horus NR: 4 / 2015 - Ängste und ihre Bewältigung
Inhaltsverzeichnis
- Bildbeschreibung Titel
- Vorangestellt
- Dr. Imke Troltenier & Uwe Boysen: Vorausgeschaut
- In eigener Sache
- Schwerpunkt: Ängste und ihre Bewältigung
- Thomas Abel: Angst und ihre Bewältigung bei blinden und sehbehinderten Menschen
- Christina Rausch: Die Angst vorm weißen Blatt Papier
- Mirien Carvalho Rodrigues: Allein gegen eine Mauer aus Sehenden
- Isabella Brawata: Bin ich peinlich?
- Bildung und Forschung
- Jens Bornschein und Denise Prescher: Taktile Grafikproduktion und inklusives Zeichnen
- Jürgen Mai: Whatever you do – think diverse
- Dr. Imke Troltenier: Neuer, zweijähriger Bildungsweg an der blista
- Recht
- Andreas Carstens: EDV-Gerichtstag als Forum für Barrierefreiheit
- Uwe Boysen: Zeit für ein Update
- horus-Zeitreisen
- Bücher
- Aktualisierte Neuauflagen der Reihe „Kompass Recht“
- Sabine Hahn: Hörtipps
- Andrea Katemann: Buchtipps aus der blista
- Panorama
- Barrierefreiheit und Mobilität
- Andrea Katemann: Weitere Stadtbibliotheken im Projekt „Hörbücherei vor Ort“
- Dr. Meinrad Rohner: Ein Blinder geht unter die Fledermäuse
- Berichte und Schilderungen
- Uwe Boysen: Ein früher Globalisierer
- Michael Herbst: Jetzt sind wir alle Entwicklungsländer
- Michaela Meinert: Studium der Psychologie, Marburg
- Aus der Arbeit des DVBS
- Aus der blista
- Manfred Duensing: Sportfreunde Blau-Gelb blista Marburg erneut Deutscher Meister im Blindenfußball
- Max Kunzmann: Inklusion leben und Sport gestalten
- Möglichkeit, Menschen in Not zu helfen
- Birthe Klementowski: Professionelle IT-Berufsausbildung auch für Umschüler
- Osterfreizeit „Rund ums Pferd, mit viel Theater“
- Impressum
- Inhaltsübersicht
Bildbeschreibung Titel
Bildbeschreibung Titelblatt
horus 4/2015 trägt den Titel "Ängste und ihre Bewältigung". Das Titelfoto zeigt eine blinde junge Frau, die wartend an einer Fußgängerampel steht. Sie hält den Langstock in der linken Hand, während sie die rechte Hand auf den vibrierenden Signal-Schalter gelegt hat. Über ihrem Kopf schwebt eine große Sprechblase, in der die Frage "Bin ich peinlich?" zu lesen ist. Foto: blista
Vorangestellt
Vorausgeschaut
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder,
Dass sich der horus ausgerechnet im Schwerpunkt dieser Ausgabe dem Thema Angst widmet, halte ich für einen günstigen Zufall. Nicht nur, weil wir in etwa einem Monat Weihnachten feiern und dort das Motto "fürchtet Euch nicht" einen wichtigen Platz einnimmt; nicht nur, weil in Deutschland Unsicherheit darüber herrscht, wie diese Gesellschaft mit der Herausforderung von Millionen Flüchtlingen umgehen wird. Angst ist ein uns alle mehr oder weniger bewegendes Lebensgefühl. Sie kann — wie Thomas Abel in diesem Heft richtig feststellt — ungeahnte Kräfte sinnvoll freisetzen, aber auch lähmend wirken. Wer in der Lage ist, sie zu bewältigen, rational mit ihr umzugehen, dem kann sie auf Dauer zu einem Erfolgsgefühl verhelfen, sich also in positive Energie verwandeln.
Betrachten wir beispielsweise die — nicht zu unterschätzende — Angst vor den Fremden, die zu uns kommen. Richtigerweise wird betont, dass zu ihrer Integration (übrigens spricht hier niemand von Inklusion) auch deutsche Arbeitskräfte eingestellt werden müssen, um für sie sozusagen als Lotsen durch unsere Kultur zu dienen. Tun sich hier nicht auch Berufsfelder für blinde und sehbehinderte Menschen auf? Schließlich sind wir es gewohnt, unsere meist skeptische Umwelt von unseren Fähigkeiten überzeugen zu müssen und kennen häufig viele hilfreiche Tipps und Tricks, wie das gelingen kann. Sie an in unserem Land neu angekommene Menschen weiterzugeben, könnte eine äußerst sinnvolle und Erfolg versprechende Aufgabe sein und das nicht nur im Freiwilligenbereich. Sich ihr zu widmen, lohnt sich auch für die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe.
Auf keinen Fall ängstlich sein müssen wir, was das Jahr 2016 für blista und DVBS angeht. 2016 ist eigentlich keine bemerkenswerte Zahl. Doch für beide Vereine bedeutet sie etwas Besonderes: Im nächsten Jahr feiern DVBS und blista nämlich ihr 100-jähriges Bestehen.
Im März 1916 gründeten Prof. Dr. Alfred Bielschowsky, Carl Strehl, der später langjährig führende Kopf beider Einrichtungen, und weitere Honoratioren in Berlin den "Verein blinder Akademiker Deutschlands" (VbAD - heute DVBS), dessen Ziel die Einrichtung einer Studienanstalt und Bücherei für Blinde war. Sie sollte — so die damalige Begründung — "in einer kleinen, gesunden, günstig gelegenen und nicht zu teuren Stadt" angesiedelt werden: in Marburg!
Noch im gleichen Jahr wurde an der "Hochschulbücherei, Studienanstalt und Beratungsstelle für blinde Akademiker" (heute: blista), unter Vorsitz von Prof. Bielschowsky, in Deutschland erstmals gymnasiale Bildung für blinde Menschen möglich. Der engagierte Arzt setzte seinen großen Einfluss, sein organisatorisches Geschick und seinen Weitblick für die Bedürfnisse der Kriegsblinden ein. Die Gründungsveranstaltung fand im Dezember 1916 in Berlin statt, Carl Strehl wurde rückwirkend ab Oktober 2016 mit der Geschäftsführung betraut.
Seither ist viel geschehen, das haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, quasi hautnah und nicht zuletzt durch die horus-Zeitreisen mitverfolgen können. Wir sind stolz auf das Erreichte und möchten die öffentliche Aufmerksamkeit im Jubiläumsjahr nutzen, um auf die Anliegen blinder und sehbehinderter Menschen in unserer Gesellschaft in besonderem Maße aufmerksam zu machen. Zugleich wollen wir den Austausch stärken und gemeinsam mit Ihnen an unseren Zukunftsstrategien feilen.
Das runde Jubiläum wollen wir gebührend feiern und hoffen sehr, Sie feiern mit. Einen ersten Überblick finden Sie nachfolgend, bitte fühlen Sie sich schon jetzt zu allen aufgeführten Veranstaltungen ganz herzlich eingeladen! Über alle näheren Informationen halten wir Sie in gewohnter Weise auf dem Laufenden.
Ihre
Uwe Boysen, 1. Vorsitzender des DVBS,
und Dr. Imke Troltenier, stellvertretende Direktorin der blista
Übersicht der Veranstaltungen anlässlich des Jubiläums
- Inklusion braucht Qualität. Faire Bildung für alle Kinder! blista-Fachtagung in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten, den Hessischen Kultus- und Sozialministerien u.a. (5. November 2015)
- Inklusive Arbeitswelt: (Inter-)nationale Tagung an der blista zum Thema "Inklusion & Innovation - Zusammenarbeit auf Augenhöhe, Unterstützung beim (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt" (Februar 2016)
- Der DVBS wird 100 (Presseaktionen zum 6. März 2016)
- Punktschrift! Punktschrift-Lesungen und mehr zum Welttag des Buches (April 2016)
- Blick!Punkte — Eröffnung einer Ausstellung im Marburger Landgrafenschloss zum Internationalen Museumstag am 22. Mai 2016
Louis Braille Festival 2016 in Marburg (1. bis 3. Juli 2016)
- HÖRWELTEN Kunstausstellung - Mirja Wellmann vom 2. Juli bis 18. August 2016 in der Marburger Kunsthalle, Vernissage 1. Juli, 18 Uhr
- ICC — International Camp on Communication & Computers in Dresden (25. Juli bis 3. August 2016)
- Gemeinsamer Festakt von DVBS und blista, Stadthalle Marburg, Schirmherr ist Bundespräsident a.D. Dr. Horst Köhler (22. September 2016)
- "Megatrend Digitalisierung", DVBS-Fachtagung am 23. September 2016.
Bildbeschreibungen: Dem Beitrag sind Fotos von Uwe Boysen und Dr. Imke Troltenier beigefügt. Der DVBS-Vorsitzende trägt eine dunkle Brille und schaut lächelnd in die Kamera. Zum dunkelgrauen Sakko trägt er ein weißes Hemd und eine gemusterte Krawatte. Foto: DVBS/Archiv
Dr. Imke Troltenier trägt einen schwarzen Blazer, darunter ein blaues Shirt mit Rundhalsausschnitt und eine große, weiße Perlenkette. Ihre linke Hand hat sie auf ein Geländer gestützt. Sie blickt in die Kamera und lächelt. Die rotbraunen Haare sind etwas über schulterlang, der Pony fällt locker rechts über die Stirn. Foto: Tom Engel
In eigener Sache
In eigener Sache
Wechsel in der horus-Redaktion
Neue Gesichter in der horus-Redaktion: Nachdem Rudi Ullrich und Marika Winkel die horus-Redaktion verlassen haben, begrüßen wir als Vertreterinnen der blista und neue Redaktionsmitglieder Dr. Imke Troltenier und Birthe Klementowski. Nach gut dreieinhalb Jahren und 15 mitproduzierten horus-Ausgaben verlässt Christina Rausch den DVBS zum 30. November und wird damit auch die Arbeit in der horus-Redaktion abgeben. "Vielen Dank für die zahlreichen spannenden Artikel, die gute Zusammenarbeit in der Redaktion und die interessante Zeit beim DVBS. Ich werde sehr gerne an meine Arbeit hier zurückdenken und wünsche allen Leserinnen und Lesern alles Gute", so Rausch.
horus 1/2016: "Inklusion braucht Qualität"
Am 29. Februar 2016 erscheint die nächste horus-Ausgabe mit dem Schwerpunktthema "Inklusion braucht Qualität". Wenn Sie einen Beitrag zum nächsten Heft beisteuern möchten, können Sie Ihre Texte gerne wie gewohnt per E-Mail an die horus-Redaktion schicken: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Redaktionsschluss ist der 5. Januar 2016.
Berichte für den Schwerpunkt können bis zu 10.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) lang sein, allgemeine Berichte bis zu 4.000 Zeichen. Kürzere Meldungen sollten eine Länge von 2.000 Zeichen nicht überschreiten.
Frohes Fest!
Die horus-Redaktion wünscht allen Leserinnen und Lesern eine schöne Vorweihnachtszeit, frohe Feiertage und alles Gute für 2016!
Bildbeschreibung: Auf dem beigefügten Foto ist ein Adventskranz zu sehen, dessen erste Kerze brennt. Auf Tannenzweigen sind vier rote Stumpenkerzen auf goldenen Haltern fixiert. Die brennende Kerze ist komplett zu sehen, alle anderen nur angeschnitten. Links neben der Kerze liegen eine Zimtstange, eine goldene Christbaumkugel und ein Tannenzapfen auf den grünen Zweigen. Foto: www.pixelio.de/Andreas Hermsdorf
Schwerpunkt: Ängste und ihre Bewältigung
Angst und ihre Bewältigung bei blinden und sehbehinderten Menschen
Angst ist ein ungeliebtes Gefühl, eines, auf das wir gern verzichten würden und das doch unabdingbar notwendig ist für unser Leben und Überleben, deshalb auch für die Bewältigung einer Sehbehinderung, Blindheit oder einer Verschlechterung des Sehvermögens. Als Psychotherapeut und Psychoanalytiker habe ich in den Behandlungen meiner Patienten tagtäglich mit sehr unterschiedlichen Ängsten und sehr verschiedenen Bewältigungsversuchen zu tun. Hier möchte ich in Bezug auf blinde und sehbehinderte Menschen einiges davon beschreiben, um die Leser über eigene Verarbeitungsversuche ins Nachdenken zu bringen und vielleicht die eine oder andere Anregung zu geben.
Angst und körperliche Reaktionen
Angst gehört zu den Primäraffekten, also grundlegenden Gefühlen von Menschen und vielen Tieren. Das Flimmern, was wir im Bauch als Angstgefühl erleben, ist von zahlreichen körperlichen Veränderungen begleitet: Während Aggression ein Lebewesen auf einen Kampf vorbereitet, soll die Angst die Flucht initiieren. Der Blutdruck steigt. Der Puls erhöht sich. Das Blut wird aus dem Magen-Darm-Trakt weggeholt, damit es das Gehirn und die Extremitäten versorgen kann, wodurch ein flaues Gefühl im Magen ausgelöst wird. Durchfall haben beispielsweise auch viele Tiere, wenn sie auf der Flucht sind. Er hängt mit dem abrupten Ende der Verdauung zusammen und mit einem Versuch des Körpers, Ballast loszuwerden. Ein Druckgefühl auf der Brust gehört ebenso zu den körperlichen Begleiterscheinungen. Dadurch werden wir veranlasst, schneller zu atmen, um den Körper besser mit Sauerstoff zu versorgen. Das Engegefühl im Brustkorb hat der Angst im Mittelhochdeutschen ihren Namen gegeben. Im Klang des Wortes "ängstlich" ist das Wort "eng" noch gut zu hören. Albträume sind Angstträume, mit denen wir mit einem Druck auf der Brust erwachen. Früher dachten die Menschen, nachts hätte ihnen ein Alb auf der Brust gehockt und ihnen die schlechten Träume gebracht. Wenn die Angst sich zur Panik verstärkt, können noch einige körperliche Symptome dazukommen, die damit zu tun haben, dass die schnellere Atmung zu einem erhöhten Sauerstoffpegel im Blut führt. Dazu gehören Schwindel, Rauschen in den Ohren oder weiche Knie. Gegen diese Symptome hilft eine Plastiktüte, die man sich vor den Mund hält, so dass man die Luft wieder einatmet, die man ausgeatmet hat. Dadurch sinkt der Sauerstoffspiegel im Blut wieder und die Symptome verschwinden. Alle hier beschriebenen körperlichen Veränderungen existieren wirklich. Sie sind essbar und nicht "eingebildet", wie Menschen mit Angst manchmal vorgeworfen wird. Sie sind sogar sehr unangenehm, so dass manche Menschen eine Angst vor der Angst entwickeln, was zu sehr starken Angstzuständen führen kann.
Furcht - Angst - Panik
Eine weitere Veränderung, die die Angst in uns auslöst, betrifft unser Denken. Ich möchte das anhand eines Rehs veranschaulichen, das nachts im Wald erwacht, weil es in seiner Nähe geknackt hat. Es wird vermutlich im Geist nicht durchspielen, warum es geknackt haben könnte, dass es der Wind, ein Eichhörnchen, ein Vogel, oder vielleicht auch ein Wolf gewesen sein könnte. Das Schlimmste wird als Realität angenommen und muss nicht verifiziert werden. Das Reh wird nicht warten, bis es den Wolf sieht und seine Befürchtung bestätigt findet, sondern allein aufgrund der Annahme davonlaufen. Das ist ein sinnvolles Verhalten, kann aber für Menschen, bei denen die Angst in ein Zuviel entgleitet, zu einem Problem werden, weil sie unter Angst gar nicht mehr prüfen, ob das Befürchtete überhaupt vorhanden ist oder nur vorhanden sein könnte.
Man unterscheidet mehrere Arten von Ängsten: Furcht ist eine Angst vor einer konkret benennbaren Gefahr im Außen, während Angst sich auf Inneres bezieht, auf Erwartungen, Fantasien oder Wertmaßstäbe. Panik ist eine bis zur Todesangst gesteigerte Angst. Phobien sind Ängste vor ganz bestimmten, eigentlich nicht gefährlichen Objekten, wie großen Plätzen oder Fahrstühlen. Normalerweise sind das Beziehungsängste, die auf Objekte verschoben werden, denen man aus dem Weg gehen kann. Bei blinden und sehbehinderten Personen kann es aber sein, dass die Angst sich auf den Fahrstuhl selbst bezieht, weil sie etwa die Tasten nicht gut erkennen können oder ein Touchscreen ihnen die Bedienung des Fahrstuhls unmöglich macht.
Quantitativ unterscheiden wir zwischen konstruktiver, destruktiver und defizitärer Angst. Defizitäre Angst bedeutet im Extremfall, dass jemand gar keine Angst spürt. So erstrebenswert, wie das für manche klingen mag, so lebensgefährlich ist es. In einem Fall stürzte etwa ein frisch erblindeter Mann von einem Bahnsteig auf die S-Bahngleise, weil er keinen Blindenstock oder andere Hilfsmittel benutzte. Hintergrund war, dass er keine Angst davor verspürte, sich trotz seiner Erblindung allein durch die Stadt zu bewegen. Destruktive Angst ist ein Zuviel an Angst. Sie "frisst Leben auf", wie es in einem Filmtitel so anschaulich heißt. Sie führt dazu, dass Menschen sich vor Angst immer mehr in ihre Wohnung zurückziehen, neue Erfahrungen und Kontakte vermeiden, weil es darin Gefahren geben könnte, letztlich dadurch aber immer ängstlicher werden, immer mehr Selbstwertgefühl verlieren, weil sie sich immer weniger zutrauen und zumuten. Beides, defizitäre und destruktive Angst, sind Angststörungen. Es geht nicht darum, angstfrei zu werden, sondern ein konstruktives Mittel zwischen zu viel und zu wenig Angst zu finden, der Angst die Möglichkeit zu geben, uns zu schützen, ohne uns einzuengen.
Fehlendes Sehvermögen erzeugt Kontrollverlust
Menschen mit einer Sehschädigung kann es schwerer fallen als anderen, dieses ohnehin schwierige Gleichgewicht herzustellen oder zu bewahren. Das hängt zum einen mit dem Kontrollverlust zusammen, der durch die verminderte visuelle Wahrnehmung eintritt. Das Sehen dient dem "vorausschauenden" Erkennen von Gefahren lebloser Art, wie Abgründen oder Stolperfallen, oder lebendiger Art, wie gefährlichen Tieren (heute etwa Wespen) oder gefährlichen Menschen. Auch das Hören oder Riechen dient der Warnung vor Gefahren, kann das Sehen aber in manchen Bereichen nicht ersetzen, etwa bei den leblosen Gefahren. Weniger Kontrolle führt zu mehr Angst, diese wiederum zu der Erwartung des Schlimmsten, also vieler potenzieller Stolper-, Sturz- und Verletzungsgefahren. Bei Sehbehinderten kann das dazu führen, dass sie sich verzweifelt an ihren Sehrest klammern und darüber versuchen, alles noch irgend Mögliche zu sehen. Sie haben so eine große Angst davor, eines Tages vielleicht gar nicht mehr zu sehen, dass sie es ablehnen, sich durch Tasten mit einem Langstock, ihren Füßen oder durch andere Blindenhilfsmittel zusätzliche Orientierungsmöglichkeiten zu schaffen und damit ihren oft überforderten Sehrest zu entlasten. Bei Erkrankungen, die zu einer allmählichen Verschlechterung des Sehvermögens führen, wie Retinitis pigmentosa, kommt noch der Kontrollverlust in Bezug auf das Sehvermögen hinzu. Was man gestern noch sehen konnte, bleibt heute verschwunden. Bei einem konstanten Sehrest kann sich der Mensch immerhin noch darauf verlassen und einstellen, was er sieht und was nicht. Oft können Langstock und andere Blindenhilfsmittel erst wirklich genutzt werden, wenn die vollständige Erblindung eingetreten ist und es keinen Sehrest mehr gibt, über den man versucht, sich Kontrolle über die Umgebung zu verschaffen. Das ist allerdings ungünstig, zum einen, weil es für die geschädigten Augen Stress bedeutet, wenn sie ständig bis an ihre Leistungsgrenze und darüber hinaus strapaziert werden. Manchmal mag dieser Stress dazu beitragen, dass die befürchtete Erblindung sogar noch schneller eintritt.
Sich seiner Ängste bewusst werden
Hilfreich könnte sein, sich seine Ängste vor Kontrollverlust und Erblindung bewusst zu machen, sie zu akzeptieren und achtsam mit den strapazierten Augen umzugehen, indem der Sehrest durch andere Wahrnehmungsmöglichkeiten entlastet wird. Lieber sollte der Blindenstock etwas eher benutzt werden, als unbedingt erforderlich. Benutztwerden meine ich dabei wörtlich. Es geht nicht darum, ihn in der Hand zu halten, sich dann doch aber nur am Sehrest zu orientieren. Auch eine Sprachausgabe kann es den gestressten Augen ersparen, etwas mit viel Mühe an einem Bildschirm lesen zu müssen. Bei der Bewusstmachung der Ängste können Träume sehr hilfreich sein, auch Albträume. Dort werden die Ängste vor Kontrollverlust auftauchen. Sich wiederholende Albträume weisen darauf hin, dass ein bestimmtes inneres Problem nicht gelöst werden kann, sondern seine Bewältigungsversuche immer wieder in Angst enden. Insbesondere bei Sehverschlechterungen sind Träume typisch, die von Einbrechern handeln, oder etwas anderem, das den Träumer plötzlich bedrohlich anfällt, wie etwa Raubtiere. Darin wird der bisweilen traumatisierende Einbruch ins Leben thematisiert, den eine Sehverschlechterung für Menschen sehr oft bedeutet. Wenn diese Träume auch viele Jahre nach der Sehverschlechterung immer noch auftreten, kann das bedeuten, dass die betreffende Person diesen Einbruch in ihr Leben noch nicht hat verarbeiten können. Stattdessen wird er ihr anhand konkreter Alltagssituationen immer wieder bewusst gemacht. Eva-Maria Glofke-Schulz hat in ihrem Buch "Die Löwin im Dschungel", das auch im Aufsprachedienst des DVBS erhältlich ist, zahlreiche weitere Beispiele von Träumen geschildert. Ein Befassen mit den Träumen kann dabei behilflich sein, seine Ängste allmählich besser und genauer zu verstehen und sie dadurch zu verändern.
