horus NR: 2 / 2014 - Erfahrungen in der Fremde

Inhaltsverzeichnis

Vorangestellt

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Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder,

Sie erinnern sich an Karl Valentin, Münchner Komiker und bekannt für seinen dialektischen Humor? Eine Kostprobe:

Max: Ja ein Fremder ist nicht immer ein Fremder.

Lehrer: Wieso?

Max: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde. Da ist er nur so lange ein Fremder, bis er alles kennt und gesehen hat, denn dann ist ihm nichts mehr fremd.

Schöner kann man es nicht ausdrücken. Das Fremde ist die Abwesenheit von Vertrautheit. Und fremd sein fühlt sich häufig nicht gut an. Da haben Worte wie Geborgenheit und Nähe einen wohltuenderen Klang. Aber ohne Fremdes, Ungewohntes gibt es für uns auch keine neuen Erfahrungen. Durch dies erweitern wir unsere Fähigkeiten und eröffnen uns neue Möglichkeiten. Dann ist das Fremde, frei nach Valentin, für uns nicht mehr fremd. Wir haben etwas gelernt und uns zu eigen gemacht.

Ohne das Fremde kein Lernen, das ist sicherlich nur ein Beispiel für die Vielfältigkeit dieses Begriffes. Das Schwerpunkthema dieses Heftes zeigt viele ganz unterschiedliche Facetten und Herangehensweisen an das Thema "Erfahrungen in der Fremde". Wir reisen mit den Autoren nach Asien oder Südamerika, erfahren etwas über die bereisten Länder, aber auch über die Reisenden selbst und wie die neuen Begegnungen ihr Denken und Fühlen verändern. Wir lernen eine Theorie kennen, die sagt, dass sich ein Teil der Menschen durch die permanente Beschleunigung des Lebens von sich selbst entfremdet, und erfahren, wie manches, was für den Großteil der horus-Leserschaft selbstverständlicher Alltag ist, für andere durchaus "befremdlich" sein kann. In diesem Sinne viel Spaß beim Entdecken von Neuem!

Ihr

Claus Duncker


In eigener Sache

In eigener Sache

Vielen Dank für Ihren Besuch auf der SightCity!

Wir bedanken uns herzlich für Ihren Besuch auf der diesjährigen SightCity in Frankfurt. Der Gemeinschaftsstand von blista und DVBS war - wie in den Vorjahren -für viele Messebesucher die erste Anlaufstelle im Foyer des Sheraton-Hotels am Flughafen. Wir hoffen, das Programm am Stand und die Fülle an Informationen haben Ihnen gefallen und freuen uns schon heute auf die Messe im kommenden Jahr!

Medien im Wandel

Am 25. August 2014 erscheint die nächste horus-Ausgabe mit dem Schwerpunktthema "Medien im Wandel". Immer häufiger und im Kontext unterschiedlichster Themenbereiche hört man heute den Begriff "Es ist im Wandel": Politik im Wandel, Gesellschaft im Wandel, Technik im Wandel - dem schließt sich die horus-Redaktion an und befasst sich intensiv mit dem Thema "Medien im Wandel". Nachrichten und Literatur werden über Online-Plattformen verbreitet, soziale Netzwerke sind allgegenwärtig, und an den Universitäten und im Rahmen beruflicher Weiterbildungen gewinnt E-Learning - die Vermittlung von Wissen via Internet fernab des Hörsaals - zunehmend an Bedeutung, Entwicklungen, die auch blinde und sehbehinderte Menschen betreffen. Haben auch Sie Ihre Erfahrungen mit Medien im Wandel gemacht? Gerne können Sie einen Beitrag zum nächsten Heft beisteuern. Bitte schicken Sie Ihre Texte wie gewohnt per E-Mail an die horus-Redaktion: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Redaktionsschluss ist der 1. Juli 2014. Berichte für den Schwerpunkt können bis zu 10.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) lang sein, allgemeine Berichte bis zu 4.000 Zeichen. Kürzere Meldungen sollten eine Länge von 2.000 Zeichen nicht überschreiten.


Erfahrungen in der Fremde

Soziale Erschöpfung

In der aktuellen und euroamerikanischen Moderne verdichten sich zwei Grundprinzipien: Wachstum und Beschleunigung. Es gibt nicht nur immer mehr, sondern Vieles auch immer schneller - Zeit ist Geld (Rosa 2005). Das Tempo des sozialen Wandels nimmt zu, Assoziationsformen, Wissensbestände und Praxisformen beschleunigen sich stetig. Es ist zu vermuten, dass es darin kritische Schwellenwerte gibt, in denen die Wahrnehmungen und die sozialen Wirklichkeiten qualitativ umschlagen und es zu Veränderungen des Raum-Zeit-Regimes, der Subjektivitätsformen und der politischen Verhältnisse kommt (Rosa 2009, 103 f.). Wenn wir den Analysen des Soziologen Hartmut Rosa folgen, können wir eine radikal fortschreitende Beschleunigung diagnostizieren, die intra-generationalen Tempi werden immens gesteigert. Zeit vergeht aus der subjektiv gefühlten Wahrnehmung heraus schneller als je zuvor. Dies bedingt sich vor allem aus einer wachsenden Belastung im Arbeitsalltag, die Abläufe verkürzt und rationalisiert; dabei entstehen eine Arbeitszeitverdichtung und ein Zeitstress bisher unbekannten Ausmaßes.

Zugleich findet eine seit Jahren zunehmende Individualisierung der Lebensverhältnisse statt (Beck 1986; 2008), die zu einer noch stärkeren Herauslösung aus sozialen Bindungen und somit zur Vereinzelung und auch zur Isolation führen. Den darin angelegten größeren Optionen individueller Freiheit stehen zugleich auch größere Möglichkeiten des Scheiterns gegenüber. Damit einher geht eine wachsende Auflösung der Normalbiographien und schafft Raum für eine steigende Diskontinuität sowie einer zunehmenden Verflüssigung von Lebenswegen. Dies führt in seiner Konsequenz dazu, dass biographische Erwartbarkeit schwindet.

Offenkundig wird das für moderne Lebensverhältnisse typische "Autonomiestreben, das Ideal einer von materiellen und ökonomischen Zwängen unabhängigen und selbstbestimmten Lebensführung", in sich verschärfender Form fraglich - und zwar auf der Ebene der politischen Gestaltung und auf der Ebene des individuellen Lebensvollzugs (Rosa 2009, 115). Das gibt Anlass zur Sorge, insbesondere auch hinsichtlich einer sich verfestigenden sozialen Spaltung (Lutz 2014), die zu einem "Drinnen und Draußen" führt (Bidfe 2008).

Hartmut Rosa fasst seine Analyse zusammen: "Wenn wir an den für die moderne Marktwirtschaft und die moderne Demokratie grundlegenden Maßstäben der Autonomie (und der Authentizität) festhalten wollen, dann verursacht das kapitalistische Wirtschafts- und Beschleunigungssystem schwerwiegende Pathologien wachsenden Ausmaßes." (Rosa 2009, 93).

Es sind die Leidenserfahrungen und Sorgen der Subjekte, die den Diagnosen der Soziologen ihre Kriterien liefern: die "Subjekte wachen auf aus Sorge, nicht mehr mitzukommen, nicht mehr auf dem Laufenden zu sein, die Aufgabenlast nicht mehr bewältigen zu können, abgehängt zu werden - oder in der erdrückenden Gewissheit (etwa als Arbeitslose oder Ausbildungsabbrecher) bereits abgehängt zu sein" (Rosa 2009, 118). Die Lebensbedingungen werden dadurch geprägt, psychosoziale Belastungen sind die Folgen (Rosa 2005; 2009). Jenseits eines kaum eindeutig bestimmbaren Wandels fester Strukturen, so Hartmut Rosa, sind Veränderungen als fundamental und als eine "potentiell chaotische Unbestimmtheit" zu diagnostizieren (Rosa 2009, 104) - die Verwundbarkeit der Subjekte wächst.

Die Sorgen wachsen, die Moderne steigert und beschleunigt die Verwundbarkeit der Subjekte. Darin kehren auch die mit dem Begriff der "Wohlstandskonflikte" diskutierten Ängste der Mittelklassen zurück bzw. werden erklärbar: "Erworbene soziale und berufliche Positionen verlieren an Stabilität und Gewissheit. Die mittleren Lagen der Gesellschaft, die Facharbeiter, Techniker und Ingenieure in der industriellen Fertigung bzw. in industrienahen Dienstleistungen, aber auch die Fachangestellten in der Wohlfahrtspflege und der öffentlichen Verwaltung sehen sich mit neuen sozialen, beruflichen und wirtschaftlichen Gefährdungen konfrontiert" (Vogel 2009b, 9). Zugleich wird soziale Ungleichheit drängender und bedrohlicher, letztlich kann Beschleunigung über Verwundbarkeit zur Erschöpfung führen.

Soziale Verwundbarkeit

Sich verfestigende Ungleichheit und Drohungen mit Armut, die aus sozialen und ökonomischen Hintergründen resultieren, diskutiere ich in ihren kulturellen Folgen und Konsequenzen für das individuelle Leben als "soziale Verwundbarkeiten" (Lutz 2014). Mit diesem Begriff sollen über die vorwiegend sozioökonomisch geführte Armutsdebatte hinaus vielfältige Bedrohungen analysiert werden, die auf den Subjekten in einer sich grundlegend verändernden Moderne lasten.

Soziale Ungleichheit resultiert in ihren Folgen, neben den klassischen Kontexten, immer mehr, insbesondere in einer Moderne, die auf die Autonomie des Subjektes setzt und zugleich auf diese angewiesen ist, auch aus den Fähigkeiten bzw. den eingeschränkten oder gar zerstörten Möglichkeiten, sich steigernden Belastungen aktiv zu begegnen, sie in eigener Zuständigkeit klein zu arbeiten und sie dabei auch zu bewältigen. Soziale Verwundbarkeit kann und darf aber nicht mit dem eigentlich engen Begriff von Armut verglichen werden, der in der Ungleichheitsforschung bereit steht und sich im Wesentlichen auf Unterversorgung im Einkommen, auf dem Arbeitsmarkt und in Bildungsprozessen bezieht. Er soll diesen auch nicht ersetzen. Doch in der erforderlichen Betrachtung der soziokulturellen Folgen von Armut hilft ein begriffliches Verstehen dieser Situation als Unterversorgung und relative Armut nur bedingt. Soziale Verwundbarkeit ist zwar im Zusammenhang realer Armut zu sehen, die in ihren Folgen als Benachteiligung, als Ausgrenzung, als Sich-Einrichten, als eine Kultur der Armut und als soziale Erschöpfung zu erkennen ist.

Soziale Verwundbarkeit meint mehr und ist umfassender, sie ermöglicht erst den Blick auf die soziale Erschöpfung, die sich als individuelles Handeln, als Verhaltensmuster und auch als Leiden darstellt. Soziale Verwundbarkeit soll als ein Komplex von ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedrohungen begriffen werden, die auf Subjekten und deren Gruppierungen lasten; aus sozioökonomischer Ungleichverteilung von Gütern und Möglichkeiten entsteht in den alltäglichen Konsequenzen und ihren individuellen Folgen ein Kontinuum der Ungleichverteilung von Verwirklichungschancen, die zur Bewältigung alltäglicher Gestaltungs- und Bewältigungsprozesse erforderlich sind.

Je geringer die Möglichkeiten zur Bewältigung des Alltags, seiner Pflichten, Lasten, Freuden und Herausforderungen sind, je weniger aus erkennbaren Möglichkeiten reale Wirklichkeiten, desto höher und in seinen Auswirkungen dramatischer ist der Grad der Verwundbarkeit.

So aber resultiert soziale Verwundbarkeit zum einen aus den klassischen Kontexten der Unterversorgungslagen beim Einkommen, bei dem Zugang zum Arbeitsmarkt, bei den Bildungschancen, beim Wohnraum und im Gesundheitssystem sowie aus Ungleichheitskategorien wie Partizipation, Geschlecht, Alter, Region und den Konsequenzen eines Migrationshintergrundes. Sie ergibt sich zum anderen aber auch aus neueren und kulturellen Kontexten, die ebenfalls ungleich verteilt sind, wie Resilienz, Flexibilität, Mobilität, Familie, Gemeinschaft, Religiosität, Netzwerke, Brückenkapital, Alltagsgestaltung, kulturelle Aktivität, Zukunftsorientierung, Werteorientierung, Bildungsaspiration und den Fähigkeiten (capabilities), sein eigener Agent zu sein, die Zumutungen des Autonomieversprechens und der Autonomieerwartungen in der Moderne auch leben zu können.

Soziale Erschöpfung und erschöpfte Familien

Alain Ehrenberg weist darauf hin, dass Depression und ihre Vorstufen eine "Krankheit der Verantwortung" seien, die Betroffenen seien nicht voll auf der Höhe, da sie erschöpft davon seien, selbst zu werden (Ehrenberg 2008, 15). Er zeigt aber auch, dass diese ihre Ursache in Prozessen, Strukturen, Bildern und Mustern haben, die auf dem Subjekt in der Moderne lasten. Dem zugrunde liegt jener Paradigmenwechsel in der gesellschaftlichen Konstruktion des Subjektes, den Charles Taylor so treffend beschrieben hat, dass nämlich das Individuum nicht mehr an seiner Gefügigkeit und seiner Unterordnung, sondern an seiner Initiative gemessen werde (Taylor 1996).

Ehrenberg führt aus, dass die demokratische Moderne uns zu Menschen "ohne Führer" gemacht und damit in eine Situation versetzt habe, selbst zu entscheiden und eine eigene Orientierung zu konstruieren: "Wir sind reine Individuen geworden, und zwar in dem Sinne, dass uns kein moralisches Gesetz und keine Tradition sagt, wer wir zu sein haben und wie wir uns verhalten müssen" (Ehrenberg 2008, 18).

In uns modernen Menschen hat sich der Glaube als Gewissheit und Zumutung eingenistet, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, selbst zu sein, die eigene Geschichte zu schreiben und nicht mehr das Leben schicksalhaft zu erleiden. Ein gutes Leben, und darauf verweist Rosa, besteht für die Subjekte in der modernen Gegenwartsgesellschaft vor allem aus der Idee, ihr eigenes Maß, ihre individuelle Weise des Menschseins zu finden und zu gestalten (Rosa 2005). Das ist sicherlich ein hoher Gewinn an Autonomie, doch es steigert auch die Chance des individuellen Scheiterns.

Aus diesen Zumutungen kann Erschöpfung und schließlich Depression resultieren, eben jene Krankheit der Verantwortung, die zu einem Ertragen des Schicksals und zu einem Sich-Arrangieren in Prekarität und Ausgrenzung führen kann. Dies nimmt dann zu, wenn Individualisierungsprozesse, Beschleunigungsprozesse und politische Aktivierungsprozesse, verbunden mit einer zunehmend sich polarisierenden Ungleichverteilung sozialer und ökonomischer Ressourcen (Kapital im Sinne von Pierre Bourdieu), Druck auf die Subjekte ausüben, wie es in den Gegenwartsanalysen der Soziologie vielfach beschrieben wird (Dörre, Lessenich, Rosa 2009).

Erschöpfung ist letztlich eine erzwungene Reaktion von Menschen, die auf Grund einer besonderen und erhöhten Verwundbarkeit - fehlende Ressourcen etc. - den sich stetig verändernden, verschärfenden und beschleunigenden Zumutungen der Moderne nicht gestaltend begegnen können und eigentlich Unterstützung benötigten. Sie "ergeben" sich ihrem "Schicksal".

Damit ist die Debatte aber weit davon entfernt, Erschöpfung zu pathologisieren und diese als individuelle Schuld und Versagen zu zeichnen; sie ist die Konstruktion einer Gesellschaft, die verstärkt auf individuelle Verantwortung setzt und Menschen darin überfordert. Sie ist eine sozial und kulturell konstruierte Reaktion, die sich allerdings in spezifischen und individuellen Verhaltensmustern niederschlägt. Diese sind zwar als eigenständige Handlungen zu verstehen, die in ihrer Summe aber zusätzliche Auswirkungen auf die Strukturen haben, in denen Menschen leben, und dazu beitragen, dass deren ohnehin eingeschränkte Teilhabechancen zusätzlich verengt werden, bis hin zum Sich-Einrichten in einer Kultur der Armut.

Soziale Erschöpfung ist eine soziale Situation, in der Menschen zwar noch initiativ sind, aber nicht im Sinne von Teilhabe, Reflektion und Gestaltung, sondern lediglich hinsichtlich eines alltäglichen Kampfes die Zumutungen des Alltags einigermaßen zu bewältigen. Der Blick auf die Zukunft fehlt, da die Gegenwart übermächtig wird. Der oder die sozial Erschöpfte verharrt, und dieses Bild übernehme ich aus Ehrenbergs Zeichnung der Depression, in einer Form der Verlangsamung, in einer Zeit ohne morgen, er oder sie verfügt kaum noch über Energie und verschließt sich in einem Zustand des "Nichts-ist-möglich" (Ehrenberg 2008).

Formen sozialer Erschöpfung, die ich vor allem im Kontext von Familien diskutiere, zeigen sich als ein von verwundbaren Menschen vielfach erlebtes Drama der Unzulänglichkeit, des Scheiterns und der Einsamkeit, da Unterstützung Mangelware ist; man ist müde, selbst zu sein und unterwirft sich letztlich den verfügbaren Mustern des Sich-Einrichtens (Lutz 2014). Ihnen fehlt dann aber die Macht (die Ressourcen), sich für dieses oder jenes zu entscheiden (Ehrenberg 2008, 269). Erschöpfung wird zur Kehrseite des Menschen, der in den Aktivierungszumutungen der Politik das Ideal ist; damit ist allerdings, und das sei erwähnt, moralisierenden Interpretationen ein weites Tor geöffnet.(1)

Diese soziale Erschöpfung zeigt sich besonders in den von mir vielfach beschriebenen "erschöpften Familien" und verdichtet sowie tradiert sich in Kulturen der Armut, die insbesondere Folgen für die Entwicklungschancen der Kinder haben (Lutz 2010). So richtet sich der Blick auf Menschen in familiären Situationen, die dem Tempo und den Zumutungen der Gesellschaft nicht mehr folgen können. Es sind Menschen, die durch vielfältige Formen der Entmutigung, hervorgerufen durch eine höhere Verwundbarkeit, Verunsicherung, Statusverluste, Armut und dauerhafte Belastungen, immer weniger in der Lage sind, ihre alltäglichen Verrichtungen eigenständig, sinnvoll und nachhaltig zu organisieren.

(1) Dies darf uns aber nicht daran hindern, diese Situation zu analysieren. Denkverbote helfen nicht!

Literatur

Dörre, Klaus/Lessenich, Stephan/Rosa, Hartmut: Soziologie - Kapitalismus - Kritik: Eine Debatte, Frankfurt am Main 2009

Ehrenberg, Alain: Das erschöpfte Selbst, Frankfurt am Main 2008

Lutz, Ronald: Kinderarmut. Eine sozialpolitische Herausforderung, Oldenburg 2010 (2010)

Lutz, Ronald : Erschöpfte Familien, in: Soziale Arbeit 6/2010, S. 234-240 (2010c)

Lutz, Ronald: Soziale Erschöpfung, Weinheim 2014

Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung von Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt am Main 2005

Taylor, Charles: Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt am Main 1996

Vogel, B.: Wohlstandskonflikte. Soziale Fragen, die aus der Mitte kommen, Hamburg 2009a

Vogel, B.: Minusvisionen in der Mittelklasse. Soziale Verwundbarkeit und prekärer Wohlstand als Leitbegriffe neuer sozialer Ungleichheiten, in: WIDERSPRÜCHE. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 111, 29. Jg. 2009 Nr. 1, S. 9-18 Hamburg 2009

Zum Autor

Prof. Dr. Ronald Lutz (*1951) lehrt und forscht an der Fachhochschule Erfurt im Fachbereich Menschen in besonderen Lebenslagen. Seine Forschungsschwerpunkte und Arbeitsgebiete an der Fachhochschule sind Soziale Problemlagen, Soziale Benachteiligung und Soziale Ungleichheit, Ausgrenzungsprozesse, Armut und Reichtum und die entsprechende Sozialberichterstattung. Im Februar 2014 erschien sein Buch "Soziale Erschöpfung".


Was ist "Fremde", und was ist "Heimat"?

Erfahrungen und Überlegungen nach fast fünf Jahren in drei afrikanischen Ländern

Was mir bei meinen längeren Aufenthalten in Kenia, Uganda und Ruanda fremd geblieben ist und was mir vertraut wurde, in welcher Art und Weise das Leben 6.000 Kilometer entfernt von Deutschland mich und meine Sicht auf die Welt mitgeprägt hat - dazu hoffe ich, meine Gedanken und Überlegungen so ordnen zu können, dass es auch für die Leserinnen und Leser von Interesse ist.

Im Herbst 1979 begann ich das Studium der Sozialarbeit in Berlin. Dort war ich an der Gründung einer "Ausländergruppe auch für Inländer" beteiligt, deren Fokus auf der sozialen und Studiensituation ausländischer Studierender lag - und so hatte ich erstmals persönliche Kontakte zu Menschen etwa aus Marokko, der Türkei und dem Senegal. Ich war aktiv im Nicaragua-Komitee und reiste mit einem Freund 1982 dorthin. In meinem Hauptstudium setzte ich mich mit Sozialarbeit in sogenannten Entwicklungsländern auseinander.

Von 1986 bis 1990 arbeitete ich in Konstanz in einer gemeinnützigen Firma (Umnutzung einer früheren Kaserne); hier wurden auch einige Flüchtlinge beschäftigt. Neben der Arbeit war ich auch Teil der Bürgerinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit, setzte mich mit Fluchtgeschichten aus Sri Lanka oder Afghanistan auseinander; diese Thematik prägte meinen Alltag zeitweise sehr stark. Ich überlegte auch, ob ich nicht in Asien, Afrika oder Lateinamerika arbeiten wolle - aber jegliche Bemühungen verliefen im Sande. Ich war in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit (Durchführung von Seminaren u.a.) und als Campleiter in Workcamps (internationale Gruppen, die einige Wochen zusammenleben und -arbeiten) aktiv; mein Kopf war also immer auch mit Internationalem beschäftigt.

1992 war ich Teil einer kleinen antirassistischen Arbeitsgruppe, in der wir eineinhalb Jahre unserer eigenen rassistischen Erziehung und Prägung nachspürten und danach an einem Wochenende für eine Gruppe diesen inneren Prozess aufbereiteten- diese innere Arbeit ist sehr wichtig für mich gewesen, und ob ich ohne diese Auseinandersetzung später einige Jahre gut in Ostafrika hätte leben und arbeiten können, bezweifle ich - es war ein Perspektivwechsel, auf den ich mich in dieser Gruppe hin bewegte. Aufgrund eines Glaukoms (Grüner Star) verlor ich nach und nach meine Sehkraft. Ab 1993 war das Lesen von Schwarzschrift ohne Hilfsmittel nicht mehr möglich; nach sechs Jahren ging es auch mit vergrößernden Sehhilfen nicht mehr, und ab 2002 sind auch die Farben für mich verschwunden, bleibt nur noch Lichtscheinwahrnehmung.

Dieser sich über viele Jahre hinziehende Prozess des langsamen Sehverlusts stellte mich vor die Aufgabe, mich nicht in Depression oder Rückzug zu flüchten, sondern mich damit auseinanderzusetzen, meine Punktschriftkenntnisse zu aktivieren, mir neue Themen zu erarbeiten, aktiver das Hören einzusetzen und weltoffener zu werden. Dies waren die Gründe, an meinem Studienschwerpunkt anzusetzen und mich als Freiwilliger bei einem britischen Dienst zu bewerben - im September 1999 flog ich nach Kenia, um dort in Machakos, einer mittelgroßen Stadt, in einer Beratungsstelle für Eltern behinderter Kinder zu arbeiten. Später wurde hieraus der Start einer "Special Unit", eines Anhangs an einer Grundschule für sehbehinderte und blinde Kinder in Kangundo. Hierüber wurden 2006 im "horus" zwei Artikel veröffentlicht.

Ich war ohne Afrika-Erfahrung, und das Leben in einer Gesellschaft mit anderen Normen, Kulturen und Werten verunsichert schon sehr. So brauchte der andere Umgang mit Zeit eine längere Umgewöhnung. "Just one minute", sagte meine Chefin Angelica und ließ mich eine Stunde warten; "it"s a busy day", stöhnte mein Kollege Peter, wenn es einmal eine Stunde zu arbeiten gab. Ich blickte anfangs auf die Haltung des "pole pole" (immer langsam) herab, musste aber doch lernen, dass es angesichts des Klimas oft eine adäquate und richtige Haltung ist. Wenn ich auch nach deutschen Maßstäben eher ein besseres Taschengeld verdiente, so war es der gleiche Betrag wie bei meinen Kollegen - nur dass diese die ganze Familie davon ernähren mussten. Dreiviertel der Kenianer blicken bewundernd zu Weißen und zu deren Reichtum und Wohlstand auf; etwa fünf bis zehn Prozent blicken eher mit Verachtung auf Weiße herab, weil sie vor allem an Kolonialismus und Rassismus denken - und nur bei etwa einem Sechstel sind vielleicht die Voraussetzungen für eine Beziehung auf gleicher Ebene gegeben - so meine Einschätzung; Statistiken dazu kenne ich nicht. Wenn jemand meine Bekanntschaft oder Freundschaft suchte, lebte ich so innerlich immer mit dem Vorbehalt: meint er oder sie mich als Person - oder sieht er "die Dollarzeichen in meinen Augen"? - das ist ein ungutes Gefühl.

