ihr Verhalten im Fall einer solchen Diagnose gesagt hatten, nun nicht mehr galt. Dass vieles eben, wie nicht anders zu erwarten, nur so dahin gesagt war. Und so dachte ich, bevor ich zur OP ging, es wäre selbstredend nicht gut, würde ich jetzt oder in naher Zukunft erblinden. Es würde mein berufliches und privates Leben auf den Kopf stellen, aber ich würde einen Weg finden und das große persönliche Problem klein arbeiten. Das ginge freilich nur, wenn ich auf ein gutes Gesundheitssystem, auf einen starken Sozialstaat, eine solidarische Gesellschaft und auf die Hilfe meiner Freundinnen und Freunde vertrauen könnte. Aber all das, dachte ich dann auf dem Weg in die Augenklinik, brauche ich doch jetzt schon.

Zum Autor

Der Journalist und promovierte Literaturwissenschaftler Jens Bisky, geboren 1966 in Leipzig, war Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Seit 2021 arbeitet er am Hamburger Institut für Sozialforschung als Redakteur der Zeitschrift "Mittelweg 36" und des Internetportals "Soziopolis". 2007 erschien seine Kleist-Biographie im Verlag Rowohlt Berlin und zuletzt "Berlin. Biographie einer großen Stadt" (2019)".

Bild: Dr. Jens Bisky. Journalist und Literaturwissenschaftler. Foto: Bernhardt Link, Farbtonwerk [Jens Bisky lehnt mit verschränkten Armen an einem Wandvorsprung und lächelt. Seine hellgrauen Augen blicken offen, den grauen Haarkranz trägt er kurz geschnitten. Zum dunklen Sakko hat er ein Businesshemd mit weiß-violett Längsstreifen gewählt.]

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Es ist wichtig, dass sich Menschen mit Behinderungen nicht ins Private zurückziehen

Von Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil, MdB

Als Bundessozialminister habe ich bei Terminen und Veranstaltungen immer wieder Kontakt zu Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, darunter auch Menschen mit Sehbehinderungen. Zudem stehe ich in engem Austausch mit Jürgen Dusel, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, der ebenfalls sehbehindert und für mich ein wichtiger Rat- und Impulsgeber ist.

Geprägt haben mich aber vor allem die Begegnungen, die ich als junger Mann während meines Zivildienstes beim Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Johanniter-Unfallhilfe hatte. Dort habe ich unter anderem Menschen mit starker Sehbehinderung geholfen. Mir ist damals sehr bewusst geworden, vor welchen Herausforderungen diese Menschen im Leben stehen.

Viele Tätigkeiten des Alltags, wie etwa Einkaufen gehen, sind für Menschen mit hochgradiger Sehbehinderung bzw. blinde Menschen ein logistischer Kraftakt. Ich habe großen Respekt vor der Beharrlichkeit, die sie tagtäglich aufbringen. Viele Menschen mit starker Sehbehinderung sind wahre Improvisationskünstler. Das ist einerseits zwar sehr bewundernswert, zeigt aber auch, dass wir in Sachen Barrierefreiheit noch längst nicht am Ziel sind. Die Barrierefreiheit wird eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre, auch vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft.

Ganz besonders wichtig ist mir, dass wir bei der Arbeitsmarktintegration vorankommen. Ziel muss es sein, dass Menschen mit Sehbehinderung ihre beruflichen Talente besser ausschöpfen können, als das bisher der Fall ist. Mit der Digitalisierung sind hier neue Möglichkeiten entstanden, ich denke beispielsweise an sprachgesteuerte Assistenzsysteme und die barrierefreie Gestaltung von Webseiten.

Die Frage nach meiner Reaktion, wenn bei mir plötzlich oder schleichend eine Verschlechterung des Sehsinns eintreten würde, ist sehr schwer zu beantworten. Natürlich wäre das für mich eine riesige Umstellung. Ich müsste meinen Alltag und viele Gewohnheiten komplett ändern. Schlimm wäre es für mich, meine Kinder nicht mehr sehen zu können. An manch andere Dinge könnte ich mich vermutlich etwas schneller gewöhnen. Zum Beispiel daran, dass ich mir Mails vorlesen lasse, anstatt durch den Posteingang zu scrollen.

Ich würde sicherlich versuchen, mein bisheriges Leben so gut es geht weiterzuführen. Und ich habe keinen Zweifel, dass mich mein Umfeld dabei unterstützen würde. Es ist wichtig, dass sich Menschen mit Behinderungen nicht ins Private zurückziehen. Sondern, dass sie mittendrin sind im gesellschaftlichen Leben - und auch in Führungspositionen vertreten sind. Die Inklusion lebt von guten Beispielen, die Mut machen.

Zum Autor

Hubertus Heil, geboren 1972, ist seit März 2018 Bundesminister für Arbeit und Soziales. Er wurde 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages und ist seit 2011 im SPD-Parteivorstand. Heil hat Politikwissenschaft und Soziologie in Potsdam studiert und an der Fernuniversität Hagen abgeschlossen. Weitere Infos: https://www.hubertus-heil.de

Bild: Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales. Foto: © BMAS / Dominik Butzmann [Portraitfoto im Außenbereich. Hubertus Heil trägt ein dunkles Jackett und ein weißes Hemd mit offenem Kragen. Er hat kräftige dunkle Haare und dunkle Augen und lächelt.]

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Phänomen oder Pflegefall

Von Dr. Michael Richter

Die sehr allgemein gehaltene Frage im Titel dieses Artikels nach der Wahrnehmung von blinden und sehbehinderten Menschen durch die Öffentlichkeit ist natürlich extrem komplex und kann deswegen im Einzelfall nur zu falschen Analysen führen. Möglich ist allenfalls zu beschreiben, welche Reaktionen ich oder meine sehbehinderten oder blinden Bekannten hervorrufen. Auch das sind Natürlich keine harten Fakten, sondern allenfalls die Wahrnehmung von Mustern, die ich meine, feststellen zu können. Wenn ich also davon spreche, wie ich z.B. in meiner Berufswelt als Anwalt und Geschäftsführer der rbm (Rechte behinderter Menschen) Reaktionen meiner Umwelt wahrnehme, dann muss ich berücksichtigen, dass jede Reaktion DAS Ergebnis einer Aktion ist, d.h. letztlich steht die Frage im Raum, wie verhalte ich mich und wie reagiert die Umwelt. Das ist interessanter als die Frage nach den bloßen Verhaltens- und Wahrnehmungschemata der "nichtbehinderten Umwelt", denn diese These beinhaltet die Erkenntnis, dass ich Reaktionen durch mein Auftreten und Handeln beeinflussen kann, also als blinder Mensch schlichtweg kein bloßes Opfer bin, sondern das Zeug zum "Täter" habe. Ab dieser Erkenntnis macht mir dieser Artikel auch viel mehr Spaß und ich kann von meinen "taschenspielerpsychologischen" Erkenntnissen berichten.

Ich meine, durch meine Wahrnehmung relativ sicher sagen zu können, dass die "nichtbehinderte Umwelt" trotz aller Diskussionen um Inklusion und Diversity in den letzten Jahren im Kern immer noch von einem defizitorientierten Erwartungshorizont im Kontakt mit behinderten Menschen oder mit anderen Worten, von Vorurteilen, geprägt ist. Wie sollte es auch anders sein, denn was wissen durchschnittliche, "nichtbehinderte" Menschen denn schon von Handlungsstrategien, z.B. über LPF (Lebenspraktische Fähigkeiten), Hilfsmitteln oder Mobilitätstraining. Andererseits stellen aber auch diese "Durchschnittsmenschen" im Laufe ihres Lebens fest, dass manche behinderte Menschen für sie völlig unerreichbare Ziele erreichen. Ihnen dämmert also die Erkenntnis, dass es Ausnahmen von dem zunächst defizitorientierten Erwartungshorizont geben muss - und schon sind wir bei der Überschrift "Phänomen oder Pflegefall".

Behinderte Menschen, die nicht der defizitorientierten Erwartung entsprechen, kommen sehr schnell in die Schublade "Phänomen", die Anderen in die Kategorie "Pflegefall". Diese nachvollziehbaren Unterscheidungen sind aber selbstverständlich schlichtweg falsch und auch ungerecht, denn die Verteilung von Talenten und Kompetenzen entspricht auch bei blinden und sehbehinderten Menschen der "statistischen Normalverteilung". Wichtig ist diese Erkenntnis, weil man damit sein eigenes Verhalten als blinder oder sehbehinderter Mensch daraufhin nun wiederum selbst abstimmen kann, es bestenfalls in die Kategorie Phänomen schafft und einem dann sogar Kompetenzen zugeschrieben werden, über die man vielleicht gar nicht oder nur teilweise verfügt.

Berücksichtigen muss man bei seinem Handeln als behinderter Mensch, dass bei eher flüchtigen Kontakten eine tiefgreifende Veränderung seines Gegenübers nicht möglich sein wird. Nur Oberflächlichkeiten wie Kleidung und Körperhaltung, eventuell noch die "Schlagfertigkeit" stehen als beschränkte Mittel zur Verfügung, damit "Außenstehende" eine gewisse Verunsicherung im Hinblick auf ihr Vorurteil erfahren und dementsprechend "vorsichtiger" agieren. Die Erkenntnis, dass man in die Schublade "Phänomen" gehört, wird man aber sicherlich mit diesen Mitteln nicht hervorrufen können. Im Ergebnis bleibt einem also nur übrig, sich mit den tendenziell vorhandenen, negativen Vorurteilen einzurichten, sich sein Selbstbewusstsein nicht kaputt machen zu lassen und durch die dazugehörige Körpersprache, Mimik und Gestik nicht noch den Eindruck des potenziellen Pflegefalls zu verstärken.

Anders sieht es bei echten sozialen Kontakten aus. Hier können wir die Einflussmöglichkeiten wirklich in vollem Umfang betrachten. Warum vielleicht gerade ich für diese Betrachtung besonders geeignet bin, dürfte in meiner Biografie liegen. Ich bin mit knapp 17 Jahren erblindet. Danach habe ich insbesondere die Reaktion der absoluten Verunsicherung meiner Umwelt auf mich "im hilflosen Zustand" sehr bewusst wahrgenommen. Ich habe aber auch gemerkt, wie sich das Bild meiner Umwelt von mir im Laufe der Zurückgewinnung von Handlungskompetenz wieder geändert hat. Durch diese Erfahrung wurde ich extrem für die Zusammenhänge und Möglichkeiten sensibilisiert, die es mir gestatten, die Wahrnehmung meiner Person durch die Umwelt zu beeinflussen. Im Gegensatz zu bloß oberflächlichen Kontakten spielt hier die echte verbale Kommunikation (unterstützt durch Mimik und Gestik) eine wichtige Rolle. Sie ist wohl das stärkste Mittel, meine Wahrnehmung durch die Umwelt zu beeinflussen. Jetzt bekommt das "Beziehungsklavier" deutlich mehr Tasten, denn beispielsweise besteht die "sehende Umwelt" nicht nur aus Vorurteilen, sondern auch aus Neugier, Wissen oder Halbwissen und nicht zuletzt häufig auch aus einer Portion guten Willens und einer sozialen Verantwortung, doch auch aus Ehrgeiz, Geltungsbedürfnissen etc., d.h. im Ergebnis auch dem Bestreben meiner sozialen Kontakte nach einer möglichst positivem Wahrnehmung durch die Umwelt, zu der dann auch ich gehöre.

Bevor ich später die Folgen aus diesen Erkenntnissen beschreibe, muss ich noch auf zwei sehr wichtige Parameter von Interaktion hinweisen. Das wirksamste "Einfallstor" für meine Manipulationen ist die Unsicherheit der Umwelt im Umgang mit behinderten Menschen, und der erste Eindruck spielt eine überragende Rolle, d.h. er ist prägend. Hieraus folgt, dass ich im Folgenden nicht über gute Bekannte, Mitarbeiter oder gar Freunde oder Verwandte spreche, denn diese Menschen kennen mich und ich kann ihnen wohl auch nichts vormachen und will es auch nicht. Deshalb sprechen Wir im Folgenden über echte soziale Erst- oder Zweitkontakte, z.B. in meinem Beispiel über Kontakte im beruflichen Kontext, d.h. über Besprechungs- oder Gerichtstermine.

Je nach Situation bestärke ich durch mein Handeln, meine Körperhaltung, Gestik und Mimik sogar vermutete Vorurteile, d.h. ich laufe manchmal gezielt gegen Stühle, finde meinen Platz zunächst nicht, nutze meinen Blindenstock, obwohl die Situation es in engen Räumlichkeiten gar nicht erfordert, verzichte auf schriftliche Unterlagen und vieles mehr. Ziel dieses merkwürdigen Handelns ist entweder, mein Gegenüber weiter zu verunsichern oder es in seinen Vorurteilen zu bestärken. Wichtig ist dabei aber natürlich, dass ich sicher sein kann, später die Gelegenheit zu bekommen, diesen prägenden Ersteindruck wieder nachhaltig und endgültig zu zerstören.

Um jetzt von der bloßen Theorie wegzukommen, ein Beispiel aus der letzten Woche: Im Rahmen der arbeitsrechtlichen Vertretung für einen schwerbehinderten Behördenmitarbeiter kam es zu einem großen Tribunal mit fünf Behördenvertretern. Sie waren angetreten, um darzustellen, dass der erblindete Mitarbeiter die anfallende Arbeit wohl nicht mehr bewältigen könne. Mir war sehr früh klar, dass ich diesen Termin nicht in typischer Anwaltsverkleidung mit Anzug und weißem Hemd wahrnehmen würde, denn den Teilnehmern des Treffens war nicht bekannt, dass nicht nur mein Mandant blind ist, sondern auch sein Anwalt. Die Überlegung zu dem ersten Eindruck, den ich vermitteln wollte, war, die sicherlich entstehende Unsicherheit zu bestärken, denn blind und nicht aussehen wie ein Anwalt, kann entsprechend der allgemein verbreiteten Vorurteile auch kein richtiger Anwalt sein. Vorbereitet war der Termin geradezu drehbuchartig, u.a. mit einer umfangreichen grafischen Darstellung der anfallenden Aufgaben, Beispielen der EDV-basierten Arbeitsweise und den kronzeugenartig vorgebrachten Stellungnahmen von Vorgesetzten. Nach karger Begrüßung spürte ich schnell, dass die Unsicherheit "im Tribunal" noch einmal zunahm, denn den Beteiligten wurde kurz klar, dass ihr Drehbuch des Termins nur darauf ausgerichtet war, ein sehendes Publikum zu beeindrucken und höflicherweise fragte man kurz nach, ob die "Vorführung" trotzdem in Ordnung sei. Im Laufe der vorbereiteten Show gewannen die Protagonisten dann auch schnell wieder an Selbstbewusstsein, steigerten sich in ihre Vorstellung und verloren mich als Publikum und insbesondere meine Eigenschaft als blinder Mensch wieder völlig aus den Augen. Nach geschlagenen zwei Stunden fand die Darbietung ihr Ende und man hielt die "Show" wohl für absolut gelungen. Kurz erinnerte man sich an den Adressaten, war sich aber sicher, dass von diesem komischen Vogel nicht mehr viel kommen konnte. Denn zum einen hatte ich mich mit Äußerungen bis dahin sowieso sehr sparsam gehalten und während der Show mit Körperhaltung und Mimik zu verstehen gegeben, dass ich sehr beeindruckt war, soweit ich überhaupt der "nicht barrierefreien" Show folgen konnte. Und vor allem hatte ich meinen inneren Widerstand gegen die aufgestellten Thesen in der Vorführung durch eine passive Haltung nicht zu erkennen gegeben. Zusammengefasst: die Welt war für das Tribunal in Ordnung. Allerdings hatten sie mental auch schon mit der Situation im Wesentlichen abgeschlossen und ich hatte mein Ziel erreicht, nämlich die maximal erreichbare Unterschätzung meiner Person hervorzurufen. Mit anderen Worten: meine Zeit war gekommen, meine Körperhaltung von absolut passiv in aggressiv zu verändern, das Wort zu ergreifen und die Fehler des Vortrags aufzudecken. Denn natürlich hatte kein Experte auch nur den Hauch einer Ahnung davon, welche Strategien blinde Menschen zur Bewältigung ihrer Arbeitsaufgaben haben, welche Hilfsmittel es gibt, was geht und was nicht.

Die Reaktion der Mitarbeiter war totaler Stress, geradezu Panik und absolute Sprachlosigkeit, weil schlichtweg jegliche Kenntnis zu den Möglichkeiten blinder Arbeitnehmer fehlte. Im Ergebnis entpuppten sich die aufgestellten Thesen der "Show" als genau das, was sie in Wirklichkeit waren, nämlich als Vorurteile "sehender Vorgesetzter" im Verhältnis zu ihrem blinden Mitarbeiter, die einer klassischen Diskriminierung schon sehr nahe kamen.

Um auf das Ausgangsthema zurückzukommen, wie blinde oder sehbehinderte Menschen gesehen werden, lässt sich der Schilderung des Termins entnehmen, dass am Schluss ich der blinde Experte für das Thema "blinde Mitarbeiter" war und sicherlich niemand mehr daran gezweifelt hat, dass ich - trotz meines zunächst irritierenden Auftritts und trotz meiner Behinderung - sehr wohl ein echter Anwalt bin; ohne Frage, ein Vorgehen, das sicherlich das Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrungen, eines geradezu arroganten Selbstbewusstseins und einer hohen Bereitschaft ist, ein Risiko einzugehen.

