horus NR: 2 / 2015 - "Sport & Abenteuer"
Inhaltsverzeichnis
- Vorangestellt
- Claus Duncker: Vorangestellt
- In eigener Sache
- Schwerpunkt: "Sport und Abenteuer"
- Robert Warzecha: Ohren auf, Augen zu und los gehts
- Martin Giese und Barbara Zink: Muss Sport sein?
- Christina Muth: "Der Kopf muss mitmachen"
- Ursula Eckstein: Skilauf für Blinde und Sehbehinderte – ein Inklusionssport?
- Thorsten Büchner: Heute mal nicht im Rollstuhl?
- Vera Junker: Hörend Fußball erleben – kein Wunschtraum, sondern lange Realität
- Tobias Michelsen: Wassersportkurse in Großenbrode für Menschen mit Behinderungen
- Mirien Carvalho Rodrigues: Momente für die Schatztruhe
- Bildung und Forschung
- Florian Poetsch: Wirtschaft nach Plan
- horus-Zeitreisen
- Recht
- Uwe Boysen: Wir sind wieder eine Randgruppe
- Birgit Lanner und Aaron Barnovics: Das Schlichtungsverfahren – ein Zugang zum Diskriminierungsverbot aus österreichischer Sicht
- Bücher
- Sabine Hahn: Hörtipps
- Buchtipps aus der blista
- Panorama
- Barrierefreiheit und Mobilität
- Jürgen Nagel: „Wenn schon blind, dann in Holland — Deutschland hat noch erheblichen Nachholbedarf“
- Barbara Fickert: Warum Kinoblindgaenger.de?
- Matthias Klaus: App in den Urlaub
- Berichte und Schilderungen
- Hanna Meshulam: Die Odyssee, Deutsch zu lernen
- Markus Virck: Wa Ba Du Wi Du Wi Da
- Aus der Arbeit des DVBS
- Karsten Warnke und Christina Muth: Barrierefreie IT für inklusives Arbeiten!
- Terminvorschau
- Aus der blista
- Peter Knoche: Einen „James“ sollte man haben!
- Gedenken an Klaus Dörrie
- Noch einige Plätze frei! Ferienspaß für sehbehinderte und blinde Jugendliche
- Punktschrift für Anfänger – als Sehender die Blindenschrift erlernen
- Smartphones und Handys: Ich möchte doch nur telefonieren!
- Assistenz?! Antworten auf rechtliche Fragen rund um Schulbegleiter, Vorlesekräfte, Arbeits- und Alltagsassistenzen
- Impressum
- Inhaltsübersicht
Vorangestellt
Vorangestellt
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder,
"Muss Sport sein?", lautet der Titel des Artikels von Martin Giese und Barbara Zink in diesem Heft. Schon oft habe ich diese Frage gehört, wenn ich begeistert davon erzähle, welche sportlichen Abenteuer, Herausforderungen und Leistungen die Schülerinnen und Schüler der blista gemeistert haben. "Geht das denn mit Blinden und Sehbehinderten?", "die blista ist eine Bildungseinrichtung und soll den Geist fördern und nicht die Muskeln!", sind weitere Sätze, denen ich immer wieder begegne.
Sport ist aufregend, weckt Begeisterung. Noch viel besser als nur zuschauen ist natürlich das Mitmachen. Wir haben immer sehr viel Wert darauf gelegt, unsere Schülerinnen und Schüler an den Sport heranzuführen. Das Gefühl, sich blind mit Skiern den Hang hinunterzustürzen, gemeinsam im Ruderboot über die Seen zu gleiten oder sich im Duell um den Ball zu behakeln. All das sind Erfahrungen, die jeder gerne sammelt, selbst wenn man dann für sich beschließt: "Sport ist nichts für mich".
Ausprobieren, Neugier, Spaß - darum geht es bei "Sport und Abenteuer". Jeder Mensch, egal ob blind, sehbehindert, sehend, alt oder jung, sollte die Chance haben, herausfinden zu können, ob Sport für ihn "sein muss". Denn Sport ist nicht nur ein Erlebnis, sondern eröffnet die Möglichkeit, wie jedem Sehenden auf dem Sportplatz, in Vereinen mit Anderen gemeinsam ihren Sport auszuüben: Sport verbindet.
Die Beiträge in dieser Ausgabe sind beeindruckende Belege dafür, was mit Sehbehinderung und Blindheit alles möglich ist. Ob als Aktiver beim Sport, als begeisterter Fan auf den Rängen oder als Abenteurerin auf fremden Kontinenten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine inspirierende Lektüre und verbleibe mit sportlichen Grüßen
Ihr
Claus Duncker
In eigener Sache
In eigener Sache
Bodo Ramelow besucht blista und DVBS
Anlässlich eines Besuchs in Marburg war Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow am 1. Mai in der blista und beim DVBS zu Gast. Nach dem Besuch in einer Wohngruppe und einer 6. Klasse der blista und einem Austausch mit Schülerinnen und Schülern der Carl-Strehl-Schule über ihre Zukunftspläne diskutierten Ramelow sowie Vertreter des DVBS und der blista darüber, wie die berufliche Situation blinder und sehbehinderter Menschen in Thüringen zu verbessern sei und welche Rolle hier die beiden Marburger Einrichtungen spielen könnten. Dabei betonte Reiner Spring, Leiter des Bezirks Thüringen im DVBS, die Schwierigkeiten, denen sich blinde und sehbehinderte Arbeitsuchende gerade auch in diesem Bundesland gegenübersehen und warb dafür, hier im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Projekt "Inklusion und Innovation" der blista Abhilfechancen auszuloten.
Bodo Ramelow, der die blista bereits seit den 1980er Jahren aus seiner Marburger Zeit und den DVBS seit 2013 kennt, als er vor dessen Arbeitsausschuss einen Vortrag zum Verhältnis von Non-Profit-Organisationen und Politik gehalten hatte, zeigte sich beeindruckt von den Anstrengungen seiner beiden Gastgeber, sehbehinderten und blinden Menschen bessere Bildungs- und Berufschancen zu eröffnen. Gleichzeitig musste er allerdings auch größere Erwartungen dämpfen, denn, so der Ministerpräsident, "der Freistaat Thüringen muss in den nächsten Jahren ca. 8.000 Stellen im öffentlichen Dienst abbauen." Ramelow versprach gleichwohl, sich zusammen mit seiner Arbeits- und Sozialministerin und ihrer Staatssekretärin dem Thema besserer Berufschancen für unseren Personenkreis zu widmen und sinnvolle Kooperationen herbeizuführen.
Die Vertreter von blista und DVBS waren erfreut, im Thüringischen Ministerpräsidenten einen klugen und verständnisvollen Gast von der Wichtigkeit unserer Anliegen überzeugt zu haben. Bleibt zu hoffen, dass dieser Besuch einen ersten Schritt hin zu einer Kooperation im Bereich beruflicher Inklusion darstellen kann.
horus 3/2015: "Bildung im Wandel"
Am 24. August 2015 erscheint die nächste horus-Ausgabe mit dem Schwerpunktthema "Bildung im Wandel". Lernen bedeutet heute nicht mehr ausschließlich, Bücher zu lesen und in persönlicher Runde zu diskutieren, dank Internet, E-Learning und virtuellem Campus bietet sich eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich Wissen anzueignen, an Seminaren teilzunehmen und sich fachlich auszutauschen. Auch mit dem Eintritt in den Ruhestand ist bei Weitem noch nicht das Ende des Lernens erreicht: Lebenslanges Lernen ist nicht nur populär, sondern notwendig. Wenn Sie aus Ihrer Sicht berichten wollen, welchen Wandel Bildung für Sie vollzogen hat und noch immer vollzieht, können Sie darüber gerne in einem Beitrag zum nächsten Heft schreiben. Bitte schicken Sie Ihre Texte wie gewohnt per E-Mail an die horus-Redaktion schicken: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Redaktionsschluss ist der 30. Juni 2015.
Berichte für den Schwerpunkt können bis zu 10.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) lang sein, allgemeine Berichte bis zu 4.000 Zeichen. Kürzere Meldungen sollten eine Länge von 2.000 Zeichen nicht überschreiten.
Schwerpunkt: "Sport und Abenteuer"
Ohren auf, Augen zu und los gehts
Es rasselt mal von vorne, links, rechts oder hinten. Der Torwart dirigiert seine Abwehrspieler. Ein Tor-Guide lotst seine Stürmer durch akustische Signale wie heiß oder zehn, acht, sechs, Schuss. Acht Feldspieler der Mannschaften kommunizieren permanent untereinander. Jemand sprintet und ein Anderer beklagt plötzlich lauthals den Verlust des Balles. Trainer rufen ihren Mannschaften von den Seitenbanden zu. Zuschauer raunen von der Tribüne. Stimmen hier und dort und dann fällt er doch noch, der Führungstreffer für uns. Dann Jubel, Geschrei, ja lautes, enttäuschtes Stöhnen des gegnerischen Teams. Und gelegentlich vervollständigt das Tropfen des Regens die bunte Geräuschkulisse auf dem Platz. Mittendrin stehe ich, Robert Warzecha, 28 Jahre alt, Verteidiger der SF BG Blista Marburg und spiele seit nun sieben Jahren Blindenfußball.
So in etwa könnte man die Geräuschkulisse bei einem regnerischen Blindenfußballspiel beschreiben. Zu all dem kommen noch das innere Spiel- und Gefühlserleben, Adrenalin, Dribblings, Sprints, Drehungen, Side-Steps, Pässe, Ballannahmen und Schüsse hinzu. Hochleistung für Geist und Körper. Welcher Leser sich jetzt fragt: "Und wie können sich die Spieler orientieren?", dem sei gesagt: "Ganz einfach, nur mit den Ohren." Na ja, gut, OK, einfach ist relativ und ganz einfach ist relativ übertrieben. Antworten auf einige eurer Fragen folgen in Kürze, nach der Werbung und einem tiefen Durchschnaufer.
Vorweg einige kurze und knackige Informationen zu unserer Sportart. Blindenfußball wurde in den 60er Jahren in Südamerika, um genau zu sein, in Brasilien, begründet und nahm von dort aus seinen Weg in die Welt. Weltweit wird die Sportart nun in vielen Ländern wie Argentinien, Spanien, England, Russland, Polen, Frankreich, Belgien, China, Japan, Korea, Italien usw. und natürlich auch im schönen Deutschland ausgeübt und weiterentwickelt. Wie beim sehenden Fußball gibt es Europa- und Weltmeisterschaften und seit 2008 zählt der Blindenfußball offiziell zu den paralympischen Sportarten. Kurzes Update: Deutschland erkämpfte den achten Platz bei der letzten Weltmeisterschaft vergangenen November in Japan. In Deutschland wird Blindenfußball erst seit 2006 gespielt. In 2008, beinah zeitgleich zu den Paralympics, wurde die erste Deutsche Blindenfußball-Bundesliga gegründet, in der Mannschaften aus Marburg, Berlin, Hamburg, Stuttgart, Dortmund, Köln, Würzburg, Chemnitz und Gelsenkirchen jährlich um den Meistertitel kämpfen. Marburg ist erster Blindenfußballmeister geworden und spielt seit nun sieben Jahren jährlich um den Meisterschaftstitel erfolgreich mit. Zu den stärksten Teams zählen weltweit natürlich Brasilien, Argentinien und auch China, doch unser kleines Deutschland mischt zunehmend mit im großen rasselnden Geschäft.
Auf dem Fußballfeld stehen sich zwei Mannschaften mit je fünf Spielern (vier blinde Feldspieler und ein sehender Torhüter) gegenüber. Ein Spiel dauert 2 mal 25 Minuten und es wird auf einem 20 mal 40 Meter großen Spielfeld (ähnlich einem Handballfeld) gekickt. Auf den Längsseiten des Feldes befinden sich circa einen Meter hohe Banden, die als Begrenzung dienen und hinter denen Trainer und Zuschauer stehen. Es befinden sich Stahlrasseln im Ball, den die Spieler akustisch wahrnehmen können, wenn er rollt. Jedes Team hat einen eigenen Tor-Guide, der hinter dem gegnerischen Kasten steht und seinen Stürmern das Tor akustisiert. Das entscheidende Wort auf dem Platz heißt "voy". Es kommt aus dem Spanischen und bedeutet übersetzt "Ich komme/gehe." Dieses muss jeder Spieler rufen, der sich zum Ball hin orientiert. Es dient der Verletzungsvermeidung und wird bei zu spätem Rufen als Foul gewertet. Voy-Fehler oder technische/sportliche Fouls werden aufsummiert und können zu einem Strafstoß oder Platzverweis führen.
Und nun zur Frage von oben: Wie schafft man es, sich auf dem Feld zu orientieren bei all dem akustischen Durcheinander? Es ist nicht eine große Orientierungsleistung, die man vollbringt, sondern immer wieder kurze, kleine Aufmerksamkeitsverschiebungen auf bestimmte akustische Reize. Ganz klar, den Ball hört man stets und Kommunikation mit vor allem seinen Mitspielern sind das A und O. Denn wenn man nicht genau weiß, wo sein Torwart, Abwehrkollege oder seine Stürmer sind, dann kann man auch keinen zielgerichteten Pass spielen oder entsprechend räumlich verschieben in der Verteidigung. Das Kommunizieren wird immer und immer wieder trainiert, bis es sitzt und es ermöglicht, das Geschehen der eigenen Mannschaft auf dem Feld wahrzunehmen und zu reagieren. Das klingt dann in etwa so: Tommi ich gehe. Ali lang Bande. Taime steil, Mitte oder Robert rück raus. Den Gegner hört man ebenfalls und wenn die Voy-Regel richtig ausgeführt wird, dann kommt es auch zu wenigen Zusammenstößen oder gar Verletzungen. Weiterhin hilft die Kommunikation untereinander, dabei abzugleichen, wo man sich selbst im Raum befindet. Auch ein gelegentliches Berühren der Seitenbande oder eine Rückfrage an Torhüter oder Tor-Guide können Anhaltspunkte der Orientierung sein. Die Trainer kümmern sich um den akustischen Bereich ums Mittelfeld und geben durch Informationen zum Spielgeschehen akustische Hilfestellung für ihre Spieler. Zu guter Letzt muss jeder Spieler selbst in der Lage sein, sich trotz Drehungen oder anderer Bewegungen stets orientieren zu können, d.h. zu wissen wo er sich auf dem Feld befindet.
Wie bereits oben erwähnt, sind Spieler nach einem Spiel nicht nur körperlich ermüdet, sondern auch vor allem mental. Unsere Ohren nehmen eine Vielzahl von akustischen Signalen auf und das Gehirn muss binnen kurzer Sekunden filtern und Handlungsabläufe steuern. Höchstleistung für unser Großraumbüro im Oberstübchen. Blindenfußball ist eine sehr komplexe, schnelle, körperlich und geistig anstrengende Mannschaftssportart, die den Spielern alles abverlangen kann und ganz viel gibt. Wer jetzt Lust bekommen hat, sich den akustischen Wahnsinn einmal live und in Farbe anzusehen/hören oder gar selbst auszuprobieren, der sei herzlich eingeladen, sich ortsnah bei den jeweiligen Mannschaften zu melden und beim Training selbst aktiv zu werden. Nur keine Scheu oder Angst: Jeder oder Jede kann mitspielen und Übung macht bekanntlich den Meister. Weitere Informationen findet ihr auch auf www.blindenfußball.net oder .de.
Vielleicht sieht man sich bald beim Training oder einem Spiel.
Sportliche Grüße, euer Robert
Muss Sport sein?
Die Bedeutung von Sport und Bewegung für das pädagogische Konzept der blista
Laura lernt Surfen (1)
"Als ich noch kleiner war und mit meinen Eltern in den Urlaub fuhr, erzählten sie mir immer, wie beeindruckend sie es fanden, dass ein Mensch auf einem Brett im Wasser stand und sich vom Wind treiben ließ. Meine Mutter konnte sich das Gefühl, das man dabei empfand, nicht vorstellen und ich mir auch nicht. Nie hätte ich mir vorgestellt, einmal auf einem Surfbrett zu stehen.
Ein Glück, dass ich auf einem Tandemsurfbrett, gemeinsam mit meinem Surflehrer, meine ersten Erfahrungen machte. Ich lernte es zu schätzen, wenn ein Wind ins Segel blies. Es ist ein herrliches Gefühl, sich frei auf dem Wasser bewegen zu können und den Wind dafür zu nutzen. Als ich zum ersten Mal auf einem Surfbrett für eine Person stand, spürte ich besser als zuvor, wie das Brett sich bei einer Wende oder Halse dreht. Sich einfach dem Wind anzuvertrauen, ist ein herrliches Gefühl. Man nimmt bei starkem Wind stark Geschwindigkeit auf und fährt über das Wasser, wofür man nicht mehr tun muss, als sich entspannt zurückzulehnen und das Segel richtig zu halten, damit der Wind hineinfährt. Diese Vorstellung ist unglaublich und faszinierend, aber es funktioniert. Es ist eine einmalige Erfahrung, wenn der Wind einen vom Fleck bewegt und man einfach nur dasteht und es genießt."
Warum sind Bewegung und Sport so wichtig?
Dass Sport und Bewegung einen positiven Einfluss auf die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben, ist heutzutage unstrittig und es existiert ein breiter wissenschaftlicher Konsens, der diesen Zusammenhang belegt. Im schulischen Kontext sind dabei drei positive Aspekte von Bewegung und Sport besonders bedeutsam: die Förderung der individuellen Entwicklung, alle Dimensionen der Gesundheit sowie die Inklusion. Gilt dies zwar für alle Kinder und Jugendlichen, entsteht im Kontext von Sehbehinderung und Blindheit allerdings schnell eine besondere Brisanz, weil sich Kinder und Jugendliche mit einer Sehbehinderung - zwar nicht zwangsläufig, aber doch häufig - weniger bewegen als sehende Kinder und Jugendliche: Überbehütung, Orientierungsprobleme oder die Angst, mit Dingen oder Personen im Raum zusammenzustoßen, können den Sport- und Bewegungsdrang hemmen und haben dann negative Folgen in Bezug auf die drei genannten Entwicklungsaspekte.
Individuelle Entwicklung
Eine individuelle Entwicklung ist nur möglich, wenn wir mit der Welt in Kontakt treten und dafür braucht es Bewegung. So erkundet bereits der Säugling seine Umgebung über die Bewegung. Initiativen und Forschungsprojekte zum Thema "Bewegte Schule" weisen immer wieder auf die Bedeutung von Bewegung im Unterrichtsalltag hin. Bewegung in den täglichen Unterricht zu integrieren, fördert nicht nur die Motivation der Schüler, sondern hat auch positive Auswirkungen auf deren Lernverhalten sowie deren individuelle Entwicklung. Deshalb ist es ein Anliegen der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista), den Schülerinnen und Schülern der Carl-Strehl-Schule (CSS) Angebote zu unterbreiten, die es ihnen erlauben - neben dem regulären Sportunterricht, - zusätzlich Bewegungserfahrungen zu sammeln. Dies geschieht sowohl in Form von kleineren (Bewegungs-)Projekten (z. B. Abenteuerprojekt im Wald, Zirkus-Workshop) als auch in Form einer gezielten und individuell zugeschnittenen Bewegungsförderung.
Gesundheit
In einer bundesweiten und repräsentativen Studie (sog. KiGGS-Studie) konnte das Robert-Koch-Institut zeigen, dass körperlich-sportliche Aktivität einen positiven Einfluss bei der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei Übergewicht und bei Haltungsschwächen hat. Allerdings erfüllt nur jeder vierte Junge und jedes sechste Mädchen die Mindestempfehlung von 60 Minuten täglicher Bewegungszeit. Um dem entgegenzuwirken, macht die CSS neben dem Sportunterricht auch diverse AG-Angebote aus dem Bereich des Sports, die von den Schülerinnen und Schülern zahlreich und gerne wahrgenommen werden.
Inklusion
Verstehen wir Inklusion als Förderung der Teilhabe von Menschen mit einer Sehbehinderung an der Gesellschaft bzw. an unserer Sportkultur, dann kommt diesem Aspekt - jenseits seiner aktuellen Brisanz - eine ganz besondere Rolle zu, was wir an dem Eingangsbeispiel von Laura erläutern möchten: Laura erlernt - entgegen ihrer eigenen Erwartung - nicht nur das Surfen, sie wird damit auch zu einem Teil unserer Sportkultur und kann zudem anderen Menschen in einem Sportverein erklären, was sie benötigt, um Surfen zu können. Dadurch erweitert sie nicht nur ihre eigenen Möglichkeiten, sondern eröffnet sich auch Räume, diesen Sport auch zusammen mit Sehenden beispielsweise in einem Verein auszuüben. Inklusion bedeutet also einerseits, dass unsere Schülerinnen und Schüler über das entsprechende Know-how verfügen, um an unserer Sportkultur teilhaben zu können, andererseits aber auch, Menschen ohne Sehbeeinträchtigung für ihre Bedürfnisse zu sensibilisieren, um letztendlich einen "normalen" Umgang mit Menschen mit Sehbeeinträchtigung zu ermöglichen. Deshalb hat es sich die blista zur Aufgabe gemacht, gerade im Sport inklusive Angebote zu initiieren. Derzeit kooperieren wir im Rudern (Sek I und Sek II) mit der Steinmühle, das Abenteuerprojekt im Wald der Jahrgangsstufe 5 findet in Zusammenarbeit mit der Astrid-Lindgren-Schule statt, und in unserer jährlichen Projektwoche gibt es ein inklusives Surfangebot für Schüler der CSS und dem Gymnasium Philippinum.
Welche Ziele verfolgt der Sportunterricht?
Der Sport- und Bewegungsunterricht an der blista steht für einen schüler-, erfahrungs- und handlungsorientierten Sportunterricht und fasst behinderte Kinder und Jugendliche nicht als therapiebedürftigen Träger von (zu diagnostizierenden) Defiziten auf. Im Sinne der aktuellen Inklusionsdebatte wird Sehbehinderung bereits seit Anfang der 1980er Jahre vielmehr als eine Facette von Heterogenität begriffen. Im Gegensatz zu einem defizitorientierten Ansatz begreift die CSS
- jeden Menschen als vollständige, eigenartige und ganzheitliche Existenzform,
- sieht sportliches Handeln als Auseinandersetzung von Ich, Umwelt und Gesellschaft,
- zielt auf Erleben, Lernen, Bewältigen, Meistern, Können, Abenteuer,
- möchte jeden Menschen in seiner individuellen Persönlichkeitsentwicklung fördern und
- bezieht attraktive Freizeitsportaktivitäten in sein Programm mit ein.
Die CSS will mit ihrem Schulsport den Schülerinnen und Schülern helfen, die Bewegungs- und Sportwelt für sich zu erschließen, ihr Wissen und Können ebenso wie ihre Motivation zu erweitern und darüber ihre Persönlichkeit zu entwickeln bzw. zu festigen. Die Leitideen des Sportunterrichts - und damit auch seine Spezifik - lassen sich mit folgenden vier Punkten fokussieren:
Förderung und Orientierung
Förderung bezieht sich auf eine möglichst vielseitige allgemeine Entwicklung von Bewegung und Wahrnehmung, auf die Erweiterung von Raumwahrnehmung und auf den Aufbau koordinativer Grundmuster und konditioneller Grundlagen. Förderung ist mit dem Begriff der Entwicklung unter Anerkennung des momentanen Standes verbunden und hat die Schülerin bzw. den Schüler mit ihren bzw. seinen Entwicklungsmöglichkeiten und Bedürfnissen im Blick, nicht aber irgendeine Norm. Auch Sportarten können unter dem Aspekt der Förderung gesehen werden. So thematisiert beispielsweise das Wassersportprojekt das Gleichgewicht in und auf Wassersportgeräten, die Leichtathletik das Laufen, Springen und Werfen als elementare Koordinationsmuster und als elementare Raumerfahrung bzgl. der Person-Umwelt-Beziehung. Orientierung strebt die Erweiterung der Handlungsfähigkeit im und durch den Sport an. Sinn-, Interaktions- und Bewegungsaspekte werden exemplarisch unter Einschluss der gesellschaftlichen Vielfalt von Bewegung und Sport sowie aktueller Freizeittrends angeboten. Auch Leistungssport ist dabei ein Aspekt des Handlungsfeldes.
Neigungsorientierung
Eine breite Palette verschiedener Sportarten und Bewegungsformen stehen den Schülern im Wahlpflichtbereich zur freien Auswahl, um Akzeptanz und Motivation zu fördern. Vertiefung, Differenzierung nach Sehvermögen, Erweiterung des Pflichtbereichs sowie Training und Wettkampf sind im Neigungsfach- bzw. Oberstufen-Kursangebot möglich.
Verzahnung und Entwicklungsgemäßheit
Die Pflichtbereiche des Curriculums folgen einer inneren Logik. Darunter fallen einerseits typische Übergänge und Dominanzwechsel (z.B. von der Grundlagenerfahrung zur Sportart, von der koordinativen zur konditionellen Beanspruchung), andererseits das Koordinationsprinzip (z. B. allgemeine Verbesserung der Gleichgewichtsregulation vor Skifahren-Lernen) und das Sicherheitsprinzip (Schwimmen-Lernen vor Rudern-Lernen).
Verlängerung und Verankerung
Der Schulsport ist in seinem ganzen Wesen auf Inklusion ausgelegt und will Isolation begegnen. Daher fördert und ermöglicht er die Ausbildung von Sportinteressen sowie die Erprobung des Könnens und Wissens in der "Wirklichkeit des Sports". Es gehört zum Selbstverständnis dieses Ansatzes, dass Möglichkeiten geschaffen werden, erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten nach der Schulzeit auch im Verein auszuüben. Sportexkursionen, Sportfreizeiten, die Überleitung zum Vereinssport sowie die Vermittlung oder Betreuung informeller Sportangebote dienen diesen Zielen.
