horus NR: 2 / 2010 - Jobs gestern und heute

Inhaltsverzeichnis

Vorangestellt

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Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder,

von hoch bezahlten Akademikern über die Arbeitssuchenden nach erfolgreicher Ausbildung bis hin zu Auszubildenden umfasst das Spektrum der Mitglieder des DVBS fast alles, was sich in der Arbeitswelt tummelt oder gern tummeln würde. Doch ist und bleibt es schwierig für unsere Mitglieder, die für sie angemessene Beschäftigung zu finden oder sie trotz Verschlechterung ihres Sehvermögens zu behalten. Das schmerzt, weil wir wissen, dass viel Engagement und Herzblut dieser Menschen in ihre Qualifikation eingeflossen sind. Mit diesen Erfahrungen stehen wir zwar nicht allein in der deutschen Arbeitswelt. Gleichwohl müssen schwerbehinderte Menschen nach wie vor einen größeren Graben an Misstrauen und Unglauben überwinden, bevor sie - hoffentlich - eine angemessene Beschäftigung finden.

Dabei macht mir vor allem Sorge, dass es anscheinend in den letzten Jahren nur wenige neue Berufswege gibt, die sich blinden und sehbehinderten Absolventen öffnen, auch wenn Petra Baader in diesem Heft dokumentiert, welche Anstrengungen dazu unternommen werden. Hier voranzukommen, aber auch erst einmal verlässliche Daten über die Beschäftigungssituation blinder und sehbehinderter Menschen zu sammeln, wie Dr. Heinz Willi Bach es überzeugend fordert, ist eine große Aufgabe der Bildungsträger, aber auch für den DVBS, die wir in den nächsten Jahren unbedingt angehen müssen; denn wir können in der sich mit atemberaubendem Tempo entwickelnden und verändernden Arbeitswelt nicht davon ausgehen, dass die Jobs von heute auch noch die Jobs von morgen sein werden. Zumindest werden sie sich inhaltlich stark verändern, mehr auf Informationstechnik und wahrscheinlich auch noch mehr auf Konkurrenz ausgerichtet sein, als wir uns das heute vorstellen.

Wir werden diese Veränderungen nicht allein maßgeblich beeinflussen können. Wir werden uns aber Bündnispartner in der Gesellschaft suchen müssen, mit deren Hilfe wir uns gemeinsam dafür einsetzen, die Arbeitswelt nicht bloß aus der Sicht der Buchhalter zu betrachten, sondern Arbeit weiterhin als Mittel zu begreifen, gesellschaftliche Anerkennung zu erwerben. Wir können und dürfen nicht nur auf soziale Vergünstigungen vertrauen, sondern müssen auch unter beweis stellen, dass wir heute und morgen bereit und in der Lage sind, verantwortungsvolle, qualifizierte Arbeitsstellen in einer Weise auszufüllen, die unsere Leistungsfähigkeit unter Beweis stellt. Unterstützen wir uns gegenseitig bei der Erfüllung dieser Herausforderungen, indem wir unser Wissen untereinander weitergeben und in der Öffentlichkeit und an unserem Arbeitsplatz kreativ mit den uns gestellten Herausforderungen umgehen.

Das wünscht sich und uns

Ihr und Euer

Uwe Boysen


Schwerpunkt: Jobs gestern und heute

Mit neuem Auftrag wieder am Start: ZAV-Vermittlung für Akademiker/innen mit Behinderung

Seit Herbst 2009 ist die Vermittlungsstelle für schwerbehinderte Akademiker der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit (BA) wieder für die Betroffenen aktiv. Das Team besteht aus Susanne Gläsel (Jura, Wirtschaftswissenschaften), Christina Stabel (Geisteswissenschaften), Torsten Prenner (Medizin, Naturwissenschaften) und Reiner Schwarzbach (Ingenieurwissenschaften, Informatik). Horus sprach mit ihnen über die heutige und künftige Arbeitsweise und Berufschancen blinder und sehbehinderter Akademiker.

horus: Die ZAV wurde nicht einfach wieder eingerichtet. Zu viel hatte sich in der Folge des Inkrafttretens der "Hartz IV Gesetze" und der Restrukturierung der BA seit 2005 verändert. Wie ist die ZAV denn heute in der Organisationsstruktur der BA verortet?

Reiner Schwarzbach: Im Fokus steht heute das Einwerben von Stellenangeboten vorwiegend bei öffentlichen Arbeitgebern, die sich zuvorderst an Akademiker/innen mit Behinderung richten. Das bedeutet professionelles Networking, also Kontaktpflege zu Arbeitgebern. Neben der Einwerbung von Stellenangeboten gehört auch die Initiierung von Beschäftigungsprojekten dazu.

Torsten Prenner: In der Jobbörse der BA finden sich dann diese Stellenangebote - wenn man bei der Suche die Kennzeichnung "ausschließlich für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen" setzt. Über die Jobbörse unter www.arbeitsagentur.de kann man sich inzwischen bequem über aktuelle Angebote informieren. Insbesondere von Akademiker/innen kann erwartet werden, sich methodisch und professionell auf dem so transparenten Stellenmarkt zu orientieren.

Christina Stabel: Natürlich vermitteln wir auch "klassisch". Schwerpunktmäßig ist es unsere Aufgabe, dem Arbeitgeber passgenau Bewerber vorzuschlagen.

horus: Welche Betroffenen dürfen Sie denn heute vermitteln, sprich: Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um auf Ihre Unterstützung bei der beruflichen Eingliederung hoffen zu dürfen?

Susanne Gläsel: Wir greifen natürlich auf den Pool aller in Deutschland gemeldeten schwerbehinderten Akademikerinnen und Akademiker zu. Besondere Aufmerksamkeit widmen wir jedoch denen, die in besonderer Weise von Behinderung betroffen sind, die also zum Beispiel für die Ausübung ihrer Tätigkeit eine Assistenzkraft brauchen, oder deren Beschäftigung für den Arbeitgeber mit besonderem Aufwand verbunden ist. Das gilt auch für Menschen, die von einer Anfallserkrankung betroffen sind.

horus: Früher durfte man sich als arbeitsuchender Akademiker direkt an Sie und Ihr Team wenden. Heute läuft das anders. Wie?

Christina Stabel: Reibungslos gerät die Kontaktaufnahme, wenn wir durch die in den Arbeitsagenturen und Jobcentern zuständigen Fachkräfte eingeschaltet werden.

horus: Ehedem umfasste Ihre Datenbank 1.200 Arbeitssuchende. Wie viele sind es derzeit und wie ist die Tendenz?

Torsten Prenner: Wie schon gesagt, greifen wir auf den gesamten, in der BA gemeldeten Bewerberpool zu. Damit ist das Problem gelöst, dass es früher zuweilen vom Zufall abhing, wer mit der ZAV in Kontakt kam.

horus: ...und wie schaut es mit offenen Stellen aus?

Susanne Gläsel: Da jede Stelle grundsätzlich für Menschen mit Behinderung geeignet ist, greifen wir auf die komplette Stellenbörse zu - und ergänzend noch auf Angebote, die wir speziell für Menschen mit Behinderung bekommen. Tatsächlich ist es so, dass wir häufiger Schwierigkeiten haben, Stellen zu besetzen, weil sich niemand mit entsprechender Qualifikation anbietet. Aktuell suchen wir zum Beispiel Juristinnen und Juristen mit vollbefriedigenden oder guten Examensnoten.

horus: Was muss man als Arbeitgeber eigentlich tun, um von der ZAV einen qualifizierten Bewerber zu bekommen?

Reiner Schwarzbach: Anrufen oder mailen und den Personalbedarf melden.

horus: Wenn Sie dann Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammengebracht haben, geht der Papierkram erst richtig los, nicht wahr? Eingliederungszuschuss, technische Hilfen, Arbeitsplatzassistenz... - können Sie beiden Seiten hier noch helfen oder ist das dann wieder Sache des Arbeitsvermittlers vor Ort?

Susanne Gläsel: Das wird inzwischen alles von den Arbeitsagenturen bzw. ARGEn erledigt. Selbstverständlich begleiten wir den Prozess und helfen bei Rückfragen.

horus: Außer dem Arbeitgeber-Networking und der Berufsvermittlung hat die "ZAV 2010" noch weitere Aufgaben. Welche?

Reiner Schwarzbach: Wir halten inzwischen engen Kontakt zu den Vermittlungsfachkräften in den Arbeitsagenturen und in den Jobcentern. Für sie geben wir einen wöchentlichen Newsletter heraus und pflegen in unserem Intranet eine gemeinsam genutzte Informationsbasis. Soeben haben wir speziell für Menschen mit Behinderung eine Broschüre veröffentlicht, die Wissenswertes zur Arbeitsuche nach dem Studium enthält.

horus: Die BA erfasst bislang ihre "Kunden" nicht nach Art der Behinderung. Das soll sich in nächster Zeit ändern, aber noch ist es nicht so weit. Wie können Sie dann aber erkennen, ob es sich zum Beispiel um einen blinden Arbeitssuchenden handelt? Kann der Betroffene eventuell selbst helfen?

Reiner Schwarzbach: Ja, zuweilen gibt es Stellenangebote, die mit bestimmten Behinderungsarten verknüpft sind. Aber bei diesen geht es nicht um das Vorliegen bestimmter Behinderungen, sondern um das Vorhandensein bestimmter Qualifikationen wie die Beherrschung der Brailleschrift oder der Deutschen Gebärdensprache oder einer Qualifizierung in Peercouncelling. Ich denke, wir müssen uns alle von einem Denken in Defizit-Kategorien lösen. Wichtig ist doch, was ein Mensch kann und wie motiviert er ist.

horus: Unter den DVBS-Mitgliedern gibt es eine Erwerbslosenquote von 17,8 %. Sie steigt seit Jahren an. Über die Erwerbssituation von Blinden allgemein heißt es, nur jeder dritte hätte einen Arbeitsplatz. Gut, traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast. Die Datenlage ist lausig. Aber fragen wollen wir doch: Sind blinde Arbeitssuchende aus Ihrer Erfahrung heraus vergleichsweise schwer zu vermitteln?

Reiner Schwarzbach: So undifferenziert ist die Frage nicht zu beantworten. Blind ist nicht gleich blind und die beruflichen Möglichkeiten unterscheiden sich sehr stark zwischen den Fachbereichen.

horus: Die oben genannten Zahlen zeigen aber auch, dass Qualifikation gerade für Blinde und Sehbehinderte der Schlüssel zur beruflichen Eingliederung ist. Der DVBS ist in Berufsfachgruppen gegliedert. Bei den Juristen - um nur zwei Beispiele herauszugreifen - herrscht beinahe Vollbeschäftigung. Bei den sozialen Berufen hingegen nähern wir uns einer Erwerbslosenquote von 30 %. Entspricht das auch Ihrer Beobachtung und wie erklären Sie sich das?

Susanne Gläsel: Ja, das kann ich so bestätigen. Wir suchen ja momentan nach Juristinnen und Juristen für verschiedene Arbeitgeber.

Christina Stabel: In den sozialen Berufen - und in den Geisteswissenschaften - sieht es nicht so gut aus. Dort sind die Chancen für blinde Stellenbewerberinnen und -bewerber deutlich schlechter, weil aufsuchende Tätigkeiten oder Tätigkeiten mit Aufsichtsverpflichtung oft von vornherein ausgeschlossen werden.

horus: Bleiben wir noch einen Moment bei den sozialen Berufen. Sie haben schon behinderte Pädagogen, Soziologen, Sozialarbeiter etc. in Lohn und Brot gebracht. Gibt es hier ein Erfolgsrezept?

Christina Stabel: Wenn wir das hätten… Meist lässt sich der Erfolg nur durch Zähigkeit und Fleiß erarbeiten. Zum Beispiel, indem eine größere Anzahl von Arbeitgebern angesprochen wird. Auch die Bereitschaft zu regionaler Mobilität erhöht natürlich die Chancen. Elementar ist, dass die "Chemie" zwischen Stellenbewerber/in und Arbeitsvermittler/in stimmt. Missverständnisse verhindern die Nutzung der wenigen realistischen Chancen.

horus: Was Sie früher stark betrieben haben war, Projekte aufzulegen, um behinderte Akademiker beruflich einzugliedern. Man denke nur an das Projekt "Tandempartner der Wissenschaft". Werden Sie sich in diesem Bereich auch künftig umtun und steht vielleicht schon ein Projekt in den Startlöchern?

Reiner Schwarzbach: Gerade eben haben wir ein Programm für schwerbehinderte Arbeitssuchende mit Bachelor-Abschluss gestartet. Mit einem Ministerium sind wir nun kurz vor der Realisierung eines Nachwuchsführungskräfteprogramms. Ich sehe es nach wie vor für absolut notwendig an, mit solcher Art guter Beispiele zu motivieren.

horus: Herzlichen Dank für Ihre informativen Antworten!

Das Interview führte Michael Herbst.

Informationen und Bestellung:

  • "Studium? Arbeitslos? Behindert? Chronisch krank? - Erfolgreich bewerben!". Hrsg. Bundesagentur für Arbeit, Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV), Villemombler Str. 76, 53123 Bonn, www.zav.de, November 2009. Zur Bestellung der 36-seitigen Broschüre wenden Sie sich bitte per E-Mail an die ZAV (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).
  • "Leistungen an Arbeitgeber, die behinderte oder schwerbehinderte Menschen ausbilden oder beschäftigen". Eine Broschüre der Initiative "job - Jobs ohne Barrieren" (www.jobs-ohne-barrieren.de). Bestellnummer A716. Hrsg. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Information, Publikation, Redaktion. 53107 Bonn. Juni 2008. Bestellungen der 48-seitigen Broschüre sind möglich unter Telefon: 0180 5151510, Fax: 0180 5151511, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! und per Post an obige Anschrift.

Viel zu erzählen!

Ja, der horus 2 aus 2010 war für den 16. Mai angekündigt. Und, haben wir den heute? Nein, es ist der 7. Juni geworden. Wäre da nicht ein Wort der Entschuldigung angebracht? Ja, auf jeden Fall: Entschuldigen Sie bitte vielmals! Akuter Fall von Frühjahrsmüdigkeit bei den horus-Machern? Nein, akuter Fall von Arbeitsüberlastung in Folge von vorübergehender Personalknappheit. Ach, es gibt so viel zu erzählen...

Carl Linus heißt er, 53 Zentimeter war er am 15. April kurz und seine Eltern sind sooo happy. Die Redaktion gratuliert Susanne Schmidt und ihrem Partner sehr herzlich zur Geburt ihres ersten Sohnes.

Dr. Imke Troltenier heißt sie, die Vertretung von Susanne Schmidt beim DVBS. Am 7. April bevölkerte sie erstmals ihren neuen Schreibtisch. Viele, viele Eindrücke brachen über sie herein und viel Zeit zum Verarbeiten hatte sie nicht. Sabine Hahn überbrückte in der DVBS-Geschäftsstelle seit Februar das entstandene personelle horus-Vakuum; und dies neben ihren üblichen Aufgaben. Nun stand sie vor Imkes Schreibtisch: "Da wäre ein horus zu produzieren; ich helfe Dir..." Danke den beiden für ein gelungenes Erstlingswerk. Dr. Troltenier, deren Namen man niemals nie nicht französisch aussprechen sollte, stellt sich Ihnen im nächsten Heft vor und vielleicht erklärt sie Ihnen dann auch, warum es norwegisch besser trifft.

"Behinderte Dialoge" heißt schließlich das Schwerpunktthema des horus 3/2010. Dass Blindheit und Sehbehinderung Mobilitäts- und Informationsbehinderungen sind, ist weithin anerkannt. Doch, so denken wir, sie sind auch Handicaps in der Kommunikation. Wie war das doch einst im Kindergarten, unter sehenden Mitschülern, beim Flirten, im Bewerbungsgespräch...? Wir suchen Ihre Erfahrungen, Ihr Wissen, Ihre Forschungsergebnisse... Über Ihre Beiträge freut sich die Redaktion bis zum 28. Juni. Der horus 3/2010 erscheint dann pünktlich am 16. August - hoffentlich! Nun aber zu "Jobs - gestern, heute, morgen".

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Brustbild von DVBS-Geschäftsführer Michael Herbst. Er telefoniert freundlich lächelnd. Bildunterschrift: DVBS-Geschäftsführer Michael Herbst. Quelle: DVBS (sus).


Lebenslagen blinder und sehbehinderter Menschen: Große Defizite in der empirischen Datenlage - Handlungsbedarf ist unabdingbar

Die Selbsthilfeorganisationen der blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland nehmen die Belange und Interessen dieser Personengruppe in umfassender Weise wahr. Zu den bevorzugten Arbeitsgebieten zählen schulische und berufliche Bildung in behinderungsadäquater Weise, Kulturarbeit, Barrierefreiheit in blinden- und sehbehindertenspezifischer Sicht, Ausgleich von behinderungsbedingten Nachteilen, materielle Sicherung des Lebens und Teilhabe am beruflichen und Erwerbsleben.

Die nachfolgenden Ausführungen nehmen das gesamte Dilemma der empirischen Defizite ins Visier und beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit dem gesellschaftlichen Subsystem Arbeit und Beruf, Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit und berufliche Bildung blinder und sehbehinderter Menschen.

Mangel an statistischer Differenzierung

Rationale Politik, staatliche wie die der interessenpolitischen Vertretung, basiert auf empirischen Strukturaussagen zum zu gestaltenden Bereich, hier der Lebenslage blinder und sehbehinderter Menschen. Leider muss man feststellen, dass die amtliche Statistik in Deutschland nur sehr mangelhaft Auskunft über diesen Bereich zu geben vermag. Andere Länder, z.B. Österreich, sind uns da weit voraus.

Es existiert zwar im zweijährigen Erhebungsrhythmus eine differenzierte Schwerbehindertenstatistik. Diese gibt einige Auskunft über den Personenkreis schwerbehinderter Menschen hinsichtlich Alter, Art und Zahl der Behinderungen u. a. m. Sie erlaubt hingegen  nicht die Verknüpfung mit anderen Statistiken, etwa des Mikrozensus oder der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Das bedeutet, dass sozioökonomische und soziokulturelle Aussagen differenziert nach Art der Behinderung(en) nicht möglich sind.

Beim Mikrozensus wird derzeit im vierjährigen Rhythmus danach gefragt, ob sich in der Familie eine oder mehrere schwerbehinderte Person(en) befinden. Des Weiteren wird nach dem Grad der Behinderung, nicht jedoch nach der Art der Behinderung(en), gefragt. Die Verknüpfung dieser Aussagen mit den Ergebnissen aus den vielen übrigen Bereichen des Mikrozensus ist gegeben. Man kann sehr differenzierte Aussagen über die Lebenslage behinderter Menschen schlechthin machen. Mangels Erhebung der Art der Behinderung(en) sind jedoch Aussagen zur Lebenslage und den Möglichkeiten zur Lebensgestaltung bei blinden, sehbehinderten, hörbehinderten, körperbehinderten Menschen nicht möglich. Dies ist ein unhaltbarer Zustand, zumal einer Differenzierung nach Behinderungsart keine objektiven Barrieren entgegenstehen. Es fehlt bislang schlicht am politischen Willen.

Auch die Geschäftsstatistik der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht lediglich Angaben zur Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen, ebenfalls nicht differenziert nach Behinderungsarten. Der amtlichen Statistik können wir nicht entnehmen, wie viele blinde Menschen sich in Arbeitslosigkeit befinden, ganz zu schweigen von weiter differenzierenden Angaben. So ist z.B. durchaus vorstellbar, dass gut gemeinte staatliche Programme zur Förderung der Beschäftigung behinderter Menschen durch die Selektionsmechanismen auf den Arbeitsmärkten an blinden und anderen besonders schwer behinderten Arbeitslosen vorbeilaufen. Zumindest ist nicht statistisch nachweisbar, welchen Effekt Förderprogramme oder andere Maßnahmen auf bestimmte Behindertengruppen aufweisen.

  • DVBS und DBSV sind daher gemeinsam an die Bundesregierung, konkret das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, herangetreten, um zu bewirken, dass zukünftig der Mikrozensus Angaben zur Art der Behinderung oder chronischen Krankheit umfasst. Dies, damit endlich eine differenzierte Sozialberichterstattung mit validen Strukturdaten erfolgen kann.
  • DVBS und DBSV haben sich außerdem an die Leitung der Bundesagentur für Arbeit gewandt mit dem Begehren, nach nunmehr nahezu zwanzig Jahren eine neue "Blindenstudie" (s. u.) im Rahmen einer "Behindertenstudie" zu erstellen, die unbedingt nach Art der Behinderung differenzieren muss.

Erwerbsarbeit als Chance zur sozialen Inklusion und Teilhabe an sozialen Prozessen

Unter soziologischen Gesichtspunkten kann man Beruf als Vielfalt individueller und kollektiver Handlungsmöglichkeiten betrachten. In einer modernen (spät)kapitalistischen Gesellschaft ermöglichen Berufe nicht nur den Zugang zur Erwerbsarbeit und zur Einkommenssicherung. Durch Berufstätigkeit sind auch die Chancen zur gesellschaftlichen Partizipation, zur Teilhabe an sozialen Netzwerken, zur Qualifizierung und Weiterbildung sowie zur sozialrechtlichen Lebenssicherung verteilt. Ebenfalls sind die berufsspezifisch ungleichen Chancen und Risiken bei der Beschäftigung und bei Krankheit und Gesundheit, nicht zuletzt bei der subjektiv empfundenen Lebensqualität  nachgewiesen. Arbeit und Beruf regeln somit den Zugang zu gesellschaftlichen Verteilungsprozessen. Dies gilt in einer Gesellschaft, in der die Freizeitanteile zunehmen und der Stellenwert von Arbeit auf der subjektiven Werteskala abnimmt. Weitaus stärker gilt dies bei hoher persistierender Arbeitslosigkeit, beim Zwang zur Anpassung an globalisierte (Arbeits-)Märkte durch steigende Anforderungen an das Potenzial von Erwerbspersonen, bei Ausgliederung aus dem Arbeitsmarkt (z.B. durch Frühverrentung oder Grundsicherung für u. a. behinderte Menschen nach SGB XII), schließlich der Gefahr der dauerhaften Abhängigkeit von "Grundsicherung für Arbeit Suchende" entsprechend SGB II.

  • Vor diesem berufssoziologischen Hintergrund kommt der Erwerbstätigkeit blinder und sehbehinderter Menschen nicht nur eine sozialpolitische und Einkommen sichernde Bedeutung zu. Erwerbsarbeit bedeutet vielmehr auch die Chance zur sozialen Inklusion und Teilhabe an sozialen Prozessen.
  • Die Verwirklichung und der Erfolg in der beruflichen Sphäre sind darüber hinaus geeignet, behinderungsbedingt eingeschränkte oder gänzlich fehlende Möglichkeiten der Teilhabe in anderen Bereichen der Lebensgestaltung zu kompensieren.

Blackbox: Berufliche Situation von blinden und sehbehinderten Personen seit Mitte der neunziger nicht mehr erforscht

Basierend auf einer Reihe empirischer Studien der achtziger und neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gibt es deutliche Anzeichen für eine geringe Erwerbsbeteiligung und berufliche Inklusion von blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen. Dennoch muss man feststellen:

Die berufliche Situation von blinden und sehbehinderten Personen im Erwerbsalter ist mangels differenzierter empirischer Strukturdaten in Deutschland bislang wenig erforscht.