Mein Freund Francis Saya, damals Direktor der größten Rehabilitationseinrichtung für Blinde in Ostafrika, hatte neun Monate in London studiert und lebte in Machakos, bei den Kamba, 300 Kilometer von seiner Heimat entfernt (und die kulturellen Unterschiede zwischen den 42 Völkern Kenias sind schon sehr groß…). So konnte er meine Fragestellungen besser nachvollziehen, und ich habe durch ihn viel über verborgen liegende Denkmuster und -strukturen gelernt. Gerade im ersten halben Jahr in Kenia war ich so beeindruckt und beschäftigt mit dem vielen Neuen, dass ich kein Bedürfnis hatte, deutsche Nachrichten zu hören.

Dass ich als Weißer mit erkennbarer Behinderung nach zweieinhalb Jahren in Machakos akzeptiert war, zeigt in meinen Augen die folgende Szene: Ein angetrunkener Mann pöbelte mich etwas an und versuchte zugleich, Geld aus mir herauszukriegen. Ein anderer Kenianer kam dazu und wies ihn zurecht: "Lass den in Ruhe, das ist ein Kenianer."

Nachdem "mein" Projekt, die Special Unit in Kangundo, 2002 begonnen hatte, verließ ich Kenia, kam aber die nächsten Jahre regelmäßig zu Besuch und sicherte in den ersten vier Jahren auch die Grundfinanzierung; inzwischen ist diese Einheit von 44 blinden Kindern an einer Grundschule mit insgesamt 1.200 Schülerinnen und Schülern finanziell recht stabil. 2006 arbeitete ich für sechs Monate im Büro des ugandischen Blindenverbandes mit; 2007 und 2009 war ich jeweils für acht Monate an der ersten Oberschule Ruandas, die auch Blinde unterrichtete. Mit den kulturellen Unterschieden zwischen Uganda und Kenia hatte meine damalige Partnerin - sie ist Kenianerin - mehr Probleme als ich. Ich war nicht mehr "afrika-unerfahren", und der ugandische Blindenverband sowie die wenigen Schulen für Blinde im Land waren gut überblickbar. In den Jahren in Kenia hatte sich auch meine Wahrnehmung für kleine und größere Formen der Korruption geschärft - und auch in einer Selbsthilfeorganisation dort hilft manchmal jemand zunächst sich selbst. Ich will dies jetzt nicht einfach verurteilen - wenn ich etwa ein krankes Kind hätte, aber nicht das Geld für Medikamente oder andere Behandlung - könnte ich sicher sagen, dass ich nicht auch kleine Formen der Korruption nutzen würde? Auch wenn es meinen inneren Werten zuwiderlief, habe ich doch Verständnis für so ein Verhalten entwickelt.

In Ruanda ist die Situation ganz anders, und meine Erfahrungen in Kenia und Uganda haben mir wenig genutzt. Ein Völkermord, in dem knapp eine Million Menschen bzw. 10 Prozent der Gesamtbevölkerung umgebracht wurden und der erst 15 Jahre zurücklag, hat tiefe Spuren und Traumata hinterlassen - und darüber redet mensch mit einem Weißen noch weit weniger als mit einem Afrikaner. Und auch untereinander sind Ruander sehr zurückhaltend und vorsichtig - Es braucht schon eine längere Zeit, um erst einmal Vertrauen aufzubauen, bis sich Menschen öffnen und über harte Erfahrungen berichten. Es war wichtig für mein Verständnis der tief sitzenden Spannung im Land, mit einigen Schülern und Kollegen auch auf diese Ebene zu kommen - aber es waren nur wenige. Aber würden wir einem "Fremden", einem Ausländer schnell berichten, wer aus unserer Familie 1994 umgebracht wurde?

Nach einigen Jahren, in denen ich nur noch seltener in Afrika war - 2009 war mein letzter Arbeitsaufenthalt in Ruanda, und vor zwei Jahren besuchte ich Freunde in Uganda und Kenia - stelle ich für mich fest, dass sich - auch wenn ich in Deutschland bin - meine Sicht auf die Welt verändert hat. Zwei für mich wichtige Neuigkeiten aus dem Jahr 2012 hat hier kaum jemand notiert: die ersten fünf Blinden in Ruanda haben erfolgreich ihre Ausbildung zum Oberschullehrer beendet, und nach wenigen Monaten hatten drei auch schon eine Stelle - und im Osten Ugandas sind bei einem Erdrutsch nach massiven Regenfällen zwei Dörfer von den Schlammmassen beerdigt worden, in der Region, in der ich sechs Monate zuvor mit Denis, einem ugandischen Freund gewandert war.

Manches im Leben betrachte ich nach wie vor aus deutschem Blickwinkel, aber öfter sehe ich Sachverhalte eher mit afrikanischen Augen - ich bin ein "Weltbürger" geworden. In meinem Alltag denke ich oft an Begegnungen und Erfahrungen aus diesen Jahren, und ich finanziere zurzeit für zwei Jugendliche die Schulgebühren für die Oberschule und unterstütze - im Moment gedanklich - die Planungen einer sehbehinderten Freundin, die Lebensbedingungen an einer integrativen Einheit für Blinde an einer ugandischen Grundschule zu verbessern.

Zum Autor

Norbert Kather lebt in Göttingen und ist Frührentner. Der Autor ist unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! zu erreichen und an Diskussion oder Nachfragen interessiert.


Frühförderung von Kindern mit Behinderungen in Taiwan

(…) Mehrmals wöchentlich fuhren wir - ein Sozialarbeiter, eine einheimische Mitarbeiterin in Ausbildung und ich - vom Kinderheim "Rettender Stern" in Taidong an der Südostküste des Landes zu einer der drei Außenstellen im Umland. Nach Ende der Laufzeit des Projektes unterstützen wir mehr als 50 Kinder mit Behinderungen im Alter von ein bis sieben Jahren und ihre Familien. Viele Eltern sind froh, mit uns über ihre Sorgen und Ängste sprechen zu können. Denn immer wieder ist "anders sein" in manchen Köpfen mit Schuld verknüpft. Auch können sich die meisten betroffenen Familien unmöglich teure Hilfsmittel oder eine Fahrt zur Therapie in die Stadt leisten.

Eltern werden selbst aktiv

"Wenn ihr kommt, lacht meine Enkelin", sagt uns Frau Li, die sich liebevoll um die fünfjährige blinde Jia Yi kümmert. Noch immer ist das Kind misstrauisch gegenüber neuen Dingen und fremden Stimmen. Hört es aber den mittlerweile heißgeliebten Klingelball, ist das Eis gebrochen und ein fröhliches Spiel beginnt. So sind unsere mitgebrachten Spielsachen meist ein guter Einstieg. Ein wichtiges Ziel aber ist, dass die Eltern selbst aktiv werden. Wie zum Beispiel Zhi Xün"s Familie, die einen alten Autokindersitz zum Rollstuhl für ihren Sohn umgebaut hat und ihn nun mit auf den Markt zum Einkaufen nehmen kann. Oder Jie En"s Mutter, die für ihre Tochter aus Bambusstöcken ein Mobile gebastelt hat, um sie zum genauen Hinschauen und Greifen zu motivieren.

Einheimisches Personal übernimmt Verantwortung

Der Aufbau der drei Außenstellen nördlich, westlich und südlich von Taidong zur Förderung betroffener Kinder in dieser Region war meine Hauptaufgabe. Ich arbeitete als Mitarbeiterin des Zentrums "Rettender Stern", einem Kinderheim in Taidong, welches seit mittlerweile 35 Jahren von einheimischen katholischen Schwestern geführt wird. Bisher gab es dort kein mobiles Angebot, deshalb mussten wir alles von Grund auf planen. Wir verhandelten mit Kindergärten oder Kirchengemeinden, die uns Räume zur Verfügung stellten. In Zusammenarbeit mit dem Sozialdepartement der Region und Ärzten nahmen wir Kontakt zu den betroffenen Familien auf.

Da ausgebildetes Personal für die Frühförderung behinderter Kinder rar ist, bildete ich interessierte Personen direkt bei der Arbeit aus. Bald schon übernahmen meine Mitarbeiter selbst Verantwortung, organisierten und arbeiteten völlig selbständig. Nun war ich vielmehr die Lernende. Beeindruckt beobachtete ich, wie sie die gesammelten Erfahrungen der Frühförderarbeit mit mir in ihrem kulturellen Kontext einbringen und weiterentwickeln. Der Aufenthalt in Taiwan, einem Land mit ausgesprochen gastfreundlichen Menschen, wunderschönen Landschaften, vielfältigen kulinarischen Köstlichkeiten und großer kultureller Bandbreite, hat mich geprägt. Das Fremde ist vertraut geworden, es sind Freundschaften entstanden, die auch über die weite Distanz, zurück in Deutschland, verbinden.

Die größte Herausforderung bei meiner Arbeit - die chinesische Sprache - werde ich hoffentlich nicht zu schnell wieder vergessen. Die Richtung der nächsten Urlaubsreisen ist vorprogrammiert und wird sicherlich dabei helfen!

Zur Autorin

Die Sozialpädagogin Claudia Rohde aus der Frühförderstelle der blista widmete sich in einem Fünfjahresprojekt (2007-2011) der Bethlehem-Mission Immensee (Schweiz) im Südosten Taiwans der Förderung behinderter Kinder: Sie baute Stellen zur Frühförderung auf und bildete dafür auch gleich das Personal aus.


Israel: Das Land der Gegensätze

Im September 2013 startete ich nachts meine Reise nach Israel, und das für sehr lange Zeit, um mit meiner Frau zusammen zu sein. In Deutschland regnete es und es war nass und kalt. In Israel erwartete mich Sonne mit Temperaturen von 30 Grad und mehr und eher hoher Luftfeuchtigkeit. Ich genoss es, während sich alle anderen beklagten: "Ist das warm hier". Zunächst lebten wir bei der Familie meiner Frau. Einige Wohnungen bekamen wir nicht, weil wir "blind" sind. Diese Diskriminierung steht im Gegensatz zum Alltag in Israel. Hier kann man beinahe vergessen, dass man behindert ist. Die Menschen sind überall sehr bemüht und besorgt, dass man sich nicht überanstrengt. Sie trauen einem behinderten Menschen wenig zu. Sie bieten permanent Hilfe an und sind dankbar, einem helfen zu können.

Schließlich fanden wir eine Wohnung, und viele - inklusive der Eltern meiner Frau - waren überrascht, dass meine Frau eine 50 Jahre alte Treppe hinaufsteigen kann und auch will. In diesem kleinen, teuren Apartment wohnen wir nun seit Herbst 2013. Die Wohnung ist nur fünf Minuten vom Meer entfernt und sehr leise, aber auch zentral - das hat seinen Preis.

Bus und Bahn sind nicht barrierefreier als in Deutschland, aber den verpflichtenden Umsteigeservice gibt es hier zu allen Betriebszeiten bei der Bahn mit spontaner Voranmeldung! Männer sind hier schon ein Thema. Wenn man alleine am Strand auf einer Bank sitzt, sollte man strikt Männerkontakte vermeiden, es sei denn, man möchte sexuellen Kontakt haben.

Die Religion spielt nicht nur bei der Hilfsbereitschaft eine Rolle. Sie prägt das ganze Leben. An meinem zweiten Tag in Israel war "Kipur". An diesem Tag wird an den Krieg mit Ägypten in den 70er Jahren erinnert. Es ist eine besondere Erfahrung, 25 Stunden lang nichts zu essen und zu trinken, kein TV zu schauen oder Radio zu hören, kein Auto, Bus oder Flugzeug zu nutzen… Die Menschen gehen in die Synagoge und abends auf die Straße. Das muss man erlebt haben. Ebenso wie das Gefühl am Freitag: Die Welt bereitet sich auf den "Shabbat" vor, so wie es früher in Deutschland am Samstag auf dem Dorf war. Auch hier stoppt das Leben, aber nicht so vollständig wie an "Kipur". Shabbat - das ist schon Magie, denn jede Woche gibt es ein Festessen, nicht nur an religiösen Feiertagen.

Alle hatten uns gesagt, dass die Einwanderungsbehörde das große Problem für uns sein würde. Dem war nicht so. Auch hier bekamen wir im üblichen Chaos viel Hilfe. Aber als blinde Frau eine Krankenversicherung zu bekommen ist ein Problem: Man braucht eine "Toschev", eine Identitätskennziffer, die man aber erst nach drei Jahren bekommt. Diese Zahl ist unerlässlich, auch für die Legitimation zur gesetzlichen Krankenkasse. Die Basisversicherung ist kostenfrei, aber ein Wechsel der Gesetzlichen Krankenversicherung ist für Blinde ein Problem. Auch einen Blindenstock für Menschen mit 180 Zentimetern Körpergröße zu kaufen ist schwierig. Es gibt hier nur Blindenstöcke bis 140 Zentimeter Länge, leider brauche ich 150 Zentimeter!

Blindengeld gibt es hier auch, ungefähr 500 Euro monatlich. Dazu kommen noch Mobilitätsgeld und Wohngeld. Alle Hilfsmittel muss man als Blinder selbst bezahlen, was bei Körperbehinderten nicht so ist. Man bekommt Prozente. Aber diese Prozente bekommt man auch für einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine. Auch bei der Krankenkasse, dem Trinkwasser und der Wohnungssteuer gibt es Rabatt.

Die Bahn ist in Israel ohne Begleitperson für Blinde kostenlos. Gleiches gilt auch für den innerstädtischen Nahverkehr. Außerhalb bezahlen Blinde und Begleitung jeweils 50 Prozent.

Ich habe noch keine Blindenspeisekarte gesehen, aber das ist unproblematisch. gerne wird einem alles vorgelesen. Wer internationales Essen isst, der ist selbst schuld: Pizza und Pommes Frites sollte man meiden, eklig. Aber arabisches und drusisches Essen sind lecker. Insbesondere lohnt sich für Liebhaber süßer Speisen der Genuss von "knaffe" und "halva". In Jerusalem gibt es einen Laden mit 100 Sorten. Süßigkeiten sind hier süßer als in Deutschland! Torte ist meistens "Parve" und das heißt "ohne Sahne", also nichts für Liebhaber "klassischer" Torten. Im Übrigen ist hier alles kosher: Schweinefleisch isst man nicht. Das Schnitzel ist meistens Geflügel. Wer alleine unterwegs ist, bekommt überall Hilfe, und die meisten Menschen sprechen gut Englisch. Was dabei zu beachten ist, wenn man durchs Land zieht: Es gibt überall Sicherheitskontrollen. Meistens werden Blinde nicht kontrolliert. Die Soldaten und Sicherheitsleute sind bewaffnet. Das Gute für Blinde dabei ist, diese Sicherheitsleute stehen überall, auch in der Nähe von Einkaufszentren, vor Banken etc. herum und man kann sie um Hilfe bitten. So ist es gut möglich, auch ohne Sprachausgabe Geld am Automaten abzuheben. Wenn man sich in diesem Land bewegt, sollte man wissen, dass alles geht, auch wenn es nicht rechtens ist. Ein deutscher Busfahrer würde Blinde nie an einer Bushaltestelle aussteigen lassen oder ihnen gar noch über die Straße helfen. Hier geht das, und es ist auch nicht verboten! Im Restaurant oder im Bus kann es auch passieren, dass fremde Menschen das Essen oder die Fahrkarte zahlen, weil man behindert oder bedürftig ist. Das ist für die Menschen hier eine sogenannte "Mizwa", eine religiöse gute Tat.

Mein Tipp: Kommt also her! Es ist einfach super spannend, hier zu sein, wenn man das südländische Lebensgefühl mag. Die Touristenorte kann man durchaus meiden. Es gibt tausende andere Dinge zu sehen.

Wer hier leben will, sollte sich darauf einstellen, dass ein Gehalt im Durchschnitt 6.000 Schekel beträgt, also rund 1.200 Euro! Arbeitsplatzassistenz soll es auch hier geben, aber meine Frau hat keine an der Schule, an der sie arbeitet. Hier geht alles, wenn wer will, egal, ob es ein Gesetz dafür gibt oder nicht!


Auf Augenhöhe - Entwicklungszusammenarbeit von Behinderten für Behinderte in Nordkorea

Ich erinnere mich gut an den Abend im Februar 2013, an dem mir mein guter Freund René Ludwig von der Mail aus Nordkorea erzählte. Der Chef der Hilfsmittelfirma, für die er arbeitet, hatte ihm die Anfrage des Vereins "Zusammen Hamhung e.V." weitergeleitet. Sie suchten einen blinden IT-Experten, der bereit wäre, blinden Kindern und Jugendlichen in Pjöngjang die Grundlagen der Arbeit am PC beizubringen - der Verein hatte einige Monate zuvor Hilfsmitteltechnik bei der Firma eingekauft. Ich fand das sofort spannend - zu erfahren, wie blinde Menschen anderswo leben, ist für mich grundsätzlich sehr interessant.

Und - was wissen wir schon über Nordkorea? René sah das ähnlich und da er blind und IT-Experte ist, bekundete er sein Interesse.

Ganz wohl war ihm trotzdem nicht - was die Medien hierzulande über Nordkorea berichten, ist nicht gerade einladend. "Da war schon eine grundsätzliche Unsicherheit dieses Land betreffend", erzählt er im Nachhinein, "zumal sich im Frühjahr 2013 die politische Lage zuspitzte. Außerdem hab ich befürchtet, dass die Schulung eine Nummer zu groß für mich ist. Schließlich hatte ich so was noch nie gemacht."

Am Ende siegten jedoch Neugier und Abenteuerlust und so reiste René im Oktober 2013 auf Einladung des Vereins "Zusammen - Bildungszentrum für gehörlose, blinde und nicht behinderte Kinder Hamhung e.V." für vier Wochen nach Pjöngjang. Dieser Verein, der sich als Behindertenselbstvertretungsorganisation versteht, nahm im November 2008 seine Arbeit auf. "Eigentlich hatte ich ursprünglich gar nicht vor, mich in der Entwicklungsarbeit zu engagieren", berichtet der gehörlose Vereinsgründer Robert Grund über die Anfänge. "Ich wollte damals nur herausfinden, ob in Nordkorea eine Gehörlosengemeinschaft existiert, denn es war das einzige Land, zu dem es keine Beziehungen des Weltverbandes der Gehörlosen gab. Es war nicht leicht, das herauszufinden, aber als ich es geschafft hatte, wurde ich von nordkoreanischer Seite angefragt, ein Projekt zur Einrichtung eines Bildungszentrums für gehörlose, blinde und nicht behinderte Kinder zu initiieren. Kinder liegen mir schon immer am Herzen und als uns dann auch noch der deutsche Botschafter ermutigte, mit kleinen Projekten anzufangen und das Ganze langsam vorzubereiten, habe ich das Projekt angenommen und bin in die Entwicklungsarbeit eingestiegen."

Ich selbst bin Mitbegründerin des Vereins und habe Robert im Februar 2007 durch den Chef der Berliner Firma Korea Computer Center Europe (KCCE) kennen gelernt, die damals das Internet in Nordkorea mit uns aufgebaut hat. Die beiden hatten sich auf einem Empfang in der DVRK-Botschaft getroffen und ich bekam den Auftrag, Roberts viele Koreafragen zu beantworten. Dabei habe ich von ihm auch sehr viel über Gehörlosigkeit und Blindheit gelernt. Es war die Anfangszeit der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) und wir sind über unsere intensive Kommunikation in die internationale Behindertenarbeit hineingewachsen, ganz wie sie in Art. 32 der BRK vorgesehen ist.

Das Projekt, zu dem René nach Pjöngjang eingeladen wurde, war das bisher größte Projekt des Vereins für Blinde. Es gab aber schon zuvor einige Aktivitäten in dieser Richtung, vor allem in Zusammenarbeit mit den Blindenschulen. Nordkorea ist ein sportbegeistertes Land und wir können dazu beitragen, eine Blindensportbewegung im Lande aufzubauen. Das geht in den Schulen los. Wir haben allen drei Blindenschulen des Landes Klingelbälle, Showdown-Platten, Trampoline, Tandems und am Ende sogar Rollerskates geschenkt. Wir haben gesehen, wie begeistert die Kinder diese Dinge angenommen haben und wenn der Direktor sportbegeistert ist, dann geht es ganz schnell richtig los. Sie können die paralympischen Ballsportarten lernen, und unser Traum ist, dass es auch mal Tandemsternfahrten in Nordkorea geben wird!

René ist jemand, der Neuem sehr offen, aber auch immer kritisch begegnet und sich seine eigene Meinung bildet. Entsprechend gespannt war ich auf seinen Bericht nach der Rückkehr. "Mich hat wirklich beeindruckt, wie wissbegierig und lernwillig die Teilnehmer waren", sagt er heute, nach seinen prägendsten Eindrücken befragt. "Sie haben das englische Alphabet, das 10-Finger-System und die Grundlagen am PC innerhalb der zweiwöchigen Schulung parallel gelernt. Wir hatten nicht für jeden einen eigenen Arbeitsplatz, sodass es auch immer Zeiten gab, in denen einige Schüler sich allein beschäftigen mussten. In diesen Zeiten hat wirklich jeder für sich geübt. Niemand hat nur rumgesessen, sie haben sich gegenseitig geholfen und das Gelernte wiederholt." Doch auch manche organisatorische Herausforderung ist René im Gedächtnis geblieben: "Ich fand es schwierig, dass ich keinen direkten Kontakt zu den Schülern hatte, weil alles über die Dolmetscherin laufen musste. Die Koreaner sind außerdem sehr stolz und tun viel dafür, auf keinen Fall ihr Gesicht zu verlieren. Das sorgte manchmal für ziemliche Komplikationen in der Zusammenarbeit."

Ich lebe mit Unterbrechungen seit fast 20 Jahren in Nordkorea und kenne diese Stolpersteine. In Deutschland haben wir eine Kultur des Fragens, Kinder werden von klein auf angeregt, Fragen zu stellen und wir sagen ihnen gerne, dass es keine dummen Fragen gibt. In Korea lernen Kinder dagegen mehr aus sehr aktiver Beobachtung, aus Nachahmung, durch Wieder¬holung. In Korea sind auch konfuzianisch-hierarchische Verhaltensformen sehr stark ausgeprägt, während für uns Deutsche der Inhalt unserer Arbeit die größte Rolle spielt, wir gehen mit Hierarchie eher lässig um. Jede Seite hat Momente, wo sie baff ist über das Verhalten oder die Reaktion der anderen. Das kann ärgerlich, aber auch lustig sein, wenn man erkennt, warum der jeweils andere so anders tickt.

Nach den Ergebnissen des Projektes befragt, sagt René: "Nicht alle in der Konzeption formulierten Ziele konnten erreicht werden, dafür hatte das Projekt aber einen zusätzlichen Effekt, der so nicht vorauszusehen war. Es war praktisch die ganze Zeit jemand vom Bildungskomitee bei der Schulung dabei. Der war wirklich erstaunt und am Ende hat er uns allen mitgeteilt, dass die Lehrpläne an den Spezialschulen für Blinde und Gehörlose schnellstmöglich an die normalen Lehrpläne angeglichen werden sollen. Und dass die blinden Schüler ab dem kommenden Schuljahr Englisch lernen. Das ist schon ein beachtlicher Erfolg. Nun müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Schüler die im Projekt erlernten Inhalte auch im Alltag anwenden können und die anderen Kinder in den Blindenschulen ebenfalls davon profitieren."

Das kann ich nur bestätigen, denn bisher waren die Lehrpläne an den Spezialschulen reduziert und Fremdsprachenunterricht gab es gar nicht. Dass sich das jetzt nach und nach ändert und die blinden Schüler nun als erstes neues Fach Englisch lernen, ist ein Quantensprung in der Bildung für blinde und gehörlose Kinder. Die gemeinsame Arbeit von Robert als gehörlosem Projektmanager und René als blindem IT-Experten war für den Vertreter des Bildungskomitees und auch für unsere Partner in der koreanischen Behindertenorganisation eine unglaubliche Erfahrung. Durch diesen Kurs haben sie erst richtig begriffen, wie viel Potential in den Blinden und Gehörlosen steckt, wenn sie nach ihren Bedürfnissen gefördert werden und wenn sie die Möglichkeit haben, ihre eigenen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Robert Grund kann dem nur zustimmen: "Richtig nervig wird unsere Arbeit immer dann, wenn Nichtbehinderte ohne Kenntnis und Erfahrung mit Gehörlosen oder Blinden meinen, die Blinden- bzw. Gehörlosenarbeit ohne unsere Beteiligung gestalten zu können", erläutert er. "Und dann behaupten sie auch noch, uns damit etwas Gutes zu tun. Für uns statt mit uns, das ist richtig übel, denn sie machen, was wir eigentlich nicht wollen. Diese Zeiten sind vorbei. Und das gilt nicht nur für Nordkorea."