Auch wenn der Aspekt des Leistungssports im Unterricht nicht direkt zum Tragen kommt, so ist er dennoch eng mit der CSS und der blista verknüpft. Mit der SSG blista Marburg und der SF Blau-Gelb Marburg gibt es zwei Vereine, in denen unsere Schülerinnen und Schüler Leistungssport betreiben können, u. a. in den traditionellen Sportarten Torball und Goalball, aber auch im Blindenfußball und Judo, sowie den klassischen Sportarten Leichtathletik und Schwimmen. Seit 2009 ist Marburg der Landesleistungsstützpunkt im Judo und Blindenfußball, seit 2011 paralympischer Trainingsstützpunkt für Goalball, was die Bedeutung des Leistungssports an unserer Einrichtung unterstreicht.
Wie sieht der Sportunterricht konkret aus?
An der CSS gibt es für jede Jahrgangsstufe in der Regel drei Stunden Sportunterricht pro Woche, dessen thematisches Angebot alle Halbjahr wechselt. Dabei werden durch exemplarische Vielfalt sportliche Lern- und Handlungsbereiche erschlossen, wobei auf die Spezifik der Behinderung ebenso wie auf die Bewegungs-Vorerfahrung der einzelnen eingegangen wird. In der Mittelstufe bietet - neben verpflichtenden Themenbereichen - die Neigungsfach-Palette (Wahlpflichtbereich) behinderungsspezifische Angebote, die Möglichkeit der Vertiefung oder Differenzierung sowie Experimentierfelder und umfasst z. B. Rudern, Kanu, Kajak, Reiten, Rollen-Gleiten-Balancieren, Trampolin, Schwimmen, Judo, Krafttraining für Mädchen, Basketball, Fußball, Tischtennis, Spiele für Blinde, Klettern, Rhönradturnen, Flusswandern, Rock"n"Roll, Standardtanz, Jazztanz, Natur- und Erlebnissportarten, Fahrrad-Tandem, Leichtathletik, Schwimmen für Nichtschwimmer, Inline-Hockey usw. In der Oberstufe besteht für vier dreistündige Sportkurse Belegungspflicht, drei nicht-themengleiche davon können in die Abitur-Gesamtqualifikation eingebracht werden.
Die CSS legt großen Wert auf längere Jahrgangsstufen- oder Klassenfahrten mit sportlichen Schwerpunkten. Hier ermöglicht sie, dass Schülerinnen und Schüler sich in Bewegungsumwelten hineinbegeben und sich über längere Zeit und kontinuierlich mit solchen sportlichen bzw. bewegungsorientierten Themen auseinandersetzen können, die für sie ebenso wie für gleichaltrige nichtbehinderte Kinder und Jugendliche einen hohen Freizeit- und Erlebniswert haben. Neben den persönlichkeitsbildenden Aspekten stehen hierbei auch Aspekte des sozialen Lernens und solche der Binnenintegration im Mittelpunkt. Insbesondere gemeinsame Fahrten mit nichtbehinderten Schülern können durch das Erlernen und Betreiben geeigneter Sportarten sozial-integrative Wirkung erzielen.
Zusammenfassend zeichnet sich der Sportunterricht der Carl-Strehl-Schule durch folgende Merkmale aus:
- 3. Sportstunde
- kleine Lerngruppen
- hochindividuelle Zeitstrukturen bei der Gestaltung der Lernprozesse
- Möglichkeit des Team-Teachings (Binnendifferenzierung)
- gute Ausstattung
- Tagesexkursionen/mehrtägige Sportexkursionen
- inklusive Sport- und Bewegungsangebote
- Kompetenz der Lehrkräfte sowohl in fachlicher als auch behindertenpädagogischer Hinsicht
- Zusammenarbeit mit der RES (Bewegungsförderung, Kennenlernen von Entspannungstechniken etc.)
- Evaluation und wissenschaftliche Fundierung
Das Sportprogramm wird vom Institut für Sportwissenschaft und Motologie der Philipps-Universität Marburg sportwissenschaftlich begleitet und vom Institut mit studentischen Co-Lehrkräften unterstützt. Auf Basis dieser Zusammenarbeit lässt sich für die CSS der Personalschlüssel vieler aufwendiger Projekte (z. B. Wintersport, Wassersport, Pferdesport) bis zum Betreuungsverhältnis von 1:1 erreichen. Zudem bestehen wissenschaftliche Kooperationen, die der Qualität und Weiterentwicklung des Sportunterrichts dienen, mit dem Institut für Sportwissenschaft der Universität Koblenz-Landau und dem Institut für Rehabilitationswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Die Weiterbildung wird von der blista konsequenterweise breit unterstützt. Dabei geht es im Sportbereich nicht nur um die Aus- bzw. Fortbildung von Sonderschullehrern, sondern auch um Angebote für Übungsleiter und Trainer des freien Sports der Fachverbände, wodurch betroffenen Sportlern der Zugang zum Vereinssport ermöglicht oder erleichtert werden soll.
(1) Der Name wurde geändert. Ansonsten handelt es sich um eine reale Schülerrückmeldung zu einem Oberstufenkurs Surfen.
Weiterführende Literatur
Giese, M. (2010). Sport- und Bewegungsunterricht mit Blinden und Sehbehinderten. Band 1: Theoretische Grundlagen - spezifische und adaptierte Sportarten. Aachen: Meyer und Meyer.
Giese, M. (2010). Sport- und Bewegungsunterricht mit Blinden und Sehbehinderten. Band 2: Praktische Handreichungen für den Unterricht. Aachen: Meyer und Meyer.
Hessisches Kultusministerium (2012). Projekt Schnecke - Bildung braucht Gesundheit II.
Herwig, H. (2005). Sportunterricht an der Carl-Strehl-Schule. Internes Curriculumpapier der Carl-Strehl-Schule.
Zu den Autoren
Dr. Martin Giese ist Gastprofessor in der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Barbara Zink ist Lehrerin und Schulsportkoordinatorin an der Carl-Strehl-Schule der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista).
"Der Kopf muss mitmachen"
Harald Lange läuft. Und läuft. Und läuft. Der sehbehinderte 35-Jährige hat sich ganz den Ultra-Distanzen und Extrem-Rennen verschrieben — ein einfacher Marathon fordert ihn nicht genügend heraus. Anfang März hat er am "Braveheart Battle", einem 28 Kilometer langen Cross-Hindernislauf in Bad Kissingen teilgenommen, und bei eisigem Wetter 54 Hindernisse überwunden. Er ist durch schlammige Wasserlöcher geschwommen, hat sich unter Stacheldraht hindurchgerobbt und wackelige Holzbrücken überquert. Ein Baumstamm kam dem sehbehinderten Sportler in die Quere, und er hat die Ziellinie mit einem eindrucksvollen Kopfverband erreicht. Einen Begleitläufer hatte Harald Lange beim "Battle" nicht dabei, aber ohne Begleitung ist er dennoch nicht nach Bad Kissingen gefahren: Die blinde Autorin Daniela Preiß war mit von der Partie. Gemeinsam haben die beiden kürzlich das Buch "Willensstark" über die Lauf-Passion des Bad Homburgers veröffentlicht. "Fahr doch einfach mit", hat Harald Lange Daniela Preiß spontan angeboten, und sie hat das Angebot angenommen und die Chance genutzt, die Atmosphäre bei diesem besonderen Rennen selbst zu erleben und in das Buch mit einfließen zu lassen.
Kennen gelernt haben sich der Läufer und die Autorin über einen Aufruf, mit dem Daniela Preiß blinde und sehbehinderte Mediennutzer für eine Studien-Arbeit gesucht hat. Aus den Gesprächen sei ein intensiver Austausch entstanden. Schließlich habe Daniela Preiß die Idee gehabt, ein Buch über Harald Langes Extremläufe zu schreiben. Er sei zunächst skeptisch gewesen: "Ich habe bereits selbst ein Buch geschrieben und auf eigene Kosten verlegen lassen, daher wusste ich, welcher finanzielle Aufwand auf uns zukommen würde", berichtet Lange. Für das gemeinsame Projekt habe sich jedoch ein Verlag gefunden, der die Produktion übernommen hat. Das Schreiben gestaltete sich als Gemeinschaftswerk: Lange hat zahlreiche Trainingsberichte an Daniela Preiß geschickt, sie hat im Gespräch einzelne Themen weiter vertieft und schließlich in einem Text zusammengestellt. So habe Harald Lange "Texte geschrieben, spontan, wie er sich gerade fühlt, was er so denkt. Zum Beispiel über die letzten Tage vor dem Lauf. Und ich habe das dann klassisch lektoriert, also sprachlich und stilistisch angepasst, Unklarheiten - was für Nicht-Läufer unverständlich gewesen wäre, was ich auch nicht verstanden habe - über Nachfrage ausgeglichen", sagt Daniela Preiß über den Entstehungsprozess des Buches. Als Biographin versucht Daniela Preiß, sich in die Person hineinzuversetzen, über die sie schreibt. "Ich hatte früher schon mit einem anderen blinden Laufsportler gearbeitet und von daher schon einiges zum Thema gehört. In meinen Gesprächen mit Harry haben sich diese Informationen dann nur vertieft. Er hat mir alle möglichen Fragen beantwortet - alle, die mir so eingefallen sind. Hat mir seine Ausrüstung gezeigt. Wir sind auch einmal zusammen ein paar Kilometer gelaufen", erklärt die Autorin.
Nicht nur ein Extremlauf, auch ein Buchprojekt kann ein Abenteuer werden, das den Beteiligten viel Motivation und Mut abverlangt. Aus der Zusammenarbeit mit dem Sportler Harald Lange hat auch Daniela Preiß Motivation und Erfahrungen gewinnen können: "Harry beeindruckt mich sehr, auf einer persönlichen Ebene. Gerade wegen seiner Willensstärke. Er nimmt sich etwas vor, dann setzt er das auch um. Ich bin ähnlich, in meinen Gebieten. So ergänzen wir uns gut. Aber vor allem inspiriert es mich, ihn zu erleben. Denn die Dinge, die er meistert, sind größer als das, was ich tue. So bestätigt er mich darin, dass ich es richtig mache und zieht mich mit. Es motiviert mich also, selber dranzubleiben, mich nicht zurückhalten zu lassen, wenn ich etwa eine weite Reise mache - in der Art: Harald schafft es doch auch, der schafft noch mehr. Also warum du nicht?"
Nach dem "Battle" ist vor der Wüste: Harald Lange liebt es, immer größere Herausforderungen anzugehen. Anfang April wollte er sich der bisher größten Herausforderung stellen und nahm am Wüstenmarathon "Marathon des Sables" in der marokkanischen Wüste teil. In 6 Tagesetappen bewältigen die Teilnehmer eine Distanz von rund 250 Kilometern - ihr komplettes Gepäck tragen sie dabei immer mit sich. Lange Distanzen mit Gepäck hat Harald Lange zur Vorbereitung absolviert, eine große Frage bleibt allerdings offen: Wird er mit dem trockenen, heißen Wüstenklima zurechtkommen? "Ich kann es mir nicht leisten, sechs Wochen dort zu trainieren", erklärt der Läufer, "ich bin öfter in die Sauna gegangen und bis zu einer Stunde sitzen geblieben, aber ein Lauf mit Wind und voller Montur auf dem Rücken ist damit natürlich nicht vergleichbar." In der Wüste hat er einen Begleitläufer an seiner Seite, um die Strecke auf der Karte lesen zu können und nicht vom Weg abzukommen.
Die Wüste ist noch nicht bewältigt, da denkt Harald Lange schon über neue sportliche Leistungen nach: "Ich brauche eine Zielsetzung im Leben. Wenn ich die Wüste schaffe, plane ich weiter. Ich würde gerne den Zugspitze-Ultratrail laufen." Wann er mit dem Training beginnt, macht er allein von seiner körperlichen und psychischen Verfassung abhängig: "Es kann sein, dass ich mich in der Wüste verletze. Es kann auch sein, dass nach dem Rennen keine Motivation da ist. Der Kopf muss mitmachen."
Skilauf für Blinde und Sehbehinderte – ein Inklusionssport?
Ja - auf jeden Fall. Anfangs schien es mir als 29-Jährige zwar wie ein kleines Abenteuer, in die Welt des Skisports auf Vereinsebene einzutauchen, aber bald schon stellte sich heraus, dass es mit fachkundiger Unterstützung möglich war, als Sehbehinderte Skilauf gemeinsam mit normal sehenden Menschen ausüben zu können. Einer meiner Beweggründe war, aus dem Dunstkreis blista herauszukommen und etwas Neues auszuprobieren: mehr private Kontakte mit Sehenden. Die blista bestimmte seit 1967 meinen Alltag. Dort hatte ich 1971 in der Carl-Strehl-Schule (CSS) meinen Schulabschluss erworben, war anschließend in der blista ins Berufsleben eingestiegen und von Juni 1981 bis Juli 2007 als Sekretärin in der CSS beschäftigt.
Anfang Dezember 1981, im "UNO-Jahr der Behinderten" mit dem Motto "Einander verstehen - miteinander leben!", trat ich in die 1979 gegründete Skiabteilung des PSV (heute Sportfreunde) Blau-Gelb Marburg ein. Die Abteilung hatte sich unter anderem das Ziel gesetzt, Blinde und Sehbehinderte in den Skisport zu integrieren. Unter den 59 Vereinsmitgliedern waren 27 Sehbehinderte und Blinde. Vereinslehrwart und langjähriger DSV-Landesausbilder Hermann Herwig, der als Sport- und Mathematiklehrer in der CSS beschäftigt war und mit all seiner Kraft für den Blindenskisport stand, hatte mich zu diesem Schritt ermutigt. Sehr sportlich war ich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich. Durch Netzhautprobleme war mir nur das Schwimmen geblieben. Nun nutzte ich die vom Verein einmal wöchentlich angebotene Skigymnastik in der blista-Sporthalle, um mich auf das Skilaufen vorzubereiten. Und dann passierte es: Beim Sitzfußball machte mein rechter Daumen eine unliebsame Bekanntschaft mit dem Klingelball. Er war angebrochen - und das kurz vor der Wochenendskifreizeit am 17./18. Januar 1982 in Neuastenberg, in der ich von Skiübungsleitern mit Zusatzqualifikation im Blindenskilauf geschult werden sollte. Mit eingegipster Hand? Wie sollte das gehen? "Das geht schon, bitte, komm" mit", war die Antwort. Also fuhr ich mit und traf nette, hilfsbereite Menschen. Wozu braucht ein Anfänger Skistöcke?! Es ging auch ohne. Kollege Kurt Pape brachte mir an einem sanften Hang Skilanglauftechnik bei. Allerdings meinte es der Wettergott nicht allzu gut mit uns. Als Anfängerin war jetzt nicht nur ich nass vom Schnee, sondern auch der Gips ein wenig weich vom leichten Nieselregen. Gegen Abend bezogen wir Quartier im LSB-Sportheim. Viele Hände unterstützten mich dabei. Ein Plastikbeutel schützte beim Duschen meine Gipshand. Damit befand ich mich in bester Gesellschaft, schwang doch wenig später auch Skiübungsleiter Schorsch Scherer, der das Projekt wissenschaftlich begleitete, sein eingegipstes Bein in einem blauen Müllsack in eine Duschkabine. Nach dem Essen klang der Tag gemeinsam mit Skikameraden des SC Neuastenberg-Langewiese aus. Wie im Flug verging auch der nächste Skitag, an dem mich Hermann Herwig (er hatte die Fahrt organisiert) mit seinen bekannten Sprüchen betreute. Die Teilnehmergebühr pro Person betrug 35 DM im Rahmen des vom Landessportbund Nordrhein-Westfalen mit über 4.000 DM geförderten Marburger Vereinskonzeptes (20 Blistaner, 5 Skilehrer, 2 blista-Pädagogen und 20 sehende Neuastenberger). Einerseits wurde angestrebt, das Skischulpersonal Neuastenberg in zwei Wochenenden zu schulen und in die Lage zu versetzen, Blinde und Sehbehinderte zu unterrichten, andererseits sollte dadurch den Sehbehinderten die Möglichkeit erschlossen werden, sich künftig an eine Skischule in einem Wintersportgebiet wenden zu können, wo sie fachgerecht betreut werden könnten.
Zum besseren Verständnis ist es notwendig, hier kurz auf die Ereignisse einzugehen, die zur Gründung der Skiabteilung geführt haben. Die Idee des Pilotprojektes in Neuastenberg war dem an der CSS unter Leitung von Dr. Franz Nitsch neu entwickelten sonderpädagogischen Sportkonzept im Unterricht (u. a. Reiten, Rudern und Skilauf) geschuldet. Unter Vorsitz von Matthias Schmidt hatten sich im Mai 1979 deshalb frisch ausgebildete, engagierte Übungsleiter des Hessischen Skiverbandes e. V. zusammen mit ihrem "Spiritus Rectus" Dr. Hans-Georg Scherer im Verein Blau-Gelb Marburg als Skiabteilung organisiert. In der logischen Konsequenz, Behinderte in die Lage zu versetzen, ihren Sport inklusiv ausüben zu können, hatte sich die Abteilung noch im Jahr ihrer Gründung der Herausforderung gestellt, blinde und sehbehinderte Skiläufer(innen) in ihre Reihen zu integrieren, weil Blistaner den Wunsch geäußert hatten, in einem Verein Skifahren zu können. Vorangegangen war die Fahrt der Jahrgangsstufe 9 der CSS, die im Februar 1979 zum ersten Mal zum Skilaufen ins Kleinwalsertal führte: In 14 Tagen konnte nach dem von Scherer völlig neuen und eigens für das Pilotprojekt der blista entwickelten und wissenschaftlich evaluierten Methodikkonzept sehr erfolgreich vom Langlauf zum alpinen Skilauf geführt werden. Die Pilotstudie mit dem Ziel, den Wintersport für Blinde zu erschließen, war sehr personal- und kostenintensiv (22 Schüler zwischen 15 und 20 Jahren, 12 Skilehrer, 6 Blista-Pädagogen). Unter den Skilehrern waren meist Sportstudenten mit Schwerpunktfach "Blindenskilauf". Für diese Zusatzqualifikation hatte Scherer das Curriculum entwickelt. Bis 1984 begleitete er sowohl die Ausbildung der Studierenden und Übungsleiterfortbildungen als auch den Unterricht der Behinderten (1979 - 1983 nebenamtlich an der CSS tätig). Seine wissenschaftlichen Auswertungen sind 1989 in seine Promotion eingeflossen: "summa cum laude"; Dissertationsthema "Skilauf mit blinden Schülern — Konstruktion und Evaluation eines Lernangebots". In Scherers Vita finden sich u. a. Trainer- und Ausbildertätigkeiten als A-Trainer, Stützpunkttrainer Leichtathletik, DSV-Bundes- und Landesausbilder Ski alpin; Lehrkraft für Theorie und Praxis auch in der Sportart Skilauf sowie Leitung des Forschungs- und Studienschwerpunkts "Sport mit blinden und sehbehinderten Menschen"; derzeit Professor an der Universität der Bundeswehr München. Schon vor 1979 bestand seit mehreren Jahren eine Kooperation zwischen der blista und der Philipps-Universität Marburg, Institut für Sportwissenschaften und Motologie mit Prof. Dr. Eberhard Hildenbrandt zum Thema Sprache und Hans-Georg Scherer zum Thema Ski. Das heute noch in der CSS geltende pädagogische Grundkonzept im Sportunterricht zielt in drei Schritten ab auf die Inklusion von Blinden und Sehbehinderten in den normalen Sportbetrieb unserer Gesellschaft: eine Sportart erlernen, im schulischen oder privaten Rahmen ausüben, in einen Verein eintreten.
In diesem Zusammenhang ist besonders die erste inklusive Skifreizeit der Skiabteilung 1980 in Sexten-Moos im Hochpustertal (Südtirol) hervorzuheben, über die 22 sehbehinderten jungen Sportler/innen der Zugang zum Wintersport eröffnet wurde. Über diese beispielgebende Pionierarbeit der Skiabteilung berichteten damals landesweit die italienischen RAI-Abendnachrichten, die deutsche Fach- sowie Tagespresse.
Und damit zurück zu mir: Auch 1982 schrieb Blau-Gelb die Skifreizeit Sexten-Moos aus. In dieser Freizeit lernte ich die Grundlagen zum Alpinski-Fahren. Mich erwarteten erste Erlebnisse mit dem Korblift zur Bergstation des Rotwandskigebietes bzw. Teller- und Ankerlifte der Skipisten. Als Anfängerin küsste ich ab und an den Schnee. Stets darauf bedacht, dies nicht zu tun, war ich nicht gerade die Schnellste. Das änderte sich bald, nachdem Skilehrer Günter Gleim geduldig das zügigere Fahren mit mir geübt hatte. Außerhalb des Skiunterrichts fanden sich immer wieder sehende Vereinskameraden, die mit uns Sehbehinderten auf die Piste gingen. Sonnenbaden an der "Rudi Hütte", Gespräche mit anderen Skifahrern, unsere Schneebar beim Juxrennen sowie Aprèsski-Aktivitäten, zu denen auch eine kleine Weinstube zählte, vermittelten mir das Gefühl von Urlaub pur. Neben dem Alpinskisport stiegen wir auch in die Loipe des malerischen Fischleintals ein. Dort wurde unsere Gruppe in einer Gastwirtschaft von Skitouristen angesprochen. Beeindruckt und begeistert darüber, dass auch sehbehinderte Menschen Skilanglauf ausüben können, übergaben sie uns eine kleine Geldspende.
In dieser Freizeit hatte mich der Skivirus angesteckt. Um Skilauf auch außerhalb des Vereins wahrnehmen zu können, erarbeiteten 1984 sehbehinderte Mitglieder gemeinsam mit Brigitte Betz und mir ein Infoblatt. Es sollte den Zweck erfüllen, sehenden Skifahrern erste Informationen und Tipps zum Blindenskilauf (Sprache, Technik, Regeln und Hinweise) an die Hand zu geben. Innerhalb der Skiabteilung stehen im Rahmen von Skifreizeiten viele Skiinstruktoren mit Zusatzqualifikation "Blindenskilauf" zur Verfügung. Mittlerweile haben erwachsene Kinder von Instruktoren ebenfalls eine Instruktorausbildung abgeschlossen. Die Möglichkeiten und das soziale Miteinander im Verein gefielen mir. Deshalb engagierte ich mich in der Vorstandsarbeit und übernahm die Fahrtleitung von Skifreizeiten. Der Skisport führte mich nach Châtel und Lac de Tignes in Frankreich sowie nach Neukirchen am Großvenediger in Österreich, aber auch in den Schwarzwald. Dort fuhren wir am Feldberg am Ende einer kleinen geführten Langlauftour in freiem Gelände zum Erstaunen anderer Alpinskifahrer auf Langlaufski in großen Bogen eine Alpinskipiste hinunter, um zurück zum Parkplatz zu kommen. In den 1980er Jahren waren die Winter im hessischen Bergland noch relativ schneereich, um neben Sauerland und Vogelsberg auch die Lahnberge in Marburg unsicher zu machen.
Allerdings verbrachte ich meine Urlaubstage nicht nur mit Skifahren. Mit einer sehenden Vereinskameradin unternahm ich im Sommer schöne Gruppenreisen nach Spanien und Ungarn. Erhebliche gesundheitliche Probleme und Operationen an meinen Augen zwangen mich schließlich 1987, den Skisport wieder an den Nagel zu hängen, um meinen dahinschwindenden Sehrest nicht unnötig zu gefährden. Ich bin dankbar für die vielen wunderbaren Erlebnisse beim Skifahren in den Bergen, die Winterlandschaft beim Skilanglauf zu genießen und dort zu sein, wo kein Fußgänger unterwegs ist. Viele Kontakte im Skisport haben mein Leben bereichert und beeinflussen es bis heute. Der Deutsche Sportbund (DSB) hat 1994 der Judoabteilung und der Skiabteilung im PSV Blau-Gelb Marburg "für vorbildliche Maßnahmen im Sport mit Blinden und Sehbehinderten", insbesondere "für die hervorragende und vorbildliche Arbeit bei der Integration Blinder und Sehbehinderter in diese Sportarten", die Fritz Wildung Plakette verliehen. Darüber freue ich mich umso mehr, als ich seit 2009 der Skiabteilung vorstehen und deren Geschicke leiten darf (Skiabteilung im SF Blau-Gelb Marburg, Internet: skiabteilung-marburg.de). Unsere jetzt mehr als 320 Mitglieder, darunter 20 Sehbehinderte, brauchen keine UN-Behindertenrechtskonvention für die Inklusion. Wir leben sie äußerst erfolgreich seit 35 Jahren.
Quellen:
Skiabteilung im SF Bblau-Gelb Marburg: Protokollordner
Internet: http://www.unibw.de/hum/dfs/personen/prof/hansgeorgscherer: Prof. Dr. phil. habil. Hans-Georg Scherer, Biografie, 7. März 2015
Deutsche Blindenstudienanstalt e. V. Marburg: "Sport mit Blinden. Ein Weg zur Partnerschaft", o. Datum
Zur Autorin
Ursula Eckstein (Jahrgang 1952) ist Mitglied im DVBS. Als Sehbehinderte kam sie nach Marburg und blieb der Deutschen Blindenstudienanstalt 40 Jahre lang treu, zuerst als Schülerin, dann als Sekretärin, zuletzt auch als Mitglied im Betriebsrat. Seit vielen Jahren recherchiert sie aus familiären Gründen zur Luftfahrthistorie Darmstadts und schrieb in diesem Zusammenhang neben zahlreichen Veröffentlichungen vier Bücher: www.luftfahrtgeschichte-darmstadt.de. Daneben wirkt Ursula Eckstein in der Kommunalpolitik, setzt sich für barrierefreies Bauen in Marburg ein und engagiert sich ehrenamtlich im sportlichen Bereich.
Heute mal nicht im Rollstuhl?