Dieser eklatante Mangel wurde kürzlich von der Europäischen Blindenunion kritisiert. Er gerät auch zunehmend in den Fokus der Institutionen der EU.Die wenigen bekannten, leider mittlerweile veralteten Studien seien nachfolgend kurz referiert. Nicht nachvollziehbar ist, dass auf diesem Gebiet seit etwa Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts faktisch nichts mehr geschehen ist.

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat 1987 über die berufliche Situation von blinden und hochgradig sehbehinderten Personen in Westfalen-Lippe berichtet. Die von der Hauptfürsorgestelle in Münster durchgeführte schriftliche Vollerhebung bei mehr als 2.700 Landesblindengeldempfängern im erwerbsfähigen Alter ermittelte 1982 eine Erwerbsbeteiligung von rd. 23%; aufgrund einer Nachbefragung von 1985 wurde diese Quote auf 17% korrigiert. Die Erwerbsarbeit der befragten Landesblindengeldempfänger beschränkte sich der Untersuchung zufolge auf einen äußerst engen Bereich von sog. Blinden-Berufen.

Das enge Spektrum beruflicher Tätigkeiten bei blinden und hochgradig sehbehinderten Erwerbstätigen bestätigte eine 1984 vom Bayerischen Blindenbund durchgeführte Untersuchung. Insgesamt wurden 3.825 Personen angeschrieben und um Beantwortung eines Fragebogens gebeten. Es antworteten 1.909 Befragte; dies entspricht einem Rücklauf von 52%. Anders als die Münsteraner Untersuchung schätzte diese Studie die Erwerbsquote von Blinden im erwerbsfähigen Alter von 18 bis 60 Jahren auf 29%.

Im Frühjahr 1994 erschienen die Ergebnisse einer schriftlichen Befragung bei Personen mit degenerativen Netzhauterkrankungen. Etwa 1.800 Mitglieder der Deutschen Retinitis Pigmentosa-Vereinigung (PRO RETINA Deutschland e. V.) wurden beteiligt; 597 Fragebögen zurückgesandt, 374 davon gelangten in die Analyse. Im Anschluss befragte man 29 Betroffene in einem mehrstündigen Interview. Ziel der Studie war es, Hilfestellungen und Empfehlungen für diesen Personenkreis zu erarbeiten.

Diese Untersuchungen sind wichtige Beiträge zur Aufhellung der Blackbox, die die berufliche Integration und Erwerbssituation von Blinden umgibt. Alle drei Studien unterliegen allerdings denselben methodischen Unsicherheiten und Einschränkungen, die aus der Schriftform der Befragung erwachsen. Vor allem Personen, die selbst mit Lesehilfen keine Schwarzschrift lesen können, sind bei der Beantwortung auf die Unterstützung Dritter angewiesen. Wegen der möglichen Auswirkungen auf das Antwortverhalten ist dies eine unglückliche Situation. Dies gestehen die Autoren der Untersuchungen selbstkritisch zu und führen als Indiz den hohen Anteil der fehlenden Antworten bei Themenbereichen wie "Arbeitssuche" und "frühere Erwerbstätigkeit" an. Darüber hinaus erschweren die Selektivität der Stichproben, die niedrigen Ausschöpfungsraten und fehlende Informationen über die Stichprobenausfälle eine Bewertung der Repräsentativität der Ergebnisse.

Die oben bereits erwähnten Anzeichen für eine geringe Erwerbsbeteiligung und berufliche Teilhabe von blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen wirkten alarmierend. Die Hauptfürsorgestelle Köln im Landschaftsverband Rheinland hat deshalb 1992 die sog. "Blindenbefragung" in Auftrag gegeben, die methodisch sichere Antworten auf folgende Fragen geben sollte:

  • Wie ist die soziale und ökonomische Lage der Blinden und hochgradig Sehbehinderten?
  • Wie groß ist der Anteil der erwerbstätigen und der nichterwerbstätigen Blinden?
  • Was sind die Ursachen und Hintergründe für die Nicht-Erwerbstätigkeit?
  • Wo liegen die Chancen und Risiken für die Beschäftigungsaussichten blinder Menschen?
  • Welche Empfehlungen können für eine verbesserte Integrations- und Beschäftigungspolitik für Blinde gegeben werden?

Durch persönliche, leitfadengestützte Interviews wurden mehr als 1.000 blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen befragt, die aus der sogenannten Blindengelddatei des Landschaftsverbandes nach Zufallsprinzip ausgewählt worden waren. Diese Teilstudie gab Aufschluss über den Erwerbsstatus, die biographische Entwicklung, den Gesundheitszustand und die sozioökonomische Situation der Befragten.

Auf der Grundlage dieser "Blindenbefragung" wurden auch die Arbeitgeber befragt. Weiterhin äußerte sich eine Auswahl von 17 Experten aus den Bereichen der Behinderten-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, aus dem medizinischen- dem Sozialversicherungs- und dem Bildungssektor anhand von qualitativen Interviews. Diese bisher umfassendste und "aktuellste" Studie wurde 1994 fertig gestellt und als Ergebnisbericht und Tabellenband veröffentlicht (s. u.).

Erneute Forschungsbemühungen unabdingbar: Rationale Politik benötigt valide differenzierte Daten

Seit dieser Zeit ist "nichts mehr geschehen". Auf eine Dekade, in der zumindest vier ernst zu nehmende Studien zur Arbeits- und Lebenssituation blinder und sehbehinderter Menschen durchgeführt worden sind, folgt ein nunmehr 15 Jahre andauerndes Vakuum - sieht man einmal ab von einer Reihe von Studienarbeiten, zumeist aus dem sonderpädagogischen und psychologischen Bereich, die sich mit Spezialaspekten befassen.

Es fehlen Ansätze zur Erklärung dieser Agonie, dieser Diskontinuität. Anzeichen dafür, dass sich die Lage der Zielgruppe verbessert hat, dass daher "Entwarnung" angesagt wäre, sind nicht zu erkennen. Vielmehr fällt in diese Zeit z.B. die fortdauernde ökonomische Transformation des Beitrittsgebiets mit vielfältigen Auswirkungen auf den Arbeitsmärkten. Die Auswirkungen auf blinde und sehbehinderte Menschen in Ost und West sind meines Wissens überhaupt nicht erforscht worden. Dies und weitere ökonomische und soziale Problemlagen (Stagnation, rezessive Tendenzen, Strukturwandel, ...) machen erneute Forschungsbemühungen unabdingbar.

Bis eine neue Studie zur Bildungs-, Arbeits- und Lebenssituation blinder und (hochgradig) sehbehinderter Menschen angestoßen, projektiert, durchgeführt und veröffentlicht ist, werden zumindest zwei bis drei Jahre vergehen.

  • DVBS und DBSV setzen sich bei der Bundesregierung dafür ein, dass der Mikrozensus endlich so gestaltet wird, dass valide differenzierte Aussagen über die Situation sehgeschädigter Menschen möglich werden. Bei der Bundesagentur für Arbeit machen wir uns dafür stark, dass erneut eine Studie wie die des Landschaftsverbandes Rheinland der neunziger Jahre durchgeführt wird. Wir erwarten darüber hinaus, dass die Geschäftsstatistik der Bundesagentur für Arbeit so gestaltet wird, dass die Situation blinder und sehbehinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt transparent wird.

Quellen:

  1. Ritz, Hans-Günter: Landesblindengeldempfänger im Erwerbsalter. Ergebnisse einer Erhebung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe bei 1686 Blinden und hochgradig Sehbehinderten. Hrsg.: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Hauptfürsorgestelle. Münster 1987.
  2.  König, Paul: Die soziale und berufliche Situation blinder und hochgradig sehbehinderter Erwerbspersonen in Bayern. Ibv-Doku-Ausgabe 14/87 zu ibv 35 vom 26. August 1987.
  3. Meyer, Leonard, Konrad Gerull u. Rainald von Gizycki: Ratgeber zur beruflichen Rehabilitation von Personen mit fortschreitender Sehbehinderung. Hrsg.: BMA: Forschungsberichte Sozialforschung Bd. 237. Berlin u.a. 1994.
  4. Schröder, H.: Die Beschäftigungssituation von Blinden. Ausgewählte Ergebnisse einer Befragung bei Blinden und Unternehmen. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Jahrgang 30, Band 2/1997, S. 502 - 513. http://doku.iab.de/mittab/1997/1997_2_MittAB_Schroeder.pdf.

Zum Autor:

Dr. Heinz Willi Bach ist Diplom-Volkswirt. Er war viele Jahre Dozent und Schwerbehindertenvertreter an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Mannheim. Zuvor war er zehn Jahre in der Praxis der Arbeitsverwaltung tätig. Seit 2009 ist er wissenschaftlicher Oberrat beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Gegenwärtig ist er zur Hochschule der Bundesagentur für Arbeit abgeordnet und führt dort ein empirisches Forschungsprojekt durch.

Motiv 1 in der Schwarzschriftausgabe: Portrait von Dr. Heinz Willi Bach. Er trägt einen Anzug mit Schlips. Bildunterschrift: keine. Foto: DVBS (sus).

Motiv 2: "Business-Mann mit weißem Stock", der Ausschnitt zeigt Anzug, Krawatte und Hand mit Griff des Stocks. Bildunterschrift: Wissen wo's lang geht! Eine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik braucht differenzierte Daten. Foto: DVBS (sus).


Nichtakademische Berufe für Blinde und Sehbehinderte - gestern, heute und morgen

Ein Teilnehmer der blindentechnischen Grundrehabilitation im Berufsförderungswerk (BFW) Würzburg überraschte uns heute mit dem Berufswunsch Fensterputzer. Die sicher nicht ganz ernst gemeinte Aussage gibt Anlass zum Nachdenken: Wie sehen die nichtakademischen Berufe für Blinde und Sehbehinderte jetzt und zukünftig aus? Welche Besonderheiten gibt es aus Sicht der BFW?

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der BFW für blinde und sehbehinderte Menschen waren vor ihrer Seheinschränkung meist berufstätig und können ihre bisherige berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben. Mit Unterstützung der BFW in Düren, Halle, Würzburg und Mainz (als Spezialeinrichtung für den physikalischen Bereich) verschaffen sich die Betroffenen neue berufliche Perspektiven. Hierzu absolvieren die Teilnehmenden individuelle Qualifizierungs- und Integrationsmaßnahmen mit unterschiedlicher Dauer.

Die staatlich anerkannten Ausbildungsberufe sollen hierbei als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Regel die Dauer von zwei Jahren nicht überschreiten. Eine vergleichbare Erstausbildung dauert oft länger. Menschen, die erst im Erwachsenenalter die Blindentechniken erlernt haben, müssen also in einer relativ kurzen Zeit die Anforderungen einer staatlich anerkannten Ausbildung bewältigen, obwohl ihre Arbeitsgeschwindigkeit Sehenden gegenüber zunächst verlangsamt ist. Je nach Berufsbild stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Die Nachfrage nach kürzeren, einjährigen Qualifizierungen oder noch komprimierteren Qualifizierungsbausteinen und -modulen hat seitens der Rehaträger in den vergangenen Jahren zugenommen. Dieser Trend macht es den BFWen und ihren Teilnehmern nicht gerade leichter.

63 Berufe für Blinde und Sehbehinderte

Von den rund 350 staatlich anerkannten Ausbildungsberufen ist leider nur ein Bruchteil für Blinde und Sehbehinderte geeignet. Auf der Homepage des Netzwerks berufliche Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen (NBT) sind 63 Berufe für Blinde und Sehbehinderte aufgelistet, die in den Berufsbildungs- und Berufsförderungswerken angeboten werden. Eine Vielfalt, von der historische Persönlichkeiten der Blindenbildung wie etwa Louis Braille sicherlich nicht mal zu  träumen wagten.

Technologische Entwicklungen erweitern das Spektrum

Einige der Berufe für Blinde und Sehbehinderte sind erst durch die Entwicklung des Computers und der blindentechnischen Hilfsmittel möglich geworden. Für viele Arbeitsplätze gibt es heute erstaunliche technische Anpassungen, die eine berufliche Integration in für Blinde und Sehbehinderte "ungewöhnlichen" Berufen möglich machen. Neue Lernmethoden wie E-Learning sind auch für Blinde und Sehbehinderte nutzbar und beispielsweise im BFW Würzburg Alltag geworden.

Zukünftige Berufe und Arbeitsplätze für Blinde und Sehbehinderte sind demnach eng mit der Weiterentwicklung der Technik und des Computers verknüpft. Telefonisten arbeiten heute nicht mehr mit Telefonapparaten, sondern an softwarebasierten Systemen und mit Headsets statt Telefonhörern. Blinde und Sehbehinderte werden sicher weiterhin schwerpunktmäßig in kaufmännischen und Verwaltungsberufen sowie in Berufen der Informations- und Telekommunikationstechnik tätig sein.

Demografischer Wandel steigert Nachfrage im Gesundheitswesen

Die Berufe im Gesundheitswesen wie Masseur und Physiotherapeut, aber auch Schreibkräfte im medizinischen Bereich, wie der Fachangestellte für Medien und Informationsdienste Fachrichtung medizinische Dokumentation im BFW Halle, werden aufgrund der demographischen Entwicklung voraussichtlich auch in Zukunft stark nachgefragt. Mit der medizinischen Tastuntersucherin hat das BFW Düren ein neues Berufsbild entwickelt, das mittlerweile auch in anderen Bildungseinrichtungen für Blinde und Sehbehinderte angeboten wird.

Im BFW Würzburg ist in den letzten Jahren eine Entwicklung zu sehr individuellen Maßnahmen zu beobachten, die nicht in einem staatlich anerkannten beruflichen Abschluss münden, sondern direkt auf die Integration in den ersten Arbeitsmarkt zielen. In sogenannten Integrationsmaßnahmen kann dann auf das vorhandene Wissen aufgebaut und der Weg zurück ins Berufsleben geebnet werden, die Praktikums- und Arbeitsplätze werden passgenau gesucht.

Eine Entwicklung darf nicht außer Acht gelassen werden: Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund hat auch in den BFWen für Blinde und Sehbehinderte zugenommen. Selbst mit viel Einsatz der Einzelnen und besonderer Sprachförderung durch die Bildungseinrichtungen fällt es diesen Teilnehmern meist schwer, den sprachlichen Anforderungen an eine berufliche Qualifizierung im Büro-, Verwaltungs- und Telefoniebereich gerecht zu werden.

Eine mögliche Alternative ist eine Ausbildung im handwerklichen Bereich. Gute Vermittlungschancen durch eine gewerblich-technische Qualifizierung haben sehbehinderte Migrantinnen und Migranten. Die Chancen blinder Menschen für den ersten Arbeitsmarkt sind in handwerklichen Berufen dagegen fraglich.

Individualisierung und Kreativität als Schlüssel

Bei der Entwicklung neuer Berufsbilder für Blinde und Sehbehinderte sind Kreativität und Phantasie gefragt. Dabei gerät immer mehr der einzelne Mensch mit seinen Fähigkeiten und Potentialen in den Fokus. Das Thema Individualisierung ist in den BFWen für Blinde und Sehbehinderte nicht erst seit dem "Neuen Reha-Modell" als Projekt der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke die Grundlage für Qualifizierung und Vermittlung. Für Blinde und Sehbehinderte geht es noch mehr als bei vielen anderen Handicaps darum, den Menschen als Individuum zu betrachten, seine individuellen Stärken zu fördern und darauf aufbauend einen passenden Arbeitsplatz zu suchen.

Zurück zum Fensterputzer. Vielleicht gibt es in ferner Zukunft heute noch unvorstellbare Hilfsmittel, die es blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen, diese Tätigkeit auszuüben: digitale Fensterglanzanzeiger, automatisch steuerbare Wischer, was auch immer. Die Fachleute in den BFWen arbeiten engagiert daran, neue Trends und Entwicklungen aufzugreifen und neue berufliche Tätigkeitsfelder für Blinde und Sehbehinderte zu entwickeln.

Informationen:

  • Weitere Informationen zum Netzwerk berufliche Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen (NBT) erhalten Sie auf der Webseite www.ihre-einstellung.de.
  • Blinde und Sehbehinderte, die Interesse an einer beruflichen Rehabilitation haben, sind herzlich eingeladen, dem BFW einen unverbindlichen Besuch abzustatten, um sich über das Qualifizierungsangebot zu informieren. Weitere Informationen sowie die Orte und Termine der "Schnuppertagsangebote" finden Sie im Internet unter www.bfw-wuerzburg.de.

Zur Autorin:

Petra Baader ist seit April 2000 Leiterin der Abteilung Qualifizierung im BFW Würzburg. Die gebürtige Berlinerin ist verantwortlich für mehr als 30 Qualifizierungsmaßnahmen für Blinde und Sehbehinderte und die Regional-Center des BFW Würzburg in München, Hannover, Erfurt und Wiesbaden. Zusammen mit ihren Mitarbeitern und Fachkollegen entwickelt sie neue Qualifizierungen und berufliche Einsatzgebiete, aber auch neue Lehr- und Lernmethoden für Menschen mit einer Seheinschränkung. Baader engagiert sich in verschiedenen Arbeitskreisen und hat an nationalen und internationalen Bildungsprojekten mitgewirkt.

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Motiv 1 in der Schwarzschriftausgabe: Unter dem Titel "eLearner" ist ein junger Mann abgebildet, der am Gartentisch sitzend via Laptop und Kopfhörer lernt. Unterstützt wird er von einer fröhlich blickenden, jungen Frau. Bildunterschrift: Mit BFWonline hat das BFW Würzburg eine barrierefreie eLearning-Plattform speziell für Blinde programmiert. Schon über 700 BFW-Absolventen konnten sich über BFWonline weiterbilden. Foto: BFW.

Motiv 2: Unter dem Titel "Tafelkamera" zeigt das Motiv in der Schwarzschriftausgabe einen Lehrer, der mit der Kreide in der Hand an der grünen Schultafel Lehrinhalte dokumentiert. Zugleich wird auf dem Arbeitsplatzbildschirm des Schülers ein vergrößerter Ausschnitt der Tafel angezeigt. Bildunterschrift: Knapp 20 Berufsbilder für Blinde und Sehbehinderte bietet das BFW Würzburg bereits. Und man ist dabei, weitere Ausbildungszweige zu schaffen. Foto: BFW.

Motiv 3 in der Schwarzschriftausgabe: Portraitfoto von Petra Baader. Die junge Frau lächelt. Bildunterschrift: Petra Baader leitet die Abteilung Qualifizierung im BFW Würzburg. Foto: privat.


Versicherungsfachmann / Versicherungsfachfrau: Ein neues Berufsfeld für blinde und sehbehinderte Menschen?

Das Berufsbild des Versicherungsfachmanns bzw. der Versicherungsfachfrau birgt einiges Potential für unseren Personenkreis. Deshalb möchte ich über meine kürzlich abgeschlossene Ausbildung berichten, um auf diese neue Möglichkeit aufmerksam zu machen.

Seit April vorigen Jahres bin ich beim VDBS Versicherungsdienst für Blinde und Sehbehinderte als Protokollant und Informationsverwalter beschäftigt. Der VDBS arbeitet unabhängig von Banken und Versicherungsgesellschaften und hat sich darauf spezialisiert, Menschen mit einer Seheinschränkung oder anderen Behinderungen in Fragen der privaten Vorsorge zu unterstützen und den für sie optimalen Versicherungsschutz zu vermitteln. Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat die Rechtsposition von behinderten Menschen nicht zuletzt auch gegenüber Versicherungsgesellschaften gestärkt. So ist es dem VDBS gelungen, eine Reihe von Versicherern für die Belange von behinderten Menschen zu sensibilisieren. Für die Kernbereiche Haftpflicht-, Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherung wurden Rahmenverträge ausgehandelt, die neben einem Beitragsrabatt vor allem die Gleichstellung gegenüber nichtbehinderten Menschen gemäß dem AGG garantieren.

Meine Aufgaben als Informationsverwalter

… sind in erster Linie, Protokolle der geführten Beratungsgespräche zu erstellen, die Aufgabenverteilung und den Informationsfluss zu überwachen sowie die Abwicklung der Korrespondenz mit Versicherern und Kunden zu unterstützen. Meine ursprüngliche Ausbildung als Dokumentar bzw. Fachangestellter für Medien- und Informationsdienste bot gute Grundlagen. Trotzdem gab es viel zu lernen, denn die Versicherungsbranche war für mich weitgehend Neuland. Deshalb war eine wichtige Voraussetzung für diese Arbeit, dass ich die Ausbildung zum Versicherungsfachmann absolviere, um mir benötigtes Hintergrundwissen anzueignen.

Diese Ausbildung richtet sich an Personen, die bereits berufstätig sind und entweder neu in die Versicherungsbranche einsteigen möchten oder sich innerhalb der Branche weiterqualifizieren wollen. Zielgruppe sind in erster Linie Vermittler, die Kunden in Versicherungsangelegenheiten beraten und begleiten, z.B. als Vertreter einer bestimmten Versicherungsgesellschaft oder als unabhängiger Makler. Daneben sind die Lehrinhalte aber auch von Nutzen, wenn man im sogenannten Innendienst z.B. in der Verwaltung eines Versicherungsunternehmens arbeitet, wie in meinem Fall.

Der Ausbildungskurs und die Prüfung zum Versicherungsfachmann

… umfassen vor allem die einzelnen Bedingungen für die typischen Versicherungssparten wie Haftpflicht-, KFZ-, Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung bis hin zu Lebensversicherung und Altersvorsorge. Zentrale Aspekte sind der versicherte Leistungsumfang, versicherter Personenkreis sowie Leistungsbegrenzungen und Ausschlüsse sowie rechtliche Grundlagen des Gesetzgebers.

Der Vorbereitungskurs wird üblicherweise im Blockunterricht angeboten. Die Prüfung wird von der IHK durchgeführt und umfasst einen schriftlichen und einen praktischen Teil. In der schriftlichen Prüfung gilt es, einen Fragenkatalog im Multiple-Choice-Verfahren zu beantworten, der alle behandelten Versicherungsbereiche umfasst. Im praktischen Teil führt man ein simuliertes Kundengespräch gemäß einer bestimmten Fallvorgabe durch.

Der vorbereitende Ausbildungskurs wurde in meinem Fall von einer Versicherungsgesellschaft durchgeführt. Die Kosten für den Kurs und die Prüfung wurden komplett vom VDBS übernommen. Der zuständige Kursleiter hatte bislang keine Erfahrung mit blinden Teilnehmern, war aber von Anfang an sehr kooperativ. Die Unterrichtsskripte konnte ich als PDF-Dokumente erhalten. Alle Computerpräsentationen, die er während des Unterrichts eingesetzt hat, stellte er mir und den anderen Kursteilnehmern als Datei zur Verfügung. Dadurch konnte ich weitgehend unabhängig am Notebook arbeiten. Manche Unterlagen, wie z.B. Übungsaufgaben, waren jedoch nur in Schwarzschrift verfügbar. Deshalb war es gut, dass Nick Stearn, der mich auch im Büro als Assistent unterstützt, bei allen Unterrichtstagen dabei war und mir die Aufgaben vorlesen und meine Antworten eintragen konnte. Nicht zuletzt sorgte er auch für die stressfreie An- und Abreise im Frankfurter Großstadtgewühl. Dem VDBS war es wichtig, dass er ebenfalls die Prüfung zum Versicherungsfachmann ablegt, damit auch er als qualifizierter Mitarbeiter im Team arbeiten kann.