Besonderheit soziale Ängste
Neben diesen, konkret mit dem mangelnden Sehen zusammenhängenden Ängsten, spielen bei Blinden und Sehbehinderten oft auch soziale Ängste eine Rolle. Jemand teilte mir etwa in einem Gespräch mit, das Blindenabzeichen zu empfinden wie einen Judenstern. Diese Beziehungsfantasie drückt eine Angst aus, im sozialen Kontakt diskriminiert, ausgegrenzt und entwertet zu werden. Leider kommen solche Erfahrungen gar nicht so selten vor, auch wenn das Bild vom Judenstern natürlich eine Übertreibung enthält, um das Gemeinte durch etwas Extremes besonders zu veranschaulichen. Viele erleben sich in Situationen als eine andere Gattung Mensch behandelt, wenn ihre Sehschädigung offenkundig wird. Sie sind einer Fülle von Stigmatisierungen ausgesetzt, die Eva-Maria Glofke-Schulz in ihrem Buch sehr ausführlich beschrieben hat. Wir sind plötzlich nicht mehr der Mann, der von der alten Frau um Hilfe gebeten wird, sondern sie bietet uns an, unseren schweren Koffer die Treppe hochzutragen. Dem Blinden, der aus dem Bahnhof heraustritt und dem gesagt wird: "Es regnet!", wird unterstellt, dass Blindsein bedeutet, überhaupt nichts mehr mitzubekommen, was um ihn herum passiert, nicht einmal das, was er vielleicht spüren könnte, wie Regen. Die "Blöde" bezeichnete im Mittelalter die "Blindheit". Heute haben wir zwar ein zweites Wort. Die Stigmatisierung läuft aber auf blöd und gebrechlich hinaus, oder hilflos und gehbehindert, wie im Schwerbehindertenausweis eingedruckt. Wie können wir diese Ängste vor Stigmatisierungen bewältigen: Einerseits, indem wir auf unser Denken achtgeben, nicht immer bei allen das Schlimmste zu erwarten, sondern indem wir uns bewusst machen, dass nicht alle Sehenden stigmatisierend sind. Andererseits hilft der Austausch innerhalb der Selbsthilfe, etwa am Rande von Seminaren des DVBS, oder sogar durch Seminare. Ich erinnere beispielsweise ein Seminarwochenende, an dem wir ein Kabarettstück erarbeiteten und aufführten, in dem verschiedene Formen der Stigmatisierung verarbeitet wurden. Humor kann sehr hilfreich sein, um etwas mit mehr Abstand und nicht so verbiestert zu betrachten. Manchen wird das allein gelingen, manche werden ein therapeutisches Angebot nutzen.
Zum Autor
Thomas Abel ist als Diplom-Psychologe und Psychoanalytiker in eigener Praxis in Berlin-Charlottenburg tätig.
Bildbeschreibung: Auf dem Autorenfoto trägt Thomas Abel ein graues Sakko und ein hellblaues Hemd. Er blickt lächelnd frontal in die Kamera. Die kurzen, dunkelbraunen Haare hat er streng zurückgegelt. Foto: privat
Die Angst vorm weißen Blatt Papier
Die sprichwörtliche Angst des Tormanns beim Elfmeter ist sicher nicht wenigen Menschen ein Begriff, ähnlich verhält es sich bei uns "Schreiberlingen" mit der Angst vorm weißen Blatt Papier: Schier unüberwindlich breitet sie sich ab und an aus, diese große, leere Fläche, die in einem wie immer zu eng gestrickten Zeitplan mit wie immer viel zu vielen geforderten Zeichen gefüllt werden soll, will, darf…
Schreibblockaden treffen nicht nur professionelle Schreiber wie Redakteure und Autoren, schon Schülern sitzt die nackte Angst im Nacken, wenn ein ungeliebtes Thema in der Klausur auftaucht und sich partout keine schlüssigen Gedanken zu Papier bringen lassen wollen. Das Drama setzt sich im Studium fort: Der Abgabetermin für die Hausarbeit rückt näher und näher, aber die Seiten wollen sich einfach nicht füllen! Gut gemeinte Ratschläge werden jederzeit gerne angenommen. "Geh eine Runde um den Block." "Lenk dich ab, mach etwas ganz anderes." "Putz die Wohnung, das hilft." Ganz nebenbei bemerkt: Nie wieder war meine Wohnung - insbesondere die Fenster! - so blitzblank wie während des Schreibens der Magisterarbeit… Diese Ablenkungsmanöver sind in der Tat hilfreich, um auf andere Gedanken zu kommen, doch das eigentliche Problem - die Unfähigkeit, seine Gedanken sinnvoll zu Papier zu bringen - können sie nicht lösen. Kaum hängt die Jacke wieder an der Garderobe, trocknet der Putzlappen und ist der Kinofilm zu Ende, kreisen die Gedanken wieder um das eine Thema, dessen schriftliche Bewältigung noch immer höchste Priorität hat.
Ließ sich zu Uni-Zeiten eine Hausarbeit zumindest für eine Weile aufschieben, war in der Zeitungsredaktion keine Zeit für "Aufschieberitis" oder Panik vor Schreibblockaden. Jeden Abend pünktlich um 23 Uhr lief die Druckmaschine an, und noch eben eine Seite nachzuliefern ist in diesem Arbeitsablauf unmöglich. An schlechten Tagen kann einen der ungeduldige Anruf des Druckers oder der genervte Blick des Kollegen schon einmal aus der Bahn werfen und dazu beitragen, dass einem bei dem Gedanken an den Redaktionsschluss Schweißperlen auf der Stirn stehen. Doch der Zeitdruck hatte durchaus gute Seiten und half mir sehr regelmäßig, zügig die Seiten zu füllen. Wenn mir keine Zeit bleibt, hilft nur Eines: Einfach ans Thema setzen und loslegen! Daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Sobald ich beginne, mich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, reiht sich Satz für Satz aneinander. Und wer etwas zu Papier gebracht hat, kann eine Vorlage bieten, auf Grundlage derer sich kürzen, verändern und neu nachdenken lässt. Mein ganz persönliches Rezept gegen die Angst vor dem Schreiben ist schlicht: schreiben.
Zum Glück sind echte Blockaden sehr selten und waren auch in der Vergangenheit ausschließlich mit Themen verbunden, die gezwungenermaßen auf meinem Schreibtisch gelandet sind. Nicht immer hat man als Journalist den Luxus, nur über Lieblingsthemen schreiben zu dürfen! Liegt mir ein Thema, fallen die Buchstaben regelrecht auf die Seite und die angepeilte Länge des Textes ist viel zu schnell erreicht. Die Angst vor dem weißen Blatt Papier ist überschaubar und relativ leicht zu besiegen. Für den Fall allerdings, dass doch einmal alle Stricke reißen sollten, habe ich immer noch mein Lieblingszitat von Marcel Reich-Ranicki als Ausrede in der Hinterhand: "Manchmal ist eine Schreibblockade für die Leser ein Segen, das wollen wir nicht vergessen."
Bildbeschreibung: Das Foto zum Beitrag zeigt einen aufgeklappten Laptop, auf dessen Tatstatur mehrere zusammengeknüllte Blätter weißes Papier liegen. Im Bildschirm ist auf einem geöffneten Word-Dokument in großen Buchstaben "HILFE!!!" zu lesen. Foto: DVBS/Christina Rausch
Allein gegen eine Mauer aus Sehenden
Herbst 1990 - der Wechsel von der blista an die Uni. Von den Schwierigkeiten, an zugängliches Material heranzukommen, reden alle. Von den zwischenmenschlichen Mauern, gegen die ich im Unialltag laufen würde, spricht niemand ein Wort.
Auf neue Leute, Themen und Orte war ich schon immer gespannt. Wenn alles neu ist, bade ich in Eindrücken, gehe auf jeden zu, spreche alle von mir aus an. Doch das Neue ist irgendwann vorbei, und im Hörsaal oder auf der Straße bin ich bei all meiner Kontaktfreudigkeit zu 100 Prozent darauf angewiesen, dass die, die mich wiedererkennen, mich grüßen und den Kontakt vertiefen. Mit viel Elan habe ich also allen meine Gesprächsbereitschaft und mein Interesse signalisiert, mich als eine von ihnen zu erkennen gegeben, als eine, die dasselbe Fach studiert. Und dann passiert nur allzu oft überhaupt nichts. Im Unigebäude treffe ich keine Bekannten; in der brechend vollen Mensa grüßen mich einzig die Leute von der Essensausgabe; in den Straßen der kleinen, überschaubaren Stadt erkennt mich scheinbar niemand wieder.
Bis ich eines schönen Tages im Seminargebäude in die entgegengesetzte Richtung gehe. "Fällt Spanisch aus?" Die knappen und mit keinerlei unnötiger Höflichkeit ausgeschmückten Worte sind unzweifelhaft an mich gerichtet. Ich bejahe und füge noch hinzu, dass ich diese Information im Sekretariat erhalten habe. Ein Versuch meinerseits, das Gespräch mit dem Kurskollegen, den ich nicht erkannt habe, auf lockere Art zu verlängern, prallt an einer Schweigemauer ab. Ein knappes "Tschüß" wird gemurmelt, und schon ist er von meinem Radar verschwunden.
An jenem Tag hat sich mir die Erkenntnis eingebrannt: Sie sehen dich. Sie sehen dich vermutlich jeden Tag. Sie sehen dich, wenn du in der Schlange stehst, vor dem Hörsaal wartest, allein an einem Tisch sitzt. Doch nur, wenn sie sich von dir eine nützliche Info erhoffen, sprechen sie dich an. Dann fallen plötzlich für kurze Zeit die Hemmungen von ihnen ab, die es ihnen normalerweise so schwer machen, eine Person anzusprechen, zu der sie keinen Blickkontakt aufnehmen können. In mir entsteht das diffuse Bild einer übermächtigen, einheitlichen Mauer aus Sehenden, gegen die ich allein anrennen muss.
Jahre später - ich erfülle mir einen lang gehegten Traum und trommle in einer Sambaband mit. Bei den wöchentlichen Proben fühle ich mich zunächst wohl. Dann steht ein Auftritt auf einem regional bekannten Festival an. Eines Abends erhalte ich einen Anruf von einem Mitglied der Gruppe. Sie legt mir nahe, doch am Festival nicht teilzunehmen, denn "auf dich muss man ja aufpassen wie auf ein dreijähriges Kind".
Ich bin wie vor den Kopf geschlagen und kann mich bis heute nicht an meine Antwort erinnern. Es folgen mehrere schlaflose Nächte voller Wut, Traurigkeit, Fassungslosigkeit. Doch es geht hier um ein Sambafestival, nicht um irgendetwas Unwichtiges, das ich mal ausprobiert habe und das dann eben nicht geklappt hat. Die Lösung heißt Nora. Sie ist eine Kommilitonin, mit der ich mich gut verstehe, und sie hat Lust, mich zum Festival zu begleiten. Mit Nora laufe ich beim Umzug mit. Wir sind durch eine lockere Kordel miteinander verbunden. So kann sie mich führen, und ich kann gleichzeitig trommeln. Mit Nora kann ich nicht nur mitten im Geschehen sein, sie hilft mir auch, die ungeheuerlichen Kommentare mancher Bandmitglieder weniger ernst zu nehmen, ja sogar darüber zu lachen. Plötzlich sind manche aus der Gruppe eifrig und erfinderisch, besorgen mir eine Automatte als Unterlage für die Bühne, damit ich beim Trommeln auch tanzen kann, ohne die Orientierung zu verlieren.
Die Band löst sich bald danach wegen zahlreicher Unstimmigkeiten auf. War wohl doch keine einheitliche Mauer, gegen die ich allein anrennen musste.
Irgendwann kommt das Internet, und mit ihm meine erste selbst organisierte Reise. Es ist ein Sommerkurs an der Universität von San Sebastián. Die neue Stadt und ihre Menschen elektrisieren mich. Einzig vor dem Sprachkurs ist mir ein wenig flau. Es sind immerhin vier Wochen, genug Zeit, wieder zur Außenseiterin in einer Gruppe von Sehenden zu werden.
Dass ich damit bereits rechne, macht mich natürlich nicht aufgeschlossener. Frustrierende Erlebnisse lassen auch nicht auf sich warten: Meine Mitbewohnerinnen haben keinerlei Interesse an gemeinsamen Unternehmungen oder geselligen Mahlzeiten. Schon bald ist das Gefühl wieder da, dass nach dem offiziellen Programm alle außer mir eine Verabredung haben.
Aber auf dieser Reise lerne ich auch Jenny kennen. Sie hat keine Lust, immer nur mit ihren schwedischen Landsleuten die Abende zu verbringen und ist froh über meinen Vorschlag, auf ein mitternächtliches Konzert nach Bilbao zu fahren. Nach einer durchgemachten Nacht sind wir Freundinnen. Im Jahr darauf besuche ich Jenny in Uppsala. Viel zu spät geht mir auf, dass ich nicht die einzige bin, die sich unter sehenden Menschen oft unsichtbar fühlt und ausgegrenzt wird. Manche schieben das Thema mit einem schlichten "Das ist halt so" beiseite, andere ziehen sich aus etlichen Aktivitäten zurück und sprechen nie über die Gründe.
Völlig verständlich. Niemand redet gern auch noch in der Freizeit über Frust und Niederlagen. In der Freizeit möchte man sich erholen und etwas Angenehmes machen. Leider kommen genau dadurch auch mögliche Lösungen oft nicht ans Licht. Allein die Erkenntnis, dass es nicht an meiner Person liegt und ich solche Dinge nicht als einzige erlebe, war mir eine große Hilfe. Erst als mir klar war, dass auch andere nette, kontaktfreudige blinde Menschen dem Betriebsausflug fernbleiben oder sich nicht in die Kantine trauen, konnte ich einen gewissen Abstand zu meinem Allein-gegen-eine-Mauer-Gefühl herstellen und nach den Ursachen fragen.
Heute laufe ich nicht mehr schutzlos in Gruppensituationen hinein. Ich überlege mir, wann sich der Aufwand lohnt. Ist die Motivation hoch genug, etwa bei einem bereichernden Berufsverband oder einem besonders reizvollen Hobby, dann lohnt er sich. Dann brauche ich Geduld, Nachsicht mit meinen Mitmenschen und die Bereitschaft, immer wieder zu erklären, was ich an Unterstützung brauche und was nicht, wie ich lese oder woher mein Hund weiß, wo die Tür ist.
Es hat sich bewährt, die Blindheit von mir aus zum Thema zu machen, möglichst direkt und auf humorvolle Weise.
Inmitten einer Gruppe zu stehen und zu hören, dass offenbar alle anderen in Gespräche verwickelt sind, während ich selbst für jedermann sichtbar allein herumstehe, ist dennoch nichts, was ich jeden Tag aushalten kann. Nachsicht und Verständnis brauche ich also vor allem für mich selbst. Es ist in Ordnung, wenn mir ein bestimmtes Treffen an einem bestimmten Abend zu anstrengend ist. Die Welt geht nicht unter, wenn ich mir manchen Kraftakt auch erspare. Aber auch da hat mir Offenheit schon unverhofft geholfen. Einmal habe ich mir ein Herz gefasst und gesagt, dass ich mich zu einer Fete an der Uni nicht trauen würde aus Angst, in einem Saal voller Kommilitonen verloren herumzustehen. Daraufhin redeten fünf Freunde und Bekannte auf mich ein. Wir gingen hin und es wurde ein toller Abend, denn es war immer jemand bei mir, ohne dass eine bestimmte Person als "für mich zuständig" erkennbar war.
In wertvollen, offenen Gesprächen mit sehenden Freunden habe ich von deren Hemmungen und Schwierigkeiten in Gruppen erfahren. Auch wenn sie sich von meinen unterscheiden, hat mir dieses Wissen geholfen, meine Situation etwas zu relativieren. Es gibt eben doch keine Welt, in der allen anderen alles leicht fällt und gelingt und nur ich selbst mich ständig abrackern muss.
Manchmal ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Private oder berufliche Veränderungen nehmen sehr viel Kraft und Zeit in Anspruch. Aber wenn die nächste Aufbruchphase kommt, wird es gut sein, wieder in die Welt hinauszufliegen. Es lohnt sich wegen der Noras und Jennys, der San Sebastiáns und der Sambafestivals. Ich stelle mir vor, mich nach dem nächsten Abflug mit einem vertrauten Menschen zu treffen, der mitfiebert und sich hinterher mit mir freut oder mich nach einer Bruchlandung aufsammelt.
Zur Autorin
Mirien Carvalho Rodrigues ist freiberufliche Dolmetscherin und Übersetzerin. Schon immer war die heute 46-jährige, geburtsblinde Autorin neugierig auf andere Länder und Lebenswelten. Beruflich wie privat reist sie gern und trägt zum Erfahrungsaustausch zwischen unterschiedlichen Menschen bei. So schreibt sie z. B. im Inklusionsblog von Aktion Mensch regelmäßig über Reisen und besondere Begegnungen.
Bildbeschreibung: Das Autorenfoto zeigt Mirien Carvalho Rodrigues während eines Aufenthaltes in Brasilien am Strand. Sie genießt mit geschlossenen Augen die Sonne und hat die Arme weit ausgebreitet. Gegen die Sonne trägt sie eine rote Kappe. Ihre weite Tunika hat einen V-Ausschnitt und ist in Grün- und Türkistönen gemustert. Foto: privat
Bin ich peinlich?
Von meiner Angst, mich wegen der Blindheit zu blamieren
Ein Blick sagt mehr als tausend Worte und das ist das Problem. Sehende geben einander oft durch Blicke Hinweise. Wenn jemand zum Beispiel mit ungewaschenen Haaren herumläuft, dann erfolgt ein kurzer, missbilligender Blick auf dieselben und die Person weiß Bescheid. Aber niemand sagt: "Hey du, deine Haare sind total fettig!" Ein unangenehmes Thema anzusprechen kostet mehr Überwindung, als durch einen geringschätzigen Blick darauf aufmerksam zu machen.
Da mir aber die visuelle Kontrolle fehlt, wäre ich auf eine offene und ehrliche Rückmeldung angewiesen, aber ich weiß, dass diese meist nicht erfolgt.
Wirklich bewusst ist mir das auf einem Ausbildungsseminar zur Blickpunkt-Auge-Beraterin geworden. Zwei Beraterinnen, eine sehende und eine blinde, berichteten von ihren Hausbesuchen bei überwiegend älteren Menschen, deren Sehvermögen sich stark verschlechtert hat. Sie haben eine geheime Verabredung getroffen. Wenn die sehende Beraterin den angebotenen Kaffee ausschlägt, lehnt die blinde Beraterin ihn ebenfalls ab. Grund: Das Geschirr und der Tisch sind so versifft, dass man sie nicht bedenkenlos nutzen kann. Aber die älteren Leute sind nicht etwa "Schmutzfinken", sondern ihnen fehlt die Erfahrung, wie sie mit ihrer geringen Sehkraft ihre Wohnung sauber halten können.
Dieser Bericht hat mich tief erschüttert. Ist, obwohl ich mir mit meinem Haushalt Mühe gebe, in meiner Wohnung vielleicht auch etwas widerlich? Als meine Schwiegereltern sich beharrlich weigerten, sich von mir bekochen zu lassen, stieg diese Angst noch weiter. Ich frage zwar sehende Bekannte und Verwandte ganz direkt, ob meine Wohnung in Ordnung ist und bekomme die Rückmeldung, dass alles pikobello sei, aber die Befürchtung, sie könnten aus vermeintlicher Nettigkeit nicht die Wahrheit sagen, bleibt.
Und diese Furcht, dass Sehende vor mir Peinliches verschweigen, ist nicht unbegründet. Einmal erschien ich zu einem Bewerbungsgespräch mit einer schönen weißen Bluse. Ich war stolz darauf, mich fein angezogen zu haben. Niemand sagte etwas. Aber als mir im Laufe desselben Tages ein künftiger Arbeitskollege über den Weg lief, sagte er mir, dass auf der Bluse ein großer Fleck prangt, der anscheinend beim Waschen nicht rausgegangen war. Ich habe die Stelle trotzdem bekommen, aber ich wäre vor Scham nachträglich am liebsten im Boden versunken.
