Horus 1/2017
Schwerpunkt-Thema Horus 1/2017: "Literatur und Information".
Titelbild: Das Titelbild zeigt eine junge Frau, die - mit einem begeisterten Gesichtsausdruck - in einem Punktschriftbuch liest. Sie sitzt zusammen mit einem etwas verschwommen erkennbaren, jungen Mann mit Brille auf einem braunen Sofa. Im Hintergrund ist verschwommen die helle Einrichtung eines Wohnzimmers zu sehen.
Horus 1/2017
Schwerpunkt-Thema Horus 1/2017: "Literatur und Information".
Titelbild: Das Titelbild zeigt eine junge Frau, die - mit einem begeisterten Gesichtsausdruck - in einem Punktschriftbuch liest. Sie sitzt zusammen mit einem etwas verschwommen erkennbaren, jungen Mann mit Brille auf einem braunen Sofa. Im Hintergrund ist verschwommen die helle Einrichtung eines Wohnzimmers zu sehen.
Inhalt
- Vorangestellt
- In eigener Sache
- Schwerpunkt „Literatur und Information“
- Erst seit ich blind bin, habe ich das Lesen lieben gelernt
- Literaturversorgung blinder und sehbehinderter Menschen, Ein- und Ausblicke
- Lesegefühl wie zu sehenden Zeiten? Vor- und Nachteile der OrCam-Brille
- Mein Sieg beim Schreibwettbewerb der EBU
- Bundesfachkommission für die Überprüfung von Lehr- und Lernmitteln für den Unterricht blinder und sehbehinderter Schülerinnen und Schüler
- Tasten im Unterricht will gelernt sein
- Hörbuchausleihe per Download: Zufriedenheit bei den Nutzern
- Vom Lesen für den Job
- Bildung und Wissenschaft
- horus-Zeitreisen
- Recht
- Bücher
- Hörbücher zum Schwerpunkt „Literatur und Information“
- Neue Hörbücher aus der DBH
- Anton Hofreiter: Fleischfabrik Deutschland - Wie die Massentierhaltung unsere Lebensgrundlagen zerstört und was wir dagegen tun können
- Hakan Nesser: Elf Tage in Berlin
- Dror Mishani: Die Möglichkeit eines Verbrechens - Avi Avraham ermittelt
- Tanja Kinkel: Schlaf der Vernunft
- Rainer Erlinger: Höflichkeit - Vom Wert einer wertlosen Tugend
- Panorama
- Teilhabebericht im barrierefreien PDF-Format und als DAISY-Version
- Und dennoch ...!
- Luther für alle
- "Informationen zur politischen Bildung" jetzt auch als DAISY-Ausgabe
- Erster Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Marburg im Parlament
- Studie: Behinderte Menschen oft von Fernsehprogramm ausgeschlossen
- DHV übernimmt den Versand der Hilfsmittel und die blista den Druck der Punktschriftbücher
- Barrierefreiheit und Mobilität
- Berichte und Schilderungen
- Aus der Arbeit des DVBS
- Aus der blista
- Impressum
Vorangestellt
Liebe Leserin, lieber Leser,
für mich sind es kleine Fluchten. Raus aus dem Alltag und eintauchen in eine andere Welt. Diese Bedeutung haben und hatten Bücher immer schon für mich. Und ich bevorzuge die Version, in der das Buch seinen Ursprung in einem Baum findet. Bei aller Digitalisierung, Lesen ist für mich auch ein haptisches Erlebnis.
Wenn es um Informationsbeschaffung geht, da sieht es ganz anders aus. Wie sind die ersten Kommentare zum beendeten Fußballspiel? Von wem wurde der Dom, vor dem ich gerade stehe, erbaut? Wo finde ich das nächste italienische Restaurant?
Heute liegen die Antworten auf diese Fragen nur wenige Klicks entfernt. Kaum vorstellbar, dass ich mich früher durch Berge von Zeitungen und stundenlang durch Bibliotheken wühlen musste, um gewünschte Informationen zu einem bestimmten Thema zu erlangen. Oder erinnern Sie sich noch an Zeiten, als beim Urlaub in fernen Ländern Informationen als neu galten, wenn sie weniger als eine Woche alt waren?
Alles Wissen, alle Literatur ist heute für jeden jederzeit verfügbar und abrufbar.
Für blinde und sehbehinderte Menschen auch?
Wie die analoge und digitale Informationsbeschaffung für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung aussieht, davon lesen Sie in der vorliegenden Ausgabe.
In ihrem Testbericht stellt Isabella Brawata eine neue Technologie vor, die es blinden und sehbehinderten Menschen schneller und einfacher erlaubt, mobil Schwarzschrifttexte zu erfassen. Andrea Katemann verschafft Ihnen einen Überblick über die „Literaturversorgung von Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung“. Uwe Boysen schildert, wie sich für ihn die Zugänglichkeit von Literatur und Informationen während seiner Berufslaufbahn verändert hat und Thorsten Büchner erzählt von seiner persönlichen „Lesebiografie“.
Welche Bedingungen vorliegen müssen, dass Informationen, z.B. in Graphiken und Tabellen, barrierefrei zugänglich sind, erfahren Sie ebenso in diesem Heft.
Wir werden weiter daran arbeiten müssen, damit immer mehr Informationen und immer mehr Bücher für blinde und sehbehinderte Menschen zugänglich werden. Diese Herausforderung gilt es zu verwirklichen.
Uns allen eine angenehme und erkenntnisreiche Lektüre!
Ihr
Claus Duncker
Bildunterschrift: Claus Duncker ist Direktor der blista. Foto: Bruno Axhausen
Bildbeschreibung: Ein Mann mit grauen Haaren, Brille, einem gemusterten Hemd, roter Krawatte und dunklem Jackett.
In eigener Sache
Abschied von Birthe Klementowski
Leider hat die horus-Redaktion einen Abgang zu verzeichnen: Birthe Klementowski verabschiedet sich in Richtung Nordrhein-Westfalen. Mit den folgenden Worten sagt sie leise „Servus“: „Nach rund 1,5 Jahren in der horus-Redaktion verabschiede ich mich und gehe beruflich neue Wege. Es war eine schöne Zeit mit einem tollen Redaktionsteam. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken und wünsche auch Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, alles Gute!“ Wir sagen „Danke für alles!“, liebe Birthe und viel Erfolg auf Deinem weiteren Berufsweg.
Rückschau auf die Jubiläumsrevue
Die große Jubiläumsrevue jetzt „hörbar“ erhältlich
Die reizende junge Assistentin des Moderators (im wahren Leben langjährige Bezirkschefin); blinde und sehbehinderte DVBS-Mitglieder, die Musik machen bzw. (unterstützt durch sehende MitarbeiterInnen der Geschäftsstelle) Eindrücke aus ihrem Berufsalltag schildern - teilweise überspitzt, satirisch, ironisch, auf jeden Fall aber lustig; und natürlich der Moderator selbst: Rainer Husel als großer „Showmaster“ des Abends. Alle waren beteiligt an der großen Jubiläumsrevue „Glanz und Elend unseres Berufslebens – ein anstrengender Abend mit Texten und Liedern“, die am 23.09.2016 im Bürgerhaus Marburg-Cappel stattfand. Dieser Ohrenschmaus ist jetzt beim DVBS erhältlich, sowohl als DAISY-CD wie auch als Hörbuchdownload. Die Live-Aufnahme verdanken wir Andrea Katemann.
Themen horus 2/2017
Die nächste Ausgabe des Jahres 2017 erscheint am 29. Mai mit dem Schwerpunkt „Wege in den Beruf“.
Über Ausbildungsmöglichkeiten für verschiedene Berufe bis hin zum Studium und dem Ergreifen von Berufen im akademischen Bereich stellt die Ausgabe die Vielfalt der Möglichkeiten für blinde und sehbehinderte Menschen vor und gibt zahlreiche Tipps und Anregungen. Möchten Sie einen Beitrag zum nächsten Heft beisteuern, können Sie Ihre Texte gerne wie gewohnt per E-Mail an die horus-Redaktion schicken: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Redaktionsschluss ist der 4. April 2017.
Berichte für den Schwerpunkt können bis zu 10.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) lang sein, allgemeine Berichte bis zu 4.000 Zeichen. Kürzere Meldungen sollten eine Länge von 2.000 Zeichen nicht überschreiten.
Ihr und Euer
André Badouin
Bildunterschrift: Der mit zahlreichen Einlagen versehene Revueabend bildete den Abschluss am Freitagabend des 100-jährigen Jubiläumswochenendes im September 2016. Foto: DVBS
Bildbeschreibung: Zahlreiche Menschen sind in einem hell erleuchteten Saal versammelt und sitzen an vier langen Tischen. Die Stimmung ist ausgelassen. Im Hintergrund ist eine Bühne erkennbar, vor der ein Tisch aufgestellt ist, an dem mehrere Personen sitzen. Auf der linken Seite dieses Tisches sitzt ein älterer Herr mit Vollbart und Gitarre.
Schwerpunkt „Literatur und Information“
Thorsten Büchner
Erst seit ich blind bin, habe ich das Lesen lieben gelernt
Was war das früher mühsam. Damals, als ich als zehnjähriger Knirps während des Familienurlaubs an der Costa Brava auf einer Strandmatte lag und mich angestrengt hin und her rollte, um nur ja in eine halbwegs bequeme Leseposition zu kommen. Welche Entfernung muss das verdammte Monokularglas denn haben, dass ich entspannt gut lesen kann, mir aber mit dem vorgebeugten Oberkörper in einer zumeist halb liegenden Position (schließlich war es ein Strandurlaub) nicht zu viel Schatten zu werfen, weil es sonst nicht mit dem Kontrast gepasst hätte?