Kooperationen für möglichst gute Rahmenbedingungen

Das Berufsbildungswerk der deutschen Versicherungswirtschaft und die IHK in Frankfurt, über die die Prüfung organisiert wird, waren beide ebenfalls sehr kooperativ, als es darum ging, den Prüfungsverlauf möglichst barrierefrei zu gestalten. Ich erhielt die Möglichkeit, das Computerprogramm, das für den schriftlichen Prüfungsteil eingesetzt wird, vorab unter realen Bedingungen zu testen. Die Techniker vor Ort waren sofort bereit, die für mich nötige Screenreadersoftware und Braillezeile für Testzwecke zu installieren und sorgten auch am Prüfungstag dafür, dass die Technik reibungslos funktioniert hat. Für die schriftlichen Prüfungsteile wurde mir auf Nachfrage bei der IHK ein Zeitzuschlag von 50 Prozent gewährt. Bei der mündlichen Prüfung wurde mir die Fallvorgabe als Textdatei auf mein Notebook eingespielt und auch hier erhielt ich 50 Prozent mehr Zeit für meine Vorbereitung. Den Prüfern merkte man an, dass auch sie bislang offenbar noch keine Prüfung bei blinden oder sehbehinderten Absolventen abzunehmen hatten. Alle waren sehr bemüht, möglichst optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Selbst als mein Notebook-Akku unerwartet keinen Strom mehr lieferte, durfte ich die Prüfung unterbrechen, bis ich per Stromkabel alles wieder in funktionsfähigen Zustand versetzt hatte.

Resümee

Mit der bestandenen Prüfung steht mir die Möglichkeit offen, mich als Vermittler bei einer Versicherungsgesellschaft oder einem Makler zu bewerben. In jedem Fall hilft mir das hinzugewonnene Fachwissen bei meiner Arbeit im VDBS, wenn es darum geht, versicherungsinterne Zusammenhänge zu überblicken und die wesentlichen Punkte bei der Akten- und Protokollführung zu erfassen, in die man als Außenstehender für gewöhnlich keinen Einblick bekommt.

Zweifellos ist noch viel Pionierarbeit zu leisten, damit auch andere Arbeitgeber in der Versicherungsbranche die Bereitschaft entwickeln, Bewerber mit Seheinschränkungen zu beschäftigen. Aber der Anfang ist gemacht. Auch der VDBS Versicherungsdienst wird sich natürlich weiterhin bei den Versicherern für mehr Akzeptanz gegenüber Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten einsetzen und im Rahmen seiner Möglichkeiten selber Arbeitsplätze für Mitarbeiter mit Behinderung anbieten.

Informationen:

  • Weitere Informationen zur Ausbildung zum/zur Versicherungsfachmann/-frau finden Sie auf der Webseite www.bwv-online.de.
  • Informationen und Kontaktmöglichkeiten zum Versicherungsdienst für Blinde und Sehbehinderte erhalten Sie auf der Webseite www.vdbs-online.de.

Zum Autor:

Jürgen Bopp arbeitet seit April vorigen Jahres beim Versicherungsdienst für Blinde und Sehbehinderte VDBS als Informationsverwalter. Im Jahr 1972 geboren, hat er 1994 an der Blista Abitur gemacht und 2003 die Ausbildung zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste abgeschlossen.

Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Zwei vergnügte junge Männer halten ihre Ausbildungszertifikate in der Hand. Bildunterschrift: Erfolgreich im Team: Nick Stearn (li) und Jürgen Bopp (re) bestanden die Prüfung zum Versicherungsfachmann. Foto: privat.


Arbeits-Recht - Teil 1: Von der Ausgleichsabgabe über den Sonderurlaub bis zum Kündigungsschutz

Grundsätzlich ist jeder frei darin, ob und mit wem er einen Arbeitsvertrag abschließt. Zum Schutze behinderter Menschen und zur Förderung von deren Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehen aber zahlreiche gesetzliche Bestimmungen, die etwa besondere Fürsorgepflichten des Arbeitgebers, Benachteiligungsverbote sowie Nachteilsausgleiche und breit gefächerte staatlich unterstützte Förderinstrumentarien betreffen. Noch viel zu häufig werden geldwerte Vorteile auf Arbeitgeber- und auf Arbeitnehmerseite nicht in Anspruch genommen oder die Zusammenarbeit wird auf falsche Erwartungen und Missverständnisse gegründet. Hier setzt der vorliegende Beitrag an, denn schließlich geht es auch bei der Beschäftigung behinderter Menschen um Effizienz und Wertschöpfung.

Die folgenden Ausführungen haben ausschließlich Arbeitsverhältnisse des allgemeinen Arbeitsmarktes im Blick, d. h. Fragen rund um Beschäftigungsverhältnisse in Werkstätten für behinderte Menschen oder vergleichbaren Arbeitsgelegenheiten werden nicht thematisiert. Es geht den Autoren auch nicht um die Vorstellung von Weltneuheiten, sondern die folgende Darstellung versteht sich als Einführung für "Greenhorns" und als kurze zusammengefasste "Auffrischung" für alle alten Hasen. Keinesfalls kann angesichts der Komplexität der Materie in diesem Rahmen auf alle Fragen eine erschöpfende Antwort gegeben werden.

Der vorliegende erste Teil der dreiteiligen Serie lässt sich vielleicht am ehesten mit den Worten "Potpourri häufig nachgefragter Themen" umschreiben.

I. Einführung

Der Löwenanteil der zum Schutze schwerbehinderter und den schwerbehinderten gleichgestellter Arbeitnehmer formulierten Normen findet sich im Sozialgesetzbuch (SGB) IX (Benachteiligungsverbot gem. § 81 ff.; Schwerbehindertenquote gem. § 71 ff.; Kündigungsschutzbestimmungen gem. § 85 ff.; Sonderurlaub gem. § 125 etc.). Weiterhin hat insbesondere das in Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich verankerte Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen seine einfachgesetzliche Ausgestaltung für den Bereich des Arbeitsverhältnisses vor allem durch die Regelungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erhalten.

Wer ist behindert, schwerbehindert und schwerbehinderten Menschen gleichgestellt?

Die Beantwortung dieser Frage ist vorab wichtig, weil bestimmte Rechte an diese "Eingruppierung" anknüpfen. Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt.

Schwerbehindert ist derjenige, dessen Grad der Behinderung mindestens 50 beträgt (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Behinderte Menschen, die einen Grad der Behinderung von mindestens 30 haben, können auf Antrag bei der Agentur für Arbeit schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden. Voraussetzung für eine solche Gleichstellung ist, dass der Betreffende infolge der Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten kann.

II. Schwerbehindertenquote und Ausgleichsabgabe

Die Regelungen der §§ 71 ff. SGB IX sehen vor, dass private und öffentliche Arbeitgeber ab einer gewissen Mindestanzahl von Beschäftigten eine sogenannte Schwerbehindertenquote zu erfüllen haben. Kommen sie dem nicht nach, so ist eine finanzielle und monatlich zu entrichtende Ausgleichsabgabe zu leisten.

Die Erhebung und Verwendung dieser Abgabe erfolgt durch das Integrationsamt. Die Ausgleichsabgabe darf nur für besondere Leistungen zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben einschließlich begleitender Hilfe im Arbeitsleben verwendet werden. Über diese Geldmittel wird also z. B. eine notwendige Arbeitsassistenz für einen blinden Arbeitnehmer oder technische Hilfsmittel für einen sehbehinderten Selbstständigen finanziert. Das Nähere bezüglich der Mittelverwendung ist insbesondere in der Schwerbehindertenausgleichsabgabenverordnung (SchwbAV) geregelt.

Die Zahlung der Ausgleichsabgabe hebt jedoch die Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht auf.

III. Steuervorteile

Ist ein Arbeitsplatz dann endlich gefunden und wirft man nach getaner Arbeit einen Blick auf die Lohnabrechnungen, so wird schnell deutlich, dass ein großer Teil der mühevoll verdienten Einkünfte in Form von Steuern direkt an Vater Staat wandern. Einen Teil dieser Steuerlast brauchen behinderte Menschen aber nicht zu tragen, weil ihre besonderen behinderungsbedingt erforderlichen Aufwendungen durch Steuervergünstigungen teilweise ausgeglichen werden. Rechtsgrundlage ist insoweit § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Alternativ kann wegen der Aufwendungen für die Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, für die Pflege sowie für einen erhöhten Wäschebedarf anstelle einer Steuerermäßigung nach § 33 b EStG ein Pauschbetrag geltend gemacht werden (Behinderten-Pauschbetrag). Die Höhe dieses Pauschbetrages ist abhängig vom Grad und Ursache der Behinderung, d. h. blinde Menschen werden steuerlich gesehen besonders gut gestellt. Alles Nähere regelt § 33 b EStG. Die Inanspruchnahme des Pauschbetrages wird auf der Lohnsteuerkarte vermerkt.

IV. Sonderurlaub

Schwerbehinderten Menschen (nicht den Gleichgestellten) steht gem. § 125 SGB IX qua Gesetz Sonderurlaub im Umfang von fünf Tagen pro Arbeitsjahr zu und zwar unabhängig von dem ansonsten gewährten Erholungsurlaub.

V. Kündigung

Allgemeines

Wenn das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Menschen seitens des Arbeitgebers gekündigt wird, sind grundsätzlich die Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz wie sie z. B. das Bürgerliche Gesetzbuch, das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) oder tarifvertragliche Bestimmungen enthalten, anzuwenden. Für Klagen gegen ausgesprochene Kündigungen (zumeist Kündigungsschutzklagen) sind die Arbeitsgerichte zuständig. Insoweit sind unbedingt die geltenden Ausschlussfristen zur Klageerhebung von drei Wochen zu beachten.

In Bezug auf die Rechtfertigung einer Kündigung ist darauf hinzuweisen, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das gesamte Kündigungsrecht vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht wird. Das bedeutet, dass die berechtigten Interessen des Arbeitgebers immer gegen diejenigen des Arbeitnehmers abzuwägen sind. Im Rahmen des Geltungsbereichs des KSchG gilt insoweit etwa, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse (das können z. B. Stellenkürzungen wegen massivem Auftragsrückgang sein) nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers die Sozialauswahl nicht korrekt beachtet hat. Dies deshalb, weil der Arbeitgeber immer zwischen mehreren Arbeitnehmern, die für eine Kündigung in Frage kommen, denjenigen oder diejenigen behalten muss, den oder die die Kündigung sozial schwerer treffen würde als andere Arbeitnehmer.

Die Schwerbehinderung ist nach dem KSchG bei der Sozialauswahl in diesem Sinne zwingend zu berücksichtigen. Eine Kündigung allein aufgrund einer Behinderung ist wegen des  Benachteiligungsverbotes stets unwirksam.

Der besondere Kündigungsschutz im SGB IX

Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Dies gilt ebenso für eine ordentliche als auch für eine außerordentliche (§ 92 SGB IX) Kündigung.

Der besondere Kündigungsschutz nach den §§ 85 ff. SGB IX besteht unabhängig von der Betriebsgröße des Arbeitgebers, gilt also auch in den Fällen, in denen der Arbeitgeber nicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verpflichtet ist oder für den das Kündigungsschutzgesetz nicht gilt. Voraussetzung ist, dass der schwerbehinderte oder den schwerbehinderten gleichgestellte Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis steht, das mindestens sechs Monate bestanden hat.

Der Kündigungsschutz besteht nicht, wenn

  • zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen (d. h. nicht offensichtlich ist oder durch das Versorgungsamt noch keine statusrechtlich bindende Feststellung getroffen wurde) oder
  • das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX (in der Regel drei Wochen) eine Feststellung ob des Vorliegens einer Schwerbehinderung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte.

Das Integrationsamt holt im Rahmen des Zustimmungsverfahrens eine Stellungnahme der zuständigen Arbeitsagentur, des Betriebsrates oder Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung ein und hört den schwerbehinderten Menschen an. Es hat in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinzuwirken (§ 87 Abs. 3 SGB IX).

Inhaltlich ist der Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer nach § 85 ff. SGB IX von weit geringerer Bedeutung als gemeinhin angenommen wird. Das Gesetz sagt für den Normalfall nichts darüber aus, unter welchen Voraussetzungen das Integrationsamt seine Zustimmung zur Kündigung geben muss oder sie verweigern kann. Das Integrationsamt entscheidet insoweit nach seinem freien Ermessen. Es wägt dabei die schutzwürdigen Interessen des schwerbehinderten Menschen gegen die Freiheit des Arbeitgebers hinsichtlich der Auswahl seiner Beschäftigten gegeneinander ab. § 89 ff. SGB IX schränkt dieses Ermessen für bestimmte Fälle ein. Keinesfalls soll § 85 SGB IX aber dazu dienen, schwerbehinderte Menschen unkündbar zu machen.

Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung, kann der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach ihrer Zustellung erklären. Eine Zustimmung im Sinne von § 85 SGB IX ist ein Verwaltungsakt. Sie kann von dem schwerbehinderten Menschen im Verwaltungsverfahren angefochten werden. Andererseits steht dem Arbeitgeber der Verwaltungsrechtsweg offen, um eine versagte Zustimmung zu erwirken.

Kündigt der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer, ohne vorher die Zustimmung bei dem für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle zuständigen Integrationsamtes schriftlich beantragt und erhalten zu haben, so ist die Kündigung allein deshalb, weil die Zustimmung fehlt und damit gegen ein gesetzliches Verbot (hier § 85 SGB IX) verstoßen wird, unwirksam.

Im zweiten Teil, der im nächsten horus erscheinen wird, geht es dann um den Schutz vor Diskriminierungen unter anderem bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz, im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses oder beim beruflichen Aufstieg.

Zu den Autoren:

Rechtsassessorin Christiane Möller ist seit ihrer Geburt, im Sinne des Gesetzes, blind. Sie verfügt aber noch über einen kleinen Sehrest. Im Jahr 2000 bestand sie ihr Abitur an der blista in Marburg. Daran schloss sich ein Studium der Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg an, währenddessen sie einen einjährigen Studienaufenthalt an der University of Adelaide (Australien) absolvierte. Nach dem I. Staatsexamen 2006 und dem juristischen Vorbereitungsdienst (Referendariat), beendete sie 2009 das Studium mit dem II. Staatsexamen und arbeitet seither bei der rbm gemeinnützige GmbH (Rechte behinderter Menschen).

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Portrait von Christiane Möller. Foto: DVBS (itrol)

Dr. Michael Richter ist seit 2009 Geschäftsführer der rbm gemeinnützige GmbH (Rechte behinderter Menschen). Im Alter von 17 Jahren erblindete er aufgrund eines Glaukoms. Nach einer blindentechnischen Grundausbildung und Abitur (1991) an der blista (Deutsche Blindenstudienanstalt) studierte er Rechtswissenschaften. Nach dem I. Staatsexamen 1998 an der Philipps-Universität Marburg, dem Referendariat am Landgericht Marburg und dem II. Staatsexamen 2000 war er von 2000 bis 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für öffentliches Recht in Bielefeld und von 2004 bis 2008 Geschäftsführer des DVBS.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Portrait von Dr. Michael Richter. Foto: DVBS (itrol)

Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, http://www.rbm-rechtsberatung.de


Barrierefrei selbständig! Aktive Gründungsunterstützung für Personen mit Handicap

Das Frankfurter Kompass Zentrum für Existenzgründungen fördert unternehmerisches Denken und Handeln, denn eine Behinderung ist kein Grund, sich nicht selbständig zu machen. Im Gegenteil erwachsen daraus sehr oft individuelle Kompetenzen, die eine Chance für die Selbständigkeit darstellen.

Allerdings wird noch zu wenig auf die Existenzgründung trotz Handicap - und dem damit verbundenen Potenzial - fokussiert: "Uns ist aufgefallen, dass Personen mit einer körperlichen Behinderung bei Gründungen unterrepräsentiert sind. Wir haben uns gefragt: Warum sind es nur so wenig? Können oder wollen sie nicht? Oder haben sie einfach keinen Zugang?", erläutert Kompass-Geschäftsführerin Ellen Bommersheim.

Das Gründungszentrum entschied sich, eine Machbarkeitsstudie durchzuführen. Im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit lotete Kompass mit seinem Kooperationspartner "Dialog im Dunkeln - Verein für soziale Kreativität" aus, wie man Personen mit einem körperlichen Handicap auf ihrem Weg in die Selbständigkeit unterstützen kann. Das Hauptergebnis lautete: Menschen mit Handicap haben selbst zu wenig Zugang zu Selbständigkeit, "weil die klassischen Anlaufstellen im Reha-System nicht darüber beraten und auch die Interessenverbände dies oft nicht im Blick haben. Wahrscheinlich aus falsch verstandenem Schutzbedürfnis oder mangels eigener Kenntnis dessen, was machbar und möglich ist", sagen Ellen Bommersheim und Matthias Schäfer, Vorsitzender von "Dialog im Dunkeln".

Der Schluss lag für Kompass klar auf der Hand: "Wir wollen das Selbstbewusstsein dieser Personen stärken, denn in ihnen stecken mehr Ressourcen, als sie sich oft selbst zutrauen." Im ersten Schritt geht es dabei um den Zugang zu Informationen und gezielter Unterstützung. Dazu soll das gesamte Reha-System, u. a. Rentenversicherungsträger, Integrationsämter und Arbeitsagenturen für diese Perspektiven sensibilisiert werden. Mit seinem künftigen Angebot "Barrierefreier Kompass" möchte das Gründungszentrum neue Wege für eine aktive Unterstützung von Personen mit Handicap aufzeigen. Auch die Gründungsberater sollten behinderungsspezifische Kompetenzen berücksichtigen. "Schlieβlich schaffen Selbständige mit einem Handicap nicht nur ihren eigenen Arbeitsplatz, sondern beschäftigen auch weitere Mitarbeiter! Somit leisten sie einen Beitrag zur Volkswirtschaft - das ist wirkliche Teilhabe!", so Ellen Bommersheim.

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Angebot "Barrierefreier Kompass":

  • Abbau von Gründungsbarrieren
  • Integration von Kompetenzfeststellungsverfahren in behindertenspezifische Beratungsangebote
  • Schulung der allgemeinen Gründungsberatungsstellen bezüglich spezifischer Nachteilsausgleiche
  • Gründerscouts in relevanten Anlaufstellen
  • Sichtbarmachen der unternehmerischen Potenziale durch das Aufzeigen erfolgreiche Selbständige trotz Handicaps
  • Netzwerkauktionen für alle Gründerinnen und Gründer zur Ermunterung eines gemeinsamen Starts
  • Ausbau der behinderungsspezifischen Fördermittel und Kombination mit klassischer Unterstützung

Seminarzyklus für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Institutionen, die mit Menschen mit Handicap arbeiten:

  • der sozioökonomische Beratungsansatz
  • spezifische Potenziale und Stolpersteine
  • Profiling-Verfahren zur besseren Erfassung individueller Fähigkeiten, Fertigkeiten und Potenziale
  • begleitende Moderation und Training zu themen- oder fallspezifischen Fragestellungen
  • begleitende Moderation und Beratung zur Weiterentwicklung von Bausteinen und fachlichen Qualifizierungsmodulen

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Informationen und Kontakte

  • Kompass hat seit Entstehen in 2000 über 17.000 Personen in allen Phasen der Selbständigkeit begleitet. Sie profitieren von Gründungswissen aus der Praxis für die Praxis: Dabei geht es um professionelle Starthilfe und kontinuierliche Betreuung durch Coaching und Training auf der Basis eines Vier-Phasen-Modells, hilfreiche Infrastrukturen und starke Netzwerkpartner. Kompass bindet die regionalen Informations-, Beratungs- und Qualifizierungsangebote und bietet somit künftigen Rhein-Main-Selbständigen Orientierungshilfe. Kompass - Zentrum für Existenzgründungen Frankfurt am Main gemeinnützige GmbH, Ellen Bommersheim, Hanauer Landstraße 521, 60386 Frankfurt am Main, Telefon: 069 - 219 78-0, Telefax: 069 - 219 78-510, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.kompassfrankfurt.de.
  • Die Fachgruppe "Selbständige" im DVBS zählt zu den jüngsten Arbeitskreisen. Sie ist der Zusammenschluss aller DVBS-Mitglieder, die als Unternehmerinnen und Unternehmer bzw. Selbständige tätig sind oder sich mit dem Thema Existenzgründung befassen. Im Jahr 2008 gegründet, gehören der Fachgruppe derzeit bundesweit 25 Mitglieder an, Fachgruppenleiter ist Dr. Michael Richter. Wie am Rande der DVBS-Mitgliederversammlung 2010 besprochen, ist das erste Fortbildungsseminar der Fachgruppe "Selbständige" im Herbst 2010 geplant. Interessierte Mitglieder sind herzlich willkommen, sich hinsichtlich ihrer Belange in diesem Rahmen auszutauschen und weiterzubilden. Kontakt: Dr. Michael Richter, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Der erfolgreiche, blinde Unternehmer Manfred Jaklin sitzt am Schreibtisch. Bildunterschrift: Mehr Lebensqualität am Arbeitsplatz oder zu Hause: Das bringt der Unternehmer Manfred Jaklin seinen Kundinnen und Kunden mit Kommunikationssystemen für Blinde und Sehbehinderte. Seine Blindheit ist ein Erfolgsfaktor, denn er kennt die Anforderungen, die Sehgeschädigte an Hilfsmittel haben, aus eigener Erfahrung. 1995 gegründet, verfügt sein Unternehmen heute über acht Mitarbeiter, ist am Markt etabliert und mit Niederlassungen in Hannover und Darmstadt auf Wachstumskurs. Foto: privat.


Schwerpunkt: Jobs gestern und heute

Mein zweiwöchiges BOSS-Praktikum bei der Deutschen Bundesbank in Frankfurt

BOSS steht für: Berufsorientierung für sehgeschädigte Schüler. Im ersten Halbjahr der Jahrgangsstufe 12 werden im Rahmen des Politik- und Wirtschaftsunterrichts diverse Veranstaltungen zur Berufsfindung bzw. Berufsorientierung durchgeführt. Am Ende des Halbjahres steht eine zweiwöchige Hochschulerkundungsphase oder ein ebenso langes Betriebspraktikum. Da ich in der 11. Klasse bereits eine Betriebswirtschaftsvorlesung an der Uni Marburg besucht hatte, stand für mich bereits fest, dass ich ein Betriebspraktikum machen werde.

Auf der Suche

Die von der Schule veranstalteten Projekttage zur Berufsorientierung, gaben mir die Gelegenheit, mich im Internet und bei den eingeladenen Personen über Berufe und Studiengänge zu informieren. Aufmerksam auf die Beamtenlaufbahn bei der Deutschen Bundesbank wurde ich durch die Internetseite "BerufeNET" der Bundesagentur für Arbeit (www.berufenet.arbeitsagentur.de).

Die Deutsche Bundesbank ist die Zentralbank der Bundesrepublik. Unter anderem wirkt sie bei der Preisstabilität im Euroraum mit und sorgt für eine reibungslose Abwicklung des unbaren Zahlungsverkehrs im Inland und mit dem Ausland. Dieses Aufgabenfeld weckte bei mir großes Interesse und ist auch Bestandteil des Wirtschaftslehreunterrichts am Beruflichen Gymnasium der Carl-Strehl-Schule. Sehr gut gefiel mir die Homepage der Bundesbank. Auf ihr gab es speziell für Schülerpraktika Informationen zur Bewerbung, auch waren auf ihr Informationen zu den einzelnen Geschäftsfeldern zu finden.