Das zeigt aber auch deutlich, dass man als blinder oder sehbehinderter Mensch eben nicht Opfer, sondern auch mit seiner Behinderung zum Täter werden kann, d.h. die Wahrnehmung der Umwelt einer Person das Ergebnis von Aktion und Reaktion ist.

Letztlich möchte ich aber klarstellen, dass die Interaktion zwischen Menschen unendlich komplex ist und dementsprechend das "Beziehungsklavier" über unendlich viele Tasten verfügt, auf dem Missgriffe gar nicht zu vermeiden sind.

Sehr viel schwieriger dürfte auch die Ausgangssituation für sehbehinderte Menschen sein, denn diese sind nicht mit so klaren Vorurteilen konfrontiert wie eindeutig als blind zu identifizierende Menschen. Schlimmer noch, allein durch die Sehbehinderung bedingte Unsicherheiten von Menschen werden sogar häufig völlig fehlinterpretiert, die "Erstkontaktvorurteile" sind mithin viel diffuser und deswegen auch schwieriger durch die Betroffenen zu "händln".

Generell ist aber an die Chancen der vorurteilsbehafteten Sichtweise der Umwelt zu erinnern, d.h. dem Missverhältnis von "Phänomen oder Pflegefall"! Biete ich durch mein Tun meinem Gegenüber auch nur die Chance, mich als Phänomen zu kategorisieren, wird er in der Regel dazu neigen diese Gelegenheit zu ergreifen. Außerdem wird dann meine Behinderung zum Markenzeichen, denn ich werde Experte für eine bestimmte Sache, d.h. meine Expertise tritt in den Vordergrund und meine Behinderung wird zum bloßen Attribut und Markenzeichen.

Zum Autor

Dr. jur. Michael Richter ist seit 2009 Geschäftsführer der "Rechte behinderter Menschen" gGmbH (rbm), der Rechtsberatungsgesellschaft der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe in Deutschland mit Sitz in Marburg und Berlin (https://www.rbm-rechtsberatung.de). Als blinder Anwalt berät und vertritt der 52-Jährige Menschen mit Behinderungen bundesweit vor Sozial- und Verwaltungsgerichten. Von 2004 bis 2008 arbeitete er als Geschäftsführer des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS).

Bild 1: Wie werden Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung wahrgenommen? Reaktionsmuster zu erkennen kann hilfreich sein. Foto: DVBS/Kronenberg [Im Vordergrund die Spitze eines Blindenstocks, der im inneren eines Gebäudes auf weißen Leitlinien und Punkten ruht, im Hintergrund sind lediglich die Beine des Besitzers zu sehen.]

Bild 2: Dr. jur. Michael Richter. Foto: DVBS [Profilfoto von Michael Richter an einem Tisch mit Laptop. Michael Richter hat einen Oberlippenbart und einen braunen Haarkranz, er trägt ein hellblaues Hemd.]

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Recht

EDV-Gerichtstag fördert Barrierefreiheit der Justiz

Von Andreas Carstens

Aufgrund der Corona-Pandemie fand der 29. EDV-Gerichtstag vom 23.-25. September 2020 - anders als in den Vorjahren - ausschließlich digital statt. Unter dem Motto "Digitalisierung grenzenlos - aber (nur) mit Sicherheit" konnten die über 1.200 Teilnehmer in einer eigens eingerichteten Online-Umgebung an drei Tagen Vorträge hören, an Arbeitskreisen teilnehmen und sich mit anderen austauschen. Das Fachprogram beleuchtete in insgesamt 10 Arbeitskreisen aktuelle Themen zur Digitalisierung von der elektronischen Akte über die IT-Sicherheit bis zur künstlichen Intelligenz. Abgerundet wurde der innovative und gelungene Fachkongress durch eine virtuelle Begleitausstellung, in der Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen rund um die digitale Justiz präsentieren und mit dem Fachpublikum in Austausch treten konnten.

Auf Vorschlag des DVBS beschäftigte sich einer der zehn Arbeitskreise mit dem Thema "Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen in der Justiz". Den Ausgangspunkt des Arbeitskreises mit über 150 Teilnehmern bildete die europäische Richtlinie (EU) 2016/2102, die auch die Justiz verpflichtet, ihre Auftritte und Angebote im Web (Internet sowie Intranet) und Anwendungen der Justiz für mobile Endgeräte wie Tabletts und Smartphones barrierefrei zu gestalten (1). Der Arbeitskreis gliederte sich in drei Themenblöcke zu folgenden Schwerpunkten:

  1. Welche Rechtspflichten zur Barrierefreiheit gibt es für die Justiz?

Die Präsentation gab - ausgehend von den neu eingefügten Regelungen in §§ 12a ff. BGG und §§ 3 ff. BITV 2.0 sowie den Parallelvorschriften in den Ländern - einen Überblick über neue Rechtsvorschriften zur digitalen Barrierefreiheit und informierte über die von der Justiz zu beachtenden Vorgaben (2); Referent: Andreas Carstens.

  1. Wie lassen sich die Anforderungen zur Barrierefreiheit praktisch umsetzen?

Die Präsentation zeigte - vom Content-Management-System bis zur Arbeit der Online-Redakteure - auf, wie sich die einzuhaltenden Anforderungen zur Barrierefreiheit in der Praxis umsetzen lassen und worauf hierbei zu achten ist (3); Referentin: Frauke Onken.

  1. Worauf achten die Überwachungsstellen zur Barrierefreiheit der Informationstechnik?

Die Präsentation stellte die neu geschaffenen Überwachungsstellen zur Barrierefreiheit der Informationstechnik vor und erläuterte, worauf die Überwachungsstellen bei der Überprüfung von Websites und mobilen Anwendungen der Justiz zukünftig achten werden (4); Referentin: Ulrike Peter.

Die Präsentationen zu den Vorträgen können ebenso wie eine (Video-) Aufzeichnung und das Protokoll des Arbeitskreises im Webauftritt des EDV-Gerichtstages abgerufen werden (5).

Die Verpflichtung der Justiz zur barrierefreien Gestaltung von Websites und mobilen Anwendungen umfasst neben den Justizportalen von Bund (6) und Ländern (7) auch die Internetauftritte aller Gerichte und Staatsanwaltschaften (8). Diese bieten eine Vielzahl von Informationen, die den Zugang zur Justiz erleichtern, über die Aufgaben der Gerichte berichten und Hinweise zu den Möglichkeiten des gerichtlichen Rechtsschutzes geben. Zudem werden Publikationen und Broschüren zu rechtlichen Themen zum Download angeboten, von der außergerichtlichen Streitschlichtung bis zur Zwangsvollstreckung und von der Betreuung bis zum Verbraucherschutz. Außerdem werden Vordrucke und Formulare, beispielsweise zur Prozesskostenhilfe, zum Download bereitgestellt. Neben der Verpflichtung zur barrierefreien Gestaltung besteht auch für die Justiz die Pflicht, eine Erklärung zur Barrierefreiheit ihrer Websites und mobilen Anwendungen zu veröffentlichen. Die Erklärung muss zugleich einem Feedback-Mechanismus enthalten, der es betroffenen Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht, noch vorhandene Barrieren auf einfache Weise zu melden und Informationen, die bisher nicht barrierefrei sind, in einem für sie zugänglichen Format anzufordern (9).

Auch der Webauftritt des digitalen EDV-Gerichtstages war noch nicht in allen Teilen barrierefrei (10).

Weiterführende Hinweise

(1) RL (EU) 2016/2102: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32016L2102

(2) Download der Präsentation: https://www.edvgt.de/wp-content/uploads/2020/10/Carstens-Barrierefreiheit-von-Websites-und-mobilen-Anwendungen-in-der-Justiz.pdf

(3) Download der Präsentation: https://www.edvgt.de/wp-content/uploads/2020/10/bf_2020_EDVG_Barrierefreiheit-praktisch-umsetzen.pdf

(4) Download der Präsentation: https://www.edvgt.de/wp-content/uploads/2020/10/2020_09_25_Rolle_Ueberwachungsstellen.pdf

(5) Arbeitskreis zur Barrierefreiheit: https://www.edvgt.de/veranstaltung/barrierefreiheit-von-websites-und-mobilen-anwendungen-in-der-justiz/

(6) Justizportal des Bundes und der Länder: https://justiz.de

(7) Vgl. z.B.: www.justizportal.de, www.justizportal.niedersachsen.de, www.justiz.nrw.de, www.justiz.sachsen.de und www.justiz.sachsen-anhalt.de

(8) Vgl. z.B.: https://www.bsg.bund.de, https://www.lg-duesseldorf.nrw.de/ und https://finanzgericht.niedersachsen.de

(9) So ausdrücklich § 14 Abs. 2 Nr. 2 BremBGG, vgl. dazu auch § 10b Abs. 2 Nr. 2 BGG NRW und Art. 21 UN-BRK

(10) Zu den Anforderungen an barrierefreie Web-Konferenzen siehe: https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/Praxishilfen/Informationstechnik/Barrierefreie-Webkonferenzen/barrierefreie-webkonferenzen_node.html

Zum Autor

Andreas Carstens ist Richter am Finanzgericht, Vertrauensperson der schwerbehinderten Richterinnen und Richter und Mitglied der Fachgruppe Jura im DVBS.

Bild: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des EDV-Gerichtstags 2020 trafen sich diesmal online. Abb.: pixabay / Alexandra Koch [Das blaue lange Kabel einer Computermaus ist zum Wort "online" geschlungen.]

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Barrierefreiheit und Mobilität

Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit an Hochschulen

Von Ursula Weber und Prof. Dr. Gerhard Weber

Einführung

Ronja hat ihr Studium der Psychologie mit Elan begonnen. Sie ist hochgradig sehbehindert, nutzt eine passende Hilfsmittelausstattung und kann diese auch gut bedienen. Die Einführung eines neuen Formulars zur Anmeldung für die nächsten Prüfungen auf einer Webseite lässt sie dann doch an ihre Grenzen stoßen. Was nun?

Selbstverständlich kann sie Kommilitonen bitten oder die Unterstützung einer Assistenzkraft nutzen, um sich für die anstehenden Prüfungen anzumelden. Damit wäre die Barriere umschifft, aber noch lange nicht beseitigt. Sie fragt sich, ist ihre Hochschule dazu verpflichtet, die Barrieren auf Webseiten zu beseitigen? Dazu klären wir im Folgenden die rechtliche Basis und stellen anhand unseres fiktiven Beispiels die Ergebnisse einer Umfrage zur Anwendung der jüngsten Gesetzgebung zur Barrierefreiheit an Hochschulen vor.

Gesetze, Verordnungen und Normen

In Deutschland ist die Barrierefreiheit definiert in § 4 Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (BGG): Danach sind "bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche" dann barrierefrei, "wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind."

Die Länder haben diese Definition in ihre Behindertengleichstellungsgesetze übernommen. Hinsichtlich der Bestimmungen zur Barrierefreiheit der Informationstechnik weichen die Vorschriften teilweise jedoch erheblich voneinander ab. Gleichwohl wird hier zunächst die Bundesregelung vorgestellt.

§ 12a des BGB verpflichtet die öffentlichen Stellen des Bundes nicht nur zur barrierefreien Gestaltung ihrer Websites und mobilen Anwendungen, einschließlich der für die Beschäftigten bestimmten Angebote im Intranet der Öffentlichen Stellen des Bundes, sondern auch zur Barrierefreiheit elektronisch unterstützter Verwaltungsabläufe, einschließlich der Verfahren zur elektronischen Vorgangsbearbeitung und elektronischen Aktenführung. Letztere sind schrittweise bis zum 23.06.2021 barrierefrei zu gestalten. Dazu zählt das Gesetz auch die grafischen Programmoberflächen. [1]

§ 12d BGG enthält dazu eine sog. Verordnungsermächtigung, die durch die Überarbeitung der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) erfolgt ist.[2] Darin werden in § 3 die anzuwendenden Standards klar geregelt. Bei der Entwicklung oder Aktualisierung von Angeboten müssen sich Öffentliche Stellen an "Harmonisierten Normen oder Teilen dieser Normen" orientieren, die im "Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind". Teile von Angeboten, Diensten oder Anwendungen, die dort nicht abgedeckt werden, sind nach dem Stand der Technik barrierefrei zu gestalten.

§ 7 der BITV 2.0 verlangt in Präzisierung von § 12b BGG ergänzend eine barrierefreie und maschinenlesbare Erklärung zur Barrierefreiheit auf der Startseite und jeder einzelnen Seite einer Website, einschließlich eines zu implementierenden leicht aufzufindenden barrierefreien Feedback-Mechanismus. Anforderungen an den Feedback-Mechanismus sind auf der Website der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit abrufbar.[3] Eine anpassbare Mustererklärung zur Barrierefreiheit ist im Anhang des Durchführungsbeschluss (EU) 2018/1523 der europäischen Kommission zu finden.[4]

Deutsche Hochschulen unterliegen allerdings nicht Bundesrecht, sondern dem Recht des jeweiligen Bundeslandes. Aber auch die Länder waren nach der Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen[5] zur Schaffung von Barrierefreiheit verpflichtet und haben die Richtlinie in ihren Landesgleichstellungsgesetzen umgesetzt.

Eine Anpassung der BITV auf Landesrecht ist jedoch nur teilweise erfolgt. Eine Liste aller Landesgesetze und Verordnungen ist im Barrierekompass[6] zu finden.

Leider sind nicht nur die Namen der Landesgesetze unterschiedlich, sondern teilweise auch die Inhalte. Eine Barrierefreie-Informationstechnikverordnung existiert beispielsweise in Bayern, in Nordrhein-Westfalen hingegen nicht. In Sachsen wurde das Barrierefreie-Website-Gesetz erlassen. Damit sind trotz EU-Vorgabe die Festlegungen an unterschiedlichen Stellen verortet. Somit muss sich jede Hochschule am entsprechenden Landesrecht orientieren, worauf hier in Gänze nicht eingegangen werden kann.

Wichtig an dieser Stelle allerdings ist darauf hinzuweisen, dass neben Meldestellen des Bundes oder der Länder auch lokale Meldestellen eingerichtet werden können. So ist die Einrichtung einer lokalen Meldestelle in den beispielhaft genannten Ländern geregelt. Zu finden sind die Regelungen für Bayern in § 2 der Bayrischen Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BAyBITV)[7], in Niedersachsen in § 9b des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetz (NBGG)[8] und in Sachsen in § 3 des Barrierefreie-Websites-Gesetz (BfWebG)[9]. In denselben Paragrafen sind auch die Rückmeldefristen zu eingehenden Anfragen oder Meldungen geregelt. In Bayern beträgt die Frist sechs Wochen, in Niedersachsen einen Monat und in Sachsen ist "innerhalb einer angemessenen Frist" zu reagieren.

Für Hochschulen heißt dies, den verantwortlichen Stellen müssen diese relativ neuen Regelungen zunächst bekannt gemacht, von ihnen verstanden und dann auch umgesetzt sowie innerhalb der Hochschule verbreitet werden. Erst dann können Studierende auch adäquat beraten werden.

Weil die Frist zur Prüfungsanmeldung schon bald endet, nimmt Ronja gerne das Angebot ihrer Freundin an, sie anzumelden. Da Ronja Mitglied im DVBS ist, wendet sie sich mit der Bitte um Unterstützung an die Mailingliste Studium und Ausbildung. Hier erhält sie den Hinweis, sich an die Beauftragten für Studierende mit Behinderung ihrer Hochschule zu wenden, die insbesondere beim Prüfungsgeschehen Beratung anbieten, einen Überblick über die internen Abläufe haben und die Verantwortlichen leichter identifizieren können.

Digitale Barrieren im Hochschulbetrieb

Ronjas Hochschule hat - wie andere Hochschulen - tausende von Studierenden in einer Vielzahl von Studiengängen mit diversen Verwaltungseinheiten sowie hunderte von Professoren und wiederum tausende von Mitarbeitern, die sich in Forschung und Lehre engagieren. Digitale Barrieren können leicht unbeabsichtigt von jedem einzelnen Hochschulangehörigen entstehen.

Ronja ist zur Anmeldung für die Prüfung verpflichtet, da dies - wie auch Art und Umfang von Prüfungen - durch die Prüfungsordnung und Studienordnung ihres Studiengangs geregelt wird. Diese Dokumente werden im Rahmen amtlicher Bekanntmachungen meist im Format PDF veröffentlicht. PDF Dokumente sind entsprechend dem Stand der Technik barrierefrei, wenn diese dem ISO Standard PDF/UA (ISO 14289-1:2014) genügen.

Die Verwaltung studentischer Prüfungsergebnisse erfolgt an der Hochschule durch das zuständige Prüfungsamt das mit Hilfe von entsprechenden Datenbanken die Anmeldung und evtl. Abmeldung entgegennimmt, die Prüfungsergebnisse einpflegt und den Studierenden in einem Browser zugänglich macht. Barrieren durch die Veröffentlichung von Listen per Schaukasten sind somit durch die Digitalisierung der studentischen Akte leichter überwindbar geworden.