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mühsam, aber mit stetiger Begeisterung montags und donnerstags zum Kiosk dackelte, um mir die neueste Ausgabe des „kicker“ zu besorgen. Schließlich musste ich mich auch in Spanien auf dem Laufenden halten. Für längere Texte - gar ganze Bücher - hat es damals einfach nicht gereicht.
Gelesen habe ich schon immer gerne. Nur war es in meinem früheren Leben, als ich noch hochgradig sehbehindert war, ziemlich anstrengend und lesen hatte immer etwas von einem „Kampf mit den Buchstaben“. Wenn ich nicht gerade am Strand lag und mich mit den neuesten Meldungen aus der Fußball-Bundesliga beschäftigte, las ich zu Hause mit beleuchteten Lupen oder – was zur Regel wurde – am Bildschirmlesegerät (BLG). Mitunter verbrachte ich Stunden am BLG und las, bis mir die Augen wehtaten. Dennoch waren es meistens kurze, kleine Texte, aus Zeitschriften, Schulbüchern oder – ich gebe es zu – den unterschiedlichsten Lexika. Im Laufe der Jahre wurde das Lesen immer anstrengender, weil meine Sehkraft immer mehr dahinschwand. Zum Schluss, während meiner Abiphase an der blista, war es so heftig, dass ein einziger Buchstabe den riesigen Monitor meines BLGs ausfüllte, so dass ich ehrlich gesagt eigentlich überhaupt nicht mehr richtig lesen konnte. Die Punktschrift hatte ich zwar gelernt, lehnte sie in der Übergangsphase zur Erblindung aber – leider – ab und las nur unwillig die nötigsten Schulunterlagen.
Das liegt mittlerweile siebzehn Jahre zurück. Eigentlich ist es so: erst seit ich blind bin, habe ich das Lesen lieben gelernt. Um es klar zu sagen: ich höre nahezu ausschließlich Hörbücher oder lasse mir mit meiner Sprachausgabe Artikel vorlesen. Dennoch ist es für mich „lesen“. Denn das, was ich so hörend erlebe, ist das, was „lesen“ für mich auszeichnet. Selbstvergessen in andere Welten abtauchen, sich einer spannenden Geschichte hingeben, den mitunter stressigen Alltag für einige Stunden beiseiteschieben, lesend die Welt entdecken, Gefühle, Personen und Stimmungen nachfühlen und den eigenen Horizont erweitern. Das haptische Erlebnis beim Lesen, die duftenden Seiten bei Schwarzschriftbüchern oder die eigenen Finger, wie sie flink über das Punktschriftpapier gleiten, sind mir fremd. Die Punktschrift ist nie eine „Genussschrift“ für mich geworden, ich beherrsche sie so gut, dass sie mir im Alltag nützliche Dienste als „Gebrauchsschrift“, etwa für Notizen und kleine Texte, bietet. Aber dass ich vollkommen in ein Braillebuch versinke und nur noch „in der Geschichte“ bin, das kommt bei mir nicht vor. Letztlich hat sich mir die Bedeutung von Literatur für das eigene Wohlbefinden erst erschlossen, als es mir nicht mehr möglich war, mit eigenen Augen zu lesen. Krampfhaft hielt ich kurz vor meiner Erblindung noch an meinen – nicht mehr existenten – Lesefähigkeiten fest, weil ich mir nicht vorstellen konnte, anders als mit den eigenen Augen die Buchstaben zu verfolgen und sie in meinem Kopf zu Wörtern, Sätzen und Geschichten zusammenzusetzen. Doch als ich dann aufs Hören angewiesen war, kannte mein Glück kein Ende. Ich konnte lesen, lesen, lesen. Ohne Krampf, Kampf und voller Spaß. Deswegen ist es so zentral und wichtig, immer mehr Literatur für Blinde und Sehbehinderte zugänglich zu machen. Nicht aus technischen Gründen, weil es eben geht und nicht nur aus Teilhabeaspekten. Vor allem bedeutet lesen Glück, Neugier und Kontemplation. Diese Magie, die nur Literatur auszulösen vermag, sollte jeder erleben können. Nur die Asterix-Comics, die ich früher so gerne las und mir ansah, die sind leider aus meinem Lesehorizont verschwunden.
Zum Autor:
Thorsten Büchner war von Geburt an stark sehbehindert und ist während seiner Schulzeit an der blista erblindet. Er arbeitet im Bereich Öffentlichkeitsarbeit der blista und gestaltet dort zusammen mit Manfred Duensing das akustische Infomagazin der „Deutschen Blinden-Bibliothek“, den „Kopfhörer“. Seine große Leidenschaft ist die Kriminalliteratur.
Bildunterschrift: Thorsten Büchner. Foto: privat
Bildbeschreibung: Ein Herr mittleren Alters mit Brille schaut – mit hellblauem Hemd und dunklem Jackett bekleidet – lächelnd in die Kamera.
Andrea Katemann
Literaturversorgung blinder und sehbehinderter Menschen, Ein- und Ausblicke
Spezialbibliotheken als wichtige Quelle zur Informationsversorgung
"Ihre Bibliothek ist mein Zugang zur Welt. Durch sie ist es mir möglich, mich zu informieren, seit ich nicht mehr lesen kann." Solche und ähnliche Sätze hört man oft, wenn man als Mitarbeiter einer Hörbücherei mit blind gewordenen Kunden zu tun hat. Diese Menschen benötigen durchaus vielfältige und intensive Beratung. Sie wünschen Hilfe beim Aussuchen und Bestellen von Büchern, beim Umgang mit Katalogen und haben Fragen zur Nutzung der speziellen DAISY-Geräte oder aber zu Apps für das Smartphone, mit denen man DAISY-Bücher abspielen kann. Die Abkürzung DAISY steht für "digital accessible information system" und ist ein für blinde und sehbehinderte Menschen entwickeltes Format, das es ermöglicht, komfortabel in Hörbüchern zu "blättern". Auch lassen sich Text und Audioinhalte kombinieren und selbstverständlich auch reine Textbücher erstellen. Allerdings wird reines "Text-DAISY" in Deutschland kaum genutzt. Da spezielle DAISY-Geräte vergleichsweise teuer sind, entdeckt auch der Personenkreis der älteren, späterblindeten Smartphone-Nutzer die Möglichkeit, zumindest mit Hilfe von Angehörigen Apps zu nutzen. So gibt es Kunden, die sich helfen lassen, Literatur auf ihr Smartphone zu bekommen, aber eigenständig in der Lage sind, diese über entsprechende Apps mit dem Smartphone zu nutzen.
Spezialbibliotheken werden vor die Herausforderung gestellt, sich mit vielen Apps, Abspielprogrammen und DAISY-Geräten auseinandersetzen zu müssen. Sieht man sich die Rolle von Spezialbibliotheken auf internationaler Ebene an, so ist auffällig, dass viele von ihnen entweder selbst über Personal in öffentlichen Bibliotheken präsent sind, oder aber direkt mit öffentlichen Bibliotheken im Kontakt stehen, um ihren Kunden ein umfassendes Informationsangebot zur Verfügung zu stellen. Sowohl in der Deutschen Zentralbücherei für Blinde (DZB) in Leipzig als auch in Marburg wird dieser Ansatz ebenfalls verfolgt (vgl. www.hoerbuecherei-vor-ort.de.). In Netzwerken kooperiert man mit öffentlichen Bibliotheken, über die man die Chance hat, potentielle Kunden zu erreichen (zu den Herausforderungen von Spezialbibliotheken und Institutionen, die sich mit Literaturversorgung für blinde und sehbehinderte Menschen auseinandersetzen, vgl. meinen Artikel in horus 3/2014).
Neue Abspielmöglichkeiten von DAISY-Büchern mit dem Smartphone und dem PC
Es ist erfreulich, dass es seit einiger Zeit das Projekt "Legantoo" gibt. Mit dem hier entstandenen Programm gleichen Namens kann man DAISY-Hörbücher abspielen und DAISY-Bücher lesen, die "nur" Text beinhalten. Sowohl DAISY 2 als auch DAISY 3 lässt sich problemlos verwenden, wobei DAISY 3 in Deutschland bisher kaum eingesetzt wird. Lesezeichen und Lesepositionen können über Clouddienste synchronisiert werden, sodass ein Nutzer problemlos auf unterschiedlichen Geräten das gleiche Buch nutzen kann. Außerdem läuft das Programm unter allen gängigen Windowsversionen, aber eben auch auf einem Mac. Eine Android-App für entsprechende Smartphone-Nutzer ist ebenfalls fertig und kann über die Webseite www.legantoo.de heruntergeladen werden. Die App für das iPhone befindet sich gerade in der Testphase. Auf der zuvor genannten Homepage finden sich Kontaktdaten, über die man in der Legantoo-Mailingliste mitlesen kann. Hier erfährt man auch alles über Neuerungen in dem Programm. Für das Smartphone lässt sich außerdem die App Voice Dream Reader empfehlen. Es gibt diese sowohl für iPhone als auch für Android Nutzer. Mit dieser lassen sich auch vergleichsweise komfortabel PDF-Dokumente mit dem Smartphone nutzen. Allerdings werden die Bildbeschreibungen in barrierefreien PDF-Dokumenten momentan noch nicht zuverlässig vorgelesen.