Ich nutzte die Zeit in den Herbstferien 2009 zur Formulierung verschiedener Bewerbungen. Höchste Priorität hatte für mich dabei die Bewerbung an die Bundesbank. Als ich mich dort telefonisch über freie Praktikumsplätze informierte, wurde mir gesagt, dass es zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Praktikanten gibt. Meine Enttäuschung war zunächst groß. Jedoch wollte ich trotzdem mein Glück versuchen und schickte meine Bewerbung los. Um im Falle einer Absage einen Plan B in der Tasche zu haben, bewarb ich mich außerdem in Marburg bei verschiedenen Privatbanken und einem Unternehmen. Schon bald kamen die ersten Absagen. Unter den Absagen war jedoch keine der Bundesbank, was mich weiter hoffen ließ. Nach zwei Wochen riefen mich meine Eltern an und teilten mir mit, dass bei ihnen ein Brief der Deutschen Bundesbank eingetroffen war. Es war die Zusage für ein Schülerpraktikum im Zentralbereich Zahlungsverkehr und Abwicklungssysteme der Deutschen Bundesbank!!!

Übernachten oder Pendeln?

Nachdem der erste Jubel vorbei war, schossen mir viele Fragen durch den Kopf. Übernachte ich in Frankfurt oder versuche ich es mit täglichem Pendeln? Über diese Fragen dachte ich nun das erste Mal konkret nach. Die Zugfahrt nach Frankfurt beträgt zwar lediglich eine Stunde, aber man muss den Weg zum Bahnhof und in Frankfurt zur Bundesbank mit einrechnen. Eine Übernachtung in Frankfurt kam aus Kostengründen nicht in Frage, also gab es im Grunde nur die Alternative Zug.

Je näher das Praktikum rückte, desto unruhiger wurde ich. Ich war erst einige Male in der Großstadt Frankfurt und dann immer nur mit anderen zusammen. Ich hatte ehrlich gesagt etwas Bedenken, mich in dem U-Bahn-Gewirr zu verfahren.

An einem Sonntag im November fuhr ich deshalb zusammen mit meinem Betreuer nach Frankfurt, um mir den Weg im Vorfeld zu erarbeiten. Wir hatten sogar das Glück, dass an diesem Tag - für November eher untypisch - die Sonne schien. Ein gutes Omen? Vom Frankfurter Hauptbahnhof ging es zu nächst acht Stationen mit der U-Bahnlinie 5 Richtung Preungesheim, anschließend musste ich in die Buslinie 34 umsteigen. Es dauerte ungefähr 30 Minuten, dann stand ich vor der Hauptpforte der Bundesbank-Zentrale. Das über 200 Meter breite und 13 Stockwerke hohe Hauptgebäude war großzügig von Zäunen abgesperrt und die Eingänge wurden von Sicherheitspersonal bewacht. Also blieb uns für den Moment nur das Bestaunen von außen.

Nach dieser "Übungsfahrt" fühlte ich mich schon sehr viel entspannter, da die Erreichbarkeit der Deutschen Bundesbank mit öffentlichen Verkehrsmitteln wirklich sehr gut ist. Falls ich einmal eine U-Bahn bzw. einen Bus verpassen sollte, beträgt die Wartezeit auf die nächste selten mehr als 5 bis 8 Minuten.

Die Herausforderung beginnt

Schon Tage vor Beginn des Praktikums lag ich abends länger wach im Bett und dachte über das Bevorstehende nach. Ich fragte mich, wie wohl die Mitarbeiter bei der Bundesbank auf mich reagieren, welche Erwartungen sie an mich haben und wie sie mit meiner Sehbehinderung umgehen werden? Doch diese Fragen mussten zunächst unbeantwortet bleiben.

Am Montagmorgen, den 18. Januar, ging es mit dem Zug um 6:23 Uhr nach Frankfurt. Mit jedem Kilometer, den ich mich der Bundesbank näherte, wuchs die Anspannung, doch als ich bei meiner Ankunft außer mir noch eine weitere Praktikantin an der Pforte sah, legte sich die Aufregung gleich etwas. Zu zweit ist es nun mal doch besser als allein. Insgesamt fingen an diesem Tag mit uns vier weitere Praktikanten in verschiedenen Abteilungen an. Zu Beginn mussten wir einige Formalitäten klären und uns einen befristeten Ausweis für die beiden Wochen abholen. Dann wurden wir in die Unterabteilung des Zentralbereichs Z (Zahlungsverkehr) gebracht, in der es unter anderem um die Weiterleitung von elektronischen Nachrichten, so genannte SWIFT-Nachrichten, ging. In den nachfolgenden neun Tagen lernte ich den Zentralbereich im Schnelldurchlauf näher kennen. Die weiteren Abteilungen beschäftigten sich u. a. mit elektronischen Zahlungsverkehrssystemen, Geldwäsche, Kontoführung, Wertpapierabwicklung etc. Die zwei bis drei Tage in den einzelnen Unterabteilungen waren sehr informativ, aber trotz einiger wirtschaftlicher Vorkenntnisse aus dem Unterricht eher Neuland für mich. Doch durch gute Anleitung durch die Mitarbeiter der Bundesbank wurden mir die Zusammenhänge schon nach kurzer Zeit immer klarer. Die Mitarbeiter standen meiner Sehbehinderung offen gegenüber, informierten sich über meinen Sehrest und unterstützten mich bei den zu bewältigenden Aufgaben. Meine anfänglichen Bedenken in Bezug auf meine Sehbehinderung waren also völlig unbegründet. So konnte ich mir beispielsweise die für mich zu weit weg stehenden Computerbildschirme näher heranziehen. Man nahm sich sehr viel Zeit, um mir die einzelnen Tätigkeiten eingehend zu erläutern. Da die Einarbeitung in einige der Systeme und Anwendungen eine längere Anlaufzeit benötigt hätte, konnte ich in den zwei Wochen natürlich nicht überall tätig sein. Es gab aber genügend Gelegenheiten, praktische Arbeiten am Computer auszuführen.

Am Ende der ersten Woche besuchte ich die Schwerbehindertenbeauftragte der Bundesbank. Mir war ja bereits aufgefallen, dass die normalsichtigen Mitarbeiter besser mit der Schriftgröße auf ihren PCs zurechtkamen als ich und dadurch wesentlich schneller arbeiten konnten. Gerade beim Abgleich von Bankleitzahlen oder BIC-Codes muss ein sicheres und schnelles Arbeiten gewährleistet sein. Im Gespräch mit der Schwerbehindertenbeauftragten stellte sich heraus, dass die Bundesbank einige Mitarbeiter mit einer Sehbehinderung beschäftigt. Sie gab mir auch die Möglichkeit, mit einer sehbehinderten Mitarbeiterin zu sprechen und mir ihren Arbeitsplatz und die benötigten Hilfsmittel einmal genauer anzuschauen. Die ausgebildete Bürokauffrau arbeitete mit einer Vergrößerungssoftware am PC und einem Lesegerät für nichtelektronische Tätigkeiten. Zudem besaß sie im Gegensatz zu den anderen Kollegen größere Monitore, damit trotz Vergrößerung noch möglichst viele Informationen auf den Bildschirmen angezeigt werden können. Ich war begeistert. Eine berufliche Perspektive hatte sich damit für mich aufgetan. Mit diesen Hilfsmitteln könnte ich ohne Probleme selbständig arbeiten.

Die Bundesbank als mein zukünftiger Arbeitgeber?

Nach dem zweiwöchigen Praktikum hatte ich mich in der Bundesbank so gut eingelebt, dass ich gerne noch eine weitere Woche drangehängt hätte. Jetzt heißt es aber erst einmal, das Abitur abzulegen. Besonders stark in Erinnerung geblieben sind mir die geduldigen Kollegen und der Besuch in der Frankfurter Börse, bei dem wir sogar das bekannte Parkett betreten durften. Mit dem Praktikum bei der Deutschen Bundesbank haben sich auch meine persönlichen Zukunftsvorstellungen konkretisiert. Als Ziel peile ich jetzt den dualen Studiengang an der Fachhochschule der Deutschen Bundesbank in Hachenburg an. Das Auswahlverfahren für einen der begehrten Studienplätze ist zwar sehr anspruchsvoll, müsste aber zu bewältigen sein. Ich bin dankbar, dass mir die Bundesbank die Möglichkeit gab, diese großartige Erfahrung machen zu dürfen, und mir damit einen zusätzlichen Ansporn für die schulische Zielgerade verschaffte. Insofern war BOSS ein voller Erfolg und meine Entscheidung, ein Praktikum zu absolvieren, musste ich keine Sekunde bereuen.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Steffen Lind während seines Praktikums. Der gut gekleidete junge Mann sitzt auf dem Ledersofa einer Sitzgruppe, im Hintergrund eröffnet eine großzügige Verglasung den Blick aus dem 13. Stockwerk auf die Hochhäuser des Frankfurter Bankenviertels. Bildunterschrift: Auf der Suche nach einer Zukunftsperspektive: Steffen Lind. Foto: Winfried Thiessen.


Eine Betrachtung zur Braille´ schen Punktschrift

In vielfältiger Weise sind wir im Jahr 2009 aus Anlass des 200. Geburtstages von Louis Braille dazu angeregt worden, uns wieder einmal bewusst mit der von ihm erfundenen Sechspunkteschrift zu befassen. Ich selber hatte das Vergnügen, im Rahmen einer vom Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienst Württemberg (EBSW) veranstalteten Ausstellung einen Vortrag über Louis Braille und seine Blindenschrift zu halten. Während der Vorbereitung ist mir wieder einmal klar geworden, wie viel innere Logik in dieser Punktschrift steckt, die sich der junge Franzose damals ausgedacht hat. Aber gleichzeitig bin ich auf einige rätselhafte Schönheitsfehler in seiner Systematik gestoßen. Vielleicht haben Sie Lust, mit mir über beides - die verblüffend logische Struktur und die ebenso verblüffenden kleinen Inkonsequenzen - ein bisschen nachzudenken.

Mein Beitrag möge aber bitte nicht als Kritik an unserem bestehenden Schriftsystem oder gar als Aufforderung, dieses zu verändern, aufgefasst werden. Stellen Sie sich vielmehr vor, wir würden gemeinsam ein Kunstwerk betrachten und uns nicht nur an seiner Schönheit erfreuen, sondern eben auch das daran entdecken, was noch etwas schöner hätte gemacht werden können.

Das Konstruktionsprinzip

Den meisten Punktschriftlesern dürfte zumindest teilweise bewusst sein, dass Louis Braille seine Punktkombinationen nicht einfach willkürlich den Buchstaben des Alphabets zugeordnet hat, sondern sich dabei von gewissen logischen Überlegungen leiten ließ. So lesen wir im Aufsatz von Andrea Katemann: "Ein halbes Dutzend Eier: Die Systematik der Punktschrift" (vgl. horus 1/2009), dass man im Grunde nur die ersten zehn Braille-Buchstaben A bis J wirklich zu lernen braucht. Die nächsten zehn Buchstaben, nämlich K bis T, erhält man aus diesen einfach durch Hinzunahme des Punktes 3. Den Rest, nämlich U bis Z (unter Auslassung von W) gewinnt man aus A bis E durch Hinzufügen der Punkte 3 und 6.

Tatsächlich folgen aber bereits die Buchstaben A bis J einem leicht nachvollziehbaren Bildungsgesetz. Die Folge davon ist, dass man sich das Braille"sche Alphabet - abgesehen vom W - selbst herleiten kann, wenn man nur einmal das dahinter steckende Konstruktionsprinzip verstanden hat.

Zunächst scheint sich der junge Braille Gedanken über die eindeutige Erkennbarkeit seiner Buchstaben gemacht zu haben. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nicht alle der 63 Punktkombinationen per se vollständig identifiziert werden können. Denken wir etwa an die sechs verschiedenen Zeichen, die jeweils aus nur einem Punkt bestehen. Sie lassen sich allenfalls anhand der in ihrer Nähe befindlichen Zeichen eindeutig bestimmen.

Braille verlangte nun offenbar, dass seine Buchstaben auch ohne nachbarliche Unterstützung eindeutig erkennbar sein sollten. Hierzu ersann er eine Regel, die ich als "Buchstabenbedingung" bezeichnen möchte, nämlich: Jede Punktkombination, die einen Buchstaben darstellen soll, muss im Sechspunkteschema links und oben angeschlagen sein. Ein "buchstabentaugliches" Zeichen muss also mindestens einen Punkt aus der linken Spalte (1, 2, 3) und auch mindestens einen Punkt aus der obersten Zeile (1, 4) enthalten. Von den 63 möglichen Braille-Zeichen erfüllen immerhin 44 diese Buchstabenbedingung. Durch systematische Einteilung ist es Braille gelungen, 40 davon in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.

Um nun das Braille"sche Konstruktionsprinzip zu verstehen, denken wir uns die Sechspunkteform in drei Zweiergruppen unterteilt:

Gruppe 1: Punkte 1 und 2,

Gruppe 2: Punkte 4 und 5,

Gruppe 3: Punkte 3 und 6.

Jede dieser Zweiergruppen kann - für sich genommen - drei Punktkombinationen bilden:

Kombination 1: nur der erste Punkt,

Kombination 2: beide Punkte,

Kombination 3: nur der zweite Punkt.

Eine "nullte" Möglichkeit ist schließlich, dass die Zweiergruppe ganz fehlen kann.

Jetzt haben wir die Bestandteile beisammen und können an die Konstruktion der Braille-Buchstaben gehen. Nehmen wir zunächst die erste Zweiergruppe allein, d.h. die Punkte 1 und 2. Zwei ihrer Punktkombinationen, nämlich Punkt 1 sowie Punkte 1 und 2 (im Folgenden schreibe ich dafür P1 bzw. P12) genügen der Buchstabenregel, lassen sich also als die Buchstaben A und B verwenden. P2 allein - die dritte Kombination aus der ersten Gruppe - ist hingegen nicht oben angeschlagen, muss also bei der Definition der Buchstaben übersprungen werden. Die Gruppe 1 ist damit erschöpft.

Die Gruppe 2 (Punkte 4 und 5), für sich genommen, kann keine Buchstaben bilden, weil ihr die Punkte aus der linken Spalte fehlen. Aber wir können die Kombinationen aus den Gruppen 1 und 2 zusammensetzen, und zwar schön der Reihe nach, d.h. wir kombinieren jede der Möglichkeiten von Gruppe 1 (P1, P12, P2) mit jeweils jeder Möglichkeit der Gruppe 2 (P4, P45, P5). Auf diese Weise entstehen:

P1,4 = C,

P1,45 = D,

P1,5 = E;

P12,4 = F,

P12,45 = G,

P12,5 = H;

P2,4 = I,

P2,45 = J,

P2,5 (unbrauchbar, da nicht oben angeschlagen).

Die restlichen Buchstaben bilden wir nun in bekannter Weise durch Hinzunahme der dritten Zweiergruppe, also der Punkte 3 und 6. Aus der oben festgelegten Reihenfolge der Punktkombinationen ergibt sich, dass die zweite Dekade mit P3, die dritte mit P36 und die vierte mit P6 zu bilden ist. An dieser Stelle sollten wir beachten, dass Braille auch die vielen Sonderbuchstaben unterbringen musste, die im Französischen gebräuchlich sind. Damit erwiesen sich die vier Dekaden als gerade noch ausreichend.

Von den buchstabentauglichen Zeichen verbleiben noch die, die aus den Gruppen 2 und 3 allein gebildet werden können, die Punkte 1 und 2 also nicht enthalten. Weil sie der Buchstabenregel genügen sollen, müssen sie aus der linken Spalte den Punkt 3 und aus der oberen Zeile den Punkt 4 aufweisen. Variabel sind also nur noch die Punkte 5 und 6, woraus sich vier Möglichkeiten ergeben: P34, P345, P346 und P3456. Letztere ist uns als "Zahlenzeichen" geläufig.

Nun, in der Praxis werden sich wohl die wenigsten Leute das Braille-Alphabet mit Hilfe des beschriebenen Konstruktionsprinzips einprägen. Dennoch erscheint es mir bemerkenswert, dass der 16-jährige Braille bei der Konzeption seiner Schrift derart systematische Überlegungen angestellt hat.

Aber hier tun sich auch gleich die ersten Rätsel auf:

  1. Wäre es nicht natürlicher gewesen, einfach die drei Zeilen der Sechspunkteform als Bauelemente zu wählen, anstatt sich zwei senkrecht stehende und eine waagerecht liegende Zweiergruppe auszusuchen?
  2. Warum läuft bei der Bildung der Buchstaben C bis J ausgerechnet die mittlere Zweiergruppe am schnellsten (im Bereich P45 ändert sich der Bestandteil von Zeichen zu Zeichen, während der Bestandteil im Bereich P12 für je drei Zeichen und der im Bereich P36 für je zehn Zeichen konstant bleibt)?

Nimmt man einmal spaßeshalber wirklich die drei waagerecht liegenden Zweiergruppen her und legt sich durchgehend auf die erste als die am schnellsten laufende fest, so erhält man ein äquivalentes Schriftsystem, in dem die Braille-Zeichen lediglich in etwas anderer Reihenfolge erscheinen. Die Buchstaben A und G bleiben gleich. B und C werden vertauscht. Schließlich erhält man die Buchstaben C bis J nach meinem hypothetischen Vorschlag aus den entsprechenden Braille-Zeichen, indem man diese um 90 Grad entgegen dem Uhrzeigersinn dreht. Ein so konstruiertes Alphabet würde also genau denselben Zweck erfüllen, aber sein Bauplan würde ein bisschen logischer erscheinen. Sollte unser guter Louis Braille diese Möglichkeit tatsächlich nicht erkannt haben? Und wenn doch, was hat ihn dann wohl dazu bewogen, einer in sich nicht ganz so stimmigen Konzeption den Vorzug zu geben?

Weitere Rätsel stellen sich mir im Zusammenhang mit der Blindennotenschrift, die ja ebenfalls auf Louis Braille zurückgeht. Hier nur ein abschließendes Beispiel: Die Zeichen für die Noten in ihrer Grundform, die nur aus den oberen vier Punkten gebildet werden, stehen definitionsgemäß für Achtelnoten. Zur Bildung von Vierteln, Halben und Ganzen bedient man sich, ähnlich wie bei den Buchstaben, der Punkte 3 und 6 aus der unteren Zweiergruppe. Die Reihenfolge ist hier allerdings P6 für Viertel, P3 für Halbe und P36 für Ganze. Warum? Nun ja, in der Sechspunkte-Notenschrift spielt das "Aussehen" der Zeichen eine viel größere Rolle als beim Braille-Alphabet. So kann man assoziieren, dass die ganzen Noten als die gewichtigsten eben auch die meisten Punkte aufweisen. Hat hier wohl Louis Braille selbst zugunsten der Ästhetik den Boden der strengen Logik verlassen?

Zum Autor:

Dr. Eberhard Hahn war von 1955 bis 1962 Schüler der Carl-Strehl-Schule in Marburg. Nach seinem Abitur studierte er Mathematik an der Universität Tübingen und arbeitete anschließend am dortigen Zentrum für Datenverarbeitung. Seit 2001 ist Dr. Hahn Ruheständler.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Portrait von Dr. Eberhard Hahn. Foto: privat.


Punktschrift

„BSLern“ - Ein Lernprogramm für Punktschrift

Die Punktschrift ist ein wichtiges Kommunikationsmittel für blinde Menschen. Um ihre Verbreitung zu fördern, wurde am Institut für Visualisierung und Interaktive Systeme (VIS) der Universität Stuttgart das Programm "BSLern" zum rechnerunterstützten Erlernen von Vollschrift (als Erstschrift) entwickelt. In der Nikolauspflege Stuttgart wurde das Rahmenprogramm bereits erfolgreich im Unterricht erprobt und um Vollschriftkurse für Achtpunkt-Leser erweitert.

Um verschiedene Lernabfolgen und Lehrtexte zu unterstützen, liest das Programm den Kursinhalt beim Start aus Textdateien ein. Diese können geändert werden, so dass z. B. verschiedene Kurse für Erwachsene und Kinder erstellt werden können. Zukünftig sollen auch Kurzschrift-Kurse möglich sein.

Das Programm ist so gestaltet, dass auch Sehende den Programmablauf verfolgen können. Es arbeitet auf Windows und erzeugt Sprach- und Braillezeilen-Ausgabe mit Hilfe von JAWS. Künftig sollen auch andere Screenreader unterstützt werden. Es kann kostenlos heruntergeladen werden (www.vis.uni-stuttgart.de/~taras/BSLern.html). Dort steht eine Setup-Datei zur Verfügung, die das Programm mit den nötigen JAWS-Skripten und dem von uns entwickelten Lernkurs installiert. Außerdem finden Sie dort eine ausführliche Dokumentation zum Programm und seinen Konfigurationsmöglichkeiten.

Zu den Autoren:

Christiane Taras ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Visualisierung und Interaktive Systeme (VIS) der Universität Stuttgart. Sie befasst sich vor allem mit der Aufbereitung graphischer Darstellungen für Blinde und Sehbehinderte. Thomas Marquardt ist Student der Informatik und als studentische Hilfskraft am VIS Hauptentwickler von "BSLern".

Motiv 1 in der Schwarzschriftausgabe: Portrait von Christiane Taras.

Motiv 2: Portrait von Thomas Marquardt. Quelle: beide privat.

Motiv 3 Beschreibung und Unterschrift: Screenshot der Anwendung BSLern. Er zeigt die Bildschirmdarstellung nach erstmaliger Falscheingabe bei dem Übungssatz "felix fährt heute nach oxford". Zu sehen ist im oberen Bereich der Text, der über Sprache ausgegeben wird, und darunter der bereits eingegebene Text in Schwarzschrift und visueller Punktschrift. Rechts befinden sich Schaltflächen für die wichtigsten Programmbefehle. Alle anderen Befehle sind über das Menü erreichbar. Außerdem wurden allen Befehlen Tastenkürzel zugewiesen. Die Fehlerbehandlung erfolgt in mehreren Schritten. Im ersten, wie hier zu sehen, wird lediglich die falsch eingegebene Punktkombination genannt, das einzugebende Beispiel wiederholt und der noch einzugebende Rest buchstabiert.


Karl Anspach: Ein blinder Kaufmann revolutioniert das Blindenhandwerk

Die Stadt Heilbronn am Neckar kann gleich mit zwei herausragenden Persönlichkeiten aufwarten, die maßgeblich am Aufbau der organisierten Blindenselbsthilfe in Deutschland beteiligt waren: Rudolf Kraemer und Karl Anspach. Der blinde Jurist Rudolf Kraemer (1885 - 1945), ein gebürtiger Heilbronner, rief 1909 den "Württembergischen Blindenverein" (WBV) ins Leben und war auch einer der Gründer des "Reichsdeutschen Blindenverbandes" (RBV, 1912).

Nicht ganz so bekannt wie Kraemer ist der wenige Jahre jüngere blinde Kaufmann Karl Anspach (1889 - 1941). Er stammte aus Ingelheim (Rheinhessen) und kam erst 1915 auf Kraemers Veranlassung nach Heilbronn, um dort die kaufmännische Leitung der noch sehr jungen "Württembergischen Blindengenossenschaft" zu übernehmen. Aber Karl Anspachs Wirken erstreckte sich weit über diese für blinde Handwerker so segensreiche Einrichtung hinaus. So war er beispielsweise zwölf Jahre lang Geschäftsführer des WBV und gehörte ab 1924 bis zu seinem Tod dem Beirat des RBV an. Entsprechend vielfältig sind die Verdienste, die er sich um das deutsche Blindenwesen erworben hat.