Außer den Verwaltungsabläufen ist die Barrierefreiheit der Lehrmaterialien Grundlage der Vorbereitung auf eine Prüfung. Lehrbücher und Skripte in digitaler Form sind meist als PDF-Dokumente verfügbar. Einige wenige Serviceeinrichtungen an den Hochschulen[10] erledigen die Transkription in ein barrierefreies Format wie HTML oder PDF/UA und erstellen dabei neben mathematischen Formeln in LaTeX für Ronjas Statistik-Vorlesung auch Bildbeschreibungen entsprechend der Fachsprache im jeweiligen Fachgebiet. Manche Dozenten benötigen diesen Service nicht, sie kennen bereits die umfangreichen Möglichkeiten der diversen Textverarbeitungsprogramme, bereiten ihre Texte entsprechend selber auf und stellen diese rechtzeitig zur Verfügung.

Der aktuelle Einsatz von Internet-basierten Diensten macht deutlich, dass der im "Lockdown" fehlende Zugang zum gesprochenen Wort oder zu Flipcharts in Präsenzveranstaltungen die Chance bietet, Videokonferenzen, interaktive Tafelzeichenprogramme und z.B. Online-Prüfungen digital zur Verfügung zu stellen. Studierende im Rollstuhl müssen im Rahmen der digitalen Lehre keine baulichen Barrieren befürchten und hörbehinderte Studierende können Untertitel in Aufzeichnungen von Video-basierten Vorlesungen lesen, sehbehinderte Studierende verfolgen per Vergrößerungssoftware die Videokonferenzen und blinde Studierenden beteiligen sich im Chat per Braillezeile.

Ronjas Professorinnen und Professoren sind auch Wissenschaftler und veröffentlichen ihre Forschungsergebnisse z.B. in Zeitschriften und im Rahmen von Konferenzen. Einige wenige Verlage verweisen auf Anleitungen für die Erstellung barrierefreier Manuskripte zur Einhaltung stilistischer Vorgaben und kontrollieren diese zudem auf die Einhaltung der Standards mit automatisierten Softwarewerkzeugen.

Alle drei genannten Aufgaben der Hochschulen, d.h. Forschung, Lehre und Verwaltung, sind von der Gesetzgebung zu barrierefreien Websites betroffen. Der DVBS hat daher eine Umfrage unter allen öffentlichen Hochschulen zur Umsetzung der Barrierefreiheit entwickelt. Die Ergebnisse der Umfrage stellen wir im Folgenden vor.

Umfrageergebnisse zur Abgabe der Erklärung über die Barrierefreiheit

Die Umfrage unter den Hochschulen wurde per E-Mail an die Rektorinnen und Präsidenten von mehr als 150 Hochschulen Anfang Oktober 2020 gerichtet. Nach einer Erinnerung hatten bis Ende November 51 Hochschulen teilgenommen. Die folgenden Ergebnisse sind also nicht auf alle Hochschulen übertragbar.

Eine Erklärung zur Barrierefreiheit hat 47 Hochschulen veröffentlicht und dem DVBS mitgeteilt. 30 Hochschulen gaben an, den Stand der Barrierefreiheit für die allgemeine Website auch geprüft zu haben. 17 Hochschulen haben zudem einzelne IT Dienste auf Barrierefreiheit geprüft. Nur eine Hochschule gab an, alle Dienste geprüft zu haben.

Die Verantwortung für die Abgabe der korrekten Erklärung zur Barrierefreiheit geben 15 der Hochschulen einer dafür zuständigen zentralen Stelle. Immerhin 22 Hochschulen sehen diese Verantwortung als dezentrale Aufgabe an und neun Hochschulen sehen die Verantwortung nicht nur bei verschiedenen Stellen, sondern auch bei den Lehrenden, d.h. auch den Professorinnen und Professoren.

Die zuständige Überwachungsstelle des jeweiligen Bundeslandes waren 44 Hochschulen bekannt. 19 Hochschulen haben zudem eine lokale Meldestelle eingerichtet

Der DVBS wollte in seiner Umfrage auch wissen, welche Rolle barrierefreie Produkte spielen, die von den Hochschulen meist von privaten Anbietern im Rahmen von Ausschreibungen beschafft werden. Ronjas Problem bei der Prüfungsanmeldung war evtl. schon so eingekauft worden. 37 Hochschulen gaben an, barrierefreie IT-Systeme in den Ausschreibungen zu verlangen, sieben dagegen nicht.

Ronjas Barriere beheben

Mit der Beraterin liest Ronja sich die Erklärung zur Barrierefreiheit des Prüfungsamtes durch und findet den Hinweis, dass die Hochschule einen eigenen Feedback-Mechanismus anbietet, um Barrieren zu melden, intern zu prüfen und zu beheben.

Sie meldet das Problem und - ohne dass ihre Identität preisgegeben wird - es erfolgt die Abstimmung mit der zuständigen Stelle, die bei der Abgabe der Erklärung zur Barrierefreiheit Ronjas Problem nicht erkannt hat. Schnell wird deutlich, dass das digitale Formular noch umgearbeitet werden muss. Im Rahmen des Prüfvorgangs wurde es nicht bemerkt, dass einige Beschriftungen der Formularfelder fehlten, da das automatische Prüfprogramm zwar Websites, aber PDF Formulare nicht prüft und keine Zeit war, alle Formulare manuell zu prüfen. Bis zur Prüfungsanmeldung im nächsten Semester ist diese Barriere behebbar. Danach stellt das Prüfungsamt fest, dass insgesamt die Anzahl der unvollständigen oder fehlerhaften Angaben in Prüfungsanmeldungen zurückgegangen ist und damit weniger Rückfragen notwendig werden.

Der DVBS bedankt sich bei allen, die an der Umfrage teilgenommen haben. Die vielen Kommentare machen deutlich, dass das Thema digitale Barrierefreiheit in einigen Hochschulen angekommen ist und ein Prozess zur kontinuierlichen Bewertung und Behebung von digitalen Barrieren eingerichtet wurde.

Anmerkungen

[1] §4 und §12ff BGG https://www.gesetze-im-internet.de/bgg/BJNR146800002.html

[2] BITV 2.0 https://www.gesetze-im-internet.de/bitv_2_0/BJNR184300011.html

[3] Bundesfachstelle für Barrierefreiheit: Anforderungen an den Feedback-Mechanismus https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/Themen/EU-Webseitenrichtlinie/Feedbackmechanismus/feedbackmechanismus-anforderungen_node.html

[4] Durchführungsbeschluss der europäischen Kommission https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32018D1523

[5] Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32016L2102

[6] Barrierekompass der Agentur für digitale Barrierefreiheit https://barrierekompass.de/aktuelles/detail/bitv-20-liste-der-landes-gesetze.html?

[7] § 2 und § 3 Bayrische Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayBITV/true

[8] §9b Niedersächsisches Behindertengleichstellungsgesetz http://www.voris.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&query=BehGleichG+ND&psml=bsvorisprod.psml&max=true&aiz=true

[9] §3 Barrierefreie-Websites-Gesetz

[10] https://www.studentenwerke.de/sites/default/files/ibs_umfrage_2017_umsetzungsdienste_hochschulen_ergebnisse.pdf

Bild: Sehbehinderte Studentin mit Laptop im Hörsaal. Foto: DVBS/Kronenberg

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Hochschule Bremen gründet "Institut für digitale Teilhabe"

Von der Hochschule Bremen

Wie kann der digitale Wandel zu einem gesellschaftlichen Wandel werden, der insgesamt zu mehr Teilhabe auch für Menschen mit Behinderung führt? Welche Chancen und Risiken birgt digitale Teilhabe für Menschen mit Behinderung? Hier setzt das im Januar 2021 gegründete "Institut für digitale Teilhabe" der Hochschule Bremen an: In Lehre, Forschung und Transfer sollen anwendungsbezogene Projekte in Bezug auf die digitale Teilhabe in den Alltag integriert werden.

"Zunächst konzentriert sich das Institut auf die Bereiche Arbeitswelt und öffentliche Verwaltung", erläutern die Institutsleiter Prof. Dr. Benjamin Tannert, Professor für angewandte Medieninformatik, und Honorarprofessor Henning Lühr, langjähriger ehemaliger Staatsrat im Finanzressort. Die Integration und Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigung in der Arbeitswelt ist eines der Hauptanliegen des Instituts. So sollen bereits bestehende Systeme besser bekannt und nutzbar gemacht werden. In neuen Projekten soll das Thema der Integration von behinderten Menschen in den ersten Arbeitsmarkt bzw. die Arbeitswelt bearbeitet werden. Ein weiterer Fokus liegt auf der dauerhaften Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung. Hier soll es um Aspekte wie die Unterstützung während der Arbeitszeit oder auf dem Arbeitsweg gehen.

Ein zweiter Bereich ist der öffentliche Sektor: Das Online-Zugangsgesetz legt fest, dass bis zum 31. Dezember 2022 insgesamt 575 öffentliche Dienstleistungen online angeboten werden müssen. Die Barrierefreiheit von bestehenden oder auch noch zu entwickelnden digitalen Medien ist dabei ein weiterer wichtiger Baustein.

Generell bietet das "Institut für digitale Teilhabe" der Hochschule Bremen Unterstützung, Beratung und Prozessbegleitung an, wenn es um bestehende oder neu zu konzipierende Anwendungen für Barrierefreiheit geht. Zudem wird es Workshops, Schulungen und Vorträge zu barrierefreiem E-Government geben.

Mit dem "Modell-Curriculum für digitale Barrierefreiheit" soll eine Grundlage sowohl für die Hochschuldidaktik als auch für fachpraktische Ausbildung geschaffen werden. Zudem soll dieser Rahmen als Baustein für die Weiterbildung von IT-Fach- und -Führungskräften dienen.

Im Projekt "Digitale Bürgerbeteiligung für alle" wird prototypisch eine digitale inklusive Zukunftswerkstatt konzipiert, entwickelt, erprobt und evaluiert, damit künftig digitale Bürgerbeteiligungen barrierefrei und in einem umfassenden Sinne zugänglich gestaltet werden. Technische Barrierefreiheit ist dafür nur eine notwendige Voraussetzung. Hinzu kommen Ansprache, Mobilisierung und Motivierung bisher nicht beteiligter und daher unterrepräsentierter Gruppen, insbesondere von Menschen mit Behinderungen.

Teilhabe erfordert immer häufiger die Nutzung digitaler Technologien. Auch wenn digitale Angebote alle Anforderungen der Barrierefreiheit erfüllen, bleibt für Menschen mit bestimmten Beeinträchtigungen immer noch ein Bedarf an persönlicher Unterstützung, an "Digitalassistenz", z. B. beim Online-Einkaufen, Online-Banking, bei Video-Sprechstunden oder Online-Diensten der Verwaltung. Das Institut will im Rahmen des Projekts "Soziale Teilhabe durch Digitalassistenz" Regelungen für eine beauftragte oder bevollmächtigte Digitalassistenz erproben, damit wirklich niemand von der digitalen Teilhabe ausgeschlossen wird.

Das Portfolio des "Instituts für digitale Teilhabe" wird abgerundet durch die Herausgabe des Handbuches "Digitale Teilhabe und Barrierefreiheit für die digitale Verwaltung" (Hrsg.: Henning Lühr, Ulrike Peter). Das Handbuch wird im Frühjahr 2021 im Deutschen Kommunalverlag erscheinen.

Weitere Informationen finden Sie in der ungekürzten Fassung der Pressemitteilung zur Gründung des Instituts vom 20.01.2021 auf https://www.hs-bremen.de/internet/de/einrichtungen/presse/mitteilungen/2021

Bild: Prof. Dr. Benjamin Tannert (li) und Prof. Henning Lühr (re) leiten das neu gegründete "Institut für digitale Barrierefreiheit". Fotos: links: privat; rechts: Hochschule Bremen / Thomas Ferstl. [Prof. Tannert befindet sich im Außengelände vor einem Gebäude mit der Aufschrift MZH. Er hat braune Augen, braune Haare, einen kurzen Vollbart und trägt Jeans und eine dunkle Outdoorjacke. Er sitzt im Rollstuhl und lächelt. Prof. Lühr hat kurze graue Haare und dunkle Augen. Er trägt eine Brille mit runder, roter Fassung und zum blauen Jacket und blauem Hemd eine blau gepunktete Fliege. Er hält eine rote Mappe in den Händen und lächelt.]

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Berichte und Schilderungen

Widerstand der Verwundbaren -
Das Beispiel Otto Weidt und seiner Helfer (*)
Teil 2

Von Uwe Boysen

III. Einzelschicksale - von Helfern und Greifern

Das Material, das Kain zu verschiedenen Personen, die alle irgendwie mit der Blindenwerkstatt Kontakt hatten, ausbreitet, ist sehr reichhaltig und dürfte in unserem Zusammenhang eher Verwirrung stiften. Ich will mich daher auf einige Personen konzentrieren, die für das Überleben vieler Menschen von Bedeutung waren.

1. Hedwig Porschütz

Hedwig Porschütz lebte ab 1940 in der Alexanderstraße 5, direkt am Alexanderplatz gegenüber dem Polizeipräsidium. Die 40jährige verdiente ihren Lebensunterhalt, nachdem ihr Mann 1940 eingezogen worden war, überwiegend auf dem Schwarzmarkt und mit Prostitution. Bei Porschütz konnte man fast alles, was es sonst nicht mehr gab, bekommen (so Deutschkron). 1940 stellte Weidt Porschütz als Lageristin in seiner Werkstatt ein, möglicherweise nur zum Schein (vgl. Johannes Tuchel, 2010), später 1943, als eine allgemeine Arbeitspflicht auch für Frauen eingeführt wurde, dann als Stenotypistin. Die von ihr herbeigeschafften Waren wird Weidt teilweise zur Bestechung von Gestapo-Beamten genutzt haben. Ende 1942 / Anfang 1943 bat Weidt Porschütz, die Zwillinge Anneliese und Marianne Bernstein in ihrer Wohnung aufzunehmen. Marianne Bernstein, fast völlig blind, war bei Weidt seit Herbst 1941 beschäftigt, meist wohl in Heimarbeit. Im Januar 1943 zogen die Zwillinge bei Porschütz ein und überlebten die Nazizeit, nachdem sie 1944 aus Berlin fliehen und sich als Ausgebombte ausgeben konnten. Der Platz in der Wohnung Porschütz war knapp. Den drei Frauen standen nur 1 ½ Zimmer zur Verfügung. Darin "bediente" Porschütz auch noch Stammkunden und stellte ihre Wohnung außerdem anderen Prostituierten zur Verfügung.

Im März 1943 lernte Porschütz in der Blindenwerkstatt Grethe Seelig kennen. Nachdem Seelig am 15.1.1943 untergetaucht war, brachte Weidt sie zunächst in einem Lager seiner Bürstenfabrikation unter. Porschütz bot auch Seelig an, sie noch in ihrer Wohnung zu verstecken. Porschütz übernahm zur Sicherheit ihrer Untergetauchten die Luftschutzkontrolle ihres Hausaufgangs, so dass während der Luftangriffe, bei denen Illegale nicht in die Schutzräume durften, keine Gefahr mehr bestand.

Am 18.3.1943 drang jedoch die Gestapo in das Haus Alexanderstr. 5 ein, offenbar auf Grund eines Hinweises auf zwei andere versteckte Juden. Danach mussten die Bernsteinzwillinge weiterziehen, wurden aber auch in der Folgezeit noch von Porschütz unterstützt, wie sie nach dem Krieg angaben.

Deutschkron benötigte, nachdem sie ab Anfang 1943 illegal lebte, eine neue Identität mit neuen Papieren. Bei ihrer Beschaffung half wiederum Hedwig Porschütz, die Deutschkron das Arbeitsbuch einer Bekannten verschaffte, die es vorzog, weiter als Prostituierte zu arbeiten. Mit dieser neuen Identität konnte Deutschkron sowohl bei der Krankenkasse wie beim Arbeitsamt gemeldet werden. Die Freude dauerte nicht lange, denn die Kriminalpolizei hatte die echte Gertrud Deriszewski gefunden und verhaftet. Im Dezember 1943 gab Weidt Deutschkron daraufhin einen neuen Betriebsausweis auf den Namen Inge Richter.

Schon 1943 wurde Porschütz von der Gestapo vernommen, weil sie offenbar verraten worden war. Die Vernehmungen blieben aber ohne Ergebnis, so dass sie wieder auf freien Fuß kam. Im Juni 1944 geriet Porschütz dann ins Visier der Kriminalpolizei, die in ihrer Wohnung 7,5 kg Bonbons, 384 Zigaretten, 104 Stück Rasierseife und drei Paar neue Herrenstrümpfe beschlagnahmte. Porschütz gab an, die Dinge von einem auf Heimaturlaub gewesenen Soldaten bekommen zu haben. Ihr wurde dann aber doch noch vor dem Sondergericht 3 der Prozess gemacht. Man klagte sie der Hehlerei und des Verstoßes gegen die Kriegswirtschaftsverordnung vom 7.9.1939 (KWVO) an. Sie wurde am 2. Oktober 1944 zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Porschütz, die erst am 7.5.1945 wieder frei war, verriet während der Ermittlungen und im Laufe des Prozesses keine der von ihr unterstützten Illegalen. Entschädigungsamt und Senatsinnenverwaltung von Westberlin erkannten Porschütz 1959 jedoch nicht als Verfolgte an und begründeten das mit einer fehlenden "sittlichen und moralischen Integrität". Am 3. Juni 2011 wurde dann endlich das Urteil des Sondergerichts aufgehoben. 2012 wurden sie und ihre Mutter von Yadvashem in die Reihe der Gerechten unter den Völkern aufgenommen.