Abenteuer Theaterspielen
Natürlich bin ich eitel. Leugnen hilft da nichts. Was tun mit dieser charakterlichen Schwäche? Für eine Modelkarriere habe ich nicht die Figur, fürs Singen kein Talent. Schon immer hat es mir Spaß gemacht, in andere Rollen zu schlüpfen. Als Knirps beim Kinderkarneval als Putzfrau, Clown oder Cowboy aufzutreten, bei Klassenfahrten am Abschlussabend Sketche aufzuführen. Bei irgendeiner dieser Gelegenheiten muss es mich wohl gepackt haben, das Bühnenfieber. Ich habe gemerkt, dass ich mit den Dingen, die ich da im Rampenlicht tue, anscheinend unterhaltsam bin. Das gefiel mir ziemlich gut. So war ich dann gleich von der Idee angetan, damals noch als blista-Schüler, in die von Karin Winkelsträter und Monika Saßmannshausen neu gegründete Theater-AG der blista einzusteigen. Viele Jahre habe ich, auch noch lange nach meinem Schulabschluss, dort Theater gespielt und endgültig Feuer für die Bühnenluft gefangen. Besonders hat mir in all den Jahren das Improvisieren, Szenen aus dem Stegreif zu entwickeln, Spaß gemacht. Spontanität, Kreativität und Konzentration waren die Dinge, die ich in diesen Jahren als wesentlichen Bestandteil des Theaterspielens kennen und schätzen gelernt habe.
Dennoch kam ich ins Grübeln, als ich im Jahr 2004 die Anfrage erhielt, ob ich mich an einem Theaterprojekt beteilige. Dabei handelte es sich um eine komplett improvisierte Theater-Seifenoper, die in einem Krankenhaus angesiedelt sein sollte. "Marburg Hope - Das Krankenhaus am Ufer der Lahn" war der Titel dieser Soap. Lediglich das Bühnenbild und die auftretenden Figuren und Rollen sollten feststehen, die pro Episode 45-minütige Handlung sollte frei und spontan, ohne Drehbuch und Textvorlage, auf die Bühne gebracht werden. Eine sehr reizvolle Aufgabe. Was mich jedoch zunächst verunsicherte, war die Tatsache, dass ich mich nun in ein Ensemble begeben würde, in dem außer mir niemand sonst mit einer Sehbehinderung oder gar Blindheit mit von der Partie war. Fürs Theaterspielen ist die nonverbale Kommunikation auf der Bühne für die sehenden Schauspieler ein wichtiges Element, um miteinander "zu spielen". Dieser Augenkontakt fiel bei mir weg, dazu noch das Drehbuch, mit Regieanweisungen (bei denen ich ja nachlesen kann, was gerade auf der Bühne passieren soll).
Dennoch reizte mich dieses Projekt so sehr, dass ich zu dem ersten Treffen ging.
Meine Rolle sollte die des Verwaltungsdirektors der Klinik, eines mit allen Wassern gewaschenen und haarscharf an der Skrupellosigkeit vorbeischrammenden Vorgesetzten sein. Da die Bühne in die verschiedenen Räume der Klinik aufgeteilt war, die lediglich durch unterschiedliche Lichtverhältnisse angedeutet wurden und der Umstand, dass bei improvisierten Geschichten Absprachen schwierig sind, brachte meinen Regisseur auf die im Nachhinein geniale Idee, mich in meiner Rolle in den Rollstuhl zu verfrachten. So war es kein Problem, immer nur in den Raum der Klinik zu rollen, in dem die nächste Szene spielte. Das war nämlich ebenfalls dem Zufall überlassen. Die Ecke der Bühne, die beleuchtet wurde, etwa das Patientenzimmer mit Krankenbett, war dann Spielort für die folgende Szene. Da ich dies, hinter dem Vorhang, aber auch im Rollstuhl, nicht eigenständig hätte händeln können, hatten wir den Einfall , ganz passend zur Rolle des Verwaltungschefs, mir eine Assistenz zur Seite zu stellen, die mich im Rollstuhl durch die Kulissen schiebt. Das hatte den charmanten Nebeneffekt, dass ich so, wenn ich hinter dem Vorhang auf einen möglichen Einsatz gewartet habe, mir alles, was auf der Bühne gerade geschieht und nicht verbal vermittelt wird, wie bei einer Audiodeskription beschrieben werden konnte. Wenn ich selbst auf der Bühne aktiv war, konnte mein Helfer mir manchmal etwas zuflüstern, damit ich die Dinge, die gerade passierten, besser einordnen konnte. Unsere Krankenhaus-Serie lief über acht Jahre lang in Marburger Theatern. Mehr als 300 Mal bin ich in die Rolle des cholerischen Verwaltungsdirektors geschlüpft. Viele der Zuschauer, die "Marburg Hope" besuchten, dachten, ich sei querschnittsgelähmt und waren ziemlich irritiert, wenn ich ihnen in der Stadt, statt mit einem Rollstuhl mit Blindenstock, über den Weg lief.
Diese beiden Tricks, mich in den Rollstuhl zu verfrachten und mir einen stummen Sidekick an die Seite zu stellen, waren genial. Alle im Ensemble stellten sich problemlos darauf ein, dass sie mit mir keine pantomimischen Scherze auf der Bühne treiben konnten. Manchmal kam es vor, dass ich eine Handlung auf der Bühne, die mir mein lebendiger Audiodeskriptor hinterm Vorhang beschrieb, auf der Bühne angekommen, falsch deutete. Aber dafür war es eben Improvisationstheater. Meine sehenden Kollegen deuteten auch gelegentlich Gesten anders, als sie vom Partner in der jeweiligen Szene gedacht waren.
Diese acht Jahre mit "Marburg Hope" waren die schönsten Erfahrungen, die spannendsten Abenteuer, die ich in meinem Bühnenleben bislang sammeln konnte. Sich immer wieder aufs Neue Geschichten auszudenken, sie gemeinsam mit anderen auf der Bühne live zu entwickeln, so dass sie möglichst noch Sinn, Spaß und Unterhaltung beim Publikum auslösen - das war eine unheimlich erfüllende Tätigkeit.
Vor ein paar Monaten, "Marburg Hope" war schon seit zwei Jahren im Orkus der abgesetzten Serien verschwunden, stieg ich in einen Stadtbus ein. Der Busfahrer sagte plötzlich: "Heute mal nicht im Rollstuhl?" Als niemand reagierte und ich mir dachte: "Was ist das denn für ein komischer Typ!", stellte er die Frage anders: "Spielen Sie kein Theater mehr?" Da begriff ich. "Ja, ich spiele wieder Theater", konnte ich ihm antworten. Seit "Marburg Hope" vorbei war, zog ich mich aus dem Theaterspielen etwas zurück. Bis, ja bis die nächste Anfrage kam, die mich reizte.
Die "Weihnachtsgeschichte" von Charles Dickens um den geizigen Unternehmer Ebenezer Scrooge sollte auf die Bühne gebracht werden. Ein monumentales Stück mit mehr als 25 Darstellerinnen und Darstellern. Meine Rolle sollte die des alten, seit sieben Jahren verstorbenen Compagnons von Scrooge, Jacob Marley, sein, der ihm die drei Weihnachtsgeister auf den Hals hetzt. 35 Minuten in der Maske, ein zerfetztes Kostüm, mit Mehl eingestäubt und eisernen Ketten behängt. So war ich noch nie auf eine Theaterbühne gegangen. Marley sollte Furcht einflößen, donnernd sprechen, Moral verkörpern.
Auch hier war ich der einzige blinde oder sehbehinderte Schauspieler, kannte aber schon einige Ensemblemitglieder aus meiner "Marburg Hope"-Zeit. Die Herausforderung bestand darin, so Respekt einflößend wie es die Rolle erforderte, auf die Bühne zu steigen und sie rückwärts wieder zu verlassen. Wieder ein Einfall, die Blindheit des Schauspielers nicht zu verstecken, aber sie für die Rolle sinnvoll einzusetzen.
Da meine Figur schon seit sieben Jahren tot war und Scrooge als Geist erschien, stützte sie sich auf einen Stock. Einen alten, vergammelten Blindenstock, den wir so mit Pappmaché einkleisterten, dass er als Langstock kaum noch zu erkennen war. Begleitet von einem dichten, wabernden Nebel, betrat ich, den Stock vor mir herschiebend, die Bühne über eine Treppe, konnte so den Standort meiner Figur, die sie für die Szene haben musste, dank eines Teppichs, gut wahrnehmen. Auch bei dieser Produktion, bei der viele meiner Schauspiel-Kolleginnen und -Kollegen noch keinen Kontakt zu Blinden oder Sehbehinderten hatten, war das nie ein großes Thema, alle halfen mir und überlegten gemeinsam, wie wir die Bühne und meinen Auftritt als Marley so gestalten konnten, dass ich eigenständig und der Rolle angemessen die Bühne betreten und wieder verlassen konnte.
Es war schön, nach fast dreijähriger Theaterpause wieder Lampenfieber zu spüren, die Bühnenluft zu schnuppern. So habe ich keine Sekunde gezögert, als die Frage kam, ob ich auch 2015 bei der "Weihnachtsgeschichte" von Dickens wieder mit dabei bin.
Dass ich bei den meisten Theaterproduktionen, egal ob bei der blista oder beim Marburger Verein "Theater Gegenstand", der sowohl "Marburg Hope" als auch die "Weihnachtsgeschichte" auf die Bühne brachte, eher die unsympathischen, cholerischen Rollen übernehme, hat mir, was die Persönlichkeitsentwicklung angeht, bislang noch nicht geschadet. Die leichte Charakterschwäche hatte ich eingangs ja schon eingeräumt. Die bösen Rollen sind ohnehin interessanter und werden vom Publikum besonders gemocht.
Natürlich bin ich eitel. Leugnen hilft da nichts.
Hörend Fußball erleben – kein Wunschtraum, sondern lange Realität
Es ist voll und eng. Es wird gesungen, gehüpft und der Moment genossen. Der 1. FC Köln hat seit langem noch einmal ein Heimspiel gewonnen. Viele Fans reisen gut gelaunt mit der Straßenbahn ab. Mittendrin: Nina Schweppe und Regina Hillmann. Die beiden fachsimpeln zwischen den angestimmten Jubelgesängen über die vergangenen 90 Fußballminuten. Die Torszenen, gelungene Spielzüge werden noch einmal diskutiert, die Leistung der einzelnen Spieler bewertet. Der ein oder andere umstehende Fußballfan wirft einen leicht verwunderten Seitenblick auf die beiden enthusiastischen Frauen. Aus den Gesichtern sind die Fragen abzulesen: Warum, bitte, diskutieren die so ausführlich über einzelne Spielszenen? Wieso können sie die Spielzüge so klar benennen? Nina Schweppe und Regina Hillmann nehmen diese Verwunderung nicht wahr. Sie können sie schlichtweg nicht sehen. Nina Schweppe ist blind, Regina Hillmann stark sehbehindert. Und da die beiden jeweils einen Blindenstock in den Händen halten, ist dies für die umstehenden Fußballfans in der Straßenbahn offensichtlich. Werden die reflexhaft aufkommenden Fragen, was blinde und sehbehinderte Personen im Fußballstadion machen und wie es sein kann, dass diese sich sogar besser an Spielszenen erinnern als sehende Fans, an die beiden gerichtet, freuen sich die Frauen. Denn es trifft in gewisser Weise einen Nerv. "Das spezielle Angebot für blinde und sehbehinderte Fußballfans gibt es in vielen Stadien schon sehr lange und doch ist es vielen immer noch nicht bekannt", fasst es Nina Schweppe zusammen. Schweppe und Hillmann wissen, wovon sie sprechen und reisen offensichtlich auch nicht zum ersten Mal nach einem Besuch im Fußballstadion mit der vollen Straßenbahn ab. Die beiden sind nicht nur privat begeisterte Fußballfans, sondern zeitgleich auch Vorsitzende des Fanclubs "Sehhunde", einem Fußball-Fanclub für Blinde und Sehbehinderte. Die beiden kennen sich in der deutschen Fußballlandschaft und mit dem speziellen Angebot für blinde und sehbehinderte Fußballfans aus. Doch von vorne.
Alles begann im Jahr 1990. "Damals haben wir uns gefragt, ob es möglich ist, ein Interview mit einer berühmten Person aus dem Fußball zu führen", blickt Regina Hillmann zurück. Und es klappte. "Wir führten zunächst ein Interview mit Christoph Daum, dann mit Jupp Heynckes", so Hillmann. Aus den ersten Interviews entwickelte sich die Idee, regelmäßig Informationen für Blinde und Sehbehinderte aus dem Fußballbereich zur Verfügung zu stellen. "So entstand der Fanclub "Sehhunde". Damals haben wir eine Zeitschrift mit dem Titel "Blickpunkt FC Bayern" veröffentlicht. Es gab also in den Anfängen einen konkreten Bezug zu einem Verein", erklärt Nina Schweppe. Doch dieser Bezug hielt nicht lange vor. "Mit wachsender Mitgliederzahl wuchs auch das Interesse an umfassenderen Informationen rund um den deutschen Fußball. Wir lösten die Bindung an den FC Bayern München auf unserer ersten Mitgliederversammlung im November 1994 auf", so Schweppe.
Der Fanclub "Sehhunde" ist auf den ersten Blick vielleicht nicht unbedingt der "spezielle Service", der blinden oder sehbehinderten Fußballfans hilft, wenn sie nicht nur im Fußballstadion anwesend sein, sondern auch vom Spielgeschehen etwas mitbekommen möchten. Und doch hat der Fanclub "Sehhunde" maßgeblich mit vorangetrieben, dass sich Blinde und Sehbehinderte heute in deutschen Stadien einen Kopfhörer aufsetzen können, eine Stimme sich kurze Zeit später im Ohr meldet und die Geschehnisse auf dem Rasen wiedergibt. Denn auf dem Jahrestreffen des Fanclubs im April 1999 in Leverkusen stellte der damalige Fußball-Abteilungsleiter von Bayer 04 Leverkusen, Kurt Vossen, beeindruckt von Impressionen in der englischen Premier League, seine Idee, Sitzplätze in der BayArena mit Kopfhörern auszustatten und einen gesonderten Spielreport zu installieren, vor. Für Vossen stand damals fest: Fußball ist für alle da. Die Idee stieß bei den Fanclubmitgliedern auf fruchtbaren Boden. "Damals wurde wirklich ein akustischer Ball ins Rollen gebracht", so Hillmann. Und Schweppe fährt fort: "Auf die Vorstellung der Idee folgten schnell Taten." Gemeinsam mit den Verantwortlichen in Leverkusen diskutierte der Fanclub eine ganze Reihe an Themen. "Angefangen bei der Erreichbarkeit solcher speziellen Plätze, über das Ticketing bis hin zu der alles entscheidenden Frage: Wer soll wie das Spielgeschehen für Blinde und Sehbehinderte reportieren?", blickt Schweppe auf die damaligen Diskussionen zurück. Am 15. Oktober 1999 war es schlussendlich ein Jugendtrainer, der das erste Spiel in Leverkusen für blinde und sehbehinderte Fußballfans reportierte. Die Wahl fiel nicht ohne Grund auf einen Jugendtrainer. "Jugendtrainer müssen in der Lage sein, Kindern anschaulich zu erklären, wie Fußball funktioniert. Kinder wollen keine unnötigen Informationen. Genauso ist es für Blinde und Sehbehinderte ebenfalls", erklärt Regina Hillmann und fährt fort: "Mich als sehbehinderten Fußballfan interessiert im Stadion nicht, welche Farbe die Fußballschuhe der Spieler haben. Ich möchte möglichst nah am Ball sein, eine möglichst detaillierte Schilderung der Situation erhalten. Es ist sehr wichtig, nah am Ball zu sein und nicht auf irrelevante Dinge abzuweichen." Dieses erste Spiel in Leverkusen, bei dem es einen speziellen Spielreport gab, versetzte blinde und sehbehinderte Fußballfans erstmals in die Situation, über Kopfhörer, nicht nur atmosphärisch, ein Fußballspiel zu erleben, sondern dank "sprechender Augen" wirklich am Geschehen teilhaben zu können. "Das Erlebnis, live im Stadion zu sein, ist einfach nicht mit dem, was man auf der Couch erlebt, vergleichbar", so Nina Schweppe. Und Regina Hillmann detailliert diese Aussage gerne: "Das ist sowohl atmosphärisch ein anderes Erlebnis, als auch von der Qualität der Spielreportage. Heute wissen wir, was eine gute Blindenreportage ausmacht und das ist de facto eine andere Form der Reportage als die Spielreportagen im Fernsehen oder auch im Radio, die sind einfach nicht detailliert genug für Fans, die nichts sehen können."
Dem Vorstoß von Bayer 04 Leverkusen, einen solchen speziellen Spielreport für Blinde und Sehbehinderte zu integrieren, folgten nach vielen Gesprächen und Diskussionen zahlreiche andere deutsche Vereine. Heute sind in fast allen Stadien der ersten und zweiten Liga entsprechende Angebote für Blinde und Sehbehinderte vorhanden. "Einen großen Schritt nach vorne hat uns die Fußballweltmeisterschaft 2006 hier in Deutschland gebracht", sagt Nina Schweppe und erklärt auch, wieso: "Wir sind im Vorfeld der WM an die Organisatoren herangetreten und haben versucht, die Blindenreportage auch im Rahmen der WM-Spiele im Stadion anbieten zu können." Dies war ein Novum und die FIFA stimmte auch erst nach einigem Zögern zu, das Angebot an die blinden und sehbehinderten Fans zu integrieren. "Wir hatten in diesem Kontext Sorge dafür zu tragen, dass die bereits bestehenden Projekte verbessert wurden. Dies bezieht sich sowohl auf die Erreichbarkeit der Plätze, als auch auf den Spielreport. Und in den WM-Stadien, bei denen es noch kein spezielles Angebot gab, wurden die notwendigen Dinge veranlasst", so Regina Hillmann. "Das waren damals sehr intensive Zeiten, denn es musste nicht nur die Technik zur Verfügung stehen, sondern auch die ausreichende Anzahl an Spielreportern. Doch die Bemühungen damals haben sich gelohnt", ist Nina Schweppe noch heute zufrieden. Und das nicht ohne Grund, denn der Service ist langfristig im Angebot geblieben und hat sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verbessert. "Die Plätze für Sehbehinderte und Blinde sind in den Stadien meist gut zu erreichen, eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln gemeinsam mit anderen Fans ist zusammen mit einer sehenden Begleitung fast immer ohne Probleme möglich und auch die Qualität der Blindenreportage, die übrigens in der Regel von Ehrenamtlichen ausgeführt wird, ist teilweise überragend", fasst es Schweppe zusammen. Vor allen Dingen ein guter Spielreport sorgt dafür, dass ein Fußballspiel auch für Blinde und Sehbehinderte zu einem richtigen Erlebnis wird. Damit die Qualität der Reportagen gut bleibt, gibt es nicht nur regelmäßige Reporterseminare in Kooperation mit der DFL, sondern insbesondere Nina Schweppe und Regina Hillmann geben nach jedem Report, den sie im Stadion hören, ein direktes Feedback. "Wir sind sehr viel in den deutschen Stadien unterwegs und hören so sehr viele unterschiedliche Reporter", sagt Regina Hillmann und fährt fort: "Uns ist wichtig, dass wir Gutes ansprechen, aber auch Verbesserungen anstoßen. Wir haben einfach viel dazugelernt über die Jahre, davon sollen andere blinde und sehbehinderte Fußballfans auch profitieren können."
Und auch, wenn der Service für Blinde und Sehbehinderte in vielen Fußballstadien mittlerweile angeboten wird, so sind die Vorsitzenden des Fanclubs "Sehhunde" natürlich nicht immer zufrieden. "Für viele, die in Fußballstadien sind, gehören wir Blinden und Sehbehinderten immer noch nicht zum gewöhnlichen Anblick dazu. Wir haben zwar kein Problem mit Rücksicht oder ähnlichem, aber es wäre schön, wenn wir genauso einfach dazugehören würden, wie Rollstuhlfahrer", äußern die beiden und ergänzen: "Auch viele Blinde und Sehbehinderte kennen dieses spezielle Angebot noch nicht. Man muss sich auch nicht extrem gut im Fußball auskennen, um ein solches Erlebnis im Stadion einfach einmal zu genießen. Das ist ein Erlebnis, das möglichst viele einfach einmal mitnehmen sollten. Wir wollen da gerne Hemmschwellen abbauen. Hörend im Stadion erlebt sich Fußball einfach noch einmal anders."
All diese Informationen erhalten die fragend blickenden Fußballfans in der Kölner Straßenbahn nach dem gewonnenen Heimspiel selbstverständlich nicht. "Aber jemand, der uns anspricht, bekommt immer gerne eine Antwort. Wir freuen uns über ehrliches Interesse und erklären gerne nicht nur das, was hinter einer Blindenreportage steht, sondern auch, was wir als Fanclub "Sehhunde" machen", freut sich Nina Schweppe über Rückfragen. "Und wir als Verein sind natürlich ständig an einer Weiterentwicklung interessiert, egal, ob es die Reportage oder auch beispielsweise eine barrierefreie Anfahrt betrifft. Weiterentwickeln können wir uns allerdings nur, wenn es Rückmeldungen und ein Mitwirken gibt. Von daher freuen wir uns nicht nur über Interesse von Sehenden, sondern vor allen Dingen über Rückmeldungen von Blinden und Sehbehinderten."
Wassersportkurse in Großenbrode für Menschen mit Behinderungen
Für gesunde Menschen ist Segeln, Surfen oder Kiten schon etwas ganz Besonderes. Für Menschen mit Behinderung erscheint all dies unerreichbar und unmöglich. Die Wassersportschule in Großenbrode (Schleswig-Holstein) zeigt, dass dies nicht zutreffend sein muss. "Jeder kann mit uns aufs Wasser", sagt Tobias Michelsen, Mitinhaber der Wassersportschule. "Wir vermitteln allen die Faszination und Freude an Wassersportarten. So wird aus kleinen Erfolgserlebnissen Selbstvertrauen und Lebenskraft. Wer einmal die Emotionen und Freude von Menschen mit Behinderungen beim Segeln erlebt hat, vergisst das nie. Eine größere Inspiration für mich gibt es nicht", so Michelsen. Man muss ihm nur in die Augen blicken und man merkt, wie viel ihm dieses Projekt bedeutet. Aber wie kam er auf die Idee? "Während meines Studiums in Florida hatte ich nach einem Surfausflug in einer mondlosen Nacht die Idee, Blinden das Windsurfen beizubringen. Begeisterte Aspiranten fand ich sofort an der Uni und aus ersten Versuchen wurden erfolgreiche Schulungen. Gleich am nächsten Tag traf ich mich mit drei blinden Studenten, die schon voller Vorfreude ganz gespannt darauf warteten, endlich auf einem Windsurfbrett über das Wasser zu gleiten. Aber vorher erst mal Theorie: Alle Kursteilnehmer bekamen sämtliche Einzelteile eines Windsurfers zum "Befühlen" in die Hände. So konnten sie sich ein "gedankliches" Bild von Mastfuß, zweiteiligem Mast, Gabelbaum und Segel machen. Innerhalb kürzester Zeit konnten alle das "Rigg" allein zusammenbauen. Danach standen Balanceübungen auf dem Windsurfbrett auf dem Lehrplan. Erst wurde das Brett befühlt und von vorn bis hinten abgetastet, dann sollten die Schüler auf dem Rasen auf die Surfbretter steigen und so an Land ein Gefühl für die Balance entwickeln. Dazu sollten sie versuchen, sich um die eigene Achse zu drehen, auf dem Brett in die Hocke und von vorn nach hinten zu gehen ohne abzusteigen."
Das Gleiche wurde dann mit den Brettern im knietiefen Wasser so lange wiederholt, bis sich alle an das kippelige Surfbrett gewöhnt hatten. Jetzt galt es, das Aufholen und die richtige Handhabung des Segels zu erlernen — natürlich auch erst einmal an Land. Jeder konnte sofort die Windrichtung bestimmen und verstand auch gleich die möglichen Kurse eines Segelbootes oder Windsurfbretts auf dem Wasser. "Es war faszinierend zu erleben, wie schnell Blinde nicht nur Knoten, sondern auch die Handhabung von Segel und Gabelbaum erlernten", sagt Tobias Michelsen. "Die ersten praktischen Fahrversuche verliefen unglaublich positiv. Nachdem alle genügend Zuversicht in ihre und meine Fähigkeiten entwickelt hatten, gelangen, auf einem ruhigen See, gleich die ersten Versuche und alle Schüler waren vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen. Natürlich gehört auch das Ins-Wasser-Fallen zum Windsurfen, aber alle vertrauten mir, dass ich immer in Reichweite war und ihnen nach einem Sturz ansagte, ob das Brett vor, hinter, rechts oder links von ihnen im Wasser schwamm. Mitzuerleben, wie Blinde diesen Sport erlernen, gehört für mich immer noch zu den schönsten und unvergesslichsten Momenten meines bisherigen Lebens." Michelsens Ziel: Die Liebe zum Wasser und zum Wassersport Menschen mit und ohne Behinderung vermitteln. Das hat ihn jetzt dazu gebracht, mit seinem Bruder Niko und seinem Freund Olaf Christoph das Wassersportzentrum in Großenbrode zu übernehmen. "Wir freuen uns darauf, unsere Begeisterung zu teilen und unser größtes Hobby zum Beruf zu machen", sagt Michelsen. "Dabei wollen wir diese Begeisterung Kindern, Familien und Älteren vermitteln." Vor allem will er Menschen mit Behinderungen oder Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen ansprechen und durch seine Aktionen, Projekte und Events Zuversicht, Lebensfreude und Erfolgserlebnisse bescheren. Jeder kann die eine oder andere Wassersportart erlernen.
"Natürlich gehört etwas Mut und Willen dazu, aber viel mehr Voraussetzungen müssen gar nicht erfüllt sein. Wir bieten Windsurfen, Kitesurfen, Segeln und andere Wassersportaktivitäten an. Dies kann im Rahmen von Wochenend- und Wochenkursen, Schulfahrten oder Tagesveranstaltungen sein. Es sind sowohl Angebote für Gruppen als auch für mehrere einzelne Interessierte möglich", erläutert der Wassersportler.