Obwohl Renés Bericht nicht nur nach unkomplizierter, entspannender Arbeit klang, ließ mich das Ganze nicht mehr los. Zum einen fand ich es absolut spannend, mehr über ein Land zu erfahren, von dem wir aufgrund der meist politischen Medienberichterstattung oft vergessen, dass dort ganz normale Menschen ihren Alltag meistern, zum anderen war ich fasziniert von der Arbeit des Vereins. Sie haben den Slogan der Behinderten-Bewegung "N-othing A-bout U-s W-ithout U-s" ("Nichts über uns ohne uns"), das NAUWU-Prinzip, zu ihrer Arbeitsmaxime bestimmt.

Im Sinne dieses Prinzips sucht der Verein nun blinde Mitstreiter, die sich für, am besten aber auch in Nordkorea für die Blindenarbeit engagieren. Robert Grund dazu: "Ich wünsche mir unbedingt mehr Kooperation und Kommunikation - sowohl zwischen Blinden in Deutschland und Nordkorea, als auch mit der Weltblindengemeinschaft. Ich setze große Hoffnungen in den Aufbau einer engen Zusammenarbeit mit der Weltblindenunion. Dafür brauchen wir aber immer wieder blinde Mitarbeiter vor Ort und ich hoffe sehr auf die Unterstützung der deutschen Regierung bezüglich einer Assistenz für sie. Das gleiche gilt auch für uns Gehörlose, denn wir benötigen ebenfalls unbedingt Assistenz - zur schriftlichen und mündlichen Kommunikation. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Bundesrepublik unser Anliegen gemäß der UN-BRK unterstützen wird."

Ich selbst habe Feuer gefangen - seit ca. fünf Monaten bin ich für "Zusammen Hamhung e.V." aktiv bei der Konzipierung von Projekten für Blinde und der Kommunikation mit der WBU. Vielleicht konnte mein Bericht dem einen oder anderen Lust machen, uns ebenfalls zu unterstützen. Über unsere Homepage www.together-hamhung.org können Sie gern Kontakt zu uns aufnehmen. Die blinden Nordkoreaner bei der Umsetzung der UN-BRK zu begleiten ist wirklich spannend. Das Interesse an unserer Art der Arbeit ist groß und mit internationaler Unterstützung können wir mit ihnen gemeinsam viel bewegen und auch viel von- und miteinander lernen.


Bericht über meinen Auslandsaufenthalt in Platja D Aro/Spanien

Einmal die Koffer packen und ab ins Ausland, um dort zu arbeiten: Das hatte ich mir schon lange gewünscht und bekam dann durch das Projekt IdA (Integration durch Austausch) im Jahr 2012 die Möglichkeit dazu.

Das Projekt begann im August 2012. Zunächst mussten alle Teilnehmer einen sechswöchigen Spanischkurs durchlaufen, damit man sich nachher, wenn die große Reise begann, einigermaßen verständigen konnte. Anfang Oktober sollte es dann nach Spanien gehen.

Leider muss man sagen, dass die Kurszeit in Deutschland für mich eher langweilig war: Als ausgebildete Fremdsprachensekretärin hatte ich schon zwei Jahre Spanisch gelernt, und dieser Kurs war für Anfänger gedacht. Schließlich musste aber auch ich daran teilnehmen, damit man schauen konnte, wie gut meine Spanischkenntnisse bereits waren. Angenehm war, dass ich nicht so viel Stress mit dem Lernen hatte. Vor allem konnte ich meinen Kollegen helfen, was mir viel Spaß gemacht hat.

Der Kurs gestaltete sich sehr unorganisiert: Er begann immer morgens um halb 9, aber wann Schluss war, wurde flexibel geregelt, was für mich nicht so erfreulich war, da ich auch neben dem Kurs noch Dinge zu erledigen hatte und natürlich auch Kontakt zu anderen Menschen pflegen wollte. Man konnte leider nichts mehr wirklich planen.

Am 4. Oktober war es dann so weit: Alle waren ziemlich aufgeregt und hofften, sich in Spanien verständigen zu können, da sechs Wochen Crash-Kurs einfach nicht ausreichen, um wirklich gut Spanisch sprechen zu können. Nun ja, zum Glück gibt es ja Wörterbücher, die sich die Sehenden mal schnell ins Gepäck schmuggeln konnten. Bei mir sah das Ganze schon etwas schwieriger aus. Ich bekam ein Wörterbuch, allerdings nicht digital, sondern in Punktschrift. Drei dicke Bände waren nicht eben mal so verstaut, aber wir haben es geschafft, diese Dinge als "Dienstgepäck" frei mitnehmen zu können.

Es stand aber auf der Kippe, ob ich überhaupt mitfliegen konnte, da im Voraus nicht bedacht wurde, dass ein Blindenführhund im Flugzeug einen gesonderten Platz erhalten und somit angemeldet werden musste, obwohl ich mehrfach darauf hingewiesen hatte und Arbeit & Bildung, ein Verein in Marburg, von dem der Kurs ausging, mir versicherte, es werde sich darum gekümmert. Die Maschine war voll, die Fluggesellschaft Lufthansa versuchte zu machen, was sie konnte, wegen dieses Umstandes flogen wir mit Verspätung ab und es ging so aus, dass sich meine Hündin etwas eingequetscht zu meinen Füßen legte, weil sie keinen Platz bekam. In Barcelona angekommen, wurden wir von der Koordinatorin sehr herzlich in Empfang genommen.

Doch sehr bald wurde deutlich, dass die anderen Kursteilnehmer massive Verständigungsschwierigkeiten hatten, was aufgrund der wenigen Zeit in Deutschland zum Erwerb einer neuen Sprache kaum verwunderlich war. Somit war ich leider erst einmal die einzige Teilnehmerin, die sich mit Sol, so hieß die Koordinatorin, gut verständigen konnte.

Zunächst einmal bekamen wir ein paar Tage Eingewöhnungszeit. Wir unternahmen viel, machten Ausflüge und vergnügten uns am Strand, denn die Temperaturen lagen dort noch bei ca. 25 Grad. Ich wurde in einer WG mit zwei anderen Teilnehmern untergebracht und wir hatten sehr viel Spaß, das Gruppenklima war wirklich perfekt!

Am 8. Oktober begannen wir alle mit der uns zugeteilten Arbeit. Ich bekam einen Platz in einem Immobilienbüro, wo ich mich auch sehr wohl und willkommen fühlte. Ich erhielt Sekretariatsaufgaben, musste die Website des Büros vom Spanischen ins Deutsche übersetzen, mit Kunden telefonieren u. v. m. Das hat riesigen Spaß gemacht und auch meine Arbeitskollegen und mein Chef fanden es interessant, wie ein Blinder so am PC arbeitet und liebten Beauty, meine Führhündin, die stets viele Streicheleinheiten und viel Aufmerksamkeit bekam.

Neben der Arbeit hatten wir dann nachmittags zweimal die Woche Spanischunterricht. Dagegen hätte ja nichts gesprochen, aber was bringt es, Spanischunterricht zu haben mit einer Person, die zwar fließend Spanisch, aber kein Wort Deutsch sprach? Ergebnis des Ganzen war, dass ich als Übersetzerin, man kann schon sagen, ausgenutzt wurde. Diese Aufgabe hat mir durchaus Spaß gemacht, aber ich bin eben doch kein Dolmetscher! Ich bin Fremdsprachensekretärin und habe lediglich schriftliches Übersetzen erlernt, so dass diese Vorgehensweise für mich sehr anstrengend war und mich einfach überforderte. Ich schilderte meiner Lehrerin die Situation und glücklicherweise stieß ich auf ihr Verständnis. Nun entfiel diese Aufgabe für mich und ich konnte mich etwas entspannen.

Ein weiteres Problem war, dass mir von Arbeit & Bildung versichert wurde, dass eine Assistenz mitkommt, die für mich zuständig ist, um Wege zu lernen etc. Leider war dem nicht so, ich musste mir ohne Assistenz die Wege erarbeiten und war froh, dass ich meinen Hund dabeihatte und dass die Spanier so hilfsbereit und nett waren, so war es mir möglich, alles irgendwie zu schaffen. Sehr geholfen hat mir dabei die Koordinatorin des Kurses.

Am 15. November traten wir dann die Rückreise an und ich freute mich total auf zu Hause, denn meinen Freund und meine anderen Bekannten habe ich extrem vermisst. Auch fehlte mir der schöne Wald, in dem ich stundenlang mit meiner Hündin laufen kann, in Platja d"Aro ist das nicht so gut möglich, da gibt"s nur kleine Parks und den Strand.

Zum Schluss bleibt mir zu sagen: Es war eine gute, wenn auch nicht gerade einfache Erfahrung für mich. Ich würde jederzeit wieder ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten, aber wenn, dann werde ich mich selbst um organisatorische Dinge kümmern, dann kann ich mir sicher sein, dass sie funktionieren!


"Und wie gehst du mit denen um?"

Ein typischer Montagmorgen im Büro. "Wie hat dir der "Tatort" gestern gefallen?" "Naja, ging so. Mir gefällt das Team aus Münster besser." Wie so oft ist der sonntägliche Krimi Gesprächsthema am Wochenbeginn. Nichts Ungewöhnliches? Genau genommen schon, denn das Gespräch führe ich mit meinem blinden Kollegen, ebenfalls "Tatort"-Stammzuschauer.

Im April 2012 trat ich meine Stelle als Pressesprecherin beim DVBS an. In meinen vorigen beruflichen Stationen - als Redakteurin bei einer Tageszeitung und in einer Medienagentur - hatte ich keinen Kontakt zu blinden oder sehbehinderten Menschen, von gelegentlichen Serviceseiten zum Thema Augengesundheit einmal abgesehen. Dennoch war mir die "Welt der Blinden" nicht gänzlich unbekannt. Wer in Marburg aufwächst und studiert, begegnet zwangsläufig dem ein oder anderen blista-Absolventen im Hörsaal und wundert sich nicht über piepsende Ampeln oder die vergleichsweise hohe Anzahl weißer Stöcke in der Stadt. Als Studentin habe ich zudem als Nachhilfelehrerin gejobbt und einige blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Dass die Jungen und Mädchen ihre Unterlagen mit Vergrößerungssoftware am PC bearbeiteten und teilweise Dokumente in Punktschrift auf den Schreibtischen lagen, habe ich als selbstverständlich hingenommen, das Fachliche stand für mich bei der Nachhilfe im Vordergrund.

Diese Einstellung hat sich mit der Arbeit in der DVBS-Geschäftsstelle nicht verändert. Wichtig für mich war, im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit zu arbeiten - ob unter sehenden, schlecht sehenden oder blinden Kollegen, war für die Annahme der Stelle unerheblich. Dass in der Zusammenarbeit mit blinden Kollegen einige "Spielregeln" beachtet werden müssen, erklärte sich schon in den ersten Tagen im neuen Job von selbst. Nonverbale Kommunikation in Form eines Nickens, Kopfschüttelns oder Schulterzuckens wird durch den entsprechenden Kommentar "ja", "nein", "weiß nicht" ergänzt. Die Bürotüren sind entweder ganz geöffnet oder ganz geschlossen - ein Zwischending führt zu lauten Flüchen und im ungünstigsten Fall zu blauen Flecken. Unschön, also vermeiden. Dass Kartons und andere Hindernisse nicht den Flur versperren, ist auch für uns sehende Kolleginnen und Kollegen ganz praktisch. Und das Chaos in der Kaffeeküche hält sich bei zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in überschaubaren Grenzen, sodass alle problemlos Tassen, Kaffee und Milch finden können…

Während ich mich recht schnell im neuen Umfeld zurechtfand, fanden es einige Freunde und Verwandte interessant bis exotisch, dass ich jetzt mit blinden und sehbehinderten Menschen arbeitete. Entsprechend neugierig fragten sie mich aus und brachten Dinge ins Gespräch, über die ich selbst nie nachgedacht hatte. Eine häufige Reaktion auf die Antwort, dass ich jetzt einen blinden Chef und einen blinden Kollegen habe, war die Frage "Und wie gehst du mit denen um?". Tja, gute Frage, die ich gerne mit der Gegenfrage "Wie gehst du denn mit deinen Kollegen um?" beantwortete. Ist ein anderer Umgang mit Kollegen notwendig, weil diese anders oder gar nicht sehen? Wir kommen morgens ins Büro, begrüßen uns, besprechen Dienstliches, planen Projekte und Veranstaltungen, unternehmen ab und an Dienstreisen, plaudern auch über Privates und verabschieden uns abends in den Feierabend - alltägliche Abläufe, die sich genauso in jedem "normalen" Büro abspielen. Ich sehe den Kollegen, dessen Rolle im Team und fachliche Kompetenzen, statt den Menschen auf seine Behinderung zu reduzieren - denn diese ist im Geschäftsstellenalltag unerheblich. Ich brauche den Rat des IT-Experten, der meinen PC wieder zum Laufen bringt oder benötige die Freigabe einer Pressemeldung durch den Geschäftsführer. Dabei spielt es keine Rolle, ob die beiden blind sind, im Rollstuhl sitzen, gehörlos sind oder keine Behinderung haben.

Auf der Hitliste der seltsamsten Fragen rangiert übrigens folgende ganz weit oben: "Kommen die Blinden immer mit ihrem Betreuer zur Arbeit?" Nach einem Moment verblüfften Schweigens habe ich gesagt, dass die beiden Herren keineswegs Betreuung benötigen. Man stelle sich vor, sie haben sogar eigene Wohnungen, Häuser und in einem Fall eine Familie mit drei Kindern!

Eine Bekannte berichtete, dass einige blista-Schülerinnen ihren Französisch-Leistungskurs im Gymnasium besucht haben. Es sei doch sehr anstrengend gewesen, weil man etliche gebräuchliche Wendungen im Gespräch vermeiden müsse. Was sie genau meine, wollte ich wissen. "Naja, man darf doch bei Blinden nicht sagen, "wir sehen uns morgen", "auf Wiedersehen" oder "schau dir das mal an"", erklärte sie. Aha, gut zu wissen, dass es diese Verbote gibt! Dass Blinde diese Sätze sehr wohl selbst verwenden, war ihr völlig neu - und entsprechend meinte sie: "Dann haben wir uns ja ganz schön komisch angestellt."

Irritierend und etwas kompliziert an der neuen Aufgabe im DVBS war nicht der Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen, vielmehr waren die zahlreichen Abkürzungen und Fachtermini - AKN, DBSV, Teilhabegesetz, BRK, BSBH, Audiodeskription, rbm, Nachteilsausgleiche, LPF, BIK-Berater und Ähnliches - anfangs wirklich böhmische Dörfer für mich "Sehling", der sich zuvor nicht mit der rechtlichen und politischen Ebene der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe auseinandergesetzt hatte.

Seit einiger Zeit macht sich übrigens eine interessante Auswirkung auch in meinem Privatleben bemerkbar: War ich bisher eher mit einem mittelmäßigen Orientierungssinn gesegnet, bin ich in den beiden vergangenen Jahren zu einem kleinen Orientierungsprofi geworden. Große Verblüffung herrschte bei verschiedenen Städtetouren, als ich ganz selbstverständlich den Weg zum Hotel erklärte und die Damen treffsicher zu den Shoppingmeilen navigierte. Merke: Wer einen blinden Begleiter durch London führt, übernimmt ab sofort auch die Reiseleitung für sehende Touristen. Eine klassische Win-Win-Situation, die es ohne den Job beim DVBS so schnell nicht gegeben hätte…


Magnet Brasilien

Es ist, als würdest du in ein laufendes Fußballspiel hineinplatzen, ohne die Spielregeln zu kennen. So versuchte ich einer Freundin zu erklären, wie es ist, frisch in einer anderen Kultur anzukommen.

Sie hatte sich darüber gewundert, dass Brasilianer schon auf Floskeln grundsätzlich anders reagieren als Deutsche.

Du bist also auf diesem Fußballfeld gelandet. Aha, alle rennen. Was tust du? Du rennst erst einmal mit, findest es vielleicht anstrengend, vielleicht belebend, vielleicht seltsam. Irgendwann fällt dir auf, dass das Feld, auf dem alle rennen, begrenzt ist. Du merkst, dass da Leute in verschiedene Richtungen rennen. Wenn du dann mal Zeit findest, auf den Rasen zu schauen, sind da plötzlich so merkwürdige Punkte und Linien. So langsam dämmert dir, dass vermutlich alle anderen etwas damit anfangen können und nach einem bestimmten System hin- und herrennen. Es ist schwer zu sagen, wann du verstehst, dass es um den Ball geht: Das kommt darauf an, wie tief du eintauchst und wie sehr du selbst Gefallen an dem Ball findest.

Fremd oder gar wildfremd sind Wörter, die in meinem aktiven Wortschatz praktisch nicht vorkommen. Vielleicht bin ich unter anderem deshalb Sprachmittlerin geworden, weil Wörter auf mich eine besonders tiefe Wirkung haben. Das Wort "wildfremd" etwa schafft eine ungeheure innere Distanz. Ein wildfremder Mensch muss sich erst einmal anstrengen, um sich meine Aufmerksamkeit, meine Gastfreundschaft, mein offenes Herz zu verdienen. Von klein auf war ich auf neue Menschen und Orte gespannt; "anders" war Synonym für "aufregend".

Seit ich von der Existenz dieses Landes namens Brasilien wusste, spürte ich den Magneten, der mich dorthin zog. Als es endlich so weit war, war ich längst erwachsen und hatte reichlich Erfahrung, unter anderem aus längeren Auslandsaufenthalten in den USA, Irland, Spanien und Portugal im Gepäck. Und doch war mein erstes Jahr in Brasilien das größte Geschenk, das mir als Erwachsener zuteil wurde. Wie in einer zweiten Kindheit erlebte ich in den ersten Monaten jeden einzelnen Tag mit Staunen, jede neue Entdeckung als ein kleines Wunder, jeden Schritt vor die Haustür als Aufbruch in ein großes Abenteuer. Mit ausgestreckten Fühlern und den Antennen ständig auf Empfang, erkundete ich Bäume und Pflanzen, Geschäfte und Verkehrsmittel, probierte Speisen und genoss Alltagsklänge, die mich begeisterten und mir neue willkommene Rätsel aufgaben. Eine nie gekannte Herzlichkeit und die Brasilien innewohnende Langsamkeit öffneten mir zahllose Türen und erleichterten mir den Einstieg. So kannte ich schon nach wenigen Tagen Barbara, die hilfsbereite Bankangestellte, Pedro, den Nachtwächter, oder Rita aus dem Park, die auch einen Hund hatte. Sie alle begrüßten mich bereits wie eine alte Freundin, und wir hatten jeweils schon mindestens drei Gemeinsamkeiten entdeckt.

An meinem dritten Tag im Land und in Porto Alegre, der Hauptstadt des südlichsten Bundesstaates Rio Grande do Sul, nahm ich mit Tausenden in den Straßen bei brütender Hitze an der Eröffnung des Weltsozialforums teil, in dessen Verlauf mein erster Einsatz als Konferenzdolmetscherin unter improvisierten Bedingungen auf mich wartete. Ich kannte noch niemanden wirklich, tanzte und lachte aber mit zahllosen freundlichen Menschen, die Belkis, Odilon oder Junior hießen, und badete in der feiernden und demonstrierenden Menge, während ich mich gleichzeitig ständig in den Arm kniff und froh war, nicht aufzuwachen.

Vor allem aber badete ich im Klang der Sprache - für mich die schönste Musik überhaupt. Eine brasilianische Dozentin hatte in Heidelberg vor meiner Abreise von einem handfesten Vorteil gesprochen, den ich gegenüber sehenden Austauschstudierenden hätte: Du musst mit den Menschen sprechen, um dich zurechtzufinden; du wirst sicher innerhalb kürzester Zeit deine Sprachkenntnisse auf ganz natürliche Weise viel schneller erweitern als die meisten anderen.

Nach drei Monaten hatte ich denn auch mein europäisches Portugiesisch abgelegt.

Zu dem wohligen Gefühl, zu Hause zu sein, das ich vom Augenblick der Landung an empfand, gesellten sich allmählich bekannte Wege, vertraute Abläufe und Menschen, die mich als eine von ihnen akzeptierten. Ein bisschen einheimische Umgangssprache in das auffallend korrekte Portugiesisch eingebaut, an dem man sofort die Ausländerin erkennt, und schon wurden mir nicht mehr dauernd Fragen über Deutschland und Europa gestellt.

Im Süden war es zudem entscheidend, den angebotenen Chimarrão, auch bekannt als Mate, mitzutrinken. Serviert wird er in der Cuia, einem Gefäß aus der harten Schale der Porongo-Frucht, und getrunken wird aus der Bomba, die in den fertig zubereiteten Mate gesteckt wird. Das Getränk, auch liebevoll "o amargo", der Bittere, genannt, geht von Hand zu Hand und von Mund zu Mund, ein Brauch, der nicht ganz zufällig an das Rauchen der Friedenspfeife erinnert. Ob ich zu einer Familie nach Hause, an die Uni oder sogar ins Rathaus kam, überall wurde mir ein Chimarrão angeboten. Ich weiß nicht, was passiert, wenn man ihn ablehnt; ich habe es nie versucht. Trinkt man ihn mit, zaubert man auch dem letzten Einwohner von Rio Grande do Sul ein Lächeln ins Gesicht und hat sich selbst eine weitere Tür geöffnet.

Drei Anläufe habe ich gebraucht, bis er mir schmeckte; mittlerweile habe ich meine Lieblingssorte und bin froh, drangeblieben zu sein, denn dieses Ritual habe ich sehr ins Herz geschlossen. Es hätte viele Gründe gegeben, ihn abzulehnen: Den bitteren Geschmack, hygienische Bedenken, keine Zeit etc. und so verhielt es sich mit vielen Entscheidungen. Ist dieses Land, in dem extremer Reichtum und extreme Armut unmittelbar und offensichtlich nebeneinander existieren, nicht viel zu gefährlich? Sollte man als blinder Mensch nicht eher in ein Land reisen, das in Sachen Barrierefreiheit an der Weltspitze steht, statt in eines, in dem einen an der einen Straßenecke ein Loch im Boden und an der nächsten eines anstelle des Ampelkastens begrüßt? Derlei Überlegungen drangen zwar an meine Ohren, nicht aber in meinen Kopf oder gar mein Herz. Denn es war nun einmal Brasilien, in das ich eintauchen wollte, und das ist und bleibt es, bis ich hoffentlich 300 Jahre alt bin, überall war und einiges mehr von diesem faszinierenden Land verstanden habe, in das Deutschland beinahe 24 Mal hineinpasst.

In Brasilien gibt es alles irgendwo. Die blinden Menschen, die ich heute im Internet treffe, sind Anwältinnen, Psychologen und Informatiker; sie kämpfen für barrierefreie Lektüre, um einen eigenen Führhund oder für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Sie nutzen Screenreader und erfreuen sich an den Vorzügen ihres Smartphones. Die überwiegende Mehrzahl könnte man aber mit einem kleinen Diktiergerät oder einer Tafel glücklich machen. In Porto Alegre habe ich einen Mann bewundert, der mit einer Eisenstange durch die Straßen pendelte und, mit seiner Stimme mühelos jeden Lärm übertönend, immer schnell Hilfe über die Kreuzung bekam. Auch blinde Straßenhändler habe ich kennen gelernt.

Als ich eingangs von einem großen Geschenk sprach, meinte ich damit auch nicht etwa, dass mir dort alles zugeflogen wäre. Auf meiner Entdeckungsreise litt ich etwa in nie gekannter Form unter dem Lärm, der mich überall verfolgte. Brüllten mich gerade nicht die Stadtbusse an, so war unter Garantie ohrenbetäubende Werbung für die beste Pizzeria im Stadtteil zu hören, wurde ein Feuerwerk entfacht oder waren Bauarbeiten im Gange; und nachts ließ mich die Klimaanlage nicht schlafen. In Vorlesungen an der staatlichen Universität hatte man oft die Wahl zwischen Hitzschlag und geräuschvollen Ventilatoren. Üblicherweise entschieden sich die Dozenten für Letzteres. Das bedeutete, mir war einigermaßen angenehm kühl, der Stuhl war in Ordnung, allein die Lerninhalte, die mich durch die halbe Stadt in den Hörsaal gelockt hatten, kamen nicht selten in wenig aufschlussreichen Satzfetzen bei mir an.

Darunter, als blinde Europäerin mit vierbeinigem Begleiter bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund zu sein, litt ich nur in Ausnahmefällen. Auf die ebenso unfreiwillige wie unausweichliche Rolle der Pionierin mit Blindenführhund hatte ich mich im Vorfeld innerlich eingestellt und sie akzeptiert. Mir war es ausgesprochen angenehm, nicht einfach überall angestarrt, sondern angesprochen und damit einbezogen zu werden. Szenen offener Bewunderung, ungläubigen Staunens und unbändiger Wissbegier begleiteten mich fast ständig durch die Innenstadt. Das Gesetz, welches Führhundhaltern mit ihrem Hilfsmittel seit Ende 2004 ein umfassendes Zutrittsrecht garantiert, trug ich immer bei mir, habe es aber nie gebraucht, da ich immer mit Humor oder geduldigen Erklärungen zum Ziel kam. Das Wissen, im Zweifel auch in einem Krankenhaus oder Hotel das Gesetz auf meiner Seite zu haben, war mir dennoch eine große Beruhigung.