Um Blindenschriftbücher unterwegs strukturiert und komfortabel lesen zu können, wird durchaus beklagt, dass es hier keine Geräte gibt, die Abhilfe schaffen. Selbstverständlich kann man sich eine Blindenschriftdatei in die Braillezeile laden, und wenn man "nur" ein Buch unterwegs lesen möchte, lässt sich die Datei durchaus an der Stelle öffnen, an der man aufgehört hat, zumindest gibt es Braillezeilen mit entsprechender Lese- und Notizfunktion, die dazu in der Lage sind. Bei mehreren Büchern, die man parallel genießen will, hat man hier durchaus größere Schwierigkeiten. Das DAISY-Konsortium ist beteiligt an der Entwicklung einer vergleichsweise billigen Braillezeile, allerdings ist diese momentan noch in der Testphase, und wann sie auf dem deutschen Markt erscheinen wird, weiß man nicht. Es fehlt also der DAISY-Player für Braillebücher.
Das sogenannte epub-Format, das sich inzwischen in der Version 2 als durchaus gängiges eBook-Format etabliert hat, bietet prinzipiell ähnliche Möglichkeiten wie das DAISY-Format. Nach wie vor, und so lautete auch die Aussage in meinem letzten Artikel zum Thema Literaturversorgung, sind die Verlage zögerlich, sich mit dem epub3-Standard zu beschäftigen. Wenn man diesen sinnvoll anwendet, bietet er komfortable Möglichkeiten zur barrierefreien Bucherstellung.
Immer noch Defizite bei der Versorgung mit barrierefreier Literatur
Zwar bietet beispielsweise die Deutsche Blindenhörbücherei in Marburg über 50000 Hörbücher und über 50000 Bände in Blindenschrift zur kostenlosen Ausleihe an, doch darf diese Tatsache nicht darüber hinwegtäuschen, dass lediglich drei Prozent aller jährlich auf dem Markt erscheinenden Literatur in barrierefreier Form zugänglich ist. Somit lässt sich festhalten, dass blinde und sehbehinderte Menschen nach wie vor große Nachteile bei der Versorgung mit Informationen und somit auch bei der Möglichkeit der Aus- und Weiterbildung haben. Literatur ist hier selbstverständlich von zentraler Bedeutung. Insbesondere im Bereich der beruflichen Weiterbildung wird es in dem DVBS-Projekt iBoB Möglichkeiten geben, Materialien bedarfsgerecht umzusetzen (vgl. hierzu den Artikel über das Projekt iBoB in der Rubrik „Aus der Arbeit des DVBS“).
Es ist ein großer Schritt, dass es den Medienzentren in Deutschland gelungen ist, über einen entsprechenden Rahmenvertrag mit den Schulbuchverlagen, schnell Bücher im PDF-Format zu erhalten. Diese PDF-Bücher dürfen für Unterrichtszwecke an blinde und sehbehinderte Schüler weitergegeben oder in eine barrierefreie Form gebracht werden. Diese Bücher müssen sehr häufig intensiv nachbearbeitet werden. So kann es einerseits sein, dass die PDF-Dokumente nicht lesbar sind, da der Text, wie an anderer Stelle bereits erwähnt, als Bild hinterlegt und somit für den Screenreader nicht zugänglich ist. Zwar lässt sich hier automatisiert durch Texterkennungsprogramme Abhilfe schaffen, doch erhält man so keineswegs einen fehlerfreien Text. Bevor man überhaupt mit einer Textstrukturierung beginnen kann, muss also eine gründliche Fehlerkorrektur erfolgen. Kompliziert ist hier, dass für sehende Menschen auf den ersten Blick überhaupt nicht erkennbar ist, wenn ein blinder Mensch ein PDF-Dokument nicht lesen kann. Erst bei genauerer Kenntnis der Funktionsweise von Screenreadern und bei einem Blick in die Dateieigenschaften des entsprechend erhaltenen Dokumentes wird das Problem deutlich. Somit beginnt man dann, ein Buch für blinde und sehbehinderte Menschen möglicherweise komplett neu aufzubereiten, obwohl man es von den Verlagen erhalten hat. Dieses Vorgehen hat mit Inklusion nichts zu tun, wartet doch dann der blinde oder sehbehinderte Schüler möglicherweise immer noch sehr lange, bis er die im Unterricht benötigte Literatur bekommt.
Auch bei komplexer Literatur für Studierende insbesondere im naturwissenschaftlichen Bereich ist nach wie vor Personaleinsatz gefragt, um alle Abbildungen und Grafiken entsprechend als sogenannte Schwellkopie, über eine große, taktile Brailleplatte (Hyperbraille) oder aber auch "nur" als Beschreibung umzusetzen.
Apps, eBook-Reader und -Formate
Zwar nutzen blinde und sehbehinderte Menschen kommerziell zugängliche Literatur auf dem Smartphone oder auf dem Tablet, und auch Zeitschriften und Zeitungen werden auf diese Weise konsumiert, doch gibt es hier einerseits Einschränkungen bei der Zugänglichkeit der zur Verfügung stehenden Apps und andererseits werden natürlich auch über das Smartphone Bücher, Zeitungen und Zeitschriften in Formaten zur Verfügung gestellt, die nicht lesbar sind (vgl. ergänzend horus 3/2014). So versuchte ich neulich meine Lokalzeitung zu lesen. Die App selbst erwies sich sogar noch als vergleichsweise gut bedienbar, doch als ich die erste Ausgabe meiner Zeitung gekauft hatte, kam die Ernüchterung: ich konnte überhaupt nichts lesen. Die Zeitung wird als sogenanntes "e-Paper" angeboten. Es handelt sich hier offensichtlich um Text, der als Bild hinterlegt ist, sodass ihn kein Screenreader erfassen kann.
Im Newsletter 111 der Europäischen Blindenunion (EBU) ist daher in Bezug auf den Vertrag von Marrakesch, der den internationalen Literaturaustausch regeln soll, zu lesen, dass er verhandelt werden musste, da es bisher von Verlagsseite noch nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, Literatur in barrierefreier Form zur Verfügung zu stellen. Zwar gibt es insbesondere bei der Nutzung des eBook-Readers "Kindle" von Amazon einige Funktionalitäten, die Literatur für blinde und sehbehinderte Menschen zugänglich werden lassen. Vielen bekannt ist der Screenreader und die Möglichkeit, besondere Farb- und Vergrößerungseinstellungen vorzunehmen. Allerdings werden Abbildungen in Büchern, die man sich kauft, standardmäßig nicht beschrieben, die Zugänglichkeit von Tabellen ist nicht immer optimal und der Umgang mit Fußnoten ist auch noch zu verbessern. Gerade hat der Screenreader NVDA in seiner Betaversion eine Einbindung des Kindle für den PC im Angebot. Somit ist man als deutscher Nutzer nicht mehr auf den Kauf eines Kindle-Gerätes oder auf die Nutzung der Smartphone-App angewiesen. Zwar werden in den bisher bekannten Kindle-Versionen die Fußnoten vorgelesen und hier durchaus in sinnhafter Reihenfolge, doch lässt sich bisher beispielsweise nicht auswählen, dass man sie überhaupt nicht vorgelesen haben will.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels war im letzten Jahr durchaus erfreut darüber, dass der Marktanteil der sogenannten Tolino-Allianz in Deutschland größer war als derjenige des Amazon Kindle. Tatsächlich lassen sich über den Tolino für den gewöhnlichen Kunden inzwischen Bücher von sämtlichen großen Anbietern und auch diejenigen der "Onleihe" der Stadtbibliotheken lesen. Weit verbreitet ist hier das epub-Format, das sich mit dem Kindle zunächst nicht lesen lässt. Zwar verfügt der Tolino-Reader über eine Vorlesefunktion, doch lässt er sich von blinden Menschen, so sagen es zumindest erste Gerüchte, nicht optimal bedienen. Da viele eBook-Reader unter dem Betriebssystem Android funktionieren und es hier Anbindungs- und Entwicklungsmöglichkeiten von Screenreadern und Vergrößerungssoftware gibt, wird es sich ergeben, dass die Zugänglichkeit von eBook-Readern durchaus vielfältiger wird. Wie optimal sie im Einzelnen sein wird, lässt sich momentan nicht vorhersehen. Wenn die Entwicklungen in Bezug auf Barrierefreiheit positiv weitergehen sollten, wird sich auch für den Personenkreis der blinden und sehbehinderten Menschen in Zukunft die Frage, in welchem Format ein eBook ist, zumindest dann nicht mehr stellen, wenn er in der Lage ist, auf seinem Smartphone unterschiedliche Apps zu nutzen. Viele Apps zum Lesen von eBooks sind kostenlos oder für wenig Geld zu haben, wobei deren Zugänglichkeit unterschiedlich zu bewerten ist. Welches Format sich langfristig wie durchsetzen wird, lässt sich nämlich, denke ich, momentan nach wie vor nicht exakt vorhersehen. Amazon hat in Bezug auf die Entwicklung von Funktionalitäten zur Barrierefreiheit bei dem Kindle mit dem Royal National Institute for the Blind (RNIB) zusammengearbeitet. Inwieweit dies andere Anbieter von eBook-Readern in irgendeiner Weise nachahmen, bleibt abzuwarten.
Automatisierungstools sollen barrierefreie Umsetzung optimieren
Spannend zu beobachten ist die Automatisierung von Bildbeschreibungen. So lässt sich beispielsweise mit der für das iPhone entwickelten App "tapp tapp see" ein Foto automatisiert erkennen und eine Beschreibung erhalten. Auch Microsoft arbeitet gerade auf diesem Gebiet an einer neuen Entwicklung. Spannend bleibt momentan die Frage, wie komplex Abbildungen sein können, um erkannt und beschrieben zu werden und wie aussagekräftig dann die Beschreibungen sind. Diese Frage ist vor allem von Bedeutung, wenn es um die Zugänglichmachung von Literatur für den Bereich Aus- und Weiterbildung geht.