"Was es für einen Menschen mit Behinderung bedeutet, Wassersport ausüben zu können, sieht man z.B. an Nicolas Lanquetin", berichtet Tobias Michelsen. Der in Innsbruck lebende Nicolas war viele Jahre als Windsurflehrer auf Föhr. Dem Surfen und allem, was er damit verbindet - die Reisen, die Abenteuer - würde der heute 26-jährige Pädagogikstudent für immer verbunden bleiben, das wusste er. Doch dann der Schicksalsschlag: 2003 hatte er einen Snowboard-Unfall, durch den er querschnittsgelähmt ist. Viele Jahre hat es gedauert, aber mit Durchhaltevermögen und Unterstützung seiner Freunde kann er wieder das Glücksgefühl von Wasser und Wind hautnah beim Kitesurfen erleben. "Dieses einmalige Erfolgserlebnis wollen wir auch mit anderen teilen und dieses positive Erleben möglichst vielen Blinden und Menschen mit anderen Behinderungen ermöglichen", so Michelsen. Er und Nicolas kennen sich seit Jahren und Nicolas hat sogar versprochen, dass er das Wassersportzentrum besuchen und bei einigen Kursen mithelfen will. "Da werden wir mit der Kamera live dabei sein und eine Serie darüber produzieren", sagt Michelsen. "Zusammen mit meinem Freund, NDR-Moderator Yared Dibaba, Kristin Boese (neunfache Kitesurf-Weltmeisterin), Toby Braeuer (Airstyle-Kiteweltmeister) und Nicolas Lanquetin bringen wir unseren Protagonisten Surfen, Segeln, Paddeln und — wenn sie wollen — auch Kiten bei." Ein Querschnittsgelähmter bringt anderen Menschen mit Behinderung verschiedene Wassersportarten bei. Das gab es noch nie. Auch spezielle Wettbewerbe sind geplant und der sehende Moderator Yared Dibaba will versuchen, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Wassersport ohne Augenlicht zu erlernen ist. Er hat vor, verschiedene Wassersportarten mit verbundenen Augen zu testen. "Damit wollen wir auch dazu beitragen, Behindertensegeln wieder zu einer Olympischen Disziplin zu machen, denn das IOC hat Segeln gerade aus den Paralympics gestrichen. Unsere Projekte unterstützen die weltweite Kampagne, es wieder zu integrieren. Zusätzlich möchten wir noch die Lübecker Kampagne "Gemeinsam Segel setzen" unterstützen und zeigen, wir sind dabei."
Zum Autor
Tobias Michelsen, Jahrgang 1962, studierte in Florida mit Bachelorabschluss in Medienproduktion. 1998 gründete er seine eigene TV-Produktionsfirma. Sein jetziger Traum ist es, durch einen selbst produzierten Dokumentarfilm die Eignung und therapeutische Wirkung von Wassersport auf Menschen mit Behinderungen zu zeigen. Er möchte mehr Menschen dieses Thema nahebringen und die Möglichkeit dazu anbieten. Als Kind begeisterter Segler wurde ihm die Liebe zum Meer schon in die Wiege gelegt: Er segelte und begann als Jugendlicher mit dem Surfen, später mit dem Kitesurfen. Jetzt hat Tobias Michelsen das Wassersportzentrum in Großenbrode übernommen. Er freut sich sehr darauf, die Begeisterung am Wassersport mit anderen teilen zu können und sein größtes Hobby zum Beruf zu machen. Dabei möchte er dieses Wissen vor allem speziell Behinderten, Blinden oder Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen vermitteln.
Momente für die Schatztruhe
Mit dem Reisen ohne Augenlicht ist es wie mit dem vegetarischen oder veganen Essen: Konzentriert man sich auf den Verzicht und zählt beharrlich all das auf, was diesen Personen entgeht, wird man sich kaum dafür begeistern können. Hat man aber erst einmal den Gedanken gedacht, dass Vegetarier nicht einfach nur vieles Köstliche von ihrem Speiseplan streichen, sondern stattdessen andere Zutaten wiederentdecken, sie zu neuen Gaumenfreuden zusammenstellen und so Mahlzeiten kreieren, die für sich genommen vollständig, köstlich und nahrhaft sind, dann kann man anfangen, darauf neugierig und gespannt zu sein.
Im zarten Alter von sieben Jahren erlebte ich während eines Familienurlaubs ein nächtliches Gewitter in einem österreichischen Tal. Donner von ungeahnter Heftigkeit prallten an den Bergen ab und holten mich aus dem Tiefschlaf. Keine Spur von Schreck oder gar Angst, stattdessen erfasste mich eine nie gekannte Euphorie. Welch eine Naturgewalt!
Als ich längst erwachsen war, brachte es das Chaos bei der Organisation eines Auslandspraktikums mit sich, dass ich völlig unverhofft und ohne jede Ahnung, wer oder was mich am Zielort erwarten würde, nach Dublin flog, statt wie angenommen in Brüssel zu bleiben. Da war sie wieder, jene Euphorie entgegen jeder Vernunft. Innerhalb kürzester Zeit würde ich die Welt wechseln, in Dublin landen - was kümmerte mich da die Ungewissheit, was ich dort tun sollte und wo ich übernachten würde!
Es ist eine Frage der Persönlichkeit und hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Vorhandensein oder Fehlen einer Behinderung zu tun. Etliche Menschen ohne Behinderung entscheiden für sich, dass allein mit dem Zug reisen schon zu aufregend ist.
In Österreich und Irland haben freundliche Museumsmitarbeiter Alarmanlagen für mich lahmgelegt, damit ich wertvolle Möbel und Kunstgegenstände berühren konnte. Ebenfalls in Irland hat ein Pfarrer aus seiner Begeisterung für die "außergewöhnliche Touristin" heraus mal schnell seine Organistin angerufen. Sie kam bereitwillig in die Kirche, um eigens für mich die Orgel zu spielen, damit ich die für mich ja sicherlich besonders wichtige Akustik der Kirche erleben konnte.
In Brasilien krabbelte ich mit einer Mitarbeiterin auf dem staubigen Dachboden eines vogelkundlichen Museums herum, wo sie mir eifrig alle Tiere vom Tukan bis zum irgendwie dorthin verirrten Wasserschwein zeigte, die noch nicht in die Ausstellung eingearbeitet waren. Diese und viele weitere Erlebnisse sind unvergesslich, weil sie spontan stattfanden, weil ich vorher nicht wusste, was mich erwartete, und weil ein einzigartiger Kontakt zu den Menschen in jenen Museen oder in jener kleinen Kirche entstand.
Die meisten Menschen sind es nicht gewohnt, dass blinde Reisende unangemeldet irgendwo auftauchen, noch dazu allein. Ich stelle fest, dass ich dies in meinem eigenen Land auch bisher so gut wie nie getan habe. Zu sehr habe ich selbst verinnerlicht, dass in Deutschland alles nur nach vorheriger Absprache und Anmeldung funktioniert und nur mit solchen Personen, die bereits mit blinden Menschen "konfrontiert" wurden.
Ich erinnere mich gar, in Irland einigermaßen verwirrt gewesen zu sein, weil ich mit zahllosen Einheimischen in Pubs oder bei Straßenfesten, im Singers Club oder vor einem Rockkonzert locker ins Gespräch kam und es allzu oft überhaupt nicht um meine Behinderung ging. Wollten die denn gar nichts über Brailleschrift oder Augenkrankheiten wissen? Wollten sie nicht, sie wollten mich kennen lernen und mir den Aufenthalt in ihrem Land angenehm gestalten. Ob sie mich nun nett, interessant oder nervig fanden, sie sahen eine ganze Person.
Diese war wohl die wichtigste Premiere nach dem Gewürzmuseum in Spanien, in dem man mir ohne großes Brimborium und Hinweise auf soziales Engagement eine Broschüre in Punktschrift in die Hand drückte - so war ich 28 Jahre alt, als ich mich zum ersten Mal wie eine ganz normale Touristin fühlte.
Im Jahr darauf traf ich in Stockholm auf den ersten sprechenden Geldautomaten und begann allmählich die Idee der Selbstbestimmung und der tatsächlichen Gleichberechtigung zu verstehen. Barrierefreiheit war zu der Zeit noch nicht in aller Munde. Seit sie es ist, finde ich mich unter denjenigen, die mehr wollen als Zugänglichkeit. Für alle anderen spielt ein angenehmes Ambiente, ein herrliches Panorama, eine ansprechende Präsentation eine Rolle - für mich müssen die Dinge lediglich erreichbar und benutzbar sein? Nein. Ich suche nach dem Besonderen oder dem Ortstypischen aus meiner Sicht.
Ein Flugzeug auf der Startbahn. Es rollt an, nimmt Fahrt auf. Unter mir vibriert der Boden, das Grollen der Maschine geht mir durch Mark und Bein, immer lauter, immer drängender. Im nächsten Augenblick wird sie mich erfassen, mich überrollen.
Tatsächlich spielen meine Füße in feinem, nassem Sand. Ich stehe im warmen Atlantikwasser von Rio de Janeiro und plaudere fröhlich mit einer Anwohnerin, während am verblüffend nahe gelegenen Flughafen die Inlandflüge nach São Paulo und Brasília zeitweilig im Minutentakt starten und landen. Es ist für mich unbeschreiblich elektrisierend, zwei scheinbar völlig widersprüchliche Erlebnisse gleichzeitig zu empfinden. Bisher hatte ich entweder im Meer gebadet oder ein Flugzeug bestiegen. Mein Verstand möchte, dass ich mich von dem Fluglärm gestört fühle, ja entsetzt darüber bin, wie nahe die Großstadt dem Strand kommt. Aber hatte ich nicht schon so viel darüber gelesen, dass gerade das einen Großteil der Faszination ausmacht, die Rio de Janeiro auf seine Besucher und Bewohner ausübt? Egal - mein Verstand hat Pause. Ich genieße diese Momente, die bislang unvorstellbar waren und deshalb völlig einzigartig und intensiv sind. Nur ich allein erlebe sie so. Für die Menschen um mich her sind sie Alltag. Sie jubeln nicht ununterbrochen innerlich, weil sie endlich in Rio angekommen sind, sie schauen nicht den Flugzeugen nach. Und wenn sie es täten, würden sie nicht wie ich zeitgleich das Wasser auf ihrer Haut spüren, vermischt mit dem herangrollenden Flugzeug, das aus irgendeinem Grund in meinen Ohren nicht als Lärm ankommt.
Warum allein? Ich kann es auch genießen, zweisam zu reisen, Erlebnisse zu teilen und ohne Hindernislauf an ein Ziel zu kommen. Doch nur allein kann ich ganz in meinem Tempo reisen; von außen betrachtet sicher oft ein Schneckentempo, denn da sind Bäume, bei denen ich länger verweile, Hauswände mit besonderen Kacheln, die ich ausführlich mit den Händen betrachte, Wege, die ich finde, ohne sie zu suchen, und ganz besonders die vielen, vielen Gespräche mit Menschen, die ich nur treffen kann, wenn ich allein unterwegs bin.
Ein pulsierendes Stadtzentrum, eine Oase der Stille im Wald, oder einen dicht bevölkerten Stadtpark - das alles erlebt man allein anders als zu zweit und auf die eigene Wahrnehmung gestützt anders als mit einem sehenden Mitreisenden. Beide Arten zu reisen sind schön, und ich möchte keine davon missen.
Die halbe Welt fragt sich, weshalb blinde Menschen überhaupt verreisen. Da stecke ich doch lieber meinen Stock in den Sand neben mein Handtuch und stürze mich auf ein wohltuendes Bad in den Atlantik. Das Treiben am Strand behalte ich im Ohr. Und irgendein netter Mensch wird mir dann schon zeigen, wo ein weißer Stock im Sand steckt. Auf diese Weise lerne ich Roland aus Dortmund kennen und Dolores aus Madrid, beide auf der Flucht vor der drückenden Großstadthitze.
Das erste Mal stellte mir eine Touristin aus Hamburg ausgerechnet in Kenia jene erstaunliche Frage nach dem Warum. Kurz zuvor hatte mir eine junge Kenianerin ein kleines Stück ihrer Lebensgeschichte geschenkt, während sie mir mit unendlicher Geduld und Geschick zahllose kleine Zöpfe flocht und Perlen ins Haar steckte. Völlig perplex wusste ich damals keine Antwort für die Hamburgerin, und auch 25 Jahre später tue ich mich schwer damit. Kann man etwa tropisches Klima nur sehen? Stehen vielleicht an der Außenalster Kokospalmen, auf die regelmäßig ein geschickter junger Mann hinaufklettert, um die reifen Früchte zu ernten, damit sie den Touristen nicht auf den Kopf fallen? Man meint bei jeder Nuss, die auf den Strand fällt, es bräche ein Erdbeben los.
Die völlig andere Mentalität der Menschen, der Geschmack frischer Tropenfrüchte, die Leichtigkeit in der kenianischen Musik, der Indische Ozean, die Luft, die durchweg andersartige Sicht auf die Welt und das Leben, der betörend schöne Duft der Oleanderblüten ... ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, die Frage zu beantworten, weshalb ich reise, wo ich doch nichts sehe.
Viele Jahre später, mit Führhund und Fußgängernavi ausgestattet, entdecke ich, dass auch die Außenalster durchaus ihren Reiz hat mit ihren zahllosen Joggern, mit denen man als Hundehalter friedlich zusammenleben kann, mit ihren plaudernden Spaziergängern, mit ihren Wegen, die für mich leicht zu finden sind, mit ihren Einkehrmöglichkeiten und vor allem einer alten Kastanie, die ich dort als Ruhepunkt für mich entdeckt habe. Ein Vergleich mit Kenia will einfach nicht gelingen, ganz gleich mit welchem Sinn.
Du reist manchmal allein? Da hast du ja sicher einen außergewöhnlich guten Orientierungssinn! Was soll ich sagen - ich packe auch nicht gern Koffer, bloß weil ich gern reise. Praktisch wäre das schon. Die Wirklichkeit sieht so aus: Man drehe mich einmal im Kreis und ich fühle mich, als hätte man mich in der Wüste ausgesetzt. Schon deshalb wird jede Reise zu einem Abenteuer. Was ich kann, ist auswendig lernen, durchfragen und - vielleicht das Wichtigste - dem Leben vertrauen, dass es mir immer wieder freundliche Menschen und glückliche Zufälle vorbeischicken wird. Mein Grundsatz lautet: Ich reise überall allein hin, wo ich mich unterhalten kann.
Wo bin ich schon wirklich allein? Im Fußballstadion Beira-Rio in Porto Alegre - seit der letzten Weltmeisterschaft auch in Deutschland ein Begriff — sind noch 50.000 andere, die mit mir ein magisches Gemeinschaftserlebnis teilen. Wie könnte ich mir da Sorgen machen, ob ich nach dem Spiel den Ausgang finde!
Manchmal ist es herrlich zu wissen, dass ich bei Bedarf eine Begleitung buchen, einer Wanderführerin sorglos hinterherlaufen oder mich in einem barrierefreien Hotel bewegen kann, in dem das Personal auf meine spezifischen Bedürfnisse vorbereitet ist. Doch all diese Annehmlichkeiten sind mir gerade deshalb ein Genuss, weil ich durch sie neue Kraft tanken kann für das nächste Wagnis, die nächste Reise ins Ungewisse, denn natürlich lauern im Ungewissen auch Frust und Enttäuschung. Sich im Wald bei Regen gründlich zu verlaufen, verliert nach einer Weile an Unterhaltungswert. Es ist frustrierend, viele Informationen nicht zu bekommen, die sich anderen auf Plakaten im Vorübergehen mitteilen. Es schmerzt, wenn Menschen den Kontakt zu mir vermeiden, um mich nicht "mitschleifen" zu müssen. Es kostet Nerven, ein so ungeheuer hilfreiches Wesen wie einen Führhund an meiner Seite zu haben und dann von Taxifahrern oder Restaurantleitern abgewiesen zu werden. Keine Frage: Oasen der Erholung sind Gold wert. Doch nur weil ich sie immer wieder verlassen habe, konnte ich mir Wünsche und Träume erfüllen. Es hat sich gelohnt - für die wilden Wölfe, die mir in Portugal beinahe direkt ins Ohr heulten, für die Klippen von Moher, wo ich meiner Höhenangst zum Trotz auf dem Bauch bis an den Rand kroch und in die Tiefe lauschte, für ein Sambafestival, bei dem ich trommelnd in der Menge badete, obgleich man mir vorher nahegelegt hatte, nicht mitzufahren, da man auf mich achten müsse wie auf ein dreijähriges Kind. Dabei ist mir vollkommen gleich, wo ich gerade bin, wenn um mich her und durch mich durch die Sambarhythmen pulsieren.
Übrigens lässt es sich in Irland oder Brasilien ganz wunderbar mit Worten und unverbindlichen Berührungen flirten - das kann ich garantiert nur berichten, weil ich allein gereist bin.
Zur Autorin
Mirien Carvalho Rodrigues ist freiberufliche Dolmetscherin und Übersetzerin. In Brasilien begann sie außerdem ihre Arbeit als Beraterin für barrierefreien Service im Tourismus. Zudem ist sie Autorin zahlreicher Blitzlichter, kurzen Texten mit Momentaufnahmen aus verschiedenen brasilianischen Lebenswelten, die auf www.ohrfunk.de gesendet werden.
Bildung und Forschung
Wirtschaft nach Plan
Mitte Januar fand an der blista in Kooperation mit der Sparkasse Marburg-Biedenkopf das computergestützte Unternehmensplanspiel WIWAG statt. Teilnehmer waren die Auszubildenden des 2. Ausbildungsjahres der Sparkasse und der IT-Ausbildung der blista sowie die 11. Klasse des beruflichen Gymnasiums der blista, der ich angehöre. Organisiert und geleitet wurde das Ganze von Petra Dürrschmidt und Christian Hinrichs, zwei Lehrern der blista. Während des Planspiels schlüpften wir mit bis zu sieben anderen Mitspielern und Mitspielerinnen in die Rolle einer Geschäftsleitung, um das eigene Unternehmen möglichst erfolgreich zu den anvisierten Zielen zu führen.
Zu Beginn war ich sehr skeptisch. Ich war einer der Jüngsten im Planspiel. Darüber hinaus waren die meisten Teilnehmer Auszubildende der Sparkasse, was sich später aber als sehr positive Erfahrung herausstellen sollte. Zu Anfang saßen wir alle in unserem Gruppenarbeitsraum und hatten vor allem eines gemeinsam: Wir hatten keine Ahnung, was zu tun ist, um unser Unternehmen erfolgreich zu leiten. Nachdem die "formalen" Dinge wie Vorstellungsrunde und Festlegung des Produktes, welches wir verkaufen wollten, geklärt waren und wir uns in unserer Gruppe dafür entschieden hatten, welchen Namen unser Unternehmen tragen sollte, ging es um die erste wichtige Entscheidung in unserem Unternehmen: Wer macht eigentlich was?
Schlussendlich hatten wir zwar alle unseren eigenen Verantwortungs- und Aufgabenbereich, haben aber ständig untereinander kommunizieren müssen, um uns auf eine Strategie zu einigen und unsere Entscheidungen aufeinander abzustimmen.
Rasch ging es dann am ersten Tag weiter mit den Entscheidungen für das erste von vier Geschäftsjahren, das wir spielten: Welchen Preis verlangen? Weitere Maschinen kaufen? Mitarbeiter entlassen? Wie viel für Werbung ausgeben? Natürlich entbrannten da hin und wieder hitzige Diskussionen. Die Personalabteilung wollte höhere Löhne, die Marketingabteilung ein höheres Werbebudget durchsetzen. Der Pressesprecher wollte unbedingt gute Nachrichten für die Aktionäre und der Leiter Finanzen wollte raus aus den Schulden — und ich als Geschäftsführer, was wollte eigentlich ich? Ich habe schnell gemerkt, ich habe ein Hauptziel: in jedem Jahr für jede Entscheidung einen Kompromiss finden. Für mich war es wichtig, das Team auf unsere Strategie zu fokussieren und auch mal in Kauf zu nehmen, dass eine Abteilung unzufrieden ist, damit man am nächsten Tag mit schwarzen Zahlen dasteht.
Neben all den Entscheidungen, die jeden Tag getroffen werden mussten — pro Tag wurde jeweils ein Geschäftsjahr gespielt — gab es auch Vorträge zu den Themen Finanzierung, Marketing und Pressearbeit. Auch ein Marketingcontest wurde ausgerichtet, bei dem die Gewinner eine Million Euro überreicht bekamen, virtuell, versteht sich. Die Siegerprämie, die man für Investitionen nutzen konnte, wollte natürlich jede Gruppe ihr Eigen nennen. Da alle Unternehmen dasselbe Produkt verkauften — einen Elektroschocker, — waren die Werbeaktionen, die sich die Gruppen ausgedacht hatten, meistens sehr unterhaltsam. Vom irrwitzigen, beatboxenden Sicherheitsmann, der über seine Erfahrungen berichtet, über den traurigen Radiospot, der zum Nachdenken anregen soll, bis hin zum Trailer ganz im Sinne von "Mission Impossible".
Am Freitag waren wir in der Hauptgeschäftsstelle der Sparkasse Marburg-Biedenkopf zu Gast. Jedes Unternehmen musste eine Bilanzpressekonferenz vor seinen Aktionären und der anwesenden Presse abhalten. Natürlich hatten wir am Vortag Zeit, um diese Pressekonferenz vorzubereiten. Dazu gehörte auch ein Vortrag zum Thema Pressekonferenz durch die Marketingabteilung der Sparkasse. Am Freitag musste meine Gruppe als erste die Entwicklung ihres Unternehmens im Laufe der letzten Jahre präsentieren. Mit acht Personen saßen wir nebeneinander vor ca. 50 Zuhörern, zu denen auch der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Marburg-Biedenkopf und die stellvertretende Direktorin der blista gehörten. Als Geschäftsführer hatte ich am meisten zu reden. Ich war noch nie vor einem Referat aufgeregt, aber da war ich richtig nervös. Letzten Endes haben wir die Präsentation aber gut gemeistert. Wir konnten unsere schlechten Zahlen kaschieren und die guten hervorheben.
Zum Schluss gilt es, noch eines zu erwähnen: Ich glaube, das war bisher die spannendste Woche, die ich an der blista erlebt habe. Es hat großen Spaß gemacht, gemeinsam mit den Auszubildenden der Sparkasse ein Unternehmen zu führen. Sie haben sich Zeit genommen, um mir Dinge zu erklären, die ich im Unterricht noch nicht durchgenommen hatte. Vielleicht war das sogar die beste Inklusionserfahrung, die ich an der blista je erlebt habe. Auf der anderen Seite habe ich aber auch viele Anregungen zum Nachdenken mitgenommen. Natürlich war das Planspiel nur eine Simulation, aber eine sehr realistische. Ich gehe zurzeit sehr oft an Läden vorbei, die Hosen für neun Euro anbieten, und frage mich immer und immer wieder, wie das funktionieren kann. Auf der anderen Seite fand ich es auch erschreckend, wie schnell Menschen zu einer lästigen Kostenstelle werden. Ein paar Mitarbeiter zu entlassen, bedeutete sehr schnell 200.000 Euro mehr Reingewinn.
Zum Autor
Florian Poetsch ist Schüler der BG 11 an der Carl-Strehl-Schule.
horus-Zeitreisen
horus-Zeitreisen
Diesmal entführen uns die horus-Zeitreisen in die 1920er Jahre, auch wenn beide Artikel, aus denen hier Ausschnitte folgen, kaum aktueller sein könnten. Zunächst stellt Dr. Friedrich Mittelsten Scheid die Frage nach der Berechtigung einer höheren Schule für blinde Menschen, und im Anschluss beschäftigt sich Dr. Dr. Rudolf Kraemer anhand von Schulaufsätzen mit dem Bild, das sich junge Mädchen von blinden Menschen machen.
Friedrich Mittelsten Scheid war bis ins hohe Alter Lehrer an der blista für Mathematik und Philosophie. Er gehörte auch lange Jahre dem Vorstand des VBGD (dem Vorläufer des DVBS) an. Rudolf Kraemer war Justitiar des Deutschen Blindenverbandes.
Die Aufbauschule für Blinde. Referat, gehalten am 6.8.24 auf dem 1. Deutschen Blindenwohlfahrtskongreß (16. Blindenlehrerkongreß) zu Stuttgart von Dr. F. Mittelsten Scheid, Marburg.
In: Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1925, H. 4, S. 143-155 (nur in Punktschrift)
… Der Gedanke, durch vertiefte Bildung dem Blinden einen Ersatz zu geben für vieles, was ihm fehlt, ist nicht neu; ja, ich möchte sagen, er ist einer der bewährtesten Grundsätze unserer gesamten Blindenbildung geworden. … - Eine gute Elementarbildung zu vermitteln, das betrachten die deutschen Blindenanstalten mit Recht als ihre wichtigste Unterrichtsaufgabe. Ja, einzelne Anstalten gingen auf bestimmten Gebieten über dieses Ziel hinaus. Gegen eine spezifisch höhere Blindenbildung dagegen wurden gerade aus den Kreisen der Blindenpädagogen ernste Bedenken geltend gemacht. …
… Von Seiten der Gegner einer höheren Blindenbildung ist geäußert worden, es würde gar zu oft nur eine kurze Freude sein, die einer langwährenden Bitterkeit Platz mache, sobald die erworbenen Geistesschätze nicht auch wirtschaftlich und gesellschaftlich voll ausgewertet werden könnten; und da man dessen bei dem Blinden nicht gewiß sei, so solle die höhere Bildung lieber ganz unterbleiben. Demgegenüber behaupte ich einmal: Echte, lebendige Bildung trägt ihren Eigenwert in sich, ganz unabhängig von aller praktischen Auswertung. Sie setzt ihren Träger in so innigen Kontakt mit der Welt um ihn, daß er aus ihr stets neuen Stoff für sein geistiges Wachstum herausholen und schon dadurch Freude und Befriedigung finden kann.
Anderseits erhebe ich die Forderung einer besseren Bildung begabter Blinder gerade im Hinblick auf eine Erhöhung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Straffe geistige Schulung steigert die Leistungsfähigkeit auf jedem Gebiete. Die dadurch erworbene erhöhte geistige Beweglichkeit und Konzentrationsfähigkeit ermöglichen eine ganz andere geistige Durchdringung eines jeden Arbeitsgebietes. Einzig diese geistige Durchdringung aber befähigt zu der sorgfältigen Organisation der Arbeit, die für jeden erwerbstätigen Blinden eine gebieterische Notwendigkeit ist, will er die in seinem Gebrechen begründeten Schwierigkeiten so weit wie möglich überwinden.