Prof. Dr. Christhard Schrenk, der Direktor des Heilbronner Stadtarchivs, hat Leben und Werk dieser beiden Pioniere des Selbsthilfegedankens sehr eingehend studiert und sich dabei äußerst gründliche Sachkenntnisse über das frühe deutsche Blindenwesen erworben. Bereits 2002 erschien sein faszinierendes Buch "Rudolf Kraemer - Ein Leben für die Blinden" (siehe Medibus-Katalog). 2009 publizierte er nun ein ebenso spannendes wie informatives Buch über Karl Anspach.

Im ersten, umfangreichsten Kapitel werden Leben und Werk dieses äußerst rührigen blinden Kaufmanns dargestellt. Der Rest des Buches beschäftigt sich mit Blindenorganisationen, in denen Anspach entscheidend mitwirkte. Das zweite Kapitel behandelt sehr detailliert die Geschichte der "Württembergischen Blindengenossenschaft Heilbronn" von deren Gründung 1913 bis zum Abschluss ihrer Liquidation 2006. Darauf folgt je ein Kapitel über den Württembergischen Blindenverein und über dessen Ortsgruppe Heilbronn, wobei jeweils der Zeitraum von 1909 (Gründung) bis 1945 erfasst ist. Das fünfte Kapitel ruft einen Verein in Erinnerung, der wohl schon fast in Vergessenheit geraten ist: den "Verein deutschredender Blinder" (1890 - 1934). Der Anhang schließlich enthält neben einigen ausführlichen Registern sechs Aufsätze aus der Feder von Karl Anspach, die von seiner beachtlichen schriftstellerischen Leistung Zeugnis geben.

Mit seinen Publikationen über Rudolf Kraemer und Karl Anspach hat sich Christhard Schrenk ohne Zweifel ein bleibendes Verdienst bei der Erforschung des deutschen Blindenwesens während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erworben. Dank und Anerkennung gebührt ihm aber nicht nur für die enorme Arbeitsleistung beim Sichten des umfangreichen Materials. Er versteht es auch ausgezeichnet, die Fülle des Stoffs in eine literarische Form zu kleiden, die neben einem kleinen Kreis von Fachleuten auch eine hoffentlich recht große Zahl von interessierten Laien begeistern wird.

Information und Bestellung:

Christhard Schrenk: Karl Anspach - Ein blinder Kaufmann revolutioniert das Blindenhandwerk. Mit Beiträgen zur Geschichte der Württembergischen Blindengenossenschaft Heilbronn, des Württembergischen Blindenvereins und seiner Heilbronner Ortsgruppe sowie des Vereins deutschredender Blinder. Heilbronn, 2009. (Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Heilbronn, Bd. 57). ISBN 978‑3‑940646‑03‑3. 203 Seiten plus Hör-CD im DAISY-Format. 16,80 Euro.

Bestellungen sind über die Website des Stadtarchivs Heilbronn möglich: http://www.stadtarchiv-heilbronn.de.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Buch und CD. Buchcover nachtblau, mit Schwarz-Weiß-Portrait Karl Anspachs, der am Schreibtisch eine Punktschriftmaschine bedient. Quelle: Stadtarchiv Heilbronn.


Buchtipps für Beruf und Büro

Bischof, Anita: Besprechungen effektiv und effizient.

Planegg: STS, 1997. ISBN 3-86027-170-9. K.98, 24,10 €, 1 Bd., 140 S., Bestellnummer: 4159 D., 24,10 €, Bestellnummer: 4159.prt

Dieser Ratgeber leitet an, Besprechungen gut vorzubereiten, besser durchzuführen und optimal nachzubereiten. Darüber hinaus erklärt er, warum Kommunikation oft missglückt und was man dagegen tun kann.

Klein, Hans-Michael: Mit Psychologie erfolgreich führen. Menschen verstehen, Verhalten steuern.

Berlin: Cornelsen, 2006. ISBN 3-589-23450-4. KR., 39,70 €, 1 Bd., 1 Hbd., 198 S., Bestellnummer: 4531. D., 39,70 €, Bestellnummer: 4531.prt

Crashkurs für den Alltag junger Führungskräfte.

Nöllke, Matthias: Schlagfertigkeit.

Planegg: Haufe, 2007. ISBN 3-448-07450-0. KR., 21,50 €, 1 Bd., 148 S., Bestellnummer: 4595. D., 21,50 €, Bestellnummer: 4595.prt. D., 24,10 €, Bestellnummer: 4595-D.pdf

Ratgeber für souveräne Kommunikation und schlagfertiges Kontern in allen Situationen - sowohl beruflich wie auch privat. Wie man Angriffe souverän übersteht, unangemessener Kritik entgeht, Schläge unter der Gürtellinie pariert und vieles mehr wird praxisnah und anhand von Beispielen demonstriert.

Information und Bestellung:

Die Bücher können in Punktschrift oder auf Datenträger bestellt werden bei der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista), Postfach 1160, 35001 Marburg, Telefon: 06421 606-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Titelbild des Buches "Mit Psychologie erfolgreich führen". Ohne Bildunterschrift.


Reihe „Kompass Recht“: Juristisches Wissen im Kombi-Pack für alle

Die erste Staffel einer auf 30 Bände geplanten Fachbuchreihe mit dem Titel "Kompass Recht" ist im April 2010 im Stuttgarter Kohlhammer-Verlag erschienen. Der Clou: Allen Büchern liegt eine CD-ROM mit ergänzendem Arbeitsmaterial bei. Der Datenträger enthält auch eine Hörfassung des jeweiligen Werkes im MP3-DAISY-Format. Dies ist das Ergebnis einer bisher zumindest in dieser Form einzigartigen Kooperation zwischen dem renommierten Fachbuch-Verlag und dem Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS).

"Hörbücher sind im Kommen; warum also nicht eine Hörfassung jedem Buch beilegen", dachte sich der Herausgeber der Buchreihe, Prof. Dieter Krimphove von der Universität Paderborn. "So wäre sehbeeinträchtigten Menschen geholfen und die Bücher könnten außerdem von jedermann unterwegs gehört werden, im Auto, beim Spazierengehen ..."

Auch dem Verlag gefiel die Idee. Ein Spender des DVBS übernahm die Patenschaft für die ersten beiden Staffeln. "Weil auch der DVBS mit ins Risiko geht, ist die Sache für uns wirtschaftlich darstellbar", meinte Verlagsleiter Jens Roth. Dem Buchpreis merkt man die DAISY-Hörversion nicht an, hier gilt ein Preis für alle(s).

Die Titel decken das gesamte Spektrum des deutschen Rechts ab. Autoren sind namhafte Wissenschaftler, Praktiker und Richter deutscher Obergerichte. Sie sind sowohl mit den Bedürfnissen der Studenten im Hinblick auf die Klausursituation als auch mit praxisrelevanten Problemstellungen vertraut.

Information und Bestellung:

Bisher erschienen: BGB I: Vertragsrecht (M. Beurskens); BGB II: Recht der Beweglichen Sachen (A. Neef), Europarecht (D. Krimphove); Multimediarecht (D. Barton); Staatsrecht (J.-D. Oberrath); Steuerrecht I (W. Mayer). Jeweils ca. 160 Seiten, rund 8 Stunden DAISY-CD. Pro Band 17,90 Euro.

Bestellungen über den Buchhandel oder zuzüglich Versandpauschale (1,60 Euro) beim DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon 06421 94888-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Nähere Infos zu den Büchern inklusiv Leseproben gibt es auf der Website des Kohlhammer-Verlages: http://www.kohlhammer.de

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Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Titelbild von "Multimediarecht". Ohne Bildunterschrift.


„Axolotl Roadkill“ nun auch in Blindenschrift erhältlich

In den letzten Wochen war das Buch der 17-Jährigen Helene Hegemann Thema in Talk-Shows und in sämtlichen Feuilletons großer Zeitungen. Es wurde deshalb von der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista) in Marburg zeitnah in Blindenschrift umgesetzt.

"Das Buch ist phänomenal", schrieb die Süddeutsche Zeitung. Allein auf die Sprache trifft diese Charakterisierung zu. Komplexe, wortgewaltige Sätze und eine derbe Jugend- und Drogenszenesprache bilden eine interessante, neuartige und lesenswerte Mischung: "Ich hingegen erfreue mich an der von mir perfekt dargestellten Attitüde des arroganten Arschkindes, das mit seiner versnobten Kaputtheit kokettiert und die Kaputtheit seines Umfelds gleich mit entlarvt."

Die Erzählerin ist "Wohlstandsverwahrlost". Die Schule bzw. ihre weitere Lebensplanung interessiert sie nicht. Alles rauscht wie in einem Film vorbei. Die Kommunikation per Mail mit ihrer Freundin Ophelia, die SMS-Nachrichten an und von ihrem Vater, Partys und Diskobesuche. Die Hauptfigur ist so übersättigt durch Events und die Kommunikation einer modernen Mediengesellschaft, dass ihr der dramatische Besuch in einem Konzentrationslager "nichts sagt". Gibt es Maßstäbe und Werte, die überhaupt eine Wichtigkeit haben, möchte man sich nach der fesselnden Lektüre fragen.

Information und Bestellung:

Helene Hegemann: Axolotl Roadkill. Ullstein, 2010. Die Punktschriftversion umfasst zwei Bände mit insgesamt 286 Seiten. Sie ist unter der Bestelllnummer 4632 für eine Schutzgebühr von 43,00 Euro bei der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista), Tel: 06421 6060, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, erhältlich.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Titelbild von "Axolotl Roadkill". Ohne Bildunterschrift.


Bücher

Mein Hörtipp: Die neue Diät: Fit und schlank durch Metabolic Power

Eine Ernährungsumstellung, die den Stoffwechsel verändert, das ist "Metabolic Power". Nach Ulrich Strunz liegt der Schlüssel für das Schlankwerden und -bleiben in den richtigen Enzymen, die die Fettverbrennung ankurbeln ("Tatort Fettzelle"). Wer mehr von diesen Enzymen haben möchte, muss schnell lösliche Kohlenhydrate, wie sie vor allem in Brot, Nudeln oder Süßigkeiten vorkommen, vermeiden. Nicht ständig, aber zeitweise, und besonders konsequent in der ersten Diät-Phase ist "No Carb" das Motto.

Strunz empfiehlt unterstützend Blutanalysen ("Tatort Blut"), Bewegung ("Tatort Muskel"), Stressabbau und die rechte Motivation ("Tatort Kopf"). Sein Buch ist angereichert mit Slogans wie "Schlank lebt länger". Dehn- und Kräftigungsübungen für den ganzen Körper, die für Diät-Phase zwei wichtig werden, sorgen für die sportliche Note.

Gezielte Nahrungsergänzung oder Eiweißdrinks sollten laut Strunz beim Abnehmen nicht fehlen. Leckere Rezepte machen in "Metabolic Power" nur den kleineren Teil aus, denn wichtiger ist dem Autor, dass die Prinzipien verstanden werden. Einen Trost gibt es: Ab und zu ist Schokolade erlaubt. Der "Start ins Luxusleben" ist die dritte und letzte Phase der Ernährungsumstellung, und für sie gibt es zeitlich keine Begrenzung.

Strunz wurde durch "Forever-Young"-Bücher populär. "Metabolic Power" - ins Deutsche übersetzt etwa: Stoffwechselkraft - zählt zu den aktuellen Titeln und es gibt eine Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln, die inzwischen mit dem Stichwort "Metabolic Power" werben. Dieses Buch birgt Diskussions-Stoff zum Thema gesunde Ernährung. Es steckt voller Impulse, es mit dem Abnehmen zu probieren - selbst für diejenigen, die "Fit-und-Erfolgreich-Parolen" nicht mögen.

Information und Bestellungen

Ulrich Strunz: Die neue Diät - Fit und schlank durch Metabolic Power. München: Heyne, 8. Auflage 2008. Das Daisy-Buch ist unter der Bestellnummer 6613 als DAISY-CD (9 Stunden 42 Minuten) erhältlich beim Textservice des DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421.94888-22; E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Titelbild des Buches "Metabolic Power". Ohne Bildunterschrift.


Hamburger Blindenstiftung holt rund 100 Künstler mit und ohne Handicap auf die Bühnen

Unter dem Motto "Kultur verbindet!" veranstaltet die Hamburger Blindenstiftung vom 22. bis 29. August 2010 in Hamburg die Kulturwoche 2010, Deutschlands größtes Kulturfestival für Menschen mit und ohne Handicap. Rund hundert blinde, sehbehinderte und sehende Künstler treten dann im Thalia Theater, Ernst-Deutsch-Theater, der Markthalle, der Fabrik und im Spiegelsaal des Museums für Kunst und Gewerbe auf, um ihr Publikum mit Klassikkonzerten, Rock-, Pop- und Jazzabenden, Hörfilm- und Theater- sowie Musical-Aufführungen zu begeistern.

Nähere Informationen und das Programm finden Sie im Internet unter: www.blindenstiftung.de, Tickets gibt es unter Telefon: 01805/4470 (Ticket Online) sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen.


Kulturmetropole RUHR.2010 bietet eine Vielzahl von barrierearmen Angeboten

Um barrierefreie Zugänglichkeit bemüht sich die Kulturmetropole RUHR.2010. Damit Menschen mit Handicap, Senioren und Familien mit kleinen Kindern die vielfältigen Angebote der Region unbeschwert miterleben können, wurde das Internetportal "Ruhr2010-barrierefrei.de" in Leben gerufen. Hier sind Informationen zu unterschiedlich "barrierearmen" Veranstaltungsorten, Sehenswürdigkeiten, Lokalitäten und Hotels sowie Hinweise zum Thema Mobilität, Service, Unterhaltung und Pflege zusammen gestellt.

Vom Bergbaumuseum in Bochum über die Philharmonie in Duisburg bis zur Zeche Nachtigall in Witten - unter dem Titel "Tipps für Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit" gibt die Internetseite Auskunft über die Veranstaltungsorte, die beispielweise mit Assistenzangeboten zur Orientierung und Veranstaltungsteilnahme aufwarten, die Mitnahme eines Blindenführhundes gestatten oder darauf hinweisen, dass es sich bei der Eingangstür um eine Drehtür handelt. Weiterhin lädt das virtuelle Gästebuch des Internetangebotes dazu ein, dass Erfahrungen ausgetauscht, Barrieren angemahnt und Tipps weiter gegeben werden.

Die Herausgeber des Internetangebots www.Ruhr2010-barrierefrei.de sind das Lions-Hilfswerk Soziale Dimension e. V. in Lüdenscheid und bft - Barrier-free-tourism.eu - Barrierefreier-Tourismus.eu.


Tastmodelle machen Nürnberg und Neubrandenburg für Blinde erfahrbar

Die Aussicht von der Kaiserburg in Nürnberg auf die darunter liegende Altstadt können künftig auch blinde und sehbehinderte Menschen genießen - mit Hilfe einer Relief-Tasttafel. Die ein Meter mal 30 Zentimeter große Platte auf der Aussichtsplattform im Westen der Burg zeigt das Panorama der Altstadt beim Blick von der Burgfreiung in südlich Richtung. Die wichtigsten Bauwerke werden in Blindenschrift erklärt.

Auch in Neubrandenburg steht seit kurzem ein Tastmodell für Blinde und Sehbehinderte. Die nach Rostock und Schwerin drittgrößte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns hat ein Modell der Innenstadt im Maßstab 1:750 bauen lassen. Das 1,20 Meter mal 1,20 Meter große Modell aus Messing bildet das Gebiet innerhalb der Neubrandenburger Stadtmauer ab. Es ist an der Stadtinformation am Markt aufgestellt.

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Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Blick über Dächer auf die Altstadt Nürnbergs. Quelle: Archivfoto.


Steuererklärung leicht gemacht! Neuer Ratgeber hilft Eltern behinderter Kinder

Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V. hat sein jährlich neu erscheinendes Steuermerkblatt für Familien mit behinderten Kindern aktualisiert. Das Steuermerkblatt 2009/2010 berücksichtigt die Änderungen, die sich durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zum 1. Januar ergeben haben. Dazu gehört zum Beispiel die Erhöhung des Kindergeldes. Eingegangen wird ferner auf den gestiegenen Grenzbetrag der Einkünfte und Bezüge, den erwachsene Kinder nicht überschreiten dürfen, damit ihre Eltern Kindergeld beziehen können. Ausführlicher als bisher und anhand vieler konkreter Beispiele wird erläutert, wie Eltern überprüfen können, ob ihnen im Jahr 2010 ein Anspruch auf Kindergeld für ihr erwachsenes Kind mit Behinderung zusteht.

Das Steuermerkblatt 2009/2010 steht im Internet unter www.bvkm.de in der Rubrik "Recht und Politik" kostenlos als Download zur Verfügung. Wer die gedruckte Version des Steuermerkblatts bestellen möchte, sende bitte einen mit 90 Cent frankierten (an sich selbst adressierten) Rückumschlag (DIN lang) an den: BVKM, Stichwort "Steuermerkblatt", Brehmstr. 5-7, 40239 Düsseldorf.


Deutscher Hörfilmpreis 2010 für „Elling“, „Vitus“ und „Der Vorleser“

Im Rahmen einer festlichen Gala wurde am 23. März 2010 in Berlin der 8. Deutsche Hörfilmpreis verliehen. In Anerkennung des hohen Niveaus der 13 Nominierungen entschied sich die Jury dafür, zwei Preise zu vergeben.

Zuerst wurde die Hörfilmfassung der norwegischen Komödie "Elling" ausgezeichnet. Schauspielerin Dennenesch Zoudé überreichte den Preis an Hans-Wolfgang Jurgan, Geschäftsführer der Degeto Film, sowie die Filmbeschreiberinnen Evelin Sallam und Susanne Linzer.

Als zweite Hörfilmproduktion konnte sich das Schweizer Familiendrama "Vitus" durchsetzen. Regisseurin Sophie Heldman ("Satte Farben vor Schwarz") hielt die Laudatio und übergab den Preis an Hauptdarsteller Bruno Ganz, ARTE-Programmdirektor Dr. Christoph Hauser sowie die Filmbeschreiberin Sabine Ziehm.

Anschließend wurde der erste Publikumspreis in der Hörfilmpreisgeschichte vergeben. An der Abstimmung hatten sich zahlreiche blinde, sehbehinderte, aber auch sehende Hörfilmfans beteiligt. Als eindeutiger Publikumsliebling konnte sich mit 47 Prozent der Stimmen das deutsch-amerikanische Drama "Der Vorleser" durchsetzen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit übergab den Preis an Hauptdarsteller David Kross und Bernd Benecke vom Bayerischen Rundfunk.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Die Preisträger Bruno Ganz und David Kross stehen gemeinsam mit Schirmherrin Christine Neubauer auf der Bühne der Veranstalter. Quelle: DBSV (Franziska Krug).


„Woche des Sehens“ vom 8. bis 15. Oktober 2010

Das Thema der diesjährigen Woche des Sehens lautet "Augen im Blickpunkt". Dabei geht es unter anderem um die Möglichkeiten moderner Augendiagnostik. Der fachkundige Arzt entdeckt nämlich nicht nur Augenkrankheiten in ihren Anfängen, beim Blick ins Auge bemerkt er oft auch als erster, dass ein Patient an Diabetes leidet. Darüber hinaus fallen den Ärztinnen und Augenärzten beispielsweise auch bei Bluthochdruck und bei rheumatischen Erkrankungen Veränderungen im Auge auf.

Die Woche des Sehens findet deutschlandweit zum neunten Mal statt. Höhepunkte sind die zwei internationalen Aktionstage "Welttag des Sehens" und "Tag des weißen Stocks" am 14. bzw. 15. Oktober. Mit einer Vielzahl von Aktionen werden die acht Trägerorganisationen wieder auf die Bedeutung von gutem Sehvermögen, auf die Ursachen vermeidbarer Erblindung sowie auf die Situation sehbehinderter und blinder Menschen in Deutschland und in den sogenannten Entwicklungsländern aufmerksam machen.

Nähere Informationen finden Sie im Internet unter: www.woche-des-sehens.de.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Woche des Sehens, Plakatmotiv 2010. Der Blick fällt auf das Gesicht einer jungen Frau. Sie schaut durch das Rechteck, dass sie mit gespreiztem Daumen und Zeigefinger beider Hände bildet. Bildunterschrift: Keyvisual Woche des Sehens 2010. Foto: Woche des Sehens.


Berufsfachschule für Physiotherapie und Sehzentrum Berlin erweitern ihr Angebot

Die Berufsfachschule für Physiotherapie bietet jetzt eine verkürzte Ausbildung vom Masseur/medizinischen Bademeister zum Physiotherapeuten an. Das neue Angebot dauert 18 Monate und umfasst praktischen als auch theoretischen Unterricht. Im Herbst 2009 gestartet, steht im Februar 2011 die Abschlussprüfung des ersten Kurses an. Ein neuer Kurs wird im September 2010 beginnen. Anmeldungen dafür sind noch möglich unter Telefon: 0371 33 44 124 oder E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Im Sehzentrum Berlin kann man jetzt auch seine Sprachkenntnisse in Englisch und Russisch verbessern. Die Palette der neuen Angebote reicht von Spezialsprachkursen für die Anforderungen im Berufsleben über Kursen, die auf den Freizeit- und Urlaubsgebrauch ausgerichtet sind, bis hin zu Nachhilfeangeboten für Schülerinnen und Schüler. Sehgeschädigte Menschen finden speziell auf sie ausgerichtete Lehr- und Lernbedingungen vor. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an das Sehzentrum Berlin, Telefon: 030 72616871, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.sfz-chemnitz.de.


Panorama

Leitfaden für Studierende mit Behinderung als Hörbuch

Die Universität Bielefeld gibt seit mehr als 20 Jahren einen umfangreichen Leitfaden zum Studium mit Behinderung heraus. Der fast 50 Seiten starke Leitfaden richtet sich vor allem an Studieninteressierte und Studienanfänger/innen. Sie erhalten Informationen zu Zulassungsbedingungen, zu baulichen Gegebenheiten und Studiengebühren sowie zu den besonderen Unterstützungsangeboten für Studierende mit Behinderung an der Universität Bielefeld. Eine Linkliste und zahlreiche Kontaktadressen ergänzen das Angebot. Der Leitfaden ist nun erstmalig auch als Hörversion erhältlich. Das DAISY-Hörbuch "Leitfaden der Universität Bielfeld" finden Sie hier: http://www.uni-bielefeld.de.

Quelle:

Tipps + Informationen Nr. 1/2010. Deutsches Studentenwerk. Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS), Berlin. www.studentenwerke.de/behinderung.

Information:

In ihrem Newsletter "Tipps + Informationen" berichtet die IBS regelmäßig aus ihrer Arbeit und informiert über wichtige Aktivitäten Dritter zur Sicherung der Teilhabe und Chancengleichheit von Studierenden mit Behinderung. Wenn Sie die "Tipps + Informationen" erhalten möchten, dann schicken Sie bitte eine formlose E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.


UN-Behindertenrechtskonvention als große Chance für alle: Erstes Bundesland erstellt einen Landesaktionsplan

Rheinland-Pfalz setzt die UN-Behindertenrechtskonvention mit einem Landesaktionsplan um. Der Aktionsplan benennt konkrete Ziele, Maßnahmen und Zuständigkeiten der einzelnen Ministerien der Landesregierung, um Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft einzubeziehen und die uneingeschränkte Teilhabe, Gleichstellung und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Dies erklärten Sozialministerin Malu Dreyer (SPD) und der Landesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen, Ottmar Miles-Paul, bei der Vorstellung des Planes am 25. März 2010 in Mainz.