In einigen Büchern werden die Protagonisten nicht sehr schmeichelhaft beschrieben. Einmal las ich, dass eine kleine rundliche Frau als "Tönnchen" beschrieben wurde. In einem anderen Buch hatte Ein Mann fahle, wächserne Haut. Wie würde mich ein Schriftsteller mit ehrlichen Worten beschreiben? Welches Bild würde er für mich finden? Habe ich ein hübsches Lächeln oder fletsche ich bloß die Zähne? Wirke ich weiblich? Da blinde Männer und Männer in lichtlosen Räumen mich eindeutig attraktiver finden, schließe ich daraus, dass mein Äußeres nicht wesentlich zu meinen weiblichen Reizen beiträgt. Als eine Arbeitskollegin meinem Lebensgefährten gegenüber die Sorge äußerte, für mich "zartes Mäuschen" könnte das Infomaterial, das ich holen sollte, zu schwer sein, war ich überrascht, denn ich empfinde mich, körperlich gesehen, als robust und kompakt, nicht gerade zart gebaut. Und immer wieder stellt sich die Frage: Was sehen die Leute, wenn sie mich anschauen? Wenn es mir nicht gut geht, habe ich das Gefühl, dass mich alle Leute anstarren. Besonders, wenn ich an der Ladentheke vom Metzger oder Bäcker bezahle, denke ich, dass die Verkäuferin ganz genau meine Hände beobachtet, wie ich die Münzen und Scheine erkenne. Wenn ich auf der Straße entlanglaufe, denke ich, dass die Leute ganz genau beobachten, wie ich den Hindernissen ausweiche.
Ich kann nicht sagen, ob meine Ängste und Selbstunsicherheiten real und rational sind oder bloß paranoide Hirngespinste oder eine Mischung aus Beidem. Es wird unter Ihnen vielleicht Leserinnen und Leser geben, die meine Ängste nachempfinden können, anderen sind solche Zweifel möglicherweise völlig fremd. Das liegt in der Natur der Ängste, dass sie nicht immer vernunftgesteuert sind. Wenn es mir gut geht, empfinde ich meine Wohnung als ausreichend sauber, kümmere ich mich nicht um meine vorhandenen oder nicht vorhandenen Reize und schere mich einen Teufel darum, dass ich für meine sehenden Mitmenschen wegen meines weißen Langstockes eine Attraktion bin.
Es wird sicher noch so manchen peinlichen Moment in meinem Leben geben, aber die erlebt doch schließlich jeder. Ich würde mich freuen, wenn alle Sehenden so wären wie der bereits erwähnte Arbeitskollege, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn ihm ein Fleck oder irgendwas anderes unangenehm ins Auge springt. Ich gebe zwar zu, dass ich dann etwas peinlich berührt bin, aber letztendlich sind seine offenen Worte heilsam. Aber weil ich mich auch oft nicht traue, anderen Leuten ehrlich ins Gesicht zu sagen, welche Äußerlichkeiten mich an ihnen stören, habe ich vollstes Verständnis für all diejenigen, die lieber mit ihrer Meinung hinterm Berg halten, um niemanden zu kränken. Und es ist ja auch kein reines "Blindenproblem". Mein Vater und seine Kumpel diskutieren schon seit Wochen darüber, wie sie ihrem Freund möglichst schonend beibringen, dass er ganz fürchterlich aus dem Mund stinkt. Die Freunde machen sich ernstlich Sorgen, dass eine Organerkrankung hinter dem bestialischen Mundgeruch stecken könnte, und würden ihrem Kumpel gerne raten, einen Arzt aufzusuchen, aber sie bringen es nicht über sich, das heikle Thema anzuschneiden, obwohl der Mundgeruch so stark ist, dass der Bekannte sich darüber beklagt, dass sein Enkelchen stets auf Abstand zum Opa geht und sich von ihm abwendet, ohne dass er sich dies erklären kann.
Auf das Sommerfest seiner Partei bringt mein Lebensgefährte jedes Mal Geschirrtücher von uns mit und jedes Mal schimpfe ich mit ihm, dass er das nicht machen soll, weil ich Angst habe, dass irgendwelche Tomatensoßenflecken oder Fettspritzer beim Waschen nicht rausgegangen sind. Sofort kommt die Angst erneut hoch, ich könnte im Ansehen der sehenden Mitmenschen sinken und aufgrund meiner Fehler dafür verantwortlich sein, dass alle Blinden und Sehbehinderten in ein schlechtes Licht gerückt werden. Gelegentliche Selbstunsicherheiten und Zweifel bleiben also immer, weil die visuelle Rückmeldung fehlt und Befürchtungen, wegen der Behinderung negativ aufzufallen, sich Bahn brechen.
Bildbeschreibung: Das Foto zeigt einen Stapel weiße Porzellanteller, auf dem eine Spülbürste und ein Geschirrhandtuch liegen. An den Borsten haftet Schaum, auch auf dem Holztisch, auf dem die Teller stehen, hat sich ein Schaumwölkchen abgesetzt. Foto: www.pixelio.de/S. Hofschlaeger
Bildung und Forschung
Taktile Grafikproduktion und inklusives Zeichnen
Gerade in Aus- und Weiterbildung stoßen Alternativbeschreibungen für bildliche Darstellungen in Lehrbüchern an ihre Grenzen. Gerade für Karten und graphische Notationen, wie z.B. für Schaltpläne, kann zusätzlich zur Verbalisierung eine taktile oder gar audio-taktile Umsetzung helfen. Letzteres wird ermöglicht durch die Ergänzung einzelner taktiler Objekte einer Grafik mit verbalen Erläuterungen, welche bei Bedarf durch den Nutzer auditiv abgerufen werden können. Dadurch lässt sich teilweise sogar der Einsatz von Braille in Grafiken vermeiden.
Im Projekt Tangram des Lehrstuhls für Mensch-Computer Interaktion der Technischen Universität Dresden haben wir uns in den vergangenen drei Jahren damit befasst, wie sich der Prozess der taktilen Grafikumsetzung verbessern lässt. Hierzu wurden im deutschsprachigen Raum 27 Institutionen zu ihrem Umsetzungsprozess für zugängliche Literatur und mehr als 100 sehbehinderte Konsumenten über ihre Erfahrungen zu taktilen grafischen Materialien befragt.
Heraus kam, dass Institutionen hauptsächlich auf die Verbalisierung von bildlichen Inhalten setzen und erst bei Bedarf eine Umsetzung als taktile Grafik realisieren, was in der Praxis meist eine nachträgliche Anfrage durch Leser bedeutet. Diese werden dann oft nicht durch speziell geschultes Personal, sondern durch Laien, z.B. Mitschüler oder Kommilitonen umgesetzt. Dabei wird mit 80 Prozent am häufigsten Schwellpapier als Verbreitungsmedium genutzt, gefolgt von Brailledrucken und Tiefziehfolien mit jeweils 55 Prozent. Die Institutionen gaben weiterhin an, für eine Umsetzung im Mittel ein bis zwei Stunden pro Grafik aufzuwenden und dabei durchschnittlich vier verschiedene Programme zu benutzen. Auch in sehr professionalisierten Einrichtungen findet oftmals nur stichprobenhaft eine Qualitätskontrolle der umgesetzten taktilen Grafiken statt. Oft wird auf Qualitätsprobleme erst nach einer eingehenden Rückmeldung durch die Leser eingegangen. Blinde und sehbehinderte Leser wurden im Rahmen der Umfrage unter anderem nach den größten Schwierigkeiten beim Erkunden von Grafiken gefragt. Hier nannten etwa drei Viertel der Befragten die Überladung mit zu vielen Informationen als das Hauptproblem. Als weitere große Probleme wurden von knapp der Hälfte der Befragten die schwere Unterscheidbarkeit von Objekten sowie ein möglicher Orientierungsverlust genannt. Daraus resultieren auch die Forderungen der Leser nach einer deutlichen Reduktion der Komplexität und taktil gut wahrnehmbaren Einzelelementen. Als weiteres wurde explizit die Verwendung von wenigen einheitlichen Gestaltungsmerkmalen, wie Linienstilen, Beschriftungen und Legenden gefordert. Die Mehrheit wünscht sich die Bereitstellung einer verbalen Beschreibung zusätzlich zur taktilen Darstellung.
Um die Qualität von Grafiken zu verbessern, wurde im Projekt Tangram ein Arbeitsplatz entwickelt, der es einem Team aus einem sehenden Grafikzeichner und einem blinden Berater ermöglicht, gemeinsam an der Zugänglichkeit einer Grafik zu arbeiten. Als Programm zur Grafikerstellung kommt dabei LibreOffice zum Einsatz. LibreOffice ist ein kostenloses Office-Paket, vergleichbar mit MS Office. Dieses enthält eine Zeichenanwendung, die bereits heute in einigen Institutionen zur taktilen Grafikerzeugung genutzt wird. Durch eine Programmerweiterung soll sowohl der sehende Grafikumsetzer mit speziellen Werkzeugen unterstützt werden, als auch gleichzeitig einem blinden Nutzer der grafische Zugang zur Zeichenfläche ermöglicht werden. Beispielsweise werden für den sehenden Grafikersteller erprobte taktile Linienstile, Füllmuster und Werkzeuge zur Ergänzung audio-taktiler Informationen bereitgestellt.
Während der Sehende Maus, Tastatur und Monitor benutzt, kommen für den nicht-visuellen Arbeitsplatz die im Projekt HyperBraille entwickelte taktile Stiftplatte sowie eine Audio- und Sprachausgabe zum Einsatz. Als grafikfähiges taktiles Ein- und Ausgabegerät ermöglicht die Stiftplatte dem blinden Lektor, den Entstehungsprozess zu verfolgen, frühzeitig Rückmeldung über die Umsetzung von einzelnen Elementen oder der Gesamtkomposition des Bildes zu geben und sogar aktiv und selbständig Änderungen an der Grafik vorzunehmen. Die Stiftplatte selbst ist ein ca. 5 kg schweres Gerät mit einer berührungsempfindlichen Anzeigefläche von 120 mal 60 Braillestiften. Rundherum sind 36 Schalter platziert, die verschiedene Eingaben zulassen. Darunter sind eine Navigationsleiste (bekannt von Papenmeier-Braillezeilen), Wippschalter, Cursorkreuze und Standardtaster, die sich auch als Brailletastatur nutzen lassen.
Auf der Anzeigefläche lässt sich die taktile Grafik frei durch Vergrößern und Verkleinern vollständig und detailliert erkunden. Für die Bearbeitung von Elementen stehen Möglichkeiten zur freien Positionierung auf der Zeichenfläche, Größen- und Rotationsänderungen sowie die Anpassung der Darstellung von Objektkontur und -füllung mit verschiedenen vordefinierten Stilen zur Verfügung. Diese Änderungen lassen sich unmittelbar in Echtzeit auf der taktilen Stiftplatte nachvollziehen. Darüber hinaus können nicht nur bereits eingetragene Zusatzinformationen über die berührungsempfindliche Anzeigefläche abgerufen werden, sondern diese auch bedarfsgerecht erstellt oder angepasst werden.
In bereits durchgeführten Tests zeigte sich, dass die blinden Lektoren an fast allen Grafiken noch Verbesserungen vorgenommen haben, selbst wenn sie von professionellen Grafikumsetzern erstellt wurden.
Als nächstes Ziel steht der freie und selbständige bildliche Ausdruck für blinde Nutzer im Fokus. Dabei sollen blinde Menschen nicht nur als Konsumenten für Grafiken, sondern auch als eigenständige Autoren von digitalen grafischen Inhalten adressiert werden. Wir bedanken uns beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie allen Beteiligten, die uns während des Projektes Rückmeldung und Anregungen geliefert haben. Wer Lust hat, bei Forschungsvorhaben mitzuhelfen und sicherzustellen, dass die erarbeiteten Ergebnisse relevant und nützlich sind, darf sich gerne als Testperson bei Forschungsprojekten, beispielsweise an unserem Institut, beteiligen.
Zu den Autoren
Jens Bornschein und Denise Prescher sind wissenschaftliche Mitarbeiter an der TU Dresden. Am Lehrstuhl für Mensch-Computer Interaktion forschen sie unter anderem im Bereich der nicht-visuellen Interaktion auf taktilen Flächendisplays.
Bildbeschreibungen: Der Artikel enthält zwei Fotos. Der kollaborative Tangram Zeichenarbeitsplatz besteht aus einen normalen PC sowie einem taktilen Flächendisplay. Eine sehende Grafikerin sitzt an Maus und Tastatur vor zwei Monitoren. Daneben sitzt ihre blinde Kollegin, mit der sie über eine schematische Grafik diskutiert. Die blinde Kollegin kann die Grafik auf dem flächigen Brailledisplay taktil erkunden.
Das zweite Foto zeigt ein Nicht-visuelles Interface zum kollaborativen Tangram Zeichenarbeitsplatz. Durch das im HyperBraille-Projekt entwickelte zweidimensionale taktile Flächendisplay kann ein blinder Lektor eine Grafik in Echtzeit frei taktil erkunden. Das silberfarbene Gerät verfügt über eine 120 mal 60 Pin große Anzeigefläche und ist von 36 Schaltern umgeben. Darauf angezeigt wird ein Ausschnitt einer schematischen Grafik mit Brailletext. Im Monitor darüber ist eine Softwareanwendung zu sehen, die die Anzeige der Stiftplatte für Sehende auf dem Bildschirm visualisiert. Fotos: TU Dresden Zudem sind Porträtfotos der Autoren zu sehen. Auf der Schwarz-Weiß-Aufnahme lächelt Denise Prescher in die Kamera. Ihre schulterlangen, dunklen Haare sind gescheitelt. Die rechte Partie hat sie hinters Ohr gesteckt, während die linke Seite locker über die Stirn fällt. Sie trägt eine Brille mit einem eckig-markanten dunklen Gestell. Jens Bornschein hält sein Sakko lässig über der linken Schulter und blickt lächelnd in die Kamera. Seine dunklen Haare hat er modisch nach oben gegelt und trägt einen Dreitagebart. Zum weißen Hemd hat er eine gemusterte Krawatte kombiniert.
Whatever you do – think diverse
blista feiert 30 Jahre IT-Ausbildung und Kooperation mit SAP SE
Das Bildungswesen ist oft schnelllebig. Viele Ideen können nach Ablauf einer ersten Förderphase nicht verstetigt werden, ein Projektantrag jagt den nächsten. Dass eine Initiative sich derart nachhaltig verstetigt, dass sie ihren 30-jährigen Geburtstag feiert und den Sprung zum selbstverständlichen Regel-Angebot eines Bildungsträgers bewältigt, ist fürwahr eine Besonderheit. Dies ist der IT-Ausbildung der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista) gelungen, die aus diesem Anlass Ende September 2015 zur Feierstunde eingeladen hatte.
Die Idee, blinden und sehbehinderten Menschen eine IT-Ausbildung zu ermöglichen, wurde im Jahr 1985 bei der blista erstmals in die Tat umgesetzt. In ihren Begrüßungsreden riefen blista-Direktor Claus Duncker wie auch Volker Breustedt als Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Marburg das damalige Zeitgeschehen in Erinnerung: Die Schweiz führte die Autobahnmaut ein, Michail Gorbatschow wurde Generalsekretär der KPdSU, das SGB III ist noch Zukunftsmusik, Windows 1.01 wird vorgestellt und Bayer Uerdingen gewinnt durch ein 2:1 gegen Bayern München den DFB-Pokal. 30 Jahre später ist die KPdSU längst Geschichte, Bayer Uerdingens Nachfolgeverein KFC spielt fünftklassig. Die IT-Ausbildung der blista unter der Leitung von Michael Zulauf hingegen ist quicklebendig. 151 erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen sind eine ebenso stolze Zahl wie die Quote von über 80 Prozent, die im Anschluss einen sicheren Arbeitsplatz finden. Die Rehabilitationseinrichtung (RES) als für die IT-Ausbildungen und Umschulungen verantwortliche Einheit der blista zählt mittlerweile zu den größten und vielfältigsten ihrer Art in ganz Europa. Breustedt lobte neben der jahrelangen guten Kooperation zwischen blista und Agentur für Arbeit auch das permanente Bemühen um Weiterentwicklung und Innovation, wie die Qualifizierung der blista zum "Kompetenzzentrum für barrierefreie IT" im Sommer 2015 zeige.
Der Übergang von der Ausbildung in den Beruf steht bei der Deutschen Blindenstudienanstalt weit oben auf der Tagesordnung. Unterschiedliche Kooperationen mit Unternehmen werden daher aktiv gepflegt. Ein Leuchtturmprojekt ist die Zusammenarbeit mit SAP SE, die im Jahr 2014 im Anschluss an eine Übungsfirmenmesse entstanden ist. Der Softwarekonzern ist das erste DAX-Unternehmen, das einen Aktionsplan zur Umsetzung des Übereinkommens der UN über die Rechte von Menschen mit Behinderungen erstellt hat. Über den Status dieses Aktionsplans und die Zusammenarbeit zwischen SAP und blista berichteten unter dem Motto "Whatever you do - Think diverse!" die SAP-Vertreter Natascha Jörger (HR Project Senior Consultant), Gerhard Oettinger (University Alliances D-A-CH), Oliver Keim (Usability) und Alexander Kuban (IT Accessibility), der einst selbst die IT-Ausbildung bei der blista in Marburg absolviert hat. Im Aktionsplan des Konzerns wurde im Handlungsfeld "Ausbildung, Bildung und Qualifikation" als Ziel definiert, die Schulungssoftware SAP4school behindertengerecht zu gestalten: "Das Ziel ist die Erstellung eines didaktischen und barrierefreien Lehrkonzepts mit allen erforderlichen Medien und Werkzeugen. Damit werden alle Voraussetzungen geschaffen, dass blinde Menschen im Rahmen ihrer Ausbildung auch den Einsatz und Umgang mit SAP-Systemen erlernen." Das Projekt kommt gut voran und soll im Bereich Materialwirtschaft bereits in wenigen Monaten eingesetzt werden. Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen - unter diesem Schlagwort lässt sich die anschließende von Thorsten Büchner moderierte Podiumsdiskussion mit sechs ehemaligen Auszubildenden zusammenfassen. Die sehr kurzweilige Runde mit Vertretern aus allen drei Jahrzehnten veranschaulichte die Ausdifferenzierung des Ausbildungsberufs ebenso wie den Wandel der Programmiersprachen. Wurden anfangs Datenverarbeitungskaufmänner und -frauen ausgebildet, so umfasst das Ausbildungsangebot heute zwei Richtungen: Einerseits Informatikkauffrauen, andererseits Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung. Auch verdeutlichten die Erzählungen der Teilnehmer, wie vielfältig die Anschlussmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt sind und dass die IT-Ausbildung wichtige Schlüsselqualifikationen vermittelt, die auch einen späteren Einsatz in einem Nicht-IT-Umfeld ermöglichen. Bei der Abschlussfrage, was sie der blista gerne für die nächsten 30 Jahre IT-Ausbildung ins Stammbuch schreiben möchten, betonten die Diskutanten nahezu unisono die permanente Orientierung an aktuellen Technologien und Programmiersprachen.
Diese Vorlage nahm Jürgen Nagel in seinem Schlusswort gerne auf. "Der 30. Geburtstag lässt uns guten Gewissens sagen, dass die IT-Ausbildung die Jugend-Phase erfolgreich abgeschlossen hat", so der Leiter der Rehabilitationseinrichtung für Blinde und Sehbehinderte (RES), für den dieses Datum "Abschied und Start zugleich" bedeutet. Neben der ständigen Aktualisierung und Verbesserung der Ausbildungsinhalte hat sich die blista laut Nagel vorgenommen, "mit Kreativität und Weitblick" noch mehr Verbindungen zur IT-Arbeitswelt zu schaffen.
Bildbeschreibung: Der Text enthält zwei Fotos. Eines zeigt SAP-Mitarbeiter Gerhard Oettinger (University Alliances D-A-CH), während er am Rednerpult die Kooperation mit der blista erläutert. Vor einer roten Wand steht Oettinger am Rednerpult aus hellem Holz und spricht zum Plenum. In der linken Hand hält er das Mikrofon, mit dem rechten Arm macht er eine weit ausholende Geste. Er trägt einen dunkelgrauen Anzug, ein hellgraues Hemd und eine Krawatte im selben Farbton. Seine Brille hat eckige Gläser und ein dunkles Gestell. Vom Betrachter aus links im Bild steht ein Roll-up der blista, das die Ausbildungsmöglichkeiten im IT-Bereich hinweist.
Das zweite Foto ist während der anschließenden Diskussionsrunde entstanden. Moderator Thorsten Büchner und die sechs Teilnehmer der Diskussion stehen im Halbkreis an zwei Stehtischen vor dem Publikum. Fotos: blista
Neuer, zweijähriger Bildungsweg an der blista
Fachoberschule Gesundheit - kurz: FOG
Mit der Fachoberschule Gesundheit hat die Carl-Strehl-Schule einen neuen, zukunftsorientierten Bildungsweg konzipiert, der exakt auf die Bedürfnisse von blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schülern zugeschnitten ist. In Kooperation mit dem Bildungsinstitut für Gesundheit und Soziales in Mainz (BFW Mainz) verknüpft die FOG eine hoch qualifizierte, spezifisch ausgerichtete Bildung und Förderung mit inklusiven Praxiserfahrungen im Arbeitsmarkt. Ob Gesundheitsmanagement, Physiotherapie oder Studium — die FOG eröffnet eine Vielzahl beruflicher Wege. So besteht z.B. am Studienzentrum Mainz die Möglichkeit, den Hochschulabschluss "Bachelor of Arts Medizinalfachberufe" oder eine Ausbildung zum Physiotherapeuten anzuschließen.
Der Bildungsweg: ein guter Mix aus Theorie und Praxis
Die zweijährige FOG beinhaltet zwei Praktika in Einrichtungen des Gesundheitswesens: in Reha-Kliniken, Kliniken, Rehazentren und Praxen. In der Schule geht es neben den allgemeinen Fächern um Schwerpunktthemen wie z.B. Grundkenntnisse der Gesundheitslehre, Ernährung, Bewegung und Sport, Alternative Heilverfahren, Altern und Sterben, das Gesundheitswesen und Sozialrecht. Die FOG schließt mit der allgemeinen Fachhochschulreife ab.