Sobald ich in sehender Begleitung unterwegs war, sprachen allerdings etliche Menschen in der dritten Person über mich. An meinem Fachbereich an der Uni gab es noch eine blinde Frau, die täglich von ihrer Mutter in die Vorlesungen begleitet wurde. Eine andere, eine von zwei einheimischen Führhundhaltern der eineinhalb-Millionen-Stadt, lebte allein und unterrichtete an einer benachbarten Hochschule.

Der brasilianische Umgang mit Zeit ist wohl das Thema, bei dem ich in Deutschland am Häufigsten höre: Das wäre nichts für mich, Pünktlichkeit ist wichtig. Abgesehen davon, dass ich nach dieser Maxime in Brasilien zahllose einsame Stunden verbracht hätte, war ich neugierig darauf, was es mit diesem Phänomen auf sich hatte. Was passierte in all der Zeit, in der Brasilianer irgendwo nicht waren? Was ich fand, gefiel mir. Ich fand Zeit, den Augenblick auszukosten, Menschen, die mich in aller Seelenruhe von A über F nach B brachten, wenn ich einen Weg suchte; ich machte Einkäufe in kleinen Läden, aus denen ich erst wieder herauskam, wenn mir etwa Chicão auch das letzte Paar Schuhe in allen Einzelheiten beschrieben hatte. Wenn eine Theatervorstellung oder ein Kongress tatsächlich begann, wusste auch ich genau, welche Bekannten dort waren, denn es blieb genug Zeit, einander zu begrüßen und Neuigkeiten auszutauschen. Das völlige Fehlen von Hektik und missgelaunter Ungeduld war unglaublich entspannend.

Arbeiten Deutsche und Brasilianer gemeinsam eine Veranstaltung aus - wie etwa im Oktober 2013 den brasilianischen Ehrengastauftritt bei der Frankfurter Buchmesse -, findet man auf der einen Seite ein verblüffendes Organisationstalent, auf der anderen eine faszinierende Kreativität. Minutiöse Planung und nahezu unfehlbare Improvisationsgabe können einander so wunderbar ergänzen wie präzise Planung und wohltuende Unbekümmertheit.

Als Dolmetscherin, die während der Buchmesse die Ehre hatte, mehrere brasilianische Autoren zu begleiten, erlebte ich deren tief empfundene Begeisterung für die Fähigkeit des deutschen Publikums, ihnen über längere Zeit ehrlich interessiert zuzuhören. Das ist seither etwas, worauf ich stolz bin, statt es für normal zu halten.

Überhaupt hat das Eintauchen in die brasilianische Kultur mein Verhältnis zu meinem eigenen Land verändert. In Deutschland ist für mich heute alles angenehm leise, ich weiß durchgehende Bürgersteige ebenso zu schätzen wie Telefone, die immer funktionieren, und hege eine wahre Bewunderung für Menschen, denen es gelingt, Fahrpläne bei so viel unvorhersehbaren Zwischenfällen fast immer genau einzuhalten.

Läuft dann eine Zeit lang vieles nach Plan, nimmt das Heimweh nach Brasilien zu, nach dem Bunten, dem Überraschenden, dem Unberechenbaren.

Zur Autorin

Mirien Carvalho Rodrigues ist freiberufliche Dolmetscherin und Übersetzerin. In Brasilien begann sie außerdem ihre Arbeit als Beraterin für barrierefreien Service im Tourismus. Zudem ist sie Autorin zahlreicher Blitzlichter, kurzen Texten mit Momentaufnahmen aus verschiedenen brasilianischen Lebenswelten, die auf www.ohrfunk.de gesendet werden und die sie bald als Buch veröffentlichen möchte.


Bildung und Forschung

Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik im Zeitalter der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen (UN-BRK)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Freunde, meine Damen und Herren,

gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben ist ein Menschenrecht. Das drückt unzweifelhaft die UN-BRK - in ihren Artikeln 26 und 27 - aus.

Jeder Mensch, ungeachtet von Beeinträchtigungen körperlicher oder seelischer Funktionen oder Strukturen oder sozialer Benachteiligung, hat das Recht, im Rahmen seiner Möglichkeiten im Lebensbereich Arbeit und Beruf mitzutun. Das heißt, gleichberechtigt teilzuhaben an einem in unserer Erwerbsgesellschaft äußerst wichtigen Lebensbereich. Dies verschafft die Möglichkeit, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen und unabhängig von öffentlicher Unterstützung zu sein. Das heißt, durch berufliche Tätigkeit Sinnvolles und Erfüllendes zu tun, mit anderen Menschen zu kommunizieren u.v.a.m. Es heißt schlicht: In einer Arbeitsgesellschaft inkludiert und anerkannt zu sein.

Es passt aber überhaupt nicht zu den Forderungen und Ansprüchen der UN-BRK, was die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit (BA) am 4. Dezember 2013 verlautete. Während die Arbeitslosigkeit allgemein von September 2010 bis September 2013 um 12 Prozent auf 2,85 Mio. Betroffene sank, stagnierte diejenige der schwerbehinderten Arbeitslosen auf hohem Niveau; genau genommen stieg sie um 0,9 Prozent auf knapp 177.000 Personen. Besonders stark stieg die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Akademiker, nämlich um 22 Prozent auf 7553. Was ist denn da los? Was geht vor am Arbeitsmarkt? Sieht so das Zeitalter der UN-BRK aus?

Beeinträchtigung wäre keine solche, wenn sie nicht auch im Arbeitsleben behinderte. Zwar ist es richtig, für beeinträchtigte Menschen den Arbeitsplatz zu finden, an dem sie ihre Stärken und Neigungen voll ausagieren können, an dem ihre Beeinträchtigungen möglichst nicht behindern oder kompensiert werden können. Es ist somit die Aufgabe der rehabilitierenden und vermittelnden Einrichtungen, dieses Ergebnis zu bewirken. Aber Fleiß, Engagement, Leistungsbereitschaft, Qualifikation und Kompetenz müssen auch honoriert werden, siehe oben. Sonst wird die Intention der UN-BRK auf den Kopf gestellt.

Dennoch bleibt angesichts schwerer wiegender Beeinträchtigungen oft eine vorübergehende oder dauerhafte Beeinträchtigung der Produktivität zu konstatieren. Unternehmen befinden sich zumeist im Leistungswettbewerb. Vorübergehend oder dauerhafte geringere Produktivität auszugleichen kann nicht dem einzelnen Unternehmen zur Aufgabe gestellt werden. Dies ist die Pflicht einer solidarischen Gesellschaft mit einer sozialen Marktwirtschaft, vertreten durch die staatlichen Institutionen zur Arbeitsvermittlung, Beratung und Rehabilitation. So werden Betriebe, die beeinträchtigte Menschen beschäftigen, im wirtschaftlichen Wettbewerb gleichgestellt. Im Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen der Menschen mit Beeinträchtigungen von 2013 zeigen Befragungsergebnisse, dass behinderte und benachteiligte Menschen signifikant öfter als andere unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt sind, dass sie in vergleichbaren Situationen weniger verdienen und dass ihre Arbeitszeiten geringer sind. Auch dies widerspricht den Zielen der UN-BRK, solange die beeinträchtigten Personen eine solche Arbeitsgestaltung nicht selbst wünschen im Sinne der Work-Life-Balance.

Um Vorurteilen, Klischees und Unwissenheit gegenüber Arbeit Suchenden mit Beeinträchtigungen zu begegnen, benötigen wir fortgesetzt der Aufklärung und Information. Auch dies ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe, um endlich überwiegend defizitorientiertes Denken angesichts gesundheitlicher oder sozialer Beeinträchtigungen aus den Köpfen zu eliminieren. Wo auch dies wenig nützt, brauchen wir eine durchsetzbare Beschäftigungspflicht der Unternehmen für Menschen mit Beeinträchtigungen mittels einer Ausgleichsabgabe für die Nichtbeschäftigung behinderter Menschen in einer Höhe, die schmerzhaft sein muss.

Das Netzwerk Inklusion junger behinderter oder sozial beeinträchtigter Erwachsener, das diese beeindruckende Zukunftskonferenz veranstaltet, hat im Vorhinein die Erwartungen, Befürchtungen und Wünsche der beeinträchtigten Arbeitnehmer und der mit Personalfragen befassten Vertreter von Unternehmen befragt und eine erstaunliche Übereinstimmung bei den Auskünften, Erwartungen, Wünschen, Einschätzungen und Befürchtungen konstatiert.

Im Rahmen des "Worldcafés" der Zukunftskonferenz wurde dieser Eindruck bestätigt und vertieft. Das gibt Anlass zur Hoffnung. Einer Hoffnung, die darin besteht, dass man sich zusammensetzen muss, dass Netzwerke wie dieses neue Impulse und Initiativen schafft, dass die, die zusammengehören, auch zusammenkommen. Die demographische Entwicklung tut ein Übriges, denke ich.

Ich wünsche dem Netzwerk weiterhin ein so erfolgreiches Agieren und gute Hoffnung gebende Initiativen.

Zum Autor

Dr. Heinz Willi Bach hielt diesen Vortrag im Rahmen der Zukunftskonferenz des Netzwerkes Inklusion behinderter und sozial benachteiligter junger Menschen am 6. Dezember 2013 in der Aula der Deutschen Blindenstudienanstalt Marburg. Dr. Heinz Willi Bach ist zweiter Vorsitzender des DVBS. Der Diplom-Volkswirt war viele Jahre Dozent an der Fachhochschule des Bundes in Mannheim und vertrat die Fachgebiete Volkswirtschaftslehre, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsvermittlung. Zuvor war er zehn Jahre in der Praxis der öffentlichen Arbeitsvermittlung tätig. 2009 wurde er wissenschaftlicher Oberrat beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Anschließend führte er an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit ein zweijähriges empirisches Forschungsprojekt durch. Dr. Bach gehörte dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales an, der die Gestaltung des Teilhabeberichts der Bundesregierung wissenschaftlich begleitete. Derzeit ist er beratend an der "Vorstudie für eine Repräsentativ-Befragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen" beteiligt. Er nahm ca. 12 Jahre die Aufgabe der Vertretung der schwerbehinderten Beschäftigten und Studierenden an der Hochschule wahr.


Neues Studienangebot: Zertifikatskurs „Grundlagen inklusiver Pädagogik bei Blindheit und Sehbehinderung“

Der neue Zertifikatskurs an der Uni Marburg bietet die Möglichkeit, sich berufsbegleitend sowohl mit Inklusion als auch mit den Grundlagen der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik zu beschäftigen und die erworbenen Kenntnisse zertifizieren zu lassen. Er richtet sich an Erzieher und Erzieherinnen, Inklusionsassistenten und Schulbegleiter, Grundschullehrerinnen und -lehrer, Pflegedienstleitungen und Pflegekräfte, Optiker, Orthoptisten, Optometristen und Berufstätige und Wiedereinsteiger mit pädagogischer, rehabilitativer, pflegerischer oder optisch-technischer Berufserfahrung.

Entwickelt wurde dieses neue Studienangebot durch das Institut für Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg in Kooperation mit der blista; inhaltlich und organisatorisch verantwortlich ist Sabine Lauber-Pohle. Mit je einer halben Stelle in der RES und an der Uni verknüpft sie Praxis und Forschung.

Weitere Informationen zu dem neuen Studienangebot gibt es unter: www.uni-marburg.de/fb21/studium/studiengaenge/grip-bs

Die blista unterstützt die Teilnahme ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finanziell.


Bücher

„Babys erstes Jahr“ ist ab sofort als DAISY-Version erhältlich

DVBS und Autor Dr. Stephan Heinrich Nolte präsentierten das Nachschlagewerk für Eltern in einer Version für Blinde und Sehbehinderte

Die erste Nacht zu Hause, die erste Impfung und der erste Brei: Das erste Lebensjahr hält nicht nur für den Nachwuchs selbst, sondern auch für die Eltern eine Menge neuer und aufregender Erfahrungen bereit. Um Eltern in dieser Zeit zu unterstützen und wertvolle Tipps zu geben, hat der Marburger Kinder- und Jugendarzt Dr. med. Stephan Heinrich Nolte gemeinsam mit der Journalistin Annette Nolden "Das große Buch für Babys erstes Jahr" veröffentlicht, das 2013 im Verlag Gräfe & Unzer erschienen ist. In Zusammenarbeit mit dem DVBS ist nun eine DAISY-Version des Buches entstanden, sodass jetzt auch blinde und sehbehinderte Eltern von der Erfahrung des Mediziners und den wertvollen Tipps für die erste Zeit mit dem Säugling profitieren. Dr. Stephan Heinrich Nolte ist seit 22 Jahren niedergelassener Kinder- und Jugendarzt in Marburg. "Durch meine Tätigkeit in Marburg habe ich häufig auch mit blinden und sehbehinderten Eltern zu tun", erklärt der Mediziner. "Gerade im Umgang mit Säuglingen ergeben sich hier besondere Schwierigkeiten."

Der Kontakt zum DVBS, der schließlich zur Produktion der Hörfassung führt, kam durch Geschäftsführer Michael Herbst zustande. Er erfuhr von einer Lesung des Mediziners - im Übrigen der Kinderarzt der Familie Herbst - und informierte Textservice-Mitarbeiterin Sabine Hahn. Dr. Nolte war begeistert von der Idee, sein Buch im DAISY-Format produzieren zu lassen. Er regelte alle rechtlichen Formalitäten mit dem Verlag und sprach selbst das Vorwort des Buches auf. Alle anderen Kapitel wurden von Stefanie Pach gelesen. Mehr als 19 Stunden lang ist die digitale Hörversion. Da sich das Buch in der gedruckten Form an den Bedürfnissen der sehenden Leserschaft orientiert - viele Abbildungen, Tabellen und Infokästen sind enthalten -, hatte die lineare Darstellung des Inhaltes oberste Priorität, so Sabine Hahn. "Gerade bei einem so umfangreichen Buch ist die Navigation von Seite zu Seite oder Kapitel zu Kapitel äußerst wichtig", erklärt sie.

Ziel des Kinderarztes und Autors war es, Eltern zu ermöglichen, "ein Gefühl für die Welt ihres Babys zu entwickeln". Sein Buch solle keinesfalls Angst vor der neuen Lebenssituation, sondern Mut machen. Sein Tipp für alle werdenden Eltern: "Lesen Sie das Buch unbedingt vor der Geburt, denn wenn das Baby erst da ist, beginnt umgehend ein Fulltime-Job!"

Die DAISY-Version ist exklusiv beim DVBS erhältlich. Dr. med. Stephan Heinrich Nolte/Annette Nolden: "Das große Buch für Babys erstes Jahr", DAISY-MP3-CD, Bestellnr.: 17032, Laufzeit: 19:43 Stunden, Preis: 29,99 Euro, Kontakt & Bestellung: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Tel.: 06421 94 888 0


Hörtipps

Mirco Drewes: Samba tanzt der Fußballgott: Brasiliens Fußball zwischen Genie und Wahnsinn. Berlin, Vergangenheitsverlag, 2014. 307 Seiten.

Ab Mitte Juni diesen Jahres wird auf Deutschlands Straßen wieder eine merkwürdig gespannte Ruhe herrschen, zumindest zeitweise: Die Fußball-Weltmeisterschaft zieht Millionen Menschen wie magisch vor einen Bildschirm. Sind Sie vorbereitet, wenn am Donnerstag, den 12. Juni ab 17 Uhr Sao Paulo Ortszeit der brasilianische Fußball rollt? Der Nimbus fußballbegeisterter Brasilianer und der Mythos brasilianischer Ballkunst versprechen ein unglaubliches Spektakel.

Zwischen Mythos und Wirklichkeit folgt Mirco Drewes der Geschichte des brasilianischen Fußballs und seiner Spieler. In einem Land, in dem es 37 Synonyme für "den Ball" gibt, ist Fußball nicht zweckrational zu verstehen. Woher kommen die tänzerischen Elemente im brasilianischen Fußball, was ist für Brasilianer ein schönes Fußballspiel? Stimmt es, dass Fußballspielen in Brasilien eine Chance ist, soziale Gegensätze und Rassendiskriminierung zu überwinden? Gelingt es guten Nachwuchs-Spielern tatsächlich, ihr Armenviertel zu verlassen, um berühmt zu werden? Welche Erinnerungen hat die Fußballnation an 1950, die "Mutter aller Niederlagen" (so Drewes), als die andere Fußballweltmeisterschaft auf brasilianischem Boden stattfand?

Da Fußballgeschichte ohne Sozial- und Wirtschaftsgeschichte nicht rund läuft, geht Drewes mit den Stichworten "Party und Proteste" auch auf die aktuellen sozialen Unruhen ein. Er kritisiert die FIFA, die "das größte Sportereignis der Welt regelmäßig nicht in die Länder vergibt, die die besten Bewerbungen einreichen, sondern dorthin, wo die eigenen Gewinnmaximierungsvorstellungen am besten durchzusetzen sind". Und weiter: "Daher haben Länder mit korrupten Landesverbänden und Regierungen, die nur mit schwacher zivilgesellschaftlicher Gegenwehr zu rechnen haben, bessere Chancen bei der Vergabe."

Trotz aller Liebe zum Fußball wächst die brasilianische Bewegung der "Copa do Mundo FIFA"-Verweigerer. Ihre kreative Seite kommt zum Beispiel in einer Art Anti-WM-Hymne des Songschreibers Edu Krieger zum Ausdruck. Das Lied richtet sich im Stil des Bossa Nova an Nationalspieler und Fans und erfreut sich bei youtube großer Beliebtheit: "Verzeihe, Neymar , aber bei dieser WM werde ich nicht mit euch fiebern. Ich bin es leid, dabei zuzusehen, wie unser Volk peu á peu bei unseren TV-Programmen verblödet. Während sich die FIFA nur über ihre Standards sorgt, werden wir von Räubern regiert, die schmutzig spielen, um zu gewinnen. Verzeihe Neymar (1), ich fiebere diesmal nicht mit (2)."

Drewes" Buch bietet sowohl eingefleischten Fußballfans Neues als auch Einsteigern eine spannende, unterhaltsame Lektüre. "Mir lag es fern, ein klassisches Sport-Buch mit Hochglanzbildern und Statistiken zu schreiben, welche den reinen Fan erfreuen", erläutert der Autor. "Es geht mir darum, die Geschichten hinter den sportlichen Triumphen oder Tragödien zu erzählen, den Fußball als das zu beschreiben, was er meiner Meinung nach ist: Ein Ausdruck der Kultur, vielschichtig, widersprüchlich, schön und hässlich und vor Allem: Faszinierend." (3)

(1) Näheres zum brasilianischen Nationalspieler Neymar da Silva Santos Júnior, siehe z. B. http://www.weltfussball.de/spieler_profil/neymar/

(2) http://www.youtube.com/watch?v=pChBIBDZm5w#t=38 (Download 1.4.2014), Übersetzung siehe http://parabens.de/wm-2014-brasilianer-zunehmend-skeptisch/ (Download 1.4.2014)

(3) http://www.lovelybooks.de/autor/Mirco-Drewes/Samba-tanzt-der-Fussballgott-1072632389-w/leserunde/1063354524 (Download 1.4.2014). Auf der Seite des Vergangenheitsverlages stellt Mirco Drewes sein Buch auch in einem kurzen Video vor: http://www.vergangenheitsverlag.de/index.php?mainm=7&id=7&buchid=73

Die DAISY-Hörversion ist 12 Stunden und 52 Minuten lang, nach DAISY-Standard 2.0 gegliedert und wurde von Manfred Duensing gelesen. Bestellnummer 17067, bis einschließlich 13. Juli 2014 zum WM-Sonderpreis von 25 Euro, danach 50 Euro.

Ebenfalls hörenswert: "Die Fußball-Weltmeisterschaften 1930 - 1950: Uruguay, Italien, Frankreich, Brasilien: Alle Spiele, alle Tore. Die besten Bilder und Geschichten der ersten vier Fußball-Weltmeisterschaften." (Süddeutsche Zeitung WM-Bibliothek; Bd. 1). Hördauer: 7 Stunden 11 Minuten, Bestellnummer 6657. (45 Euro).

Bildbeschreibung: Dem Artikel ist eine Abbildung des Buchtitels "Samba tanzt der Fußballgott" beigefügt. Im Comicstil ist die Copa Cabana gezeichnet, im Vordergrund stehen vier Fußballer im brasilianischen Trikots. Sie recken die Arme in die Luft und grinsen. Links am Bildrand laufen zwei Bikinischönheiten, im Hintergrund ist die Christus-Statue auf dem Zuckerhut zu sehen.

Ursula Böing: "Schritte inklusiver Schulentwicklung: Erkenntnisse für die barrierefreie Teilhabe hochgradig sehbehinderter und blinder Kinder und Jugendlicher an inklusiven Bildungsprozessen", Würzburg, edition bentheim, 2013.

Schulunterricht, bei dem Inhalte vor allem visuell vermittelt werden, birgt für blinde und sehbehinderte Kinder verschiedene Probleme. Was aber brauchen blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler für einen barrierefreien Unterricht? Wie kann inklusiver Unterricht gelingen? Wie muss Schule gestaltet sein, damit der spezielle Bedarf Blinder und Sehbehinderter nicht als Störfaktor angesehen wird?

Für Ursula Böing ist eine systemische Betrachtungsweise wichtig. Denn Lehrerinnen und Lehrer können den veränderten Bedarf im inklusiven Unterricht nicht alleine erfüllen. Schulisch-organisatorische und administrative Bedingungen, finanzielle Ressourcen, außerschulische Unterstützungssysteme - all das beeinflusst das Gelingen inklusiven Unterrichts. Außerdem: "Die erfolgreiche Inklusion sehgeschädigter Schülerinnen und Schüler bedarf in jedem Fall einer blindenpädagogischen Expertise. Diese muss auch organisatorisch abgesichert sein", so Böing. Grundlage der kurzen Studie ist ein Partizipationsworkshop, zu dem die LVR-Louis-Braille-Schule in Düren im Frühjahr 2012 eingeladen hatte. Die Schule unterrichtet seit den 1980er Jahren blinde und sehbehinderte Kinder ("Förderschwerpunkt Sehen") gemeinsam mit Kindern ohne Sehprobleme. Die Studie stellt Ausgangssituation, Analyse und Ergebnisse vor. Stichworte sind: Integrationshilfen, sozial-emotionale Integration, Tätigkeit der Lehrperson, mediale Ausstattung und didaktische Aspekte, Aufnahme und Ausschluss von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf, Eltern und Familien.

Der Workshop wurde von Studierenden der Universität Köln dokumentiert und anschließend ausgewertet. Die Autorin ist Studienrätin des Lehrstuhls Pädagogik und Didaktik bei Menschen mit geistiger Behinderung in Köln und hat zehn Jahre als Sonderschullehrerin an der LVR-Louis-Braille-Schule in Düren gearbeitet. Ihre Analyse zeigt unter anderem, dass guter inklusiver Unterricht "nicht nur vom hohen Engagement der Schulleitung und der Lehrkräfte, sondern insbesondere von der gelungenen Verzahnung der verschiedenen Verantwortungsträger abhängig ist". Und: "Der Prozess inklusiver Schulentwicklung ist nur erfolgreich, wenn gesellschaftlich-sozial bedingte Exklusionstendenzen nicht länger auf dem Rücken der betroffenen Schülerinnen und Schüler ausgetragen werden."

Gelesen von Selina Pohl, 1 Stunde 24 Minuten lang, 10,50 Euro zuzüglich Versand, Bestellnummer 17092. Bestellungen zu den üblichen Bedingungen richten Sie bitte an den DVBS-Textservice, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


Buchtipps aus der blista

Deck, Julia: Viviane Élisabeth Fauville

Berlin: Wagenbach, 2013

Bestell-Nr.: 4741, reformierte Kurzschrift (KR), 1 Bd., 160 S., 21,50 €; auch als DAISY-Ausgabe mit synthetischer Stimme und Blindenkurzschrift kombiniert erhältlich

Viviane Élisabeth Fauville ist Anfang vierzig. Was sie nicht mehr hat: ihren attraktiven Mann und ihr einstiges Zuhause. Was sie hat: eine zwölf Wochen alte Tochter, eine neue Wohnung voller unausgepackter Umzugskisten und - einen Schaukelstuhl. Viviane hat ihren Psychoanalytiker getötet und rechnet nun jederzeit damit, dass man sie überführt. Die Tatwaffe ist gereinigt, die eigene Mutter als Alibi angegeben, ein Motiv nicht vorhanden… und doch: Élisabeth verliert sich in Straßen und Metrogängen, lauert den übrigen Verdächtigen auf, sie fragt und forscht, das Baby im Arm. Dann entdeckt die Polizei, dass ihre Mutter seit acht Jahren tot ist…

Boie, Kirsten: Der kleine Ritter Trenk und der ganz gemeine Zahnwurm

Hamburg: Oetinger, 2013

Bestell-Nr.: 4733, reformierte Vollschrift (VR), 1 Hbd., 50 S., 14,50 €

Zahnwurm statt Zahnfee: Ritter Wertolt in Not und Trenk im Glück. Weil Trenks Vater die Abgaben nicht bezahlen kann, nimmt der böse Ritter Wertolt die kleine Mia-Mina gefangen. Trenk und seine Freunde Thekla und Ferkelchen machen sich auf zur Burg, um sie zu retten. Dort hat sich der Zahnwurm eingenistet und bereitet dem Ritter böse Schmerzen. Wenn das nicht eine Riesenchance für die drei mutigen Retter ist!