2. Karl Hermann Deibel

Im Frühjahr 1943 vermietete Weidt sein Lager in der Großbeerenstr. 92 in der Nähe des Anhalter Bahnhofs an Karl Hermann Deibel, den er als Gegner des Naziregimes kannte. Ziel war, auch hier eine Unterkunft für untergetauchte Juden zu schaffen. Weidt soll Deibel sogar zur Auflage gemacht haben, in den Räumen Verfolgte unterzubringen. Auch wenn Weidt als Kopf der Unternehmung gelten kann, waren es vor allem Deibel und Emma Trostler, die die Untergetauchten betreuten und unterstützten. Im Haus Großbeerenstr. befand sich direkt gegenüber den Kellerräumen von Weidt die Wäscherei E. Trostler. Die wie Weidt im Jahre 1883 geborene Emma Trostler war gleichzeitig Hausverwalterin. Zunächst war sie Tänzerin gewesen. Weidt kannte sie mindestens seit 1939, als er die Werkstatt in das von ihr verwaltete Haus verlegte. Eine weitere Verbindung bestand zur Schlachterei Bodenstein im Nachbarhaus Großbeerenstr. 91. Weidt belieferte diese mit Bürsten und Besen und war oft bei Trostler zu Gast. Im Gegenzug erhielten die Versteckten Fleisch- und Wurstwaren aus der Schlachterei. Das Versteck flog im April 1944 auf.

Schon im März dieses Jahres hatte sich Deibel entschlossen, selbst unterzutauchen und wurde von verschiedenen Personen versteckt, ab Juni/Juli 1944 auf einem Segelboot in der Nähe von Kladow. Schließlich wurde er am 22.7.1944 von zwei Beamten der Gestapo in der Großbeerenstr. 92 aufgegriffen und verhaftet. Erstaunlich ist, dass er am 9.10.1944 aus der U-Haft entlassen wurde, obwohl doch verschiedene Anzeigen gegen ihn vorlagen und er untergetaucht war. Danach wurde er eingezogen und überlebte den Krieg.

3. Hermann Rachmann

Es ist bekannt, dass in Berlin wie auch woanders sog. Jüdische Greifer unterwegs waren, die die Verstecke untergetauchter Juden an die Gestapo verrieten, in der Hoffnung, dann selbst mit dem Leben davonzukommen. Einer von ihnen war Hermann Rachmann, der auch das Versteck in der Großbeerenstraße verriet. Auch Rachmann konnte sich aber durch seine Tätigkeit nicht "freikaufen". Er und seine Ehefrau wurden am 13.7.1944 in das Ghetto Theresienstadt gebracht. Am 28.9. kamen sie dann in einen Transport nach Auschwitz. Seither fehlt jede Spur von ihnen.

Eine andere "Greiferin" war die junge Stella Isakson. Sie wurde nach Kriegsende von einem russischen Militärtribunal zu zehn Jahren Haft verurteilt, starb 1994 und taucht 2019 im heftig umstrittenen Roman "Stella" von Takis Würger als literarische Figur wieder auf.

IV. Eine vorläufige Einschätzung

Bei der Recherche zu diesem Referat fiel mir auf, dass es häufig nicht die wohlhabenden Menschen waren, die das Risiko eingingen, Untergetauchte zu verstecken und sie zu versorgen. Vielfach waren es "kleine Leute", ja sogar Menschen, die am Rand der Gesellschaft lebten und - durchaus nicht selten schon - auch mit nicht nazistischen Gesetzen oder herrschenden Moralvorstellungen in Konflikt geraten waren. Vielleicht war es auch das, was sie ermunterte, denjenigen zu helfen, deren Schicksal sie in gewisser Weise als mit dem eigenen verwandt ansahen. Außerdem kannten sie sich mit dem staatlichen Repressionsapparat viel besser aus als die klassischen bürgerlichen Familien.

Das hat mich - und damit will ich das Rätsel des Titels dieses Beitrags auflösen - dazu gebracht, hier von "Verwundbaren" zu sprechen. Der Begriff lehnt sich an den von Robert Castel, einem französischen Soziologen, geprägten Terminus an, der die Verwundbaren als untere Klasse in seinem Gesellschaftsmodell bezeichnet, Menschen, die nur prekäre Arbeitsverhältnisse eingehen können, die schlechtere medizinische Versorgung bekommen, durch das Bildungswesen benachteiligt werden oder deren Moralvorstellungen von denen der gut Situierten abweichen. Und doch sind sie es, die geholfen haben.

Wir sind weit entfernt von dieser Situation des Kriegs und der Verfolgung. Aber lassen wir diese Menschen, ihre Taten und ihre kleinen und großen Listen nicht ins Dunkel der Geschichte zurückfallen. Sie haben es verdient, auch heute und in Zukunft genannt und - vielleicht auch ein wenig - bewundert zu werden.

Ausgewählte Literatur und Weblinks

Auf einen Fußnotenapparat habe ich verzichtet. Stattdessen zeigt die folgende mit kurzen Anmerkungen versehene Liste von mir verwendete Literatur und weitere Quellen.

  • Blindenwerkstatt Otto Weidt, Rosenthaler Str. 39, D-10178 Berlin http://www.gedenkstaette-stille-helden.de
    Museum, in dem das Leben von Otto Weidt dargestellt wird.
  • Castel, Robert: Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz, 2000.
  • Degen, Michael: Nicht alle waren Mörder. Eine Kindheit in Berlin. 2007, ISBN 9783548600512 (auch in der DBH verfügbar).
    Der Schauspieler beschreibt, wie er und seine Mutter während des zweiten Weltkriegs in Berlin versteckt wurden und überlebten.
  • Deutschkron, Inge: Ich trug den gelben Stern. München, 1992 (1. Aufl. 1978); (auch in der DBH verfügbar).
  • Düring, Marten: Verdeckte Soziale Netzwerke im Nationalsozialismus. Berliner Hilfsnetzwerke für verfolgte Juden. Berlin, De Gruyter, 2015.
    Der Autor versucht, mit Hilfe einer Netzwerkanalyse die Motivation von Helferinnen und Helfern zu ermitteln.
  • Kain, Robert: Otto Weidt. Anarchist und Gerechter unter den Völkern. Berlin, 2017 (auch in der DBH verfügbar).
    Aus dieser Dissertation habe ich fast alle Informationen zu Otto Weidt entnommen.
  • Knapp, Natalie: Der Stoff, aus dem Helden sind, In: Die Zeit Nr. 13 vom 28.2.2013.
    Berichtet wird über verschiedene sozialpsychologische Experimente, u. a. von Welzer, Pauen und Herrmann, zur Frage, wann jemand sich zu Widerstand entscheidet.
  • Kosmala, Beate: Stille Helden. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 14/15/2007.
    Eine Darstellung älterer Forschungsergebnisse ab 1997.
  • Tuchel, Johannes: Hedwig Porschütz. Die Geschichte ihrer Hilfsaktionen für verfolgte Juden und ihre Diffamierung nach 1945, 2010.
    Bezug über die Gedenkstätte Deutscher Widerstand; siehe auch
  • Tuchel, Johannes: NS-Widerstand: Eine Frau in Berlin. In: Die Zeit Nr. 30/2012 vom 19.7. 2012.
    Berichtet wird über die Hilfsaktionen von Hedwig Porschütz und noch detailreicher als im obigen Text über die skandalösen Begründungen zur Ablehnung der Anerkennung als politisch Verfolgte (siehe dazu unter III. 1. am Ende).

(*) Anmerkung: Gekürzte Fassung eines Vortrags, den der Autor am 19. Oktober 2019 in Lübeck auf der Tagung "Vom Widerstand und seinen Formen zwischen 1933 und 1945" gehalten hat. Teil 1 siehe horus 4/2020, Schwarzschrift S. 36-38, Pts. S. 563-570. Langfassung des Beitrags jetzt in: Beutin, Heidi; Böttcher, Hans-Ernst; Polkaehn, Uwe (Hg): Vom Widerstand und seinen Formen (1933 bis 1945), Reihe "Gewerkschaft, Gesellschaft und Kultur" Band 7, Ossietzky Verlag, 2020, S. 14-25.

Bild: Die Belegschaft der Blindenwerkstatt Otto Weidt 1941. Otto Weidt sitzt in der 2. Reihe (6. v. l.), neben ihm Alice Licht, Inge Deutschkron sitzt in der vorderen Reihe auf dem Boden. Foto © Gedenkstätte Deutscher Widerstand [Gruppenfoto mit 36 Personen]

Bild: Gedenktafel am Haus Porschütz, Feurigstr. 43 in Berlin-Schöneberg. Quelle: wikipedia org / OTFW; CC GY-SA 3.0 [Text: Berliner Gedenktafel. Hier wohnte Hedwig Porschütz 10.6.1900-26.3.1977. In den Jahren 1943 und 1944 versteckte sie in ihrer Wohnung in der Alexanderstraße 5 mehrere Jüdinnen und bewahrte diese damit vor der Deportation in ein Vernichtungslager. Sie selbst wurde wegen "Schwarzhandels" - der auch der Ernährung ihrer Schützlinge diente - zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Hedwig Porschütz verdient die Anerkennung als "Stille Heldin". KPM]

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Aus der Arbeit des DVBS

Arbeitsumfeld für seheingeschränkte Menschen "enthindern" - E-Learning-Modul "Arbeitsassistenz" geht an den Start

Von Petra Krines

Arbeitsassistenzen sind für viele Menschen mit Behinderung eine wichtige Unterstützung zur gleichberechtigten Teilhabe im Berufsleben. Sie nehmen Beschäftigten mit Behinderung nicht ihre Arbeit ab, sondern unterstützen sie bei der Erbringung ihrer Leistungen. Doch es müssen einige bürokratische Hürden überwunden, Fragen geklärt und Ansprechpartner ermittelt werden, bevor eine Arbeitsassistenz bewilligt werden kann. Hier ist das neue, kostenlose E-Learning-Modul des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und von der PRO RETINA Deutschland eine Hilfe.

"Die Arbeitswelt hält viele Barrieren für seheingeschränkte Berufstätige bereit: PDFs können oft nicht von Screenreadern gelesen werden, Websites sind nicht barrierefrei formatiert und der Drucker lässt sich nur über einen Touchscreen bedienen", erklärt Marianne Preis-Dewey, die Geschäftsführerin des DVBS. Auch bei konventionellen Ablagesystemen, handschriftlichen Notizen und Unterschriften kommen blinde und stark sehbeeinträchtigte Berufstätige schnell an ihre Grenzen. "Hier können Arbeitsassistenzkräfte einspringen und das Arbeitsumfeld ‚enthindern‘. Sie helfen zudem bei Mobilitätssicherung in unbekanntem Umfeld, bei der Kontaktaufnahme mit fremden Personen und der organisatorisch-technischen Arbeitsvor- und -nachbereitung, etwa bei einer Präsentation", sagt Markus Georg, Geschäftsführer von PRO RETINA.

Die Lernplattform zur Arbeitsassistenz entwickelten die Selbsthilfeorganisationen DVBS und PRO RETINA, die Barmer GEK förderte das Projekt. Die Plattform lässt sich auch von E-Learning-Laien problemlos nutzen. Komplexe Sachverhalte werden verständlich vermittelt und eine Kursbibliothek mit barrierefreien Dokumenten ergänzt das Angebot. "Wir haben das E-Learning-Modul zur Arbeitsassistenz praxisnah konzipiert. Es bereitet optimal auf den gesamten Prozess von der Antragstellung über die Entwicklung des Anforderungsprofils, die Stellenausschreibung und die Gestaltung des Arbeitsvertrags bis hin zur eigenen Rolle im Arbeitsverhältnis vor. Zudem hilft es bei der Entscheidung, ob der Assistenzgeber als Arbeitgeber auftreten oder ein Dienstleistungsunternehmen beauftragen möchte. Mit vielen praktischen Übungen kann das neuerworbene Wissen vertieft werden", erklärt Klaus Winger, der das Modul maßgeblich entwickelte.

In diesem Jahr soll zudem eine Plattform zum Erfahrungsaustausch für Assistenznutzende und Assistenzkräfte etabliert und im Herbst eine Fachtagung zum Thema durchgeführt werden.

Interessierte erhalten die Zugangsdaten zur Lernplattform über den DVBS, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Telefon: 06421 948880 oder die PRO RETINA, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Telefon:0228 2272170.

Bild: Online-Plattformen bieten ideale Möglichkeiten, zeit- und ortsunabhängig zu lernen. Abb.: pixabay / mmi9 [Zeichnung eines Computerbildschirms, auf dem verschiedene abstrakte Rubriken und zentral die Wörter "Online" und "Learning" stehen.]

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Making-of ... DVBS-Arbeitsausschusssitzung 2020

Von Norbert Bongartz und Sabine Hahn

Auf zur Generalprobe! Bereits vier Tage vor der Sitzung des Arbeitsausschusses im November 2020 war die Spannung in der DVBS-Geschäftsstelle groß: Das erste Mal sollte die Sitzung per Videokonferenz stattfinden. Die Einladungen waren lange verschickt, die Tagesordnung stand fest - nun ging es um einen letzten Test, wie die Technik und Zusammenarbeit "hinter den Kulissen", als Host und Unterstützer, klappen würde. Mit Laptops ausgestattet, trafen sich Christian Axnick, Steffi Görge und Birgit Stolz weit nach ihrem üblichen Dienstschluss am Montagabend für ein "Zoom"-Probemeeting im DVBS-Seminarraum. Der bot sowohl Corona-gerechten Abstand als auch die Möglichkeit, sich Tipps zuzurufen. Zuschalten konnten sich alle eingeladenen Mitglieder des Arbeitsausschusses, die vor dem Wochenende auf Nummer sicher gehen wollten, dass Einwahl und eigene Technik funktionieren. "Alles kein Problem", berichtete Birgit Stolz am nächsten Morgen erleichtert, "es ging ziemlich fix. Größtenteils sind unsere Mitglieder schon gut mit der Zoomtechnik vertraut." Und Stefanie Görge ergänzte: "Einige brauchten nur kleine Hinweise, um 'reinzukommen'." Offen und spannend blieb, ob die anstehende Wahl am Wochenende geheim sein sollte. Hierfür wäre Zoom nicht geeignet, doch eine Alternative hatte das Trio aus der Geschäftsstelle natürlich in petto.

Premiere! Als am Freitag, den 13. November um 17.00 Uhr unter der Moderation von Norbert Bongartz, dem Vorsitzenden des Arbeitsausschusses, die digitale Sitzung begann, zeigte sich, dass das Probemeeting seinen Zweck erfüllt hatte. Ungestört von technischen Problemen konnten alle anstehenden Themen bearbeitet werden. 29 Ehrenamtliche des DVBS nahmen an der Videokonferenz teil, einige per Telefon. Eine Videokamera war für die Teilnahme nicht nötig, wurde aber dennoch von einigen Mitgliedern genutzt. Am Samstag, den 14. November, wurde die Sitzung um 9.30 Uhr fortgesetzt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiteten äußerst konzentriert, nahmen den Geschäftsbericht des DVBS-Vorstandes entgegen und erteilten für das Jahr 2019 Entlastung. Außerdem wurde der Wirtschaftsplan für das Jahr 2021 genehmigt.

Inhaltlich beschränkte sich der Arbeitsausschuss diesmal auf die durch das Vereinsrecht und die Satzung vorgegebenen Tagesordnungspunkte - auch um eventuelle Belastungen durch das neue und ungewohnte Format der Sitzung so gering und erträglich wie möglich zu halten. Wie in den Jahren zuvor gilt jedoch: "Die Leserschaft dieses Artikels kann davon ausgehen, dass über alle verhandelten Punkte in geeigneter Form in den Vereinsmedien des DVBS berichtet wurde oder wird", so Norbert Bongartz.

Zu den Tagesordnungspunkten gehörte auch die Wahl der Leitung des Arbeitsausschusses. Da niemand eine geheime Wahl wünschte, wurden die Stimmen einzeln aufgerufen und ausgezählt. Die bisherige Leitung wurde bei dieser Wahl bestätigt: Norbert Bongartz bleibt Vorsitzender des Arbeitsausschusses, seine Stellvertreter sind Dr. Heinz-Willi Bach und Dr. Andreas Wagner.

Und wie kam die erste Videokonferenz-Sitzung des Arbeitsausschusses bei den Teilnehmenden an? "Ganz ausgezeichnet", so Dr. Heinz Willi Bach. "Diese Konferenz war derart problemlos, völlig ohne technische Startprobleme und mit so einer guten Qualität, wie ich es bisher nicht erlebt habe". "Zwar fehlen die persönlichen Begegnungen und Gespräche", so ein anderer Teilnehmer, "allerdings verlief die Sitzung konzentrierter und strukturierter als üblich". Und Norbert Bongartz ergänzt: "Herzlichen Dank an alle, die sich auf die neue Form der Sitzung eingelassen haben. Videokonferenzen sind neben dem telefonischen Austausch für uns wichtige Möglichkeiten, auch in Krisenzeiten verlässlich miteinander zu arbeiten und uns auszutauschen. Und natürlich auch ein großes Dankeschön an das Team der DVBS-Geschäftsstelle, das vor und während der Sitzung mit einem tollen Einsatz zu diesem reibungslosen Ablauf beigetragen hat!"