Die Gesundheitsbranche wächst und bietet anspruchsvolle Arbeitsmöglichkeiten
Das Gesundheitswesen ist ein beliebtes Arbeitsfeld, bundesweit ist bereits jeder achte Beschäftigte im Gesundheitswesen tätig. Die Zahl der Arbeitsplätze wächst hier rund dreimal so stark wie in der Gesamtwirtschaft.
Zunehmend verlangen die vielfältigen Aufgabenbereiche in unserem Gesundheitssystem sowohl ein gutes Verständnis für medizinische Vorgänge als auch einen Überblick über die Strukturen. Die neue Fachoberschule Gesundheit nimmt diese Entwicklung auf und bietet eine zeitgemäße, zukunftsorientierte Bildung auf wissenschaftlicher Grundlage.
Die FOG im Überblick
1. Jahr
- Der Vollzeitunterricht bis zu den Winterferien bietet neben den allgemeinen Fächern den Einstieg in die Aufgaben des Gesundheitswesens.
- Von Januar bis März leben und lernen die Schülerinnen und Schüler in Mainz. In enger Kooperation begleitet das BFW Mainz das erste, dreimonatige Praktikum mit fachpraktischem Unterricht. Die Praktikumsgeber sind Einrichtungen vor Ort.
- Der April winkt mit Freizeit, ein kompletter Ferienmonat gleicht die verkürzten Winterferien aus.
- Das anschließende Blockpraktikum (Mai-Juli) ist nach den persönlichen Interessen frei wählbar. Ob in Marburg oder am Heimatort, die Carl-Strehl-Schule unterstützt bei der Wahl und begleitet das Praktikum.
2. Jahr
- Der Vollzeitunterricht findet über das gesamte Schuljahr an der Carl-Strehl-Schule statt und beinhaltet alle prüfungsrelevanten Fächer.
Zu den Zugangsvoraussetzungen für die neue Fachoberschule Gesundheit an der blista zählt z.B. eine Versetzung in die gymnasiale Oberstufe oder ein mittlerer Bildungsabschluss mit einem Notendurchschnitt von besser als 3,4 in den Hauptfächern.
Nähere Informationen und Kontakt: Jochen Lembke, Schulleiter, und Martina Dirmeier, Abteilungsleiterin berufliche Schulzweige, Tel.: 06421 606-113, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Bildbeschreibung: Das Foto zeigt eine Schülerin der FOG. Sie sitzt an einem Tisch und tastet mit den Händen konzentriert ein medizinisches Modell ab, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Foto: blista
Recht
EDV-Gerichtstag als Forum für Barrierefreiheit
Vom 23. bis 25. September 2015 fand in Saarbrücken der 24. Deutsche EDV-Gerichtstag statt, der von fast 700 Teilnehmern besucht wurde. Themen waren u.a. der Stand der Umsetzung des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, die Einführung elektronischer Akten, ein gemeinsames Akteneinsichtsportal von Bund und Ländern, das besondere elektronische Anwaltspostfach und die Möglichkeiten des mobilen E-Justice.(1) Auch in diesem Jahr war der EDV-Gerichtstag ein wichtiges Forum für Barrierefreiheit.
Wie bereits in den Jahren 2010 und 2012 bis 2014 war der DVBS auch in diesem Jahr wieder mit einem Informationsstand zur Barrierefreiheit vertreten. An zwei komplett ausgestatteten PC-Arbeitsplätzen mit Screenreader (JAWS), Sprachausgabe und Braillezeile sowie Vergrößerungsprogramm (ZoomText Magnifier/Reader) haben Mitglieder der Fachgruppe Jura des DVBS gezeigt, wie blinde und sehbehinderte Juristinnen und Juristen am PC arbeiten, welche Hindernisse sich dabei ergeben und wie sich diese Barrieren vermeiden lassen.(2) Zur Crew gehörten in diesem Jahr Thomas Lange, Richter am Amtsgericht Nürnberg, Uwe Bruchmüller, Richter am OLG Naumburg, und Andreas Carstens, Richter am Niedersächsischen Finanzgericht. Außerdem hat uns Peter Sdorra, Richter am Kammergericht Berlin und Vertrauensperson der schwerbehinderten Richterinnen und Richter, unterstützt.
Auch im offiziellen Programm war Barrierefreiheit ein Thema. In einem eigenen Arbeitskreis stellte die Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz (BLK), in der die Justizministerien aus Bund und Ländern zusammenarbeiten, am Donnerstagnachmittag im gut besuchten Hörsaal 0.18 den Aktionsplan der BLK für eine barrierefreie IT in der Justiz einer breiteren Öffentlichkeit vor. Zum Hintergrund: Nachdem die Verbände der Blinden und Sehbehinderten unter wesentlicher Beteiligung des DVBS während des Gesetzgebungsverfahrens erreichen konnten, dass in das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (sog. E-Justice-Gesetz) (3) an mehreren Stellen Vorschriften zur Barrierefreiheit aufgenommen wurden (4), beauftragte die BLK eine Arbeitsgruppe (die AG Zukunft), ein Themenpapier zur Barrierefreiheit zu erstellen. Das Themenpapier hat die BLK in ihrer Sitzung am 19. und 20. November 2014 entgegengenommen und zugleich den darin als Kapitel VII enthaltenen Aktionsplan für eine barrierefreie IT in der Justiz beschlossen.(5)
Auf dem EDV-Gerichtstag hat die BLK den Aktionsplan nun dem Fachpublikum präsentiert. Er sieht - neben anderen Punkten - u.a. vor, dass die Justizverwaltungen neu zu entwickelnde sowie grundlegend neu zu gestaltende IT-Fachanwendungen sowie elektronische Formulare barrierefrei gestalten. Deutlich wurde, dass letztlich alle Bundesländer beabsichtigen, die Barrierefreiheit bei den jetzt anstehenden Entwicklungen und Überarbeitungen der IT-Anwendungen zu berücksichtigen, die für den elektronischen Rechtsverkehr und der damit einhergehenden elektronischen Aktenführung erforderlich sind.(6)
Auch an dem Informationsstand des DVBS hatten wir wieder regen Zulauf. Teilweise war die Nachfrage so groß, dass wir nicht mit allen gleichzeitig sprechen konnten. Gespräche geführt haben wir mit Vertretern mehrerer Landesjustizministerien, mit Leitern von Entwicklungsverbünden sowie mit Entwicklern und Programmierern, aber auch mit Vertretern von Firmen, die die von der Justiz benötigten IT-Anwendungen letztlich entwickeln und bereitstellen sollen. Wir hatten in Sachen Barrierefreiheit den Eindruck, jetzt geht es richtig los. Außerdem konnten wir wieder mit der Juris GmbH, die den EDV-Gerichtstag unterstützt, Gespräche führen und mehrere Anregungen zur besseren Nutzbarkeit der Oberfläche der Juris-Datenbanken mittels Screenreader weitergeben, die mittlerweile bereits umgesetzt wurden.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Erstens, das Engagement des DVBS auf dem EDV-Gerichtstag trägt Früchte.(7) Und zweitens, wir sind als DVBS, als Schwerbehindertenvertretungen und als betroffene Nutzerinnen und Nutzer gefordert, uns auch weiterhin zu engagieren und wo immer möglich, konkret zu beteiligen. Nur so können wir erreichen, dass die zur Barrierefreiheit erforderlichen technischen Standards auch tatsächlich umgesetzt und eingehalten werden.
Zum Autor
Andreas Carstens ist Richter am Finanzgericht und Vertrauensperson der schwerbehinderten Richterinnen und Richter sowie Mitglied in der Fachgruppe Jura des DVBS.
(1) Siehe hierzu den Internetauftritt des EDV-Gerichtstages, der auch zu den einzelnen Vorträgen und Arbeitskreisen ausführliche Informationen enthält: www.edvgt.de
(2) Siehe hierzu ausführlich horus aktuell Nr. 24/15 vom 17. September 2015
(3) BGBl. I 2013, Seite 3786
(4) Siehe dazu ausführlich A. Carstens, Grundlagen für eine barrierefreie IT in der Justiz, in: F. Kerkmann u. D. Lewandowski, Barrierefreie Informationssysteme, Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen in Theorie und Praxis, Verlag De Gruyter 2015, Seite 177 - 215, sowie J. Krüger u. Ch. Sorge, E-Akte, elektronischer Rechtsverkehr und Barrierefreiheit, NJW 2015, Seite 2764 - 2767
(5) Das Themenpapier der BLK und der darin als Kapitel VII enthaltene Aktionsplan stehen im Internet im gemeinsamen Justizportal des Bundes und der Länder zum Abruf bereit: www.justiz.de/BLK/berichte/index.php
(6) Siehe dazu auch die Präsentation des Vortrags und das Protokoll des Arbeitskreises: www.edvgt.de/pages/24.-deutscher-edv-gerichtstag/arbeitskreise-mit-praesentationen-und-protokollen.php
(7) Siehe dazu auch J. Krüger u. Ch. Sorge, E-Akte, elektronischer Rechtsverkehr und Barrierefreiheit, NJW 2015, Seite 2764 (2767), unter IV. 3
Zeit für ein Update
Seit Langem steht ein Gesetz zur sozialen Teilhabe weit oben auf dem Katalog von Forderungen, den die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe zusammen mit anderen Organisationen behinderter Menschen an die Bundespolitik stellt. Über das Auf und Ab dieser Pläne haben wir im horus wiederholt und ausführlich berichtet (siehe zuletzt horus, Ausgabe 2/2015).
Immer noch warten wir gespannt auf einen Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Auch wenn es immer mehr den Anschein hat, als ob sich ein flächendeckendes Teilhabegeld wohl nicht mehr wird realisieren lassen, so wollen wir den Kampf für ein gutes Teilhabegesetz und für ein bundeseinheitliches Blinden- und Sehbehindertengeld nicht aufgeben. Zu viele weitere wichtige Punkte stehen immer noch auf der Agenda, so die Forderung nach einer unabhängigen Beratung und dringend notwendige Veränderungen bei den Einkommens- und Vermögensgrenzen, um nur einige Punkte zu nennen. Nach Abschluss einer intensiven Arbeitsgruppenphase im April dieses Jahres fanden nun im Juli und September zwei weitere Konsultationen mit Vertretern aus Behindertenverbänden und anderen an der Reform interessierten Organisationen statt, sprachlich völlig misslungen mit "Expertenfachgesprächen" betitelt. Allerdings hat sich das Ministerium dabei nicht sehr tief in die Karten schauen lassen.
Nachdem der ursprüngliche Gesetzesfahrplan so aussah, dass es noch 2015 einen Entwurf geben werde, der dann 2016 durch das parlamentarische Verfahren gehen sollte, um das Gesetz am 1. Januar 2017 in Kraft treten zu lassen, scheint das derzeit nicht mehr ganz zu gelten. Nunmehr soll es wohl erst im März 2016 einen Kabinettsentwurf - vielleicht vorher noch einen Referentenentwurf - geben. Bei diesem Zeitplan kommt bei mir erhebliche Skepsis auf, ob wir wirklich ein Teilhabegesetz bekommen werden, das diesen Namen verdient. Denn es ist allgemein bekannt, dass die politischen und öffentlichen Widerstände gegen ein solches Vorhaben wachsen, je mehr Zeit zur Umsetzung benötigt wird. Die Handlungsmotivation schrumpft ebenfalls im Zeitverlauf, wenn sich der Elan und die Disziplin der Koalitionspartner verringert. Gleichwohl werden wir uns mit allen Mitteln weiter für die Verabschiedung eines solchen Gesetzes stark machen und intensive Lobbyarbeit bei Bundestagsabgeordneten und den Ländern, die dem Gesetz im Bundesrat zustimmen müssen, betreiben, weil wir sonst möglicherweise eine einmalige Chance verpassen.
horus-Zeitreisen
horus-Zeitreisen
In den horus-Zeitreisen verweilen wir heute noch einmal in der Zeit des Nationalsozialismus. Die schnelle Bereitwilligkeit, mit der der damalige Verein der blinden Akademiker Deutschlands (VbAD) sich etwa bei der Frage der Zwangssterilisation der Ideologie vom Kampf gegen erbkranken Nachwuchs unterwarf, ist schon erschütternd (vgl. Beiträge zum Blindenbildungswesen, H. 12/1933, S. 560-563 [Punktschrift] = H. 4/1933, S. 122-124 [Schwarzschrift]). Und auch der Jubel, mit dem zu Anfang des zweiten Weltkriegs militärische Erfolge des Dritten Reichs in der Zeitschrift gefeiert wurden, macht heutige Leserinnen und Leser betroffen (vgl. Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1940, H. 1, S.
1-2 und 1941, H. 1, S. 1-3 jeweils nur in Punktschrift) und lässt immer wieder die Frage auftauchen: War das wirklich in dieser Form und Breite notwendig, oder steckte dahinter bei dem 1940 zum Honorarprofessor ernannten Carl Strehl nicht doch mehr Überzeugung, als er später wahrhaben wollte?
Stellungnahme des VbAD zum Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
Die blinden Geistesarbeiter haben die bevölkerungspolitische Entwicklung in den letzten Monaten und die Maßnahmen zur Verhütung erbkranken Nachwuchses im mündlichen und schriftlichen Aufklärungsdienst der NSDAP mit größter Anteilnahme verfolgt. Uns muß und kann nur daran gelegen sein, den Erbblinden nach und nach verschwinden zu sehen. Er belastet nicht nur das deutsche Volk im allgemeinen, sondern vornehmlich die Blindenschaft selbst. Wir müssen uns darüber klar sein, daß die wenigen Blindgeborenen, die später in die Blindenschule eintreten, zu einem nicht geringen Prozentsatz nicht nur erbblind, sondern auch sonstwie geistig oder körperlich behindert sind. Tatsache ist aber, daß die Blinden, insbesondere die blinden Geistesarbeiter, und zwar auch die Erbkranken unter ihnen, wohl körperlich schwer behindert, geistig-seelisch aber oft nicht nur voll-, sondern hochwertig sind. In dem allgemeinen Aufklärungsdienst kommt dies nicht immer klar zum Ausdruck, so daß schlechthin in der Volksmeinung die Annahme entsteht, Blindheit sei identisch mit Schwachsinn. Wer den Blinden nicht kennt, sondern nur seine gelegentliche äußere Unbeholfenheit sieht, kann in dieser Annahme leicht bestärkt werden. Uns muß es aber darum zu tun sein, eine differenzierte Aufklärung bei den maßgebenden Stellen zu erwirken. Wir stehen hinter den Maßnahmen der Regierung zur Verhütung erbkranken Nachwuchses; wir möchten aber eine unzulängliche Aufklärung und die Einführung unbilliger Härten für geistig gesunde und hochwertige Blinde abwenden. Aus diesem Grunde schlage ich die nachstehende Entschließung an die Reichs- und Staatsministerien vor, die mir zugleich die Möglichkeit gibt, dann für die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Belange aller blinden Geistesarbeiter mit Nachdruck einzutreten.
Es ist weiter irrig, wenn man schlechthin annimmt, der Blinde - und es sind 33.912 im Deutschen Reiche ohne das Saargebiet nach der Reichsgebrechlichenzählung von 1925/26 - koste den Staat jährlich 1000 RM. Nur etwa 20 % stehen in Beschulung und Berufsausbildung, für die dieser Aufwand erforderlich wird. Der Rest ist berufstätig oder altersblind. Soweit er seinen Lebensunterhalt nicht selbst verdient, steht ihm, wenn er nicht eine Pension oder eine Rente bezieht, lediglich die gehobene Fürsorge wie den Kleinrentnern oder den Sozialrentnern zur Verfügung. Hier ist die Belastung für den blinden nicht höher als für den sehenden arbeitslosen Volksgenossen. Wir wollen diese Tatsache den behördlichen Stellen wieder und immer wieder vorstellen und sie bitten, uns nun, da unsere erbblinden Schicksalsgefährten gewillt sind, das Opfer der Sterilisierung in innerer Freiheit zu bringen, durch Beschulung, Ausbildung und Berufsförderung in die Lage zu setzen, unsere seelisch-geistigen Kräfte dem Vaterlande und so der deutschen Volksgemeinschaft zur Verfügung zu stellen.
Marburg, den 23. Dezember 1933
An das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda z. H. Herrn Dr. Thomalla
Berlin W 8, Wilhelmplatz 8-9
Nachstehend erlaube ich mir, im Namen des Vereins der blinden Akademiker Deutschlands e. V., der Interessenvertretung der blinden Geistesarbeiter, eine Entschließung zu unterbreiten, die sich auf das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli ds. Js. und seine Auswirkungen auf die erbblinden Volksgenossen bezieht.
Entschließung
Vorstand und Arbeitsausschuß des Vereins der blinden Akademiker Deutschlands E. V. stellen sich hinter die Maßnahmen der Reichsregierung zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933. Sie empfehlen den erbkranken blinden Geistesarbeitern, dieses Opfer in innerer Freiheit zu bringen, nach Anhören einer Autorität den Antrag auf Unfruchtbarmachung selbst zu stellen und nicht zu warten, bis er von einem beamteten Arzt oder einem Anstaltsleiter gestellt wird. Sie betonen dabei die Schwere des Opfers, das die Sterilisierung für einen seelisch-geistig vollwertigen Menschen bedeutet, erkennen aber seine Notwendigkeit um der Zukunft des deutschen Volkes willen rückhaltlos an. Als blinde Geistesarbeiter, die im Beruf stehen und daher wissen, welche äußeren Hemmungen und Schwierigkeiten die Blindheit für ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichstellung mit sich bringt, wollen sie durch diese Mahnung ihre erbuntüchtigen Schicksalsgefährten davor bewahren, die schwere Verantwortung auf sich zu nehmen, daß Kinder und Kindeskinder von einem gleichen oder ähnlichen Gebrechen befallen werden. Sie hoffen, daß durch diesen freiwilligen Verzicht auf Nachkommenschaft die Ausmerzung der erblichen Blindheit gelingt, und daß erhebliche Summen zur Beschulung, Ausbildung und Berufseingliederung blinder Geistesarbeiter der jetzigen und der kommenden Generation frei werden.
Die Blinden, die in früheren Jahrzehnten Gegenstand des Mitleids und der hilfsbereiten Pflege waren, werden durch die einseitige eugenische Propaganda Unberufener zu "Minderwertigen" gestempelt. Dadurch entsteht in der öffentlichen Meinung eine gewisse Abneigung gegen sie, vielleicht sogar Verachtung. Diese Umwertung empfinden die betroffenen blinden Volksgenossen umso schmerzlicher, als sie an ihrem Geschick, selbst wenn sie erbkrank sind, keine Schuld tragen und ohnehin unter einer schweren schicksalsmäßigen Belastung stehen.
Durch die Art, wie in der Volksaufklärung die Erbblinden oft mit den Schwachsinnigen und Geisteskranken in einem Atemzuge genannt und ganz allgemein und grundsätzlich als wertloser Ballast für die Volksgemeinschaft hingestellt werden, ohne daß irgendwie auf die besondere Lage der Blinden hingewiesen wird, wird ihre soziale Bewertung ganz allgemein, also auch der Erbgesunden unter ihnen, ungeheuer beeinträchtigt. Durch solche Ausführungen entsteht im Volk die Auffassung, die Blinden seien schlechthin minderwertig und geistig nicht wesentlich von den Schwachsinnigen und Geisteskranken verschieden. Diese Gefahr ist darum so groß, weil derartige Gedanken bei Menschen, die die Blinden nicht näher kennen, ohnehin durch deren äußere Hilflosigkeit nahegelegt werden. Aus diesem Grunde haben Blindenfürsorge und -selbsthilfe in den letzten Generationen einen unermüdlichen Kampf gegen das unberechtigte Mißtrauen zugunsten der seelisch-geistigen Vollwertigkeit und der Vollwertigkeit der Arbeitsleistungen der Blinden gekämpft. Es ist zu befürchten, daß die Früchte dieses Kampfes durch die dauernde Gleichstellung der Blinden mit den geistig Gebrechlichen verloren gehen. Es ist vollständig irrig, in jedem blinden Volksgenossen einen Erbuntüchtigen und dann in diesem blinden Erbkranken, der unter das Gesetz fällt, schlechthin einen Minderwertigen zu sehen. Geschieht dies, so werden der Allgemeinheit auf die Dauer weit größere finanzielle Lasten aufgebürdet. Sie würden keine werteschaffenden Volksgenossen werden, sondern arbeitsunfähige und hilflose Unterstützungsempfänger bleiben. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß es zu allen Zeiten und an allen Orten Blinde gegeben hat, die als Dichter, Komponisten und Gelehrte die abendländische Kultur stark beeinflußt haben, und deren Werke zu den anerkannt größten Leistungen gerechnet werden können.