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist in Deutschland seit rund einem Jahr in Kraft. Als "Rückenwind für unsere Politik für und mit Menschen mit Behinderungen" sieht Malu Dreyer die Bedeutung der UN-Konvention. "Rheinland-Pfalz ist das erste Land bundesweit, das einen eigenen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorlegt," unterstrichen die Ministerin und der Landesbeauftragte. Die Bundesregierung beabsichtigt ebenfalls einen Aktionsplan zu erarbeiten.

In Rheinland-Pfalz wurde mit dem Landesbeirat zur Teilhabe behinderter Menschen ein Leitbild für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention entwickelt. "In einer zweiten Stufe werden auch andere Akteure wie Kommunen, Kirchen, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und die Selbsthilfe behinderter Menschen aufgefordert, sich am Aktionsplan zu beteiligen und ihre Vorschläge einzubringen", so der Landesbehindertenbeauftragte. Im Bundesland leben etwa 410.000 Menschen mit Behinderungen. Das sind 10 Prozent der gesamten Bevölkerung. 46 Prozent der behinderten Menschen sind Frauen.

Der durch den Ministerrat verabschiedete Aktionsplan umfasst annähernd 200 Maßnahmen und orientiert sich an den grundlegenden Lebensbereichen der Menschen. Die Themen sind Erziehung und Bildung, Arbeit, Wohnen, Kultur, Sport und Freizeit, Gesundheit und Pflege, Schutz der Persönlichkeitsrechte, Interessenvertretung, Mobilität und Barrierefreiheit, barrierefreie Kommunikation und Information.

Im Bereich der Erziehung und Bildung sei das zentrale Ziel für Rheinland-Pfalz, behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche gemeinsam zu erziehen und gemeinsam zu unterrichten. Für das Land stehe dabei die Inklusion von Anfang an im Mittelpunkt des Handelns, was die Sicherstellung der Frühförderung, die Unterstützung von Elterninitiativen und die Entlastung der Eltern behinderter Kinder umfasse, so Dreyer und Miles-Paul. "Aktuell sollen die 172 Schwerpunktschulen unter Einbeziehung aller Schularten kontinuierlich ausgebaut werden. Dabei steht die Unterstützung der Erzieherinnen und Erzieher und der Lehrerinnen und Lehrer durch entsprechende Fortbildungen mit im Vordergrund", nannten die Ministerin und der Landesbeauftragte Beispiele des Landesaktionsplans.

"Menschen mit Behinderungen muss das gleiche Recht auf Arbeit gegeben werden, damit sie die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst zu verdienen, wie alle anderen Menschen auch", so Dreyer und Miles-Paul. Deshalb fördere die Landesregierung die gleichberechtigte Beschäftigung, Vermittlung und Fortbildung behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. "Als Maßnahme nimmt der Landesaktionsplan den kontinuierlichen Ausbau der bestehenden 70 Integrationsfirmen auf, in denen derzeit über 700 Menschen mit Behinderungen beschäftigt sind", so Dreyer. Der Ministerin und dem Landesbeauftragten ist darüber hinaus wichtig, Beschäftigungsalternativen zur Werkstatt für behinderte Menschen zu schaffen. Das Budget für Arbeit ist dabei ein wichtiges Instrument. Es ermöglicht den Übergang von der Werkstatt für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und soll weiter ausgebaut werden. Zur Zeit nehmen 126 Menschen im Land das Budget für Arbeit in Anspruch.

Um dem Ziel des selbstbestimmten, barrierefreien und integrierten Lebens und Wohnens näher zu kommen, habe die Landesregierung das Landesprogramm "Wohnen in Orts- und Stadtkernen" entwickelt, das kurz- und mittelfristig mehr barrierefreien Wohnraum schaffen will, so die Ministerin und der Landesbeauftragte. Auch die Umsetzung des im Dezember 2009 verabschiedeten Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe (LWTG) sei ein bedeutender Baustein des Landesaktionsplans. "Das Gesetz stärkt unter anderem alternative Wohnformen für behinderte und ältere Menschen", so Dreyer und Miles-Paul. Besonders wichtig sei ihnen auch die Reihe von "Zukunftsprozessen zur Umwandlung von Behinderteneinrichtungen", durch die das Leben von Menschen mit Behinderungen mitten in der Gemeinde gefördert werde.

Die barrierefreie Nutzung der verschiedenen Angebote, wie der Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen, aber auch von historischen Gebäuden, ist ein Kernziel des Landesaktionsplans. Vor allem im Bereich des Tourismus sollen die Rahmenbedingungen für mehr Barrierefreiheit geschaffen und die Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Angeboten sichergestellt werden. Als nächste konkrete Projekte stehen die barrierefreie Gestaltung der Bundesgartenschau 2011 in Koblenz, die gleichberechtigte Nutzung von Umweltbildungs- und Informationszentren und die Förderung barrierefreien Naturerlebens auf der Agenda des Landes.

Der Landesaktionsplan habe zum Ziel, dass behinderte Menschen wohnortnah Angebote der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung nutzen können, wie alle anderen auch, so der Landesbehindertenbeauftragte. Ministerin Dreyer verwies unter anderem auf den Ausbau der 135 Pflegestützpunkte. Weiterhin setzt sich das Land für barrierefreie Arztpraxen und die Barrierefreiheit und Assistenz in Krankenhäusern ein. Auch sei die kontinuierliche Weiterentwicklung der gemeindepsychiatrischen Versorgungsstruktur geplant, damit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen gleichberechtigt in der Gemeinde leben können. Ein besonderes Anliegen ist der Ministerin die Berücksichtigung der Belange behinderter Menschen in der Krankenhausversorgung im Rahmen der Novellierung des Krankenhausgesetzes, das am 1. Januar 2011 in Kraft treten soll.

Der Landesaktionsplan greift ebenfalls den Schutz der Persönlichkeitsrechte für behinderte Menschen auf. "Mit einer Zielvereinbarung soll zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen behinderten Menschen und der Polizei erleichtert werden", so Dreyer und Miles-Paul. Die Bewusstseinsbildung und Fortbildung über die Belange behinderter Menschen im Bereich der Justiz und des Opferschutzes und über die weitgehende Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen stehe genauso auf der Agenda, wie die Unterstützung und Fortbildung von gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuern.

"Menschen mit Behinderungen müssen gleichberechtigt mit anderen ihre politischen und öffentlichen Interessen wahrnehmen können. Deshalb sieht der Landesaktionsplan eine enge Zusammenarbeit der Landesregierung mit den Verbänden der Menschen mit Behinderungen vor, beispielsweise bei konkreten Gesetzgebungsverfahren", betonten Dreyer und Miles-Paul. Als ein weiterer Baustein soll die Einrichtung von kommunalen Behindertenbeauftragten und Behindertenbeiräten verstärkt sowie Informationen in leichter Sprache angeboten werden. Auch sollen behinderte Menschen bei Ehrungen und Preisverleihungen gleichberechtigt berücksichtigt und in ihrem ehrenamtlichen Engagement gefördert werden.

Mobilität und Barrierefreiheit in allen Lebenslagen sollen in Rheinland-Pfalz Standard werden. "Die Mittelvergabe wird konsequent an die barrierefreie Gestaltung gebunden, so zum Beispiel auch im Rahmen der Maßnahmen des Konjunkturprogramms II", so die Ministerin und der Landesbeauftragte. Kontinuierlich verbessert werden soll auch der barrierefreie Zugang zu Verkehrsmitteln, Dienstgebäuden und Arbeitsstätten. Zudem soll ein einheitliches Signet "Barrierefreies Rheinland-Pfalz" entwickelt und bekannt gemacht werden.

Als konkrete Maßnahmen zur Förderung einer barrierefreien Kommunikation und Information ist die Verwendung einer bürgernahen und leichten Sprache geplant. "Alle Menschen müssen barrierefrei an Informationen und an der Kommunikation teilhaben können", so Dreyer und Miles-Paul. So soll neben einer barrierefreien Verwaltung auch der barrierefreie Zugang zum Internet- und Intranetangebot des Landes konsequent ausgebaut werden.

Malu Dreyer kündigte an, innerhalb ihres Ministeriums eine Anlaufstelle für die Umsetzung der UN-Konvention auf Landesebene einzurichten. Die zentrale Koordinierungsfunktion übernimmt der Landesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen. Ottmar Miles-Paul äußert sich im Aktionsplan zur anstehenden Arbeit: "Die Vielzahl der Maßnahmen, die für die Umsetzung der Konvention entwickelt wurden, zeigen eindrücklich, wie viele Baustellen es gibt, die wir noch bearbeiten müssen, um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen." Ihn freut vor allem, "dass behinderte Menschen und ihre Verbände in viele der angestrebten Veränderungsprozesse bereits aktiv eingebunden sind."

"Den Aktionsplan begreifen wir nicht als festgezurrten Plan, sondern als einen sich kontinuierlich weiterentwickelnden und auf Zusammenarbeit mit vielen Partnerinnen und Partnern angelegten Werkzeugkasten zur Umsetzung der UN-Konvention," erklärt Ministerin Dreyer im vorgelegten Plan. Und: "Wir müssen in der Politik für und mit Menschen mit Behinderungen das Rad nicht ständig neu erfinden, sondern können auf vielen guten Beispielen und Erfahrungen aufbauen."

Ergänzende Informationen:

Der Landesaktionsplan und weitere Infos sind unter www.un-konvention.rlp.de zu finden.

Malu Dreyer ist seit 2002 rheinland-pfälzische Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen. Die 50-Jährige lebt und arbeitet mit Multipler Sklerose.

Ottmar Miles-Paul ist seit 2008 in Rheinland-Pfalz Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen. Er ist dort auch Vorsitzender des Landesbeirats zur Teilhabe behinderter Menschen. Der 45-Jährige ist von Seh- und Hörbehinderung selbst betroffen.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe, Beschreibung und Unterschrift: Sozialministerin Dreyer und Landesbehindertenbeauftragter Miles-Paul tragen den Staffelstab "Teilhabe sichern - UN-Konvention umsetzen. Wir machen's einfach. Rheinland-Pfalz." Quelle: Sozialministerium Rheinland-Pfalz.


Recht

Das neue Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG): Ratgeber der Bundesvereinigung Lebenshilfe erleichtert das Verständnis

Seit dem ersten Oktober 2009 ist das neue Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) in Kraft. Es löst das Vertragsrecht des alten Heimgesetzes ab, kann alle Wohnformen betreffen und gilt auch für bestehende Altverträge. Das Gesetz stärkt deutlich die Rechte von Bewohnerinnen und Bewohnern. Wer doppelt abhängig ist, weil er etwa Wohnraum und Betreuungsleistungen von der gleichen Institution erhält, wird jetzt besser geschützt. Die Pflichten für die Träger von Wohnformen werden ausgebaut.

Der gut verständliche Ratgeber, den die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V. nun in der zweiten Auflage herausgegeben hat, erklärt mit vielen praktischen Ratschlägen, Materialien und einem Musterwohnvertrag die neue Rechtslage. Er ist unverzichtbar für alle, die sich beruflich oder privat mit den Themen Wohnen mit Behinderung, bei Pflegebedarf oder im Alter befassen.

Information und Bestellung:

Friso Ross: Das neue Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) - Fragen und Antworten zum neuen WBVG. Checklisten, Mustervertrag, Gesetzestext, Gesetzesmotive. Herausgegeben von der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V. Marburg: Lebenshilfe-Verlag, 2. Auflage 2010. ISB-Nummer: 978-3-88617-533-8 (10,00 Euro).

Im Buchhandel oder über die Website der Bundesvereinigung Lebenshilfe: http://www.lebenshilfe.de (Bestellnummer: LER 533).

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Titelfoto der Broschüre. Ohne Bildunterschrift.


Trotz allen Trainings: Hund bleibt Hund

(dpa) Ben kann das rote und das grüne Ampelmännchen nicht voneinander unterscheiden. Er weiß zwar, was eine Ampel ist. Ob sein Frauchen aber über die Straße gehen darf oder nicht, kann er ihr nicht mitteilen. Nur auf Befehl führt er sie hinüber und bleibt vor dem Bordstein stehen, damit sie nicht stolpert und sich orientieren kann. Ben ist einer von rund 3000 Blindenführhunden in Deutschland und steht Marion Koch (51) aus Hoisdorf in Schleswig-Holstein zur Seite. Vor acht Jahren ist die Dressurreiterin erblindet und verlässt sich seither auf die Fähigkeiten von Hunden. Doch das Zusammenspiel von Mensch und Tier will geübt sein.

Ben und Marion Koch üben seit einem Jahr

Bens Vorgänger Bernie hatte Alterserscheinungen und war reif für den Ruhestand. Mit der Disziplin hapert es bei dem zwei Jahre alten Labrador Retriever jedoch noch ein wenig. Ob Schokolade auf dem Gehweg, ein weggeworfener Döner im Gebüsch oder Essensreste im Mülleimer - der Rüde liebt alles, was irgendwie fressbar ist. Manchmal sei er ein "echter Schnappspecht", erzählt die zierliche Frau mit der dunklen Sonnenbrille. Überhaupt sei Ben ganz anders als Bernie: In Situationen, in denen Bernie Ruhe bewahrte und höchst konzentriert bei der Sache war, gibt Ben schon einmal seinen Instinkten nach.

Marion Koch nimmt's gelassen: "Er ist eben auch nur ein Hund", sagt sie und tätschelt liebevoll Bens Kopf. "Ich wundere mich immer wieder, wie viel die Menschen einem Blindenführhund zutrauen." Ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit und schon steckt der lebhafte Hund seinen Kopf in den nächsten Mülleimer. An den Gerüchen, die ihm zwischen Zeitungspapier, Taschentüchern und Plastiktüten in die Nase steigen, kommt er einfach nicht vorbei. Da nützt auch die beste Ausbildung und die beste Führung nichts. "Es ist ein Irrtum, dass sich jeder Blindenführhund so vorbildlich benimmt wie "Lassie", sagt Marion Koch. Denn im Gegensatz zu dem makellosen Verhalten des berühmten Fernsehhundes mache ein Blindenführhund nicht immer alles richtig. Energisch zieht sie an dem weißen Führgeschirr, ruft ein einziges Mal laut "Pfui" und setzt sich durch: Mit einem missmutigen Grunzen taucht Ben wieder aus dem Mülleimer auf und schaut scheinbar reuevoll zu Marion Koch hinauf. Sie fasst ihm kurzerhand ins Maul, um zu fühlen, ob er in seiner Gier etwas aufgeschnappt hat.

Die Beiden haben zwei Wochen lang trainiert, sich gemeinsam durch die Stadt zu bewegen. Danach stellten sie sich der sogenannten Gespannprüfung, bei der sie in ganz alltäglichen Situationen zeigen mussten, dass sie als Team funktionieren. Die Prüfung meisterten Ben und sein Frauchen zwar mit Bravour, doch völlig reibungslos verläuft das Zusammenspiel auch Monate später noch nicht: So soll der junge Labrador jetzt eigentlich die Treppe im Restaurant anzeigen, doch steuert er wie eingeübt eifrig den Ausgang an. Laut und streng ruft Marion Koch mehrmals "Such Treppe", bis Ben sie schließlich zu den Stufen führt.

Aller Anfang ist schwer

…das weiß auch Ira Rheker von der Hamburger Blindenführhundschule "Dogs University": "Es dauert mindestens ein Dreivierteljahr, bis ein Gespann reibungslos zusammen läuft." Bis man vom sprichwörtlichen blinden Vertrauen sprechen kann, macht das Tier immer wieder Fehler. Vor allem, wenn es sich in einer Gegend noch nicht so gut auskennt. "Dann kommt es schon einmal vor, dass der Hund stehen bleibt, langsamer wird oder vielleicht sogar in die falsche Richtung läuft", erklärt Rheker. Mit der Zeit werde die Verständigung zwischen Mensch und Tier aber immer besser. Neun Monate lang wurde Ben in der Hundeschule von Thomas Becher im thüringischen Arnstadt ausgebildet. Immer wieder übte sein Trainer alle möglichen Alltagssituationen mit ihm ein. So bekam er beigebracht, vor Treppen und Bordsteinkanten anzuhalten. "Gerade hier ist es besonders wichtig, dass Ben sich auf mich konzentriert und sich von nichts und niemandem ablenken lässt, sonst wird es lebensgefährlich", betont Marion Koch. Außerdem kann Ben sie auf Aufzüge, Ampeln und Türen aufmerksam machen, sie sicher um Baustellen herumführen und vor Rolltreppen und Abgründen zurückweichen. Er hat gelernt, wie er mit einem Blinden an seiner Seite in Busse und Bahnen einsteigt, in Menschenansammlungen die Nerven behält - und dass er andere Hunde ignorieren muss. Wenn er nun noch lernt, dass es wichtigere Dinge als seinen Appetit gibt - dann seien sie ein unschlagbares Team.

Beim Kommando "Such Ampel" wedelt der junge Hund freudig mit dem Schwanz, schaut sich einmal suchend um und steuert direkt auf die nächste Ampel zu, Marion Koch im Schlepptau. Dann bleibt er stehen, springt am Ampelpfeiler hoch und gibt seinem Frauchen zu verstehen, wo sie den Drücker suchen muss. Die 51-Jährige greift erst in die Luft, wird mit Hilfe des Hundes aber schnell fündig. Mit gespitzten Ohren schaut Ben sie erwartungsvoll an. Marion Koch zieht aus ihrer Manteltasche ein Leckerli heraus und hält es dort hin, wo sie Bens Schnauze vermutet. "Fein gemacht", sagt sie und streichelt seinen Kopf. Dann konzentriert sie sich auf die Geräusche in ihrer Umgebung. Als das akustische Grünsignal einsetzt, befiehlt sie "rüber". Auf der anderen Straßenseite wartet er auf sein nächstes Lob.

Sein Image als niedlicher Familienhund wird dem Labrador oft zum Verhängnis. Ob an der Ampel, in der Schlange beim Bäcker oder im Restaurant: Ständig greifen fremde Hände nach ihm, tätscheln seinen Kopf, fahren über sein weiches Fell. Dass sie ihn damit massiv von seiner Arbeit ablenken, bedenken die Menschen nicht. Die meisten packen ungefragt zu. "Diese Leute wissen gar nicht, wie sie damit das Zusammenspiel von Mensch und Tier zerstören", sagt Marion Koch. Wenn Ben sich nicht mehr auf seine Aufgabe konzentriert, kann er die 51-Jährige im schlimmsten Fall in die Irre führen. Das erklärt sie auch den Hundeliebhabern auf der Straße. "Es gibt nur wenige höfliche Leute, die mitdenken und vorher fragen, ob sie ihn streicheln dürfen."

Viele bemitleiden den "armen Arbeitshund"

… und glauben, er führe kein hundegerechtes Leben. Dabei gebe es kaum Hunde, die mehr bewegt, geliebt und gebraucht werden als Blindenführhunde, erklärt Marion Koch. Ihr tut dieses Missverständnis sehr weh. Viermal am Tag nimmt die 51-Jährige das weiße Führgeschirr ab und Ben tollt wie ein ganz normaler Hund herum, tobt über Wiesen, wälzt sich im Dreck und badet in stinkenden Tümpeln. Doch stets bleibt er in der Nähe von Marion Koch. Niemals läuft er soweit weg, dass sie das goldene Glöckchen an seinem Halsband nicht mehr hören kann. Bernie und Ben haben wieder Freude in Marion Kochs Leben gebracht. Als die begeisterte Reiterin durch einen Tritt ihres Pferdes das Augenlicht verlor, fühlte sie sich in der völligen Dunkelheit ängstlich und hilflos. Jeder noch so selbstverständliche Handgriff musste neu erlernt werden. Durch die Hunde gewann sie ein Stück Normalität, Freiheit und Sicherheit zurück. Mit Ben kommt sie überall hin, ohne auf die Hilfe fremder Menschen angewiesen zu sein. Bei entsprechender Übung findet er sogar die Apotheke oder den Schlachter um die Ecke wieder, sagt sie und scherzt: "Wo der Schlachter ist, würde er sich wahrscheinlich am schnellsten merken."

Mit freundlicher Genehmigung der dpa

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Das Motiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt den Golden Retriever Dusty im Portrait, der Blindenhund trägt Marke und Schelle am Halsband. Bildunterschrift: Blindenhund Dusty scheut die Öffentlichkeit nicht. Quelle: DVBS (ha).


Nachruf auf Gelva Düsterhöft

Am 13. Oktober 1951 sah Gelva Düsterhöft, geb. Eichholz, zum ersten Mal die Welt mit eigenen Augen, hineingeboren in eine Kapitänsfamilie aus Wismar. Bereits ab dem zweiten Schuljahr besuchte sie die Sehbehindertenschule in Neukloster. 1967 kam sie dann an die Oberschule nach Königs Wusterhausen, wo sie 1971 ihr Abitur ablegte. Anschließend zog es sie zum Jurastudium nach Halle, auch in der DDR ein Berufsweg, der blinden und sehbehinderten Menschen offen stand.

Nach abgeschlossener Ausbildung, inzwischen mit Klaus Düsterhöft verheiratet, arbeitete sie in Gadebusch, einem kleinen Ort in der Nähe von Schwerin, wo die beiden heimisch wurden, und unterbrach ihre Tätigkeit in der Abteilung Landwirtschaft des Rates des Kreises nur kurz, als ihre beiden Kinder geboren wurden. 1983 wechselte Gelva als Juristin zur Konsumgenossenschaft des Kreises Gadebusch. Doch ihr Sehvermögen verschlechterte sich derart, dass sie wegen der nun diagnostizierten Blindheit verrentet wurde. Gleichwohl blieb sie nicht zu Hause, sondern nutzte die Möglichkeit, trotz Verrentung weiter ihrer Arbeit nachzugehen.

Wie für jeden DDR-Bürger, so war auch für Gelva Düsterhöft das Jahr 1990 ein großer Einschnitt. Ihren Arbeitsplatz behielt sie zwar zunächst, dann ging er aber doch verloren. Trotz intensiver Bemühungen ist es Gelva danach nicht mehr gelungen, eine dauerhafte, ihren Fähigkeiten angemessene Stellung im Erwerbsleben zu finden - eine Erfahrung, die sie tief getroffen hat, mit der sie aber in den neuen Ländern längst nicht allein stand.

Zu dieser Zeit begann Gelvas Arbeit für die Selbsthilfe. Bereits 1990 schloss sie sich dem DVBS an und stellte sich als Leiterin unseres Bezirks Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung, den sie bis zu ihrem Tode führte. Gelva hatte - wie auch ihr Mann Klaus - früh verstanden, dass gesellschaftliches und politisches Engagement nicht per se negativ besetzt sein muss. Schnell fühlte sich Gelva im DVBS wohl, besuchte die Treffen der Fachgruppe Jura und nahm auch an Arbeitsausschusssitzungen teil. Dort äußerte sie sich, entsprechend ihrem Naturell, eher selten. Doch wenn sie den Mund aufmachte, dann hatte das, was sie sagte, stets Gewicht und war wohl überlegt. Ebenso widmete sie sich mit großem Engagement den regelmäßig organisierten gemeinsamen Wochenendtreffen der Bezirke Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Wer daran teilgenommen hat, wird sie ausnahmslos in sehr guter Erinnerung behalten haben. Auch privat fand Gelva Freunde in unserem Verein, mit denen sie manch Waldgebiet erwanderte und die ihr und ihrer Familie auch in den schweren Stunden des Jahres 2009 zuverlässig zur Seite standen.