Für das Team der DVBS-Geschäftsstelle werden Online-Sitzungen per Zoom nun mehr und mehr zur Routine. Was das Jahr 2021 betrifft, hoffen jedoch alle wieder auf mehr "Offline-Begegnungen" vor Ort.

Bild: Norbert Bongartz, Dr. Heinz Willi Bach und Dr. Andreas Wagner (v. l. n. r.) wurde nals Vorsitzende des Arbeitsausschusses wiedergewählt. Fotos: privat / DVBS / privat [3 Portraitfotos]

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Gesundheit und Balance in schwierigen Zeiten

Von Anette Bach

Das Motto des Seminars der Interessengruppe Ruhestand wurde für uns Planer im Vorfeld beinahe zu einem Alpdruck. Noch kurz vor Veranstaltungsbeginn am 19. September 2020 wussten wir wegen der Corona-Kapriolen nicht, ob das Seminar überhaupt stattfinden würde. Dann aber hatten wir Glück und die 44 Angemeldeten konnten im Aura-Hotel am Timmendorfer Strand anreisen. Anfangs kam uns das Seminar nicht ganz so vor, wie wir es uns gewünscht hätten. Denn viele Vorschriften und Anordnungen, zu denen der Hoteldirektor verpflichtet war, erlaubten zunächst keine Hoffnung auf eine gemütliche, entspannte Atmosphäre: ständig eine Maske im Gesicht, keine Möglichkeit, sich mit anderen Teilnehmern als mit den Tischnachbarn beim Essen mal anderswo auf einen Kaffee oder ein Gläschen Wein zu treffen, an Abstandsregel und Hygiene denken... Doch das alles wurde recht bald Routine und unter uns nicht weiter erwähnt. Denn: Es war dennoch ein richtig gutes Seminar!

Wie konnte das gelingen? Nun ja, kommen wir zunächst zum wichtigsten, dem Essen. Das war so gut, dass wir alle größte Mühe hatten, die Erkenntnisse, die wir im Vortrag über vernünftiges Essen gelernt hatten, nur ansatzweise zu beherzigen. Es war einfach zu lecker! Außerdem wurden wir von einem so freundlichen und fröhlichen Personal derart verwöhnt und bemuttert, dass wir uns wohlfühlen mussten.

Zum Gelingen hat zweifellos beigetragen, dass wir nahezu alle geplanten Seminarteile tatsächlich durchführen konnten. Hierzu gehörten etwa Angebote zum Umgang mit dem iPhone, die, wie erwartet, komplett ausgebucht waren. Außerdem beschäftigten wir uns mit dem Thema Schlaf und seinen Schwierigkeiten oder mit der Frage, was uns in unserem Alltag in schwierigen Zeiten glücklich machen kann.

Dabei haben bestimmt die Märchenlesungen geholfen. Wir hörten Märchen von Christian Andersen. Nicht nur das: Sinn und ihre Hintergründigkeit der Märchen wurden uns von eine sehr erfahrenen Psychologin sehr kurzweilig entschlüsselt.

Wir haben jedoch nicht nur auf unseren Stühlen gesessen. Ein Teilnehmer vermittelte uns "18 goldene Gesundheitsübungen" aus dem Taiji-Qigong, Corona-gerecht und mit erstaunlichem Improvisationstalent. Er hat bei verschiedenen Meistern gelernt und eine große Trainererfahrung.

Unsere Ausflüge in die Umgebung waren hoch willkommen und auch nötig, um ein wenig über Land und Leuten zu erfahren. Wir sind zum Beispiel durch ein altes Sumpfgebiet zum Aussichtsturm Hermann-Löns-Blick gelaufen, den dann die besonders Sportlichen bestiegen haben. Unser Führer hatte viel Wissenswertes und genauso viel Anekdotisches für uns. Getoppt hat er dann die Wanderung mit Schnäpschen und Marzipan für jeden - das alles bei einem zauberhaften Herbstwetter, das uns übrigens die ganze Woche treu war. So lockte uns dann natürlich in jeder Seminarpause die nur wenige Schritte vom Haus entfernte Ostsee zu ihrem Strand.

Außerdem stellte uns eine nahegelegene Vogelstation, die schon gut auf den Besuch blinder Menschen eingestellt war, anschaulich die heimische Vogelwelt vor. Und es gab ein Ostseemuseum - viel spannender und umfangreicher, als wir es in einem so kleinen Ort erwartet hätten.

Ja, wir haben viel gelernt! Aber nicht nur. Wir hatten auch einfach nur nette unterhaltsame Stunden mit Quiz, Rätselgeschichten, Berichten verrückter Erlebnisse und sogar Musik. Ja, ja, das war verboten! Aber wir hatten draußen auf dem Flur ein Klavier. Da hat sich ein Virtuose aus unseren Reihen hingesetzt, wir haben die Tür aufgemacht und konnten so, mit erlaubtem Abstand, lauschen.

Überhaupt war es ein wenig erhebend zu sehen, dass die meisten der Referenten und Referentinnen aus unseren eigenen Reihen kamen. Fast alle hatten einen Hintergrund mit Blindheit oder Sehbehinderung.

Die Woche bis zum 26. September verflog. Das Programm war so vielfältig und dicht, dass es hier nicht komplett wiedergegeben werden kann, ohne die redaktionellen Vorgaben zu missachten. Doch es gibt eine Lösung: Wenn Sie auch einmal ein solches Seminar erleben wollen, dann kommen Sie im Mai 2021 nach Saulgrub. Da dürfen wir uns hoffentlich mal wieder zur Begrüßung, oder auch sonst, in den Arm nehmen.

Bild 1: Das DVBS-Seminar an der Ostsee bot ideale Möglichkeiten, Pausen am Strand zu verbringen. Abb.: pixabay / Ricarda Mölck [Zeichnung eines Sandstrands mit Strandkorb, blauem Meer und Möwe.]

Bild 2: Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer besuchen den Hafen in Travemünde. Foto: privat [Gruppenfoto]

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"Ich sehe harte Kämpfe voraus" - Seminar zur Umsetzung des European Accessibility Acts (EAA)

Von Petra Krines

44 Teilnehmende, überwiegend Fachpublikum, hatte das erste Online-Seminar des DVBS zum European Accessibility Act (EAA) am 16. Januar 2021. Der EAA formuliert Barrierefreiheitsanforderungen an Güter und Dienstleistungen und nimmt so auch private Wirtschaftsakteure in die Pflicht.

Uwe Boysen (DVBS) übernahm die Moderation und stellte die Grundlagen der EU-Gesetzgebung vor. Er erklärte, dass Verordnungen der Europäischen Union in jedem Mitgliedstaat gelten, mit Direktwirkung. Richtlinien hingegen, wie der EAA, müssten erst in nationales Recht umgesetzt werden, wobei Fristen gelten, in diesem Fall bis 28. Juni 2022, und weitere Fristen, bis die Regelungen greifen (zunächst bis 2025, teilweise auch bis 2031).

Christiane Möller, DVBS-Mitglied und Rechtsreferentin des DBSV, ging in ihrem Vortrag kurz auf die Geschichte des EAA ein. Mit dem auf Deutsch sog. Europäischen Barrierefreiheitsgesetz sollen Handelshemmnisse im EU-Binnenmarkt abgebaut und für freien Warenverkehr durch die Beseitigung von Hürden gesorgt werden, so Möller. Unter die Vorgaben des EAA fallen insbesondere Computer und Smartphones, Check-in- und Fahrkartenautomaten, Router und Fernsehgeräte, Geldautomaten und Bankdienstleistungen, Notrufdienste, E-Books und E-Book-Reader sowie der Onlinehandel. Dabei bewerten die Wirtschaftsakteure selbst, ob ihre Produkte den Anforderungen des EAA entsprechen, allerdings kontrolliert durch Marktüberwachungsbehörden, deren Zuständigkeiten und Know-How aber sicher ein Streitpunkt in der weiteren Diskussion sein werden.

Der DVBS und der DBSV haben bereits im Mai 2020 zur Umsetzung des EAA Stellung bezogen und ein gemeinsames Forderungspapier verfasst mit dem dringenden Appell, nationale Handlungsspielräume voll auszuschöpfen, Barrierefreiheit zu definieren und standardisieren, Marktüberwachung unter Einbindung von Menschen mit Behinderungen und wissenschaftlicher Begleitforschung zu etablieren, den Personennahverkehr, geschäftliche Bankdienstleistungen und bauliche Barrierefreiheit mit einzubeziehen, u.v.m., was im EAA ausgeklammert ist (siehe horus 3/2020, S. 27 ff).

Kurz: Die Selbsthilfe setzt sich dafür ein, mehr zu tun als gesetzlich gefordert ist. Jetzt gilt es, den politischen Druck vor und ggf. nach der Bundestagswahl aufrecht zu erhalten. Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), der Ende Januar 2021 vorliegen soll, wird vermutlich wenig ambitioniert sein und eine 1:1-Umsetzung der Richtlinie befürworten. "Ich sehe harte Kämpfe voraus", prophezeite Uwe Boysen.

Das Seminar fand im Rahmen der Ehrenamtsakademie des DVBS statt. Die Teilnehmenden begrüßten das neue digitale Format und wünschten sich auch für die Zukunft Online-Seminare und hybride Veranstaltungen.

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Aus der blista

"Ziemlich schnell, ziemlich gut" - blista-Judoka Leonie Botzek mit Jugendförderstipendium der Stadt Marburg ausgezeichnet

Von Thorsten Büchner

Wie gut es manchmal ist, auf Freundinnen und Freunde zu hören, weiß die 14-jährige blista-Schülerin Leonie Botzek ziemlich genau. "Die sagten zu mir: Judo könnte echt was für dich sein. Probiers doch mal aus und komm mal mit ins Training."

Seither ist einiges passiert und Leonie Botzek hat die Judo-Leidenschaft gepackt. In den letzten Monaten nahm Botzek erfolgreich an mehreren Wettkämpfen teil und wurde in der örtlichen Presse als "aufgehender Stern am Judo-Himmel" bezeichnet.

Der Nachwuchstrainer der Judo-Nationalmannschaft und blista-Lehrertrainer Markus Zaumbrecher ist "ziemlich beeindruckt, wie schnell Leonie so gut" geworden ist. Sie bringe alles mit, was eine erfolgreiche Judoka auszeichnet.

So belegte Botzek bei den internationalen offenen deutschen Meisterschaften einen hervorragenden zweiten Platz und konnte auch schon bei einem Wettkampf der Senioren überzeugen. "Klar war ich bei meinem ersten Wettkampf etwas nervös, aber mein Team hat mich gut unterstützt und dann hat es mir dermaßen Spaß gemacht, dass mein Ehrgeiz gepackt wurde", beschreibt Leonie ihre bisherigen Wettkampferfahrungen.

Ihr großer Traum ist es im Kader der Jugend-Nationalmannschaft mitzutrainieren. Ihr nächstes Wettkampfziel ist die Junioren-Europameisterschaft im Juni dieses Jahres.

Unterstützung und Anerkennung erhält Leonie Botzek nun auch von der Universitätsstadt Marburg, die sie mit einem Jugendförderstipendium in Höhe von 2000 Euro ausgezeichnet hat. "Ich habe mich sehr darüber gefreut, als ich davon erfahren habe", sagt sie.

Ihr Trainer Markus Zaumbrecher verspricht sich von dieser Anerkennung ebenfalls einen "Schub in der Entwicklung". Bereits im Jahr 2017 wurde ein blista-Schüler, Daniel Goral, mit diesem Sportstipendium ausgezeichnet. 2021 wird er, wenn Corona es zulässt, in Tokio an den Paralympics teilnehmen.

Der stellvertretende blista-Vorstand Patrick Temmesfeld freut sich darüber, "dass dieses Stipendium auf eindrucksvolle Art und Weise aufzeigt, mit welcher Leidenschaft und Qualität hier an der blista Leistungssport betrieben und gefördert wird." Zudem drückt Temmesfeld Leonie Botzek "alle Daumen" für ihre weitere, sportliche Entwicklung und die anstehenden, spannenden Herausforderungen auf der Judomatte.

Bild: Leonie Botzek mit Markus Zaumbrecher (li) und Patrick Temmesfeld (re). Foto: blista [Leonie Botzek steht im weißen Judo-Anzug mit grünem Gürtel in der Turnhalle, hinter ihr in großem Abstand und mit Mund-Nasen-Maske Markus Zaumbrecher und Patrick Temmesfeld.]

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Mathe-Ass Mila Bödeker bei der Mathematik-Olympiade erfolgreich

Herausfordernde Aufgaben, die Spaß machen und zum Knobeln einladen, sind das Herzstück der "Mathematik-Olympiade in Deutschland" und genau das Richtige für blista-Schülerin Mila Bödeker: "Ich finde es spannend, Aufgaben zu lösen, bei denen man ein bisschen nachdenken muss", sagt die 16-Jährige vergnügt.

Bei der Mathematik-Olympiade haben Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, ihre mathematischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und weiterzuentwickeln. Die anspruchsvollen Aufgaben sollen zugleich logisches Denken, Kombinationsfähigkeit und den kreativen Umgang mit mathematischen Methoden fördern. Die Mathematik-Olympiade erstreckt sich über mehrere Runden. Mila hat sich durch ihre erfolgreiche Teilnahme an der ersten Stufe (Hausaufgabenrunde) für die zweite Stufe (Schulrunde) qualifiziert und ist dort als einzige Teilnehmerin der Carl-Strehl-Schule Schulsiegerin geworden. Mila hat sich auch weiterhin wacker geschlagen, sich allerdings für die Landesrunde (noch) nicht qualifizieren können.

"Das ist ein bemerkenswerter Erfolg", freute sich Schulleiter Peter Audretsch und richtete sich schmunzelnd an die Preisträgerin: "Bitte, machen Sie weiter so."
Mila ist im letzten Jahr als Quereinsteigerin an die Oberstufe der Carl-Strehl-Schule gewechselt und besucht seit diesem Schuljahr den Leistungskurs Mathematik bei Dr. Thomas Feldtmann. Als Anerkennung überreicht er Mila eine einschlägige Lektüre.

"Aus der Carl-Strehl-Schule haben sich seit einigen Jahren recht regelmäßig Schüler*innen an dieser Mathe-Olympiade beteiligt", erinnert Peter Audretsch. Entgegen dem traditionellen Trend sind es an der blista häufiger Mädchen als Jungen, denen es Freude macht, beim Bundeswettbewerb ihre Leistung unter Beweis zu stellen.

Bild: Mila Bödeker erhält von Dr. Thomas Feldtmann (li) im Beisein von blista-Schulleiter Peter Audretsch (re) ein Buchpräsent. Foto: blista [Gruppenbild vor Bürotür und geschmücktem Weihnachtsbaum.]

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Und es hat "Zoom" gemacht - Erste Online Live-Lesung der Deutschen Blinden-Hörbücherei übertrifft alle Erwartungen!

Von André Tolzmann

Anlässlich des Bundesweiten Vorlesetages am 20. November beschritt die Deutsche Blinden-Hörbücherei (DBH) in Marburg Neuland und stellte für ihre blinden und sehbehinderten Hörer*innen eine Live-Lesung auf die virtuelle Bühne. Gemäß dem Motto des diesjährigen Vorlesetages "Europa und die Welt" konnten die Hörer*innen per Telefon, PC, Tablet oder Smartphone am Zoom-Meeting teilnehmen und sogar im fernen Japan wurde begeistert gelauscht.

Was rein technisch als Onlinekonferenz über die Plattform "Zoom" daherkam, sollte sich für die Zuhörer*innen schnell wie eine Präsenzveranstaltung anfühlen. Die Videosignale wurden dunkel, die Stimmen verstummten und 200 Ohren waren auf das Studio 1 der Deutschen Blinden-Hörbücherei in der mittelhessischen Universitätsstadt gerichtet.

"Montag, 23. Juni 2014. Auf dem kleinen Empfang, der anlässlich meines Ausscheidens aus dem Polizeidienst des Staates New York veranstaltet wurde, sah ich Stephanie Mailer, die sich unauffällig unter die Gäste gemischt hatte, zum ersten und letzten Mal."

Das waren die ersten Worte der eindrucksvollen Vertonung des Kriminalromans "Das Verschwinden der Stephanie Mailer" von Joël Dicker. In der ca. 20-minütigen Lesung ließ der Sprecher, Michael Remer, die Zuhörer*innen in die Geschichte eintauchen. Mit einer Mischung aus leisen, graziösen, Betonungen sowie lauter werdenden Spannungsbögen, sorgte Remer für echten Nervenkitzel. Dass der Funke auf die Zuhörer*innen übersprang, wurde auch in der anschließenden Diskussion deutlich.

Doch dann war das Studio 4 mit einem ganz anderen Genre an der Reihe. Vorgetragen wurde das, in den Medien sehr kontrovers diskutierte Sachbuch, "Schaden in der Oberleitung - das geplante Desaster der Deutschen Bahn" von Arno Luik.