Notwendigkeit von kompetentem Personal bei der Erstellung von barrierefreier Literatur
Die Umsetzung von Literatur für blinde und sehbehinderte Menschen erfordert fachliche Kompetenz. So muss man lernen, wie beispielsweise Abbildungen zu verbalisieren oder in ein taktiles Format zu bringen sind (zur Verbalisierung von Abbildungen vgl. den von der blista erstellten Leitfaden VISCH, visualisierte Informationen in Schulbüchern, zu finden unter www.blista.de/download/druckerei/visch-leitfaden.pdf).
Die Umsetzung eines Buches in eine gut lesbare Blindenschriftfassung erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit dem Text und eine fundierte Kenntnis von Software, die bei der Umsetzung benötigt wird. Allein die Frage, wann ist für einen blinden Menschen ein Text übersichtlich gestaltet, ist durchaus nicht leicht zu beantworten und erfordert eine intensive Einarbeitung in die Thematik. Zwar lassen sich beispielsweise Passagen kennzeichnen, die fett oder kursiv gedruckt sind, doch dient diese Kennzeichnung einem blinden Menschen keineswegs zur besseren Strukturierung oder zur schnelleren Auffindbarkeit bestimmter Passagen, sondern sie hat häufig lediglich einen "Informationscharakter". Eine übersichtliche Gestaltung erreicht man durch die Möglichkeit, Zeilen an unterschiedlichen Positionen beginnen zu lassen, mit Freizeilen zu arbeiten und durch die Aufteilung der Zeilen. Diese Logik muss jemand, der gewohnt ist, in völlig anderen Kategorien zu denken, erst lernen.
Wie man Literatur barrierefrei gestaltet, die am PC oder mit dem Smartphone im Textformat genutzt werden soll, ist ein eigenständiges Kapitel. Ein zentraler Punkt ist allerdings, dass ein Text wirklich im Text-Format vorliegt, und dass der Text durch eine logische Gliederung strukturiert wird. Dabei geht es vor allem darum, Überschriften so auszuzeichnen, dass sie als solche für einen Screenreader erkennbar sind. Wichtig ist auch, dass elektronische Dokumente dynamisch und individuell für sehbehinderte Menschen anpassbar sind.
Fazit
Nach wie vor ist der Bereich der Literaturversorgung für blinde und sehbehinderte Menschen eine große Herausforderung. Einerseits muss man sich als Nutzer mit vielfältigen Zugangsmöglichkeiten auseinandersetzen und andererseits bekommt man Literatur insbesondere in den Bereichen Aus- und Weiterbildung nicht so schnell, wie man sie gerne hätte. Trotz automatisierter Umsetzungsmöglichkeiten und der Zugänglichkeit von eBook-readern und der Literatur, die man über diese kaufen kann, ist kompetentes Personal notwendig, um Literatur für die Bereiche Aus- und Weiterbildung umzusetzen.
Zur Autorin
Andrea Katemann ist DVBS-Vorstandsmitglied und Leiterin der Deutschen Blinden-Bibliothek in Marburg.
Bildunterschrift: Kommunikation heute… Foto: pixelio.de/Peter Freitag
Bildbeschreibung: Auf dem Bild sind die Hände einer Person erkennbar, die ein Smartphone halten und bedienen.
Isabella Brawata
Lesegefühl wie zu sehenden Zeiten? Vor- und Nachteile der OrCam-Brille
Mehr Lesefreiheit durch die OrCam-Brille?
Da ich geburtsblind bin, habe ich dieses Gefühl nie kennen lernen dürfen, die Freiheit, immer und überall alles lesen zu können. Menschen, die einen Sehverlust erfahren haben, erleben den Verlust ihrer Lesefähigkeit häufig als eine große Einschränkung ihrer Unabhängigkeit. Das Gerät OrCam, das von der israelischen Firma OrCam Technologies entwickelt wurde und mit der Software MyReader und MyEyes ausgestattet werden kann, verspricht, wieder ein unabhängiges lesen zu ermöglichen. OrCam ist auch in der Lage, Produkte und Gesichter zu erkennen.
Ich habe mit dem EDV-Team der Rehabilitationseinrichtung für Blinde und Sehbehinderte der Deutschen Blindenstudienanstalt e. V. (blista) an einer Präsentation von OrCam durch eine Hilfsmittelfirma für Blinde und Sehbehinderte teilgenommen. Wir hatten die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Anregungen zu geben. In diesem Artikel fasse ich die Ergebnisse unserer Diskussion zusammen.
Was ist das Gerät OrCam?
OrCam besteht aus einer Mini-Kamera (8 Pixel), die auf jedes Brillengestell gesteckt werden kann. Ein Kabel verbindet die Kamera mit einem kleinen leichten Rechner (Betriebssystem Linux), der jedoch nicht aussieht wie ein Minicomputer, sondern nur einige wenige Bedienknöpfe besitzt und in die Hosentasche passt. Die Sprachausgabe erfolgt nicht über Kopfhörer, sondern über ein Knochenleitsystem, sodass man Geräusche aus der Umwelt uneingeschränkt wahrnehmen kann.
Lesen mit der OrCam
Mit Hilfe der Software MyReader liest die OrCam alles, was in ihr Blickfeld gerät. Die Bedienung ist einfach, weil lediglich mit dem Finger auf das zu lesende Schriftgut gezeigt werden muss und die OrCam erledigt alles weitere. Man kann auch, wenn man blind ist, „ins Blaue hinein“ fotografieren und sich überraschen lassen, was es in der Umgebung zu lesen gibt. So wurde von der OrCam beispielsweise durch das Fenster des Raumes, in dem die Präsentation stattgefunden hat, das Namensschild des gegenüberliegenden indischen Restaurants entdeckt. Ein blinder Mitarbeiter stellte auf diese Weise fest, dass die Firmenräume des Unternehmens mit vielfältigen Werbeplakaten versehen sind.
Die Geschwindigkeit, mit der ein Text abfotografiert und von einer Texterkennungssoftware verarbeitet wird, ist erstaunlich hoch. Es gibt keine merkliche zeitliche Verzögerung zwischen dem Klicken der Kamera und dem Vorlesen des Textes. Auch ist die OrCam sehr gut in der Lage, winzig kleine Schrift zu erkennen, wodurch Kleingedrucktes gut lesbar wird.
Jede Texterkennungssoftware stößt allerdings an ihre Grenzen. So kann, wie bei allen Vorlesesystemen, bislang Handschriftliches nicht gelesen werden. Auch vom Computer erstellte Schriftstücke, die in einer sehr exotischen oder grafiklastigen Schrift erstellt wurden, werden schlecht oder gar nicht erkannt. Handgeschriebene Liebesbriefe oder Notizen bleiben unleserlich und auch manche Flyer oder Speisekarten bleiben dem Nutzer der OrCam ganz oder teilweise verborgen.
Die OrCam ist in der Lage, Tabellen zu erkennen und spaltenweise vorzulesen. Sind die Abstände zwischen den Spalten jedoch zu klein, funktioniert die Tabellenerkennung nicht gut. Schlecht gestaltete Fahrpläne beispielsweise werden zwar vorgelesen, ergeben jedoch keinen Sinn, da die enthaltenen Informationen nicht in der richtigen Reihenfolge wiedergegeben werden.
Um die Texterkennung zu vereinfachen, gibt die OrCam Anweisungen, aus denen der Nutzer schließen kann, ob ein Blatt falschherum liegt oder ob sich die Kamera zu nahe oder zu weit vom Lesegut entfernt befindet. Leider gibt es keine Blattkantenerkennung. Auch verfügt die OrCam über keine eigene Beleuchtung, weshalb die Lichtverhältnisse an dem Ort, wo gelesen wird, günstig sein sollten. In einem dämmrigen Raum liefert die OrCam keine guten Ergebnisse.
Navigation im Text
Die Navigationsmöglichkeiten innerhalb eines Textes könnten verbessert werden. Für Sehbehinderte, die noch fettgedruckte Überschriften lesen können, bietet die OrCam die praktische Möglichkeit, auf eine interessante Überschrift zu zeigen und sich den dazugehörenden Inhalt vorlesen zu lassen. Auch blinde Personen können sich von der OrCam die Überschriften eines Textes nacheinander ausgeben und bei einer spannenden Überschrift stoppen und sich den entsprechenden Inhalt vorlesen lassen, haben aber nicht die Möglichkeit, zwischen den Überschriften hin und her zu springen. Bedauerlich ist außerdem, dass es zwar möglich ist, sich einen Satz nochmal vorsagen zu lassen, allerdings besteht keine wort- oder buchstabenweise Navigation. Auch gibt es nicht die Möglichkeit, innerhalb eines Textes die Landessprache zu wechseln.
Keine Speicherungs- und Vernetzungsmöglichkeiten
Verarbeitete Texte können von der OrCam nicht gespeichert werden. Die Philosophie der Erfinder des Gerätes, die dahintersteckt, ist die, dass die Bedienbarkeit so einfach wie möglich gestaltet sein solle. Das Abspeichern und Wiederauffinden einer Datei könnte einigen Nutzern schwerfallen. Für Menschen in Ausbildung, Studium und Beruf könnte das Unvermögen der OrCam, erkannten Text zu speichern, um ihn anschließend bearbeiten zu können, ein Nachteil sein. Auch für private Zwecke könnte es vorteilhaft sein, sich Dokumente, behördliche Schreiben oder Bücher speichern zu können.