Noch mehr engagierte sich Gelva in den folgenden Jahren in ihrer Region und insgesamt im Land Mecklenburg-Vorpommern. Sie wurde Kreisvorsitzende der Volkssolidarität und bestand darauf, dass der Neubau eines Altenheimes in Gadebusch nicht, wie ursprünglich geplant, an den Rand des Dorfes verbannt wurde, sondern in der Mitte des Ortes entstand, als Zeichen dafür, dass auch der letzte Lebensabschnitt in der Gesellschaft und nicht an ihrem Rand stattfinden muss. Später gelang es ihr, mehrere Kreisorganisationen der sozialen Einrichtung "Volkssolidarität" miteinander zu verschmelzen.

Auf Landesebene wurde Gelva die Aufgabe zuteil, den Integrationsförderrat aufzubauen, ein Gremium, das die Landesregierung bei ihren Entscheidungen im Behindertenbereich beraten soll. Dieses Ehrenamt entpuppte sich bald als Vollzeitjob. Plötzlich fand sie sich mit Ministerinnen und Landtagsabgeordneten an einem Tisch und schaute so gehörig hinter die politischen Kulissen. Was sie dort zu sehen bekam, gefiel ihr durchaus nicht immer. Dennoch wurde sie von den Entscheidungsträgern wegen ihrer abwägenden und nüchternen, aber immer konstruktiven Art akzeptiert, ja geachtet, und hat dadurch für behinderte Menschen sicherlich bisweilen mehr bewegt als andere mit lauteren Tönen. Gelvas wohl größtes Experiment wurde ein großer Erfolg. Fünf Jahre leitete sie den Integrationsförderrat. Zielstrebige Arbeit, das große Ganze nicht aus den Augen verlierend und die Kleinigkeiten nicht übersehend, das ist es, was die Geschichte des Integrationsförderrates Mecklenburg-Vorpommern untrennbar mit ihrem Namen verbinden wird.

Gelvas große Liebe galt von früh an den Begleitern der Menschen, den Tieren und hier besonders ihren Hunden, ob Führhund oder nicht. Folgerichtig war sie besonders an der Ausbildung von Führhunden interessiert, an die sie hohe Anforderungen stellte, genauso aber auch an ihre zweibeinigen Halter!

2008/09, als noch niemand von uns ahnte, dass Gelva bald nicht mehr unter uns sein würde, stritt sie im Land energisch und beharrlich für den Erhalt des Landesblindengeldes auf einem höheren Niveau, als es sich die Landesregierung in ihrem Kürzungsrausch vorgestellt hatte. Zusammen mit uns war sie noch im Januar 2009 bei einer Anhörung des Sozialausschusses im Schweriner Landtag - das letzte Mal, dass wir ihre dunkle Stimme hörten. Danach ging Gelva einen schweren Weg, als die Krankheit, die sie letztendlich nicht besiegen konnte, Besitz von ihr ergriff. Auch diese letzte Prüfung hat sie mit der ihr eigenen Art, nüchtern, aber mit ungeheurem Willen, die Krankheit zu bezwingen, angenommen. Dass ihr das nicht gelungen ist, ja nicht gelingen konnte, schmerzt alle, die sie kannten und schätzten, sehr. Aber noch bis in ihre letzten Tage, ihre letzten Stunden, hat sie sich um andere gesorgt, darum gekümmert, für sie wichtige Dinge zu ordnen. Als sie das Gefühl hatte, das getan zu haben, konnte sie ruhig die Reise antreten, vor der wir alle irgendwann stehen. Am 22. Januar dieses Jahres hat sie uns für immer verlassen.

Gelva hat um ihre Person nie viel Aufhebens gemacht. Die brillante Rede, die manchmal nur blendet, war ihre Sache nicht. In ihrer gradlinigen umsichtigen Art wirkte sie lieber im Stilleren. Aber auf Gelva Düsterhöft konnte man sich jederzeit verlassen. Und es gibt wohl kaum einen Satz, der sie besser beschreibt als dieser. Diese Verlässlichkeit wird uns fehlen. In ihrem Sinne sollten wir danach streben, ebenso verlässlich, konsequent und doch verständnisvoll zu sein wie sie.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Gelva Düsterhöft, auf einer Wiese stehend, eingerahmt von einem schwarzen und einem weißen Schäferhund, sitzend, deren Leinen sie lächelnd hält. Bildunterschrift: Gelva Düsterhöfts Herz galt auch ihren Hunden. Quelle: privat.


Das „Wie“ gewinnt! UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung bringt Bildungsdiskussion in Schwung

Nachdem die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2006 den Text der Menschenrechtskonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Kraft gesetzt und der deutsche Bundestag und Bundesrat dem Ratifikationsgesetz Ende 2008 zugestimmt haben, ist die Konvention seit dem 26. März 2009 für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindlich.

Doch was heißt das eigentlich im Alltag, ergeben sich daraus konkrete Rechte für den Einzelnen oder handelt es sich um eine rein politische Willenserklärung? Muss man sich intensiv mit dieser Konvention auseinandersetzen oder wird sie, wie frühere UN-Konventionen nach dem Motto, "Papier ist geduldig", schnell wieder in der Schublade verschwinden? Die Diskussion der letzten Monate deutet aber darauf hin, dass die Konvention eine erheblich stärkere Dynamik entwickelt als von vielen erwartet. Besonders im Bildungsbereich verbinden viele Eltern große Hoffnungen mit der Forderung nach einer "Inklusiven Schule". Sie wollen, dass die gemeinsame Beschulung vor Ort unverzüglich umgesetzt wird und wollen sich nicht länger auf das "Machbare" vertrösten lassen oder auf den "guten Willen" von Lehrern und Schulverwaltungen angewiesen sein.

Im Bereich der sinnesbehinderten Menschen hat die Diskussion über den Vorrang des gemeinsamen Unterrichts sehr viel Unsicherheit hervorgerufen. Werden alle Förderschulen abgeschafft, in dem ihnen einfach der Geldhahn zugedreht wird? Wie kann zum Beispiel bei einer so kleinen Zahl von blinden und sehbehinderten Kindern eine qualifizierte Schul- und Berufsausbildung an jedem beliebigen Ort in der Bundesrepublik organisiert werden und was heißt es speziell für Kinder, die ein Gymnasium besuchen wollen? Wo sollen plötzlich die qualifizierten Lehrer herkommen, die vor Ort die benötigte Unterstützung leisten? Erste Reaktionen an der Deutschen Blindenstudienanstalt e. V. (blista) waren: "Hier soll ein System einfach abgeschafft werden, das sich in mehr als neunzig Jahren bewährt hat. Das müssen wir unter allen Umständen verhindern."

Ich bin der Überzeugung, dass es die blista als Kompetenzzentrum so lange geben wird, so lange es blinde und stark sehbehinderte Kinder gibt, die Abitur machen wollen. Das ist aber kein Selbstläufer. Damit die blista ihre Existenzberechtigung behält und ihre ganze positive Wirkung entfalten kann, wird sie sich weiterentwickeln müssen. Sie darf sich nicht auf dem Status quo ausruhen, sondern muss die Vorrangigkeit der inklusiven Beschulung als Herausforderung annehmen. Wir befinden uns zurzeit in einem Prozess, bei dem auf den verschiedenen Ebenen und in den unterschiedlichsten Bereichen darüber diskutiert und manchmal auch gestritten wird, was eine Inklusive Gesellschaft und speziell eine Inklusive Schule eigentlich praktisch meint. Es entstehen Grundsatzpapiere, Forderungskataloge und Aktionspläne. Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir uns aktiv und kreativ an diesem Prozess beteiligen. Der Pädagogische Tag für die etwa 250 pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der blista im Januar 2010 war dafür ein Anfang und ein gutes Beispiel.

blista-Direktor Claus Duncker hob bei seiner Begrüßung hervor: "Eins ist sicher, die Ratifizierung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung durch die Bundesrepublik ist ein Meilenstein auf dem Weg hin zu einer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auch für blinde und sehbehinderte Menschen. Jedoch ist die Bedeutung dieser Konvention bisher sicherlich nur den wenigsten Menschen in ihrer Tragweite bewusst. Das gilt auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der blista. Deshalb haben wir diesen pädagogischen Tag diesem Thema gewidmet, denn als Einrichtung, die maßgeblich von der Selbsthilfe getragen wird, haben wir hier eine besondere Verpflichtung". Er freue sich auch, so Duncker weiter, dass es gelungen sei, so namhafte Referenten zu gewinnen, die man normalerweise nur auf bundesweiten Veranstaltungen anträfe. Besonders stolz sei er, dass alle Experten, mit Ausnahme von Klaus Lachwitz, ehemalige blista-Schüler seien und Andreas Bethke und Dr. Michael Richter die Geschicke der Einrichtung durch ihre Mitarbeit im Verwaltungsrat weiter aktiv begleiteten.

Im Laufe der Veranstaltung berichtet Klaus Lachwitz, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Lebenshilfe, von der Entstehungsgeschichte der Konvention, an deren Formulierung er in New York direkt beteiligt war. Er zeigt sich überzeugt, dass die Güte der Konvention vor allem darauf zurückzuführen sei, dass so viele behinderte Menschen aus der ganzen Welt als Experten in eigener Sache direkt beteiligt waren.

Andreas Bethke, Geschäftsführer des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), Ottmar Miles-Paul, Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen in Rheinland-Pfalz, und Dr. Michael Richter, Geschäftsführer der der rbm gemeinnützige GmbH (Rechte behinderter Menschen), stellten ihre Sichtweisen dar und gingen auf die Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit der blista ein. Dabei waren sich die Experten einig, dass, bei aller Wertschätzung für die Arbeit und das Konzept der blista, auch hier vieles im Sinne von mehr Begegnung von behinderten und nicht behinderten Jugendlichen verbessert werden kann und muss.

Als erste Konsequenz aus dieser Diskussion hat der Verwaltungsrat der blista beschlossen, dass die blista einen eigenen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention erarbeiten soll. Nach den Vorstellungen des Vorstandes sollten dabei Schüler, Mitarbeiter, Eltern und ehemalige Schüler einbezogen werden. Die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe hat jüngst auf einer Fachtagung zum Thema Bildung vier zentrale Forderungen aufgestellt:

  1. Jedes Kind hat ein individuelles Recht auf die bestmögliche Bildung
  2. Die Qualifizierung der Lehrkräfte ist Grundvoraussetzung für diese bestmögliche Bildung
  3. Eltern und Kinder haben ein Recht auf unabhängige Beratung und Diagnostik
  4. Die Ausbildung eines behinderten Kindes darf die Eltern nicht mehr kosten, als die eines nicht behinderten Kindes

Ich denke, diese Forderungen sollten auch für die blista Leitlinie sein und wir sollten uns damit intensiv beschäftigen, sie konkret umsetzen und mit Leben füllen. Denn eins wurde nicht nur bei der Podiumsdiskussion am pädagogischen Tag, sondern auch bei dieser Tagung klar zum Ausdruck gebracht: Sondereinrichtungen für blinde und sehbehinderte Menschen leisten nicht per se gute Arbeit und müssen deshalb auch nicht um jeden Preis erhalten werden. Sie werden, wie alle anderen, an diesen zentralen Forderungen gemessen und müssen, um ihren Bestand zu rechtfertigen, besser sein als die Beschulung vor Ort. Deshalb muss die blista auch darüber nachdenken, wie sie ihr Know-how, noch stärker als bisher, Schülern zugänglich machen kann, die ein Gymnasium am Heimatort besuchen und nicht nach Marburg kommen wollen. Die Einführung des "Weiterbildungsmasters Blinden- und Sehbehindertenpädagogik" oder Feriencamps sind hier sicherlich erste wichtige Bausteine. Viele weitere werden folgen müssen, damit am Ende nicht das "Wo" sondern das "Wie" gewinnt!

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Auszug aus der UN-Konvention

Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention zum Thema Bildung regelt:

(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel,

a) die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu stärken;

b) Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen;

c) Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen.

(2) Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass

a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden;

b) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben;

c) angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden;

d) Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern;

e) in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden.

(3) Die Vertragsstaaten ermöglichen Menschen mit Behinderungen, lebenspraktische Fertigkeiten und soziale Kompetenzen zu erwerben, um ihre volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Bildung und als Mitglieder der Gemeinschaft zu erleichtern. Zu diesem Zweck ergreifen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen, unter anderem

a) erleichtern sie das Erlernen von Brailleschrift, alternativer Schrift, ergänzenden und alternativen Formen, Mitteln und Formaten der Kommunikation, den Erwerb von Orientierungs- und Mobilitätsfertigkeiten sowie die Unterstützung durch andere Menschen mit Behinderungen und das Mentoring;

b) erleichtern sie das Erlernen der Gebärdensprache und die Förderung der sprachlichen Identität der Gehörlosen;

c) stellen sie sicher, dass blinden, gehörlosen oder taubblinden Menschen, insbesondere Kindern, Bildung in den Sprachen und Kommunikationsformen und mit den Kommunikationsmitteln, die für den Einzelnen am besten geeignet sind, sowie in einem Umfeld vermittelt wird, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet.

(4) Um zur Verwirklichung dieses Rechts beizutragen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen zur Einstellung von Lehrkräften, einschließlich solcher mit Behinderungen, die in Gebärdensprache oder Brailleschrift ausgebildet sind, und zur Schulung von Fachkräften sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf allen Ebenen des Bildungswesens. Diese Schulung schließt die Schärfung des Bewusstseins für Behinderungen und die Verwendung geeigneter ergänzender und alternativer Formen, Mittel und Formate der Kommunikation sowie pädagogische Verfahren und Materialien zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ein.

(5) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit Anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben. Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten sicher, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen getroffen werden.

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Ergänzende Informationen:

  • Weitere Infos und Text der UN-Behindertenrechtskonvention auf der blista-Website unter: http://www.zukunft-auf-augenhoehe.de.
  • Die UN-Behindertenrechtskonvention im DAISY-Hörformat auf deutsch und englisch ist erhältlich beim Textservice des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Zum Autor:

Rudi Ullrich ist Psychologe und seit vielen Jahren in der Blindenselbsthilfe aktiv. Der 50-Jährige gehört unter anderem dem Präsidium des DBSV und der Fachgruppenleitung des DVBS an. Seine detaillierten Kenntnisse der blista stammen sowohl aus der dortigen Schulzeit als auch aus der aktuellen Arbeit als Verantwortlicher für Presse -und Öffentlichkeitsarbeit der blista.

Motiv 1 in der Schwarzschriftausgabe: Drei blista-Schüler der Klasse 7 an PCs. Das Bild zeigt sie aus einer seitlichen Perspektive hintereinander. Bildunterschrift: blista-Schüler der Klasse 7 am PC. Foto: blista (Conny Peil).

Motiv 2 in der Schwarzschriftausgabe: Portrait Rudi Ullrich, Aufnahme im Freien. Das Bild zeigt Gesicht und Schulter. Er trägt ein Jackett und lächelt in die Kamera. Bildunterschrift: keine, da Autorenfoto. Foto: DVBS (sus).


Neuer Studiengang „Weiterbildungsmaster Blinden- und Sehbehindertenpädagogik“ in Marburg

Seit langem wird von verschiedenen Seiten beklagt, dass ein dringender Bedarf an qualifizierten Blinden- und Sehbehindertenpädagogen sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich besteht. Dies hat der Fachbereich Erziehungswissenschaften der Marburger Philipps-Universität gemeinsam mit der Deutschen Blindenstudienanstalt e. V. (blista) vor cirka eineinhalb Jahren aufgegriffen und in Rekordzeit den bundesweit ersten "Weiterbildungsmaster für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik" aus der Taufe gehoben. "Ja, was Professor Seitter mit seinem Team in dieser Zeit geleistet hat, ist schon sensationell, das hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt", freut sich blista-Direktor Claus Duncker über das jetzt Erreichte.

Die Studien- und Prüfungsordnung hat alle Gremien der Universität in Rekordtempo durchlaufen. Das war laut Duncker nur möglich, weil alle Beteiligten der Universität, des hessischen Wissenschafts- und des Kultusministeriums sich besonders stark engagiert hätten. Auch der Erlass zur Anerkennung durch das Hessische Kultusministerium (HKM) sei bereits vorbereitet. Zurzeit liefen Gespräche, inwieweit die Qualifikation der hessischen Lehrer durch das HKM finanziell unterstützt wird. Die inhaltliche Zusammenarbeit bei der Konzeption des Berufsbegleitenden Weiterbildungsmasters mit der Philipps-Universität Marburg, Prof. Dr. Sven Degenhardt, Uni Hamburg, und der blista hat nach Einschätzung von Duncker hervorragend funktioniert.

Die neue Weiterbildung richtet sich an Lehrkräfte, die eine sonderpädagogische Qualifikation im Bereich Blinden- und Sehbehindertenpädagogik benötigen und pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Bereich der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik tätig sind oder zukünftig sein wollen.

Voraussetzung für die Zulassung zum Studium ist das erste Staatsexamen für das Lehramt oder ein erziehungswissenschaftliches Studium an einer Hochschule mit dem Abschluss Diplom, Magister, B.A. oder M.A. oder Abschluss eines Masterstudiengangs mit dem Abschluss "Master of Education".

Die Seminare finden überwiegend an Wochenenden von Freitagmittag bis Samstagabend statt. Dazwischen gibt es noch drei Wochen einwöchige Praxiswochen, die in Marburg stattfinden.

Behandelt werden unter anderem:

  • Nationale und internationale Konzepte und Theorien zur Blinden- und Sehbehindertenpädagogik im Kontext der allgemeinen Behindertenpädagogik, einschließlich der Geschichte des Faches im Kontext des Wissens über die gesellschaftliche Dimension von Behinderung und zu den Lebenslagen und Lebensbedingungen behinderter Menschen in den wichtigsten Lebensbereichen, Wahrnehmungspsychologie und Theorien der Bewegung, spezifische Beratungsmodelle
  • Basiswissen und praktische Grundkenntnisse in den Gebieten Orientierung und Mobilität, Punktschriftsysteme, Alltagspraktische Fähigkeiten, Mediengestaltung
  • Grundlagen aus dem Bereich der Ophthalmologie, der Physiologischen Optik, der barrierefreien Gestaltung der (räumlichen) Umwelt und aus dem Bereich der optischen, elektronischen und nichtelektronischen Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen
  • Planen und Gestalten konkreter didaktischer und methodischer Interventionen auf Grundlage des Wissens über das physiologische Sehen und der Diagnostik des funktionalen Sehens der Schülerinnen und Schüler sowie auf Grundlage der Analyse des visuellen Charakters der Lernräume

Das Studium beginnt erstmals im Wintersemester 2010 und geht über vier Semester. Es wird mit einer Masterarbeit abgeschlossen.

Mehr Infos unter: http://www.uni-marburg.de/fb21/studium/studiengaenge/wb-bsp.

Motiv 1 in der Schwarzschriftausgabe: Hörsaaleingang Philipps-Universität Marburg. Bildunterschrift: Studierende vor dem Marburger Hörsaalgebäude - ab Herbst 2010 sind die Türen auch für "Blinden- und Sehbehindertepädagogik" offen. Foto: Philipps-Universität Marburg (Viola Düwert).

Motiv 2 in der Schwarzschriftausgabe: Grafik zum modularen Aufbau des Studienganges. Quelle: www.uni-marburg.de/fb21/studium/studiengaenge/wb-bsp/studium.


Windows 7 - Was hat es mit diesem Betriebssystemnachfolger von Windows Vista auf sich?

Unterstützen die marktüblichen Screenreader dieses Betriebssystem? Wie arbeitet dieses "neue" Betriebssystem von Microsoft? Nachfolgend meine Anmerkungen dazu:

Windows 7 64-BIT

Anfang Dezember 2009 installierte ich auf insgesamt 3 Partitionen (2 Rechner) Windows 7 Enterprise 64-BIT. Ich betreibe diese mit folgenden Screenreadern:

  • JAWS 10 deutsch für 64 BIT,
  • Window-Eyes 7.11 sowie
  • COBRA 9 Beta 5

Anmerkung zu 32-BIT und 64-BIT: Mit einem 32 Bit Windows können maximal 4 GB Speicher adressiert werden. In der Praxis 3,5 GB weil für die Einblendung von Hardware etwas vom Adressraum abgezweigt wird. Wenn man mehr Speicher braucht, muss man ein 64 Bit Betriebssystem verwenden.

Was fällt zunächst auf?

Windows 7 ist deutlich schneller als Windows Vista und Windows XP. Die Systemsteuerung ist wie die gesamte Oberfläche deutlich webbasiert. Doch kann man alle Einträge der Systemsteuerung über das Suchfeld (STRG+f ) bzw., wenn man das Startmenü öffnet) direkt erreichen, was einfach und schneller ist.

Das Startmenü lässt sich nicht mehr auf das sog. "klassische" zurück umstellen. Ich persönlich vermisse dies auch nicht. Schön sind die Einstellmöglichkeiten in der Registerkarte "Startmenü". Hier kann ich einstellen, dass nur die von mir per Hand ins Startmenü aufgenommenen Programme dort auch angezeigt werden und dies immer in der von mir vorgenommenen Reihenfolge.

Ferner fällt sehr angenehm auf, dass die Systemwiederherstellung, erstmals seit es Windows gibt, auch wirklich gut funktioniert und mit den Screenreadern auch gut bedienbar ist. Bei angeschlossenen, älteren Hardwarekomponenten, wie z. B. einem Scanner und dem Kartenleser für das Homebankingprogramm VR-Networld, wurden die Treiber (64-BIT) automatisch gefunden und installiert.

Welche Anwendungsprogramme habe ich installiert?

Zunächst ist das natürlich Office 2007 Enterprise. Dazu installierte ich die Scansoftware "Openbook 8". Diese läuft unter Windows 7 64-BIT problemlos; nur der "Freedom Import Printer" ließ sich nicht installieren; hier kam eine Inkompatibilitätsmeldung. Nach Auskunft von FS lud ich mir aus dem Internet einen Treiber, welchen ich installierte; jetzt ist auch der FS Importprinter vorhanden. Ferner installierte ich OMNIPAGE 16; auch diese Software läuft problemlos. Darüber hinaus installierte ich die Software von CD der Deutschen Bahn "Reiseauskunft", die "Microsoft Encarta Pro mit Wörterbuch", VR-Networld, NERO 9 und den HTML-Editor "Phase 5" und den "Max Daisyplayer". Auch diese Anwendungen machen keine Probleme unter 64-BIT.

Ich erwähnte im vorigen Absatz, dass ich mit Office 2007 arbeite. Hier ist wichtig, festzustellen, mit welchen der Officeanwendungen ich ständig arbeite:

  • Microsoft ACCESS (nur erste Schritte; Erstellen einer Datenbank zur Adressenverwaltung sowie einiger Abfragemasken).
  • Microsoft Word (Umfangreiche Nutzung vor allem zu Test- und Schulungszwecken sowie zur Erstellung der Befehlslisten).
  • Microsoft EXCEL (Umfangreiche Nutzung zu Test- und Schulungszwecken sowie zum Erstellen der Befehlsliste).
  • Microsoft Outlook (Umfangreiche Nutzung aller Mailfunktionen sowie des Kalenders).