Bevor die Sprecherin, Martina Schlegl, begann, sprach sie eine "Triggerwarnung" aus, da das Buch einige Passagen enthält, die für manche Zuhörer*innen verstörend sein könnten. Rund 30 Minuten waren Zuhörer*innen und Sprecherin gleichermaßen gefesselt von den Enthüllungen, welche dieses Buch bereithält. Die dargestellten Mängel, insbesondere beim Brandschutz, weckten tatsächlich bei vielen Zuhörer*innen Ängste und mehrfach wurde Hoffnung geäußert, dass Stuttgart 21 in dieser Form doch niemals an den Start gehen möge.

Nach zwei kurzweiligen Stunden ging die Premierenlesung mit dem allgemeinen Tenor zu Ende, dass solche Veranstaltungen in Zeiten des Lockdowns unbedingt wiederholt werden sollten. Dies unterstrich auch die Mail einer blinden Hörerin aus Japan: "Die vollen zwei Stunden habe ich genossen. Es hat sich hundertprozentig gelohnt, dass ich um halb zwei nachts meinen Wecker gestellt habe."

Bild: Sprecherin Martina Schlegel hält von Studio 1 der Deutschen Blinden-Hörbücherei aus die Zuhörer*innen der Online-Lesung in Atem. Foto: blista [Blick in das Aufnahmestudio mit Mikrofon und Computerbildschirm. Die Sprecherin trägt Kopfhörer und eine Brille, sie wendet ihr Gesicht, das nicht erkennbar ist, dem Mikrofon zu.]

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Gelungener Saisonstart für Noemi Ristau

Erfolgreiches Para Alpin-Duo vom Landessportbund Hessen zur "Mannschaft des Jahres 2020" gekürt

Das Sportjahr 2020 war alles andere als einfach. Und doch konnte blista-Alumni Noemi Ristau den widrigen Umständen im Pandemie-Jahr trotzen und mit ihrer Guidin Paula Brenzel tolle sportliche Erfolge verbuchen.

Bereits im Frühjahr freute sich das Duo nach der verkürzten Weltcup-Saison2019/2020 über den sensationellen Sieg in der Gesamtwertung. Dann aber erschwerte die Pandemie die wichtigen konditionellen Trainingsphasen und erforderten größtmögliche Flexibilität, denn mal mussten die Fitness-Studios schließen und es galt individuelle Möglichkeiten zu finden, mal standen die Mannschafts-Trainings infrage oder mussten gar vorzeitig abgebrochen werden.

Dennoch gelang der Auftakt der neuen Saison 2020/2021 auf der österreichischen Resterhöhe bei traumhaften Wetterbedingungen und unter Einhaltung strenger Hygienekonzepte Anfang Dezember hervorragend. Insgesamt vier Slalom-Rennen fanden beim "2020 World Para Alpine Skiing Resterhöhe" statt. Die stolze Bilanz des Duos Ristau Brenzel lautete zweimal Gold, einmal Silber und auch das Nachwuchstalent aus der blista, Luisa Gruber, war mit ihrem Guide Lucia Rispler erfolgreich am Start. Bei allen, so Ristau, habe die Freude am Wettbewerb eindeutig im Mittelpunkt bei diesem Para-Ski Alpin Slalom-Rennen am Pass Thurn in Österreich gestanden. Dass in diesem merkwürdigen Jahr überhaupt Rennen ausgetragen werden konnten, hatten viele nicht für möglich gehalten. Doch es ging weiter. Für Noemi Ristau folgten Silber und Bronze beim Europacup-Rennen auf dem Kaunertaler Gletscher, dann ein zweiter Platz im Riesenslalom beim "2020 World Para Alpine Skiing Kaunertal" und schließlich je einmal Gold, Silber und Bronze beim EuropaCup in St Moritz.

Nicht zuletzt konnte sich das sympatische Alpin-Duo zum Jahresende 2020 den Titel "Mannschaft des Jahres" beim Landessportbund Hessen (LSB) sichern. Zum ersten Mal hat dabei nicht nur die bewährte LSB-Expertenjury entschieden, sondern auch ein breites Publikum war via Internet unter hessenschau.de zur Stimmabgabe eingeladen. Noemi Ristau notiert unter Facebook (https://www.facebook.com/noemiristau/): "Wir können es kaum glauben! Paula und ich wurden heute zu "Hessens Mannschaft des Jahres" gewa¨hlt! Wir freuen uns sehr!!! Es ist für uns eine große Ehre und wir sagen DANKE."

blista und DVBS gratulieren aufs Herzlichste: Gebt weiter Gas auf der "#RoadtoBeijing", auf dem Weg zu den Winter-Paralympics 2022 in Peking.

Wer die einzelnen Rennen verfolgen möchte, findet die Termine unter www.paralympic.org/alpine-skiing/events.

Bild: Temporeiche Abfahrt im Schnee: Noemi Ristau und Paula Brenzel beim Slalom-Rennen. Foto: privat [Elegant gleiten zwei Menschen in Skianzügen und Helmen zwischen zwei Slalomstöcken auf blau schimmerndem Schnee bergab. Der Winkel zwischen Körperachse, Hüfte und Füße lässt auf ein hohes Tempo schließen.]

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"Ob es wohl Spaß macht, digital zu schnuppern?" Tolle Resonanz beim ersten "Info-Zoom für junge Leute” - nächster Termin am 16. März 2021 ab 16.00 Uhr

Von Dr. Imke Troltenier

Die Schnuppertage und Orientierungswochen der blista sind sehr beliebt. Wer sich mit den viel fältigen Angeboten vertraut machen möchte, die genau auf die Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern mit Seheinschränkungen abgestimmt sind, ist auf dem blista Campus richtig.

Wie aber soll das Angebot in diesen pandemischen Zeiten aussehen? Kann das Schnuppern auch auf digitalen Wegen Spaß machen? Was braucht es, damit sich unsere Besucher*innen beim virtuellen Treffen auf dem blista Campus wohlfühlen? Wie erreichen wir die jungen Leute? Ob sie wohl Lust haben, uns online zu besuchen …? An der blista wurde überlegt, diskutiert und getüftelt, es wurden Videos produziert und Konferenzsysteme auf barrierefreie Zugänglichkeit getestet. Dann ging es los.

Die Ankündigung für das neue "Info-Zoom für junge Leute mit Blindheit und Sehbehinderung" klang vielversprechend: "Schulabschluss: Hier geht es weiter! Wenn du dich auf die nächsten Schritte (nach) der Schulzeit vorbereiten möchtest, bist du hier genau richtig. Du kannst die blista online kennenlernen und gewinnst Einblicke in die vielfältigen Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung. Wer möchte, kann auch gleich mit Ausbilder*innen oder Lehrkräften ins Gespräch kommen …"

Zum angekündigten Termin, am letzten Mittwoch im Januar 2021, war die Spannung groß. Doch nach und nach meldeten sich Teilnehmende aus dem ganzen Bundesgebiet. Ob aus Berlin, München, Ilvesheim oder Hamburg, die meisten klickten sehr versiert, wischten oder navigierten via Sprachsteuerung. Pünktlich um 16 Uhr war die Gruppe auf rund 35 Teilnehmende angewachsen. Die einen waren mit Smartphone unterwegs, die anderen mit Tablet oder PC: Schüler*innen, Auszubildende, interessierte Lehrer*innen, Eltern und Mitarbeiter*innen des Integrationsfachdienstes.

Moderiert von Patrick Temmesfeld, dem stellvertretenden Vorsitzenden der blista, nahm das Treffen schnell Fahrt auf. Wo immer angefragt, wurden Hinweise zur Bedienung sympathisch adressiert und bekannte Kontakte aufgefrischt. In der Vorstellungsrunde berichteten die Teilnehmen den über ihre Interessen und Anliegen, entdeckten ehemalige Mitschüler*innen und verabredeten sich für die nachfolgenden Kleingruppen in den sogenannten "Breakout Sessions".

Auf das lebendige, lockere Kennenlernen im Plenum folgte die Aufteilung in drei Kleingruppen: Martina Dirmeier, Abteilungsleiterin berufliche Schulzweige, stellte die Fachoberschulen auf dem blista Campus vor, Otfrid Altfeld, Leiter des blista-Zentrums für berufliche Bildung, informierte über die sechs unterschiedlichen Ausbildungsmöglichkeiten und Maarten Kubeja, Leiter des dezentralen Internats, über das Wohnen inmitten der quicklebendigen Universitätsstadt Marburg.

Nach der ersten Kleingruppen-Runde mit drei ca. 15-minütigen "Sessions" wurden alle zurück ins Plenum "gebeamt", um sich dort ungezwungen auszutauschen, Tipps und Tricks zur Technik abzufragen und neu zu orientieren. Dann ging es für die meisten mit einer neuen Kleingruppe weiter. Andere blieben mit Moderator Patrick Temmesfeld im Plenum oder kamen dorthin zurück, um die Kleingruppe zu wechseln. Nach weiteren 15 Minuten "beamte" der Moderator erneut alle Teilnehmenden zurück ins Plenum. Wer wollte, konnte sich dann erneut für eine der drei Kleingruppen entscheiden.

Zwei Stunden waren insgesamt für das Info-Zoom angesetzt, die längst nicht reichten. Die allermeisten schnupperten gute drei Stunden. Die finale Resonanz war prima. Auch via Chat funktion kam die Rückmeldung: "Ich bedanke mich herzlich für die tolle Veranstaltung und die vielen Infos!"

An der blista freut man sich über das große Interesse und die gute Stimmung beim "Info-Zoom". Dass sich die Wohngruppen des blista-Internats über die ganze Stadt verteilen, dass man einen guten Fachoberschulabschluss erreichen kann, auch wenn Mathe nicht gerade zu den Lieblingsfächern zählt oder dass die Ausbildung im E-Commerce für kreative junge Menschen genau passt … - viele Informa-tionen waren wirklich neu, es gab jede Menge Fragen und Gesprächsbedarf. Der beste Austausch entstand, wenn die Kleingruppen nicht mehr als fünf Teilnehmende zählten. Es wird nun überlegt, mehr Gruppen anzubieten, zusätzliche Infos zu verlinken und mehr Zeit einzuplanen. Eines steht jedenfalls fest, zum Thema "Schulabschluss: Hier geht es weiter!" wird die blista das nächste "Info-Zoom für junge Leute" schon am Dienstag, 16. März 2021, anbieten.

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Bücher

Hörbuchtipps aus der blista

Von Thorsten Büchner

Wulf D. Hund: Wie die Deutschen weiß wurden. Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus

Metzler, Stuttgart, 2017. Bestellnummer: 1471631, Laufzeit: 6 Std. 28 Min.

Erst im Verlauf des europäischen Kolonialismus entstanden Formen der Herabminderung, die mit bestimmten Hautfarben verknüpft waren. Sie mündeten schließlich in die von der Aufklärung entwickelte Rassentheorie, wobei deutsche Denker eine bedeutende Rolle spielten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Rassedenken durch antikoloniale Bewegungen, Bürgerrechtskämpfe und schließlich durch Vernetzungen im Rahmen der Globalisierung zwar diskreditiert, die Entwicklung des Antisemitismus, der als Fremdenfeindlichkeit bezeichnete Rassismus gegen Migranten und schließlich der Antiislamismus zeigen jedoch, dass damit der Rassismus nicht am Ende ist, sondern sich wieder verstärkt jener kulturellen Elemente der Diskriminierung bedient, die er schon in seinen Anfängen benutzt hatte.

Deepa Anappara: Die Detektive vom Bhoot-Basar

Rowohlt, Hamburg, 2020. Bestellnummer: 1439551, Laufzeit: 13 Std. 56 Min.

"Die Detektive vom Bhoot-Basar" erzählt von den Farben und Widersprüchen des heutigen Indien, von sozialen und religiösen Spannungen, Korruption und Ungerechtigkeit, vor allem aber von der unbesiegbaren Vitalität dreier Kinder, von deren Wagemut, Unschuld und überbordender Phantasie.

Christian Maté: Medizin ohne Ärzte. Ersetzt künstliche Intelligenz die menschliche Heilkunst?

Residenz, Salzburg, 2020. Bestellnummer:1463981, Laufzeit: 5 Std. 34 Min.

Der Einsatz von Artificial Intelligence und Big Data in Diagnostik und Therapie hat das Potenzial, das Selbstverständnis der Mediziner in seinen Grundfesten zu erschüttern. Was über Jahrhunderte als ärztliche Kunst bezeichnet wurde, können Maschinen zum Teil schon jetzt besser: Krankheiten diagnostizieren, individuelle Behandlungen auswählen oder operative Eingriffe durchführen. Sind Ärzte aus Fleisch und Blut schon bald überflüssig? Was hat der Patient der Zukunft zu erwarten? Christian Maté, selbst Mediziner, geht dieser Frage auf den Grund und entwickelt spannende Thesen für die digitale Zukunft.

Meike Winnemuth: Bin im Garten. Ein Jahr wachsen und wachsen lassen

Penguin, München, 2019. Bestellnummer: 870841, Laufzeit: 9 Std. 14 Min.

"Ein Jahr im Garten leben. Gemüse anbauen. Bäume pflanzen. Blümchen natürlich auch. Wurzeln schlagen. Boden unter den Füßen finden, und zwar einen, den ich persönlich dorthin geschaufelt habe." Weltreisende sucht Ort zum Bleiben: Mit Tempo und Witz erzählt Meike Winnemuth in ihrem Tagebuch von ihrem neuen Abenteuer - dem ersten eigenen Garten.

Ihr Kontakt zur DBH

Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.
Am Schlag 2-12
35037 Marburg
Telefon: 06421 606-0
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Bild: Kopfhörer. Abb: pixabay / Clker Free Vector Images

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Inklusive Kindebücher zum Lesen und Vorlesen

Von Wencke Gemril und Jochen Schäfer

Bevor wir weitere Bände von "Die Schule der magischen Tiere" vorstellen, möchten wir auf zwei "tierische" Bilderbücher aufmerksam machen, die es neu in adaptierter Form von der blista gibt.

"Die Eule mit der Beule" von Susanne Weber erzählt in schönen Reimen die Geschichte von der kleinen Eule, die sich wehgetan hat. Sie hat eine Beule und verschiedene Tiere möchten ihr helfen. Die Schlange streichelt sie, der Fuchs pustet, die Maus bringt ihr ein Pflaster, der Bär möchte sie mit Honig behandeln. Doch schließlich kommt die Eulenmama und dann ist endlich Alles gut.

Dieses Buch kann schon kleinen Kindern Trost spenden. Unsere Version besteht aus einem Pappbilderbuch, bei dem der Buch-Text und knappe Bildbeschreibungen eingeklebt sind. Dieses Bilderbuch ist unter der Bestellnummer 4974 zum Preis von 15,90 Euro erhältlich.

Das andere Bilderbuch erzählt vom kleinen Hasen, der nicht ins Bett gehen möchte. "Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?" Fragt der kleine Hase und hält sich an den großen Ohren des großen Hasen fest. Der ist gespannt. "Ich hab dich so lieb, wie weit ich meine Arme ausbreiten kann.", sagt der kleine Hase. Doch die Arme des großen Hasen sind länger und so kann er sie auch viel weiter ausbreiten. Der große Hase kann auch höher hüpfen und weiter über die Landschaft schauen. Der kleine Hase versucht seine Liebe auszudrücken und wird dabei immer wieder vom großen Hasen überboten. Schließlich schläft er erschöpft in den Pfoten des großen Hasen ein. "Bis zum Mond und zurück haben wir uns lieb", sagt der große Hase und gibt ihm einen Gute-Nacht-Kuss.

Das Buch "Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?" von Sam McBratney erschien 1994 und wurde seither weltweit mehr als 50 Millionen Mal verkauft und in 57 Sprachen übersetzt. 2012 entstand unter demselben Titel eine Fernsehserie für Kinder, in der es um Liebe und Freundschaft geht.

Sam McBratney hat als Grundschullehrer gearbeitet und ließ sich früh pensionieren, um sich auf seine Karriere als Autor zu konzentrieren. Er lebte mit seiner Familie in Nordirland und starb am 18. September 2020.

Das Buch ist für kleine und große Leser, die sich lieb haben. Bei unserer adaptierten Version ist der Buch-Text in das Pappbilderbuch eingeklebt. Es ist unter der Bestellnummer 4979 zum Preis von 15,90 Euro erhältlich.

Margit Auer: Die Schule der magischen Tiere - Neue Abenteuer in der Wintersteinschule

Wir haben neun Bücher der Reihe "Die Schule der magischen Tiere", die in horus 4/2020 vorgestellt wurde, neu übertragen: "Top oder Flop" (Bestell-Nr. 4947), "Nass und nasser" (Bestell-Nr. 4948), "Wo ist Mister M.?" (Bestell-Nr. 4949), "Voll verknallt" (Bestell-Nr. 4950) und "Versteinert" (Bestell-Nr. 4951). Jedes Buch umfasst einen Band in Kurz- und zwei Bände in Vollschrift (Preis: je 21,50 € in Kurz-, 43 € in Vollschrift).

Außerdem gibt es inzwischen einen weiteren Teil in Punktschrift: "Endlich Ferien", gedruckt in Zürich und auch bald in unserer Marburger Bibliothek ausleihbar. Es gibt aber noch weitere Teile dieser Serie, die bisher nicht übertragen wurden. Wenn ihr also noch mehr Lust auf Abenteuer mit den magischen Tieren habt, gebt es doch bei eurer Bestellung mit an, dann kümmern wir uns drum, wobei wir aber erst Miss Cornfield und Mister Morrison fragen müssen, ob wir sie in Punktschrift übertragen dürfen, denn schließlich handelt es sich ja um ein großes Geheimnis.