Die OrCam ist ein völlig geschlossenes System. Sie verfügt weder über eine Internetverbindung noch über Bluetooth oder über USB-Anschlüsse. Die Erfinder möchten dadurch absoluten Schutz der von der OrCam erfassten Daten garantieren, wodurch das Urheberrecht und die Privatsphäre Unbeteiligter gewahrt bleiben sollen. Auch einige Kunden befürworten zum Schutz ihrer persönlichen Daten die Geschlossenheit des Systems, denn für manche ist es ein tröstliches Gefühl, dass die Daten der OrCam nicht auf einem Server hinterlegt sind und dass niemand Rückschlüsse auf ihre Lesegewohnheiten und Interessen ziehen kann. Sie betrachten es als Vorteil, dass die OrCam überall (Flugzeug, Krankenhaus, Wald usw.) einsetzbar ist, weil sie ohne eine funktionierende Internet- oder Funkverbindung auskommt. Andere Nutzer hingegen bedauern es, dass die OrCam nicht die Möglichkeit bietet, sich mit anderen Geräten oder Anwendungen zu vernetzen. In einem Zeitalter, da die Vernetzung weiter voranschreitet, betrachten sie dies als Rückschritt. Sie vertreten die Ansicht, dass die OrCam das dem Gerät innewohnende Potenzial nicht ausschöpfen würde, weil sie nicht mit anderen Anwendungen - wie zum Beispiel Navigationssystemen - zusammenarbeiten könne.
Produkterkennung durch die OrCam
Neben der Vorlesefunktion verfügt die OrCam auch über eine Produkterkennung. Diese funktioniert allerdings nicht über das Erkennen des Strichcodes, der auf den meisten Produkten angebracht ist. Erfasst die OrCam eine bedruckte Produktverpackung, liest sie zunächst alles vor, was auf der Verpackung geschrieben steht. Wird ein bestimmtes Produkt häufig gebraucht, besteht die Möglichkeit, ähnlich einem Audiolabeler dem Produkt eine eigene Bezeichnung zuzuweisen, indem man eine Audionotiz hinterlegt. So kann man sich ein Produkt akustisch „beschriften“. Die Produkterkennung läuft so ab, dass das entsprechende Produkt zunächst von mehreren Seiten abfotografiert wird. Die OrCam „merkt“ sich auffällige Kennzeichen wie einen roten Streifen am Rand oder ein grünes Wellenmuster in der Mitte. Anhand dieser Merkmale wird das Produkt erkannt und die entsprechende Sprachnotiz abgespielt. Der Vorteil der OrCam ist, dass man sich alles, was auf einer Verpackung steht (Werbung, Inhaltsstoffe etc.) vorlesen lassen kann. Geburtsblinde werden überrascht sein, wie viel auf einer einfachen Milchtüte geschrieben steht. Indem ein oft genutztes Produkt mit einer akustischen „Beschriftung“ versehen wird, wird der gesamte Textinhalt der Verpackung nicht mehr vorgelesen und die Produkterkennung läuft wesentlich schneller ab. Der Vorteil der Produkterkennung der OrCam ist, dass blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen selbst in der Lage sind, sich die für sie wichtigen Produkte akustisch zu „beschriften“, wenn diese sich optisch voneinander unterscheiden. Praktisch ist ebenfalls, dass man keinen Strichcode suchen muss, der oftmals nicht leicht zu finden ist. Außerdem erfolgt kein Abgleich mit Produktdatenbanken, die nicht immer vollständig und auf den neuesten Stand gebracht sind.
Gesichtserkennung mit der OrCam
Die OrCam kann darauf trainiert werden, Gesichter zu erkennen. Sie ist in der Lage, aus einer Entfernung von vier bis fünf Metern ein Gesicht, das sich in ihrem Blickfeld befindet, zu erkennen und spielt den dazugehörigen Namen ab. Diese Funktion ist recht nützlich, weil man nicht mehr darauf angewiesen ist, dass Menschen, mit denen man nicht oft zu tun hat, wie entfernte Bekannte, Verwandte oder Arbeitskollegen einer anderen Abteilung, daran denken, sich bei der Begrüßung vorzustellen. Da es schwerer ist, einen Menschen anhand seiner Stimme als anhand seines Äußeren zu unterscheiden, ist einigen Betroffenen die Situation sicherlich vertraut, dass man freudig begrüßt wird und sich im stillen fragt, mit wem man es gerade zu tun hat. Insbesondere dann, wenn man der Person in einem anderen Zusammenhang begegnet als üblich. Sich die Blöße zu geben, zuzugeben, dass man keine Ahnung hat, von wem man angesprochen wurde, ist manchmal nicht leicht, weil man das Gegenüber nicht enttäuschen möchte. Menschen, die im späteren Lebensalter ihr Sehvermögen einbüßen, sehen sich von ihrer Umwelt häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, sie hätten sich verändert und wären abweisend und überheblich geworden, weil sie ihre Umwelt nicht mehr grüßen würden. Für Leitende eines Workshops oder einer Besprechung ist es auch nützlich, sich beim Betreten eines Raumes sofort einen „Überblick“ verschaffen zu können, welche Personen anwesend sind. Für Menschen mit einem schlechten Namensgedächtnis könnte die Gesichtserkennung der OrCam ebenfalls hilfreich sein.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die OrCam gegenüber herkömmlichen Vorlesesystemen und Texterkennungs-Apps den entscheidenden Vorteil bietet, dass sie immer und überall einsatzbereit ist. Die Bedienung ist einfach und kann einhändig erfolgen. Auch wenn die Navigierbarkeit innerhalb eines Textes verfeinert werden sollte und man sich darüber streiten kann, ob die Geschlossenheit des Systems einen Vorteil oder Nachteil darstellt und die Unfähigkeit der OrCam, das Gelesene abzuspeichern, für einige Nutzer unbefriedigend sein könnte, ist die OrCam eine sinnvolle Weiterentwicklung der üblichen Vorlesesysteme. Die Produkt- und Gesichtserkennung stellen zwei hilfreiche Zusatzfunktionen dar. Die OrCam wird derzeit noch nicht von den Krankenkassen finanziert und kostet rund 3000 Euro. Sie wird nur mit vorhergehender Schulung verkauft, die ebenfalls vom Kunden gezahlt werden muss. Seitens OrCam Technologies gibt es natürlich Bestrebungen, dass die Krankenkassen OrCam als Hilfsmittel anerkennen und finanzieren.
Zur Autorin
Isabella Brawata arbeitet als Reha-Beraterin am Reha-Beratungszentrum der blista und ist als Blickpunkt-Auge-Beraterin für den Blinden- und Sehbehindertenbund in Hessen e.V. (BSBH) tätig.
Bildunterschrift: Die OrCam Brille… Foto: Hersteller
Bildbeschreibung: Zu sehen eine Frau, die eine dunkle Brille trägt, die mit einem Kabel verbunden ist.
Till Zipprich
Mein Sieg beim Schreibwettbewerb der EBU
Es muss irgendwann im Mai 2016 gewesen sein, als ich das erste Mal vom Schreibwettbewerb der Europäischen Blindenunion, kurz EBU, hörte. Das heißt, eigentlich wird dieser Wettbewerb von OnkYo, einem japanischen Druckerhersteller, organisiert und in Europa von der EBU durchgeführt. Die wiederum ruft die Blindenverbände der einzelnen Länder zum Mitmachen auf. So zum Beispiel auch den DBSV. Und diese Verbände geben dann ihren Mitgliedern Bescheid. Daher erreichte mich dann also der Aufruf, einen Text zum Thema Punktschrift zu schreiben. Dieser musste weniger als 2000 Zeichen haben, in Deutsch verfasst sein und bis zum 1. Juni 2016 an den DBSV gesendet werden. Man konnte entweder per Post oder per Email teilnehmen. War man unter den besten fünf Einsendungen eines Landes, wurde der Text an die EBU weitergegeben. Und dort wurden an die besten Autoren Preise von unterschiedlich hohem Wert verliehen. Der erste Preis ist mit 2000, der zweite Preis mit 1000 und der dritte Preis mit 500 US-Dollar dotiert. Platz 1 wird nur an Erwachsene über 25 Jahren verliehen, für den zweiten Platz gab es eine Juniorenkategorie für alle unter 25 und eine Seniorenkategorie für alle über 25 Jahren und Platz 3 gab es zwei Mal für Junioren und zwei Mal für Senioren. Von meiner Kurzschriftlehrerin dazu ermutigt, schickte ich also folgenden Text an den DBSV:
„Sechserpack“: Was mir die Brailleschrift bedeutet
Hallo Louis,
auch, wenn Du ganze 195 Jahre älter bist als ich, haben wir doch etwas gemeinsam: Ich habe nämlich genau wie Du an einem 4. Januar Geburtstag. Vielleicht lerne ich ja deshalb so gerne immer neue Punktschriftzeichen. Vielleicht aber auch, weil es mich fasziniert, dass wir nur sechs Punkte zum Schreiben benötigen, während in der Schwarzschrift gerade und schräge Striche, halbe und ganze Kreise und manchmal auch Punkte verwendet werden. Von den völlig verschiedenen Groß- und Kleinbuchstaben mal ganz zu schweigen. Wie ein Koch, der aus seinen Zutaten immer neue Gerichte zaubert, setzen wir aus unseren sechs Punkten Buchstaben, Satzzeichen, Zahlen und Musiknoten zusammen. Und nicht nur das, wir haben sogar eine richtige Geheimschrift, in der wir Wörter mit nur einem oder zwei Zeichen schreiben können. So kann ein Punktschriftler, der die Kurzschrift schreibt, schneller schreiben als ein Schwarzschriftler. Das ist genial und praktisch, wenn man alle Regeln beachtet. Sonst kommen nämlich viele komische Wörter heraus. Wenn ich mir nun vorstelle, wie Brailleschrift wohl in Chinesisch aussehen mag, wo die Betonung der Wörter eine große Rolle bei der Bedeutung spielt, denke ich im ersten Moment, dass es bestimmt verdammt schwer ist, die verschiedenen Zeichen richtig zu deuten. Aber dann muss ich lachen, denn genauso rätselhaft wie mir Chinesisch erscheint, kommt vielen Sehenden wohl meine Schrift vor. Wenn ich ihnen dann aber das Prinzip Deiner Idee erkläre, können die meisten bald einzelne Wörter entziffern. Es muss ja nicht gleich der Donaudampfschifffahrtskapitän sein. Graf Zeppelin hat einmal gesagt, man muss nur wollen und daran glauben, dann wird es gelingen. Ich glaube, das ist auch mit der Punktschrift so. Es hat sich in diesen rund 200 Jahren so einiges verändert, was Du Dir wahrscheinlich gar nicht vorstellen kannst. Wir können mit Autos, Fahrrädern oder Zügen fahren, wir können uns per Telefon mit Leuten auf der ganzen Welt unterhalten und wir können alles, was wir wissen wollen, im Internet nachschauen. Es hat sich also ziemlich viel getan, aber Deine Erfindung wird noch heute genutzt und sogar weiterentwickelt. Weil die 64 möglichen Zeichen nicht mehr ausgereicht haben, hat man einfach noch zwei Punkte dazugenommen. So hat man viermal so viele Zeichen wie früher. Ja sogar ganze Schulen und Feste sind nach Dir und Deiner Erfindung benannt. Es sind zwar immer neue Zeichen oder Punkte dazugekommen und jede Sprache hat ihre eigenen Sonderzeichen und Kürzungen, aber irgendwie leitet sich noch immer alles von Deiner Idee ab und genau diese Idee, Louis, diese Idee war echt toll von Dir. Oder wie wir es heute sagen würden: „Daumen hoch! Like!“
Viele Grüße aus Stuttgart (Deutschland)
Dein Till
Nun hieß es abwarten. Denn die Entscheidung wurde erst im Dezember bekannt gegeben. Doch eines Tages schaute meine Mutter mal wieder nach dem Wettbewerb und wie er denn ausgegangen sei und da sah sie es: Ich hatte einen der mit 500 Dollar dotierten Preise gewonnen. Das sind umgerechnet mehr als 450 Euro. Außerdem gehört zu meinem Gewinn noch ein Andenken im Wert von 50 Dollar. Meine Mutter telefonierte mit einem Mitarbeiter, der uns erklärte, wie es jetzt weiterginge. Zunächst mussten wir meine Adresse und meine Bankverbindung an die EBU weitergeben, damit diese das an OnkYo weiterleiten konnte. Und bis Überweisungen und Post von einem anderen Kontinent beim Empfänger ankommen, dauert es vergleichsweise lange. Daher kann ich zu diesem Zeitpunkt auch noch nichts über das Andenken sagen. Ich denke aber, dass es sich wohl um eine Medaille oder einen Pokal handeln wird.