… Von Blindenberufen, die auch bei der heutigen Wirtschaftslage noch eine Zukunft haben, erwähne ich den kaufmännischen Beruf, der Sprachkenntnis und Einsicht in Volkswirtschaftsfragen erwünscht sein läßt, den Beruf des Musikers, dem eine allgemeine geisteswissenschaftliche Schulung nur zum Vorteil gereichen kann, und den Beruf des Masseurs, der einer gründlichen naturwissenschaftlichen Bildung nicht entraten darf, wenn wirklich höheren Anforderungen entsprochen werden soll. Daß den begabtesten Blinden auch der Weg zu den höchsten Bildungsmöglichkeiten der Nation, dem Hochschulstudium, offenstehen sollte, bedarf wohl kaum der Begründung.
Auf welchem Wege soll diese Forderung einer höheren Blindenbildung nun verwirklicht werden? Ist es zweckmäßig, alle Blinden, die eine höhere Bildung erstreben, entsprechenden Schulen der Sehenden zuzuführen, oder ist eine besondere höhere Blindenschule zu fordern? Gewichtige Gründe sprechen für den ersten Weg. Der Blinde, der unter Sehenden wirken will, muß lernen, sich in die Welt der Sehenden einzufühlen und sich in ihr sicher zu bewegen. Das wird ihm leichter, wenn er schon in den Jahren der Entwicklung unter Sehenden lebt und sich auch sein Wissen gemeinsam mit ihnen erarbeitet. Zudem wird ein auf einer Normalschule erworbenes Wissen vom Sehenden eher für voll bewertet. Daraus ergibt sich die Forderung: Wo es ohne allzu große Schwierigkeiten angeht, bringe man den Blinden schon in der Ausbildungszeit unter Sehende. Aber man hüte sich auch vor einer Überspannung dieser Forderung. Gerade wir blinden Akademiker, die wir unsere Schulbildung ausschließlich unter Sehenden erhalten haben, wissen, was dem entgegensteht. Schon die Unterbringung blinder Schüler in Normalschulen stößt auf begreifliche Widerstände, da diese Schulen eine Hemmung des Unterrichtes, bzw. eine Mehrbelastung ihrer Lehrkräfte befürchten. Wird aber von vornherein vereinbart, daß keinerlei Rücksicht auf den blinden Schüler geübt werden soll, so hat dieser gewaltige, zwar nicht in der Sache, aber in der Unterrichtsmethode begründete Schwierigkeiten zu überwinden. Es sei z.B. daran erinnert, wie ausschließlich der normale Mathematikunterricht sich des Gesichtssinnes bedient. Die Überwindung dieser Schwierigkeiten ist zwar, wie ich aus Erfahrung weiß, nicht unmöglich; aber sie kostet einen Aufwand an Nervenkraft, wie er gerade in den Jahren der Entwicklung nicht unbedenklich ist. Dazu kommen die großen Kosten. Bei der ungeheuren Mannigfaltigkeit von Lehr- und Lektürbüchern, die an den Normalschulen Verwendung finden, wird sich die Punktdrucklegung eines bestimmten Schulbuches niemals lohnen, wenn die blinden Schüler auf die verschiedenen Anstalten verteilt sind. Welche Eltern sind aber heute noch in der Lage, alle erforderlichen Schulbücher handschriftlich übertragen zu lassen? Greift aber eine Blindenbücherei helfend ein, so werden dadurch zugunsten eines Einzelnen der Allgemeinheit Hilfsmittel entzogen, was sich bei den verfügbaren Mitteln kaum rechtfertigen läßt. Wir werden uns also, wenigstens für den Fall der höheren Allgemeinbildung, für eine besondere Blindenschule entscheiden müssen. Sie wird ihrem gesamten Lehrgang Bücher zugrunde legen, die in Punktdruck hergestellt, und daher verhältnismäßig billig zu beschaffen sind, während sich die Unterrichtsmethode sowohl technisch wie psychologisch ganz auf die blindheitsbedingten Eigenheiten der Schüler einstellt. Gleichzeitig gilt es dann freilich, den Gefahren möglichst entgegenzuarbeiten, die die Absonderung mit sich bringt. Diese muß dazu auf ein möglichst geringes Maß beschränkt werden. So wäre es durchaus denkbar - wie ja schon Herr Dr. Strehl in seinem Referat (s. Beiträge Nr. 2 und 3 Jrg. 1925) betont hat -, daß z.B. der Religions- und Geschichtsunterricht Blinden und Sehenden gemeinsam erteilt würde. Ferner wird den Blindgeborenen schon dadurch die Vorstellungs- und Denkweise der Sehenden nahegebracht, daß sich unter den Schülern voraussichtlich immer eine Anzahl von Späterblindeten befinden wird, die sich noch in der Welt der Sehenden heimisch fühlen. Ein derartiges Zusammenarbeiten von Blindgeborenen und Späterblindeten kann bei genügender pädagogischer Geschicklichkeit des Lehrers für beide Kategorien äußerst fruchtbar sein. Außerdem ist es dringend erwünscht, daß die blinden Schüler wenigstens außerhalb des Unterrichts unter Sehenden leben. Da es sich meist um junge Leute handelt, die auch außerhalb der Schulstunden noch einer erzieherischen Beeinflussung bedürfen, so empfiehlt sich die Unterbringung in gebildeten Familien, möglichst mit gleichstrebenden Altersgenossen.
Nachdem so die Notwendigkeit einer höheren Blindenschule dargetan ist, wäre nun ihr "Aufgabenkreis" näher zu umgrenzen. Ihr nicht ausschließliches, aber oberstes Ziel wird es sein, den Anschluß an das akademische Studium zu ermöglichen. Demgemäß paßt sich ihr Lehrstoff in den "Oberklassen" vollständig demjenigen der Normalschule an; hinter ihr darf die Schule in ihren Leistungen qualitativ nicht zurückstehen. Besonders empfehlenswert wird im allgemeinen der Typ des neusprachlichen Gymnasiums (früher Realgymnasium) sein. Schon aus praktischen Gründen werden die meisten Blinden die Beschäftigung mit den Sprachen derjenigen mit den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern vorziehen. Und unter den Sprachen wieder werden die neueren bevorzugt. Zugleich ermöglicht dieser Schultyp am ehesten den Übergang zu einem andern, falls sich während der Ausbildung eine spezielle Begabung herausstellt. Derartigen Sonderbegabungen muß die Schule dann auch durch Einrichtung besonderer Kurse Rechnung tragen. Eine weitgehende Anpassung an die Sonderbedürfnisse muß auch schon in der Mittelstufe stattfinden; denn diese vereinigt mit jenen Schülern, die ein Abiturientenexamen machen wollen, diejenigen, die für einen nichtakademischen Beruf eine erweiterte Allgemeinbildung erwerben wollen. Zugleich kann der speziellen Berufsausbildung schon durch Sonderkurse vorgearbeitet werden. …
Wie sehende Schülerinnen über das Blindsein denken Von Dr. Dr. R. Kraemer, Heidelberg
In: Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1929, H. 12, S. 580-584 (nur in Punktschrift)
Da wurde kürzlich den Schülerinnen der beiden obersten Klassen an einer höheren Mädchenschule für einen Klassenaufsatz eine Reihe von Überschriften zur Wahl gestellt, unter denen sich auch das Wort "blind" befand. Es handelt sich dabei um junge Mädchen von 15 und 16 Jahren aus Heilbronn, einer mittleren württembergischen Stadt. Auf meine Bitte überließ mir der betr. Lehrer, Studienrat Keinath, freundlichst die Aufsatzhefte zur Einsicht mit der Versicherung, daß der Gegenstand nicht vorher in der Schule besprochen worden war. Wir haben es also mit den eigenen unbeeinflußten Meinungen und augenblicklichen Einfällen der Verfasserinnen zu tun.
Bemerkenswert ist es zunächst, daß sich der bei weitem größere Teil der Schülerinnen für die Aufgabe "Blind" entschieden hat. Daraus kann man entnehmen, daß die gedankliche Beschäftigung mit dem Blindenschicksal der weiblichen Jugend nicht so sehr fern liegt. Die an sich wohl ziemlich belanglosen Ansichten dieser 28 Mädchen erscheinen mir um deswillen für uns bedeutsam, weil sie, wie ich glaube, ein getreues Spiegelbild der allgemeinen Auffassung über die Blindheit darbieten. Bei fast allen Schülerinnen ist die bildhafte Vorstellung von dem Blinden durch die gelbe Armbinde gekennzeichnet. Manche erwähnen auch den unsicher tastenden Gang als Erkennungsmerkmal. Etwa in der Hälfte der Arbeiten taucht außerdem der Führhund auf. Mit wenigen Ausnahmen sind sich die Verfasserinnen darin einig, daß die Blindheit ein schreckliches Unglück sei, eines der schwersten Schicksale, das über einen Menschen hereinbrechen könne. Zur Erhärtung dieser Auffassung wird fast durchweg in erster Linie auf den Wegfall des Naturgenusses hingewiesen und auf die Unmöglichkeit, die nächsten Angehörigen zu sehen. Als zweiten Grund führen die jungen Mädchen meist die Abhängigkeit von der Umgebung an, die sich in ihrer Vorstellung vielfach bis zu einem "zur Last fallen" steigert. Erst in dritter Linie wird die Beschränkung der Arbeitsfähigkeit zur Erklärung des Blindheitsleides herangezogen. In diesem Punkte gehen die Meinungen allerdings stark auseinander. Einem großen Teil der Schülerinnen erscheint der Blinde immer noch in der alten Gestalt des Straßenbettlers. Einige sind der Überzeugung, der Blinde könne überhaupt nichts arbeiten. Die Mehrzahl spricht allerdings nur von einer erheblichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit und von der Beschränkung auf wenige Berufe. Von Bürstenmacherei, Korbmacherei, Flechterei und weiblichen Handarbeiten ist öfter die Rede, jedoch nie von der Fabrikarbeit oder von Kopfarbeit. Bei der Verfasserin des besten Aufsatzes findet sich die Erwägung, ein Blinder könne keine große musikalische Schöpfung hervorbringen, weil sein Selbstgefühl durch das Gebrechen zu sehr gedrückt und weil zum künstlerischen Schaffen ein starkes und freies Selbstbewußtsein unentbehrlich sei. …
Sehr oft wird die Erwägung angestellt, ob die Blindgeborenen einschließlich der Früherblindeten oder die Späterblindeten mehr zu bedauern seien. Mit wenigen Ausnahmen erklären die Verfasserinnen die Späterblindung für das größere Unglück, da nur in diesem Falle der Betroffene von Lichtsehnsucht gequält würde. … Im Vergleich mit der Taubheit wird die Blindheit regelmäßig für das schwerere Gebrechen angesehen. Nur in einigen wenigen Aufsätzen bekundet sich eine nicht so düstere Auffassung vom Blindheitsleid. Die Verfasserinnen dieser Arbeiten weisen auf den vielfach zufriedenen und glücklichen Gesichtsausdruck Blinder hin, sowie auf die Tatsache, daß Blinde zuweilen schon durch die Vorzüge ihrer Persönlichkeit, durch Güte, Klugheit und verfeinerte Einfühlungsfähigkeit für ihre Umgebung zum Segen werden könnten. Außerdem wird uns hier meist ein besseres Gehör und Tastgefühl zugeschrieben. Von einer Einschränkung der geistigen Fähigkeiten als Blindheitsfolge ist nirgends die Rede. Blindenschrift und Blindenanstalten werden etwa von der Hälfte der Schülerinnen als begrüßenswerte Einrichtungen angeführt. Dagegen scheinen die jungen Mädchen von den Einrichtungen der öffentlichen Fürsorge, der freien Wohlfahrtspflege, der Sozialversicherung, der Kriegsbeschädigtenfürsorge und der Selbsthilfe nichts gewußt zu haben. Das ist um so merkwürdiger, als es in Heilbronn sowohl eine Ortsgruppe des Württembergischen Blindenvereins als auch einen Werkstättenbetrieb der Blindengenossenschaft gibt.
… In einem Aufsatz wird zu besonderer Vorsicht im Verkehr mit Blinden gemahnt, weil diese sehr leicht verletzlich seien. Diese etwas überraschende Ansicht erklärt sich vielleicht damit, daß die Schreiberin von dem bekanntlich unter uns zur Übung gewordenen Geschimpfe auf das "taktlose Mitleid der Sehenden" gehört oder gelesen hat. … Mehrere erwähnen die Bereicherung und Vertiefung des Innenlebens, die die Ausschaltung der Sehtätigkeit zur Folge habe.
Allenthalben begegnen uns in den Aufsätzen menschenfreundliche und erfreuliche Gesinnungen des Wohlwollens, des Mitempfindens und der Hilfsbereitschaft. Man kann hieraus zweifellos ersehen, wie die dem Blindenwesen fernstehenden Kreise uns gegenüber gedanklich und gefühlsmäßig eingestellt sind. Daraus läßt sich dann auch ermessen, in welcher Richtung die von uns zu leistende Aufklärungsarbeit notwendig und erwünscht ist. …
Recht
Wir sind wieder eine Randgruppe
Wer glaubte, die Belange behinderter Menschen in Deutschland seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen, der weiß es spätestens seit dem 18. März dieses Jahres besser. An diesem Tag verabschiedete das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf, mit dem die Hoffnungen behinderter Menschen auf substantielle Verbesserungen im Schwerbehindertenrecht weitgehend zunichte gemacht wurden. Fünf Milliarden Euro, so war der ursprüngliche im Rahmen der Föderalismusreform II ausgehandelte Plan, sollten vom Bund zur Entlastung der Länder bei den Sozialausgaben verwendet werden. Damit waren die Ziele einer einhellig geforderten Reform der Eingliederungshilfe sowie die Anpassung des Behindertenrechts an die Erfordernisse der UN-Behindertenrechtskonvention verbunden. Und so stand es auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD von 2013. Daran knüpften sich viele Hoffnungen auf eine einkommens- und vermögensunabhängige Eingliederungshilfe, auf ein Bundesteilhabegeld, das den Flickenteppich der Landesblindengeldgesetze ablösen würde, und auf Verbesserungen im persönlichen Budget, um nur einige besonders wichtige Punkte zu nennen.
Die Verbände der Behindertenselbsthilfe haben viel investiert, um diesen Reformprozess voranzubringen, an vorderster Stelle auch die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe. Der Gemeinsame Arbeitskreis Rechtspolitik von DVBS und DBSV traf monatlich (wenn nicht öfter) zu intensiven Telefonkonferenzen zusammen, um einzelne Aspekte des großen Reformwerks zu besprechen und die Positionen unserer Organisationen festzulegen. Es entstanden viele Reformpapiere, die wir auch mit konkreten Finanzierungsvorschlägen unterfüttern konnten, was anderen Behindertengruppen nicht in gleicher Weise gelungen ist. Unsere Vertreter haben in verschiedensten ministeriellen Gremien zur Erörterung des Vorhabens mitgewirkt, die häufig im Monatsrhythmus tagten. Sowohl DVBS wie DBSV haben sich an der Kampagne für ein gutes Teilhabegesetz beteiligt und tun das weiterhin. Durch den Kabinettsbeschluss vom 18. März, die in Rede stehenden fünf Milliarden Euro anders zu verteilen, nämlich in Infrastrukturprogramme zu stecken, sind die Hoffnungen behinderter Menschen auf spürbare Verbesserungen ihrer gesellschaftlichen Lage wenn nicht völlig ad absurdum geführt, so doch empfindlich beeinträchtigt worden. Ja, eine Entlastung der Länder wird es geben, nur nicht in den Bereichen, die uns vorrangig wichtig sind. Unsere Anliegen werden gegen die deutsche Infrastruktur aufgerechnet und bleiben dabei weitgehend entgegen allen Beteuerungen in Sonntagsreden der Verantwortlichen auf der Strecke. Sonntagsreden haben ihren Platz eben nur an einem Sonntag, aber nicht mehr am Mittwoch, dem 18. März!
Diese Erkenntnis ist bitter, bitter für uns alle, aber vor allem für diejenigen, die so viel Engagement, ja Herzblut in das große Projekt einer behindertenfreundlicheren Gesetzgebung gesteckt haben. Ihnen gilt mein Mitgefühl und meine Solidarität! Aber offenbar bewahrheitet sich wieder einmal ein Satz von Ernst Bloch: "Wenn nicht genug Geld da ist, müssen die Armen sparen."
Das Schlichtungsverfahren – ein Zugang zum Diskriminierungsverbot aus österreichischer Sicht
"Nothing about us without us!" Nichts über uns ohne uns - dieses fundamentale Paradigma Mike Olivers beschreibt jenen Wandel, welchem die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen in den letzten Jahrzehnten gefolgt ist, und welchem sie auch heute noch folgt: "Behinderung" war lange Zeit ein Merkmal, welches nach allgemeinem Verständnis ausschließlich medizinischer Beachtung bedurfte.
Durch das mannigfaltige und beständige Engagement vieler Menschen mit Behinderungen konnte sich die Idee etablieren, dass "Behinderung" nicht ein bedauerliches Einzelschicksal sei, sondern dass "Behinderung" vielmehr in der Gesellschaft entsteht: Gleich, ob in den Köpfen jener, welche Betroffene auf ihre Behinderung reduzieren, oder in Form von Barrieren der gestalteten Umgebung - Behinderung ist nunmehr etwas, wofür die Gesellschaft Verantwortung anerkennt bzw. anerkennen muss.
Wissenschaftlich gesehen vollzog sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein Paradigmenwechsel vom "medizinischen Modell" hin zum "sozialen Modell" von Behinderung. Nun steht die Frage im Zentrum, was die Gesellschaft tun kann bzw. muss, damit Menschen mit Behinderungen ebenso - gleichberechtigt - an allen gesellschaftlichen Ausdrucksformen, ob in der Arbeitswelt oder in kultureller Hinsicht, im Politischen oder im Rahmen individueller Freizeitgestaltung teilhaben können.
Die Vergesellschaftung von Behinderung ermöglichte auch eine Auseinandersetzung dieser Frage im Bereich der Gesetzgebung. Zweifelsfrei kann die Richtlinie 2000/78/EG des Rates der Europäischen Union als ein wichtiger Eckpfeiler dieses Gesetzgebungsprozesses gesehen werden. Diese sogenannte Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie verbietet die Diskriminierung, d.h. die Schlechterstellung von Personen aufgrund von Geschlecht, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung, ethnischer Herkunft und Behinderung. Die Richtlinie betrifft die Gleichbehandlung in Beruf und Beschäftigung und ist von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umzusetzen.
Die Rechtslage in Österreich
In Österreich erfolgte die Umsetzung der Richtlinie mit dem Inkrafttreten des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) im Jahre 2006. Nicht zuletzt aufgrund des Verständnisses von Behinderung als gesellschaftliche "Querschnittsmaterie", welche alle Lebensbereiche betrifft, ging Österreich mit dem ebenfalls im Jahre 2006 in Kraft getretenen Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) einen Schritt weiter: Das BGStG dehnt das Diskriminierungsverbot auf die Verwaltung des Bundes sowie auf Rechtsverhältnisse einschließlich deren Anbahnung und Begründung sowie auf die Inanspruchnahme oder Geltendmachung von Leistungen außerhalb eines Rechtsverhältnisses, soweit es jeweils um den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen geht, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, und die unmittelbare Regelungskompetenz des Bundes gegeben ist, aus. (§ 2 BGStG)
Damit hat der Gesetzgeber festgelegt, dass neben der Arbeitswelt u.a. auch der Konsum von Gütern und Dienstleistungen vom Diskriminierungsverbot erfasst ist. In der Praxis bedeutet das, dass beispielsweise Geschäftslokale, Verkehrsmittel, Webseiten, Ordinationen etc. dem Diskriminierungsverbot unterliegen.
Da Österreich gemäß Bundes-Verfassungsgesetz als Bundesstaat föderalistisch organisiert ist, sind die Kompetenzen der einzelnen Bundesländer (Niederösterreich, Oberösterreich etc.) wie etwa die Aufgaben von Landesbehörden nicht vom BGStG erfasst. Das Diskriminierungsverbot nach dem BGStG kann im Falle einer Landesbehörde nur zur Anwendung kommen, wenn die Behörde im Auftrag des Bundes tätig wird. Das kann zum Beispiel bei einer Bezirkshauptmannschaft - einer Landesbehörde - der Fall sein, wenn sie Führerscheine ausstellt. Eine Diskriminierung könnte in diesem Falle bedeuten, dass das Amtsgebäude nicht barrierefrei zugänglich ist. Darüber hinaus verfügen die Bundesländer über jeweils eigene Antidiskriminierungsgesetze. Eine ausführliche Auseinandersetzung würde an dieser Stelle jedoch den Ausblick dieses Beitrags übersteigen. Wird eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes im Rahmen des BGStG und des BEinstG behauptet, so sieht der Gesetzgeber im § 14 BGStG grundsätzlich ein Schlichtungsverfahren als Versuch einer konstruktiven und einvernehmlichen Konfliktlösung vor.
Darüber hinaus normiert das Bundesbehindertengesetz (BBG) die Funktion und die Bestellung eines Behindertenanwalts. Seit 2010 nimmt Dr. Erwin Buchinger die Funktion als Behindertenanwalt wahr. Eine wesentliche Aufgabe der Behindertenanwaltschaft ist die Beratung und Unterstützung von Personen, die sich im Sinne des Behindertengleichstellungsrechtes auf der Bundesebene diskriminiert fühlen. Im Rahmen des Beratungsgespräches werden die KlientInnen der Behindertenanwaltschaft über die Möglichkeit der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens sowie über die allfällige weitere Vorgehensweise vor den ordentlichen Gerichten informiert. Auf Wunsch der Klientin bzw. des Klienten nimmt die Behindertenanwaltschaft zu deren Unterstützung in weiterer Folge als Vertrauensperson am Schlichtungsverfahren teil.
Das Schlichtungsverfahren
Das Schlichtungsverfahren ist ein Instrument zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung in Diskriminierungsfällen aufgrund einer Behinderung, welches einen niederschwelligen Zugang zum Recht ermöglicht. In einem offenen Gesprächsklima versuchen die SchlichtungspartnerInnen - das sind die Betroffenen und die von ihnen der Diskriminierung benannten (juristischen) Personen - unter Anleitung besonders geschulter MitarbeiterInnen des Sozialministeriumservice (eine nachgeordnete Dienststelle des Sozialministeriums) gemeinsam eine einvernehmliche Problemlösung zu erarbeiten. Seit Inkrafttreten des BGStG wurden bereits mehr als 1.500 Schlichtungen durchgeführt, bei einem aktuellen Schlichtungsaufkommen von etwa 200 bis 250 Fällen pro Jahr. Etwa in der Hälfte aller bisherigen Schlichtungsverfahren konnte eine Einigung erzielt werden. In jenen Fällen, in denen eine Einigung nicht erzielt werden kann, steht Menschen mit Behinderungen nach gescheitertem Schlichtungsverfahren der Klagsweg offen. Da kein gesetzlicher Anspruch auf Unterlassung oder Beseitigung von Diskriminierung besteht, führt ein Gerichtsverfahren allenfalls zur Zuerkennung von finanziellem Schadenersatz. Die Überlegenheit des Schlichtungsverfahrens gegenüber dem Gerichtsverfahren besteht daher insbesondere darin, dass individuelle flexible und kreative Ergebnisse erarbeitet werden können, die weit über die nach dem Behindertengleichstellungsrecht einklagbaren Ansprüche hinausgehen, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
Dass eine derart hohe Anzahl an außergerichtlichen Einigungen, die sowohl in der Wiedergutmachung des individuellen Schadens, aber auch sehr häufig in Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von behinderten Menschen im Allgemeinen bestehen, erzielt werden konnte, macht deutlich, welchen wertvollen Beitrag das Schlichtungsverfahren zur Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für die Belange behinderter Menschen leistet.
Beispiele aus der Praxis
Im Zuge der Beratungstätigkeit begleitet die Behindertenanwaltschaft etwa 10-15% aller Schlichtungen als Vertrauensperson. Weiters erhält die Behindertenanwaltschaft grundsätzlich anonymisierte Daten über die übrigen Schlichtungsverfahren, um Tendenzen wie etwa die Häufung von Diskriminierungsgründen zu erkennen. Diese Datenbasis ist wichtig, da der Behindertenanwalt in regelmäßigen Abständen Empfehlungen über Maßnahmen zur besseren Inklusion von Menschen mit Behinderungen an das Sozialministerium richtet.
Etwa die Hälfte der Schlichtungen wird aufgrund von Diskriminierungen aus der Arbeitswelt durchgeführt, während die andere Hälfte aus Diskriminierungen im Sinne des BGStG resultiert. Hiervon erfasst ist zumeist mangelnde Barrierefreiheit in Geschäftslokalen, Urlaubsunterkünften, Freizeiteinrichtungen oder Veranstaltungsorten. Ebenso zählen diskriminierende Vertragsbestimmungen und Diskriminierungen im Schulwesen dazu. Während die im Jahr 2013 beendeten Schlichtungsverfahren aufgrund von Diskriminierung nach dem BGStG in 52% der Fälle positiv, d.h. mit einer Einigung abgeschlossen werden konnten, beträgt der Anteil erfolgreicher Schlichtungen aufgrund von Diskriminierung nach dem BEinstG nur ca. 37%. Der geringere Anteil erfolgreicher BEinstG-Schlichtungen (vgl. 2010: 60%; 2011: 37%; 2012: 47%) ist möglicherweise auf die anhaltend angespannte Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage zurückzuführen.
Im Folgenden werden zwei Schlichtungsverfahren aus der Beratungspraxis der Behindertenanwaltschaft dargestellt.