Der in der Volksaufklärung errechnete Kostensatz von 5-9 RM täglich für die geistig und körperlich Minderwertigen trifft bei den Blinden allgemein kaum zu. Er gilt ohne jede Einschränkung für diejenigen Geisteskranken unter den Blinden, die Zeit ihres Lebens in einer Anstalt untergebracht sind, aber nicht für die Normalen unter ihnen. Zwar sind die Ausbildungskosten für Blinde zweifellos höher als für die Sehenden. Irrtümlich wird jedoch behauptet, die Blinden belasten den Staat jährlich mit 1200-1800 RM pro Kopf. Das trifft nur jeweilig zu bei denjenigen, die auf Grund der Blinden-Sonderbeschulungsgesetze in den Landes- und Provinzialblindenanstalten beschult und ausgebildet werden. Von den 33192 Blinden im Deutschen Reich (ohne Saargebiet, nach der Reichsgebrechlichenzählung von 1925/26) entfallen 30-40 % auf die Altersblinden (vom 51. Lebensjahre ab), die dann ein Leben voller Arbeit und Nutzen hinter sich und Anspruch auf einen ruhigen Feierabend haben. Etwa 3400 = 10 % stehen in Schul- und Berufsausbildung. Ein niedriger Prozentsatz von diesen ist als erbuntüchtig anzusprechen; aber selbst diese Erbkranken sind oft nicht nur seelisch-geistig, sondern auch wirtschaftlich vollwertig. Es ist daher nicht angängig, sie als minder- oder gar unterwertig zu bezeichnen und ihnen durch irrige psychologische Beeinflussung weiter Volkskreise die schulische und berufliche Ausbildung und Unterbringung zu erschweren, nur weil sie körperlich behindert und erbuntüchtig sind.
Im Interesse des Staates liegt es, daß man die seit 150 Jahren durchgeführte schulische und berufliche Ertüchtigung Jugendblinder ihrer größeren Kosten wegen nicht vernachlässigt. Nach einer guten beruflichen Ausbildung treten sie in das Erwerbsleben und verdienen sich zum größten Teil ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise. Soweit sie arbeitsuntüchtig und arbeitslos sind, erhalten sie nur die Unterstützungsrichtsätze der gehobenen Fürsorge. Wir würden dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zu aufrichtigem Danke verpflichtet sein, wenn eine Aufklärung in diesem Sinne eine falsche Bewertung der blinden Volksgenossen verbieten würde. Die Aufklärung sollte ihnen Verständnis und Mitgefühl entgegenbringen, damit sie ihr unverschuldetes Gebrechen nicht als ein zu hartes Schicksal empfinden, ihre Lebensinteressen hingegen gewahrt bleiben und auf ihre menschliche Würde und die wahre Sachlage mehr Rücksicht genommen wird als bisher.
Mit Hitler-Heil! gez. Dr. Strehl.
Nachdem wir im September das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 in Blindendruck herausgebracht haben, liegt jetzt auch die zugehörige Ausführungsverordnung vom 5. Dezember 1933 in unserem Verlag in Blindendruck vor. Da, wie wohl allgemein bekannt, das Gesetz auch die Erbblinden erfaßt, ist es für jeden erforderlich, sich sowohl mit dem Gesetz als auch mit der Ausführungsverordnung vertraut zu machen.
Anmerkung: Der Teil vor der "Entschließung" erschien nur in Punktschrift, die ersten beiden Absätze der "Entschließung" sind in beiden Ausgaben identisch, wurden jedoch aus der Schwarzschrift übernommen, da der Rest der "Entschließung" nur dort erschien; die Nachbemerkung erschien wiederum nur in Punktschrift.
An die Mitglieder des VbAD und die Leser der „Beiträge“
Wieder liegt ein Jahr voller Arbeit und Erfolge hinter uns. Wäre uns Ende August nicht durch das perfide Albion der Krieg aufgezwungen, und wären wir dadurch nicht zu einer wirtschaftlichen Umstellung veranlaßt worden, würde das Problem der Arbeitsvermittlung blinder Geistesarbeiter zweifellos mit Unterstützung des Schwerbeschädigtengesetzes einer fast völligen Lösung zugeführt worden sein. Wenn in den letzten Monaten in der Arbeitsvermittlung Blinder eine gewisse Stagnierung eintreten mußte, so liegt das lediglich an der Umstellung der Friedens- auf die Kriegs- und Verteidigungswirtschaft. Sobald diese Umstellung vollzogen ist, wird auch der Nichtvollarbeitsfähige, aber Einsatzbereite wieder aufnahmebereite Stellen finden. Schon jetzt werden Juristen, Nationalökonomen, Philologen und andere Kategorien von Geistesarbeitern überall gesucht, um in den hinzugekommenen Gebieten zur Aufbauarbeit verwendet zu werden. Dadurch zeigt sich im Altreich eine immer stärker werdende Verknappung an Arbeitskräften, und hier könnte der blinde Geistesarbeiter sicher mit Erfolg eingesetzt werden.
Neben seinem Einsatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt obliegt ihm eine besondere Pflicht als Daheimgebliebener. Während unsere gesunden Volksgenossen in der Luft, zu Wasser und zu Lande kämpfen oder den Feind vom eigenen Vaterlande fernhalten, also in vorderster Front vor dem Feinde stehen, fällt uns die Aufgabe zu, die innere Einigkeit und den Willen zum Durchhalten unter den in der Heimat Zurückgebliebenen zu stärken. Hier kann jeder nach bestem Können dazu beitragen, den Siegeswillen des deutschen Volkes aufrecht zu erhalten und so dem Feinde ein unüberwindliches "Dennoch" entgegenzustellen. Denjenigen, die vor dem Feinde ihr Augenlicht verloren, stehen nicht nur jeder Einzelne, sondern unsere gesamte Organisation und deren Einrichtungen voll und ganz zur Verfügung. Wir wollen nicht, daß die Kriegsblinden von 1939/40, die das höchste Gut, das der Mensch besitzt, ihrem Vaterlande und ihrem Führer geopfert haben, unnötige Irrwege gehen, bis sie zum erstrebten Ziele kommen. Unter den blinden Geistesarbeitern gibt es heute genügend Vorbilder, und so sollen die erblindeten Kameraden dieses neuen Krieges in uns ihre Wegbereiter und treuen Helfer finden, ganz gleich aus welcher Tätigkeit sie kommen, und welchem Beruf sie zustreben. Die hohen sittlichen Werte, die in der Arbeit und dem Wiedereinsatz auch hinter der Front liegen, sollen ihnen, nachdem sie in den Lazaretten von ihren schweren Verwundungen geheilt sind, den inneren Lebensmut und die Kraft geben, für sich und die Ihren weiter zu leben und zu streben, auf daß auch sie trotz der Schwere ihres Frontschicksals Soldaten der inneren Heimat bleiben.
So rufe ich denn allen zum Beginn des Jahres 1940, des Jahres der großen Entscheidungen zu: Bleibt stark und helft unserem Führer, diesen ihm und seinem Volke aufgezwungenen Kampf siegreich durchzuführen, damit unsere Kinder und Kindeskinder sich dereinst eines dauernden Friedens erfreuen und die Aufgaben erfüllen können, die uns als Ideal vorschwebten. Str.
Zum Jahreswechsel
An die Mitglieder des VbAD, sowie an die Leser der "Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen"
Liebe Freunde!
Das vergangene Jahr 1940 hat dem deutschen Volke die Erfüllung eines jahrhundertelangen Sehnens gebracht. Ein Werk, das Bismarck begann, aber noch nicht durchführen konnte, ist durch den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler Wirklichkeit geworden. Wir sind ein einig Volk von Brüdern im großdeutschen Raum, und nichts in der Welt kann diese Einigkeit erschüttern. Jetzt heißt es durchhalten, bis unser Urfeind England niedergezwungen ist, die Neuordnung in Europa durch die Achsenmächte und die ihnen angeschlossenen Staaten Platz greifen kann und den autoritären Staaten die Kolonialgebiete sich wiedereröffnen, die sie zur Erweiterung ihres Lebensraumes so dringend benötigen.
Im Laufe weniger Jahre hat sich eine geschichtliche Wendung vollzogen, die zwar seit November 1923 vorbereitet wurde, aber erst im September 1939 zur vollen Auswirkung kam, als das deutsche Volk sah, daß England, Frankreich und Polen den politischen und diplomatischen Bemühungen des Führers eine engstirnige Ablehnung entgegensetzten. Ein einziger Wille beherrscht das deutsche Volk: uns den Lebensraum zu erkämpfen, der uns von jüdisch-kapitalistisch-plutokratischen Völkern vorenthalten wird. Draußen an der Front haben die deutsche Luftwaffe, das Heer und die Flotte kühne Taten vollbracht, die mit ehernen Lettern in das Buch der Geschichte eingegangen sind. Drinnen steht die Heimatfront auf ihrem Posten, und in ihr stehen auch wir, die blinden Geistesarbeiter. Keiner darf glauben, daß er überflüssig oder nicht notwendig sei: es kommt auf jeden an. Denn nur die zusammengeballte Arbeitskraft eines 85-Millionen-Volkes kann das vollbringen, was jahrhundertelang niemandem gelang: die Vorherrschaft Englands in der Welt zu brechen.
Früher ging das Streben der deutschen Blinden nach gleichberechtigter Stellung mit denen, die sich durch den Dienst am Vaterlande eine öffentlich-rechtliche Versorgung erkämpft hatten. Die materielle Grundlage schien ihnen oft das Primäre, die Arbeit selbst dagegen das Sekundäre zu sein. Ich erinnere in diesem Zusammenhange an den Blindenwohlfahrtskongreß zu Königsberg 1927 und seine Beschlüsse. Wer hätte damals geglaubt, daß die Arbeitslosigkeit des deutschen Volkes vollkommen beseitigt und auch der blinde Volksgenosse mit in den Arbeitsprozeß eingeschaltet würde in einem Maße, wie es heute der Fall ist. Nicht nur, daß sich durch den Geist der nationalsozialistischen Erhebung und Durchsetzung unseres Volkes die höhere Auffassung vom Werte des Menschen und seiner Arbeitsleistung durchgesetzt hat, sondern es haben sich Arbeitsmöglichkeiten ergeben, die noch vor 15 Jahren vielen führenden Köpfen auf dem Gebiete des Blindenwesens utopistischer Boden schienen. Eine solche Wandlung der Zeit und des Geschehens verpflichtet uns. Wir blinden Geistesarbeiter müssen unsere ganze psychische und physische Kraft einsetzen, um dem Vaterlande zu dienen. Wenn auch der eine oder andere nicht immer auf Verständnis, oft sogar auf Vorurteile stößt und angeblich scheitert, darf er nicht verzagen und sich geschlagen geben. Auch manchem normalsinnigen Volksgenossen haben sich in einem besonderen Beruf fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegengestellt, und erst die Wahl einer anderen Tätigkeit half ihm, die inneren und äußeren Widerstände zu überwinden. Nicht jeder Beruf ist für den blinden Geistesarbeiter geeignet; aber die Berufe, in denen er sich bewährt hat, müssen ihm vorbehalten bleiben, damit er der Gemeinschaft dienen und in die Kette der werteschaffenden Volksgenossen eingegliedert werden kann. Kampf führt zum Sieg. Wir dürfen nicht verzagen, wenn wir einmal einen Rück- oder Fehlschlag erleben. Wir müssen treu zu der Losung halten: Durchhalten und die innere Front der Heimat stützen. Das sind wir vornehmlich unseren kriegsblinden Kameraden schuldig. Waren die Kriegsblinden des Weltkrieges in geistigen Berufen zum Teil unsere Wegbereiter, so sind wir es heute den Einsatzerblindeten von 1939/40 gegenüber. Ein Teil von ihnen ging bereits durch die Betreuung und Umschulung der Blindenstudienanstalt, dieser zentralen Stätte der höheren Blindenbildung. Möge es uns gelingen, ihnen nicht nur den allgemeinen seelischen Ausgleich, sondern auch die Arbeitsfreudigkeit zurückzugeben, die sie brauchen, um nun, von einem dunklen Schatten umgeben, als Menschen des Dennoch ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und sich als Vorbilder deutscher Kraft die Stellung im Leben zu erringen, die ihren Anlagen und Neigungen entspricht. So gehen wir denn gemeinsam Schulter an Schulter mit dem festen Glauben an Führer und Wehrmacht in das neue Jahr. Möge es uns einen siegreichen Frieden und die Erfüllung unserer Wünsche und Hoffnungen bringen. Wir packen an und stehen als Kämpfer der Heimat mit zur Stärkung der inneren Front bereit.
Heil Hitler! Str.
Quellen:
Entschließung des Vereins der blinden Akademiker Deutschlands e. V., Marburg/Lahn, nebst Antwortschreiben des Reichsministers des Innern, Erschienen in: Beiträge zum Blindenbildungswesen, H. 1/1933, S. 2 (nur in Schwarzschrift)
Strehl, Dr. Carl: Stellungnahme des VbAD zum Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ; [Eingabe und Rückäußerung betr. das Gesetz vom 14.07.1933 ; Stellungnahme der blinden Geistesarbeiter zur Sterilisation] Beiträge zum Blindenbildungswesen, H. 12/1933, S. 560-563 (PS) / H. 4/1933, S. 122-124 (SS)
Strehl, Dr. Carl: An die Mitglieder des VbAD und die Leser der "Beiträge", Erschienen in: Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1940, H. 1, S.1 - 2 (nur in Punktschrift)
Strehl, Prof. Dr. Carl: Zum Jahreswechsel Erschienen in: Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1941, H. 1, S. 1 - 3 (nur in Punktschrift)
Strehl hat 1940 seinen Professor ehrenhalber (h. c.) bekommen und ihn zeit seines Lebens getragen, ohne dabei die Zeit zu reflektieren, in der er diesen Ehrentitel erhielt... Mehr über die "Reflexionen finsterer Zeiten" (nach Stern/Jonas, 1987) siehe "Die oberen Zehntausend", horus 5/2003.
Bücher
Aktualisierte Neuauflagen der Reihe „Kompass Recht“
Im Buchhandel sind ab diesem September drei Neuauflagen der bewährten Jura-Reihe "Kompass Recht" erhältlich. Sie liefern übersichtliche, gute Einführungen in ihr jeweiliges Thema, Prüfungstipps für Studierende und als Bonusmaterial Gerichtsentscheidungen, Fälle und Multiple-Choice-Tests zur Lernkontrolle. Das Besondere: Eine DAISY-Version ist jeweils im Preis inbegriffen. Sie wurde im Textservice des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. produziert. Die aktuellen Printversionen kommen nun ohne eingeheftete CD-ROMs aus, denn Bonus-Material und DAISY-Versionen sind über Download-Links abrufbar. Jeder Band der im Stuttgarter Kohlhammer-Verlag erscheinenden Reihe ist ungefähr 160 Seiten lang und kostet rund 23 Euro. Die aktualisierten Titel lauten:
- Patentrecht mit Arbeitnehmererfindungsrecht, Gebrauchsmusterrecht, Sortenschutzrecht und Patentmanagement. Von Prof. Dr. Michael Hassemer.
- Staatsrecht. Von Prof. Dr. Jörg-Dieter Oberrath.
- Strafrecht I: Grundlagen und Allgemeiner Teil. Von Dr. Peter Kasiske.
Weitere Informationen zur Reihe bietet der Verlag unter http://www.kohlhammer.de/wms/instances/KOB/appDE/Recht/Reihen/Kompass-Recht/Kompass-Recht/
Infos zur DAISY-Version gibt es beim Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, Telefon 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Bildbeschreibung: Dem Beitrag ist das Cover des neu erschienenen Bandes "Patentrecht" beigefügt. Foto: Kohlhammer
Hörtipps
Uwe Becker: Die Inklusionslüge: Behinderung im flexiblen Kapitalismus. Transcript Verlag, 2015. 207 Seiten.
Diese Streitschrift stellt vehement in Frage, dass Inklusion unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen gelingt. Denn viel zu häufig wird der Begriff von Politikerinnen und Politikern genutzt, um moralische Höhe zu beweisen, ohne die finanz- und ordnungspolitischen Verhaltensweisen zu ändern. Angesichts der Schließung von Förderschulen, der defizitären Personalausstattung an Regelschulen mit Inklusionsanspruch, der Abschaffung von Werkstätten für Menschen mit Behinderung oder dem Abbau stationärer Versorgung ließe sich sogar fragen, ob Inklusion als gute Idee verstanden wird, "die auch noch billig zu haben ist".
Neben der Verwendung des Begriffs "Inklusion" und seiner derzeitigen Umsetzung im Bildungsbereich hinterfragt der Autor und evangelische Theologe ein Wertesystem, das Menschen in diejenigen mit und ohne (Berufs-)Arbeit einteilt. Unter dem Stichwort "Inklusionsfreundlicher Arbeitsmarkt?" gibt er zu bedenken, dass Arbeit schon lange nicht mehr vor Armut schützt, dass Viele ihre Arbeitsfähigkeit aufgrund von Arbeit verlieren - z. B. durch Burnout - und dass derzeit mehr Langzeitarbeitslose ausgegrenzt werden als Menschen mit Behinderung Zugang zum Arbeitsmarkt finden.
Inklusion als pure "Teilhabe" an Bildung und Arbeit ist für Becker nicht genug - zielt sie doch nicht immer auf die konkrete Zustimmung und Einwilligung Betroffener ab. Daher weitet er seine Gesellschaftskritik auf den öffentlichen Raum, die Faktoren Mobilität und Wohnraum aus, ganz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Und trifft auf ein weiteres sogenanntes Kostendiktat: "Wir stoßen hier im lokalen Raum auf Wunden, die die "große" Ökonomie schlägt. Sie ist in der Tat ein inklusiver Raum ohne Entrinnen."
Der für die Diakonie tätige Autor wendet sich nicht gegen die Idee der Inklusion an sich. Vielmehr legt er ihren provokanten Aspekt offen - Inklusion als einen Prozess, der das gesellschaftliche Gefüge und die zentrale ökonomische Funktionslogik der Gesellschaft ändern kann: "Empathie, Entschleunigung, Solidarität, Konkurrenzreduktion, Toleranz und eine Lebensführung ohne primär ökonomische Rationalität, das sind nur einige Aspekte einer inklusiveren Gesellschaft, die auch die Normen des gesellschaftlichen Lebens nicht ungeschoren lassen."
Beckers pointierte Argumente wecken Leselust und bieten ausreichend Zündstoff für weitere Diskussionen.
Die DAISY-Version ist zu den üblichen Bedingungen erhältlich beim DVBS-Textservice, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (Bestellnummer 17320, 11:06 Stunden lang, gelesen von Horst Müller-Marra, Sonderpreis € 55,50).
Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs, HPV-Impfung: Informationen und Erfahrungen. Eine Entscheidungshilfe. Aktualisierte Auflage, Januar 2012.
Ob und wie oft Frauen an der gynäkologischen Untersuchung zur Krebsfrüherkennung teilnehmen, liegt letztlich in ihrer eigenen Hand. Informationen darüber, wie die Untersuchung abläuft, welchen Nutzen oder welche Probleme die Früherkennung hat, erleichtern die Entscheidung. Auch Erfahrungsberichte anderer Frauen sind hilfreich. Wie entwickelt sich Gebärmutterhalskrebs? Was bedeutet ein auffälliger PAP-Befund? Wie verlässlich ist die Früherkennung? Und wovor schützt die HPV-Impfung konkret? Das Nationale Netzwerk Frauen und Gesundheit hat zusammen mit der BARMER GEK eine Info-Broschüre herausgegeben, in der diese und ähnliche Fragen beantwortet werden und persönliche Sichtweisen verschiedener Frauen einfließen.
Auch wenn Gebärmutterhalskrebs zu den seltenen Krebsarten gehört und durch die Früherkennung die Todesfallrate um die Hälfte gesunken ist - völlig verhindern lässt sich dieser Krebs nicht. Denn nicht jeder Krebs wird gefunden. Andererseits müssen 50 bis 80 Prozent der Frauen damit rechnen, dass sie irgendwann in ihrem Leben einen auffälligen PAP-Befund erhalten. Doch Zellveränderungen an der Oberfläche des Muttermundes sowie dem Gebärmutterhalskanal können, müssen aber nicht erste Warnzeichen sein. Mancher Befund normalisiert sich wieder. Bei anderen Befunden werden weitere Maßnahmen empfohlen, bei denen Frauen das Risiko von Übertherapie, Langzeitfolgen und Heilungschancen abwägen müssen. Mittel der Wahl sind z. B. die Entnahme einer Gewebeprobe, die Zerstörung der obersten Zellschichten, die Entfernung des verdächtigen Gewebes (Konisation) oder die Entfernung der Gebärmutter.
Wie Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser im Interview erklärt, ist "das Hauptproblem (…), dass man nicht unterscheiden kann, welche Zellveränderung der Frau gefährlich werden wird und welche nicht". Sie fordert eine bessere Qualitätssicherung der Vorsorge- und Behandlungsmaßnahmen. Außerdem gibt sie zu bedenken, dass bei der Früherkennung auch finanzielle Interessen vor allem der Frauenärzte und -ärztinnen eine Rolle spielen: "Dabei verliert man manchmal die Gesundheit der Frauen aus den Augen."
Apropos Finanzen und Gesundheitspolitik: Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen ab dem Alter von 20 Jahren eine jährliche Untersuchung. Für Frauen, die nach dem 1. April 1987 geboren sind, ist mittlerweile eine Beratung zum Früherkennungsprogramm durch Ärztinnen oder Ärzte Pflicht. Das Gespräch sollte zwischen dem 20. und 22. Lebensjahr stattfinden und von der gynäkologischen Praxis schriftlich bestätigt werden, denn wer darauf verzichtet, kann sich bei einer späteren Erkrankung eventuell nicht auf den ermäßigten Zuzahlungsbetrag für medizinische Leistungen, wie er für chronisch Kranke gilt, berufen. Der Deutsche Frauenrat hält diesen ökonomischen Druck für "wenig förderlich für eine freie Entscheidung" (FrauenRat 1/09).
Die Broschüre bietet Leserinnen und Lesern unabhängige Daten und Fakten, sie stellt neben vielen Vorteilen auch die Nachteile dar. Ihre Qualität zeigt sich nicht zuletzt an der Reaktion des Berufsverbands der Frauenärzte, der die kritischen Passagen zur HPV-Impfung durch eine positive Bewertung der Impfung ersetzt sehen wollte.