Zum Autor:
Till Zipprich ist Schüler der Carl-Strehl-Schule und besucht die 7. Klasse.
Bildunterschrift: Till Zipprich gewann beim EBU-Schreibwettbewerb mit seinem Beitrag einen Preis. Foto: blista
Bildbeschreibung: Vor einem Bücherregal sitzt ein kleiner Junge mit kurzen, braunen Haaren und einem blau-weiß-gestreiften Pullover.
Achim Merget-Gilles
Bundesfachkommission für die Überprüfung von Lehr- und Lernmitteln für den Unterricht blinder und sehbehinderter Schülerinnen und Schüler
Der Förderschwerpunkt Sehen ist der kleinste Förderschwerpunkt unter den sonderpädagogischen Fachbereichen. Er umfasst etwa 1,5 bis 2 Prozent aller rund 50.0000 Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in Deutschland – unabhängig vom Förderort. Für diese kleine Schülergruppe hält jedes Bundesland mindestens eine spezifische sonderpädagogische Einrichtung vor.
Bei einem derart spezialisierten Bildungsangebot ist ein kontinuierlicher Austausch zwischen den Bundesländern wichtig, um aktuelle Bildungsentwicklungen zu berücksichtigen, die Durchlässigkeit und Vergleichbarkeit der Bildungsangebote zu gewährleisten und die hohen fachlichen, aber quantitativ beschränkten Ressourcen durch Austausch über die Grenzen der Bundesländer hinweg effektiv zu nutzen.
Die Bundesfachkommission für die Überprüfung von Lehr- und Lernmitteln für den Unterricht blinder und sehbehinderter Schülerinnen und Schüler (BFK) wurde in Folge der Gutachten des Deutschen Bildungsrates in den 1970er Jahren eingerichtet. Nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention wurde 2013 ihr Arbeitsauftrag von den Fachreferaten für Sonderpädagogik der Bildungs- bzw. Kultusministerien der Länder aktualisiert.
Die BFK begleitet fachlich die sonderpädagogische Qualitätsentwicklung im Förderschwerpunkt Sehen, z. B. durch Begutachtung und Bewertung von Lehr- und Lernmitteln für den Unterricht. In diesem Zusammenhang schlägt sie fachliche Qualitätsstandards zur Gestaltung dieser Lehr- und Lernmittel vor, z. B. den E-Buch-Standard, macht Vorschläge für deren barrierefreie Gestaltung, z. B. durch Sichtung von elektronischen Lernumgebungen und Medien, und organisiert die Erstellung notwendiger Unterrichtswerke oder regt diese an, z. B. von Themenheften für einzelne Unterrichtsfächer.
Die BFK sichert so nicht nur die fachliche Kooperation zwischen den Bundesländern im Förderschwerpunkt Sehen, sondern fungiert gleichzeitig als beratendes und unterstützendes Gremium für die Zusammenarbeit der Bundesländer mit dem Verband Bildungsmedien e. V. im Hinblick auf den Zugang von Schülerinnen und Schülern zu Schulbüchern und anderen Medien. Darüber hinaus wirkt sie als Bindeglied zu den Punktschrift und weitere spezifische Medien herstellenden Bibliotheken und Einrichtungen.
Um die fachliche Qualität der Bildungsangebote im Förderschwerpunkt Sehen zukünftig auch in inklusiven Schulsystemen zu gewährleisten, ist ein nach Anzahl und Ausbildungsgrad ausreichender Nachwuchs von Blinden- und Sehbehindertenpädagogen/innen notwendig. Die BFK versteht sich in diesem Kontext als Beraterin der Fachministerien.
Der BFK arbeitet der Arbeitskreis der Medienzentren zu, in dem die Medienzentren der Bundesländer für den Förderschwerpunkt Sehen sowie weitere Begünstigte des Vertrages zwischen dem Bundesland Hessen und dem Verband Bildungsmedien kooperieren. Die Mitglieder des Arbeitskreises Medienzentren kooperieren bei Übertragungen, z. B. Lernstandserhebungen, pflegen die Zusammenarbeit der Medienzentren, z. B. Braille-Archiv und Fortbildungen, stimmen Standards für Text- und Bildübertragungen ab und arbeiten im Rahmen ihres Qualitätsmanagements bei der Erhebung von Kennzahlen zusammen.
Die unter vielfältigen Blickwinkeln gewonnenen Erkenntnisse/Ergebnisse der BFK werden mit den zuständigen Ministeriumsvertretern kommuniziert. Dazu zählen die folgenden fachlichen Vorschläge (s. a. Fachzeitschrift des VBS, blind-sehbehindert, Heft 4/2015):
- Bereiche der Beratung und Fortbildung von Lehrkräften an allgemeinen Schulen in der inklusiven Beschulung sehbehinderter oder blinder Schülerinnen und Schüler
- Kurs- und Gruppenangebote im Rahmen der inklusiven Beschulung
- Orientierung und Mobilität, Lebenspraktische Fertigkeiten
- Tasten im Unterricht will gelernt sein. Kompetenzerwerb für den Umgang mit tastbaren Abbildungen im inklusiven Unterricht
- E-Buch-Standard 2016 für die Übertragung von Schulbüchern sowie von Zentralen Prüfungen und anderen schriftlichen Leistungsfeststellungen im Rahmen des Nachteilsausgleichs
- CVI - Cerebral Visual Impairment - zerebrale Sehschädigung (in Bearbeitung)
- Aufgaben von Lehrkräften mit sonderpädagogischer Qualifikation im Förderschwerpunkt Sehen bei der Bildung und Erziehung blinder und sehbehinderter Schülerinnen und Schüler im inklusiven Unterricht (in Bearbeitung)
Die BFK tagt jährlich an wechselnden Tagungsorten. Jedes Bundesland entsendet in der Regel einen von den Fachressorts der Bildungs- bzw. Kultusministerien des jeweiligen Landes bestellten Vertreter in die BFK. Der Vorsitz der BFK liegt beim Referatsleiter für Sonderpädagogik im Hessischen Kultusministerium, Herrn Daniel Bognar, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Zwischen den jährlichen Tagungen kommen die Ländervertreter/innen zu einer AG-Sitzung zusammen.
Zum Autor
Achim Merget-Gilles ist Schulleiter der Johann-Peter-Schäfer-Schule in Friedberg.
Bildunterschrift: Achim Merget-Gilles Foto: privat
Bildbeschreibung: Auf dem Portraitfoto schaut ein älterer Herr mit grauen Haaren, Brille, dunklem Anzug, Hemd und Krawatte freundlich in die Kamera.
Andrea Katemann
Tasten im Unterricht will gelernt sein
Kompetenzerwerb für den Umgang mit tastbaren Abbildungen im inklusiven Unterricht
Vorbemerkungen
In modernen Schulbüchern ist in der Regel ein erheblicher Anteil der Informationen grafisch codiert - etwa in Fotos, Bildern, Karten, Cartoons, Zeichnungen und Diagrammen etc.