Fall: Gebärdensprach-Dolmetschleistungen im Zuge einer Stadtführung
Eine gehörlose Konsumentin wandte sich im März 2014 an die Behindertenanwaltschaft, da sie sich durch eine Bildungseinrichtung in Wien diskriminiert fühlte. Um das Bildungsangebot, eine entgeltliche historische Stadtführung, nutzen zu können, benötigte die Klientin eine/n Gebärdensprachdolmetscher/in. Da die Bildungseinrichtung einen solchen kurzfristig nicht zur Verfügung stellen konnte, wurde im Vorfeld vereinbart, dass die Klientin eine/n Gebärdensprachdolmetscher/in beauftragte. Die für die Dolmetschleistung anfallenden Kosten sollten von der Bildungseinrichtung übernommen werden. In weiterer Folge verweigerte diese jedoch die Kostenübernahme, sodass die Behindertenanwaltschaft nach Kenntnis dieser Vorgeschichte der Klientin die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens empfahl und dieses als Vertrauensperson begleitete. Im Schlichtungsgespräch räumte ein Vertreter der Bildungseinrichtung die Fehler ein - da die Kostenübernahme vereinbart war, würden sie nachträglich übernommen werden. Die Behindertenanwaltschaft argumentierte im Sinne der Klientin, dass es grundsätzlich die Pflicht des bzw. der Anbieters/-in sei, eine Leistung barrierefrei zur Verfügung zu stellen. In diesem Sinne könne es nicht die Aufgabe der Klientin sein, für die gesetzlich erforderliche Barrierefreiheit zu sorgen und u.U. die dafür nötigen Kosten selbst zu tragen. Es sollte daher im Schlichtungsgespräch auch eine Möglichkeit gefunden werden, wie in zukünftigen Fällen, d.h. wenn die Klientin erneut ein Angebot der Bildungseinrichtung in Anspruch nehmen möchte, vorzugehen sei. Der Schlichtungspartner äußerte in diesem Zusammenhang Bedenken bezüglich der aufzuwendenden Kosten für Dolmetschleistungen, welche durch die Teilnahmekosten möglicherweise nicht gedeckt werden könnten. Tatsächlich sieht der Gesetzgeber in § 6 BGStG vor, dass eine Diskriminierung dann nicht vorliegt, wenn deren Beseitigung eine unverhältnismäßige Belastung bedeuten würde. Im konkreten Fall konnte jedoch unter Zuhilfenahme statistischen Datenmaterials argumentiert werden, dass aufgrund der äußerst geringen Prävalenz von Gehörlosigkeit von einem Anfrageaufkommen im einstelligen Bereich pro Jahr ausgegangen werden könne, die Kosten für Dolmetschleistungen daher absehbar überschaubar blieben. Somit konnte eine Einigung dahingehend erzielt werden, dass nicht nur die bereits angefallenen Kosten übernommen wurden, sondern auch zukünftig bedarfsweise Gebärdensprachdolmetschleistungen angeboten werden.
Fall: Beratungsangebot für eine blinde Konsumentin
Eine blinde Konsumentin wollte im September 2011 in einer Filiale einer größeren Bürofachhandelskette in Wien einen Drucker erwerben. Zu diesem Zeitpunkt wurden seitens des Unternehmens verschiedene Arten von Druckgeräten angeboten. Informationen zu diesen fanden sich an Schildern, welche an den Verkaufsregalen über Kopfhöhe angebracht waren. Die Drucker waren teilweise in den Regalen ausgestellt, teilweise in Schachteln verpackt und teilweise war lediglich das Verpackungsmaterial (Schachteln) im Geschäft ausgestellt. Die Betroffene wollte die Unterschiede zwischen den einzelnen Druckern feststellen und ersuchte die Filialleiterin dabei um Hilfe. Sie bat diese, einen bestimmten Drucker aus der Verpackung zu nehmen, damit sie ihn mit den Händen ertasten könne. Als Begründung gab sie an, dass ein Display bzw. ein Touchscreen auf Grund ihrer Behinderung keine Anwendungsmöglichkeiten für sie biete und sie das Druckgerät auf Nutzbarkeit für sie überprüfen müsse. Weiters ersuchte sie die Filialleiterin, ihr die Funktionsweise eines bestimmten Druckers zu erklären. Die Filialleiterin lehnte diese Anliegen - auch mit Hinweis darauf, dass sie zu diesem Zweck ins Lager gehen müsse und in der Zwischenzeit niemand die Kassa bedienen könne - ab. Daraufhin erklärte sich die Betroffene, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt ihrer Einschätzung nach die einzige Kundin in der Filiale war, zu einer längeren Wartezeit bereit, damit die Filialleiterin für die Anwesenheit einer Kollegin im Verkaufsbereich der Handelskette sorgen könne. Dennoch weigerte die Filialleiterin sich, auf die Bedürfnisse der Kundin einzugehen. Die blinde Frau war über das mangelnde Entgegenkommen der Filialleiterin, auch im Hinblick darauf, dass die Zeit, welche für die Diskussion zwischen ihr und der Filialleiterin aufgewendet worden war, ebenso gut zur Erfüllung ihres Wunsches hätte verwendet werden können, sehr verärgert und teilte dies der Filialleiterin entsprechend mit. Diese zeigte sich jedoch nach wie vor nicht kooperativ und beendete das "Verkaufsgespräch" einseitig. Da sich die Betroffene durch die Vorgangsweise aufgrund ihrer Behinderung diskriminiert fühlte, wandte sie sich an die Behindertenanwaltschaft und leitete nach erfolgter ausführlicher Beratung über die Bestimmungen des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes ein Schlichtungsverfahren beim Sozialministeriumservice ein.
Im durchgeführten Schlichtungsverfahren wurde die Konsumentin von der Behindertenanwaltschaft begleitet. Die Vertreterinnen der Bürofachhandelskette legten im Schlichtungsgespräch ihre Sicht des Vorfalles dar, wonach die Filialleiterin als einzige im Verkaufslokal anwesende Verkäuferin aufgrund erhöhter KundInnenfrequenz zu Schulanfang und eines krankheitsbedingten Ausfalles eines Mitarbeiters nicht ausreichend Zeit für die Anfrage der blinden Konsumentin gehabt habe. Darüber hinaus handle es sich bei der Bürofachhandelskette um einen Diskontmarkt mit entsprechend knapper Personalkalkulation, sodass eine Fachberatung generell nicht angeboten werden könne.
Obwohl die unterschiedlichen Sichtweisen über den genauen Ablauf des von der Kundin als kränkend empfundenen Vorfalles im Schlichtungsgespräch bestehen blieben, entschuldigten sich die Vertreterinnen der Bürohandelskette dennoch für das Verhalten der Filialleiterin. Das Unternehmen werde künftig dafür Sorge tragen, dass Menschen mit Behinderungen, im Besonderen blinde und sehbehinderte Personen, in ihren Verkaufslokalen barrierefrei einkaufen können. Zudem wurde vereinbart, dass die MitarbeiterInnen nunmehr in internen Schulungen für die Anliegen behinderter Menschen verstärkt sensibilisiert werden sollten. Der Beschwerdeführerin selbst wurde für ihre Einkäufe die dafür erforderliche Unterstützung zugesagt, wobei diese sich im Falle einer zeitaufwändigeren Beratung mit einer kurzfristigen telefonischen Terminvereinbarung einverstanden erklärte, um der Schlichtungspartnerin die Gelegenheit zu geben, das dafür notwendige Personal bereit zu stellen. Als Entschädigung für die entstandenen Aufwendungen und die erlittene Kränkung erhielt die Klientin der Behindertenanwaltschaft Einkaufsgutscheine im Wert von € 300.
Fazit
Die dargestellten Fälle aus der Beratungspraxis der Behindertenanwaltschaft zeigen zwei sehr gelungene Schlichtungsverfahren.
Im Falle der blinden Konsumentin konnte außergerichtlich Schadenersatz für die erlittene persönliche Beeinträchtigung erwirkt werden. In beiden Fällen wurden gemeinsam mit den SchlichtungspartnerInnen Lösungen gefunden, um zukünftige Diskriminierungen zu vermeiden. Diese tragen zweifellos zur Bewusstseinsbildung der AnbieterInnenseite über die berechtigten Interessen von Menschen mit Behinderungen bei. Auf der anderen Seite erleben Menschen mit Behinderungen, welche eine Diskriminierungserfahrung machen mussten, einen solchen Lösungsprozess als sehr emanzipierend, sodass das Schlichtungsverfahren durchaus auch dem eingangs zitierten Leitsatz gerecht werden kann: "Nothing about us without us."
Kontaktinformation: Behindertenanwaltschaft, Babenbergerstraße 5/4, 1010 Wien, Österreich, Telefon: +43 1 711 00 -2223, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Bücher
Hörtipps
Darmkrebs-Früherkennung. Von Anke Steckelberg und Ingrid Mühlhauser. Herausgegeben von der BARMER GEK. 3. Aktualisierte Fassung 2011.
Noch immer scheuen viele Menschen Untersuchungen zur Darmkrebs-Früherkennung. Dabei ist es gut zu wissen, dass es verschiedene Methoden gibt, auch nichtinvasive. Die Broschüre klärt über die unterschiedlichen Testmethoden auf. Sie zeigt Nutzen und fehlenden Nutzen der verschiedenen Methoden, unter anderem durch statistische Angaben, ob bei einem positiven Testergebnis tatsächlich Darmkrebs vorliegt und ob die Methode Todesfälle zu verhindern hilft.
Außerdem: Welche Methode hat welche Nebenwirkungen? Was ist Darmkrebs, wie entsteht er, gibt es Möglichkeiten der Prävention? Die Autorinnen vermitteln medizinischen Laien den wissenschaftlichen Forschungsstand über Früherkennungs-Untersuchungen, Stand Februar 2011.
Die Broschüre ist nicht für Menschen gedacht, bei denen bereits Darmkrebs festgestellt wurde, die unter entzündlichen Darmerkrankungen leiden oder familiär vorbelastet sind. Allen anderen hilft die Broschüre bei der Entscheidung für oder gegen eine Untersuchung zur Darmkrebs-Früherkennung. Denn schließlich ist es gut zu wissen, dass, wie die Autorinnen schreiben, "manche Menschen (…) durch Früherkennungsuntersuchungen einen Nutzen [haben], einzelne erleiden dadurch gesundheitlichen Schaden".
Dank freundlicher Krankenkassen-Förderung der BARMER GEK ist die DAISY-Version beim DVBS-Textservice nun kostenlos erhältlich. Spieldauer: rund 60 Minuten. Bestellnummer 17235.
Inklusion im Beruf. Herausgegeben von Horst Biermann. Aus der Reihe "Inklusion in Schule und Gesellschaft, Bd. 3", Kohlhammer-Verlag, 2015.
Inklusion betrifft alle Bereiche des Lebens und ist für Erwachsene immens wichtig, wenn es um berufliche Bildung und den Beruf geht. Doch was bedeutet der Begriff, wie ist er mit Leben zu füllen, wie ist Inklusion lebbar?
Horst Biermann, Professor für Berufspädagogik und berufliche Rehabilitation an der TU Dortmund, gibt bereits einleitend zu bedenken, dass beim Stichwort "Inklusion" auch die Prozesse der "Exklusion" bedacht werden müssen: "Inklusion in Ausbildung und Beschäftigung als Umgang mit Heterogenität definiert, beinhaltet neben barrierefreien Zugängen zu regulärer Arbeit, Antidiskriminierung, lebenslangem Lernen, zugleich aber auch exklusive Prozesse wie Frühberentung, Langzeitarbeitslosigkeit, Konkurrenz und Ungleichheit."
Das Buch vereint Beiträge von sechs Autorinnen bzw. Autoren. Horst Biermann steigt mit seinem Beitrag "Berufliche Teilhabe — Anspruch und Realität" direkt ins Thema ein und stößt auf so einige Widersprüche. Richard Huisinga nimmt "Berufsbezogene Lehr- und Lernprozesse unter Inklusionsanspruch" unter die Lupe, Christian Bühler schreibt über "Universelle Design des Lernens und Arbeitens", Wolfgang Seyd zu "Ziele[n], Prozesse[n] und Strukturen beruflicher Rehabilitation - Situationsaufriss und Perspektivbetrachtung" und Dennis Klinkhammer untersucht zusammen mit Mathilde Niehaus die "Betriebliche Inklusion auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt" und entwickelt Handlungsempfehlungen.
Ein Buch, das auf dem Stand der Zeit ist. Die DAISY-Version ist rund 12 Stunden lang, Sonderpreis 45 Euro. Bestellnummer 17232.
Die DAISY-Titel sind für Blinde und Sehbehinderte zu den üblichen Bedingungen erhältlich beim Textservice des DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Buchtipps aus der blista
Edith Sitwell: Englische Exzentriker, eine Galerie höchst merkwürdiger und bemerkenswerter Damen
3. Auflage Wagenbach, Berlin 2013 Bestellnummer: 4737, reformierte Kurzschrift (KR), 2 Bände, 43 €
Das genial entworfene Bild einer britischen Tugend, die von kontinentalen Beobachtern häufig fassungslos belächelt, in England aber als selbstverständlicher Bestandteil der Alltagskultur geschätzt und seit Jahrhunderten gepflegt wird: der Exzentrik. Sie vereint Aristokraten und Dienstpersonal, Bürger und Künstler, Stadt und Land und die beiden Geschlechter im hemmungslosen Feiern ihrer Individualität. Dieses schon klassische Buch präsentiert berühmte Exzentriker aus dem unerschöpflichen englischen Fundus. Dame Edith Sitwell, selbst Exzentrikerin von höchsten Graden, hat ihnen ein bleibendes Denkmal errichtet.
Javier Fernández de Castro: Die berauschende Wirkung von Bilsenkraut
Wagenbach, Berlin 2013, Bestellnummer 4740, reformierte Kurzschrift (KR), 2 Bde., 43 €, auch als Blindenschrift-DAISY-Ausgabe mit synthetischer Stimme erhältlich
Ein Schneesturm mitten im Sommer überrascht einen ganzen Landstrich in Kantabrien. Viele Reisende suchen in einem Gasthof Zuflucht - so auch die beiden Freunde und passionierten Motorradfahrer Santiago Malpás und Chema "Lucky" Salinas. Während der Wein in Strömen fließt, gehen die Kaffeevorräte schnell zur Neige. Deshalb braut Chema Salinas alles, was er in der Küche finden kann - Tresterschnaps und Bilsenkraut -, zu einem ganz besonderen Trank zusammen, der die Fabulierlust der Wirtshausgäste beflügelt. Besonders die Legende vom Hinkefuß von Villacarriedo und seinem unheimlichen Pferd hinterlässt bleibenden Eindruck bei den Anwesenden - bevor sich die Ereignisse zu überstürzen beginnen.
Karl Menninger: Ali Baba und die 39 Kamele
Aulis-Verlag, Hallbergmoos Bestellnummer: 4769, 1 Bd., 21,50 €, reformierte Kurzschrift (KR)
Das humorvoll geschriebene Buch, das bereits in der 15. Auflage erscheint, enthält Rätsel- und Zahlengeschichten für Knobler, die allerdings so amüsant erzählt werden, dass auch derjenige Leser auf seine Kosten kommt, dem es weniger um scharfes Nachdenken als um ergötzliche Geschichten geht. Er möge, nach Wunsch des Autors, "nur die heitere Menschlichkeit in den Geschichten genießen". Wer aber dennoch neugierig ist auf die Lösungen der Rätsel, findet diese am Ende des Buches, jedoch keineswegs stichwortartig, sondern wiederum in amüsante und interessante Erzählungen gekleidet.
Hör- und Punktschriftbücher von Günther Grass zum Ausleihen
Am 13. April ist Günther Grass, Literaturnobelpreisträger und einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart, im Alter von 87 Jahren in Lübeck verstorben. Im Folgenden eine kleine Auswahl von Titeln, die Sie sowohl in Punktschrift als auch als Hörbuch bei uns ausleihen können.
Katz und Maus eine Novelle
Punktschrift Kurzschrift und als Hörbuch (Laufzeit: 327 Minuten)
Der Held der Novelle hat einen großen Adamsapfel, auch Maus genannt, der ihm zuerst zur Ursache seiner glanzvollen militärischen Karriere, jedoch dann seines menschlichen Versagens und Untergangs wird.
Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus
Punktschrift Kurzschrift und als Hörbuch (Laufzeit: 279 Minuten)
Sommer 1980. Familie Peters unternimmt eine Ferienreise nach Asien. Trotz der andrängenden Bilder der "Dritten Welt" werden sie die deutschen Fragen nicht los. "Kopfgeburten" ist ein Buch voller Rollentausch, Ortswechsel und Zeitverschiebung, voller Luft- und Gedankensprünge.
Im Krebsgang eine Novelle
Punktschrift Kurzschrift und als Hörbuch (Laufzeit: 441 Minuten)
In einer eisigen Januarnacht 1945 ereignete sich in der Ostsee das größte Schiffsunglück aller Zeiten. Der Erzähler, der als Kind auf dem Flüchtlingsschiff "Wilhelm Gustloff" diese Katastrophe überlebte, zeichnet im Krebsgang zwischen Einst und Jetzt die Ereignisse nach, die zum Unglück führten und nun, verdreht, verzerrt, einen irrsinnigen Mord auslösend, in der Gegenwart fortwirken.
Zwei Hörbücher zum horus-Schwerpunkt
Regina Hillmann: Fußball einmal anders gesehen. Wie erleben Blinde Fußball?
Hörbuch (Laufzeit: 279 Minuten)
Fußball kann man hören. Und genau das ist es, was Regina Hillmann und Nina Schweppe dazu veranlasste, den Verein Sehhunde e.V. ins Leben zu rufen, der sich dafür einsetzt, dass blinde und sehbehinderte Menschen Fußballspiele live im Stadion miterleben können.
Harald Lange: ….und du kannst es schaffen
Hörbuch, (Laufzeit: 654 Minuten)
Der stark sehbehinderte, ambitionierte Sportler beschreibt seinen Weg zu dem Ziel, einmal an einem Marathonlauf teilzunehmen. Er erzählt von seinen Erfahrungen, dem Trainingsverlauf sowie von dem überwältigenden Gefühl, das man erlebt, wenn man die Ziellinie überläuft.
Ihre Bestellung richten Sie bitte an:
Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., Postfach 1160, 35001 Marburg, Telefon: 06421/606-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Es gelten unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).
Panorama
Louis Braille Festival 2016 – jetzt anmelden!
Marburg ist bereit für den Festivalansturm
Noch sind es 15 Monate bis zum Start des dritten Louis Braille Festivals in Marburg, aber bereits jetzt kann man sich anmelden und die besten Zimmer sichern. Die Veranstalter - der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und die blista - möchten damit für ein entspanntes Verfahren sorgen. 800 Betten in Hotels, Pensionen und Herbergen aller Preislagen wurden vom 1. bis 3. Juli 2016 geblockt. Im Festivalbüro freuen sich Isabella Brawata und Monica Wenz-Ramos auf Anrufe und E-Mails. Sie nehmen nicht nur Anmeldungen entgegen, sondern beantworten auch Fragen aller Art zum Festival und seinem Programm, das Woche für Woche mehr Gestalt annimmt. Besucher mit kleinem Budget können im Festivalbüro Übernachtungsmöglichkeiten in Jugendherbergen und Hostels buchen. Zimmerreservierungen für Hotels und Pensionen nimmt die Marburg Tourismus und Marketing GmbH entgegen - bitte das Stichwort "Louis Braille Festival" nicht vergessen!
Das Programm - vom Tanztee in die Halfpipe
Passend zum Festivalort, dem Georg-Gaßmann-Stadion, lautet das Motto des Festivals "In Bewegung". Es soll nicht nur für sportliche Angebote stehen, sondern auch für vielfältige kulturelle Highlights und die Präsentation der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe. Barrierefreiheit wird auf dem Festivalgelände ganz groß geschrieben. Die blista erstellt bereits ein taktiles Modell des Stadions und plant die Schulung von zahlreichen Helfern.
Gewisse Programm-"Klassiker" des Louis Braille Festivals dürfen nicht fehlen, beispielsweise der Markt der Begegnung, Blindenfußball, Tischball, Konzerte und Punktschriftlesungen. In Marburg soll aber auch Neues geboten werden - ein Tanztee, Kanufahren, Trampolinspringen und Fahrten auf dem Verkehrsübungsplatz sind in der Planung. Besonders mutige Festivalbesucher können sich in eine Halfpipe stürzen - das ist eine Art Wanne aus Beton, in der man kunstvolle Manöver auf Rollschuhen oder mit dem Skateboard vollziehen kann.
Höhepunkte der drei Festivaltage sind selbstverständlich die großen Abendveranstaltungen. Im Anschluss können Fußballfans beim Public Viewing die Viertelfinalspiele der Fußball-Europameisterschaft verfolgen.
Die Schülerinnen und Schüler der blista und der DBSV-Jugendclub bringen sich in die Programmgestaltung ein und sorgen dafür, dass auch Kinder und Jugendliche Spaß beim Festival haben. Am Freitagnachmittag sind alle Ehemaligen der blista auf den Campus ihrer Schule eingeladen.
An seinem letzten Tag, dem Sonntag, erobert das Festival die Stadt Marburg. Der DVBS, der wie die blista im Festivaljahr seinen 100. Geburtstag feiert, bereitet einen ökumenischen Gottesdienst in der berühmten Elisabethkirche vor und anschließend ein Kulturprogramm mit Jazz. Die Kunsthalle lockt mit einer Ausstellung, die die namhafte Künstlerin Mirja Wellmann im Auftrag der Stadt speziell für und mit blinden und sehbehinderten Menschen konzipiert hat. Weitere Attraktionen sind Führungen in und rund um die Elisabethkirche, in die Stadt und hoch auf das Marburger Schloss.
Louis Braille Festival 2016 Marburg
Freitag, 1. Juli, bis Sonntag, 3. Juli 2016
Im Georg-Gaßmann-Stadion und in der Stadt Marburg
Eintritt frei!
Infos, Anmeldung und Zimmerbuchung
(Jugendherbergen und Hostels) im Festivalbüro, Tel.: 0 64 21 / 6 06-444, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr, freitags von 8 bis 14 Uhr
www.dbsv-festival.de/anmeldung
Zimmerbuchung (Hotels und Pensionen) bei der Marburg Tourismus und Marketing GmbH, Tel.: 0 64 21 / 99 12-24, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr
Neues Internetportal „REHADAT-Recht“
Das Portal informiert über aktuelle Rechtsprechung im Arbeits- und Sozialrecht sowie über Gesetze und Verordnungen mit Bezug zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Das Portal ist thematisch gegliedert und enthält auch den Bereich Ausbildung / Studium. Ergänzt wird das Angebot durch Verlinkungen auf Veröffentlichungen zum Thema. www.rehadat-recht.de
Hörfilmpreis 2015 geht an „Zwischen Welten“ und „Landauer – Der Präsident“
Der Deutsche Hörfilmpreis 2015 wurde am 17. März in Berlin vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) vergeben. In der TV-Kategorie konnte sich die Produktion des Bayerischen Rundfunks "Landauer - Der Präsident" durchsetzen. Das Drama "Zwischen Welten", eingereicht vom Majestic Filmverleih, erhielt die Auszeichnung in der Kategorie Kino. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und Regisseur Pepe Danquart übergaben den Sonderpreis der Jury für die Entwicklung der App "Greta", eingereicht von Greta & Starks Apps. Der Preis wurde von Seneit Debese, Maren Vöge und Andres Schüpbach entgegengenommen. Nach der Verkündung der Jury-Entscheidungen wurde der Publikumspreis an den Kinofilm "Auf das Leben" von Uwe Janson vergeben. Durch den Abend führte Mitri Sirin (ZDF-Morgenmagazin). Das Judith Holofernes Trio sorgte für die musikalischen Highlights der Gala, die erneut im historischen Atrium der Deutschen Bank Unter den Linden stattfand.
Deutscher Seniorentag findet in Frankfurt statt
m 2. bis 4. Juli 2015 findet der 11. Deutsche Seniorentag im Congress-Center der Messe Frankfurt statt. Der DBSV und der DVBS werden gemeinsam am Freitag, 3. Juli, eine dreiteilige Veranstaltung zum Thema "Sehen im Alter" anbieten. Darüber hinaus werden beide Organisationen mit einem Gemeinschaftsstand auf der parallel stattfindenden Ausstellung "SenNova" vertreten sein. Schirmherrin des Seniorentages ist die Bundeskanzlerin, Angela Merkel. Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, wird ebenfalls bei der Eröffnung anwesend sein. Nähere Informationen finden Sie im Internet unter www.bagso.de oder www.Deutscher-Seniorentag.de
2. Berliner Inklusionslauf
Am 6. Juni 2015 findet der 2. Inklusionslauf auf dem Tempelhofer Feld in Berlin statt. Jogger, Walker, Inlineskater und Rollstuhlfahrer können an den Wettbewerben über fünf oder zehn Kilometer und an der 4x400 Meter Staffel teilnehmen. Die Strecke ist sehbehindertenfreundlich markiert. Blinden Läufern werden Begleitläufer vermittelt. Der Lauf wird veranstaltet vom Sozialverband Deutschland, dem Berliner Leichtathletikverband und dem DBSV. Nähere Informationen zur Veranstaltung gibt es im Internet unter www.inklusionslauf.de, per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! und telefonisch unter 030 72 62 22 222
Barrierefreiheit und Mobilität
„Wenn schon blind, dann in Holland — Deutschland hat noch erheblichen Nachholbedarf“
Dieses ernüchternde Fazit drängt sich auf, wenn man die Ergebnisse einer dreitägigen Expertentagung zum Thema "Sehverlust im Alter" in wenigen Worten zusammenfasst. Eine neue Arbeitsgemeinschaft des Verbandes für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik (VBS) hat sich die Aufgabe gestellt, Fragen zur Rehabilitation und gesellschaftlichen Teilhabe von sehbehinderten und blinden Senioren zu bearbeiten und zu dieser Tagung mit Teilnehmern aus Deutschland, Holland und der Schweiz an die blista nach Marburg eingeladen.