Tastbuch "Madonna mit Christuskind" (Blaue Madonna)

Broschüre in Spiralbindung mit taktilen Abbildungen sowie Braille- und Schwarzschrift-Texten Marburg: Deutsche Blindenstudienanstalt, 2013

Bestell-Nr.: 7642, Schutzgebühr: 41 €

Das Tastbuch ermöglicht blinden und sehbehinderten Kunstliebhabern den Zugang zum gleichnamigen Gemälde von Lorenzo di Credi (1459-1537). Der Künstler gehört zu den wichtigsten Vertretern der florentinischen Renaissance-Malerei. Das Kunstwerk ist im Landesmuseum Mainz ausgestellt.

Mit dem Tastbuch werden Inhalt und Wirkung der Blauen Madonna "greifbar".

Nach einer kunsthistorischen Einführung erläutern Texte vor den einzelnen Relieffolien die jeweiligen Abbildungen und machen so das Dargestellte auch als Teil des Gesamtbildes erfassbar. Nach dem Ertasten eines Details lässt sich mit der Rückkehr zum Deckblatt seine Einordnung in das Ganze nachvollziehen. Zu jeder Folie gehört eine Bildseite, die sehbehinderten Lesern jeweils genau denselben Inhalt vermittelt. Alle Texte sind in Groß- und Brailleschrift abgedruckt. Daneben enthält das Buch ein atmosphärisches Stimmungsbild in Textform, verfasst vom Mainzer Erzbischof Karl Kardinal Lehmann. Durch die Kombination aus Farbgestaltung, Reliefs und Braille- sowie Großdruck können sowohl blinde und sehbehinderte als auch sehende Kunstfreunde das Buch gemeinsam nutzen.

Sonderheft zur Fußball-WM 2014 in Brasilien

Bestell-Nr.: 4752, Schutzgebühr: 17,90 € plus Verpackungskosten

Am 12. Juni beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. In unserem WM-Sonderheft finden Sie alles über Lahm, Özil & Co. Städte und Stadien sind ebenso aufgeführt wie Porträts der deutschen Gruppengegner. Neben einem Statistikteil enthält das Heft auch "His(tor)isches". Außerdem: Im Anhang der WM-Spielplan zum Ausfüllen und ein Gewinnspiel!

DIN 32975 "Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung"

Arbeitsausschuss Kommunikationshilfen für sensorisch Behinderte im Normenausschuss Medizin des Deutschen Instituts für Normung, DIN Berlin: Beuth, 2009

Blindenkurzschrift-Papierfassung, Bestell-Nr.: 4693, 1 Bd., 35,80 € (34 Blätter + 6 Schwellkopien) Blindenkurzschrift-DAISY-CD-ROM, Bestell-Nr.: 4693-dy, 35,80 €

DIN 32984 "Bodenindikatoren im öffentlichen Raum"

Berlin: Beuth, 2011

Blindenkurzschrift-Papierfassung, Bestell-Nr.: 4714, 2 Bde., 102,60 € (58 Blätter + 28 Blätter Abbildungen)

Blindenkurzschrift-DAISY-CD-ROM + Abbildungsband, Bestell-Nr.: 4714-dy, 102,60 €

Nur DAISY-CD-ROM (Text ohne Abbildungen), Bestell-Nr.: 4714-1dy, 51,30 €

VISCH - Visualisierte Informationen in Schulbüchern zugänglich machen. Leitfaden mit Beispielen

Marburg: Deutsche Blindenstudienanstalt, 2013

Buch in Spiralbindung, DIN A4, Schwarzschrift

Bestell-Nr.: 7641, Schutzgebühr: 17,90 €

Ihre Bestellung richten Sie bitte an:

Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., Postfach 1160, 35001 Marburg, Telefon: 06421/606-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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Panorama

Deutscher Hörfilmpreis 2014 geht an „Blutgeld“ und „3096 Tage“

Publikumspreis für "Dahoam is Dahoam"

Der Deutsche Hörfilmpreis 2014 wurde am 18. März in Berlin vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) vergeben. In der TV-Kategorie konnte sich die ZDF-Produktion "Blutgeld" durchsetzen. Das Filmbeschreiber-Team wurde von Petra Kirchmann, Jockl Schulze und Alexander Fichert vertreten. Sie nahmen den Preis gemeinsam mit Schauspieler Heikko Deutschmann und Petra Tilger (ZDF - HR Fernsehfilm) aus den Händen von Schirmherrin Christine Neubauer entgegen.

Das Drama "3096 Tage", eingereicht von Highlight Communications/Constantin Film, erhielt die Auszeichnung in der Kategorie Kino. Schauspielerin Karoline Herfurth hielt die Laudatio und überreichte den Preis der Regisseurin Sherry Hormann und Burt Neuber von Highlight Communications/Constantin Film. An ihrer Seite stand das Audiodeskriptions-Team mit Andrea Eberl, Verena Kiefer und Michael Ogrizek.

Nach der Verkündung der beiden Jury-Entscheidungen wurde der Publikumspreis an die TV-Serie "Dahoam is Dahoam" vergeben. Bernd Benecke vom Bayerischen Rundfunk bedankte sich zusammen mit Daniela Böhm, Florian Meyhöfer und Tommy Schwimmer aus dem Team der Serie sowie dem Filmbeschreiber-Team um Sascha Schulze für die Auszeichnung, die von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth überreicht wurde. Claudia Roth gehörte zur Jury unter dem Vorsitz des blinden Musik-Kabarettisten Dr. Dietrich Plückhahn, ebenso die Schauspielerinnen Brigitte Grothum und Eva Habermann, Schauspieler Roman Knižka, Moderatorin Nina Eichinger sowie Filmredakteur Lars-Olav Beier (Der Spiegel), Reinhard Glawe (Bert Mettmann Stiftung), Hans-Joachim Krahl (Präsidium des DBSV) und Filmproduzent und Regisseur Nico Hofmann. Durch den Abend führte Moderator Michael Steinbrecher.


Frageliste für Deutschland beschlossen – Staatenprüfung auf 2015 verschoben

Der UN-Fachausschuss zur Behindertenrechtskonvention hat am 14. April im Genfer Palais Wilson die Frageliste (die sogenannte "List of Issues") für die Staatenprüfung von Deutschland beschlossen. Sie wird in Kürze auf der Website des Ausschusses veröffentlicht. Diese Liste muss nun von der Bundesregierung schriftlich beantwortet werden. Die Zivilgesellschaft kann zu diesem Dokument wiederum Stellung nehmen, bevor es in die eigentliche Staatenprüfung geht. Ursprünglich war diese für den Herbst 2014 geplant. Der Ausschuss hat jedoch am 11. April beschlossen, die Staatenprüfung Deutschlands zu verschieben. Da der Ausschuss streng nach dem Datum des Eingangs der Staatenberichte vorgeht, ist Deutschland bei der Terminierung für den Herbst "herausgefallen". Der sogenannte "konstruktive Dialog" mit Deutschland wird deshalb erst in der 13. Sitzung des Ausschusses, also im April 2015, stattfinden.

Der UN-Fachausschuss hat in seiner 11. Sitzungswoche außerdem die "General Comments" ("Allgemeine Bemerkungen") zu den Artikeln 9 (Barrierefreiheit) und 12 (Gleiche Anerkennung vor dem Recht) verabschiedet. Diese Comments sind wichtige Auslegungshilfen dazu, wie ein Artikel der Konvention zu verstehen ist. Die Comments (derzeit noch nicht auf Deutsch) gibt es im Internet unter: http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/CRPD/Pages/GC.aspx


Mit der App in die Blindenbücherei

Ab sofort können Blinde und Sehbehinderte erstmals auch von mobilen Endgeräten aus das Angebot von http://www.blindenbuecherei.de nutzen. Hier lassen sich Bücher in Braille-Schrift und Hörbücher ausleihen. Die kostenlose App dafür hat der blinde Dresdner Experte für Barrierefreiheit im virtuellen Raum, Dr. Jan Blüher, programmiert. Mit der App können gleichermaßen Blinde, Sehbehinderte und Normalsehende den Bestand von blindenbuecherei.de durchsuchen, sich als Nutzer anmelden, Bücher bestellen und ihre Bestellungen verwalten. Die Bücher werden ihnen dann postalisch zugeschickt. Mit der neuen App ist der Zugriff auf den Bestand jetzt deutlich komfortabler geworden, denn Blibu ist vollständig per VoiceOver bedienbar. Die Blibu-App steht künftig allen in dem Dachverband Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen e.V. (Medibus) zusammengeschlossenen Büchereien zur Verfügung und könnte damit zum wichtigsten Zugang zu Büchern für Blinde und Sehbehinderte im deutschsprachigen Raum werden.


„Includio“: Eine Slangradio-Sendung für Vereine und Verbände

Seit Januar 2014 gibt es auf www.slangradio.de, dem Radio für ein barrierefreies Leben, die Sendung "Includio". Zu hören ist sie jeden Dienstag um 18 Uhr oder in der Wiederholung donnerstags zur selben Zeit. Moderator Sascha Lang beschäftigt sich mit Themenschwerpunkten der Arbeit von Vereinen und Verbänden aus dem Behindertenbereich. Diese haben die Möglichkeit, eine Sendung zu gestalten. Darüber hinaus können auch Behindertenorganisationen aus verschiedenen Nachbarländern, wie z.B. Österreich, der Schweiz und Luxemburg, zu Wort kommen. In letzter Zeit widmete sich "Includio" verstärkt dem Thema Arbeit. In naher Zukunft wird das Thema Inklusion beleuchtet. Anregungen und Kontakt per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.


BVN-Patientenforum – eine Erfolgsgeschichte geht weiter

Mitschnitte von Patientenforen können bestellt werden

Seit 2005 lädt der Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen e.V. (BVN) regelmäßig zum BVN-Patientenforum in seine Räumlichkeiten nach Hannover, aber auch in andere Geschäftsstellen in Niedersachsen ein. Im Rahmen dieser Veranstaltungen halten renommierte Ärzte und Psychologen Fachvorträge zu unterschiedlichen medizinischen Themen. Natürlich stehen Augenthemen im Vordergrund, da aber auch blinde Menschen an weiteren Gesundheitsthemen interessiert sind, geht es um alles, was krank werden kann und gesund bleiben muss. Die Auflistung der Vorträge 2013 zeigt die Vielfalt der Themen.

  • Das Ohr, das Auge des Menschen. (Prof. Dr. Dr. H. Welkoborsky, Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik im KRH-Klinikum Nordstadt)
  • Adipositas. (Prof. Dr. med. Martina de Zwaan, Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychiatrie Hannover)
  • Herzerkrankungen. (Dr. med. Christian Zellerhoff, Chefarzt Kardiologie des Vinzenzkrankenhauses Hannover; OÄ Dr. med. Petra Wucherpfennig, Fachärztin für Intensivmedizin am Vinzenzkrankenhaus; Dr. med. Lars Hildebrandt, niedergelassener Kardiologe Hannover)
  • Blindheit vorbeugen. (Professor Dr. Framme, Direktor der Augenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover)
  • Retina-Implantat - die künstliche Netzhaut. (Prof. Dr. Bernd Kirchhof, Direktor der Abteilung für Netzhaut- u. Glaskörperchirurgie Uniklinik Köln)

Für Mitglieder, die aufgrund der Entfernung nach Hannover oder wegen ihrer eingeschränkten Mobilität nicht persönlich an den Patientenforen teilnehmen können, bietet der BVN einen neuen Service an: Wenn die/der vortragende Mediziner/in ihre/seine Einwilligung gibt, können der Vortrag und die abschließende Fragerunde aufgezeichnet und auf Anfrage als Audio-CD versandt werden. Für Mitglieder des BVN kostenlos, für Mitglieder der anderen DBSV-Landesverbände 5 Euro inkl. Mehrwertsteuer (plus Versand), für Nichtmitglieder wird eine Schutzgebühr von 10 Euro plus Mehrwertsteuer und Versandkosten erhoben. Die Patientenforen von 2013 liegen bereits als CD vor, die aus 2014 werden im Laufe des Jahres erscheinen.

BVN-Patientenforum 2014

  • 04.06.: Erkrankungen der Makula, Diabetische Retinopathie, diabetisches Makulaödem. Prof. Dr. Carsten Framme, Direktor der Augenklinik der MH Hannover

Die Liste der lieferbaren CDs ist unter 0511/5104 225 telefonisch zu erfragen oder im Internet http://www.blindenverband.org/wir-aktuell/patientenforum/ einsehbar.

Bestellmöglichkeit per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder postalisch: Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen e.V., Stefan Kruska, Kühnsstraße 18, 30559 Hannover


Erste barrierefreie Dauerausstellung Deutschlands im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim

Wie muss eine Ausstellung konzipiert sein, die alle Menschen anspricht und gleichzeitig die Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, z.B. Hörgeschädigte, Blinde und Sehbehinderte oder Mobilitätsbehinderte, im Sinne der Inklusion berücksichtigt? Dieser Herausforderung stellte sich das Team des Roemer- und Pelizaeus-Museums (RPM) vor rund drei Jahren. Am 22. März öffnete das RPM mit dem "Museum der Sinne" die erste barrierefreie Dauerausstellung Deutschlands für Besucher. Das Konzept der neuen Ausstellung ermöglicht eine barrierefreie Präsentation der breit gefächerten Themen des Mehrspartenhauses: Zahlreiche originalgetreue Repliken von Objekten aus den Dauerausstellungen des RPM können berührt und abgetastet werden. Für Menschen mit Sehbehinderungen stehen ein spezieller Audioguide sowie eine Bodenleitlinie zur Verfügung, die den Besucher bereits vom Empfangsbereich des Museums bis in die Ausstellung leiten. Für Rollstuhlfahrer wurde auf geeignete Rangierbreiten sowie Sicht- und Griffhöhen geachtet und die Ausstellungselemente unterfahrbar gestaltet. Zusätzliche Informationsmonitore vermitteln die thematischen Inhalte akustisch und für Hörgeschädigte in Form eines Gebärdensprachfilms. Die Texte in der Ausstellung stehen in Groß- und Brailleschrift sowie in "Leichter Sprache" zur Verfügung. Weitere Informationen gibt es im Internet: www.rpmuseum.de


Barrierefreiheit und Mobilität

Prickelnde Bilder – Die Tasse, die auf der Zunge liegt

blista testet "BrainPort"

"Es liegt mir auf der Zunge", sagt man gemeinhin, wenn man im Gedächtnis verzweifelt nach einem Wort kramt, es jedoch nicht zu fassen bekommt. Die beiden RES-Mitarbeiter Dirk Asmuth und Markus Marte sowie der neunjährige Dennis, der mit seiner Mutter extra aus Bayern nach Marburg gereist ist, haben an einem aufregenden Experiment teilgenommen, in dessen Rahmen ihnen Bilder von Gegenständen auf die Zunge übertragen wurden. Sie konnten sozusagen mit ihrem Geschmacksorgan "sehen", und die Tasse oder der Ball lagen ihnen buchstäblich auf der Zunge.

Die amerikanische Firma Wicab suchte bundesweit Kooperationspartner, um das von ihr entwickelte Hilfsmittel "BrainPort" von Blinden und Sehbehinderten testen zu lassen. Die blista beteiligte sich unter der Leitung der Rehalehrerinnen Ewa Jankowska und Kathrin Laux am BrainPort-Projekt. Die Rehalehrerinnen erhielten eine zweitägige Einweisung in die Bedienung des Gerätes und wurden dazu angeleitet, die Nutzer in dessen Anwendung zu schulen. Die Testteilnehmer erhielten jeweils zehn Unterrichtseinheiten von je 45 Minuten und durften das "BrainPort" anschließend drei Monate lang behalten und ausprobieren.

Die Rehalehrerinnen konnten auf dem Laptop sowohl nachverfolgen, was das Auge der Kamera einfängt, als auch, welcher Bildausschnitt auf der Zunge von Marte, Asmuth und Dennis wiedergegeben wird.

Das "BrainPort" ist eine Art Brille, an der, wie eine kleine Stupsnase, eine etwa murmelgroße Kamera befestigt ist. Unterhalb der "Brille" ist ein 3x3 Zentimeter großes Mundstück angebracht, das während des Tragens auf der Zunge aufliegt. "Es schmeckt salzig", beschreibt Dennis den Eindruck, den das Bitzeln zunächst auf der Zunge hinterlässt.

Die "Brille" ist durch ein Kabel mit einem Steuergerät verbunden, das einer Fernsehfernbedienung ähnelt. Es besitzt einen Akku sowie Regler und Schalter, um Einstellungen am Gerät vornehmen zu können. Dadurch ist es möglich, einen Gegenstand heranzuzoomen oder die Vibrationsstärke sowie die Beleuchtungsintensität zu verändern.

Die Bedienung des "BrainPorts" war für den technikbegeisterten Dennis und die übrigen Teilnehmer nicht sonderlich schwierig.

Die Minikamera übermittelt wie ein Schwarz-Weiß-Fernseher Helligkeitsunterschiede an das Gerät, die dann wiederum als Prickeln an die Zunge weitergegeben werden. Das Gerät übermittelt eine zweidimensionale Abbildung aus hellen und dunklen Flächen, die der "Betrachter" zu einem Bild zusammenfügen muss.

"Es war eine faszinierende Erfahrung, zu erleben, dass sich Gegenstände auf der Zunge abbilden lassen", berichten die Teilnehmer übereinstimmend. Auch die Erfahrung, Dinge aus der Ferne zu orten und dann gezielt danach greifen zu können, war für alle Beteiligten beeindruckend. Der kleine Dennis war ganz stolz, dass er die vier Gegenstände (Ball, Textmarker, Tasse und Stoffbanane) voneinander unterscheiden und seiner Rehalehrerin Jankowska das Gewünschte reichen konnte. "Die Arbeit mit Dennis hat mir großen Spaß gemacht, denn er ist ein sehr aufgeweckter und lebhafter Junge", berichtet Jankowska, "doch damit er das Interesse nicht verliert, musste ich mir einige Tricks einfallen lassen: Die Stoffbanane wurde gegen eine echte und der Textmarker gegen ein Duplo ausgetauscht, damit es ab und zu eine leckere Belohnung gab."

Die Idee ist sehr originell, allerdings ist das "BrainPort" nach Meinung der Beteiligten noch nicht besonders alltagstauglich. Die erste Schwierigkeit besteht bereits darin, dass geburtsblinde Menschen nicht gewohnt sind, Dinge zu fokussieren. Zu wissen, ob man gerade die Wand oder den Boden anschaut, war daher eine große Herausforderung. Da die Zungenoberfläche recht klein ist, dauert es eine gewisse Zeit, bis sich aus den Helligkeitsunterschieden eine Tasse herauskristallisiert hat. "Wenn ich blind nach einer Tasse auf dem Tisch greife, habe ich sie, selbst wenn ich ein wenig umhertaste, schneller gefunden und erkannt, als wenn ich sie mit dem "BrainPort" suchen würde", fasst der geburtsblinde Asmuth zusammen. Marte ergänzt, dass das Gerät überwiegend unter Optimalbedingungen zum Einsatz kam, man also den größtmöglichen Kontrast geschaffen hatte (weißer Ball auf schwarzer Tischdecke). Dieser Idealfall findet sich in der Wirklichkeit aber nur selten.

Für den Einsatz im Freien ist das Gerät ebenfalls nicht sehr praktikabel. Das liegt zum einen am Mundstück, das das Sprechen verhindert und durch das Prickeln den Speichelfluss anregt. Man kann sich daher unterwegs nicht unterhalten oder sich kurz mal eben nach der Liniennummer des einfahrenden Busses erkundigen, weil man erst umständlich das Mundstück aus dem Mund nehmen muss. Zum anderen gibt das Gerät lediglich Helligkeitskontraste wieder, was zur Folge hat, dass es draußen ständig vibriert, denn die Lichtverhältnisse wechseln im Freien häufig. Ob die Vibration durch eine Hauswand oder einen vorbeieilenden Passanten ausgelöst wurde, kann der Nutzer nicht wissen. "Wir hätten für die Nutzung des Gerätes im Freien eine sehr viel ausführlichere Anleitung gebraucht", fasst Dennis" Mutter ihre Erfahrungen zusammen. "Da die Dinge durch wechselnde Beleuchtung ihr Aussehen verändern, wenn sie draußen aus der Nähe oder Ferne betrachtet werden, waren wir ohne weitere Schulung der Aufgabe nicht gewachsen."

Auch ist das Gehör von Menschen, die bereits länger sehbehindert sind, meist gut geschult. "Bevor ich das parkende Auto "geschmeckt" habe, habe ich es schon längst mit meinem Gehör geortet", erläutert Asmuth.

Die Praktikabilität des "BrainPorts" wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Dinge nicht genormt sind. So könnte das Gerät sich gut dafür eignen, selbstständig einen Straßennamen oder eine Hausnummer zu finden, wenn die Schilder sich stets an derselben Stelle befinden würden. Das tun sie aber nicht.

Marte und Asmuth haben auch ausprobiert, mit dem "BrainPort" zu lesen. Sie konnten einzelne große Buchstaben auf der Tafel erkennen. Mit der Zeit stellte sich ein Übungseffekt ein, sodass die Erkennungsgeschwindigkeit zunahm. Dass es allerdings mit sehr viel Übung gelingen könnte, das "BrainPort", ähnlich wie früher das "Optacon", dafür einzusetzen, gedruckte Texte, wie Briefe oder Speisekarten, zu lesen, bezweifeln Asmuth und Marte stark, da die Kameraführung schwierig ist und man leicht in der Zeile verrutscht. Zeitungsschrift lässt sich nicht ausreichend vergrößern, um lesen zu können.

Mit dem "BrainPort" allerlei Spielereien anzustellen, machte den Beteiligten viel Freude, insbesondere, weil der Hersteller selbst lustige Tipps auf Lager hatte, was man mit dem "BrainPort" so alles anstellen könnte. Wicab empfahl beispielsweise, sich nachts den Mond zu betrachten. Man kann nur hoffen, dass man den richtigen und nicht seine kleine Schwester, die Straßenlaterne, anhimmelt.

Das "BrainPort" stellt einen innovativen Ansatz dar. Ohne die Initiative von engagierten Personen und Firmen, die sich trauen, neue Wege zu gehen und außergewöhnliche Ansätze auszuprobieren, wäre ein Fortschritt in der augenmedizinischen und der Hilfsmittelentwicklung nicht denkbar. Allerdings kann das "BrainPort" im Alltag noch nicht nutzbringend eingesetzt werden. Doch sind noch weitere Tests mit Kindern und Jugendlichen geplant, um das "BrainPort" noch weiter zu optimieren und die Forschung voranzutreiben.

Die RES ist neuen Ideen und Erfindungen gegenüber, die das Leben blinder und sehbehinderter Menschen verbessern können, stets aufgeschlossen. Die Betroffenen sind kritische Berater, die Hilfsmittel auf ihre Alltagstauglichkeit hin überprüfen und Verbesserungsvorschläge machen oder Ideen verwerfen.


„Mobilanwendungen gewinnen immer mehr an Bedeutung“

Webkongress Erlangen 2014 thematisierte aktuelle Entwicklungen im IT-Bereich

Seit Februar 2013 setzt der DVBS das Projekt "BIT inklusiv - barrierefreie Informationstechnik für inklusives Arbeiten" um. Ziel des Projektes ist es, die inklusive Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben durch barrierefrei gestaltete Technik zu fördern. Berater, Prüfer und Sozialwissenschaftler arbeiten an den Standorten Hamburg, Berlin und Marburg daran, die Projektziele zu verwirklichen. BIT inklusiv ist ein Projekt, das durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert wird. Kooperationspartner sind der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der Landschaftsverband Rheinland und das Kompetenzzentrum IT.NRW.

BIT inklusiv-Mitarbeiter Detlef Girke war zu Gast auf dem Webkongress des Regionalen Rechenzentrums Erlangen. Zum vierten Mal trafen sich im März Fachleute aus dem deutschsprachigen Raum, um über Innovatives und Bemerkenswertes aus der Welt der IT zu sprechen. Die Themenschwerpunkte des Webkongresses 2014 waren Barrierefreiheit, Content-Management-Systeme (CMS) und Webdesign.

horus: Ein Schwerpunktthema des Webkongresses war "Barrierefreiheit". Gibt es neue Erkenntnisse, die sowohl für Entwickler als auch für Anwender relevant sind?

Detlef Girke: An den grundsätzlichen Aspekten hat sich nichts geändert. Noch immer ist eine strikte Trennung von Inhalt, Layout und zusätzlichen Funktionen (z.B. durch JavaScript) eine der Voraussetzungen für barrierefreie Inhalte. Noch immer sind Textalternativen und Tastaturbedienbarkeit etc. sicherzustellen. Neu hinzugekommen sind z.B. Barrierefreiheits-Aspekte bei der Berücksichtigung unterschiedlicher Bildschirm-Auflösungen. Hier kann man z.B. durch die Festlegung zu vieler Punkte, an denen das Layout bei bestimmten Auflösungen umbrechen soll, Verwirrung stiften.

horus: Inwiefern waren mobile Anwendungen und eventuell damit verbundene Probleme ein Thema?