Die DAISY-CD ist 90 Minuten lang. Sie ist dank freundlicher Förderung der BARMER GEK kostenlos erhältlich. Kontakt: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon 06421 94888 22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Buchtipps aus der blista
Sabriye Tenberken: Die Traumwerkstatt von Kerala
Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2015 Bestellnummer: 4820, KR, 2 Bde, 43 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)
Die Blindenschule in Tibet wird heute von den Schülern der ersten Generation geleitet. Andere ehemalige Schüler betreiben einen integrativen Kindergarten, eine Massageklinik oder studieren. Sie sind denkbar schlecht ins Leben gestartet - doch sie haben ihre Träume realisiert. Diese Erfolge haben Sabriye Tenberken und Paul Kronenberg ermutigt, das kanthari-Institut im südindischen Kerala zu gründen - ein Campus für soziale Visionäre aus aller Welt, die selbst einer gesellschaftlichen Randgruppe angehören. Sabriye Tenberken berichtet in ihrem Buch von einer Reise zu erfolgreichen kanthari-Projekten in Afrika, zeichnet ihren eigenen Weg zur Unabhängigkeit nach und schildert die abenteuerlichen Anfänge und das Campusleben in Kerala. Und wir erfahren, was aus den blinden Kindern von Lhasa geworden ist.
Christof Kessler: Wahn
Eichborn, Frankfurt am Main, 2013 Bestellnummer: 4754, KR, 2 Bde, 43 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)
Er fühlt sich bedroht von der internationalen Mafia, denn er weiß zu viel über sie. Einer ihrer Anwälte hockt abends auf seinem Schrank. Manchmal ist ihm klar, dass das alles Einbildung ist. Aber es bedarf nur eines dummen Zufalls - und er bricht auf zum furiosen, völlig vergeblichen Rachefeldzug. Flirten ist ein tolles Spiel - wenn sich jeder an die Regeln hält. Was aber, wenn sie an der seltenen Krankheit leidet, Gesichter nicht wiedererkennen zu können. Und er die vermeintliche Zurückweisung nicht erträgt, als sie ihn später nicht erkennt? Und sich das nicht gefallen lassen will? Christof Kessler hat Schicksale aus seiner Praxis zu erschütternden, anrührenden und manchmal auch komischen Erzählungen verwoben, er präsentiert uns atemberaubende Miniaturdramen von existentieller Wucht.
E.T.A. Hoffmann: Die Elixiere des Teufels
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Durch einen teuflischen Trank ist der Kapuzinermönch Medardus einer übermächtigen Leidenschaft zu Aurelie verfallen. Obwohl diese dazu ausersehen ist, ihn zu erretten, stürzt ihn seine Liebe in vielfache Abenteuer und Schuld. Viele wesentliche romantische Kompositionselemente wie das Motiv des Doppelgängers, des Wahnsinns und zahlreiche blind waltende Zufälle sind zu einem meisterlichen, spannenden Roman voll tiefer psychologischer Kenntnis verschmolzen.
Frank Rosin: Neue deutsche Küche
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Heimische Gerichte neu entdeckt. Frank Rosin verrät außerdem persönliche Geheimnisse aus der Sterneküche und demonstriert zahlreiche Profitechniken. Anhand konkreter, regional geprägter Rezepte erklärt der mehrfach ausgezeichnete Koch, wann durch Pürieren, Rösten oder Marinieren das Aroma verstärkt wird, wie man durch Einkochen würzen kann, wo Säure den Geschmack hebt, wann sich Füllen, Panieren, Räuchern und Karamellisieren wirklich lohnt oder Kontraste wie süß / salzig oder weich / knusprig einem Gericht erst das gewisse Etwas geben.
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Welchen gesellschaftlichen Entwicklungen sehen sich die Menschen ausgeliefert, wo fühlen sie sich verlassen, bevormundet oder übergangen? Wie kann unser Ich der Angst standhalten und in welchen Ritualen und Diskursen kann es sich mit anderen über die gemeinsamen Ängste verständigen?
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Mit der schmucken Berliner Altbauwohnung erfüllt sich für Randolph Tiefenthaler ein Traum. Doch dann entpuppt sich der Nachbar Tiberius als bösartiger Stalker, der das Leben von Randolphs Familie vergiftet. In seiner Not wendet er sich an seinen Vater, einen unverbesserlichen Waffennarren.
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Das neue Buch von Sabriye Tenberken "Die Traumwerkstatt von Kerala" ist nicht nur als Punktschriftausgabe erhältlich, sondern auch als DAISY-Hörbuch in der DBH ausleihbar.
Bestellnummer: 779381, Laufzeit: 8 Std. 44 Min.
Ihre Bestellung richten Sie bitte an: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., Postfach 1160, 35001 Marburg, Tel.: 06421/6060, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
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Ausstellung in Bonn: „Japans Liebe zum Impressionismus von Monet bis Renoir“
In dieser Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, werden 100 Kunstwerke von französischen Impressionisten gezeigt, die von Japanern gesammelt wurden. In Zusammenarbeit mit dem Verein "Blinde und Kunst" wurden drei inklusive Module geschaffen, die Kunst für blinde und sehbehinderte Museumsbesucher zugänglich machen. Hörräume von Justus Herrmann umschreiben Bilder mit Worten und Klängen, Kunstwerke von Susanne Ristow dürfen berührt werden. Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Februar 2016 zu sehen. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.bundeskunsthalle.de
DBSV-Umfrage: Was wünschen sich blinde Menschen von Autofahrern?
Das Verhältnis zwischen Autofahrern und Menschen mit Seheinschränkung ist angespannt. Das zeigen die Antworten auf eine Umfrage unter blinden und sehbehinderten Menschen, die anlässlich des Internationalen Tages des weißen Stockes von der Initiative "Woche des Sehens" durchgeführt wurde: "Ich nehme viel Ungeduld und Aggressivität beim Autofahrer wahr." "Ein Blinder muss sich auf seine Ohren verlassen, aber das haben die nicht auf dem Radar." "Mir ist schon zwei Mal ein Rechtsabbieger über den Stock gefahren!" Die Probleme fangen bereits damit an, dass viele Autofahrer nicht wissen, woran sie blinde und sehbehinderte Menschen erkennen. Nur ein Teil der blinden Menschen trägt die bekannten gelben Armbinden mit den drei schwarzen Punkten, denn man kann sich auch kenntlich machen, indem man den weißen Stock benutzt oder mit einem Blindenführhund im Führgeschirr unterwegs ist. Sobald der Fahrer einen blinden oder sehbehinderten Menschen sieht, muss er sein gewohntes Verhalten anpassen. Beispielsweise hat es sich auf vollen Straßen eingebürgert, dass Autofahrer und Fußgänger den knappen Raum mit wenig Abstand nutzen. Wer aber beim Rechtsabbiegen kurz vor einem blinden Fußgänger "noch schnell durchschlüpft", kann diesem einen riesigen Schrecken einjagen. Bitte nicht auf dem Gehweg parken, bitte Fußgängerüberwege nicht blockieren, bitte nicht hupen … Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen. Die zehn am häufigsten genannten Wünsche blinder und sehbehinderter Menschen an die Autofahrer finden Sie unter www.woche-des-sehens.de/autofahrer
Bildbeschreibung: Das Foto im Beitrag zeigt einen blinden Mann, der mit seinem Führhund an einer Fußgängerampel in einer Stadt auf die Grünphase wartet. Im Vordergrund kommt von links ein Auto ins Bild gefahren. Foto: DBSV/A. Friese
Bewerbungstraining für Menschen mit Seheinschränkung
In einem zweitägigen Workshop "Mein Profil - ein ganz anderes Bewerbungstraining" des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Studienzentrum für Sehgeschädigte (SZS), lernen und üben die Teilnehmenden mit Seheinschränkung vom 8. bis 10. Januar 2016, wie sie sich optimal auf ein Einstellungsgespräch vorbereiten können. In verschiedenen praktischen Szenarien werden anhand von persönlichen Beispielen die Aussagen glaubhaft und nachvollziehbar belegt. Im Mittelpunkt stehen die eigenen Ressourcen, d.h. Fähigkeiten, Interessen und Vorlieben und wie sie mit dem Anforderungsprofil einer Stelle bzw. dem Bedarf an qualifiziertem Personal im Unternehmen übereinstimmen. Im Anschluss können diese Methoden selbständig genutzt und vertieft werden, um sich effektiv und authentisch auf anstehende Einstellungsgespräche vorzubereiten. Um das Seminar optimal auf die Teilnehmenden zuschneiden zu können, wird zwei Wochen vorher ein barrierefreies Vorarbeitspaket versendet. Das Seminar findet in Bad Herrenalb statt. Weitere Informationen können Sie per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! anfordern.
Anmeldeschluss ist der 2. Dezember 2015.
Audiodeskription: Standards verabschiedet
Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender im deutschen Sprachraum - ARD, ZDF, ORF und SRF - sowie die Deutsche Hörfilm gGmbH (DHG) Hörfilm e.V. und audioskript haben sich auf eine Reihe von Grundsätzen für die Erstellung von Audiodeskriptionen verständigt. Diese enthalten Standards, die erfüllt werden müssen, damit ein Film für blinde und sehbehinderte Menschen umfassend verständlich und erlebbar wird. Dazu gehören Hinweise zur sprachlichen Gestaltung, zur Auswahl der zu beschreibenden Elemente und deren Platzierung im Filmgeschehen. Die Festlegung von Mindestanforderungen war erforderlich geworden, nachdem die Zahl an Hörfilmen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist und neue Anbieter auf den Markt gekommen sind.
Barrierefreiheit und Mobilität
Weitere Stadtbibliotheken im Projekt „Hörbücherei vor Ort“
Vor eineinhalb Jahren startete die blista in Kooperation mit der Marburger Stadtbücherei das Projekt "Hörbücherei vor Ort". Ziel ist es, blinde und sehbehinderte Menschen in Hessen direkt vor Ort, in ihrer Stadtbibliothek, mit Literaturangeboten und ersten Informationen über die blista zu versorgen. "Wir stellen uns hier der Tatsache, dass viele ältere sehbehinderte oder erblindete Personen die blista über ihren Augenarzt oder Optiker oder sonstige Anlaufstellen nicht kennen lernen", sagt Rudi Ullrich, Leiter des Ressorts "Kommunikation und Teilhabe" und Initiator des Projekts. "Wir versuchen, die Kunden vor Ort zu erreichen und mit Informations- und Literaturangeboten zu versorgen und wir versuchen, eine Sensibilisierung zum Thema Blindheit und Sehbehinderung aktiv in die Gesellschaft hineinzutragen und somit ein inklusives Konzept anzubieten", so Ullrich weiter.
Bibliotheken, die bei "Hörbücherei vor Ort" mitmachen wollen, werden über das umfangreiche Bibliotheksangebot der blista informiert. Anschließend erhalten die Bibliotheksmitarbeiter eine Schulung, in der sie über Grundregeln im Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen, über Recherche und Ausleihmöglichkeiten sowie über das vorwiegend in Blindenbibliotheken benutzte Format DAISY, mit dessen Hilfe man in Hörbüchern von Kapitel zu Kapitel blättern kann, und die entsprechenden Player informiert werden. Damit die Bibliotheksmitarbeiter vor Ort ihren sehbehinderten und blinden Nutzern einen ersten Eindruck zum Format DAISY bieten und einen entsprechenden Player vorführen können, erhält jede Bibliothek einen DAISY-Player als Geschenk. In der Schulung wird unter anderem auch das blista-Beratungszentrum vorgestellt. Mit den Projektpartnern führt die blista auch besondere Aktionen wie Lesungen und Tage der offenen Tür durch, bei denen zum Teil auch das SEHmobil der blista zum Einsatz kommt.
Das Netzwerk wächst
Im Laufe der letzten Monate haben sich die Stadtbibliotheken Kassel und Kelkheim dem Projekt angeschlossen. "Weitere Partner sind herzlich willkommen", sagt Rudi Ullrich, durchaus mit dem Hintergedanken, dass auch die blista vom Know-how ihrer Partnerbibliotheken profitiert. "Die Erfahrungen im Bereich Kinder- und Jugendbuchliteratur und Veranstaltungsangebote zur Leseförderung sind für uns besonders interessant." Und das hessische Netzwerk wächst weiter. Anfang kommenden Jahres wird auch die Stadtbibliothek Frankfurt einsteigen. Die notwendigen Schulungen werden noch in diesem Jahr stattfinden.
Bei Interesse können sich weitere Bibliotheken per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! wenden.
Ein Blinder geht unter die Fledermäuse
Echoortung als zusätzliche Mobilitätshilfe
Es gibt einige Tiere wie Fledermäuse, Wale oder Delfine, die die Echoortung in faszinierender Art und Weise zu ihrer eigenen Orientierung benutzen. Wir Menschen können uns auch am Echo orientieren, haben dies aber meist nicht eingeübt. Daher liegt diese Fähigkeit unseres Hörsinnes normalerweise brach und ungenutzt. Für blinde Menschen stellt die Echoortung jedoch eine zusätzliche Möglichkeit zur Orientierung in der Umwelt dar.
Als ich von der Echoortung hörte, interessierte sie mich sehr. Ich merkte jedoch schnell, dass ich wohl nicht sehr weit kommen würde, wenn ich nur alleine damit experimentierte. Ich begann mich daher nach einem Trainer umzuhören. Im Unterschied zum Umgang mit dem Langstock gibt es noch keine etablierten Trainerangebote für die Echoortung. Ich bekam jedoch Kontakt zu Peter Hanke, einem Lehrer und Mobilitätstrainer bei der blista. Peter Hanke leitet dort eine Arbeitsgruppe zur Echoortung für blinde Schüler. Er selbst ist sehend und hat die Technik ursprünglich von Daniel Kish gelernt.
Peter Hanke war sehr interessiert daran, mir die Echoortung beizubringen. Er hatte bislang noch nie mit einem älteren Blinden gearbeitet. Meine Krankenkasse akzeptierte einen Antrag auf Finanzierung eines ergänzenden Mobilitätstrainings, in dem die Blindenstock-Technik verfeinert und durch Echoortung ergänzt werden sollte. Und so konnte Peter Hanke im Sommer 2014 an fünf Tagen nach Maintal kommen, um mit mir jeweils runde drei Stunden zu trainieren. Er führte mich in die Schnalztechnik und das Echohören ein. Da ich immer noch über ein minimales Restsehen verfüge, trug ich für unsere Übungen meist eine Augenbinde. Hanke hielt zum Beispiel Tabletts vor oder neben mich und ich sollte aufgrund des Echos meiner Klickgeräusche bestimmen, wo sich das Tablett befindet oder auch, ob er im Moment ein oder zwei Tabletts hinhielt. Wir übten die Klickgeräusche im Raum in verschiedene Richtungen und gegenüber geschlossenen oder geöffneten Türen. Oder wir versuchten, die kürzere und die längere Seite eines Raumes zu erkennen. Im Freien ging es erst einmal darum, herauszufinden, ob sich auf der gegenüberliegenden Seite ein Haus oder eine Lücke zwischen zwei Häusern befindet, ob wir an einem Hauseingang vorbeigingen oder uns in der Nähe oder unter einer Überdachung befanden. Wir hörten uns das Echo unterschiedlicher Garageneinfahrten, Mauern und Hecken an. An einem Tag gingen wir auch in eine bewaldete Gegend und wir versuchten aufgrund des Echos abzuschätzen, ob der Waldrand näher oder weiter entfernt sei oder ob der Weg auf beiden Seiten von Bäumen gesäumt werde.
Das Klickgeräusch, das ich mit meiner Zunge am Gaumen erzeuge, ermüdete meine Zunge zu Beginn manchmal schnell, und ich bekam oftmals auch einen unangenehm trockenen Mund, so dass wir pausieren mussten. Mit der Zeit gelang es mir jedoch, ein geeignetes Klick-Geräusch zu erzeugen, das laut genug war, um auch auf Distanz ein Echo zu erzeugen. Auch meine Fähigkeit, unterschiedliche Echos zu hören und zu interpretieren, begann sich zu entwickeln. So lernte ich, zumindest gröbere Strukturen in der Umgebung zu erkennen. Insgesamt kam ich jedoch nur langsam voran. Selbst größere Verkehrstafeln oder dickere Baumstämme kann ich noch immer nur schwer erkennen. Ich habe mir jedoch eine Grundfertigkeit angeeignet, die ich nun langsam weiter ausbaue. Meine Motivation, dies zu tun, steigt damit, dass mein Sehvermögen weiter abnimmt. Ich freue mich sehr über diese Erweiterung und Ergänzung meiner Sinneswahrnehmung, die dazu beiträgt, meine Mobilität zu erhalten.
Zum Autor
Dr. Meinrad Rohner ist 64 Jahre alt. Er lebt und arbeitet als Lehrer für Alexander-Technik und als Lebens- und Konflikt-Berater in Maintal.
Was ist Echoortung?
Je nach Umgebung werden Schallwellen von den Gegenständen reflektiert. Dies merken wir, wenn wir in einen Raum, zum Beispiel eine Kirche oder einen Raum ohne Teppiche und Vorhänge, eintreten, etwas sprechen und den Widerhall unserer Stimmen hören. Vielleicht erinnern wir uns auch daran, in den Bergen Spaß an einem Jauchzer oder Jodelton gehabt zu haben, der in vielfältiger Weise von den Berghängen zurückgeschallt ist. Meist achten wir jedoch nicht auf den Hall, den unsere Schritte oder unsere Stimmen in der Umgebung erzeugen. Wir sind jedoch durchaus fähig, unseren Hörsinn nachzuerziehen, so dass er sensibel für das Echo von Geräuschen wird und wir das Echo sogar für unsere Orientierung benutzen können.
Viele Blinde nutzen die passive Echoortung, ohne dass sie sie speziell trainiert hätten. Einige Blinde haben jedoch gelernt, aktive Echoortung systematisch einzusetzen und zu nutzen. Dabei geht es weniger um das Echo der Stockgeräusche, das in vielen Situationen bemerkbar, jedoch nicht besonders gezielt einsetzbar ist. Eine sehr viel gezieltere Auswertung ist möglich, wenn geeignete Schnalzgeräusche mit der Zunge im Mund erzeugt werden, die dann ungefähr auf Höhe der Ohren von Gegenständen zurückschallen. Dieses Echo kann für die Orientierung im Raum und manchmal auch zur Identifikation von Gegenständen genutzt werden.
Berichte und Schilderungen
Ein früher Globalisierer
Zum Tode von Prof. Heinrich Scholler
Am 31. August dieses Jahres ist Prof. Dr. Heinrich Scholler, Ehrenmitglied des DVBS-Vorstandes und früherer erster Vorsitzender unseres Vereins, im Alter von 86 Jahren verstorben. Das deutsche wie das internationale Blindenwesen hat damit einen herausragenden Repräsentanten der Idee einer akademischen Bildung für blinde und sehbehinderte Menschen verloren. Auch er selbst verkörperte diese Idee mit seiner geradezu überbordenden Allgemeinbildung. So absolvierte Scholler, der 15-jährig durch einen Unfall im väterlichen Chemiebetrieb erblindet war, sein Abitur an der blista 1948 nicht nur mit den drei Pflichtfremdsprachen Englisch, Französisch und Latein, sondern erwarb darüber hinaus auch noch das Graecum und das Hebraicum am Gymnasium Philippinum in Marburg, alles in Vorbereitung auf sein Studium der Theologie und Orientalistik, das er anschließend in München aufnahm, aber dann nach fünf Semestern abbrach, um Jura und Politikwissenschaften (jeweils mit Abschluss) zu studieren.
Scholler machte eine glänzende berufliche Karriere. Nach einer Tätigkeit am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde er Hochschullehrer an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er hatte dort schließlich den Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Rechts- und Staatsphilosophie inne. Hierzu veröffentlichte er auch mehrere Lehrbücher. Ganz besonders interessierte sich Heinrich Scholler aber für afrikanische und asiatische Staatenbildung und Rechtsprobleme der Dritten Welt, mit denen er ab 1972 durch seinen Forschungsaufenthalt in Äthiopien unmittelbar in Berührung kam, die ihn aber auch später in seiner wissenschaftlichen Arbeit nicht mehr losließen. So verfasste er beispielsweise einen Kommentar zur mongolischen Verwaltungsgerichtsordnung und trug damit und durch zahlreiche Fortbildungen von mongolischen Richtern wesentlich dazu bei, die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land weiterzuentwickeln, wie es in einer Publikation der Hans-Seidel-Stiftung anlässlich der Verleihung des höchsten Staatsordens der Mongolei an Scholler heißt. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Heinrich Scholler einer der frühen global denkenden deutschen Juristen war, der seine Kenntnisse in den Staaten der Dritten Welt auch in die Praxis umsetzte. Dieses Interesse für Entwicklungsländer übertrug Heinrich Scholler ebenso auf seine umfangreiche Tätigkeit im Blindenwesen. So war er auf vielen internationalen Konferenzen für uns präsent und berichtete darüber regelmäßig im horus, auch das ein untrügliches Zeichen für seine globale Orientierung.