Die wachsende gesellschaftliche Bedeutung wurde von allen Experten hervorgehoben und das große Interesse der mehr als 60 Teilnehmer zeigt, dass das Thema "Sehverlust im Alter" endlich auch in Deutschland die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient. Immerhin spricht man in Deutschland von mehr als einer Million Menschen, denen man mit Beratung, Unterstützung und Hilfe zur Seite stehen müsste, um Lebensqualität und selbstständiges Wohnen in den eigenen vier Wänden so lange es nur geht zu erhalten.
Prof. Dr. Frank Oswald von der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt referierte zur "Janusköpfigkeit des Alterns" und stellte empirische Befunde zu Potenzialen und Grenzen des Lebens im hohen Alter vor. Prof. Dr. Verena Heyl stellte die Besonderheiten von "Blindheit und Sehbehinderung im Alter als psychosoziale Herausforderung" dar und Prof. Dr. Norbert Schrage von der Augenklinik in Köln-Merheim informierte über aktuelle medizinische Behandlungsmethoden bei Augenerkrankungen im Alter. Daneben wurden psychosoziale Beratungskonzepte, die in Projekten in Frankfurt und Marburg entwickelt wurden, vorgestellt. In weiteren Beiträgen aus der Praxis wurde der besondere Bedarf der Beratung zu optischen Hilfsmitteln deutlich. Weitere Aspekte waren die Möglichkeiten der visuellen Rehabilitation und die Angehörigenarbeit.
Ernüchterung trat bei den deutschen Teilnehmern der Tagung ein, als im Überblick über die professionellen Beratungsangebote und Unterstützungsstrukturen in Deutschland, der Schweiz und in Holland referiert wurde.
Werner Lechtenfeld, Projektmitarbeiter des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands (DBSV), wusste zwar von guten Ansätzen, die in Projekten entwickelt worden sind, zu berichten, aber er stellte auch unmissverständlich klar, in Deutschland gibt es kein Angebot in der Fläche und dort, wo es vereinzelte Angebote gibt, werden sie von privaten Initiativen getragen.
Regelfinanzierte Angebots- und Versorgungsstrukturen und -systeme für Senioren mit Sehverlust hat die deutsche Sozialpolitik, trotz der vielen guten Projektbeispiele, bislang auf keiner Ebene umgesetzt.
Peter Verstraaten vom Royal Dutch Visio aus Holland und Stefan Spring vom Schweizerischen Zentralverein für das Blindenwesen (SZB) wussten im krassen Gegensatz zu den deutschen Verhältnissen von professionellen und flächendeckenden Versorgungsstrukturen in ihren Ländern zu berichten, die von der öffentlichen Hand finanziert werden. Ein Blick auf die Landkarten der Nachbarländer, auf denen die Standorte der spezialisierten Beratungsstellen eingezeichnet waren, machte dies mehr als deutlich.
Für jeden älteren Menschen mit Sehverlust ist es z. B. in Holland möglich, eine umfassende Unterstützung zu erhalten. Multidisziplinäre Beratung und verschiedenste Interventionsmethoden umfassen neben der augenärztlichen Versorgung auch die Hilfsmittelversorgung, die Rehabilitation und die psychosoziale Beratung, um die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft trotz und mit Sehverlust zu erhalten.
Zustände, von denen deutsche Senioren nur träumen können. Zwar gibt es zum Beispiel im Landkreis Marburg-Biedenkopf seit Anfang 2012, zunächst als eineinhalbjähriges Projekt von der blista, ein mobiles Beratungsangebot für Senioren mit Sehverlust. Seit Sommer 2013 wird es ausschließlich über Spendengelder finanziert. Die blista hofft sehr, dass die Verantwortlichen von Stadt und Landkreis eine Lösung finden, damit ältere Menschen mit Sehverlust sich zumindest rund um Marburg auch künftig darauf verlassen können, dass der Seniorenberater mit dem SehMobil zu ihnen kommen kann. Aber selbst wenn es gelingen sollte, hier eine Einzellösung zu finden, bleibt es dabei: "Deutschland hat enormen Aufholbedarf!"
Zum Autor
Jürgen Nagel ist Leiter der Rehabilitationseinrichtung (RES) der blista.
Warum Kinoblindgaenger.de?
"Kinoblindgänger", also Leute, die Kino nur über die Ohren erleben können, sind gefragt. Weil, man stelle sich vor, es gibt barrierefrei zugängliches Kino und kein "Kinoblindgänger" geht hin!
Seit knapp zwei Jahren ist dank des langjährigen sanften Drucks der Blindenverbände in einer Richtlinie zum deutschen Filmförderungsgesetz geregelt, dass zu jedem Film, den die Filmförderungsanstalt unterstützt, eine barrierefreie Fassung mit einer Hörfilmbeschreibung hergestellt werden muss.
Die Hörfilmbeschreibung/Audiodeskription (AD) macht den Film zum Hörfilm. Von einem Sprecher werden zum besseren Verständnis der Handlung des Films akustische Bildbeschreibungen zwischen die Dialoge platziert, Kostenpunkt für einen ca. 90-minütigen Film etwa 5.000 Euro. Jetzt stellt sich die Frage, wie die AD im Kinosaal in das Ohr jedes einzelnen "Kinoblindgängers" kommt.
Von vier verschiedenen Systemen werden die zwei favorisiert, die über eine App auf einem Smartphone und die eigenen Kopfhörer funktionieren. Bei dem ersten System sind die Kinobetreiber gefragt, ihre Kinosäle mit einer kostenintensiven Technik auszustatten. Auch hierfür können Fördermittel bis zu 50 Prozent der Kosten beantragt werden. Aber wahrscheinlich können das trotzdem nur die großen Kinoketten stemmen und sie werden auch nur einen ihrer zahlreichen Vorführsäle ausrüsten. Man muss also immer erst einmal abchecken, welches Kino und welcher Saal "barrierefrei zugänglich" sind.
Mein Herz schlägt für die zweite Variante, nämlich die App von Greta und Starks.
Ich gehe ins Kino meiner Wahl und nehme Greta, also die Hörfilmbeschreibung auf meinem Smartphone, einfach mit. Die dazu notwendige App lädt man sich einmal kostenlos aus dem Appstore bzw. aus Google Play herunter und wählt dann im Kino jeweils die entsprechende Hörfilmbeschreibung aus der Liste aus.
Die App Greta macht die bereits vorhandenen Hörfilmbeschreibungen mit dem eigenen Smartphone zugänglich. Für jedes "Zugänglichmachen" fallen noch einmal 1.500 Euro für alle Verwertungsstufen wie Kino, Open-Air, DVD, VoD und TV an. Diese Kosten sind sowohl für den Verleih als auch für die Produktion förderfähig. Dank des lobenswerten Engagements einiger Filmverleiher sind allein im vergangenen Jahr mehr als 30 Hörfilmbeschreibungen auf der Liste von Greta zusammengekommen. Fördermittel werden zwar nur für deutsche Filmproduktionen vergeben, für einige internationale Filme aber haben die Verleiher (z.B. "Universal Pictures Germany", "Neue Visionen" und "Polyband Medien") freiwillig auch die Kosten für das Erstellen der Hörfilmbeschreibung übernommen, so kommen wir zusätzlich in den Genuss von Filmen wie den französischen "Monsieur Claude und seine Töchter" oder "Fifty Shades of Grey"!
Ich war vergangenes Jahr mit "Greta" so oft im Kino wie seit langem nicht mehr. Aber bei vielen der Zielgruppe, das sind übrigens wir, die "Kinoblindgänger", hat sich das tolle Angebot, barrierefrei ins Kino gehen zu können, wohl noch nicht genug rumgesprochen!
Das hat mich auf den Plan gerufen. Ich will ein wenig, nein ganz viel, Bewegung in die Sache bringen, Kinobegeisterte finden und so den Filmverleihern zeigen, wie wichtig ihr Engagement auch weiterhin für uns ist.
Wie wär"s denn, sich von der zugegebenermaßen gemütlichen heimatlichen Couch zu trennen, um mit Freunden, Popcorn und einem leckeren Getränk unter Menschen einen lustigen, spannenden, melancholischen, dramatischen Kinoabend zu verbringen? Also dann!
Zur Autorin
Seit Anfang 2015 schreibt Barbara Fickert (56) in ihrem Blog www.blindgaengerin.com über ihre Kinoerlebnisse. Die gebürtige Mannheimerin lebt seit 32 Jahren "glücklich in Berlin". Sie besuchte eine Sonderschule für Sehbehinderte und hat anschließend das Abitur an einem Regelgymnasium in Heidelberg absolviert. Nach dem Jurastudium in Heidelberg und Berlin — leider ohne erfolgreichen Abschluss — hat sie in Büros als Logistikerin gearbeitet. Vor 15 Jahren musste sie — anfangs widerwillig — das Training mit dem weißen Langstock absolvieren, den sie inzwischen keine Minute mehr missen möchte. Wenn Barbara Fickert nicht ins Kino geht, spielt sie akustische Gitarre und Percussion. Dazu versucht sie, sich durch Sport fit zu halten.
App in den Urlaub
Barrierefreies Reisen mit dem iPhone
Seit ich mein iPhone habe, bin ich unterwegs mutiger, spontaner und besser informiert. Diverse Apps helfen mir dabei, mich zu orientieren und zu informieren. Ich weiß seither, wo die nächste Bushaltestelle ist, ob mein Zug Verspätung hat, wo es am Urlaubsort die beste Pizza gibt und welche Wanderungen ich machen kann. Ja, und alles das, ohne ständig jemanden fragen zu müssen. Hier also meine fünf Apps für die persönliche Mobilität, auf die ich nicht mehr verzichten möchte. Diese Apps habe ich als Blinder getestet und kann sie uneingeschränkt empfehlen.
DB Navigator — Wissen, wann der Zug fährt
Öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu können, ist zu Hause und besonders auf Reisen ein großer Schritt in Richtung Selbständigkeit. Vor allem, wenn sich auf der Reise einmal plötzlich etwas ändert, der Zug Verspätung hat oder auf einem anderen Gleis fährt. In solchen Situationen stand man doch früher gerne mitunter etwas hilflos auf dem Bahnhof und wusste nicht weiter. Mit dem DB Navigator der Deutschen Bahn lässt sich nun einfach und barrierefrei in Echtzeit herausfinden, welche Zugverbindung die optimale ist, auf welchem Gleis der Zug abfährt, ob er verspätet ist oder nicht und was die Fahrkarte kostet. Da der DB Navigator auch den Regionalverkehr beherrscht, lässt sich auch die nächste Bushaltestelle in der Umgebung samt haltestellenfahrplan anzeigen und eine Verbindung sozusagen von Tür zu Tür planen.
Outdooractive — Wandern auf eigene Faust
Wer in der Orientierung eingeschränkt ist, denkt vielleicht hin und wieder: Ich würde ja gerne mal auf unbekannten Wegen wandern oder spazieren gehen, doch was, wenn da niemand ist, den ich nach dem Weg fragen kann, und überhaupt, wo ich mich nicht auskenne, da bleib ich lieber fern. Doch wie heißt es so schön: Da gibt's eine App für. Mit Outdooractive kann man sich über Wanderwege informieren, bevor man das Haus verlässt und sie dient sogar als Navigationshilfe unterwegs. Die App bietet viele Informationen für Aktivitäten in der freien Natur. Ob Wandern, Joggen oder Radfahren: Zahlreiche Touren in ganz Deutschland werden in Wort und Bild dargestellt. Man kann sich z.B. nach Schwierigkeitsgrad und Länge Wanderungen für den Urlaubsort zusammenstellen und sich so mit seiner Umgebung vertraut machen. Zum Startpunkt führt eine gängige navigations-App und auf der Tour selbst sagt das Smartphone an, wann die nächste Abzweigung kommt und ob man sich noch auf der Route befindet. Kompass, Höhen- und Geschwindigkeitsmesser sind eine willkommene Ergänzung. Also: Keine Ausrede mehr, und raus in die Natur!
TripAdvisor — was die anderen über meinen Urlaubsort sagen
Man braucht heute wirklich niemanden mehr, der einem meterweise Reisekataloge vorliest. Mit dem Smartphone lässt sich auch das unkompliziert erledigen. Wer schon weiß, wo es hingehen soll, aber noch kein geeignetes Hotel gefunden hat, für den ist TripAdvisor die App der Wahl. Sie bietet Hotelbewertungen, Restaurant-empfehlungen, Shoppingtipps und Sehenswürdigkeiten am Urlaubsort. Wie gefällt meine Pension anderen Leuten, wohin gehen wir heute Abendessen oder, kann man hier sonst noch irgendetwas unternehmen? All diese Fragen kann TripAdvisor beantworten.
Blindsquare — sich umschauen, ohne etwas zu sehen
Über Sehenswürdigkeiten und Restaurants weiß Blindsquare auch Bescheid, doch diese speziell für Blinde gemachte App kann noch viel mehr: "Was sind hier eigentlich für Geschäfte um mich herum, wann kommt denn endlich die nächste Straßenkreuzung und bin ich noch auf der Richtigen Straße? Ich würde jetzt gerne etwas essen, bin aber nicht schon wieder in der Stimmung, jemanden zu fragen." Wenn Sie sich beim Unterwegs-Sein solche und ähnliche Fragen auch manchmal stellen, dann ist Blindsquare die Richtige App für Sie. Blindsquare sagt an, was sich in der näheren Umgebung befindet. Blindsquare kennt die besten Restaurants, die nächste Bushaltestelle, den nächsten Supermarkt sowie Straßen und Gebäude in der Nähe. Mit Blindsquare kann man sich umschauen, ohne etwas zu sehen. Die App nutzt Karten-Daten von Google oder Open Street Map und persönliche Einträge von Nutzern weltweit. Man kann auch eigene Punkte anlegen, um sie später per GPS wiederzufinden. Blindsquare ist kein Navigationssystem, aber es gibt dem Nutzer viele hilfreiche Informationen über seine Umgebung, genau dann, wenn er sie braucht. An den Umgang mit Blindsquare muss man sich ein wenig gewöhnen, aber es lohnt sich.
Sayhi — Fremdsprachen sprechen, ohne sie zu können
Mit Händen und Füßen kommunizieren ist mit Seheinschränkung nicht gerade einfach. Aber auch wer alles sehen kann, gewinnt die Sympathie der Gastgeber durch Kenntnisse der Landessprache. Einen kleinen Sprachführer dabeizuhaben, gehört deshalb zur Grundausstattung für den Auslandsreisenden. Und endlich ist das Taschenwörterbuch auch für Blinde nutzbar. Und das einfacher als je zuvor. Die App Sayhi liefert Übersetzungen von Wörtern und ganzen Sätzen in mehr als 50 Sprachen. Einfach ins Mikrophon sprechen und die Übersetzung erklingt in sehr guter Qualität aus dem iPhone-Lautsprecher. Gleichzeitig erscheinen beide Texte auf dem Bildschirm. Man kann so wichtige Ausdrücke für die Kommunikation im Urlaub lernen oder gleich mit der App als Simultan-Übersetzer mit dem Gegenüber sprechen. Das kann wiederum seine Antwort in die App sprechen und sie wird sofort rückübersetzt. Es gibt nur einen kleinen Nachteil: Sayhi braucht das Internet, um zu funktionieren. Da im Ausland die Internetnutzung per Smartphone mitunter Recht teuer ist, sei das hier warnend angemerkt. Alternativ gibt es Programme wie den Jourist Weltübersetzer, der zwar nicht ganz so viel kann, aber ohne Internet auskommt. Seit die Firma Apple ihr iPhone im Jahr 2009 erstmals mit einem Screenreader ausgestattet hat, haben sich verschiedenste Smartphones mit ihren Sprachausgaben, Kameras und GPS-Modulen zu praktischen Helfern für Blinde und Sehbehinderte entwickelt. Diverse Apps (kleine Programme) helfen beim E-Mails-Diktieren, beim Vorlesen, beim Farben-Erkennen oder bei der Orientierung unterwegs. Inzwischen können auch andere Smartphones sprechen, doch das iPhone erledigt speziell für blinde und Sehbehinderte seine Aufgaben am zuverlässigsten.
Die hier vorgestellten Apps für Unterwegs sind nicht alle kostenlos, aber mit Funktionen ausgestattet, die den Preis in jedem Fall rechtfertigen.
Der Beitrag erschien in "PRO RETINA - Retina aktuell".
Zum Autor
DVBS-Mitglied Matthias Klaus ist 51 Jahre alt und geburtsblind. Er arbeitet bei der "Deutschen Welle" in Bonn als Redakteur, Autor und Spezialist für Barrierefreiheit. Seit er im Herbst 2009 seinen ersten iPod Touch bekam, ist er überzeugter Nutzer von Apple iOS.
Berichte und Schilderungen
Die Odyssee, Deutsch zu lernen
Eigentlich dachten wir, dass es recht leicht ist, einen Sprachkurs für meine Frau zu finden. Sie spricht gut Englisch, hat eine israelische Lehrerlizenz und sogar Grundkenntnisse in Schwedisch. Aber sie ist halt ein wenig blind.
Nachdem wir nun am 23. September 2014 geheiratet hatten, begannen wir die Rallye durch die restliche Bürokratie. Die gefürchtete Ausländerbehörde passierten wir en passant. Von dieser wurde uns mitgeteilt, dass meine Frau verpflichtet sei, Deutsch zu lernen. So weit, so gut. Dazu gab"s einen Gutschein für einen Sprachkurs. Einen solchen zu finden, besonders einen für meine blinde Frau geeigneten, das blieb unsere Sache.
Die meisten angefragten Anbieter von Integrationssprachkursen erfanden spannende Begründungen und Ausflüchte, um meine Frau nicht zu beschulen. Nur die Volkshochschule (VHS) Kassel in Person ihrer Leiterin war interessiert, meine Frau zu beschulen. Hier hatte auch schon eine blinde Lehrerin gearbeitet. Die VHS-Leiterin half uns auch bei der Korrespondenz mit Ämtern und der Beschaffung des Lehrbuches als Word-Dokument. Allerdings war allen Beteiligten klar, dass meine Frau eine persönliche Assistenz braucht, da die VHS durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für barrierefreien Unterricht nicht adäquat technisch ausgestattet worden war: Es gibt z.B. keine technischen Hilfsmittel, um ein Tafelbild etc. auf den Laptop meiner Frau zu spiegeln.
Der erste Kontakt mit dem zuständigen Mitarbeiter beim BAMF war sehr angenehm. Er wollte uns helfen, eine Finanzierung für die Assistenz zu organisieren. Es gab hier verschiedene Optionen, die dann alle nicht realisierbar waren: Ein spezieller Sehbehindertenkurs kam nicht in Frage, denn dafür hätte es mindestens fünf sehgeschädigte Teilnehmer in der Region geben müssen. Alternativ war das BAMF bereit, eine Assistenz zu zahlen. Allerdings konnte das BAMF die Zahlungen für die Assistenz nur an den Veranstalter des Sprachkurses zahlen, in unserem Falle also die Kasseler VHS. Da aber die VHS aufgrund rechtlicher Vorgaben kein Assistenzpersonal einstellen darf, endete das Ganze wie das berühmte Hornberger Schießen. Nebenbei: Eine geeignete Assistenzkraft hatten wir bereits an der Hand.
Während des ganzen geschilderten Prozesses hatten wir Kontakt mit der rbm. Wir bekamen Tipps, die aber leider durch das konkrete Handeln der Behörden ad Absurdum geführt wurden. So lehnte die Bundesagentur für Arbeit den Antrag auf Assistenz ab mit dem Verweis auf die Zuständigkeit des BAMF. Nun stellten wir also einen Antrag beim BAMF. Das BAMF hat aus völlig formalen Gründen nicht geleistet (siehe oben). Ein Antrag direkt bei der VHS wurde wie oben geschildert ebenfalls abgelehnt.
Anfang Dezember letzten Jahres riet uns die Rechtsberatung behinderter Menschen (rbm), einen Antrag bei der Eingliederungshilfe zu stellen. Dies taten wir im Schwalm-Eder-Kreis, unserem damaligen Wohnsitz. Hier geschah nach der Antragstellung erstmal nichts. Als wir dann jedoch nach Kassel, also in eine Nachbarkommune, umzogen, wurde die Eingliederungshilfe umgehend tätig und verwies den Antrag unbearbeitet nach Kassel. Nun begann das bis heute dauernde kuriose Spiel, dass die beiden Kommunen sich die Zuständigkeit gegenseitig zuschieben, uns sogar die Einschaltung eines Anwalts raten bzw. ihre Rechtsämter aufeinander hetzten. Uns nutzten diese behördlichen Kraftakte bisher konkret nicht.
Dabei sind sich alle Akteure, vom Jobcenter bis zum Sozialamt, einig, dass die mittlerweile vom BAMF favorisierte Lösung, meiner Frau einen Deutschkurs im knapp drei Stunden einfache Reisezeit entfernten Frankfurt zu verpassen, eine absurde und unzeitgemäße Lösung ist.
Es ist einfach für uns zermürbend, zwischen diesen Windmühlen zu stecken. Dabei entsteht für mich und meine Frau eine hohe psychische Belastung, denn ich muss permanent dolmetschen und meine Frau hat große Schwierigkeiten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und ist immer tendenziell sozial ausgegrenzt.
Keine Behörde ist bereit, gegebenenfalls auch unkonventionell in der konkreten Situation zu helfen, uns zum Beispiel einen Kredit oder Vorschuss zu geben, auch nicht das Jobcenter, das meine Frau jetzt formell verpflichtet hat, einen Integrationssprachkurs zu besuchen.
Eines bei all dem zermürbenden Stress muss ich zum Abschluss noch erwähnen: In anderen Ländern sieht es noch viel, viel schlechter aus. Denn in Ländern wie z.B. Israel gibt es keine schlagkräftigen Blindenorganisationen mit einer Rechtsberatung wie der RBM. Und es gibt grundsätzlich überhaupt keinen qualifizierten Sprachunterricht für behinderte Menschen. D.h. man kann auch keine Anträge stellen, sondern nur auf Spenden hoffen.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Wa Ba Du Wi Du Wi Da
Impressionen vom Gesangsworkshop 2015 mit Pascal von Wroblewsky beim Verein "Liederleute" in Boltenhagen
Neue Stimm-Horizonte erschlossen sich allen Teilnehmern dieses Gesangsworkshops vom 20. bis 22. März 2015 im Aura-Hotel "Seeschlößchen" in Boltenhagen direkt an der sturmbewegten Ostsee. Mit freudevollem und hingebendem Engagement hat Pascal von Wroblewsky, die erfahrene Stimmbildnerin und Jazz-Sängerin, die 16 vorwiegend blinden Teilnehmer erleben lassen, wie die Stimme durch gezielte Entspannungsübungen, Artikulationsübungen und spontane Melodiefolgen erweckt wird, so dass wir vom ersten Abend an bis zur letzten Stunde nicht nur einige typische Jazz-Standards erlernt, mehrstimmig einstudiert und mit großer Freude gesungen haben, sondern auch noch darüber hinausgehend auf Basis der Grundmotive in die Welt der Jazz-Improvisation eingetaucht sind.
Das alles geschah mit spielerischer Leichtigkeit und zugleich großer Konzentration und infolgedessen mit wachsender Euphorie, obwohl viele Teilnehmer bisher kaum so haut- und stimmnahen Kontakt mit der Klangwelt des Jazz genossen hatten. So erlernten wir eine dreistimmige Motivkette aus "Mission Impossible" im Fünf-Viertel-Takt. Wir sangen zweistimmig das Hauptmotiv des altbekannten, aber keinesfalls abgedroschenen Stücks "Autumn Leaves", das wunderbare Stück "Feeling Good", zu dem Trudi Kindl die Texte in Braille-Schrift bereitstellte. Und wir haben einmal gehört, wie das Volkslied "Der Mond ist aufgegangen" sich in Jazz-Manier anhören kann. Begierig haben wir alle die vielen Tipps und Tricks, die Übungen für Stimme und Aussprache, die Grundgesetze und Bausteine der Jazz-Musik und die individuellen Hinweise der aufmerksamen und umsichtigen Gesangspädagogin Pascal von Wroblewsky mit ihrem erfrischenden humorvollen Esprit aufgesogen, die selbst voller Dankbarkeit und Überraschung unsere Talente wahrgenommen und stets ermunternd gefördert hat.
Für manche der Teilnehmer war es bereits der vierte von den Liederleuten e.V. organisierte Workshop dieser Art mit jeweils ganz unterschiedlichen Themenschwerpunkten, andere waren das erste Mal dabei. Initiiert und getragen wird diese Reihe durch den herzerquickenden Kontakt zwischen Karen Thorstensen, Vorsitzende des Vereins Liederleute e. V., und Pascal von Wroblewsky, der anlässlich der Liedertage 2009 geknüpft wurde. Alle waren sich einig, dass sie noch nie so einen wertvollen und effektiven Workshop erlebt haben. Das lag vor allem auch daran, dass wir die ganze Zeit bei der Sache geblieben sind und die einzelnen im Prozess der Gruppendynamik über sich selbst hinausgewachsen sind. Mit diesem Workshop haben wir zugleich ein Handwerkszeug an die Hand bekommen, das ungeahnte Möglichkeiten der Entfaltung schlummernder Talente und neuer Klangqualitäten im Gesang bietet.
Uns wurde gezeigt, dass die Stimme ein sehr dankbares Instrument ist, das auf natürliche Weise "entrostet" und zu neuer Lebendigkeit erweckt werden kann, die uns dieses für den Jazz signifikante Prickeln im Bauch erleben lässt, indem wir uns auf diese Art des Gesangs einlassen - wie leicht es manchmal ist, Glücksgefühle zu erzeugen.
Bei alledem sind die Rahmenbedingungen, die durch die Umsicht und Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Aura-Hotels Boltenhagen geschaffen werden, speziell für Blinde und Sehbehinderte mehr als ideal. Und trotz der intensiven Arbeit sind sich die Teilnehmer in den freien Zeiten untereinander näher gekommen und haben im Beisammensein neue Kontakte geknüpft. Darum ist natürlich auf vielfachen Wunsch hin schon der nächste Gesangs-Workshop-Termin, dessen Themenschwerpunkt der Komponist Kurt Weill sein soll, mit Pascal von Wroblewsky im folgenden Jahr an einem Wochenende vor Ostern ins Auge gefasst worden, dem viele schon jetzt mit freudiger Erwartung entgegenfiebern.