Detlef Girke: Auch bei der Verwendung von JavaScript-Frameworks wie JQuery muss man aufpassen, dass durch die Schaffung von zusätzlichen Funktionen oder Effekten keine neuen Barrieren entstehen. So kann es z.B. passieren, dass bei der Programmierung bewegter Inhalte der letztlich ausgegebene Inhalt so überladen wird, dass die mobile Nutzung nahezu unmöglich ist. Browser-Abfragen sind wichtiger denn je. Denn was sich am Desktop effektvoll präsentieren soll, hat sich auf mobilen Geräten auf die reine Information zu beschränken. Bei schlechter Programmierung muss dann auf mobilen Geräten trotzdem die gleiche Datenmenge geladen werden, was für den Nutzer mal wieder bedeutet: Warten. Daher lautet die Devise für Designer auch bei barrierefreiem Web-Design heutzutage: mobile first! Der Desktop verliert immer mehr an Bedeutung. Allein dieser Umstand wird sicherlich auch in Zukunft noch für allerlei Wirbel sorgen. Passend zum Vortrag von Jan Eric Hellbusch zum Thema WAI-ARIA (Accessible Rich Internet Applications) erreichte der Standard genau an diesem Tag (20. März 2014) den Status 1.0 einer Empfehlung (Recommendation) beim W3C (World Wide Web Consortium).

horus: Vielen Führungskräften fehlt das Bewusstsein für die Gestaltung barrierefreier Webanwendungen und Dokumente. Gründe sind häufig Unwissenheit und die Befürchtung, barrierefreie Gestaltung ziehe hohe Kosten nach sich. Wie kann ein Projekt wie BIT inklusiv dazu beitragen, diese Befürchtungen auszuräumen oder zumindest zu mildern?

Detlef Girke: Durch Sensibilisierung auf hohem Niveau. Selbstverständlich bindet Barrierefreiheit Ressourcen, selbstverständlich entstehen zunächst höhere Kosten. Doch Studien, wie z.B. die von Dr. Steffen Puhl, belegen, dass sich Barrierefreiheit nach einer gewissen Zeit (meist ein paar Jahre) rechnet. Die positive Außenwirkung durch soziales Engagement, gepaart mit übersichtlichen und einfach zu bedienenden Web-Seiten oder Web-Anwendungen, erhöht die Akzeptanz. Zusätzlich bedeutet ein barrierefreier Workflow, gut geplant, auf Dauer keine Mehrkosten. Nur die Eingewöhnungszeit kostet. Bedenkt man aber, dass jede neu eingeführte Anwendung in einem Unternehmen Kosten für Schulung und Support verursacht, dann nimmt die Barrierefreiheit dagegen einen eher kleinen Teil ein. Oft sind es ja weit mehr als 1.000 Anwendungen, die in einer Behörde oder einem Unternehmen genutzt werden. Das erzeugt einen massiven Schulungsaufwand. Außerdem: Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention sollten sich Unternehmen an einen inklusiven Führungsstil gewöhnen. Barrierefreies Denken ist ein Teil davon.

horus: Haben Tester aus der Praxis berichtet, welche neuen Prüfwerkzeuge für PDF-Dokumente aktuell eingesetzt werden und wie zufrieden die Anwender mit den Ergebnissen sind?

Detlef Girke: Um ehrlich zu sein: Reine Tester gibt es kaum. Das Testen ist meist Bestandteil eines Erstellungs- oder Überarbeitungsprozesses. Dabei kommen einige neue Prüfmethoden zum Einsatz. Durch den seit 2012 gültigen ISO-Standard PDF/UA (ISO 14289-1) sind es nicht mehr Einzelne, die die Barrierefreiheit von PDF definieren, sondern ein allgemein akzeptiertes Gremium. Auf Basis von PDF/UA hat die PDF-Association das Matterhorn-Protokoll erstellt, einen praktisch nutzbaren Katalog von Anforderungen für barrierefreie PDF-Dokumente. Die Schweizer Stiftung "Zugang für Alle" hat schon vor ein paar Jahren das Programm PAC veröffentlicht, um mal ein Tool zu nennen. PAC steht für PDF Accessibility Checker und ist ein Programm der xyMedia GmbH. In der aktuellen Version 2.0 prüft es nach PDF/UA. Natürlich nur das, was sich auch automatisiert prüfen lässt. Nach wie vor ist Handarbeit notwendig. Das ist das Gleiche wie bei webbasierten Inhalten oder Desktop-Anwendungen.

horus: Vielen Personen außerhalb der "Behinderten-Szene" ist Barrierefreiheit kein Begriff. Können Veranstaltungen wie der Webkongress dazu beitragen, diese Wissenslücken zu schließen? Detlef Girke: Mit dem richtigen Workflow und dem Wissen über die Belange von Menschen mit Behinderungen im Hinterkopf sind selbst professionelle Layouts (z.B. Broschüren oder komplexe Formulare) hinsichtlich der Barrierefreiheit kein Thema mehr. Übrigens waren Menschen mit Behinderungen in der Minderzahl. Wie im richtigen Leben auch. Im Netz hält sich ja hartnäckig das Gerücht, dass man nur aus eigener Erfahrung, also nur mit Behinderung, Barrieren kompetent beurteilen kann. Das, finde ich, hat der Webkongress 2014 mal wieder deutlich widerlegt.

Klar braucht man Erfahrung im Umgang mit behinderten Menschen. Und man sollte unverklemmt mit der Thematik umgehen können. Das konnte ich aus meiner Sicht, ich bin ja sehbehindert und nutze einen Taststock, aber ganz klar sagen. Wie in allen gesellschaftlichen Belangen bedarf es einer gewissen Empathie für ein gelungenes Miteinander. Jede Manager-Schulung hat das heutzutage zum Bestandteil. Wo sie fehlt, entstehen Krisen. Shitstorms, Bankenkrisen, Politikverdrossenheit oder eben auch schlechte Software sind ein Beleg dafür. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man am Ball bleiben muss, damit der Begriff Barrierefreiheit nicht in Vergessenheit gerät. Aber genau an dieser Stelle leisten Gesetzgeber und Standardisierungsorganisationen wie das W3C oder die PDF-Association gute Arbeit. Das hat auch der Webkongress mal wieder deutlich gezeigt.

Alle Vorträge der Kongresstage wurden aufgezeichnet und können im Internet abgerufen werden: http://www.video.uni-erlangen.de/course/id/263.html


EU-Projekt „EOMADL – NETWORK“

Qualifizierung von Rehabilitationsfachkräften in Europa

Zur Vorgeschichte

Über ca. 20 Jahre trafen sich die europäischen Ausbildungsstätten für Orientierung und Mobilität (O&M) und Lebenspraktische Fähigkeiten (LPF) regelmäßig zum kollegialen Austausch. Handelte es sich in den Anfängen der 1980er Jahre noch um eine kleine und überschaubare Gruppe, wuchs diese in den 1990er Jahren erheblich an. Glasnost und der Fall des ehemals Eisernen Vorhangs hatten daran ebenso ihren Anteil wie eine zunehmend wachsende Europäische Union. Zur Jahrtausendwende bekam das Thema eines europaweit gültigen Ausbildungsstandards eine immer größere Bedeutung vor dem Hintergrund der Freizügigkeit für die Bürger der EU. Auch die vergleichsweise kleine Gruppe der europäischen Ausbildungsstätten für Reha-Fachkräfte widmete sich diesem Thema.

Im Vorfeld wurden Befragungen vom Institut IRIS in Hamburg zu bestehenden LPF-Ausbildungsangeboten sowie von der RES der blista Marburg zu existierenden O&M-Qualifizierungen durchgeführt. Nach zwei Treffen der Ausbildungsstätten (2002 in Frankfurt am Main und 2004 in Hamburg - Berichte dazu findet man unter http://eu.edu.centres-om-adl-profis.com) - musste man feststellen, dass es der äußerst heterogenen Gruppe der Ausbildungsstätten (Universitäten und Einrichtungen) nicht möglich war, sich auf Standards im Sinne einer Zielsetzung für die Zukunft zu einigen.

Zu unterschiedlich waren die nationalen Verhältnisse und Entwicklungen, zu groß waren die Ängste und Sorgen, in einem solchen Prozess die gewohnte Eigenständigkeit zu verlieren oder sich mit Zielen und Perspektiven konfrontiert zu sehen, die unerreichbar erschienen. Zudem mangelte es an den nötigen Ressourcen, um diese große Aufgabe zu bearbeiten. Die traurige Konsequenz des Scheiterns war die Einstellung der üblichen Treffen. Man traf sich zwar bei anderen Gelegenheiten, wie z. B. bei der International Mobility Conference (IMC), aber der spezifische europaweite Austausch fand vorerst nicht mehr statt.

Die erste Initiative ging 2010/11 von den Kollegen in Frankreich aus. Eine Projektidee wurde präsentiert. Im Mittelpunkt stand die Überlegung, bestehende Konzepte vor dem Hintergrund der Inhalte, Ziele und Methoden zu überprüfen, verbunden mit der Absicht, die Qualität und Vergleichbarkeit der Angebote vor dem Hintergrund pädagogischer Grundlagen transparenter zu gestalten und zu erhöhen. Mitstreiter wurden gesucht und die Beantragung erfolgte durch die beteiligten Partner auf nationaler Ebene, leider erfolglos. Aber die Kollegen aus Paris ließen nicht locker und Anfang 2012 wurde ein neuer Anlauf vom Projektleiter Frankreich durch eine ausschließliche Beantragung in Frankreich auf den Weg gebracht. Die Zusage erfolgte im Sommer und Ende Oktober 2012 fand die Auftaktveranstaltung für das neue Projekt mit dem Namen European - Orientation & Mobility - Activities of Daily Living "EOMADL" in Paris statt.

Die Projektpartner

Die Projektpartner stammen aus drei Ländern: Frankreich, Spanien und Deutschland. Die Projektleitung und -koordination haben die Kollegen von der FAF (Fédération des Aveugles et Handicapés Visuels de France, Paris) inne. Aus Spanien sind das Augenheilkundezentrum (IOBA) der Universität von Valladolid und der Erziehungswissenschaftler und Blinden- und Sehbehindertenpädagoge Benito Codina der Universität La Laguna, Teneriffa, beteiligt. Die Deutsche Blindenstudienanstalt, blista, insbesondere die RES und die Fachschule für Rehabilitationslehrer, beteiligen sich als weitere Vertreter der fachlichen Ausbildung, sodass zwei universitäre und zwei berufsbildende Partner im Projekt vertreten sind.

Um möglichst viele interessierte Menschen und Organisationen am Projekt zu beteiligen, werden von Anfang an weitere Organisationen in den Projektprozess einbezogen. Diese assoziierten Mitglieder unterstützen die Arbeit der Projektpartner. Auf Vorschlag der blista sind dies für Deutschland: der Bundesverband der Rehalehrer/-innen und das Institut IRIS.

Ziele und Aufgaben

Aufgabe des Projektes ist es zunächst, wie bei den Vorgängerprojekten, die Ausbildungsstandards in den beteiligten europäischen Ländern zu dokumentieren und die vielfältigen und anspruchsvollen Aufgaben von Rehabilitationslehrer/-innen zu erfassen und zu systematisieren. Auf dieser Grundlage soll langfristig ein gegenseitiges Anerkennungssystem (Credit-Punkte-System, ECVET) und ein kompetenzorientiertes Unterrichtskonzept für die europaweite Ausbildung von Rehabilitationslehrer/-innen entwickelt und umgesetzt werden. Hierfür gibt es theoretisch zwei Möglichkeiten vorzugehen. Zum einen können alle Kernaktivitäten im Bereich der Rehabilitation blinder und sehbehinderter Menschen systematisch in ein standardisiertes, kompetenzorientiertes Curriculum und Anrechnungssystem überführt werden. Dies stellt jedoch eine sehr große Herausforderung dar, insbesondere bei so unterschiedlichen Anbietern und Ausbildungsstrukturen, wie sie sich in Europa und auch zwischen den Projektpartnern finden. Deswegen hat sich das EOMADL-Projekt dafür entschieden, auf bereits vorhandene Anerkennungskonzepte zurückzugreifen und zunächst exemplarisch nur einige Schlüsselaktivitäten zu erarbeiten und in Trainingsmodule umzusetzen.

Zu Beginn des Projekts wurden zunächst alle Ausbildungssysteme in den Partnerländern vorgestellt und auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hin untersucht. Anschließend haben die Projektpartner alle Ausbildungsinhalte, im Sinne von Schlüsselaktivitäten (Key Activities), aus den verschiedenen Ausbildungsgängen gesammelt, in sechs Hauptgruppen systematisiert und durch weitere Aspekte ergänzt. In einem zweiten Schritt wurden sie dann im Frühjahr und Sommer 2013 an vier exemplarischen Kompetenzen genauer analysiert und nach Kenntnissen, Fähigkeiten, Kompetenzen ausdifferenziert.

Seit Herbst 2013 werden nun auf Basis dieser Arbeit Workshops entwickelt, um den kompetenzorientierten Ansatz des Projekts in der Praxis zu testen und zu evaluieren. Das Projekt endet voraussichtlich im Oktober 2014. Derzeit gibt es erste Überlegungen für ein Nachfolgeprojekt, das die gemachten Erfahrungen dann auf die gesamte Breite des Handlungsfeldes von Rehabilitationslehrer/-innen ausdehnen soll. Im Projekt arbeiten Jürgen Nagel, Sabine Lauber-Pohle und Werner Hecker mit. Die Arbeit am Projekt wird zusätzlich schwerpunktmäßig von weiteren Mitarbeitern der RES unterstützt. Herzlichen Dank!

Informationen zum Projekt finden sich unter: http://eom-adl-network.faf.asso.fr/


EU-Parlamentarier fordern Barrierefreiheit von Websites

Internetauftritte von Behörden und Dienstleistern sollen für alle Nutzer zugänglich werden

Im März verabschiedete das EU-Parlament einen Richtlinienentwurf der EU-Kommission, der die barrierefreie Gestaltung von Internetseiten thematisiert. Der Entwurf beinhaltet die Forderung, Websites der Verwaltungen und öffentlicher Dienstleister in den Mitgliedsstaaten für alle Nutzer zugänglich zu machen. Neben Angeboten von Banken, Versicherungen und des Gesundheitssystems umfasst der Entwurf auch Internetseiten aus den Bereichen Verkehr, Kultur und Tourismus.

Mehr als 761.000 Websites bietet der öffentliche Sektor in der EU aktuell an - lediglich ein Drittel entspreche nach Angaben des EU-Parlaments den internationalen Standards der Barrierefreiheit.

Auch bundesdeutsche Internetangebote von Landesbehörden und Kommunen weisen noch erhebliche Barrieren auf. Die Mitglieder des BITV-Test-Prüfverbundes bieten Beratung zur barrierefreien Webgestaltung und Tests an. www.bit-inklusiv.de

Details (in englischer Sprache) lesen Sie hier: http://www.europarl.europa.eu/news/en/news-room/content/20140220IPR36573/html/MEPs-vote-to-make-online-public-services-accessible-to-everyone


Die Quadratur des Bankautomaten

Behinderungsübergreifende Zusammenarbeit in der Praxis: Wie funktioniert es, wenn sich körper- und sinnesbehinderte Menschen sowie Menschen mit Lernschwierigkeiten zusammentun und mit der Kreditwirtschaft über barrierefreie Bankautomaten verhandeln? Ein Mitglied der Projektgruppe beim BKB erzählt von Extremsport im Rollstuhl und rutschfesten Gummimatten und zeigt, wie schwierig es mitunter sein kann, gute Kompromisse zu finden.

Geld am Bankautomaten abzuheben, stellt für mich eine ganz besondere Herausforderung dar, weil ich mit meinen 1,20 Meter Körpergröße aus dem Rollstuhl heraus nicht ohne Mühe an alle Bedienelemente heranreiche. Aber hin und wieder packt mich mein kleiner Ehrgeiz und ich versuche es doch. Am spannendsten sind Geldautomaten mit einem berührungsempfindlichen Bildschirm, bei denen der gewünschte Auszahlungsbetrag durch Drücken einer virtuellen Taste ausgewählt werden muss. Von meiner sitzenden Position aus kann es dann gut passieren, dass ich mir ganz sicher bin, den Auszahlungsbetrag von 100 Euro anzutippen, um dann festzustellen, dass ich die "Taste" für 500 Euro erwischt habe und die Auszahlung nicht mehr zu stoppen ist.

Solche Erlebnisse sind natürlich ärgerlich. Sie haben mich schon vor einiger Zeit angeregt, grundsätzlich über barrierefreie Bankautomaten nachzudenken. Was braucht es, damit körperlich behinderte Menschen, blinde und sehbehinderte Menschen und Menschen mit Lernschwierigkeiten Bankautomaten ohne Probleme bedienen können?

Genau diese Frage durfte ich in den letzten zwei Jahren in einer Arbeitsgruppe des BKB Bundeskompetenzzentrums Barrierefreiheit zur Schaffung von nationalen Standards für barrierefreie Bankautomaten vertiefen. Neben dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) nahmen an dieser Arbeitsgruppe Vertreter von sieben weiteren Behindertenverbänden teil. Von Seiten der Kreditwirtschaft saßen Vertreter der Banken, der Automatenhersteller und der Rechenzentren am Tisch.

Drei Erkenntnisse, die viel erklären

Meine erste Erkenntnis stellte sich ein, als klar wurde, dass die Kreditwirtschaft nur einen einzigen Typen von Bankautomaten bereitstellen möchte, der von blinden und sehbehinderten Menschen möglichst genauso gut zu bedienen ist wie von Menschen mit anderen Beeinträchtigungen. Das Motto lautete also von Anfang an: ein Automat für alle! Neudeutsch spricht man auch vom "Universal Design".

Meine zweite Erkenntnis war, dass im Hintergrund drei Akteure zusammenwirken, damit ich am Bankautomaten Geld abheben und Kontoauszüge ausdrucken kann. Der Hersteller baut das Gehäuse, konstruiert die Einzugs- und Ausgabemechanismen und installiert einen PC im Automaten. Das Rechenzentrum stellt die Software zur Verfügung, die den Kundendialog am Automaten führt. Und die Bank bestimmt schließlich, welche Filiale wie viele Automaten erhält und wo die Geräte aufgestellt werden. Und meine dritte Erkenntnis resultierte aus der Beobachtung, dass diese drei Akteure durchaus unterschiedliche Interessen verfolgten. Die Hersteller wollten an ihren Automaten möglichst wenig verändern und wiesen in unseren Verhandlungen immer wieder auf kanadische und amerikanische Richtlinien für barrierearme Bankautomaten hin. Zufälligerweise erfüllen ihre Bankautomaten bereits diese Richtlinien. Und zufälligerweise handelt es sich um ausgesprochen tolerante Richtlinien, die viel Luft nach links und rechts sowie nach oben und unten lassen. Jedenfalls bin ich nach Lektüre der Richtlinien zu der Überzeugung gelangt, dass amerikanische und kanadische Rollstuhlnutzer ein Faible für Extremsport haben müssen. Wie sonst lässt sich erklären, dass ein Ausgabefach knapp 30 Zentimeter über dem Boden angebracht werden kann? Also, wenn ich ein solches Fach erreichen wollte, würde ich schlicht aus dem Rollstuhl purzeln.

Die Rechenzentren wollten möglichst wenig an ihrer Software ändern. Gut, eine Sprachausgabe für blinde Nutzer von Bankautomaten wollte man schon bereitstellen. Ja, auch die Toleranzzeiten für die Rückgabe der EC-Karte sowie das Entnehmen von Geldscheinen und Kontoauszügen könne man ein wenig ausdehnen, damit der Bedienvorgang nicht zu Hektik führt. Aber eine kontrastreiche Darstellung auf dem Bildschirm mit Vergrößerungsfunktion schien lange Zeit nicht durchsetzbar.

Den Banken schließlich war es wichtig, an ihre Filialen möglichst bald ein Logo anbringen zu können, das auf Barrierefreiheit hinweist. Das sei doch gut für das Image. Akustische Signale an Kontoauszugsdruckern wurden aber mit Verweis auf das Nervenkostüm der Bankangestellten abgelehnt. Und um den Verzicht auf Werbung während des Bedienvorgangs musste hart gerungen werden.

Insbesondere sehbehinderte Menschen und Vertreter von Menschen mit Lernschwierigkeiten hatten immer wieder darauf hingewiesen, wie irritierend Werbeeinblendungen sein können. Aber Werbung bringt nun einmal Geld ...

Strittige und unstrittige Punkte

Wie sah es nun auf Seiten der Behindertenverbände aus in den Verhandlungen? Der DBSV hatte schon vor mehr als zehn Jahren detaillierte Vorschläge gemacht für eine sprachgestützte Bedienerführung über Kopfhörer unter ausschließlicher Nutzung der PIN-Tastatur, um es blinden Menschen zu ermöglichen, selbstständig einen Bankautomaten zu nutzen. Hier lässt sich eine Gemeinsamkeit herstellen mit den Bedürfnissen von Menschen, die einen Rollstuhl nutzen oder kleinwüchsig sind. Wie eingangs angedeutet, ist die Bedienung von berührungsempfindlichen Bildschirmen vom Rollstuhl oder von einer anderen niedrigen Position aus mindestens abenteuerlich. Häufig befinden sich die Bedienelemente auf Bildschirmhöhe außerhalb der eigenen Reichweite. Deshalb wäre die ausschließliche Bedienung über die PIN-Tastatur auch für Rollstuhlfahrer und kleinwüchsige Menschen eine große Erleichterung.

An anderen Punkten wurde es schon schwieriger. Wie passt das Bedürfnis blinder Menschen, den Bankautomaten gut mit dem Langstock ertasten zu können, mit dem Bedürfnis von Rollstuhlfahrern zusammen, den Automaten möglichst weiträumig unterfahren zu können? Hier müssen beide Seiten mit einem Kompromiss leben: Einige Automaten werden unterfahrbar sein, andere nicht. Die unterfahrbaren Geräte stellen dann eine echte Herausforderung für blinde Menschen dar. Wer sie mit dem Langstock sucht, kann sich leicht an der Bedienkonsole stoßen. Die nicht unterfahrbaren Geräte wiederum sind für rollstuhlfahrende Menschen schwierig, weil sie nur von der Seite angefahren werden können und es dann einiges an Biegsamkeit bedarf, damit alle Bedienelemente in Reichweite rücken.

Eine weitere knifflige Frage lautete: Wie schafft man vor dem Automaten eine möglichst breite Ablagefläche für das Portemonnaie, wenn Menschen mit kurzen Armen doch gerade dicht vor dem Automaten stehen müssen, um an alle Bedienelemente zu gelangen? Die Hersteller waren an diesem Punkt sehr schnell und rieten uns, auf eine Ablagefläche zu verzichten. Ihre Erfahrung lehre, dass ein montiertes Ablagebrett ohnehin zu Vandalismus einlade. Stattdessen, so ihr Vorschlag, sollten behinderte Menschen eine kleine rutschfeste Gummimatte mit zur Bank bringen. So eine Matte wäre praktisch überall an den waagerechten Flächen des Automaten gefahrlos aufzulegen und könne dann die Geldbörse aufnehmen. Ein derart gummiertes "Mättchen" brachte ein Vertreter der Hersteller gleich mit zu einer der AG-Sitzungen - als Anschauungsmaterial und Anfühlbeispiel.

Es verstrichen mehrere Termine mit zähen Gesprächen, ehe wir durchsetzen konnten, in den Anforderungskatalog für Bankautomaten eine Ablagefläche aufzunehmen, die sich allerdings nicht vor dem Gerät, sondern links oder rechts von der Tastatur befinden soll.

Wie schwierig es ist, dem großen Ziel des "Universal Design" nahe zu kommen, mag auch die Diskussion um die Höhenverstellbarkeit der Geräte zeigen. Wir Behindertenverbände forderten natürlich eine Höhenverstellung, um einem Menschen meiner Körpergröße von 1,20 Meter in demselben Maße Zugang zum Bankautomaten zu ermöglichen wie einem groß gewachsenen blinden Menschen von 1,95 Meter. An diesem Punkt blieben Hersteller und Banken jedoch hart: Ein höhenverstellbares Gerät sei nicht zu verantworten, weil es leicht aus der Verankerung gerissen und das darin befindliche Geld entwendet werden könne. Dieses Argument ließ sich nicht entkräften. Wir erwogen noch die Möglichkeit, große Menschen durch eine absenkbare Bodenplatte auf ein für sie akzeptables Niveau herunterzufahren. Aber auch dieser Vorschlag wurde abgelehnt - diesmal mit Verweis auf die hohen Kosten für den Einbau eines derartigen Lifts.

Der Weg ist noch weit

Auch wenn die Hersteller und Betreiber das Papier nicht in allen Punkten mittragen konnten, steht am Ende der Verhandlungen ein Anforderungskatalog für einen Bankautomaten, mit dem möglichst viele Menschen zurechtkommen sollen. Nun ist es an den Banken, eine entsprechende Zielvereinbarung abzuschließen.