Alle Bücher können bestellt werden bei

Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.
Am Schlag 2-12
35037 Marburg
Telefon: 06421 6060
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oder über unseren barrierefreien Online-Katalog
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Abb.: pixabay / Blubberfisch [Zeichnung eines Kindes in rotem Pulli und blauer Hose, das mit gekreuzten Beinen auf dem Boden sitzt und während des Lesens lächelt.]

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Panorama

Ein cooles Sommer-Camp in Kranj, Slowenien

Von Ursula Weber

Alpine Kultur genießen, PC-Kenntnisse vertiefen, internationale Freundschaften schließen und ganz nebenbei die Englischkenntnisse aufpolieren: Das und noch vieles mehr erleben die Teilnehmenden beim jährlich stattfindenden "International Camp on Communication and Computers" (ICC).

Das ICC 2021 startet durch. Nach Camps in Zadar, Kroatien, Hereford, Großbritannien und einem Jahr Zwangspause lädt der slowenische Host 2021 nach Kranj ein. Das Team erwartet vom 14. bis 23. Juli 2021 ca. 60 blinde und sehbehinderte Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 21 Jahren und ihre Begleiter aus zahlreichen europäischen Ländern.

Zehn Tage voller technischer, sozialer und kultureller Workshops sowie ein spannendes Freizeitangebot auf dem Areal des Bildungszentrums IRIS in Kranj versprechen ein attraktives Angebot. Da ist für jeden etwas dabei!

Workshops zu internationaler Vernetzung, zu Praktika oder Studium im Ausland, zu Kochen von lokalen Spezialitäten gehören genauso zum Programm wie Workshops zur Audiobearbeitung von Podcasts, Grundlagen zur Screenreader oder Screenmagnifier-Nutzung oder auch die Vorstellung und Einsatzmöglichkeiten von Sprachassistenten. An den Abenden locken sportliche Angebote wie Goalball Spielen, Tandem Fahren oder Schwimmen, sowie Schach spielen, Speed Dating oder Karaoke. Der fest im Programm verankerte Exkursionstag kann z.B. sportliche Aktivitäten wie Klettern bieten, in einen Nationalpark oder ein Instrumentenmuseum führen.

Je nach Austragungsort, aktiven Workshop-Leitern und Möglichkeiten des Hosts variieren die tatsächlichen Angebote jedes Jahr. Kurz vor Beginn des Camps stellen die Teilnehmenden ihr eigenes Programm zusammen.

Auch wenn noch vieles in der Planung steckt, sicher ist: Das Camp findet 2021 statt. Ob - wie geplant - in Kranj, als hybride Veranstaltung oder komplett digital, wird sich zeigen. Grundsätzliche Informationen - auch zu früheren Camps - finden sich auf der Homepage des ICC.

Veranstalter des ICC 2021 ist das Bildungszentrum IRIS für Kinder und junge Erwachsene mit Sehbeeinträchtigung in Ljubljana, Slowenien. Das deutsche Team stellt der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) zusammen. Camp-Sprache ist Englisch. Die Kosten belaufen sich auf 500 € ohne Anreise, finanzielle Unterstützung ist möglich.

Fragen zu Teilnahmebedingungen, zum Bewerbungsverfahren und zum Ablauf des ICC beantwortet die nationale Koordinatorin Ursula Weber, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Telefon: 0171/12 22 600.

Alle früheren Teilnehmenden schwärmen von diesem coolen Camp. Also: informieren, anmelden und dann im Juli 2021 die Koffer packen!

Linktipps:

ICC-Homepage: https://www.icc-camp.info/

IRIS-Homepage: https://center-iris.si/o-nas/center-iris-en/

DVBS-Homepage: https://www.dvbs-online.de/

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Deutscher Behindertenrat begrüßt Vorstoß von Minister Heil zur Erhöhung der Ausgleichsabgabe für "Nullbeschäftiger"

Zum Welttag der Menschen mit Behinderungen am 3.12.2020 hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, angekündigt, die Ausgleichsabgabe für die Unternehmen deutlich zu erhöhen, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen.

Dies äußerte er auf der Welttags-Veranstaltung des Deutschen Behindertenrates (DBR). Der DBR begrüßt das Vorhaben ausdrücklich. "Rund 43.000 Arbeitgeber beschäftigen keinen einzigen schwerbehinderten Menschen, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet wären", so Verena Bentele, die scheidende Vorsitzende des DBR-Sprecherrats und Präsidentin des Sozialverbands VdK. "Es darf nicht sein, dass sich Unternehmen aus der Verantwortung stehlen und sich freikaufen, anstatt Menschen mit Behinderung einzustellen."

Der DBR fürchtet, dass sich durch die Corona-Pandemie die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung weiter verschlechtert und die Arbeitslosenzahlen steigen.

Eine der wichtigsten Säulen des Schwerbehindertenrechts sei die Beschäftigungspflicht für Unternehmen, so Hubertus Heil. Doch es gebe nach wie vor Unternehmen, "die sich wegducken vor ihrer Verantwortung oder die Potenziale von Menschen mit Behinderungen für ihr Unternehmen noch nicht erkannt haben."

Menschen mit Behinderungen finden schwerer eine Arbeitsstelle als Menschen ohne Behinderung. Einmal arbeitslos geworden, dauert die Vermittlung in eine neue Stelle deutlich länger als bei Menschen ohne Behinderung.

"Die Appelle der Politik an die Unternehmen haben leider nicht viel bewirkt. Die im DBR zusammenarbeitenden Verbände werden die Umsetzung dieses überfälligen Schritts genau im Blick behalten", kündigt Hannelore Loskill an, die neue Vorsitzende des DBR-Sprecherrats und Vorstandsvorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe. Die BAG Selbsthilfe wird die Arbeit des Aktionsbündnisses Deutscher Behindertenrat im kommenden Jahr koordinieren.

Die Video-Aufzeichnung der Veranstaltung, zu der Gäste wie Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil live zugeschaltet waren, steht auf YouTube unter: youtu.be/MRiAXRZ6cwI

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Inklusion statt Einsamkeit: Paritätischer legt Teilhabebericht zur Situation von Menschen mit Behinderung vor

Von Gwendolyn Stilling

Laut dem Teilhabebericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes 2020 bestehen in fast allen Lebensbereichen weiterhin erhebliche Barrieren für Menschen mit Behinderung, so dass von gleichberechtigter Teilhabe keine Rede sein kann. Bereits vor der Corona-Pandemie sei mehr als jeder dritte Mensch mit Beeinträchtigung oder Schwerbehinderung (38,8 Prozent) von Einsamkeit betroffen gewesen, während weniger als jeder sechste Mensch ohne Beeinträchtigungen (15,8 Prozent) angab, oft oder eher oft einsam zu sein. Auch leben Menschen mit Behinderung überproportional häufig in Armut.

Schwerpunkt der im Dezember 2020 veröffentlichten Studie ist die Lebenssituation von Frauen und Männern mit Beeinträchtigungen zwischen 18 und 49 Jahren. Viele der Menschen in dieser Altersgruppe sind von Geburt oder Jugend an beeinträchtigt.

Der Verband weist darauf hin, dass sich durch die Covid-19-Pandemie Barrieren und Ausgrenzung noch einmal verschärft haben. "Corona geht für Menschen mit Behinderung noch mehr als für andere mit neuen Hürden und vielfach sozialer Isolation und Einsamkeit einher. In vielen Bereichen beobachten wir zudem einen Rückfall in überwunden geglaubte Handlungs- und Rollenmuster: Das Selbstbestimmungsrecht von Menschen in Einrichtungen wurde früh und weitgehend eingeschränkt. Es ist bestürzend, wie wenig alle Bekenntnisse zur Inklusion wert sind, wenn es hart auf hart kommt", kritisiert Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands.

Damit Einsamkeit in allen Altersgruppen vorgebeugt und bekämpft wird, sind laut Paritätischem drei Elemente von besonderer Bedeutung: eine Sozial- und Beschäftigungspolitik, die Armut verhindert und Teilhabe ermöglicht, die Förderung von Mobilität durch Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen und eine Verkehrsinfrastruktur, die auch im ländlichen Raum Mobilität gewährleistet, und soziale Orte und Infrastruktur, bei deren Nutzung sich Menschen begegnen können. Leitschnur müssten dabei stets Selbstbestimmung, Wunsch- und Wahlrecht sein.

Für den Teilhabebericht zu Lebenslagen von Frauen und Männern mit Beeinträchtigungen im frühen und mittleren Erwachsenenalter haben die Expert*innen der Paritätischen Forschungsstelle auf Befragungsdaten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) zurückgegriffen (Berichtsjahr: 2018). Der Bericht ist entstanden im Rahmen des Projektes "Teilhabeforschung: Inklusion wirksam gestalten", unterstützt durch die Aktion Mensch Stiftung. Die Arbeit im Projekt wird durch einen Beirat mit Vertreter*innen von Betroffenenorganisationen, Wissenschaft, Bundesregierung und der Aktion Mensch Stiftung begleitet.

Den Bericht finden Sie hier: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/Teilhabebericht-2020_web.pdf

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Looking at the Stars - Ein brasilianischer Dokumentarfilm

Von Jochen Schäfer:

"Looking at the stars" ("Olhando para as estrelas", Brasilien/USA 2016) portraitiert die weltweit einzige Tanzschule für blinde Menschen in Brasilien. Dieser Film erschien 2020 auch in Deutschland. Kinostart war am 13. Februar mit Audiodeskription via GRETA-App, und seit dem 26. Juni ist die Hörfilm-DVD auf dem Markt.

Mitten in São Paulo befindet sich die Ballettschule von Fernanda Bianchini. Die jungen Frauen und Männer, die hier den klassischen Tanz lernen, sind genau wie alle jungen Tänzer*innen entschlossen, diszipliniert und voller Hoffnung, - und sie sind blind. Die weltweit erste und einzige Ballettschule für Blinde baut auf Berührungen, Gehörsinn und vor allem: Mut. Für Fernandas Tänzerinnen und Tänzer ist die Schule ein "sicherer Hafen" und die Bühne ein Ort, an dem sie frei und unabhängig sein können. Geyza Pereira erblindete mit 9 Jahren und ist heute Primaballerina und Ballettlehrerin an Fernandas Schule. Wenn sie tanzt, sieht ihr niemand an, wie unsicher sie sich oft in ihrem Alltag fühlt. Nach ihrem lang ersehnten Hochzeitstag hofft sie, ihr Privatleben mit ihrer Ballett-Karriere vereinen zu können. Und die 14-jährige Thalia Macedo, die in der Schule oft gemobbt und gemieden wird, ertanzt sich ihre Unabhängigkeit - und hat dabei endlich echte Freunde gefunden.

Dem unvergleichbaren Inklusionsprojekt für Kinder und Erwachsene setzt Regisseur Alexandre Peralta ein bewegendes filmisches Denkmal. Sein bezaubernder Dokumentarfilm ermutigt, nach den Sternen zu greifen, egal welche gesellschaftlichen Widerstände es gibt. Eine Mischung aus Tanzunterricht, -vergnügen und bewegenden Schilderungen aus dem Leben blinder Tänzer*innen eines anderen Landes.

Die DVD enthält die portugiesische Originalfassung, versehen mit deutschsprachiger, hörbehindertengerechter Untertitelung sowie Audiodeskription. Sie liegt in der Fachbibliothek der Staatlich anerkannten Fachschule für Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation der blista vor (Kontakt: Frank Stollenwerk, Abteilungsleiter Weiterbildungen Reha-Fachkraft, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Mehr über das Leben blinder Tänzer*innen in Brasilien gibt es z. B. auf www.welt-sichten.org/artikel/35757/schweben-wie-ein-vogel-brasilien und über die Tanzschule auf der portugiesischen Webseite www.associacaofernandabianchini.org.

Die DVD ist im Handel erhältlich.

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Nominierungen für den Deutschen Hörfilmpreis 2021 stehen fest

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) hat die Nominierungen für den Deutschen Hörfilmpreis 2021 bekannt gegeben. Derzeit ist noch nicht absehbar, in welcher Form die Preise verliehen werden, aber eins ist sicher: Auch 2021 werden wieder herausragende Hörfilm-Produktionen ausgezeichnet und gefeiert!

Zu den Kategorien Kino, TV/Mediatheken/Streamingdienste, Dokumentation und Kinder-/Jugendfilm ist neu die Kategorie Filmerbe hinzugekommen. Die folgenden 19 Produktionen haben sich mit ihren hochwertigen Bildbeschreibungen für das Finale um die begehrte Auszeichnung qualifiziert, die dieses Jahr zum 19. Mal verliehen wird:

Nominierungen Kategorie Kino

  • Ben is back (USA 2018, Regie: Peter Hedges) eingereicht von Degeto Film
  • Contra (Deutschland 2020, Regie: Sönke Wortmann) eingereicht von Constantin Film Produktion
  • Nightlife (Deutschland 2020, Regie: Simon Verhoeven) eingereicht von Wiedemann & Berg Film
  • Porträt einer jungen Frau in Flammen (Frankreich 2018/19, Regie: Céline Sciamma) eingereicht von Alamode Film

Nominierungen Kategorie TV/Mediatheken/Streamingdienste

  • Arctic Circle - Der unsichtbare Tod, Teil 1 (Deutschland/Finnland 2018, Regie: Hannu Salonen) eingereicht vom ZDF als Serie
  • Das letzte Wort (Deutschland 2020, Regie: Pola Beck und Aron Lehmann) eingereicht von netflix/VSI Berlin
  • Frieden (Schweiz 2019/20, Regie: Petra Volpe, Michael Schaerer) eingereicht vom SRF Schweizer Radio und Fernsehen
  • Hanne (Deutschland 2019, Regie: Dominik Graf) eingereicht vom Norddeutschen Rundfunk (NDR)
  • Oktoberfest 1900 - Doppelfolge 1 (Deutschland 2020, Regie: Hannu Salonen) eingereicht vom Bayerischen Rundfunk (BR)
  • Unterleuten - das zerrissene Dorf (Deutschland 2020, Regie: Matti Geschonnek) eingereicht vom ZDF als Spielfilm

Nominierungen Kategorie Dokumentation

  • Das geheime Leben der Bäume (Deutschland 2019, Regie: Jörg Adolph) eingereicht von Constantin Film Produktion
  • Erlebnis Erde - Auf Wiedersehen Eisbär (Deutschland/Norwegen 2019, Regie: Asgeir Helgestad) eingereicht vom Norddeutschen Rundfunk (NDR)
  • Oeconomia (Deutschland 2020, Regie: Carmen Losmann) eingereicht von alias film und sprachtransfer

Nominierungen Kategorie Kinder- und Jugendfilm

  • Die Odyssee (Frankreich 2018, Regie: Florence Miailhe) eingereicht von Balance Film
  • Drachenreiter (Deutschland 2020, Regie: Tomer Eshed) eingereicht von Constantin Film Produktion
  • Romys Salon (Deutschland, Niederlande 2019, Regie: Michael Zens) eingereicht vom Norddeutschen Rundfunk (NDR)

Nominierungen Kategorie Filmerbe

  • Der Garten der Finzi Contini (Italien 1970, Regie: Vittorio De Sica) eingereicht von CCC Filmkunst
  • Der König des Mont Blanc (Deutschland 1934, Regie: Arnold Fanck) eingereicht vom DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum
  • Lisbon Story (Deutschland/ Portugal 1994, Regie: Wim Wenders) eingereicht von der Wim Wenders Stiftung

Hörfilme ermöglichen es blinden und sehbehinderten Menschen, Filme als Ganzes wahrzunehmen und zu genießen. Diese Filme sind mit einer Audiodeskription (AD) versehen, die in knappen Worten zentrale Elemente der Handlung sowie Gestik, Mimik und Dekor beschreibt. Diese Bildbeschreibungen werden in den Dialogpausen eingesprochen.

Aktuelle Informationen finden Sie auf der Webseite https://deutscher-hoerfilmpreis.de

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"Ich möchte, dass es alles in Braille gibt!" - Botschaften blinder Kinder und Familienmitglieder anlässlich des Welt-Braille-Tages

Brailleschrift ist für blinde Kinder der Schlüssel zu Bildung und einem selbstbestimmten Leben. Dank ihr können sie ihre eigenen Interessen erkunden, aufschreiben, was sie bewegt, ihre Fantasie beim Lesen fliegen lassen, zusammen mit ihren Eltern Bücher lesen und letztendlich ihre eigenen Träume verwirklichen.