Mit Powerpoint und anderen im Officepaket enthaltenen Anwendungen habe ich bisher unter Windows 7 und Office 2007 noch nicht gearbeitet.

Die von Wolfgang Hubert entwickelte Software "RTFC" läuft für die Übersetzung in Kurzschrift, HTML usw. sehr gut. Die Umwandlung von Dokumenten in ein Daisybuch funktioniert unter Windows 7 32-BIT ebenfalls hervorragend; die Konvertierung eines Dokumentes in ein Daisybuch unter Windows 7 64-BIT klappt seit dem 20.01.2010, jedoch nur mit den unter 64-BIT lauffähigen Sprachausgaben. HBS-WIN der Fernuni Hagen zur Übersetzung von Normalschrift in Kurzschrift brachte ich unter Windows 7 64-BIT ebenfalls nicht zum Laufen.

Screenreader:

Wie ich bereits weiter oben schrieb, teste ich Windows 7 64-BIT sowie die angegebenen Anwendungen mit den Screenreadern "JAWS", "WINDOW-EYES" und "COBRA". Nachdem mir im Sommer 2009 Windows Vista Enterprise 32-BIT und Mitte Dezember Windows 7 Enterprise 64-BIT bei der Installation von jeweils einer neuen Beta von COBRA zerstört wurde, so dass ich den Rechner neu aufsetzen musste, habe ich den Test mit COBRA eingestellt. Der Fehler äußerte sich dahingehend, dass sich der Windows Explorer nicht mehr starten ließ; auch eine Systemwiederherstellung war nicht durchzuführen.

Die beiden anderen Screenreader unterscheiden sich nicht wesentlich. Es fällt nach wie vor auf, dass Window-Eyes etwas langsamer läuft als JAWS. Nach einem Patch am 24.01.2010 reagiert die Sprachausgabe von Window-Eyes wesentlich schneller. Beide laufen sehr stabil und sind in der Anzeige der Daten weitgehend gleichwertig.

Mit Window-Eyes 7.11 habe ich Probleme in der Wortlistenanzeige beim Wörterbuch von Microsoft Encarta; weder die Sprachausgabe noch die Braille-Zeile gehen in der Wortliste mit. Im Homebankingprogramm "VR-Networld" kann ich durch die Liste der Kontoauszüge nur mit der Mausfunktion gehen, bekomme sie dann aber sehr korrekt angezeigt. Beides wird von JAWS gut unterstützt. Im Internet (Internetexplorer 8 64-BIT) gibt es Schwierigkeiten bei Formularfeldern z. B. bei http://www.bahn.de oder http://reiseauskunft.bahn.de. Die Formularfelder werden nicht oder nicht korrekt gefunden. Anders ist es bei pda.bahn.de.

Ein weiterer Unterschied zwischen JAWS 10 für 64-BIT und Window-Eyes 7.11 ist in der Art der Anzeige in der Systemsteuerung zu erkennen. Während JAWS zu manchen Schaltern bzw. Links den über dem Schalter/Link stehenden Text mitspricht, muss man bei Window-Eyes mit der Zeile nach oben navigieren (Beispiel: Systemsteuerung, System, erweiterte Einstellungen: danach folgen drei Links, bei denen Window-Eyes nur "Einstellung" sagt und zeigt, während JAWS auch dazu spricht, welche Einstellung gemeint ist; auf der Zeile steht allerdings auch hier nur "Einstellungen").

Anzumerken ist auch, dass der kostenlose Screenreader "NVDA" ebenfalls nutzbar ist, doch sicherlich keine Alternative zu den beiden anderen oben genannten Screenreadern darstellt.

Was stellte ich nach der Installation um?

In der Systemsteuerung unter "Anpassung" stellte ich bei "Screensaver" (Bildschirmschoner) auf "kein" ein. Im Link "Anzeige" änderte ich die Bildschirmauflösung auf 1024 x 768 Punkte.

Die oft sehr lästige Benutzerkontensteuerung lässt sich bei Windows 7 nahezu stufenlos in Prozenten einstellen. Entsprechend ändern sich die Rückfragen. Hier regelte ich deutlich zurück. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass dadurch die Sicherheit eingeschränkt werden kann.

In der Energieverwaltung stellte ich den "Einschalter" so ein, dass er beim Drücken den Rechner herunterfährt; außerdem änderte ich das Energieschema dahingehend, dass der Rechner nicht mehr in den Schlafmodus geht und sich keine Geräte mehr nach einer gewissen Zeit abschalten. Nach der Reaktivierung, vor der Umstellung, hatte ich manchmal das Gefühl, dass die Screenreaderfunktionen nicht mehr vollständig zur Verfügung stehen.

Im Punkt "Taskleiste und Startmenü" machte ich noch Umstellungen. In der Registerkarte Startmenü, es lässt sich übrigens nicht mehr auf die alte klassische Form zurückschalten, nahm ich die Aktivierung (Ankreuzfeld) heraus, so dass Programme, die zuletzt benutzt wurden, nicht automatisch im Startmenü erscheinen. Schön ist dann, dass man sich Programme in der gewünschten Reihenfolge ins Startmenü legen kann und diese dann auch beibehalten wird. Ferner nahm ich Umstellungen bei "Anpassen" vor, so dass das erweiterte Startmenü ganz nach meinen persönlichen Bedürfnissen erscheint.

Im Windows Explorer, wie schon bei Vista "COMPUTER" genannt, stellte ich im Ansichtsmenü auf "Detailansicht" ein. Auch änderte ich, was im Explorer angezeigt werden soll.

Fazit bis heute:

Ich bereue es nicht, meine Rechner auf Windows 7 Enterprise 64-BIT umgestellt zu haben. Bis heute hatte ich noch keinen Absturz und auch sonst keine Probleme.

Zum Autor:

Werner Krauße, seit 45 Jahren infolge eines Unfalls blind, war mehr als 30 Jahre als Blindenpädagoge beim Berufsförderungswerk Würzburg tätig. Ende der 70er Jahre spezialisierte er sich auf EDV. Neben Einzelschulungen an allen Systemen, leitet er u. a. EDV-Kurse für Senioren und Jugendliche. Seit 22 Jahren ist Krauße im Fachausschuss für Informations- und Telekommunikationssysteme aktiv (www.werner-krausse.de).

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Portrait von Werner Krauße. Foto: privat.


Neue DIN-Norm bringt Hilfe für Sehbehinderte

Seit Dezember 2009 gibt es die DIN 32975 "Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung". Sie bringt für sehbehinderte Menschen erhebliche Erleichterung. Ob Wegweiser, Absperrungen, Fahrpläne oder Bedienelemente in Aufzügen und an Automaten - um eine möglichst gute Wahrnehmbarkeit zu erreichen, regelt die "Kontrastenorm" zum ersten Mal in Deutschland Kontrastgrenzwerte, Beleuchtung, Größe von Info-Elementen und Schriftzeichen.

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) hat fünfzehn Jahre lang dafür gekämpft, dass die Norm DIN 32975 in Kraft treten konnte. "In einem nächsten Schritt setzen wir uns jetzt dafür ein, dass dieses Regelwerk in die Bauordnungen der Länder übernommen wird", erläutert DBSV-Präsidentin Renate Reymann. Die DIN 32975 kann bei der Beuth Verlag GmbH, Berlin, für EUR 75,10 bezogen werden: Telefon: 030 2601-0, Telefax: 030 2601-1260, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.beuth.de.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Detailaufnahme eines blindengerechten Türschilds mit Auszeichnung der Zimmernummer in Braille und erhabener Schwarzschrift. Quelle: www.mit-makeitaccessible.eu.


Bericht von der Sight City

Die Sight City wächst. Mit 130 Ausstellern und wohl weit über 4000 Besucherinnen und Besuchern verzeichnet die größte Fachmesse für Blinden- und Sehbehinderten-Hilfsmittel in Deutschland in diesem Jahr neue Rekorde. Am Gemeinschaftsstand von DVBS und blista beginnt fast zeitgleich mit der Eröffnung der Besucheransturm um 10 Uhr. Beim DVBS sucht eine angehende Informatikstudentin wissenschaftliche Publikationen, eine Schülergruppe Informationen über soziale Berufe, langjährige DVBS-Mitglieder sagen "Hallo". Ein blinder Lehrer aus Ghana, ein arbeitsuchender Medienwissenschaftler und eine just erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrierte Online-Journalistin möchten Mitglieder werden, eine Steuergehilfin fragt nach Datev-kompatibler Software, ein Rechtsanwalt freut sich über den Messeaktionspreis der Kompass Recht-Publikationen.

Frankfurt, 28. bis 30. April 2010

Begrüßen, Rede und Antwort stehen, zeigen, erklären, eintüten... - tatkräftig unterstützt werden DVBS-Geschäftsführer Michael Herbst, Birgit Stolz und Imke Troltenier von Vorstandsmitglied Dr. Heinz Willi Bach. Gegen 14 Uhr gehen die DAISY-CDs zu Kopfschmerz und Migräne aus, zwei Stunden später neigen sich die Informationspakete für neue Mitglieder dem Ende. Per Handy wird um Nachschub gebeten.

Die Geschäftsstelle schickt das zweite Team ins "Rennen": Am Donnerstag präsentieren Andrea Katemann, Sabine Hahn und Willi Gerike Beispiele aus der Arbeit des DVBS-Textsrvice, während Frauke Onken so versiert wie zuverlässig zur Seite steht und als Sehende Willi Gerike später auch bei seinem Gang über die Messe begleitet. Am Freitag ist mit dem Trio Oschmann, Troltenier und Bach das BIK-Projekt Programm beim DVBS. Die Besucherinnen und Besucher nehmen"s zur Kenntnis und fragen doch auch ganz andere Dinge: "Welches Lösungskonzept kann ich meinem Arbeitgeber anbieten, damit er mich nach Ablauf der Probezeit trotz der im Vorfeld verschwiegenen Sehbehinderung übernimmt?", "Welche Seminarmethoden inkludieren sehende, sehbehinderte und blinde Menschen gleichermaßen?" oder "Steht mir im Alter von Mitte 50 noch eine Fortbildung zu, wenn ich arbeitslos werde?".

Schließlich abbauen, PKWs beladen, vielfältiges "Tschüss bis zum nächsten Jahr!" und im freitäglichen Pendler-Stau vor Bad Homburg ein erstes, abendliches Fazit: Rund 45 Kilo Print-Produkte und hunderte von DAISY CDs leichter, haben wir einen halben Block voller Adressen und Anfragen im Gepäck und vor Ort insgesamt rund 600 Gespräche geführt. Bewährt hat sich wieder einmal die nette Zusammenarbeit mit dem blista-Team um Manfred Duensing. Ob man für die nächste Sight City ein Image-Video über den DVBS produziert? Ob ein Mitglieder-Treff am Rande der Messe Anklang fände? Oder ein Beratungs-Scheck als Give-away den DVBS-Eintritt attraktiver macht? Das finale Fazit steht zum aktuellen Stand der Produktion dieser Horus-Ausgabe noch aus und für die Planung für 2011 verbleiben rund 300 Tage. So freut sich die Pressesprecherin über Ihre Anregungen.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Verschiedene Impressionen des Gemeinschaftsstandes von blista und DVBS auf der Sight City 2010. B. Stolz berät bei der Auswahl von DAISY-CDs. Dr. H.-W. Bach im Gespräch mit einer Besucherin. M. Duensing, Dr. M. Richter und M. Herbst zusammen am kleinen Besprechungstisch. M. Herbst und B. Stolz hinter dem Stand, der u. a. mit blauer Tischdecke und DVBS-Logo dekoriert ist. Fotos: DVBS (itrol).


Fachgruppe Sehbehinderte gratuliert den Gewinnern der horus-Fragebogenaktion

Der Sonntagmorgen am 28. Februar 2010 brachte zwei Mitgliedern der Fachgruppe Sehbehinderte Glück. Sie haben ein DAISY-Zeitschriften-Abonnement gewonnen. Die Verlosung fand im Rahmen des Abschlussplenums des Seminars "Nicht sehend - nicht blind" in Marktbreit statt und war als Dankeschön für die Teilnahme an der Fragebogenaktion der Fachgruppe zum horus gedacht.

Das Leitungsteam der 294 sehbehinderte Mitglieder umfassenden Fachgruppe hatte im vierten Quartal des Jahres 2009 nach der Lesbarkeit der Schwarzschriftausgabe des horus und nach der Zufriedenheit mit dem Fachmagazin gefragt. Die Rückmeldungen lassen darauf schließen, dass das horus-Layout so bleiben kann, wie es ist.

"Herzlichen Glückwunsch und gute Unterhaltung", wünscht das Leitungsteam der Fachgruppe Sonja Baus, die ein Abo der Sportzeitschrift "Der Einwurf" gewonnen hat sowie Christian Marx, der sich über eine Jahresausgabe von "Bild der Wissenschaft" freuen kann.

Das Leitungsteam bedankt sich außerdem ganz herzlich bei allen, die sich an der Fragebogenaktion beteiligt haben.

Kontakt für weitere Infos zur Fragebogenaktion: Norbert Bongartz, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.


Terminvorschau

10. bis 13. Juni 2010: Professionelle Gesprächsführung (Aufbaukurs) der Fachgruppe Wirtschaft, Herrenberg.

12. Juni 2010: Besuch des hessischen Landtags in Wiesbaden und Stadtführung mit der DVBS-Bezirksgruppe Hessen-Thüringen

22. bis 29. August 2010: Kulturwoche Hamburg: Blinde, sehbehinderte und sehende Künstler aus ganz Deutschland zu Gast in Hamburg. Veranstaltungstipp: Die "Sunday Morning Tea Party" live: Rock von Adams bis ZZ-Top. Getragen von der markanten Stimme ihres blinden Frontmannes Michael Herbst spielt die Marburger Band Hits aus vier Rockdekaden. Markthalle, 21.00 Uhr.

4. September 2010: DVBS-Vorstandsitzung, Marburg.

10. bis 11. September 2010: Fachtagung "Die Einbindung der Organisation der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe in die Arbeit der Europäischen Blindenunion und ihre Gremien", Marburg.

8. bis 15. Oktober 2010: Woche des Sehens

9. bis 16. Oktober 2010: Seminar "Altern und Blindheit" der DVBS-Gruppe Ruhestand, Saulgrub.

13. November 2010: Sitzung des Arbeitsausschusses des DVBS, Marburg.

19. bis 21. November 2010: Seminar zur Auseinandersetzung mit dem Sehverlust, DVBS-Fachgruppe Sozialwesen, Bad Endorf.


Sommerfest 2010

Am 19. Juni, in der Zeit von 10 bis 16 Uhr, wollen wir auf dem Gelände Am Schlag gemeinsam feiern, Musik hören, Theater genießen und bei spannenden Spielen unsere Geschicklichkeit und unser Wissen testen…

Herzlich eingeladen sind Eltern, Schülerinnen und Schüler, Ehemalige, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Freunde und Förderer und natürlich auch die Eltern und Schüler, die vielleicht irgendwann einmal an die blista kommen wollen.


Die ersten „Rehalehrer“ erhalten staatliche Anerkennung

Die ersten "Rehalehrer" erhalten staatliche Anerkennung : Zeugnisübergabe an sieben Absolventen der bundesweit einmaligen Ausbildung

Seit mehr als 30 Jahren werden an der blista Lehrer in "Orientierung & Mobilität" und "Lebenspraktischen Fähigkeiten" ausgebildet. Seit mehr als 25 Jahren geschieht dies in einer eineinhalbjährigen Weiterbildung zum "Rehabilitationslehrer für Blinde und Sehbehinderte". Die sieben diesjährigen Absolventinnen und Absolventen sind bundesweit die ersten, die mit ihren Zeugnissen auch eine staatliche Anerkennung erhielten. "Das ist eine ausgesprochen qualitativ hochwertige Ausbildung und die Leistungen der Auszubildenden haben mich wirklich beeindruckt", unterstrich Bernhard Drude vom Marburger Schulamt bei der Zeugnisübergabe. Als Vertreter des Kultusministeriums hatte er erstmals an den theoretischen und praktischen Prüfungen teilgenommen.

Auch blista-Chef Claus Duncker unterstrich noch einmal die Bedeutung dieser staatlichen Anerkennung. "Damit ist sichergestellt, dass blinde und sehbehinderte Menschen in Deutschland beim Bemühen nach möglichst viel Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von hervorragend ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet werden".

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Das Foto zeigt die erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen. Glücklich lächelnd halten sie jeweils eine Rose und ihr Zertifikat in der Hand. Bildunterschrift: vorne kniend und von links nach rechts: Kathrin Laux, Anja Brock; stehend von links nach rechts: Gabriele Kehr, Stephan Sommer, Ewa Jankowska, Alexandra Groll, Sebastian Schuler. Foto: Jürgen Nagel.


Fachinformation oder Propaganda?

Bei der Lektüre des horus habe ich öfter ein zwiespältiges Gefühl: Neben so manchen Artikeln, die dem Anspruch, ein Fachmagazin zu sein, entsprechen, gibt es auch immer wieder "Ausrutscher", die zu einem solchen Anspruch schlecht passen.

Ich will dies am Beispiel der Ausgabe 4/2009 darstellen. Zum Schwerpunkt "Wahrnehmung" sind einige sehr lesenswerte und interessante Artikel im Heft, auf die ich hier nicht im einzelnen eingehen will. Wenn es aber um die blista geht, sind manche Formulierungen nicht nur positiv - was ja oft genug berechtigt ist -, sondern es hört sich schon selbstbeweihräuchernd an.

Beispiele: "Darauf ist Nagel stolz, (dass) alle Schüler, ihrem Alter und ihren Bedürfnissen entsprechend, bereits während ihrer Schulzeit ausreichend Stunden in ,Orientierung und Mobilität' erhalten haben und somit die Langstocktechnik perfekt beherrschen." (S. 569 der Punktschriftausgabe) Ob Herr Nagel, ob überhaupt jemand einschätzen kann, dass "alle" Schüler ausreichend (!) Mobilitätstraining erhalten haben und die Langstocktechnik "perfekt" beherrschen? Dass dies Wunsch und Zielvorstellung ist, das ist klar - aber dass die Indikatoren "alle" und "ausreichend Mobilitätstraining" wirklich voll erfüllt werden? - Ich denke, da sind sehr berechtigte Zweifel angebracht. Mich verstimmt ein solcher Satz, da bei mir die Frage auftaucht, ob nicht die blista als eine der beiden Herausgeberinnen des horus diesen, ein wenig spitz formuliert, als Propagandainstrument nutzt.

Ähnliche Gefühle habe ich bei einem Satz auf S. 570: "Die Betreuerinnen und Betreuer, die in den Wohngruppen der blista arbeiten, haben für die Sorgen und Nöte der Jugendlichen immer (!) ein offenes Ohr, betont Willi Rommelspacher, Leiter des Internats." I m m e r??? Wer sich selbst so mit Eigenlob bedenkt wie diese beiden blista-Mitarbeiter, macht mich eher skeptisch und kritisch.

Beim dritten Satz, der mich in dieser Ausgabe gestört hat, geht es zwar nicht um die Selbstdarstellung der blista, aber dummerweise stammt auch dieser Satz von einem blista-Mitarbeiter. Im Artikel zum International Mobility Congress findet sich gegen Ende der folgende Satz: ""Blind Foundation", eine Gruppe mit blinden und sehenden Musikern, die von der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte der IMC sozusagen als Gastgeschenk kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, heizten dann so richtig ein." (S. 541) Was will uns der Autor mit diesem Satz sagen: Dass diese Musiker keine freien Menschen sind, sondern Objekte, die "zur Verfügung gestellt" wurden? Ich weiß ja, dass diese Formulierung witzig sein sollte - aber der Witz ist nicht gelungen; da wir es zu oft erleben, dass Menschen mit Behinderung zu Objekten gemacht werden, halte ich diese Formulierung für sehr herabwürdigend - diese Musiker sind keine Sklaven, die "zur Verfügung gestellt werden"... .

Es geht mir nicht darum, die blista "schlechtzumachen"; dass dort viel gute Arbeit geleistet wird, steht gar nicht in Frage. Die Frage, die ich aber an die Mitglieder der Redaktion des horus stelle, ist: Kann und soll die blista diese Zeitschrift, deren Mitherausgeberin sie ja ist, für eine Form der Öffentlichkeitsarbeit nutzen, die manchmal die Grenze zur Propaganda überschreitet?

Norbert Kather, Bodenfelde

Für den Inhalt der in dieser Zeitschrift abgedruckten Leserbriefe sind ausschließlich deren Verfasserinnen und Verfasser verantwortlich. Soweit sie nur gekürzt oder auszugsweise veröffentlicht werden, wird dies im Text ausdrücklich erkennbar gemacht.


Impressum

Herausgeber:

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista).

Mitglieder der Redaktion:

  • für den DVBS: Michael Herbst, Andrea Katemann, Sabine Hahn und Dr. Imke Troltenier
  • für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Rudi Ullrich und Marika Winkel

Der "horus" erscheint seit der Ausgabe 4/2005 in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version, die Braille-, die RTF- und PDF-Datei enthält. Er erscheint alle drei Monate.

Koordination:

Sabine Hahn, Dr. Imke Troltenier

Geschäftsstelle des DVBS

Frauenbergstraße 8

35039 Marburg

Telefon: 06421 9488813

Fax: 06421 9488810

E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Internet: http://www.dvbs-online.de

Verlag:

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg

Punktschriftdruck:

Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg

Digitalisierung und Aufsprache:

Geschäftsstelle des DVBS, Marburg

Herstellung:

Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen

Jahresbezugspreis:

22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe, 35 Euro für alle übrigen Ausgaben. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres.

Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug der Vereinszeitschrift im Jahresbeitrag enthalten.

Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.

Bankkonten des DVBS:

Sparkasse Marburg-Biedenkopf, (BLZ 533 500 00), Konto 280

Commerzbank AG Marburg, (BLZ 533 400 24), Konto 3 922 945

Postbank Frankfurt, (BLZ 500 100 60) Konto, 149 949 607

Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.):

Michael Herbst (DVBS) und Rudi Ullrich (blista)

ISSN 0724-7389

Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an.

Nachdruck - auch auszugsweise  - nur mit Genehmigung der Redaktion.

Titelbild: Jobs gestern und heute

Motiv 1 in der Schwarzschriftausgabe (oben): Christiane Möller, rbm gemeinnützige GmbH. Das Bild zeigt die Rechtsassessorin Christiane Möller an ihrem PC-Arbeitsplatz, freundlich Auskunft gebend beim Telefonat mit einer Ratsuchenden. Foto: DVBS (itrol).

Motiv 2 in der Schwarzschriftausgabe (Mitte links): blista-Schüler. Das farbenfrohe Bild lenkt den Blick auf drei Schüler, die beim Lernen und Arbeiten durch moderne, technologische Hilfsmittel unterstützt werden. Foto: blista (Conny Peil).

Motiv 3 in der Schwarzschriftausgabe (unten): Wilhelm Bielfeld. Das Motiv in der Schwarzschriftausgabe aus dem Jahr 1978 zeigt Herrn Bielfeld als Telefonist am Vermittlungstisch mit Blindenbedienung der Telefonanlage der Siemens AG, TB Kiel. Foto: privat.

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Nächste Ausgabe (horus 3/2010):

Schwerpunkt: "Behinderte Dialoge"

Erscheinungstermin: 16. August 2010

Anzeigenannahmeschluss: 19. Juli 2010

Redaktionsschluss: 28. Juni 2010