Aber selbst wenn eine solche Vereinbarung unter Dach und Fach gebracht sein sollte, ist es noch ein langer Weg, bis die barrierefreien Bankautomaten flächendeckend zu finden sind und Menschen mit Behinderung wie andere Kunden auch in jeder Bankfiliale selbstständig Geld abheben und Kontoauszüge ziehen können. Ein langer Weg, den ich mit meinem Rollstuhl allerdings gern weiter rollen möchte, wenn unsere Umwelt am Ende wieder ein wenig ärmer an Barrieren geworden ist.

Zum Autor

Fabian Schwarz (40) ist Diplom-Psychologe und hat für den Bundesverband körper- und mehrfachbehinderter Menschen am BKB-Projekt "Barrierefreie Bankautomaten" teilgenommen. Seit August 2012 arbeitet er als Referent für Behindertenhilfe und Psychiatrie beim Arbeiterwohlfahrt Bundesverband. Schwarz lebt mit seiner blinden Frau in Berlin.

Der Artikel erschien erstmals im Magazin "Gegenwart" des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes, Ausgabe 1/2014.


Berichte und Schilderungen

Nachruf auf Dr. Hermann Gallhoff

Fast gleichzeitig sind zwei meiner Freunde in den letzten Monaten gestorben, zwei Menschen, die auch ein ähnliches Schicksal getroffen hatte und die mit großer Willenskraft ihr Leben meisterten. Über Karl Hansen ist in unserer Zeitschrift mehrfach berichtet worden, weshalb ich auf einen eigenen Nachruf verzichtet habe.

Hermann Gallhoffs Schicksal ist durch den Krieg tief gezeichnet worden: In der Nacht nach Ostern 1943 ereilte ihn das Schicksal in der Gestalt des Bombenkrieges, der von allen Kriegsparteien mit "totaler" Rücksichtslosigkeit geführt wurde und weder Kinder noch Frauen oder alte Menschen verschonte. Eine Luftmine hatte in wenigen Sekunden das Haus zerstört. Sein Vater zog ihn im halb gesicherten Luftschutzkeller aus dem oberen Doppelbett, das mit Steinen und Schutt aus der Decke gefüllt war, und trug ihn, den Weg durch die Trümmerschuttmassen und den Brandqualm, der durch zusätzliche Phosphorbomben entstanden war, bahnend, ins Nachbarhaus; seine drei Brüder drängten sich dicht hinterdrein. Seine Mutter mussten sie tot zurücklassen. Während sein Vater und seine Brüder unter den Phosphordämpfen und -verbrennungen zu leiden hatten, machten Hermann die zahlreichen, zum Teil sehr schweren Kopfverletzungen zu schaffen. Ihm war ein Sehrest von fünf Prozent verblieben. 18 Monate später nahmen Bomben seinem Vater und 5 ganz nahen Verwandten das Leben! Hermanns Lebenswille und Stärke konnte man damals schon erkennen, denn er bejammerte seine Behinderung nicht. Das Leben ging, trotz der wahrhaftig herben Verluste und Einschnitte, weiter. Er verlor noch dazu einen weiteren Bruder durch die Nachwirkungen der Bombenverletzungen.

Hermann hat immer auf seine eigene Kraft und Möglichkeit vertrauen wollen und nur im Ausnahmefall Hilfe Dritter in Anspruch genommen. Dies bedeutete für ihn, dass er sportlich extrem übte und auch alle technischen Hilfsmittel zur Überwindung seines Sehschadens nutzte. Mit gleicher Kraft wandte er sich dem Studium zu. Da er sich zur bekennenden Kirche hielt, waren ihm bestimmte kirchenrechtliche Dogmen ein juristisches Problem. Mit seiner Dissertation (1) war er mit den theologischen Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts befasst und hatte die Stellung der Pfarrer zu ihren geistlichen "Vorgesetzten" zu prüfen.

Hermann hatte sich zum Ziel gestellt, an zwei deutschen berühmten Universitäten, nämlich in Heidelberg und Freiburg, Jura zu studieren, während er sich an der Universität Heidelberg zusätzlich mit Fragen der Theologie und des Rechts befasste.

Zu unserer Überraschung entschied er sich plötzlich dafür, an der Universität in Kapstadt das ethnologische Eingeborenenverwaltungs-Studium (Lower Diploma for Native Administration) zu absolvieren. Hermann hatte sich offenbar sehr schnell in den südafrikanischen Dialekt eingearbeitet und hatte unserem gemeinsamen Freund Helmut Berger bei seinen Besuchen in Freiburg auch in relativ kurzer Zeit die tragenden Prinzipien dieser Eingeborenensprache vermitteln können.

Ein neuer Lebensabschnitt begann 1962 mit der Eheschließung mit Elisabeth, eine ungewöhnliche Partnerin. Sie schenkte Hermann nicht nur vier Kinder, sondern betrieb auch verschiedene Berufsausbildungen und Studien.

Ab 1963 nahm Hermann Gallhoff seinen Dienst als Richter auf. Damit musste er sich in der Hauptsache dem Beruf widmen, aber dennoch blieb Zeit für Familie und ehrenamtliche Aufgaben. Vielleicht entstand schon hier eine Überlastung. Auf jeden Fall war es ein Wunder, dass er sich wichtigen und zeitraubenden Nebenaufgaben widmen konnte, wie zum Beispiel der evangelischen Kirchengemeinde Hattingen und der Wittener Waldorfschule.

Im vereinigten Deutschland übernahm Hermann eine zusätzliche Aufgabe, die ihm mit der Zeit vielleicht zu schwer wurde, nämlich gerade für den Teil der Verwaltung tätig zu werden, die nunmehr neu auf die westliche Jurisprudenz zukam. So schrieb er: "… Man kann nicht ohne erheblichen Unrechtsgrad einer Gesellschaft, die eine andere Entwicklung hinter sich hat, Gesetze überstülpen. Unsere Begriffe wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verloren bei kritischer Nachfrage an Gewicht und Glanz."

Im März 1995 wurde Hermann pensioniert, konnte aber nicht sogleich reisen und entspannende Beschäftigungen finden, da seine Gesundheit die jahrelange Überlastung wohl nicht ertragen hatte. Das von ihm geliebte Trompetenspiel in seiner evangelischen Kirche entfiel aufgrund eines schwerwiegenden Eingriffs in das Hörsystem. Der Versuch, die Lücke durch das Cello auszufüllen, brachte nicht den erwünschten Erfolg. Hinzu kam, dass er mit Verpflichtungen sehr überlastet war, die er für den BKD (Bund der Kriegsblinden Deutschlands) übernommen hatte. Auch die Unübersichtlichkeit der Normierungen und die Schwierigkeiten der Betreuung des Landesverbands Westfalen und des Kriegsblindenhilfsvereins Westfalen e.V., der das Kursanatorium Hochsauerland, Haus der Kriegsblinden, in Brilon-Gudenhagen betrieb, erschwerten ihm die Arbeit wesentlich.

Die auf später verschobenen Reisepläne mit seiner Frau konnte Hermann nur zum Teil verwirklichen, so z. B. zwei Reisen nach Ägypten und eine nach China und Tibet, bis dann sein Gesundheitszustand völlig reduziert war. Er erfreute sich aber dennoch am Erleben, wie seine Enkelkinder heranwuchsen. Seinen eigenen Bericht schließt er mit einem Zitat aus dem 90. Psalm: "Unser Leben währet 70 Jahre und wenn es hoch kommt, so sind"s 80 Jahre; und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen."

(1) Hermann Gallhoff: Pfarrer und höchste geistliche Amtsträger in der evangelischen Kirche - Ihre rechtlichen Beziehungen untereinander, Carl Winter - Universitätsverlag, Heidelberg, 1968


Theater plus Pädagogik = ?

It has to begin somewhere…

Nachdem ich mein Abitur an der blista bestanden hatte, machte mir meine Mutter den wohlmeinenden Vorschlag, erst einmal ein Pausensemester einzulegen, da die Abiturszeit doch ziemlich turbulent gewesen war. Sie dachte, dass mir eine Verschnaufpause sicher gut tun würde. Allerdings lagen zwischen dem Schulabschluss im Juni 2011 und dem Beginn des ersten Semesters an der Uni knapp vier Monate. Diesen Zeitraum hielt ich für ausreichend, um mich zu entspannen. Außerdem war es für mich wenig attraktiv, aus Marburg, einer Stadt, in der ich alle Erledigungen und Termine selbstständig bewältigen konnte, in meinen zwar schönen, aber sehr weit vom Schuss gelegenen Heimatort bei Aachen zurückzukehren. Folglich entschied ich mich dafür, direkt mit dem Studium anzufangen.

Aber was???

Meine Leistungsfächer waren Biologie und Deutsch, und ich hätte mir gut vorstellen können, mich in Richtung Medizinstudium zu orientieren. Analytisches Denken macht mir Spaß und ein hoher Arbeitsaufwand ist nur selten ein Problem für mich. Die Schwierigkeit sah ich eher in meiner Sehbehinderung, deshalb informierte ich mich bei einem mir bekannten Arzt über meinen Berufswunsch. Er erzählte mir vom Medizinstudium und seiner Tätigkeit heute, mit dem Ergebnis, dass ich mich anschließend gegen diesen Weg entschied, da ich einsehen musste, dass ich im Studium durch meine Sehbehinderung permanent an meine Grenzen stoßen würde.

Was dann?

Seit der 7. Klasse war ich aktives Mitglied in der blista-Theatergruppe von Karin Winkelsträter. Durch sie und die Theatergruppe habe ich viel über mich selbst, mein Auftreten, meine Gefühle und Emotionen und mein Handeln gelernt. Theaterspielen war mein Hobby und meine Leidenschaft. Und ich stellte mir jetzt ernsthaft die Frage, ob ich nicht vielleicht dieses Hobby irgendwie zum Beruf machen könnte.

Und schließlich…

Derzeit studiere ich im fünften Semester Bildungs- und Erziehungswissenschaften an der Philipps-Universität in Marburg mit dem Ziel, einen Master in Theaterpädagogik zu machen. Dazu benötigt man je nach (Aus-)Bildungsstätte einen Bachelor-Abschluss oder eine andere Art von abgeschlossener Berufsausbildung. Um mir möglichst viele Optionen offenzuhalten, beschloss ich deshalb, zunächst das Grundstudium (Bachelor) in Pädagogik zu absolvieren, mich anschließend zu spezialisieren und Theaterpädagogik zu studieren. Im Gegensatz zu Frankfurt (Elementarpädagogik) und Darmstadt (Erwachsenenbildung) ist der Studiengang Pädagogik an der Marburger Philipps-Universität sehr allgemein gehalten, dort beginnt die Spezialisierung erst nach dem Grundstudium. Der Charme dieser Stadt und nicht zuletzt die Theatergruppe "Nachtsicht" bestärkten mich in meiner Entscheidung für Marburg.

Die WG-Suche

Auf das Leben in einer Studenten-WG in Marburg sollte ich allerdings noch etwas warten müssen. Ich besichtigte insgesamt elf verschiedene Wohngemeinschaften in und um Marburg. Darunter waren auch Massenbesichtigungen, wie zum Beispiel ein Termin mit zehn weiteren Studenten für ein 8m²-Kellerzimmer zu einem saftigen Preis von 300 Euro warm. Erfolg hatte ich trotz meiner Bemühungen keinen. Glücklicherweise haben Menschen mit einer Behinderung die Möglichkeit, einen Härtefallantrag für einen Studentenwohnheimsplatz zu stellen. Und so zog ich kurz vor Semesterbeginn in den Forsthof in der Oberstadt, ein sehr zentral gelegenes Studentenwohnheim in Marburg. Mich verunsicherte zunächst die Aussage der Hauswirtschafterin, dass ich auf das "schlimmste" Stockwerk ziehen würde. Und tatsächlich, die Küche in meiner ehemaligen Selbstständigen-Wohngruppe an der blista mit drei Mitschülern war eine Ausgeburt an Reinlichkeit im Vergleich zu den von Schimmel überwucherten Geschirrbergen in der von sieben StudentInnen genutzten Gemeinschaftsküche. Hinter der Unordnung steckten allerdings sehr "entspannte" Student/innen, die mich ziemlich schnell liebevoll aufnahmen. Ich wusste allerdings schon zu diesem Zeitpunkt, dass mein 11 m²-Zimmer im Forsthof nur eine Übergangslösung sein würde.

Aller Anfang ist schwer

Endlich begann meine Orientierungseinheit an der Uni, sozusagen meine "O-Woche". Es ging auch gleich gut los, während ich mit sieben anderen Kommiliton/innen vor dem Hörsaalgebäude in der Biegenstraße stand, weilten die anderen 113 Erziehungswissenschaftsstudent/innen zu diesem Zeitpunkt in den Räumen der Fakultät für Physik in der Oberstadt. Nach einem kurzen Blick auf die Baustelle im Hörsaalgebäude war auch der Grund dafür klar, und so erschien ich gleich zu spät zu meiner ersten Universitätsveranstaltung. Ein Student aus einem höheren Semester meinte, ich würde mich schon an das Chaos gewöhnen. Da ahnte ich noch nicht, dass dieser erste Informationstag auch mein letzter Tag der Einführungsphase sein sollte. Noch am selben Abend, auf dem Weg zur Kennenlern-Kneipentour, stürzte ich die mit Laub bedeckten, unregelmäßigen und schlecht beleuchteten Stufen vor dem Wohnheim herunter und zog mir einen Bänderriss zu. Dadurch verpasste ich die Kneipentour der O-Woche, eine Nachtwanderung, eine Stadt-Rallye, ein gemeinsames Frühstück, die Erstsemesterparty - in mir stieg Panik auf, keinen Anschluss zu finden. Als dann die regulären Veranstaltungen begannen, war ich von den Kommiliton/innen, die aktiv an den Seminaren teilnahmen, regelrecht eingeschüchtert. Zudem musste ich anfangs bei jedem neuen Seminar zum Dozenten gehen und erklären, dass ich eine Sehbehinderung habe und dass ich deshalb die Unterrichtsunterlagen digital benötige.

Die Moral von der Geschicht"…

Jetzt studiere ich bereits zwei Jahre, ich bin in den Seminaren aktiv dabei, habe Kontakte gefunden und wohne mit einer Kommilitonin zusammen in der Elisabethstraße. Wenn ich auf diesen doch sehr komplizierten Anfang zurückblicke, stelle ich fest, dass ich so einiges gelernt habe:

  1. Referate und Gruppenarbeiten in Seminaren eignen sich optimal, um Menschen kennen zu lernen und Freunde zu finden, auch wenn man die Orientierungseinheit verpasst hat.
  2. Es ist unnötig, den Dozentinnen und Dozenten, bei denen man keine Klausur schreibt, sofort mitzuteilen, dass man eine Sehbehinderung hat. Die Powerpointpräsentationen stehen auf einer Lernplattform der Uni Marburg im Internet. Mittlerweile warte ich damit, mich zu "outen", nicht weil ich mich schäme, sondern um keine Sonderstellung zu bekommen, und weil es besseres gibt, als nach dem Seminar ewig zu warten, bis ich mit dem Dozenten/der Dozentin sprechen kann.
  3. Sprache ist Programm: Wenn ich z.B. einen Sitznachbarn darum bitte, mir kurz vorzulesen, was an der Tafel steht, sage ich heute nicht mehr: "Ich bin sehbehindert", sondern: "Ich kann nicht gut gucken". Zum einen reduziere ich mich nicht selbst auf die Sehbehinderung, und ich erfahre es viel seltener, auf meine Sehbehinderung reduziert zu werden.

Hilfsmittel

Meine größte Schwierigkeit am Anfang des Studiums lag darin, die von mir benötigten Hilfsmittel zu bekommen. In der Rehabilitationseinrichtung für Blinde und Sehbehinderte an der blista (RES) wurde zusammen mit mir mein Bedarf an Hilfsmitteln für das Studium ermittelt. Dazu gehörten ein großer Bildschirm mit einem Schwenkarm für eine rückenschonende Sitzhaltung, ein Buchscanner, ein Bildschirmlesegerät und eine mobile Vergrößerungssoftware, die auf einem USB-Stick installiert ist und mir somit auch an fremden PCs (Unibibliothek) eine Vergrößerung der Texte ermöglicht. Die Anträge dafür stellte ich beim Sozialamt in Aachen, wo ich zum Zeitpunkt der Antragstellung meinen ersten Wohnsitz hatte. Diesen Antrag habe ich allerdings erst zwei Monate vor Studienbeginn gestellt. Meine Empfehlung geht allerdings dahin, sich um diese Dinge so frühzeitig wie möglich zu kümmern!!! In meinem Fall kam die Problematik hinzu, dass ich auf Grund der Zweitwohnsitzsteuer meinen ersten Wohnsitz zum Studienbeginn nach Marburg verlegte. Dieser Wohnsitzwechsel stellte für die Behörden offensichtlich eine Überforderung dar. Ich habe meine Hilfsmittel letztendlich zu Beginn meines dritten Semesters und vom Sozialamt in Marburg finanziert bekommen.

Theaterpädagogik - Die Zukunft ist noch nicht geschrieben

Nun neigt sich mein Bachelor-Studium langsam dem Ende zu. In den letzten Semesterferien habe ich ein Langzeitpraktikum in einer theaterpädagogischen Einrichtung für Arbeitsuchende, bei der Projektfabrik gGmbH, gemacht. Dadurch habe ich viele Kontakte knüpfen können. Auch hatte ich die Möglichkeit, den dort tätigen hauptamtlichen Theaterpädagogen mit Fragen löchern zu können und so sehr viele Informationen über das Berufsbild des Theaterpädagogen sowie über die individuellen Wege dorthin zu erhalten. Ich bekam den weisen Rat: "It has to begin somewhere." Damit ist gemeint, dass noch ein weiter, auch steiniger Weg vor mir liegen wird, mit einem großen Berg an Arbeit. Wo und wie dieser Weg zu beginnen ist und was der beste Weg ist, könne mir niemand wirklich sagen. Ich solle einfach irgendwo anfangen, um mir immer und immer wieder neue Kontakte, Erfahrungen und damit Möglichkeiten zu eröffnen.

Will man im Berufsfeld Theaterpädagogik tätig sein, empfiehlt es sich, das Zertifikat des Bundes für Theaterpädagogen (BuT) zu erwerben. Die Ausbildung wird sowohl von privaten (z.B. der Theaterwerkstatt in Heidelberg) als auch von staatlichen Einrichtungen, wie der Berliner Universität der Künste, angeboten. Heidelberg bietet eine solide zweijährige Ausbildung an. Im Gegensatz zum staatlichen Master an der Berliner Universität der Künste muss diese allerdings selbst finanziert werden. Wohl auch deshalb sind die Aufnahmechancen an einer privaten Einrichtung größer. Mein Traum ist es, in Berlin angenommen zu werden, auch weil die Stadt mit ihren "Hinterhoftheatern" eine gute Plattform für künstlerische Arbeit darstellt. Mein Plan B: Für den Fall, dass ich an der Universität in Berlin nicht auf Anhieb angenommen werde, denke ich über ein Freiwilliges Soziales Jahr in Chile nach, um im Anschluss daran einen weiteren Bewerbungsversuch in Berlin zu starten.


„Beeindruckender Einsatz für die Belange blinder und sehbehinderter Menschen“

Bundesverdienstkreuz für Rita Schroll

Rita Schroll ist seit 11. April Trägerin des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in der Ordensstufe "Verdienstkreuz am Bande". Marburgs Oberbürgermeister Egon Vaupel überreichte Schroll die Auszeichnung des Bundespräsidenten. Beeindruckt habe ihn auch die Bandbreite der Organisationen, in denen sich Schroll für die Belange blinder und sehbehinderter Mitbürger einsetze, so Vaupel. Auch Hessens Finanzminister Dr. Thomas Schäfer, der kurzfristig nicht selbst an der Ordensaushändigung teilnehmen konnte, überbrachte seine Grüße und zollte dem Wirken von Rita Schroll seinen Respekt: "Die kleinen und großen Hindernisse des Alltags sind für Sehende oft leichter zu überwinden als für blinde oder sehbehinderte Menschen. Ihrem langjährigen Engagement ist es mit zu verdanken, dass die politisch Verantwortlichen in Marburg und darüber hinaus fortwährend für die Anliegen sehbeeinträchtigter Menschen sensibilisiert worden sind", so Schäfer.

Rita Schroll, geboren 1963, ist Diplom-Sozialarbeiterin und Fachberaterin für Psychotraumatologie. Seit 2003 leitete sie das Hessische Koordinationsbüro für behinderte Frauen und seit 2005 ist sie außerdem als Koordinatorin bei dem Hessischen Netzwerk behinderter Frauen tätig. Beide Einrichtungen sind bei dem Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter fab e.V. in Kassel angesiedelt. Nebenberuflich hält Schroll seit 1997 Seminare und Workshops zu unterschiedlichen Themen der Erwachsenenbildung. Sie ist seit ihrer Geburt blind.

Schroll hat sich sozial und kulturell vielfältig engagiert: Sie war von 1989 bis 1991 im Leitungsteam der Bezirksgruppe Hessen des DVBS. Von 2004 bis 2008 war sie Mitglied des Vereinsvorstandes. In verschiedenen Funktionen hat sie sich im DVBS eingesetzt, so beispielsweise bei der Koordination barrierefreier Reisen. Außerdem war sie von 1999 bis 2008 Redaktionsmitglied dieser Zeitschrift.

Auch landes- und kommunalpolitisch macht sie sich für die Bedürfnisse sehbeeinträchtigter Mitbürger stark: Seit 2000 ist sie Mitglied im Landesbehindertenbeirat Hessen, seit 2006 verstärkt sie den Behindertenbeirat der Universitätsstadt Marburg. Ergänzend dazu setzt sich Rita Schroll seit 2009 als Beisitzerin im Vorstand des Vereins atz Hörmedien für Sehbehinderte und Blinde e.V. ein. Ein besonderes Anliegen ist ihr darüber hinaus die Verbesserung der Lebenssituation behinderter Frauen und Mädchen, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind. Für sie hat sich Schroll in der Beratungsstelle des Vereins Notruf Marburg e.V. von 1996 bis 1999 ehrenamtlich engagiert. Menschen mit geringem Einkommen einen Zugang zu Marburgs Kulturleben zu ermöglichen, ist ein weiteres Anliegen von Rita Schroll. Sie ist Gründungsmitglied des seit 2010 bestehenden Vereins Kulturloge Marburg e.V., der den kostenlosen Besuch von kulturellen Veranstaltungen fördert. Schroll vermittelt Eintrittskarten und setzt sich dafür ein, dass auch blinde und sehbehinderte Menschen mit wenig Geld am gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Stadt teilhaben können.


Aus der Arbeit des DVBS

Michael Herbst verlässt den DVBS

Abschied ist ein scharfes Schwert, so heißt es in einer deutschen Schnulze. Für Schnulzen ist Michael Herbst nicht zu haben. Der gut gebaute Mann mit der wohlklingenden Baritonstimme, der dem DVBS seine Arbeitskraft seit 2001 bedingungslos zur Verfügung gestellt hat, liebt eher die kantigen Worte. Schönfärberei oder langes um den heißen Brei Herumreden mag er nicht. Zum Gegner möchte man diesen Mann nicht gern haben. Leicht würde einen das Gefühl überkommen, den Kürzeren zu ziehen. Hier, das spürt man, pulst eine Energie, die viel bewegen kann - und für den DVBS in den vergangenen mehr als zwölf Jahren auch viel bewegt hat. Michael Herbst kam 2001 zum DVBS, damals in der neu geschaffenen Funktion als Pressesprecher und Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit. Sein Eintritt in die Geschäftsstelle war anfangs nicht unumstritten. Manche konnten mit seinen Ecken und Kanten nicht so gut umgehen (und er vielleicht gelegentlich auch nicht). Immerhin kam er nicht als Greenhorn in unseren Verein, sondern hatte bereits längere Zeit in einer ganz anderen Branche, dem durchaus zukunftsweisenden Carsharing, gearbeitet. Was mich von Anfang an bei Michaels Arbeit beeindruckt hat und mir auch das sichere Gefühl gab, mit ihm den richtigen Mann an der richtigen Stelle (d. h. damals der Öffentlichkeitsarbeit) zu haben, war seine Gabe, mit einigen gut platzierten Sätzen das Interesse seiner Leserschaft zu erregen. Und das nicht nur zufällig, sondern systematisch. So verdanken wir Michael die Einrichtung des DVBS-Newsletters "horus aktuell", den er seit 2003 geprägt hat, und außerdem zahllose kluge Artikel in dieser Zeitschrift. Sie waren immer gehaltvoll, brachten häufig aber auch die Lachmuskulatur zum Beben.

Als Andreas Bethke, unser damaliger Geschäftsführer, den DVBS Anfang 2004 verließ, galt es, einen Neuanfang in der Geschäftsstelle zu organisieren. Fast gleichzeitig trat Otto Hauck nach 25 Jahren als erster Vorsitzender nicht mehr zur Wahl an. Ich muss gestehen, dass mir damals ob dieser neuen Situation, in der ich mich mit den Aufgaben des ersten Vorsitzenden auseinandersetzen musste und gleichzeitig eine neue Geschäftsleitung die Geschicke des Vereins übernahm, einige Schmetterlinge im Bauch herumflogen. Ihre Zahl nahm aber schnell ab, als ich feststellen durfte, mit wie viel Engagement sowohl Michael Herbst wie auch sein Partner und offizieller DVBS-Geschäftsführer Michael Richter ans Werk gingen. Michael Herbst übernahm jetzt die Verantwortung für die Arbeit der Geschäftsstelle und für die Finanzen. Beide Bereiche hat er in den mehr als zehn Jahren seiner Tätigkeit insgesamt zum Erfolg geführt. Das Team unserer Geschäftsstelle ist für mich so gefestigt wie noch nie und wird auch die Zukunft, davon bin ich fest überzeugt, gemeinsam mit dem Vorstand und der neuen Geschäftsführung meistern können.