Heinrich Scholler trat dem damaligen VbGD (Verein der blinden Geistesarbeiter Deutschlands) 1950 bei und war auch bis zu seinem Tode Mitglied im Verein der Deutschen Blindenstudienanstalt. Von 1968 bis 1979 war er erster Vorsitzender des VbGD in einer stürmischen Übergangszeit, in der neue Ansätze auch im Blindenwesen Fuß fassten. Seine unglaubliche Energie und sein Ideenreichtum waren ansteckend, auch wenn sich nicht immer alle seine Vorstellungen realisieren ließen. Scholler hat dem Verein nach meiner Wahrnehmung eine offenere Diskussionskultur beschert, obwohl er nicht immer die Meinung der "jungen Wilden" teilte. Er war es auch, der unserer Vereinszeitschrift ihren heutigen Namen gab. Dazu schrieb er in Ausgabe 1/1970: "Wir glaubten, ... ein Symbol für unseren Verein gefunden zu haben, das das ausdrücken soll, was uns bewegt: das Sehen mit der geistigen Kraft, das Verbinden von Sonne und Licht im geistigen Schaffen." Wenngleich Heinrich Scholler in seinen letzten Lebensjahren auf der DVBS-Bühne keine Hauptrolle mehr spielte, so war er doch noch lange Zeit für uns präsent und wird das auch in Zukunft bleiben, wenn es gilt, sehbehinderten und blinden Menschen angemessene Berufschancen zu erstreiten und zu erhalten sowie Verantwortung für sie in der Dritten Welt zu übernehmen.
Bildbeschreibung: Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt den verstorbenen Heinrich Scholler während einer DVBS-Veranstaltung im Jahr 2007. Er hat die weißen Haare aus der Stirn gekämmt und trägt eine Spezialbrille mit einem dunklen und einem hellen Glas. Zum schwarzen Sakko trägt er ein weißes Hemd und einen gemusterten Schal. Foto: DVBS Archiv
Jetzt sind wir alle Entwicklungsländer
Die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung ist angenommen
"Das ist ein historischer Moment und wir sind wirklich dabei", freut sich Iris und packt ihre Kamera weg. Zweiter Balkon des UN-Versammlungssaals. Unten spricht der Papst, recht leise und spanisch. Einen Übersetzungsknopf konnten wir noch nicht ergattern. Ich werde die Rede später nachlesen. Nach einer Viertelstunde raunt mir Elizabeth, Kollegin aus New York, zu, "er spricht über behinderte Menschen."
Das werden noch einige Politiker tun in den nächsten Tagen. Aus gutem Grund, denn Inklusion zieht sich wie ein roter Faden durch den 48-seitigen Text. Der einleitenden Deklaration verdanken nicht nur die Interessenvertreter Behinderter das Agenda-Selbstverständnis, niemanden in der globalen Entwicklung zurücklassen zu wollen. Die Deklaration spricht sich gegen Diskriminierung von Minderheiten aus und macht internationale Menschenrechtsverträge zur Grundlage der Agenda. Vor allem aber zählt sie auf, wer zu den "Menschen in vulnerablen Situationen" gehört. Und auch wenn es Selbsthilfevertretern bei Begriffen wie "verwundbar" oder "verletzlich" die Fußnägel aufrollt, Menschen mit Behinderungen sind dabei, weil "über 80 Prozent von ihnen in Armut leben", wie es im Text heißt.
Das ist insofern gut, als dadurch in acht der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele Menschen mit Behinderungen ausdrücklich oder zumindest indirekt mitgedacht werden. Bei der Armuts- und Hungerbekämpfung, in der Bildung, der Sanitärversorgung, bei der Beschäftigung, der Verringerung von Ungleichheit, der öffentlichen Infrastruktur und bei den Umsetzungsmitteln der Agenda. Letztere werden in einem dritten Teil noch präzisiert und in einem vierten folgen Aussagen zum "wie" der Umsetzung. Partizipativ soll sie u.a. ablaufen und stünde ich nicht am Balkon, ich würde mich recht zufrieden zurücklehnen.
Shakira singt John Lennons "Imagine" und Angélique Kidjo bringt mit einem afrikanischen Popsong Stimmung in die Bude. Die 18-jährige pakistanische Nobelpreisträgerin Malala hält den versammelten Staatenlenkern vom 1. Stock des Saals aus in einfachen Worten eine Standpauke. Ein gewaltig emotionaler Moment. Da unten, leicht links versetzt, sitzen Kanzlerin Merkel, Entwicklungsminister Müller und Umweltministerin Hendricks, hinter ihnen drei Zuarbeiter. Und dann ist es so weit. Freitag, der 25. September 2015, 11:45 Uhr, die Agenda ist verabschiedet - minutenlanger Applaus.
Dass wir behinderte Menschen bei den Zielen zu Gesundheit und Geschlechtergerechtigkeit nicht erwähnt finden, denke ich in diesem Moment nicht. Ich höre die Reden und schaue im doppelten Sinne des Wortes nach vorn, während ich gleichzeitig zurückdenke. An hektische Tage der Analyse neuer Entwürfe, des Formulierens von Stellungnahmen, an zahllose Gespräche mit Politikern und Bürokraten und schließlich an das Angebot, als Mitglied der deutschen Delegation am Gipfel teilnehmen zu können. Den Rest des Wochenendes verbringen Iris Menn und ich auf "Side Events", beim Netzwerken, im Deutschen Haus. Wir hören mit Kollegen Barack Obamas Rede und sind beeindruckt. Jetzt braucht es positive Energie, um die Agenda-Umsetzung in Gang zu bekommen. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon weiß das und deshalb ist der Gipfel nicht nur Politik, sondern auch emotionale Show. Dass die 2030-Agenda nachhaltige Entwicklung in allen Ländern der Erde und eben nicht nur in den ärmsten will, fasst er in fünf simplen Worten zusammen: "Jetzt sind wir alle Entwicklungsländer."
Zum Autor
Michael Herbst ist bei der Christoffel-Blindenmission im Bereich "Projekte und internationale Kooperationen" tätig und hat die Teamleitung "anwaltschaftliche Arbeit" inne. Der ehemalige DVBS-Geschäftsführer berichtet in diesem Beitrag von der UN-Vollversammlung in New York, die er im September 2015 besucht hat.
Bildbeschreibung: Das Foto zeigt Michael Herbst während der UN-Versammlung. Er steht auf einem der oberen Zuhörerränge und hat den Rücken dem Rednerpult zugewandt. Er trägt einen dunkelgrauen Anzug mit orangefarbenem Hemd und Krawatte im selben Farbton. Im Hintergrund sieht man das Logo der UN groß auf der Holzwand des Saals. Rechts und links davon wird auf zwei Leinwänden Papst Franziskus während seiner Rede gezeigt. Foto: Dr. I. Menn
Studium der Psychologie, Marburg
Den Wunsch, Psychologie zu studieren, habe ich bereits in der elften Klasse der Oberstufe entwickelt. Mich faszinierten schon lange die Unterschiedlichkeit zwischen den Menschen sowie die Gründe für diese Unterschiede. Als ich eine Zusage für einen Studienplatz an der Philipps-Universität in Marburg erhielt, ging für mich ein Traum in Erfüllung, der vielen aufgrund der großen Nachfrage für diesen Studiengang verwehrt bleibt. In diesem Fall kann ich behaupten, dass mir meine Sehbehinderung von Vorteil war, da ich mit Hilfe eines Härtefallantrages ohne Wartesemester gleich anfangen konnte zu studieren.
Ich bin bis zur zehnten Klasse auf eine Regelschule gegangen und habe im Anschluss mein Abitur an der blista gemacht. Für mich stand schnell fest, dass ich in Marburg studieren möchte. Zum einen habe ich mich während meiner Oberstufenzeit sehr wohl in Marburg gefühlt, und zum anderen bin ich dem Rat meiner Schwestern gefolgt, die meinten, dass durch meine starke Sehbehinderung ein Studium sowieso schon zahlreiche neue Herausforderungen bereithalten würde und ich mich deshalb nicht unbedingt auch noch mit der Erarbeitung einer komplett neuen Umgebung belasten müsste. Dieser Ratschlag hat sich auch im Nachhinein als richtig erwiesen.
Studieren und Wohnen
Zum Wintersemester 2011/12 nahm ich mein Psychologiestudium auf. Im ersten Semester bewohnte ich ein Zimmer von zwölf Quadratmetern im frisch renovierten Studentenwohnheim am Schloss. Das Zimmer war mit ca. 200 Euro sehr preiswert, jedoch musste ich mir dort mit 16 Mitbewohnern eine Küche und vier Bäder teilen, was ich als sehr einschränkend empfand.
Außerdem war der persönliche Kontakt mit den anderen Bewohnern meines Flurs eher dürftig. Ich wusste wegen meiner Seheinschränkung häufig nicht einmal, ob ich mir mit der Person, die mich gerade auf der Straße gegrüßt hatte, vielleicht im Studentenwohnheim ein WC teilte. Zum Anfang des zweiten Semesters habe ich mich mit einer guten Freundin aus blista-Zeiten auf Wohnungssuche begeben. Wir sind trotz des problematischen Wohnungsmarktes in Marburg recht schnell fündig geworden und in eine 50-Quadratmeter-Wohnung in zentraler Lage gezogen, die wir auch heute noch bewohnen. Das Appartement ist allerdings mit 330 Euro pro Person plus Strom, Wasser und Internet deutlich teurer.
Studieren mit einer Sehbehinderung
Ich verfüge noch über einen geringen, aber stabilen Sehrest, den ich auch sehr intensiv nutze. Ich arbeite mit Vergrößerungssoftware und Sprachausgabe. Die Brailleschrift habe ich erlernt, setze sie jedoch kaum ein.
Die Materialien, die ich fürs Studium benötige, liegen mir größtenteils digital vor. Die Präsentationen, die während der Vorlesungen und Seminare vorgestellt werden, stehen alle im Vorhinein im Internet zum Download bereit. Die meisten Bücher, die ich fürs Studium brauche, stehen ebenfalls zum Download in einer Online-Bibliothek der TU Dortmund zur Verfügung. Während des Studiums finanziert das Sozialamt eine sogenannte "Vorlesehilfe", die mir Texte aufliest oder, falls Texte digital nicht zur Verfügung stehen, mir die Bücher auch schon mal einscannt. Da im Psychologiestudium viel mit Grafiken und Tabellen gearbeitet wird, gehört es ebenfalls zu den Aufgaben meiner Vorlesehilfe, mir diese zu erläutern.
Viele Studienanfänger der Psychologie fürchten sich vor den bevorstehenden Statistikanteilen des Studiums, was bei mir selbst nicht anders war. Heute kann ich sagen, dass man mit etwas Fleiß und eventuell einer Nachhilfe, mit der man die Vorlesungsinhalte, besonders die Grafiken und Tabellen, nacharbeitet, gut mit dem Lernstoff zurechtkommen kann.
Den größten Anteil der Prüfungen darf ich an meinem eigenen Laptop schreiben oder an einem mit entsprechender Vergrößerungssoftware und Sprachausgabe ausgestatteten Computer des Fachbereichs. Die Prüfungen stehen als Word-Datei zur Verfügung, und es werden alle Grafiken durch Ersatzfragen ausgetauscht. In der Regel schreibe ich die Klausuren nicht gemeinsam mit den anderen Studierenden in einem Hörsaal, sondern es wird ein separater Raum zur Verfügung gestellt, damit ich während der 50 Prozent Zeitverlängerung, die mir zustehen, keine Störung durch meine Kommilitonen erfahre.
In einigen Fällen bietet mir der Dozent eine mündliche statt schriftlicher Prüfung an. Da ich persönlich schriftliche Prüfungen bevorzuge, habe ich dieses Angebot bisher, außer in Statistik, nicht in Anspruch genommen.
Hilf dir selbst, dann hilft dir … der Fachbereich
Ich musste mich während der Zeit an der blista nicht selbst darum kümmern, mir die Lehrmaterialien zugänglich zu machen. Dies ermöglichte mir, mich ganz auf die Lerninhalte zu konzentrieren. Trotzdem bin ich froh, dass ich während meiner Regelschulzeit zwangsläufig lernen musste, die mir zur Verfügung stehenden Lehrmaterialien für mich optimal aufzubereiten, sprich - besser lesbar zu machen, und die Lehrer auf meine Einschränkungen und Bedürfnisse immer wieder aufmerksam zu machen. Denn neben dem Akt des Lernens ist die oft zeitaufwendige Lehrmaterialbeschaffung ein wesentlicher Bestandteil meines Studiums und führt manchmal auch zu Verzögerungen, was recht nervig sein kann. Insgesamt ist der Fachbereich Psychologie in Marburg beim Engagement für seine blinden und sehbehinderten Studierenden sehr gut aufgestellt. Dies ist nicht zuletzt unseren vielen sehbehinderten Vorgängern zu verdanken.
Der Fachbereich verfügt sogar über eine studentische Hilfskraftstelle für die Beratung sehbehinderter Studierender und Studieninteressierter. Diese kann besonders zu Beginn des Studiums einige wertvolle und weiterführende Tipps und Hilfestellungen geben, was auch mir anfangs sehr geholfen hat. Weiterhin werden für einige Vorlesungen begleitend freiwillige Übungen speziell für sehgeschädigte und ausländische Studierende angeboten, in denen die Inhalte wiederholt werden und auch Fragen gestellt werden können. Beispielsweise zu Inhalten, die mit einer Grafik verknüpft sind und die man deshalb während der Vorlesung nicht so schnell nachvollziehen konnte.
So, jetzt noch einige Details zum Psychologiestudium
Die Regelstudienzeit für den Bachelor beträgt in Marburg acht Semester, dafür ist der Masterstudiengang nur zwei Semester lang. Der Master in Psychologie ist ein Muss, nur mit einem Bachelor kann man nichts anfangen. Ich selbst befinde mich im achten Semester, aber ich denke, ich werde wahrscheinlich zwei Zusatzsemester benötigen, um den Bachelor abzuschließen. Zurzeit befinde ich mich in meinem Praxissemester.
Das Studium ist so aufgebaut, dass man im vierten Semester Einführungsveranstaltungen in den vier in Marburg angebotenen Schwerpunkten - Arbeits- und Organisationspsychologie, klinische Psychologie, neurologische Psychologie und pädagogische Psychologie - besuchen muss. Im fünften Semester müssen dann zwei dieser Bereiche zur Vertiefung gewählt werden. Im siebten Semester erhält man die Möglichkeit, seinen Schwerpunkt noch einmal zu verändern. Ich selbst habe mich für die Bereiche klinische Psychologie sowie Arbeits- und Organisationspsychologie entschieden.
Praktika, ein fester Bestandteil des Studiums
In einem Praktikumssemester müssen mindestens drei Monate bzw. 450 Stunden Praktika absolviert werden. Ein Praktikum muss mindestens einen Monat Vollzeit, d.h. 150 Stunden, umfassen, man kann also ein oder mehrere Praktika absolvieren. Wir können selber entscheiden, in welchen Bereichen wir ein Praktikum machen wollen: in der Klinik, in einer Organisation oder in der Forschung. Bei der Suche nach einem Praktikumsplatz wurde mir meine Sehbehinderung und die damit verbundenen Einschränkungen wieder einmal vor Augen geführt, als in einem Bewerbungsgespräch jemand anmerkte, dass ich den Gesichtsausdruck von Patienten ja gar nicht sehen könne. Ich wies zwar darauf hin, dass ich dafür andere empathische Fähigkeiten habe, die gut ausgeprägt sind und meine Seheinschränkung gut kompensieren können. Mein Praktikum werde ich dennoch an einer anderen Klinik durchführen, wo mich ein Psychologe betreut, der selbst blind ist.
Ob ich nach dem Masterstudiengang, in dem ich meinen Schwerpunkt auf klinische Psychologie legen möchte, eine Ausbildung zur Psychotherapeutin machen werde, ist noch nicht ausgemacht, denn bis dahin wird noch viel Wasser die Lahn hinuntergeflossen sein.
Zur Autorin
Michaela Meinert hat 2011 ihr Abitur an der Carl-Strehl-Schule gemacht und studiert jetzt Psychologie an der Philipps-Universität Marburg. Wer weitere Fragen zum Psychologiestudium in Marburg hat, kann sich gerne per E-Mail bei der Autorin melden: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Aus der Arbeit des DVBS
DVBS-Mentoring-Projekt „TriTeam“ geht in die zweite Runde
Interessierte Schüler, Auszubildende und Studierende können sich bis 15. Dezember 2015 bewerben
Im Frühjahr 2015 nahm das Mentoring-Projekt "TriTeam" des DVBS Fahrt auf: Zehn blinde und sehbehinderte Studierende aus ganz Deutschland nehmen an dieser ersten Runde des Projekts teil und tauschen sich mit berufserfahrenen und ebenfalls sehgeschädigten Mentor/innen aus. Gemeinsam an passgenauen Studien- und Berufszielen arbeiten, Erfahrungen über Hilfsmittelnutzung, Bewerbungen etc. austauschen, von Mentoren Tipps bekommen und Tricks erfahren. Im Mentoringteam lassen sich die Hürden des Studienalltags leichter überwinden und Weichen für die berufliche Zukunft stellen. Mentees können ihre Pläne und Ideen mit erfahrenen und sachkundigen Mentorinnen und Mentoren durchsprechen, bevor sie starten. Wird ergänzendes Know-how benötigt, kann ein Team die Unterstützung eines zusätzlichen Fachcoaches in Anspruch nehmen - sei es zu Fragen der Hilfsmittelbeschaffung, zu fachlichen Fragen oder zur Vermittlung von beruflichen Informationen, Hospitationen und Kontakten.
Nach der gelungenen Premiere soll das DVBS-Mentoringprojekt 2016 fortgesetzt werden. Blinde und sehbehinderte Studierende aller Fachrichtungen, Auszubildende und Schüler/innen, die kurz vor dem Studienbeginn stehen, haben die Möglichkeit, sich für die Teilnahme im kommenden Jahr zu bewerben. Das DVBS-Mentoringprojekt beginnt im März 2016. Alle Bewerber/innen nehmen an einem Auswahlverfahren teil.
Zum Auswahlverfahren gehört neben der schriftlichen Bewerbung auch ein Telefoninterview mit Mitarbeitern der DVBS-Geschäftsstelle, die auch die Projektleitung bilden. Je nach Studienrichtung/Berufsorientierung werden die Teams von der Projektleitung zusammengestellt. Anschließend können sich die Teams regelmäßig per Telefon oder Mail austauschen, auch persönliche Treffen des TriTeams sind möglich. Den Projektteilnehmer/innen entstehen keine Kosten. Die Reisekosten werden übernommen. Während des Projektverlaufs wird es zudem zwei gemeinsame Seminar-Treffen aller Teilnehmenden geben, um einen Austausch in großer Runde zu ermöglichen.
Sie möchten Teil eines TriTeams werden? Dann bewerben Sie sich jetzt! Bis zu zehn Mentees können am Projekt teilnehmen. Interessenten bewerben sich bitte per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder per Post an die DVBS-Geschäftsstelle, Frauenbergstr. 8, 35039 Marburg. Bitte teilen Sie uns mit der Bewerbung mindestens Ihre Kontaktdaten, Studienfach/Ausbildung, Studien- bzw. Berufsperspektive mit. Bewerben Sie sich bitte bis spätestens zum 15. Dezember 2015.
Das Projekt wird von der Commerzbank-Stiftung und mehreren Einzelspendern gefördert.
Nähere Informationen zum Projekt auf der DVBS-Website unter www.dvbs-online.de/projekte
ICC 2016 in Dresden – der Countdown läuft
PC-Kenntnisse vertiefen, internationale Freundschaften schließen und ganz nebenbei die Englischkenntnisse aufpolieren: Das und noch Vieles mehr erleben die Teilnehmenden beim jährlich stattfindenden International Camp on Communication and Computers (ICC). Im kommenden Jahr ist der DVBS im Rahmen seines 100-jährigen Jubiläums Gastgeber und richtet das ICC in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität (TU) Dresden aus. Bereits in diesem Jahr haben sich die Organisatoren einen persönlichen Eindruck vom ICC im niederländischen Zeist gemacht und wertvolle Anregungen für die Veranstaltung im eigenen Land mit nach Hause genommen. Das ICC 2016 findet vom 25. Juli bis 3. August in Dresden statt. Erwartet werden blinde und sehbehinderte Jugendliche im Alter zwischen 16 und 20 Jahren aus zahlreichen europäischen Ländern sowie Japan.
Neben technisch orientierten Workshops - von der App-Entwicklung bis zum Suchmaschinen-Expertenwissen - stehen auch Workshops auf dem Plan, die sich mit Themen wie Kultur, Medien und Umgang mit der eigenen Behinderung befassen. Abends werden verschiedene Freizeitaktivitäten in Dresden und der Umgebung angeboten und ein "excursion day" gehört ebenfalls zum zehntägigen ICC-Programm. Möchtest auch Du am ICC teilnehmen? Dann fordere jetzt die Bewerbungsunterlagen an! Teilnehmen können blinde und sehbehinderte Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren.
Die Bewerbungsunterlagen und weitere Informationen zum ICC 2016 können in der DVBS-Geschäftsstelle angefordert werden. Telefon: 06421 94 8880, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Die Organisation ist nicht nur interessant, sondern auch mit Kosten verbunden. DVBS-Vorstandsmitglied Ursula Weber, die auch zum ICC-Organisationsteam gehört, hat mit ihrem Arbeitgeber im Sommer an einem Sponsorenlauf in Dresden teilgenommen und insgesamt einen Betrag von 3.912 Euro "erlaufen", der der ICC-Organisation zugutekommt.
Bildbeschreibung: Auf dem Foto sind DVBS-Vorstandsmitglied Ursula Weber und ihre Kollegen und "Mitläufer" Romain Schmechta und Susan Mothes zu sehen. Sie tragen T-Shirts im "Telekom-Magenta"-Farbton mit Logo und halten einen überdimensional großen Spendenscheck vor sich. Auf dem Scheck ist Folgendes zu lesen: "3.912 Euro an ICC - International Camp on Communication & Computers, Ausstellungsort: Dresden, Juli 2015, Aussteller: T-Systems Multimedia Solutions GmbH". Foto: T-Systems
Rechtzeitig die Ermäßigung des Mitgliedsbeitrags beantragen!