Was die Blindenschrift für sie bedeutet, hatte der Deutsche Blinden und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) im November 2020 blinde Kinder, Jugendliche und ihre Familien gefragt und zu kurzen, persönliches Audio-Statements aufgerufen. Das Ergebnis wurde anlässlich des "Welt-Braille-Tags" am 4. Januar 2021 veröffentlicht und kann sich im rund sechsminütigen Podcast des DBSV-Jugendclubs hören lassen: Umrahmt von einer Klangcollage aus Geräuschen, die beim Schreiben und Lesen von Braille mit unterschiedlichen Geräten und Medien entstehen, erzählen Klein und Groß, wie wichtig ihnen die Brailleschrift ist. Mit der Aktion, für die auch ein kurzes Video entstand, informiert der DBSV über die Brailleschrift und zeigt sein Engagement für die Leseförderung blinder Kinder. Tastbücher, mit denen Kinder spielerisch die Blindenschrift erlernen sowie Kurse in Braille-Notenschrift ergänzen das DBSV-Angebot. Und nicht zuletzt zählt die "Verwendung und Weitergabe der Brailleschrift in Deutschland" seit März 2020 auf Initiative des DBSV zum Immateriellen Kulturerbe.

Die mp3-Datei mit dem Titel "Ich möchte, dass es alles in Braille gibt!" können Sie online anhören oder herunterladen unter: https://dbsv-jugendmagazin.podspot.de/

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Neues Duo an der Spitze des VBS

Der Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik e.V. (VBS) macht sich als Fachverband aller Berufsgruppen, die im Blinden- und Sehbehindertenbildungswesen tätig sind, für die Teilhabe von Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung stark. Im September 2020 wurde der stellvertretende blista-Direktor Patrick Temmesfeld gemeinsam mit Ulrike Bauer-Murr, Nikolauspflege, zum Vorsitzenden gewählt. "Ich freue mich über die Wahl zur VBS-Vorsitzenden und die gemeinsame Arbeit mit Patrick Temmesfeld", so Ulrike Bauer-Murr in einer Nachricht der Nikolauspflege. "Es ist wichtig, fortlaufend darauf hinzuwirken, dass Barrieren für blinde und sehbehinderte Menschen weiter abgebaut werden."

Ein Interview mit Patrick Temmesfeld zu seinem neuen Amt als VBS-Vorsitzender finden Sie online auf: www.blista.de/blista-News/input-von-allen-seiten-und-gegenseitige-chancen-auf-weiterentwicklungen, weitere Informationen zum VBS gibt es auf der Webseite https://www.vbs.eu

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WBU-ICEVI Generalversammlung 2021

2021 findet die Generalversammlung der Weltblindenunion (WBU) zum ersten Mal ausschließlich online statt. Unter dem Motto "Was es bedeutet, blind und sehbehindert zu sein" ("World Blind Summit: What it means to be Blind and Visually Impaired") werden sich die Mitglieder vom 28. bis 30. Juni 2021 zu virtuellen Workshops und Diskussionen treffen. Verschiedene Themen können außerdem während zweier der Konferenz vorausgehenden Phasen intensiv bearbeitet und vorbereitet werden.

Die Generalversammlung wird zusammen mit dem International Council für Education of People with Visual Impairment (ICEVI) und der Organización Nacional de Ciegos Espanoles (ONCE) organisiert. ONCE wird die logistische Unterstützung bieten, damit die Online-Teilnahme für alle Mitglieder weltweit möglich ist. Obgleich damit zu rechnen ist, dass stabile Internetverbindungen und - technologien für Mitglieder einiger Länder eine Herausforderung sein werden, haben sich die Veranstalter zu diesem neuen Format entschieden, um die Gesundheit der Teilnehmenden in der momentanen Corona-Pandemie zu schützen. Eine Generalversammlung vor Ort war 2020 nicht möglich.

Für aktuelle Informationen empfiehlt es sich, die WBU-Webseite zu besuchen: https://wordblindunion.org/general-assembly

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Menschen mit Behinderung als Zielgruppe

Kann Barrierefreiheit ein Wettbewerbsvorteil sein? Studierende der Fachhochschule Westküste gehen dieser Frage in einem Seminar nach.

Seit Mitte Oktober beschäftigen sich Studierende der FH Westküste (Heide in Holstein) mit den Fragen, wie barrierefrei unsere Umwelt ist und was man tun kann, um Menschen mit Behinderung als Kunden zu gewinnen. Im Rahmen des Seminars "Menschen mit Behinderung als Zielgruppe - Barrierefreiheit als Wettbewerbsvorteil" vermittelte der selbst blinde Lehrbeauftragte Dr. Carsten Dethlefs zunächst, was Behinderung, Barrierefreiheit und Co. bedeuten. Anschließend sind die Studierenden gefordert, für verschiedene Problemstellungen Lösungsansätze zu finden. So werden beispielsweise Produkte und Dienstleistungen für bestimmte Behinderungen erarbeitet oder es diskutieren verschiedene Parteien von Studierenden darüber, ob nun die Bordsteinabsenkungen für Rollstuhlfahrer umgesetzt oder doch eher das Blindengeld erhöht werden sollten.

Dr. Carsten Dethlefs macht deutlich: "Für jedes Problem lässt sich eine Lösung finden, die zudem einen Wettbewerbsvorteil bei der Zielgruppe bringen kann. Entscheidend ist, die Probleme zu erkennen und die Lösung im Sinne der Betroffenen in Angriff zu nehmen."

Eine besondere Herausforderung dieses Semesters ist, die Inhalte ausschließlich digital zu vermitteln. Dieser Aspekt wurde in Bezug auf die Barrierefreiheit als Seminarthema mit aufgenommen: Ein Fokus des Seminar liegt darauf, wie Unternehmen ihre Websites und Social-Media-Profile barrierefrei gestalten können und was bisher noch nicht so gut läuft.

Der aktuelle Bezug kommt bei den Studierenden gut an: "Die Digitalisierung war schon vor der Pandemie ein großes Thema und in diesem Jahr hat es noch einmal an Bedeutung zugenommen. Ich finde es sehr wichtig, darüber zu sprechen, wie man den Weg zu einer Online-Welt gestalten kann, ohne dabei Gruppen von Menschen auszuschließen.", so die Studentin Hannah Schulze.

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50 Jahre "Sendung mit der Maus"

Die "Sendung mit der Maus", die 2020 mit dem Deutschen Hörfilmpreis in der Kategorie Publikumspreis ausgezeichnet wurde, bietet seit 50 Jahren kindgerechte Unterhaltung und Antworten auf nicht immer einfache Fragen. Auch Themen, die Blindheit oder Sehbehinderung betreffen, sind dabei. Der WDR beteiligte sich mit einer kurzen Antwort im Oktober 2020 an der Aktion des "horus", in der Uwe Boysen u. a. Maus und Elefant als Prominente um Antwort bat, ob sie schon Kontakt zu blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen gehabt hatten und wie sie reagieren würden, wenn sie plötzlich oder schleichend schlechter oder gar nichts mehr sehen könnten. Boysen erinnert sich noch gut daran, dass er als junger Vater Sachgeschichten für seine Kinder abgeschrieben hat und ist davon fasziniert, wie mit der Sendereihe komplizierte Sachverhalte näher gebracht werden.

Der WDR bedauerte, dass Maus und Elefant sich leider nicht persönlich äußern können, "da Maus und Elefant ja nicht im herkömmlichen Sinne sprechen". Das Team weist jedoch darauf hin, dass auf der Webseite der Maus verschiedene Sendungen zu den angefragten Themen stehen: "(…) tatsächlich haben wir uns im Rahmen unserer Sendung schon einmal mit dem Thema Blind sein und der Hilfe durch den Blindenstock und den Blindenhund beschäftigt. Diese Beiträge kann man sich sogar noch auf unserer Homepage hier anschauen. Auch zum Thema Blindenschrift gibt es einen Beitrag." Leider seien noch nicht alle Beiträge auf der Homepage mit Audiodeskription hinterlegt, dies würde aber nach und nach geschehen. Eine Sachgeschichte, die Entstehung und Bedeutung der Blindenbinde erklärt, gebe es auch, allerdings noch nicht auf der Homepage.

Nicht zuletzt aber wurde eine neue Sachgeschichte an der blista gedreht, um zu zeigen, mit welchen Materialien blinde und sehbehinderte Schüler*innen lernen und wie der Alltag an der blista aussieht (siehe horus 4/2020). Diese Sendung wird im Frühjahr 2021 ausgestrahlt werden. Alle Sachgeschichten werden auf https://www.wdrmaus.de/filme/sachgeschichten von A - Z aufgeführt.

Neben einem täglichen Livestream der Sendung mit der Maus zum Hören hat der WDR mit dem Podcast "Gute Nacht mit der Maus" zusätzlich ein Audio-Angebot für alle Kinder geschaffen. Zum 50. Jubiläum der Sendung im März wünscht der horus dem gesamten Maus-Team weiterhin viele gute Ideen und sagt: "Herzlichen Glückwunsch zum runden Geburtstag!"

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Impressum horus 1/2021
Jg. 83 der Schwarzschriftausgabe

Herausgeber

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

Redaktion

  • für den DVBS: Uwe Boysen, Andrea Katemann und Mirien Carvalho Rodrigues
  • für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner und Dr. Imke Troltenier

Koordination

DVBS-Geschäftsstelle
Sabine Hahn
Frauenbergstraße 8
35039 Marburg
Telefon.: 06421 94888-0
Fax: 06421 94888-10
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: www.dvbs-online.de

Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.)

Uwe Boysen (DVBS) und
Dr. Imke Troltenier (blista)

Verlag

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg
ISSN 0724-7389

Punktschriftdruck

Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
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Digitalisierung und Aufsprache

Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
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Schwarzschrift-Druck

Druckerei Schröder
35083 Wetter/Hessen
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Erscheinungsweise

Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und digital (wahlweise auf einer CD-ROM oder als Download-Link). Die digitale Ausgabe enthält die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version sowie die Braille-, RTF- und PDF-Dateien.

Jahresbezugspreis

  • 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe,
  • 35 Euro für alle übrigen Ausgaben.

Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

Bankkonto des DVBS

Sparkasse Marburg-Biedenkopf
IBAN: DE42 5335 0000 0000 0002 80
BIC: HELADEF1MAR

Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.

Abb.: Logo der Glücksspirale

Titelbild

Stoppok. Foto: Tine Acke [Portraitfoto vor türkiser Wandtapete mit blühenden Mandelzweigen Stoppok lächelt. Er hat eine getönte Brille, dunkle Augen und einen Dreitagevollbart. Über seinem schwarzen Shirt trägt er ein dunkles Jackett, dessen braun-gelb-blaue Muster an ovale Augen mit blauen Iriskreisen erinnern.]

Nächste Ausgabe (horus 2/2021)

Schwerpunktthema: "Kinder, Kinder"
Erscheinungstermin: 31. Mai 2021
Anzeigenannahmeschluss: 22. April 2021
Redaktionsschluss: 22. März 2021

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Kleinanzeigen

Private Kleinanzeigen bis zu einer Länge von 255 Zeichen werden kostenlos abgedruckt. Danach werden 17 Euro pro angefangene 255 Zeichen berechnet. Für die korrekte Wiedergabe ihres Inhalts (z. B. Namen, Anschriften usw.) kann keine Haftung übernommen werden.

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Schule - Ausbildung - Beruf

Die blista ist ein bundesweites Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung

  • mit dem Carl-Strehl-Gymnasium für blinde, sehbehinderte und sehende Schüler*innen von Klasse 5 bis 13
  • zwei Fachoberschulen für Gesundheit und für Soziales,
  • einem Zentrum für berufliche Bildung mit 6 modernen Ausbildungen und Umschulungen sowie
  • dem dezentralen Internat, das vielfältige Möglichkeiten für das Wohnen inmitten unserer quicklebendigen Stadt eröffnet.

Bei der blista bist du richtig!

Tel.: 06421 606-0
Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
blistaCampus
Am Schlag 2-12
35037 Marburg
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Mit den inklusiven DL Produkten erschließt Draeger Lienert Arbeitsplätze, die mit Standardlösungen nicht zugänglich gemacht werden können. Unsere Systeme ermöglichen intuitives und wettbewerbsfähiges Arbeiten. Fordern sie bitte unsere exzellenten Referenzen an.

Draeger Lienert ist herstellerunabhängig und vertreibt Blindenhilfsmittel wie Braillezeilen und Bildschirmlesegeräte fast aller Anbieter. Wir arbeiten für Bundes- und Landesbehörden, Kommunen, Industriebetriebe und Selbständige im deutsch- und englischsprachigen Raum.

Ob Roboteranbindung oder Standardausstattung - alles, was einen Blindenarbeitsplatz schafft oder erhält können Sie bei uns bekommen.

Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit!

Draeger Lienert GmbH & Co. KG
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Tel.: 06421 95240-0
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Ideal für Schule, Arbeitsplatz oder Studium.

Die ZoomCam ist eine leichte, mobile Kameralösung, die ohne zusätzliche Software in Kombination mit jedem Computer, Notebook oder Tablet genutzt werden kann.

  • Kompatibel mit Windows, Mac oder Android
  • Scharfes und lebendiges Full-HD-Bild
  • Lese- und Fernansicht
  • 28 Farbmodi, Echtfarben
  • Vergrößerung: 2 bis 100-fach (abhängig von der Monitorgröße)
  • Hintergrundfilterung, dimmbare LED-Beleuchtung, einblendbare Leselinie

Kompetenzzentren in: Stuttgart, Köln, Marburg und Lüneburg
Zentrale in: Horb am Neckar

Help Tech GmbH

www.helptech.de
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Stuttgart 0711-2202299-0
Köln 0221-921556-0
Marburg 06421-690012-0
Lüneburg 04131-699698-0

Bildbeschreibung: Auf dem Bild zu sehen ist das mobile Kamerasystem ZoomCam, das an ein Notebook angeschlossen ist. Auf dem optionalen Kreuztisch der ZoomCam liegt ein Arbeitsblatt, welches auf dem Notebook vergrößert angezeigt wird.

horus

Schenken macht Sinn ...

... zum Beispiel mit einem Jahresabonnement der Fachzeitschrift "horus". Für nur 22 Euro jährlich (Inlandspreis) erfahren die Beschenkten,

  • wie blinde und sehbehinderte Menschen Beruf und Alltag bewältigen und ihre Träume leben
  • was schulische und berufliche Bildung blinden und sehbehinderten Kindern und Jugendlichen bietet
  • wofür sich die Blinden- und Sehbehindertenhilfe aktuell engagiert.

Bestelladresse: DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon 06421 94888-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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Internet: www.papenmeier-rehatechnik.de

Bildbeschreibung: Eine junge Frau sitzt auf einem Schreibtischstuhl am Tisch im Home Office. Sie arbeitet am Computer. Ihre Hände liegen auf der Braillezeile BRAILLEX® EL 80c, die vor der Tastatur ausgerichtet ist

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  • Ohne Anwohnerkonflikte
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RTB
www.rtb-bl.de
Tel.: 49 5252 9706-272

Bildbeschreibung: Ein Mensch mit Blindenstock geht auf den Betrachtenden zu. Rechts neben ihm ist ein organgenes Signalkästchen zu sehen und unscharfer Straßenverkehr.

SynPhon

Einfach Synphon!

Die SynPhon GmbH entwickelt einfach zu bedienende elektronische Hilfsmittel, die blinden und sehgeschädigten Menschen das Leben erleichtern.

Der Einkaufs-Fuchs Produkterkenner sagt, was Sache ist.

Die Fledermaus Orientierungshilfe zeigt, wo es lang geht.

Der EinkaufsFuchs

Blinde Menschen stehen täglich vor dem Problem: Was befindet sich in Verpackungen? Welche ist die Lieblings-CD, und wie kann ich erkennen, ob es der gesuchte Gegenstand ist? Hier hilft der EinkaufsFuchs. Nur drei Bedienschalter machen den kompakten Produkterkenner leicht und einhändig bedienbar. Er liest die Informationen von den Strichcodes, die sich auf praktisch allen Handelsgütern befinden, mit klarer Stimme vor. Seine interne Datenbank umfasst bereits viele Millionen Produktinformationen und ist durch regelmäßige Updates stets aktuell. Der EinkaufsFuchs schafft mühelos Übersicht in Haushalt und Büro. Alles, was man verwechslungsfrei kennzeichnen möchte, kann ohne Aufwand auch selbst beschriftet werden. Besonders wichtig: Der EinkaufsFuchs ist als Blinden-Hilfsmittel von den Krankenkassen anerkannt und ist gegen Rezept vom Augenarzt erhältlich.

Die Fledermaus Orientierungshilfe

Diese Weltneuheit erweitert den Aktionsradius des Langstockes entscheidend, schützt dabei Kopf und Oberkörper und ermöglicht es, sich selbstbewusst und zielgerichtet zu bewegen. Die Fledermaus erlaubt es, mobil und orientiert zu bleiben, ohne zu tasten oder zu berühren. Erstmals werden hier die Vorteile von Infrarot und Ultraschall in einem handlichen und intuitiv zu bedienenden Gerät kombiniert. Das Besondere: Die Fledermaus kann sowohl Glastüren erkennen und entfernte Gegenstände verorten, als auch Öffnungen, wie etwa offene Türen, Durchgänge und Lücken zwischen geparkten Autos. Sie reagiert zudem auf weiche Objekte wie Polstermöbel, Felle oder flauschige Stoffe. All dies geschieht vollautomatisch, ohne dass irgendwelche Einstellungen vorgenommen werden müssen.

Weiter Informationen erhalten Sie gerne bei SynPhon unter der Telefonnummer 07250 929555 oder per Mail an E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Haben Sie Fragen? Rufen Sie an!

SynPhon
Elektronische Hilfen für Sehgeschädigte GmbH
Im Steinig 6
76703 Kraichtal
www.synphon.de

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