Aus der Arbeit des DVBS
Barrierefreie IT für inklusives Arbeiten!
Das Projekt BITi — eine Zwischenbilanz
Wer am Arbeitsplatz nur mit spezieller Technik einen PC nutzen kann, weiß, wie belastend es ist, wenn der Screenreader oder die Vergrößerung mal wieder "zickt", die Arbeit nicht erledigt werden kann und sich Stress breit macht. Oft sind IT-Barrieren die Ursache dafür, wenn nach einem Update oder der Einführung einer neuen Software Arbeitsabläufe geändert oder mehr Assistenz erforderlich werden.
Kompetenzzentren für barrierefreie IT könnten auf Dauer gewährleisten, dass Informations- und Kommunikationstechniken in Arbeitsstätten im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes "in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind". Ein weiteres Mittel, dies sicherzustellen wäre, bereits bei der Ausschreibung, Beschaffung, Planung und Entwicklung mit Hilfe von modernen Testverfahren die Barrierefreiheit der IT im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) inklusiv zu gewährleisten. Und schließlich sollten alle am Prozess der barrierefreien IT Beteiligten nicht nur für diese betriebliche Querschnittsaufgabe sensibilisiert, sondern auch qualifiziert sein.
Dieser komplexen Aufgabenstellung hat sich das Team des DVBS-Projektes "Barrierefreie IT für inklusives Arbeiten" (BITi) im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales angenommen. Inzwischen kann eine erste Zwischenbilanz gezogen werden:
Kompetenzzentren für barrierefreie IT
Bis heute haben sieben Projektpartner eine Kooperationsvereinbarung mit dem DVBS abgeschlossen, mit dem Ziel, durch Unterstützung von BITi Kompetenzzentren für barrierefreie IT aufzubauen. "Schnell ist unseren Partnern bewusst geworden, welche großen Vorteile es mit sich bringt, unser umfassendes Qualifizierungsangebot zu nutzen und der Wissensdurst aller Beteiligten ist hoch", stellt Wolfgang Haase fest, der im Projekt die Fortbildungsangebote koordiniert. "Abhängig vom vorhandenen Wissen wird für jedes Kompetenzzentrum ein bedarfsgerechtes Qualifizierungsprogramm entwickelt", beschreibt Wolfgang Haase den Prozess. Spezielle Workshops richten sich an unterschiedliche Zielgruppen wie z.B. an Expert/innen, die die barrierefreie Gestaltung von Webinhalten, Anwendungssoftware und PDF-Dokumenten sicherstellen sollen.
Bis Ende März hatten an Onlineworkshops 82 und an Präsenzworkshops 292 Personen teilgenommen. Bei den Präsenzworkshops besuchten 180 Teilnehmende Sensibilisierungs-Workshops, 21 Entwicklerworkshops und 61 PDF-Workshops. Mit dem Thema Barrierefreiheit in IT-Projekten befassten sich im Rahmen von Workshops 30 Personen. Bisher wurden sechs BITV-Prüfer/inen (BITV: Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung) erfolgreich qualifiziert, weitere befinden sich noch in der Ausbildung. Drei Experten für die Entwicklung barrierefreier IT wurden in Hospitationen bestätigt, 22 Multiple-Choice Tests erfolgreich absolviert.
Sozialwissenschaftliche Erhebungen
Das Thema "barrierefreie IT" wird im Projekt auf drei Ebenen untersucht: Befragungen, Dokumenten-Analysen und Fallanalysen, erklärt Herbert Rüb, der für diesen Teil des Projekts verantwortlich ist. Befragt wurden blinde und sehbehinderte Beschäftigte, Vorgesetzte und Mitglieder von Schwerbehindertenvertretungen. Zudem wurden mehr als 100 Akten zu Problemen an Arbeitsplätzen gesichtet, die von Integrationsämtern zur Verfügung gestellt wurden. "Allen Befragten begegnen unterschiedliche Barrieren von Software", fasst Herbert Rüb die ersten Ergebnisse zusammen. "Die größten Schwierigkeiten bereiten Betroffenen in Behörden entwickelte Programme, bei denen die Barrierefreiheit nicht bedacht wurde." Häufig käme es zu Orientierungs- und Navigationsproblemen auf den grafischen Programmoberflächen.
Im Rahmen der Befragung von DVBS-Mitgliedern konnte eine Vielzahl von Anwendungsproblemen im Zusammenspiel von Anwendungssoftware und Hilfsmitteln identifiziert werden, die bei der täglichen Arbeit zu teilweise erheblichen Schwierigkeiten oder zu einem erhöhten Bedarf an Arbeitsplatzassistenz führen. Die Interviewten benannten insgesamt 95 Anwendungsprobleme, die sich auf 11 Anwendungsgruppen verteilen. Exemplarisch sollen nun auf der Grundlage von Fallstudien konkrete Handlungsempfehlungen für die Optimierung in Abstimmung mit Integrationsämtern entwickelt werden.
Viele der Befragten befürchten zunehmende Schwierigkeiten an Blinden- und Sehbehindertenarbeitsplätzen. Durch IT-Barrieren würde viel Zeit verloren gehen, die die Beschäftigten sinnvoller nutzen könnten, so ein Fazit der Erhebungen.
Entwicklung von Testverfahren
Seit Jahren gibt es den BITV-Test, mit dem der Grad der Barrierefreiheit von Webinhalten geprüft werden kann und der von der BIK-Beratungsstelle des DVBS angeboten wird. Seit langem wird ein vergleichbares Instrument auch zur Prüfung für nicht webbasierte und komplexe Anwendungssoftware gefordert. Bereits bestehende Testmöglichkeiten, wie die IBM-Checkliste, sind unzureichend. "Der Grund hierfür ist, dass mit der IBM-Checkliste nicht alle Aspekte der Barrierefreiheit geprüft werden können", erläutert BITi-Chefentwickler Detlef Girke. Außerdem sei sie auch nicht auf mobile Apps anwendbar. Alternativ können auch nicht die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) herangezogen werden, so Detlef Girke, "weil auf der WCAG-Basis nur mit einem nicht vertretbaren Interpretationsaufwand und dann auch nur eine unvollständige Prüfung möglich ist".
Bei der Untersuchung von unterschiedlichen Normen, Richtlinien und Prüfinstrumenten durch das BITi-Testteam hat sich gezeigt, dass sich die Kriterien der EN ISO 9241, Teil 171 ("Ergonomie der Mensch-System-Interaktion — Teil Leitlinien für die Zugänglichkeit von Software") wie auch der EN 301 549 (Accessibility requirements suitable for public procurement of ICT products and services in Europe) besonders gut als Grundlage für die Entwicklung eines Testverfahrens eignen. "Vorteilhaft ist aus unserer Sicht, dass die EN ISO 9241 als Teil der Bildschirmarbeitsverordnung nicht nur ein internationaler Standard zur Bewertung der Benutzerfreundlichkeit ist, sondern deren Einhaltung für Arbeitgeber rechtlich bindend ist", stellt Projektleiter Karsten Warnke fest. Die Norm enthält bereits detaillierte Prüfanweisungen, die ähnlich der Systematik des BITV-Tests aufbereitet werden können. Die Testentwicklung wird von einem Kreis von Expert/innen begleitet, die über umfassende Kenntnisse und Erfahrungen aus der Prüfpraxis, der Software-, der Test- und der Screenreaderentwicklung verfügen.
Ein weiteres Entwicklungsvorhaben bezieht sich auf die Prüfung von PDF-Dokumenten. Das alte PDF-Prüfverfahren im Rahmen des BITV-Tests stützt sich fast ausschließlich auf die kommerzielle Software Adobe Acrobat Pro. Außerdem können damit z. B. keine Formulare, Audio- und Videoanteile geprüft werden. "Wir sind zu der Erkenntnis gelangt, dass der von der PDF-Association initiierte PDF /UA-Standard auf der Grundlage der DIN ISO 14289-1 und der Prüfkatalog "Matterhorn Protokoll" eine hervorragende Basis für die Entwicklung eines zeitgemäßen umfassenden PDF-Testverfahrens darstellen", erläutert Detlef Girke. In enger Abstimmung mit Expert/innen der PDF-Association, der der DVBS als Mitglied beigetreten ist, wird das PDF-Testverfahren entwickelt.
Terminvorschau
Seminartermine 2015:
24. bis 26. Juli: Tai Chi, Marburg
Der Kurs beginnt mit der Einübung von Stocktechniken aus dem Tai Chi. Diese langsam ausgeführten Bewegungsabläufe dienen zur Entspannung und zum Training der Muskulatur. Im zweiten Teil des Seminars wird es dann dynamischer, neben Hebel- und Befreiungstechniken kommen Stockübungen zum Einsatz, die der Abwehr von Angriffen dienen sollen. Eine körpergroße Dummy-Puppe dient dabei als Zielobjekt. Durchgeführt wird der Kurs vom selbst blinden Übungsleiter Ingo Gebler.
24. bis 29. August: Fachgruppe Musik — Chorwoche in Wernigerode
4. bis 6. September: Fachgruppe Studium und Ausbildung — Bundesweites Treffen blinder und sehbehinderter Studierender und Auszubildender in Kassel
Smartes Auftreten mit Seheinschränkung, Literatur und Medien 2.0
Vom 4. bis 6. September 2015 findet in der Jugendherberge Kassel das Seminar "Fit für die Zukunft - vernetzt euch", organisiert von der Fachgruppe Studium und Ausbildung des DVBS, statt. Dabei wird es um die Zugänglichkeit von elektronischen Medien wie E-Books, E-Papers und der Onleihe gehen. Außerdem werden technische Möglichkeiten zum Erstellen von Briefen und Briefumschlägen erläutert. Die Tücken und Vorteile von Smartphones sind ebenfalls ein Thema. Rechtliche Besonderheiten im Masterstudium, Förderung von Auslandsaufenthalten für blinde und sehbehinderte Studenten und der Diskriminierungsschutz werden ebenfalls thematisiert. Auch für den umfassenden Erfahrungsaustausch wird genug Zeit bleiben. Als besonderer Leckerbissen werden eine Anreise bereits am 3. September sowie ein Rhetoriktraining am Freitag, 4. September, angeboten. Die Anmeldeunterlagen und ein Programmentwurf werden im Mai bereitgestellt.
18. bis 20. September: Energydance für Blinde und Sehbehinderte, Wetzlar
9. bis 11. Oktober: Fortbildungsseminar der Fachgruppe Jura in Erfurt
5. bis 12. Oktober: Seminar der Gruppe Ruhestand in Bad Liebenzell
Weitere Informationen zu den Terminen finden Sie unter www.dvbs-online.de/php/aktuell.php
Aus der blista
Einen „James“ sollte man haben!
Systemhaus Marburg mit Rekordumsatz auf Übungsfirmenmesse
Mit viel Elan und einer ganzen Menge technischem Equipment machten sich die Auszubildenden und Umschüler der IT-Ausbildung der blista auf den Weg zur alljährlichen Übungsfirmenmesse. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Übungsfirmenringes (Züf) fand die Messe in Essen statt, wo der Zusammenschluss auch einst gegründet wurde. Acht Auszubildende und zwei Ausbilder trafen sich am Montagmorgen auf dem Marburger Hauptbahnhof, um nach Essen zu gelangen. Ergänzt wurde das Team durch einen Fahrer, der zeitgleich den Messestand nach Essen transportierte.
Am Zielbahnhof angekommen, ging es samt Koffer direkt zum Standaufbau auf das Messegelände. Dort traf kurz nach der Gruppe auch der "Tour-Bus" ein. Im Vergleich zu den Vorjahren war die doppelte Standfläche gemietet worden, da neben den Auszubildenden auch zum ersten Mal eine Gruppe von Umschülern mit von der Partie war. Nachdem der zugewiesene Messestand gefunden und begutachtet worden war, nahmen der Aufbau und die Installationen immerhin vier Stunden in Anspruch. Arbeitsplätze wurden errichtet, Technik verdrahtet und allerhand Plakate und sonstige Dekoration wurden angebracht. Am nächsten Morgen begann der Messetag schon um 8 Uhr, da noch weitere Werbematerialien geliefert worden waren, die platziert werden mussten. Schon kurz nach Öffnung der Messe-Tore liefen die ersten Firmen- und Privatkunden durch die Gänge. Da die Technik bereits zuverlässig funktionierte, konnte sofort mit dem Verkauf von virtuellen Gütern begonnen werden. Als Teil des Übungsfirmenringes verkauft das Marburger Systemhaus — die Übungsfirma der IT-Umschüler der blista — die unterschiedlichsten Artikel aus dem IT-Bereich. Verkaufsschlager in diesem Jahr war "James", ein beinahe menschlich agierender Roboter, der alle Aufgaben in Haushalt und Garten erledigen kann.
Liefen die Verkaufsgespräche wegen ausbleibender Kunden zunächst noch schleppend an, so waren die Mitarbeiter des Systemhauses spätestens gegen Mittag meist völlig ausgelastet. Dafür war einerseits die große Professionalität der Verkäufer, andererseits aber auch das Gewinnspiel verantwortlich, das dank attraktiver Sachpreise viele Kunden an den Stand lockte. Anlässlich des Jubiläums waren auch zahlreiche Firmen, nicht nur aus den Nachbarstaaten Deutschlands, angereist. Auf 178 Ständen waren Übungsfirmen aus 22 europäischen und außereuropäischen Ländern vertreten. So traf man in den Messehallen unter anderem auf Firmen und Besucher aus Osteuropa, Brasilien, den USA, Kanada und dem neuen Mitgliedsland des Übungsfirmenrings, Südkorea. Ebenfalls durchstreiften Vertreter der Stadt Essen, verschiedener Landesministerien und auch Funk und Fernsehen die Messegänge. Viele interessante Verkaufsgespräche, nicht zuletzt auch auf Englisch und Französisch, wollten geführt werden.
Am frühen Nachmittag trafen dann schließlich die Auszubildenden des ersten Lehrjahres der blista ein, die, mit einem Einkaufsprojekt betraut, zahlreiche Firmenstände abklapperten, um die benötigte Firmenausstattung zu ergattern.
Der erste Verkaufstag konnte mit einem zufriedenstellenden Umsatz von rund 4 Millionen Euro beschlossen werden. Der Mittwoch bewies, dass die Mitarbeiter des Systemhauses mit der gewonnenen Routine vom Vortag erst richtig loslegen konnten. Ein Rekordumsatz von rund 10.000.000 Euro war das Ergebnis eines langen und anstrengenden Verkaufstages. Am Donnerstag blieb schließlich noch ein halber Messetag, um das gute Verkaufsergebnis angemessen abzurunden. Auch wegen des Ansturms von insgesamt über 10.000 Besuchern, schafften die Auszubildenden es mit den bewährten Verkaufsrezepten schließlich, einen Gesamtumsatz von 16,3 Millionen Euro zu erwirtschaften, was das bislang beste Messeergebnis in der Geschichte der Übungsfirma darstellt. Gegen Mittag hieß es dann noch, den Messestand zusammenzupacken und die Rückreise im Regionalverkehr der Bahn durchzustehen. Zufrieden mit dem Ergebnis, aber auch müde und erschöpft, trafen Ausbilder, Umschüler und Auszubildende schließlich am Donnerstagabend wieder in Marburg ein.
Zum Autor
Peter Knoche ist Umschüler zum Informatikkaufmann.
Gedenken an Klaus Dörrie
Der bescheidene Retter
Auszug aus dem Nachruf von Paul Marx, ehemaliger Vorsitzender der blista und des blista-Verwaltungsrates, gehalten im Rahmen der blista-Mitgliederversammlung.
Klaus Dörrie wurde am 3. Januar 1936 geboren und verstarb im Alter von 78 Jahren am 23. November 2014.
39 Jahre, ein ganzes Berufsleben, war der gelernte Diplom-Sozialwirt beim Paritätischen Gesamtverband. Als Referent für Grundsatzfragen, Öffentlichkeitsarbeit und Rehabilitation fing er 1960 an, wurde dann geschäftsführender Hauptreferent und 1980 schließlich Hauptgeschäftsführer, eine Position, die er bis 1999 bekleidete.
Ich persönlich begegnete ihm erstmals 1962 und sollte danach immer wieder Gelegenheit haben, seine besondere Persönlichkeit kennen und schätzen zu lernen.
Den Vorsitz der blista übernahm er 1985 in einer Zeit, in der sich niemand nach diesem Amt gedrängt hat. Im Gegenteil, es zeigt Klaus Dörries von sozialer Verantwortung geprägtes Denken und Handeln, dass er sich in der schwersten Krise der blista zu ihrem Vorsitzenden wählen ließ. Eine bewegte Zeit, eine böse Zeit.
Innerbetrieblich tobten heftige Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Bereichen mit erheblichen persönlichen Zerwürfnissen und die blista war hoch verschuldet. Die Insolvenz drohte und das Tischtuch zwischen den hessischen Ministerien und der blista war zerschnitten. Die blista war manövrierunfähig und ihre gesetzlichen Vertreter fürchteten um ihr Privatvermögen.
Klaus Dörrie war es, der den Faden wieder aufnahm, den Finanzminister davon überzeugte, dass es sinnvoll war, diese einzigartige Einrichtung zu erhalten, sie zu entschulden und ihr zunächst einmalig, dann laufend, einen nicht unerheblichen Betrag zur Verfügung zu stellen. Es gelang ihm auch, einen Schatzmeister zu finden, der dem Vorstand in den darauffolgenden Jahren wieder Zuversicht im finanziellen Bereich vermitteln konnte. In einem Nachruf des Paritätischen wird seine Persönlichkeit so beschrieben:
"Er führte Menschen zueinander und ließ so Ideen entstehen. Er konnte das, weil die Menschen ihm vertrauten."
Die blista hatte das Glück, ihn in schwerster Krise an ihrer Spitze zu haben. Wir alle werden ihn und seine Verdienste in dankbarer Erinnerung behalten.
Noch einige Plätze frei! Ferienspaß für sehbehinderte und blinde Jugendliche
"Probier dich aus — Mach dich fit!"
Auch in diesem Jahr bietet die blista in Kooperation mit dem Jugendclub des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) ein Sommercamp für blinde und sehbehinderte Jugendliche im Alter von 12 bis 16 Jahren.
Im Mittelpunkt stehen dabei Abenteuer, Spiel, Sport, Musik und Spaß. Kanufahren auf der Lahn, Schatzsuche in den Lahnbergen, sein Glück auf dem Rücken eines Pferdes suchen, mit dem Tandem zur Eisdiele radeln oder Lego-Roboter am Computer programmieren, gehören zum abwechslungsreichen Ferienprogramm. Und wer lieber in den Seilen hängt, ist beim Klettern sicher gut aufgehoben. Während der fünf Tage in Marburg wohnen die Kinder in einer Wohngruppe der blista, in der sie von Pädagoginnen und Pädagogen betreut werden.
Das Sommercamp findet vom 28. August bis 3. September 2015 statt und kostet 320 Euro. Anmeldeschluss ist der 15. Juni 2015.
Für weitere Informationen und Anmeldung wenden Sie sich bitte an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Punktschrift für Anfänger – als Sehender die Blindenschrift erlernen
Wir heißen alle willkommen, die das Lesen und Schreiben der Braille-Schrift erlernen wollen. Wir vermitteln an diesem Tag die Grundlagen der Basisschrift und lernen verschiedene Punktschriftgeräte und die Braille-Zeile kennen.
Termin: 26. September 2015, 9 bis 18 Uhr
Anmeldeschluss: 19. August
Referenten: Heidi Theiß-Klee, Blinden- und Sehbehindertenlehrerin; Markus Marte, Fachlehrer für Hilfsmittel und IT an der blista
Teilnehmerzahl: 10 Personen
Teilnahmebeitrag: 140€/ 70€ für Studierende und Auszubildende
Smartphones und Handys: Ich möchte doch nur telefonieren!
Für blinde und sehbehinderte Menschen, die erste Erfahrungen mit den Grundfunktionen von Smartphones und Handys sammeln möchten.
Moderne Mobiltelefone bieten heute eine enorme Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten. Viele Menschen möchten aber zunächst die Grundfunktionen wie Telefonieren und Kurznachrichten sicher und effizient bedienen. Gerade auch für ältere Personen können die modernen Handys nützliche Unterstützung im Alltag bieten.
In diesem Workshop wollen wir zeigen, wie ein Smartphone benutzerfreundlich eingerichtet werden kann. Dabei gehen wir gerne auf Ihre individuellen Fragen ein. Geräte zum Ausprobieren sind vorhanden. Gerne können Sie aber auch Ihr eigenes Smartphone oder Handy mitbringen.
Termin: 3. Juli 2015, 10 bis 16 Uhr
Referenten: Oliver Nadig und Uwe Klose, Rehabilitationslehrer für EDV und elektronische Hilfsmittel an der blista
Teilnahmebeitrag: 90 €
Assistenz?! Antworten auf rechtliche Fragen rund um Schulbegleiter, Vorlesekräfte, Arbeits- und Alltagsassistenzen
Für blinde und sehbehinderte Interessierte, haupt- und ehrenamtliche Beratungskräfte, Angehörige und alle Interessierten.Wir vermitteln Ihnen zunächst die wichtigsten Grundlagen rechtlichen Handelns im Sozial- und Verwaltungsrecht. Im Schwerpunkt werden wir dann auf vielfältige Fragen rund um das Thema Assistenz eingehen: Assistenzformen, Leistungsansprüche, Zuständigkeiten und Finanzierungsmodi etc. Darüber hinaus nehmen wir genau unter die Lupe, wie ein guter Antrag aussehen sollte.
Termin: 10. Juli 2015, 14 bis 18 Uhr, 11. Juli, 9 bis 13 Uhr
Referenten: Dr. jur. Michael Richter, Geschäftsführer der rbm gGmbH - Rechte behinderter Menschen und Rechtsanwalt
Teilnahmebeitrag: 220 €/110 € für Studierende, Auszubildende und Privatpersonen
Online-Anmeldung und weitere Informationen zu allen Angeboten lesen Sie im Internet auf www.blista.de/bildung
Impressum
Impressum
Herausgeber: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
Redaktion: DVBS (Uwe Boysen, Andrea Katemann und Christina Muth) und blista (Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Rudi Ullrich und Marika Winkel)
Koordination: Christina Muth, Geschäftsstelle des DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-13, Fax: 06421 94888-10, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de
Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung der Redaktion.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.): Uwe Boysen (DVBS) und Rudi Ullrich (blista)
Erscheinungsweise: Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.
Jahresbezugspreis: 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe, 35 Euro für alle übrigen Ausgaben. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
Bankkonten des DVBS: Sparkasse Marburg-Biedenkopf IBAN: DE42 5335 0000 0000 0002 80 (BIC: HELADEF1MAR) - Postbank Frankfurt (für Überweisungen aus dem nicht-europäischen Ausland), IBAN: DE95 5001 0060 0149 9496 07 (BIC: PBNKDEFFXXX)
Verlag: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389, Jahrgang 77
Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen
Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.
Titelbild: Sport & AbenteuerFoto: Fanclub "Sehhunde"/Herbert Bucco
Nächste Ausgabe (horus 3/2015): Schwerpunktthema: Bildung im Wandel, Erscheinungstermin: 24. August 2015, Anzeigenannahmeschluss: 24. Juli 2015, Redaktionsschluss: 30. Juni 2015
Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht
horus 2/2015, Jg. 77
"Sport & Abenteuer"
Vorangestellt
In eigener Sache
Schwerpunkt: "Sport & Abenteuer"
- Robert Warzecha: Ohren auf, Augen zu und los geht's
- Martin Giese und Barbara Zink: Muss Sport sein?
- Christina Muth: "Der Kopf muss mitmachen"
- Ursula Eckstein: Skilauf für Blinde und Sehbehinderte - ein Inklusionssport
- Thorsten Büchner: Heute mal nicht im Rollstuhl?
- Vera Junker: Hörend Fußball erleben - kein Wunschtraum, sondern lange Realität
- Tobias Michelsen: Wassersportkurse in Großenbrode für Menschen mit Behinderungen
- Mirien Carvalho Rodrigues: Momente für die Schatztruhe
Bildung und Wissenschaft
- Florian Poetsch: Wirtschaft nach Plan
horus-Zeitreisen
Recht
- Uwe Boysen: Wir sind wieder eine Randgruppe
- Birgit Lanner und Aaron Banovics: Das Schlichtungsverfahren
Bücher
- Sabine Hahn: Hörtipps
- Buchtipps aus der blista
Panorama
- Louis Braille Festival 2016 - jetzt anmelden!
- Neues Internetportal "REHADAT-Recht"
- Hörfilmpreis 2015 geht an "Zwischen Welten" und "Landauer - Der Präsident"
- Deutscher Seniorentag findet in Frankfurt statt
- 2. Berliner Inklusionslauf
Barrierefreiheit und Mobilität
- Jürgen Nagel: "Wenn schon blind, dann in Holland - Deutschland hat erheblichen Nachholbedarf"
- Barbara Fickert. Warum Kinoblindgaenger.de?
- Matthias Klaus: App in den Urlaub
Berichte und Schilderungen
- Hanna Meshulam: Die Odyssee, Deutsch zu lernen
- Markus Virck: Wa Ba Du Wi Du Wi Da
Aus der Arbeit des DVBS
- Karsten Warnke und Christina Muth: Barrierefreie IT für inklusives Arbeiten!
- Terminvorschau
Aus der blista
- Peter Knoche: Einen "James" sollte man haben!
- Gedenken an Klaus Dörrie
- Noch einige Plätze frei! Ferienfreizeit für blinde und sehbehinderte Jugendliche
- Punktschrift für Anfänger - als Sehender die Blindenschrift erlernen
- Smartphones und Handys: Ich möchte doch nur telefonieren!
- Assistenz?! Antworten auf rechtliche Fragen rund um Schulbegleiter, Vorlesekräfte, Arbeits- und Alltagsassistenzen