Der Antrag auf Ermäßigung des DVBS-Mitgliedsbeitrages für das Jahr 2016 muss bis spätestens 28. Februar 2016 formlos schriftlich, per Fax oder per E-Mail (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) in der Geschäftsstelle eingegangen sein. Fristgerechte Anträge werden bestätigt und die Mitgliedsdaten in der Datenbank angepasst. Die Bestätigung, und ausschließlich sie, gilt als Nachweis gegenüber dem Verein. Anträge, die nicht fristgerecht bei uns eintreffen, können nachträglich leider nicht mehr genehmigt werden. Mitglieder, denen im vergangenen Jahr eine Ermäßigung bis auf Widerruf gewährt wurde (z.B. Mitglieder, die im Ausland leben, oder Ruheständler, die eine Beitragsermäßigung beantragen), sind von der jährlichen Antragstellung ausgenommen. Der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt 132 Euro, ermäßigt 66 Euro. Auskunft erteilt Stefanie Görge, Tel.: 06421 94 888-16, montags bis freitags, von 8 bis 12 Uhr, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Seminarvorschau
11. bis 13. Dezember 2015, Herrenberg
Die Fachgruppe Soziale Berufe und Psychologie bietet zwei Workshops bei dieser Fortbildungsveranstaltung an: "Achtsamkeit - ein guter Weg zur Stressbewältigung im beruflichen Alltag blinder und sehbehinderter Menschen" und "Umgang mit Arbeitsplatzassistenz in sozialen Berufen".
15. bis 16. Januar 2016, Veitshöchheim
In Zusammenarbeit mit dem Berufsförderungswerk Würzburg findet das Seminar "Low Vision Check: Berufs- und Studienperspektive mit Sehbehinderung" statt. Neben Erläuterungen zu Low Vision Tests und der Präsentation unterschiedlicher Sehhilfen werden Einzel- und Gruppenberatungen durch selbst Betroffene angeboten. Schwerpunkte sind Karriereplanung, Nachteilsausgleiche, Rolle im Beruf, Teilhabesicherung im Beruf und Erfahrungsaustausch.
29. bis 30. Januar 2016, Wernigerode
Neues aus Verlagen für Notenschrift, Musikunterricht mit blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schülern sowie Handreichungen zur Hinführung zur Braillenotenschrift sind Themen bei der nächsten Notennetzwerktagung im Harz.
18. bis 21.Februar 2016, Herrenberg
Wie gehen wir mit Rollen und Rollenzuschreibungen im beruflichen und studentischen Alltag um? Das "Biografische Theater" bietet die Möglichkeit, hier mehr "Durchblick" zu erlangen, neue Perspektiven zu eröffnen und zu mehr individueller Zufriedenheit, Sicherheit und Gesundheit beizutragen.
11. bis 13. März 2016, Köln
Die Fachgruppe Studium und Ausbildung lädt speziell für ihren Kreis zu einem Präsentations- und Rhetorikkurs nach Köln ein. Das Erlernen eines selbstsicheren und zielgruppenorientierten Auftritts steht im Mittelpunkt unter besonderer Beachtung nonverbaler Kommunikationsinhalte.
9. bis 10. April 2016, Hünfeld
Der Workshop "Jura meets IT - ein interdisziplinärer Austausch für Juristen und IT-Fachleute zur digitalen Barrierefreiheit" will Experten zusammenbringen, die sich einerseits mit den rechtlichen Grundlagen der anstehenden Entwicklungen wie E-Commerce, E-Government und E-Justice beschäftigen. Andererseits ist eine Kooperation mit Informatikern unerlässlich, die sich mit der technischen Umsetzung von Barrierefreiheit beschäftigen.
14. bis 17. April 2016, Herrenberg
Das mittlerweile schon zur Tradition gewordene Seminar "Nicht sehend - nicht blind" bietet in drei Workshops besonders sehbehinderten Mitgliedern und Interessenten spannende Angebote zur beruflichen Bildung.
14. bis 17. April 2016, Hannover
Einen Workshop zu Office-Anwendungen im Studium bietet die Fachgruppe Studium und Ausbildung unter besonderer Berücksichtigung von Plug-ins für Blinde und Sehbehinderte an.
8. bis 15. Oktober 2016, Timmendorfer Strand
Zum 29. Mal findet das Seminar der Gruppe Ruhestand im DVBS statt. Unter dem Motto "Teilhabe am gesellschaftlichen Leben" werden in Referaten und Workshops gesellschaftspolitische Themen, gesundheitsbezogene sowie selbsthilferelevante Inhalte bearbeitet. Auch neue technische Entwicklungen und deren Bedeutung für ältere blinde und sehbehinderte Menschen werden betrachtet.
13. bis 16. Oktober 2016, Herrenberg
"Reden und Präsentieren für große und kleine Gruppen": Freie Rede und Präsentation vor Gruppen will gelernt sein. Ungeachtet dessen gehört Reden und Präsentieren zum Aufgabenkatalog anspruchsvoller Berufe. Dies kann aber Freude machen, wenn man einige Grundlagen kennt, Verhaltensregeln einübt und durch Übung in der Gruppe mit Supervision Zutrauen zu sich und seinem Auftreten fasst.
Weitere Veranstaltungen sind in Planung und werden so bald wie möglich veröffentlicht. Bitte beachten Sie dazu auch die Informationen in der Rubrik "Seminare" auf der Homepage des DVBS: www.dvbs-online.de/php/aktuell.php
Aus der blista
Sportfreunde Blau-Gelb blista Marburg erneut Deutscher Meister im Blindenfußball
1:0 gegen Rekordmeister Stuttgart sichert Titel am letzten Spieltag
Das Meisterschaftsfinale in der Blindenfußball-Bundesliga fand in diesem Jahr in Freiburg im Breisgau statt. Bei strahlendem Sonnenschein verfolgten rund 5.000 Besucher die spannenden Partien auf dem historischen Münsterplatz.
Die Ausgangslage vor dem letzten Spiel zwischen SF Blau-Gelb blista Marburg und dem MTV Stuttgart war klar: Beide Teams benötigten einen Sieg, um Meister zu werden. Bei einem Unentschieden und einer positiven Punkteausbeute ihrerseits wäre die Mannschaft aus Chemnitz lachender Dritter gewesen.
Von Beginn an bestimmte Marburg das Spiel und erarbeitete sich zahlreiche Chancen, doch immer wieder scheiterten die Marburger am guten Stuttgarter Torhüter Fabian Klaputek oder verfehlten knapp das Tor. Die Defensive mit Thomas Horn und Robert Warzecha ließ kaum Chancen zu und die wenigen, die es gab, entschärfte Torwart Sebastian Schleich. Immer wieder kurbelte Taime Kuttig das Spiel an und brachte die beiden Stürmer Niclas Schubert und Adriani Botez in gute Positionen, doch ein Tor wollte nicht fallen und so ging es torlos in die Pause. Auch in der zweiten Halbzeit drückte Marburg weiter, doch den Schwaben gelang es vorerst, ein Tor zu verhindern. Mit zunehmender Spielzeit musste Stuttgart, das keinen Auswechselspieler zur Verfügung hatte, dem hohen Tempo der Lahnstädter Tribut zollen, und die Chancen häuften sich. Fünf Minuten vor Schluss hatte Trainer Peter Gößmann ein glückliches Händchen bei der Wiedereinwechslung von Niclas Schubert. Noch keine Minute auf dem Spielfeld, setzte er sich gegen zwei Stuttgarter Verteidiger durch und erzielte das erlösende 1:0. In den verbleibenden fünf Minuten stand Marburg in der Abwehr sicher und ließ nichts mehr anbrennen. Nach dem Schlusspfiff kannte der Jubel bei den Marburgern keine Grenzen, auch bei Ali Can Pectas, der mit 13 Toren Torschützenkönig wurde, obwohl er die letzten 3 Partien wegen eines Kreuzbandrisses hatte pausieren müssen. Er hatte das gesamte Spiel über an der Bande mitgefiebert und meinte nach dem Spiel: "Hier an der Bande zu stehen, kostet mehr Nerven als mitzuspielen."
DFB-Direktor Willi Hink war begeistert von den sportlichen Leistungen der Blindenfußballer und sagte bei der Siegerehrung: "Es ist beeindruckend, was die Menschen leisten. Das, was hier passiert, verdient den allergrößten Respekt."
Der Marburger Taime Kuttig wurde von einer Jury aus aktiven Spielern und Spielbeschreibern als bester offensiver Mittelfeldspieler geehrt, Torschütze Niclas Schubert wurde als Newcomer der Saison ausgezeichnet.
Mehr Infos zur Liga und zum Blindenfußball unter www.blindenfussball.de und www.blindenfussball.de.
Inklusion leben und Sport gestalten
Judoka beim Hessischen Tag der Menschen mit Behinderung
Am 10. Juli fand im Hessischen Landtag der 5. "Hessische Tag der Menschen mit einer Behinderung" statt, in diesem Jahr unter dem Motto "Inklusion leben und Sport gestalten". Hessens Sozialminister Stefan Grüttner hatte zu dieser Veranstaltung eingeladen. Vertreten und mitwirkend waren auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Kultus- und Innenministeriums.
Neben einem sehr persönlichen und gleichermaßen spannenden Impulsreferat des Handicap-Leichtathleten Markus Rehm und den anschließenden Workshops wurde den Abgeordneten des Hessischen Landtages und den geladenen Besuchern auch eine sportpraktische Vorführung mit dem Thema "Judo Inklusions-Konzept für den Breiten- und Leistungssport sehbehinderter und blinder Menschen" dargeboten.
Der Landestrainer des hessischen Behinderten-und Rehabilitationssportverbands e.V. (HBRS) für Sehbehinderten-Judo, Markus Zaumbrecher, der an der blista für die sportspezifische und pädagogische Nachwuchsarbeit im Bereich Judo zuständig ist, hatte mit fünf sehbehinderten bzw. blinden Sportlerinnen und Sportlern sowie zwei sehenden Sportlerinnen eine Choreographie erarbeitet. Die Judoka zeigten nicht nur praktisch, was so besonders und erfolgreich an diesem Marburger Kooperations-Konzept ist, sondern stellten auch die Bedeutung für das Land Hessen dar. Die Verbindung aus Schule, Verband und Verein ist bundesweit im Sehbehindertensport einzigartig. Max Kunzmann kommentierte am Rande der Veranstaltung: "Für uns ist die Zusammenarbeit mit der blista hervorragend, gemeinsam haben wir in den letzten Jahren sehr erfolgreich die paralympische Nachwuchsarbeit auf-und ausgebaut und werden uns an diesem Erfolgskonzept weiter orientieren."
Zum Autor
Max Kunzmann ist Fachwart für Judo mit Sehbehinderten und Blinden in Hessen.
Bildbeschreibung: Das beigefügte Foto ist während der Judo-Vorführung entstanden und aus Sicht einer im Publikum sitzenden Person aufgenommen. Auf der Bühne zeigen sieben Judoka ihr Können, am linken Rand kommentiert ein Mann die Choreografie, am rechten Bildrand übersetzt eine Gebärdendolmetscherin den Kommentar für hörbehinderte Zuschauer. Während fünf der Sportler in der Mitte der ausgelegten Matten stehen, zeigen die beiden übrigen einen Schulterwurf am rechten Rand der Bühne. Dabei wirft der stehende Judoka seinen "Gegner" gerade so über die Schulter, dass dessen Beine in der Luft sind und er sich mit ausgestreckten Armen auf das Aufkommen am Boden vorbereitet. Zu sehen sind weiterhin Zuschauer, die in Stuhlreihen sitzen und auf die Bühne blicken. Ein Mann sitzt im Rollstuhl, ein anderer kniet im Mittelgang, um ein Foto zu machen. Foto: blista
Möglichkeit, Menschen in Not zu helfen
Wir befinden uns inmitten der größten Herausforderung unseres Landes seit der Wiedervereinigung. Mehr als eine Million Asylsuchende werden dieses Jahr in Deutschland erwartet. Die Hälfte ist nicht einmal 25 Jahre alt. Die Möglichkeit, Menschen in Not zu helfen, ihnen eine neue Heimat zu anzubieten, eröffnet zugleich eine große, unverhoffte Chance für unser Land, das sich mit dem demografischen Wandel und rund 1,1 Millionen freien Stellen auseinandersetzen muss. Die Stadt Marburg wendet sich insbesondere dem Anliegen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zu. Dies möchte die blista als einer der wichtigsten Akteure der Stadt gern unterstützen. In den vergangenen Monaten wurden hier die entsprechenden Konzepte sorgfältig ausgearbeitet und wichtige Kooperationen auf die Beine gestellt: Wohnen in der Stadt, lernen auf dem blista-Campus - ein herzliches Willkommen für rund 15 junge Menschen. Keiner weiß im Moment genau, wann die Flüchtlinge hier eintreffen werden, Stadt und Land begrüßen die Initiative der blista.
Professionelle IT-Berufsausbildung auch für Umschüler
Seit 30 Jahren bildet die Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. junge Auszubildende zu IT-Fachkräften aus. Dass diese Branche eine Branche der Zukunft ist, daran hat sich seit Einführen der Informationstechnik nichts geändert. Die Entwicklung der Computertechnologie schreitet rasant voran und der Arbeitsmarkt macht es deutlich: IT-Fachkräfte sind nach wie vor begehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Als einzige deutsche Institution ermöglicht es die blista Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit, eine professionelle Berufsausbildung im IT-Sektor zu absolvieren. Interessierte können zwischen den beiden dualen Ausbildungsangeboten Informatikkauffrau/Informatikkaufmann (IHK) und Fachinformatiker/in für Anwendungsentwicklung (IHK) wählen. Die Berufsausbildung ist staatlich anerkannt und dauert drei Jahre. Seit 2013 bietet die blista auch Berufserfahrenen oder Studienabbrechern die Möglichkeit, sich in einer zweijährigen Umschulung neu zu orientieren.
Drei Tage in der Woche lernen die Absolventen und Absolventinnen im modellhaften Ausbildungsbetrieb der blista. An den anderen zwei Tagen besuchen sie die Berufsschule auf dem institutseigenen Campus. Sowohl das Unterrichtsmaterial als auch die technischen Voraussetzungen sind stets auf dem neuesten Stand. Tobias Hankammer, Leiter der Berufsschule IT an der Carl-Strehl-Schule, betont das herausragende Engagement der Ausbilder: "Wir bemühen uns, unseren Azubis und Umschülern durch Spezialisierungen und Vertiefungen, beispielsweise in bestimmten Programmiersprachen und App-Programmierungen, einen Wissensvorsprung im Vergleich zu den Absolventen von Regelberufsschulen mitzugeben."
Wer die Ausbildung abschließt, ist nicht nur fachlich hervorragend qualifiziert, sondern hat auch eine individuelle Weiterbildung genossen, die die Persönlichkeit und sozialen Fähigkeiten schult. "Unsere Erfahrung zeigt, dass diejenigen, die neben der fachlichen Kompetenz auch ein hohes Maß an sozialen Kompetenzen mitbringen, durchaus mit der sehenden Konkurrenz mithalten und sich langfristig auf dem ersten Arbeitsmarkt behaupten können", sagt Lena Mann, Sozialpädagogin an der Ausbildungsstätte.
Vom 26. bis 29. Januar 2016 lädt die blista zu Orientierungstagen der IT-Ausbildungen für blinde und sehbehinderte Menschen ein. Ansprechpartner ist Ausbildungsleiter Michael Zulauf, Tel.: 06421 12139, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
Osterfreizeit „Rund ums Pferd, mit viel Theater“
Die blista lädt Kinder zwischen 10 und 14 Jahren in den Osterferien 2016 wieder zu fünf spannenden und abwechslungsreichen Tagen nach Marburg ein. Vormittags dreht sich alles ums Pferd. Und jeder Reiter weiß, zum Reiten gehört auch das Striegeln und Bürsten, bevor man sich auf dem Rücken eines Pferdes den Wind um die Nase wehen lassen kann. Hier kommen sowohl Reitanfänger als auch versierte Reiterinnen und Reiter auf ihre Kosten.
Nachmittags stehen dann die "Bretter, die die Welt bedeuten" im Mittelpunkt. Gemeinsam finden die Teilnehmer heraus, wie schnell man in andere Rollen, andere Figuren schlüpfen kann und wie leicht daraus witzige, spannende und berührende Theaterszenen entstehen. Im Mittelpunkt steht dieses Mal das Improvisationstheater, bei dem es darum geht, Geschichten und Figuren aus dem Nichts entstehen zu lassen.
Während der fünf Tage sind die Ostercamper in blista-Wohngruppen untergebracht und werden von Pädagoginnen und Pädagogen betreut. Für das leibliche Wohl ist ebenso gesorgt wie für ein abwechslungsreiches Freizeitprogramm, das vom Hüpfen auf einem überdimensionierten Luftkissen über Tretbootfahren bis zu gemeinsamen Kinobesuchen reicht. Natürlich ist auch genügend Zeit zum Musikmachen, Spielen und Quatschen.
Für weitere Informationen und Anmeldung
Wer schon immer gerne "mal so richtig Theater machen" wollte, neugierig aufs Reiten ist und Spaß daran hat, neue Leute kennen zu lernen, der kann sich ab jetzt bei der blista anmelden. Die Osterfreizeit unter Leitung von Frau Saßmannshausen findet von Montag, den 28. März, bis Samstag, den 2. April 2016 statt und kostet 295 Euro, Anmeldeschluss ist der 15. Februar 2016.
Für weitere Informationen und Anmeldung wenden Sie sich bitte per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Impressum
Impressum
Herausgeber: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
Redaktion: DVBS (Uwe Boysen und Andrea Katemann) und blista (Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Dr. Imke Troltenier und Birthe Klementowski)
Koordination:Geschäftsstelle des DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-0, Fax: 06421 94888-10, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de
Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung der Redaktion.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.): Uwe Boysen (DVBS) und Dr. Imke Troltenier (blista)
Erscheinungsweise: Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.
Jahresbezugspreis: 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe, 35 Euro für alle übrigen Ausgaben. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
Bankkonten des DVBS: Sparkasse Marburg-Biedenkopf IBAN: DE42 5335 0000 0000 0002 80 (BIC: HELADEF1MAR) - Postbank Frankfurt (für Überweisungen aus dem nicht-europäischen Ausland), IBAN: DE95 5001 0060 0149 9496 07 (BIC: PBNKDEFFXXX)
Verlag: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389, Jahrgang 77
Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen
Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.
Titelbild: Ängste und ihre BewältigungFoto: blista
Nächste Ausgabe (horus 1/2016): Schwerpunktthema: Inklusion braucht Qualität, Erscheinungstermin: 29. Februar 2016, Anzeigenannahmeschluss: 29. Januar 2016, Redaktionsschluss: 5. Januar 2016
Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht
horus 4/2015, Jg. 77
"Ängste und ihre Bewältigung"
Vorausgeschaut
In eigener Sache
Schwerpunkt: "Ängste und ihre Bewältigung"
- Thomas Abel: Angst und ihre Bewältigung bei blinden und sehbehinderten Menschen
- Mirien Carvalho Rodrigues: Allein gegen eine Mauer aus Sehenden
- Isabella Brawata: Bin ich peinlich?
- Christina Rausch: Die Angst vorm weißen Blatt Papier
Bildung und Wissenschaft
- Jens Bornschein und Denie Prescher: Taktile Grafikproduktion und inklusives Zeichnen
- Jürgen Mai: Whatever you do - think diverse
- Dr. Imke Troltenier: Neuer, zweijähriger Bildungsweg an der blista
Recht
- Andreas Carstens: DVBS auf dem EDV-Gerichtstag
- Uwe Boysen: Zeit für ein Update
horus-Zeitreisen
Bücher
- Aktualisierte Neuauflagen der Reihe "Kompass Recht"
- Sabine Hahn: Hörtipps
- Andrea Katemann: Buchtipps aus der blista
Panorama
- Ausstellung in Bonn: "Japans Liebe zum Impressionismus von Monet bis Renoir"
- DBSV-Umfrage: Was wünschen sich blinde Menschen von Autofahrern?
- Bewerbungstraining für Menschen mit Seheinschränkung
- Audiodeskription: Standards verabschiedet
Barrierefreiheit und Mobilität
- Andrea Katemann: Weitere Stadtbibliotheken im Projekt "Hörbücherei vor Ort"
- Dr. Meinrad Rohner: Ein Blinder geht unter die Fledermäuse
Berichte und Schilderungen
- Uwe Boysen: Ein früher Globalisierer
- Michael Herbst: Jetzt sind wir alle Entwicklungsländer
- Michaela Meinert: Studium der Psychologie
Aus der Arbeit des DVBS
- DVBS-Mentoring-Projekt "TriTeam" geht in die zweite Runde
- Christina Rausch: ICC 2016 in Dresden: Der Countdown läuft
- Rechtzeitig die Ermäßigung des Mitgliedsbeitrags beantragen
- Seminarvorschau
Aus der blista
- Manfred Duensing: Sportfreunde Blau-Gelb blista Marburgerneut Deutscher Meister im Blindenfußball
- Max Kunzmann: "Inklusion leben und Sport gestalten"
- Möglichkeit, Menschen in Not zu helfen
- Birthe Klementowski: Professionelle IT-Ausbildung auch für Umschüler
- Ostercamp und Seminare