Als Michael Richter den Verein 2007 verließ, um die Rechtsberatungsgesellschaft rbm aufzubauen, war es für uns klar, dass Michael Herbst, der schon zuvor als gleichberechtigter Geschäftsführer neben den anderen Michael getreten war, diese Position nun allein ausfüllen würde. Diese Erwartung hat nicht getrogen.

Ich habe vorhin von Michaels enormer Energie gesprochen. Sie richtete sich nun ganz darauf, diesen Verein voranzubringen und geschickt durch alle Krisen zu steuern, die es naturgemäß im Leben eines Vereins und eines Geschäftsführers immer wieder gibt. Michael hat sich dabei nicht geschont, und es kam vor, dass ich - leider meist erfolglos - versucht habe, seinem Engagement Einhalt zu gebieten; denn es gibt auch ein Leben außerhalb der Position eines Geschäftsführers.

Lieber Michael, Du wirst uns fehlen mit Deiner phänomenalen Auffassungsgabe, Deiner Fähigkeit, Dich intensiv in Dir unbekannte Wissensgebiete einzuarbeiten und zu erkennen, was wir daraus für Konsequenzen ziehen können oder müssen, mit Deinem Ideenreichtum, aber auch mit Deiner Fähigkeit, nicht nur Ideen zu gebären, sondern sie auch - wenn irgend möglich - in angemessener Frist umzusetzen. Ebenso fehlen werden uns Deine Kenntnisse im Finanzbereich und in der Personalführung, zwei Deiner unbestrittenen Stärken. Aber das Rad der Geschichte dreht sich auch für den DVBS weiter. Doch Du hast darin Spuren hinterlassen, an denen wir uns orientieren können. Dafür danke ich Dir im Namen des DVBS, aber auch persönlich als Freund und Mitstreiter sehr herzlich.


Selbsthilfetage des DVBS vom 19. -21.6.2014 in Marburg

Anfang April haben alle Mitglieder des DVBS den Tagungsreader mit der Einladung zur Mitgliederversammlung per Post erhalten. In der Rubrik "Termine" auf der Homepage des DVBS können Sie zudem den Tagungsreader, den Fragebogen des Vorstands sowie den Anmeldebogen (ausfüllbare PDF-Vorlage) herunterladen. Eine DAISY-Version können Sie telefonisch im Textservice unter Tel. 06421 9488822 bestellen.

Bei den Treffen der Fachgruppen werden sich noch Änderungen bei der Raumzuordnung ergeben, auch dies aktualisieren wir auf der Homepage unter www.dvbs-online.de. Wir werden alle Angemeldeten außerdem per E-Mail oder schriftlich über Änderungen informieren.

Das Geschäftsstellenteam, die Geschäftsführung und der Vorstand freuen sich, Sie beim Stelldichein, bei den Fachgruppentagungen, beim Konzert und bei der Mitgliederversammlung begrüßen zu dürfen.


DVBS-Jahresbericht 2013 liegt vor

In diesem Jahr liegt der DVBS-Jahresbericht nicht, wie gewohnt, der horus-Ausgabe 3 bei, sondern kommt bereits mit dieser Ausgabe bei den Abonnenten an. Sechs Berichte geben einen exemplarischen Einblick in die Arbeit des Vereins, die Tätigkeiten und Angebote für die Mitglieder im vergangenen Jahr und das Engagement auf politischer Ebene. Darüber hinaus finden Sie in der Rubrik "Kontakt" alle Ansprechpartner der Geschäftsstelle, des Vorstandes, der Arbeitskreise und der Fach- und Bezirksgruppen auf einen Blick.


Terminvorschau

Seminartermine 2014:

20. Juni 2014: Treffen der Fachgruppen und Querschnittsgruppen des DVBS im Rahmen der Selbsthilfetage 2014 in Marburg

21. Juni 2014: Mitgliederversammlung des DVBS in Marburg

25. bis 27. Juli 2014: Tai Chi , Qi Gong und Selbstverteidigung mit dem Blindenstock in Marburg.

5. bis 7. September 2014: Bundesweites Treffen blinder und sehbehinderter Studierender und Auszubildender in der Jugendherberge Bingen

18. bis 21. September 2014: Fortbildungsseminar "Reden und Präsentieren" der FG Wirtschaft in Herrenberg

4. bis 11. Oktober 2014: Seminar der Gruppe Ruhestand "Altern und Blindheit" in Saulgrub

24. bis 26. Oktober 2014: Psychodrama-Selbsterfahrungsseminar (Fachgruppenübergreifend) in Saulgrub

Weitere Informationen zu den Terminen finden Sie unter www.dvbs-online.de/php/aktuell.php


Aus der blista

Dr. Imke Troltenier in den blista-Vorstand gewählt

Auf seiner letzten Sitzung hat der blista-Verwaltungsrat die Vorstandsreferentin für bildungs- und sozialpolitische Aufgaben, Dr. Imke Troltenier, zur stellvertretenden Vorsitzenden der blista gewählt.

"Über diese Anerkennung meiner Tätigkeit habe ich mich sehr gefreut. Die blista ist ein traditionsreiches und in seiner Vielfalt einzigartiges Kompetenzzentrum, die Entscheidung des Verwaltungsrats erfüllt mich mit Stolz. Die Bereiche meiner bisherigen Aufgaben möchte ich weiter ausbauen, denn der gesellschaftliche Wandel eröffnet neue Chancen, die Teilhabe von blinden und sehbehinderten Menschen besser zu gestalten, d.h. auf eine Basis zu stellen, die selbstbestimmt ist und fair. So bin ich innerhalb des Vorstands z.B. zuständig für die Entwicklung zukunftsorientierter Projekte und Angebote und für die Gestaltung der Kommunikation nach innen und außen.

Schwerpunkte

Mit der neuen Funktion im Vorstand verknüpfen sich drei Ziele. Im ersten geht es darum, dass die blista an politischem Einfluss weiter hinzugewinnt, indem wir Angebote entwickeln, verbessern und ausbauen, die den gesellschaftlichen Wandel zur Inklusion unterstützen. Angebote, die unsere Kompetenz belegen und sichtbar machen, die zugleich einen wirtschaftlichen Beitrag leisten. Angebote für Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, für Unternehmen, (Weiter-) Bildungs- und Arbeitsmarktakteure, für Kommunen und Landkreise, die gesellschaftliche Teilhabe auch darüber hinaus in Freizeit, Kultur, Tourismus und Sport für Jung und Alt verwirklichen möchten.

Im zweiten geht es um die Fragen: Was ist normal? Und wie funktioniert Normalität? Statistisch gesehen sind nur 4 von 10.000 Schülern blind oder sehbehindert. Es braucht daher ein Umfeld wie Marburg, damit sie zum Stadtbild dazuzählen. Ich bin der Überzeugung, dass die blista als Förderschule auch in einer inklusionsorientierten Bildungslandschaft einen hohen Stellenwert hat. Weil wir unseren blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schülern Raum und Umfeld bieten, um sich als normal zu empfinden. Nur so bleibt ihnen Zeit und Aufmerksamkeit für all die vielen großen und kleinen wichtigen Dinge in dieser spannenden und Weichen stellenden Lebensphase. Die Wahlmöglichkeit sollte Eltern und Kindern auch künftig offen stehen. Und so sieht es auch die BRK.

Nicht zuletzt ist Barrierefreiheit ein wichtiges Anliegen und so freut es mich, dass zum Beispiel auch die Fortführung des BRK-Prozesses an der blista künftig mit in meinen Verantwortungsbereich zählt. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie wir hier an der blista zusammenarbeiten wollen, welche Werte unser Handeln bestimmen und welche praktischen Lösungen uns gelingen."


blista kooperiert mit SAP

Aus dem spontanen Erstkontakt zu SAP auf einer Übungsfirmenmesse entwickelte sich eine für beide Seiten Erfolg versprechende Kooperation: Im Rahmen ihres BRK-Aktionsplanes hat sich die SAP AG, Walldorf, das Ziel gesetzt, in Zusammenarbeit mit der blista die Schulsoftware "erp4schools" barrierefrei zu gestalten. Die Kooperation soll blinden und sehbehinderten jungen Menschen die Möglichkeit eröffnen, eine schulische oder berufliche Ausbildung mit einer SAP-Zertifizierung abzuschließen. Als erstes börsennotiertes Unternehmen, das sich einem BRK-Aktionsplan stellt, hatte SAP im vergangenen Jahr viel öffentliche Aufmerksamkeit erzielt. Für die blista knüpfen sich an diese ungewöhnliche David-Goliath-Kooperation konkrete Ziele, wie: bessere Vermittlungsvoraussetzungen für unsere IT-Auszubildenden, eine höhere Attraktivität unserer IT-Ausbildungsangebote und die Steigerung der Motivation beim Lernen. Zusätzlich bieten sich auf allen Ebenen der Einbindung vielfältigste Möglichkeiten, eigenes Wissen und eigene Kompetenzen in der Kooperation mit den SAP-Expertinnen und Experten auszutauschen und auszubauen. "Auszubildende und Schüler können durch SAP-Kenntnisse ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich verbessern! Ein Anfang ist gemacht…"


Impressum

Impressum

Herausgeber: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

Redaktion: DVBS (Uwe Boysen, Michael Herbst, Andrea Katemann und Christina Muth) und blista (Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Rudi Ullrich und Marika Winkel)

Koordination: Christina Muth, Geschäftsstelle des DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-13, Fax: 06421 94888-10, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de

Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.): Michael Herbst (DVBS) und Rudi Ullrich (blista)

Erscheinungsweise: Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.

Jahresbezugspreis: 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe, 35 Euro für alle übrigen Ausgaben. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

Bankkonten des DVBS: Sparkasse Marburg-Biedenkopf IBAN: DE42 5335 0000 0000 0002 80 (BIC: HELADEF1MAR) - Postbank Frankfurt (für Überweisungen aus dem nicht-europäischen Ausland), IBAN: DE95 5001 0060 0149 9496 07 (BIC: PBNKDEFFXXX)

Verlag: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389, Jahrgang 76

Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg

Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg

Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen

Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.

Titelbild: ÜbergängeFoto: Christina Muth/DVBS

Nächste Ausgabe (horus 3/2014): Schwerpunktthema: Medien im Wandel, Erscheinungstermin: 25. August 2014, Anzeigenannahmeschluss: 25. Juli 2014, Redaktionsschluss: 1. Juli 2014


ADDITIV!

Nachruf auf Dr. Hermann Gallhoff (Langfassung)

Fast gleichzeitig sind zwei Freunde von mir in den letzten Monaten gestorben. Es waren zwei Menschen, die auch ein ähnliches Schicksal getroffen hatte und die mit großer Willenskraft ihr Leben meisterten. Über das Schicksal von Karl Hansen ist in unserer Zeitschrift mehrfach berichtet worden, weshalb ich nach längerer Aussprache mit Karls Witwe auf einen eigenen Nachruf verzichtet habe und nur das eine eigenartige Erlebnis bei unserem gemeinsamen Besuch der Karls-Kathedrale in Aachen noch bringen möchte.

Hermanns Schicksal ist durch den Krieg tief gezeichnet worden:

In der Nacht nach Ostern 1943 ereilte ihn das Schicksal in der Gestalt des Bombenkrieges, der von allen Kriegsparteien mit "totaler" Rücksichtslosigkeit geführt wurde und weder Kinder noch Frauen oder alte Menschen verschonte. Eine Luftmine hatte in wenigen Sekunden das Haus zerstört. Sein Vater zog ihn im halbgesicherten Luftschutzkeller aus dem oberen Doppelbett, das mit Steinen und Schutt aus der Decke gefüllt war, heraus und trug ihn, den Weg durch die Trümmerschuttmassen und den Brandqualm, der durch zusätzliche Phosphorbomben entstanden war, bahnend ins Nachbarhaus; seine Brüder (7, 9 und 12 Jahre alt) drängten sich dicht hinterdrein. Seine Mutter mussten sie zurücklassen, denn sie war durch einen herabgestürzten Balken tödlich getroffen worden. Während sein Vater und seine Brüder unter den Phosphordämpfen und -Verbrennungen zu leiden hatten, machten ihm die zahlreichen, zum Teil sehr schweren Kopfverletzungen zu schaffen. Ihm war ein Sehrest von 5% verblieben. 18 Monate später nahmen Bomben seinem Vater das Leben und 5 der ganz nahen Verwandten! Hermanns Lebenswille und Stärke konnte man damals schon erkennen, denn er bejammerte seine Behinderung nicht. Das Leben ging, trotz der wahrhaftig herben Verluste und Einschnitte, weiter. Er verlor noch dazu einen weiteren Bruder durch die Nachwirkungen der Bombenverletzungen.

Hermann hat immer auf seine eigene Kraft und Möglichkeit vertrauen wollen und nur im Ausnahmefall Hilfe Dritter in Anspruch genommen. Dies bedeutete für ihn, dass er sportlich extrem übte und auch alle technischen Hilfsmittel zur Überwindung seines Sehschadens in Anspruch genommen hat.

Mit gleicher Kraft wandte er sich dem Studium zu und arbeitete an seiner Dissertati-on. Typisch für ihn war, dass er in einem kirchenrechtlichen Thema promovierte. Da er sich zur bekennenden Kirche hielt, waren ihm auch bestimmte kirchenrechtliche Dogmen ein juristisches Problem zur Bearbeitung. Mit seiner Dissertation war er mit den theologischen Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts befasst und hatte die Stellung der Pfarrer zu ihren geistlichen "Vorgesetzten" zu prüfen. Dabei hatte er sich mit der Bedeutung der zwei Sakramente (Taufe, Abendmahl) intensiver zu befassen. Hermann hatte sich zum Ziel gestellt, sowohl an zwei deutschen berühmten Universitäten, nämlich in Heidelberg und Freiburg, Jura zu studieren, während er an der Universität Heidelberg sich wohl vorwiegend mit Fragen der Theologie und des Rechts befasste, die aus dem Wunsche entstanden waren, sich intensiv auch mit Theologie zu beschäftigen. Insofern fühlte ich mich mit Hermann auch persönlich sehr verbunden, da ich selbst in München nicht nur an der Juristischen Fakultät sondern auch an der Theologischen Fakultät als Student eingeschrieben war, obwohl eine solche Doppeleinschreibung einer besonderen Genehmigung bedurfte. Damals bestand in München nur eine katholische theologische Fakultät, die ich aber dennoch wegen ihrer hohen Qualität häufiger besuchte, zumal ich ursprünglich auf dem Gebiet des Kirchenrechts in München promovieren wollte. Für mich bedeutete diese Entscheidung, nicht nur eine intensive Beschäftigung mit dem katholischen Kirchenrecht sondern auch eine Entscheidung zwischen zwei geschätzten Lehrern an der Universität München, nämlich dem protestantischen Prof. Johannes Heckel einerseits und dem neu berufenen katholischen Staatsrechtlicher Theodor Maunz. Ich hatte nebenbei auch noch das Studium der politischen Wissenschaften aufgenommen und graduierte an der Münchner Hochschule für Politik nach Abschluss meines juristischen Studiums, das ich an der Juristischen Fakultät ablegte. Meine Doktorarbeit bei Prof. Maunz betraf das Thema: Die Freiheit des Gewissens. Mit der Bearbeitung dieses Themas versuchte ich der Funktion des Grundrechts der Gewissensfreiheit eine eigene Stellung und Bedeutung im traditionellen Wort- und Freiheitsgebrauch der Formulierung: "Glaubens- und Gewissensfreiheit" zu gewähren. Hermann hatte uns damals sehr überrascht, als er sich plötzlich dafür entschied, an der Universität in Kapstadt das ethnologische Eingeborenenverwaltungs-Studium (Lower Diploma for Native Administration) zu absolvieren. Ich kann mich heute nicht mehr daran erinnern, ob die Wahl dieses Studiums damit verbunden war, seine theologischen Studien in Deutschland zu verbinden und eventuell zu vertiefen mit der Be-schäftigung der Anwendbarkeit theologischer Grundsatzfragen in einer ganz anderen religiösen Gedankenwelt. Hermann hatte sich offenbar sehr schnell in den südafrikanischen Dialekt eingearbeitet und hatte unserem gemeinsamen Freund Helmut Berger bei seinen Besuchen in Freiburg auch in relativ kurzer Zeit die tragenden Prinzipien dieser Eingeborenensprache vermitteln können. An dieser Stelle erlaube ich mir kurz einen Blick auf unseren früh verstorbenen Helmut Berger zu wenden, der vom Sprachstudium auf das Rechtsstudium übergegangen war und natürlich viele Fragen an Hermann hatte, der beide Aspekte, Sprache und Recht, verband. Damals entstand auch der Wunsch, eine gemeinsame Fahrt - so eine Art postgraduierte Klassenfahrt - an den Aachener Dom zu unternehmen, der ja der Sitz der neuen kaiserlichen Gewalt darstellte. Wir hatten uns auch historisch gut vorbereitet auf die damalige staatliche und religiöse Situation und versammelten uns zu einem Vortrag im Dom. Eine sehr bewanderte Führungskraft des Domes gab eine kurze Einführung und versuchte all die Fragen zu beantworten, die ihr unser Zuhörerkreis zuwarf. Erstaunt über die Belesenheit ihrer Zuhörer hätte sie fast den Vortrag abbrechen wollen, als unser gemeinsamer Freund, der uns allen bekannte und am Herzen liegende Karl Hansen aus Flensburg sie kräftig in die Arme nahm. Daraufhin nahm man die Legende, dass es im Aachener Dom spuke, nicht mehr so ernst. Danach sollte nämlich der Dom nicht mehr zeitgemäß fertig geworden sein, hätte man nicht einem bösen Geist ein lebendiges Wesen am letzten Tag der abgelaufenen Frist geopfert. Nachdem dieser Vertrag mit einem bösen Geist vereinbart war, ging die Führung ungestört zu Ende und man versammelte sich draußen vor den mächtigen Toren. Ich muss aber zugeben, dass ich sehr erschrak, als ich plötzlich bei der Untersuchung des sehr kunstvoll ausgearbeiteten Schlüssellochs entdeckte, dass hier etwas Lebendiges heraushing. Dieses Lebendige war der Anfang oder das Ende eines Wurmes oder eben ein natürlicher Wurmfortsatz. Das Erschrecken verwandelte sich bald in einen Lacherfolg, obwohl wir natürlich für solche Späße nicht recht aufgelegt waren. Mit dieser kleinen Einlage am Portal des Aachener Doms möchte ich zur Schilderung von Hermann fortfahren.

Ein neuer Lebensabschnitt begann 1962 mit der Eheschließung mit Elisabeth, eine ungewöhnliche Partnerin, die eine sehr umfangreiche Aktivität entwickelte. Sie schenkte Hermann nicht nur vier Kinder, sondern betrieb auch verschiedene Berufsausbildungen und Studien. Mir selbst ist das bei verschiedenen Gesprächen sehr bewusst geworden, zumal wir auf gewissen Gebieten von ähnlichen Gegenständen, wie zum Beispiel der Verbindung von Sprache und Recht, fasziniert waren.

Ein neuer Lebensabschnitt begann 1963 mit seinem Beruf als Richter. Diese Arbeit bedeutete, dass er sich in der Hauptsache dem Beruf widmen musste, aber dennoch Zeit übrig blieb für Familie und ehrenamtliche Aufgaben. Man möchte schon hier die Frage stellen, ob nicht eine Überbelastung für Hermann entstand, auf jeden Fall war es ein Wunder, dass er sich wichtigen und zeitraubenden Nebenaufgaben widmen konnte, wie zum Beispiel der evangelischen Kirchengemeinde Hattingen und der Wittener Waldorfschule.

Hermann übernahm aber eine zusätzliche Aufgabe, die ihn vielleicht mit der Zeit zu schwer wurde, nämlich eine Aufgabe im wiedervereinigten Deutschland. Gerade für den Teil der Verwaltung tätig zu werden, die nunmehr neu auf die westliche Jurisprudenz zukam. Hier möchte ich aus seinen Notizen folgendes wörtlich zitieren: "… Man kann nicht ohne erheblichen Unrechtsgrad einer Gesellschaft, die eine andere Entwicklung hinter sich hat, Gesetze überstülpen. Unsere Begriffe wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verloren bei kritischer Nachfrage an Gewicht und Glanz."

Im März 1995 wurde Hermann pensioniert, konnte aber nicht sogleich reisen und entspannende Beschäftigungen finden, da seine Gesundheit die jahrelange Überlastung wohl nicht ertragen hatte. Das von ihm geliebte Trompetenspiel in seiner evangelischen Kirche entfiel aufgrund eines schwerwiegenden Eingriffs in das Hörsystem. Der Versuch, die Lücke durch das Cello auszufüllen brachte auch nicht den erwünschten Erfolg. Hinzu kam, dass er mit Verpflichtungen sehr überlastet war, die er für den BKD (Bund der Kriegsblinden Deutschlands) übernommen hatte. Auch die Unübersichtlichkeit der Normierungen und die Schwierigkeiten der Betreuung des Landesverbands Westfalen und des Kriegsblindenhilfsvereins Westfalen e.V., der das Kursanatorium Hochsauerland, Haus der Kriegsblinden, in Brilon-Gudenhagen betrieb, erschwerten ihm die Arbeit wesentlich.

Die auf später verschobenen Reisepläne mit seiner Frau konnte Hermann nur zum Teil verwirklichen, so z. B. zwei Reisen nach Ägypten und eine nach China und Ti-bet, bis dann sein Gesundheitszustand völlig reduziert war. Er erfreute sich aber dennoch am Erleben, wie seine Enkelkinder heranwuchsen. Seinen eigenen Bericht schließt er mit einem Zitat aus dem 90 Psalm: "Unser Leben währet 70 Jahre und wenn es hoch kommt, so sind´s 80 Jahre; und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen."


Inhaltsübersicht

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horus 2/2014, Jg. 76

"Erfahrungen in der Fremde"

Vorangestellt

In eigener Sache

Schwerpunkt: "Erfahrungen in der Fremde"

  • Ronald Lutz: Soziale Erschöpfung
  • Norbert Kather: Was ist "Fremde", und was ist "Heimat"?
  • Claudia Rothe: Frühförderung von Kindern mit Behinderungen in Taiwan
  • Hanna Hagenauer: Israel: Das Land der Gegensätze
  • Barbara Unterbeck: Auf Augenhöhe - Entwicklungszusammenarbeit von Behinderten für Behinderte in Nordkorea
  • Britta Janaschke: Bericht über meinen Auslandsaufenthalt in Plaja D'Aro/Spanien
  • Christina Muth: "Und wie gehst du mit denen um?"
  • Mirien Carvalho Rodrigues: Magnet Brasilien

Bildung und Wissenschaft

  • Dr. Heinz Willi Bach: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik im Zeitalter der UN-Konvention über die Menschenrechte behinderter Menschen (UN-BRK)
  • Dr. Imke Troltenier: Neues Studienangebot: "Grundlagen inklusiver Pädagogik bei Blindheit und Sehbehinderung"

Bücher

  • Christina Muth: "Babys erstes Jahr" ist ab sofort als DAISY-Version erhältlich
  • Sabine Hahn: Hörtipps
  • Savo Ivanic: Buchtipps aus der blista

Panorama

  • Deutscher Hörfilmpreis 2014 geht an "Blutgeld" und "3096 Tage"
  • Frageliste für Deutschland beschlossen - Staatenprüfung auf 2015 verschoben
  • Mit der App in die Blindenbücherei
  • "Includio: Eine Slangradio-Sendung für Vereine und Verbände
  • BVN-Patientenforum - eine Erfolgsgeschichte geht weiter
  • Erste barrierefreie Dauerausstellung Deutschlands im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim

Barrierefreiheit und Mobilität

  • Isabella Brawata: Prickelnde Bilder - Die Tasse, die auf der Zunge liegt
  • "Mobilanwendungen gewinnen immer mehr an Bedeutung"
  • Jürgen Nagel und Sabine Lauber-Pohle: EU-Projekt "EOMADL - Network"
  • EU-Parlamentarier fordern Barrierefreiheit von Websites
  • Fabian Schwarz: Die Quadratur des Bankautomaten

Berichte und Schilderungen

  • Prof.Dr. Heinrich Scholler: Nachruf auf Dr. Hermann Gallhoff
  • Sophia Neises: Theater plus Pädagogik = ?
  • "Beeindruckender Einsatz für die Belange blinder und sehbehinderter Menschen

Aus der Arbeit des DVBS

  • Uwe Boysen: Michael Herbst verlässt den DVBS
  • Selbsthilfetage des DVBS vom 19. bis 21. Juni 2014 in Marburg
  • DVBS-Jahresbericht liegt vor
  • Terminvorschau

Aus der blista

  • Dr. Imke Troltenier in den blista-Vorstand gewählt
  • Dr. Imke Troltenier: blista kooperiert mit SAP

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