Die Erfassung von Informationen erstreckt sich keineswegs nur auf Schulbücher, sondern betrifft viele Lebensbereiche, sei es Begriffsbildung, Orientierung oder auch die Bewältigung täglicher Herausforderungen wie Essen etc.
Landläufig herrscht die Meinung, dass Blinde per se alles mit den Fingern erfühlen können, aber der Tastsinn unterscheidet sich grundsätzlich vom Sehsinn.
Unterschiede
Der Tastsinn ist wie der Sehsinn angeboren, unterscheidet sich aber grundlegend von diesem in vielerlei Hinsicht:
- Sehen erfolgt simultan und unwillkürlich, es werden ständig Bilder der Umwelt in ganzen Bildern aufgenommen und verarbeitet. Tasten erfolgt sukzessive und erfordert eine bewusste Hinwendung der Aufmerksamkeit - und sehr viel mehr Zeit.
- Beim Sehen erfassen mehrere Millionen von Sehzellen pro Quadratzentimeter die Eindrücke, beim Tasten sind es rund zehn Tastzellen auf der gleichen Fläche.
- Beim Sehen werden zweidimensionale Projektionen der Umwelt auf die Netzhaut verarbeitet, Tasten ist ein per se auf räumliche Wahrnehmung zielender Sinn. Sehende sind es also von Anfang an gewöhnt, Seitenansichten, Draufsichten oder Querschnitte zu erkennen, ein Taster kennt diese Kategorien erst einmal nicht.
- Der Sehsinn ist ein Fernsinn, er dient also u. a. zur Erfassung von Objekten, die sich nicht in unmittelbarer Reichweite des Wahrnehmenden befinden. Dieser ist es gewöhnt, Objekte in verschiedenen Größen als identisch wahrzunehmen und die Größendifferenz als unterschiedliche Abstände zu interpretieren. Für einen tastenden Menschen ist nur die unmittelbare Umgebung in ihrer Form erfahrbar. Größenunterschiede kennzeichnen erst einmal unterschiedliche Objekte (Tasse - Blumentopf - Eimer).
- Die für Sehende verwendeten Zeichnungen, Grafiken, Bilder, Landkarten, Querschnittsdarstellungen oder Symbole basieren allesamt auf Projektionen auf die Netzhaut, deren Verarbeitung Sehende gewöhnt sind. Ein Sehender wird aus verschiedenen Blickwinkeln zweidimensional dargestellte Objekte ohne weiteres erkennen, während sie für einen Taster bei üblicher zweidimensionaler Reliefdarstellung gänzlich verschiedene, auswendig zu lernende Symbole darstellen.
Möglichkeiten und Ziele
Aus den oben dargelegten Gründen ist das Erlernen der Interpretation von Reliefdarstellungen für blinde Schüler ein sehr umfangreicher Lernprozess, der ihrer Erfahrungswelt nicht entspricht. Dazu kommt nicht selten eine Tasthemmung, die abgebaut und durch positive Erfahrungen ersetzt werden muss. Der Lernprozess wird zudem erschwert durch den sukzessiven Charakter des Tastens, der eine Zusammensetzung des Gesamtbildes im Kopf voraussetzt. Nur so kann die Lagebeziehung zwischen den einzelnen Teilen des Bildes, die ja in der Regel die entscheidende Information enthält, erfasst werden. Das ist die Voraussetzung dafür, dass auch blinde Schüler Schulabschlüsse erreichen, die in Zeiten von Kompetenzorientierung und materialgestützten Prüfungsaufgaben die Interpretation von Bildern jeglicher Art erfordern. Auch bei der selbstständigen Lebensführung, in Beruf und Studium kommt ein blinder Mensch nicht ohne stabile grafische Grundbegriffe aus, die ihm die verbale Kommunikation mit Sehenden ermöglichen - sei es bei der Orientierung (Wegbeschreibungen, "Parallelstraße", "Kreisverkehr") oder bei der ad hoc-Beschreibung von Umgebung oder relevanten Bildern und Grafiken.
Voraussetzungen
Um den Tastsinn erfolgreich und gezielt nutzen zu können, müssen eine Reihe von Gegebenheiten zusammenwirken.
Der Schüler braucht zuallererst eine positive Einstellung gegenüber dem Tasten, dazu ein gut entwickeltes Körperschema und eine möglichst umfassende Orientierungsfähigkeit im Raum bzw. in der Fläche. Diese entsteht in der Regel nur durch Bewegung und eine Vielzahl von handlungsbasierten Erfahrungen, auch in der kinästhetischen Wahrnehmung.
Deshalb müssen alle Beteiligten am Lernprozess altersangepasste Anreize schaffen (z.B. Erkunden, Kneten, Fädeln, Modellieren, Strukturen erfühlen, im Matsch spielen, Geocaching etc.) und das blinde Kind mit viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Systematik zum Tasten anleiten. Sind es anfangs die Eltern, die eigene Ängste dabei überwinden müssen, so braucht das Kind auch bald professionelle Unterstützung, die darin geschult ist, Ekelgefühle zu vermeiden, gezieltes Erkunden anzuleiten und die Aufmerksamkeit des Kindes unter Einbeziehung aller Sinne auf Lagebeziehungen zu lenken.
Die Gegenstände und Abbildungen, mit deren Hilfe das gezielte Tasten erlernt und geübt werden soll, müssen sorgfältig ausgewählt bzw. auf die individuelle Situation des Kindes hin adaptiert werden. Das erfordert ein gutes Einfühlungsvermögen in die Situation des Kindes (Vermeidung negativer Erfahrungen) und fundierte Kenntnis über den Tastsinn und die Verarbeitung von Tastreizen im Gehirn. Die Darstellungen müssen zudem das geringe „Auflösungsvermögen“ des Tastorgans, die nicht-simultane Wahrnehmung und die Notwendigkeit klarer Strukturierung berücksichtigen. Dazu braucht es oft die Vereinfachung und Zerlegung von Abbildungen bzw. die Verwendung von Modellen. Die für Sehende so anschaulichen Querschnittsdarstellungen müssen in ihrer Symbolik wie eine Fremdsprache erlernt werden, ein Prozess, der Jahre dauert und mit der Abstraktionsfähigkeit des Kindes fortschreitet (vgl. auch Markus Lang et al., Band 1, zur Stufenabstraktion).
Tasten erfordert Zeit – und zwar ein Vielfaches von dem, was Sehen braucht. Deshalb ist die Erfassung einer Form, eines Gegenstands oder einer Grafik erheblich zeitaufwändiger und im üblichen schulischen Zeitrahmen nicht realisierbar. Dem kann nur durch eine Reduzierung der Menge an wahrzunehmenden Objekten, andererseits aber auch durch entsprechende Organisationsformen des Unterrichts und des gesamten Lernumfelds begegnet werden.
Lernprozesse
Die Fähigkeit zur Interpretation von per se für Sehende gestalteten Darstellungen in adaptierter Form basiert also auf Lernprozessen, die von verschiedenen Menschen an verschiedenen Lernorten begleitet werden.
- Die Eltern haben eine entscheidende Rolle bei der Ermutigung des kleinen Kindes zum Erkunden der Umwelt, bei der Einordnung von Erfahrungen, der Entwicklung des Körperschemas und bei der positiven Besetzung des Tastens. Sie müssen dabei unterstützt werden von einer spezifischen
- Frühförderung, die den Eltern Ängste nimmt, sie schult und das Kind gezielt anregen kann.
- Im Kindergarten können die ersten spezifischen "Symbole" erlernt werden: Modelle von dem Tastsinn nicht zugänglichen Objekten werden in verschiedenen Größen erkundet und analysiert, Gemeinsamkeiten erarbeitet und damit die Formkonstanz bei unterschiedlicher Größe erarbeitet. Auch die ersten Projektionen können hier gut erschlossen werden - Grundrisse von Häusern verwandeln sich mit Lego-Bausteinen in die Häuser selbst (Handlungsorientierung!)
- In der Schule muss dem Trend zur ausschließlichen "Linearisierung" der Wahrnehmung durch das Arbeiten am PC mit Braillezeile sowie dem Trend zur Dominanz der auditiven Erschließung von Informationen entgegengewirkt werden. Ein vielfältiger und dennoch auf das Wesentliche beschränkter Einsatz von Modellen und guten Darstellungen unter systematischer Anleitung hat sich hier als fruchtbar erwiesen. Darüber hinaus wird durch das Herstellen eigener Darstellungen (Baukasten, Modelle, geometrische Zeichnungen) und handlungsorientierte Begriffsbildung die Interpretationsfähigkeit geschult. Hier sind Sonderpädagogen gefordert, die einerseits selbst mit dem Schüler arbeiten, andererseits Lehrer und ggf. Teilhabeassistenten sensibilisieren und anleiten. In speziellen Kursen außerhalb des Unterrichts können wichtige Lernschritte, wie z.B. das eigenständige geometrische Zeichnen mit geeigneten Arbeitsgeräten, erlernt werden, die sich dann im Alltag vertiefen.
Fazit
Das Wissen über und die Fertigkeit zur Informationsaufnahme aus Grafiken, Abbildungen und Modellen ist in unserer Gesellschaft zweifelsohne ein Kulturgut, das unabdingbar ist für die Teilhabe an eben dieser Gesellschaft. Genau wie andere Kulturtechniken muss diese Informationsaufnahme erlernt werden, was aber für Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung besonderer Lernprozesse, Techniken und Materialien bedarf, die sich von denen Sehender deutlich unterscheiden. Es handelt sich also um Inhalte, die eindeutig dem spezifischen Curriculum zuzuordnen sind und auf einer Ebene mit dem Erlernen von sowohl Braille, Orientierung und Mobilität als auch Textverarbeitung stehen. Sie müssen einen festen Platz in der Bildung des Kindes mit Blindheit oder Sehbehinderung erhalten, wenn dieses nicht vom Erreichen von Schulabschlüssen, der Absolvierung von Ausbildungen und dem ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden soll.
Bildunterschrift: Der Tastsinn ist für alle Menschen wichtig – für blinde oder sehbehinderte Menschen allerdings von noch entscheidenderer Bedeutung. Foto: blista
Bildbeschreibung: Auf dem Bild sind drei Personen an einem Tisch zu erkennen, die mit ihren Händen verschiedene Gegenstände erstasten.
Andrea Katemann
Hörbuchausleihe per Download: Zufriedenheit bei den Nutzern
Im letzten Jahr haben einige der im Verein Medibus (Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Mediennutzer) zusammengeschlossenen Hörbüchereien für ihre blinden und sehbehinderten Nutzer die Ausleihe von Hörbüchern kostenlos per Download ermöglicht. Insgesamt lässt sich sagen, dass dieser Service von den Nutzern gut angenommen und sehr gelobt wird. Sie signalisieren, dass es eine "zeitgemäße Neuerung" sei, und dass der Bezug von Büchern per Download komfortabler und schneller sei als derjenige per CD. Durch die Möglichkeit, Bücher direkt mit seinem Smartphone zu laden, lässt sich Lektüre auch unterwegs, bei einigermaßen stabiler Internetverbindung, vergleichsweise komfortabel beschaffen. Das Ändern der Versandadresse entfällt natürlich.
Als die Deutsche Blinden-Bibliothek der blista in Marburg im Juli ihr Downloadangebot startete, gab es in der ersten Phase bei den Mitarbeitern durchaus eine gewisse Unsicherheit, ob das System überlastet sein könnte, wenn beispielsweise Abends viele Hörer Bücher herunterladen würden. Bisher hat das System keinen Ausfall gehabt. Zunächst vermuteten wir, dass unsere Kunden beispielsweise am Wochenende oder bei Regenwetter am meisten herunterladen würden. Unsere Prognosen haben sich jedoch alle als falsch erwiesen.
In der Beratung merken wir, dass auch ältere Menschen das Herunterladen von Hörbüchern probieren wollen, die ansonsten selten Informationen aus dem Internet per Download erhalten. Offensichtlich ist, dass sich insbesondere durch die Möglichkeit, DAISYbücher schnell zu beziehen und komfortabler mit dem Smartphone zu nutzen, einige Neukunden anmelden. Auch leihen Hörer wieder aktiv aus, die es lange nicht mehr getan haben. Für Schüler ist der Download vor allem dann attraktiv, wenn schnell eine Lektüre für den Unterricht benötigt wird, die es als Hörbuch gibt.
Nach wie vor gibt es viele Kunden, die ihre Bücher lieber per CD durch die Post beziehen möchten. Somit verlassen täglich viele CD-Boxen die Hörbüchereien. Dabei bietet die blista z. B. den Service an, dass Bücher für Nutzer nach Interessengebieten oder Autoren ausgesucht werden, wenn die Verwendung unserer Kataloge sich als schwierig erweist. Entsprechende Wünsche können telefonisch unter 06421/6060 mitgeteilt oder per Email an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! gesendet werden.
Jeder blinde oder sehbehinderte Mensch kann Mitglied einer Hörbücherei werden und von entsprechenden Downloadangeboten Gebrauch machen. Man muss lediglich den Behindertenausweis als Nachweis für die Blindheit oder Sehbehinderung vorlegen und entsprechende Anmeldeformulare ausfüllen. Urheberrechtlich sind wir verpflichtet, nachzuweisen, dass Bücher ausschließlich an blinde und sehbehinderte Personen verliehen werden.
Uwe Boysen
Vom Lesen für den Job
Das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, so der offizielle Titel für das, was man gemeinhin Jurastudium nennt, erfordert es, sich durch viel Lesestoff zu kämpfen. Auch deshalb sind viele sehende Menschen ziemlich erstaunt, dass juristische Berufe in Deutschland so häufig von blinden und sehbehinderten Menschen angestrebt und ausgeübt werden. Allerdings liest man im Regelfall sehr gezielt und nur wenig zusammenhängend. Ganze Gesetze von vorn bis hinten durchzulesen, macht nur wenig Sinn. Immerhin reicht die Nummerierung des BGB bis § 2385, und vielfach kommen noch Vorschriften mit Buchstaben von a) bis m) hinzu. Zudem gibt es eigentlich immer einen Fall, der zu lösen ist, und dafür genügt es häufig, Ausschnitte aus Gerichtsentscheidungen oder Aufsätzen bzw. Lehrbüchern zu Rate zu ziehen. Anders nur, wenn ein Referat oder eine größere wissenschaftliche Arbeit verfasst werden soll. Dann gilt es, auch Zusammenhänge genauer unter das juristische Brennglas zu legen.
Bis in die 1980er Jahre hinein mussten sich sehbehinderte und blinde Juristen die meisten dieser Fundstellen vorlesen lassen. Zwar gab es in unseren Hörbüchereien einzelne Standardlehrbücher oder auch von Freiwilligen auf Tonband bzw. später auf Kassette gelesene Skripte. Dort die richtige Stelle zu finden, war aber mangels ausgefeilter Technik, die ein gezieltes Suchen und Anspringen von bestimmten Passagen ermöglicht hätte, praktisch illusorisch. So blieb es beim lebendigen Vorlesen, das dann aber natürlich zu organisieren war. Die gute Vorleserin bzw. der gute Vorleser fallen nicht vom Himmel. Sie mussten erst gefunden werden. Und nicht jeder eignet sich – sei er noch so bemüht – dazu! Gerade das Lesen in sog. juristischen Kommentaren, das sind Bücher, die bei einem Gesetz Paragraf für Paragraf erläutern, stellt besondere Anforderungen. So ist einer der Standardkommentare für das BGB mit gängigen oder weniger gängigen Abkürzungen gespickt, die nicht immer leicht zu dechiffrieren sind. Darüber hinaus mussten die entscheidenden Stellen dann entweder memoriert werden, was häufig auch ein gutes Gedächtnis überfordert, oder noch einmal abgeschrieben werden, um sie für den weiteren Gebrauch verfügbar zu halten.
Schon Mitte der 1970er Jahre bahnte sich hier eine für uns vielversprechende Wende an, die dann ca. zehn Jahre später zu einer signifikanten Erleichterung unseres Arbeitsalltags führte. Gemeint ist der Aufbau juristischer Datenbanken, von denen wir hofften, sie auch mit für uns zugänglicher Hilfstechnologie nutzen zu können. Vorreiter war hier das „Juristische Informationssystem“ Juris. Schon bei einer Juristentagung des DVBS im Jahre 1978 wurde hierzu referiert, und 1982 konnten beim Bundessozialgericht erste Erfolge angeschaut werden. Auch die juristischen Verlage, allen voran der Beck Verlag, begannen zu dieser Zeit mit dem Aufbau juristischer Datenbanken, die sie regelmäßig auf CD-ROM vertrieben. Neben einer Gesetzesdatenbank gab es bald eine Volltextausgabe der Neuen Juristischen Wochenschrift, NJW, dem wohl auflagenstärksten Erzeugnis im juristischen Markt. Daneben wurden einige Produkte noch auf Disketten herausgebracht, vielfach von juristischen „Heimwerkern“ selbst gestrickt. Vom Internet war da noch keine Rede. Allenfalls sollte es möglich sein, die Juris-Datenbank über das sog. BTX-System zu erreichen. Etwas, was ich allerdings niemals versucht habe.
Die Situation änderte sich dann im Verlauf der 1990er und der 2000er Jahre grundlegend. Nicht nur wurde die Datenbank Juris, die sich anfangs in erster Linie mit Sozialrecht befasst hatte, massiv um Entscheidungen aus allen Rechtsgebieten ausgebaut, sondern es kam die große Datenbank des Beck Verlages, Beck online, hinzu. In ihr findet man nicht nur Gerichtsentscheidungen, sondern auch fast alle Zeitschriften, die der Münchener Verlagsriese herausgibt, im Volltext. Gerade dadurch kann es jetzt gelingen, auch vertiefende Kenntnisse zu einem bestimmten Rechtsgebiet, sei es etwa das Urheber- oder das Familienrecht, zu erlangen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Weiterhin kann man sich auf diese Weise auch Lerninhalte aus den Ausbildungszeitschriften zugänglich machen. Ebenso haben nunmehr auch die obersten Bundesgerichte umfangreiche Datenbanken freigeschaltet, die bisher - im Gegensatz zu den Verlagsprodukten - kostenlos sind. Darüber hinaus sind Bundesgesetze weitestgehend über eine Plattform des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz abrufbar. Schließlich enthält das Netz weitere professionelle juristische Datenbanken, die teilweise auch frei verfügbar sind oder von weiteren professionellen Anbietern gegen Gebühren zugänglich gemacht werden.
Natürlich stellt sich bei all diesen Produkten immer die Frage nach der Barrierefreiheit für unsere Spezialsoftware. Sie kann - wen wird es wundern - nicht einheitlich beantwortet werden. Doch für mich stellen sich die Dinge so dar, dass wir weitgehend mit den Programmoberflächen arbeiten können, wenn wir unsere eigenen Zusatzprogramme gut beherrschen und manchmal einen Griff in die Computertrickkiste tun. Naturgemäß hat sich die Fachgruppe Jura im DVBS dieser Fragen frühzeitig angenommen und verfolgt die Entwicklung auch nach wie vor wachsam weiter. Hier kann auch ein Blick in die vorhandene Mailingliste der Gruppe helfen.
Was hatte sich nun für mich durch diese digitale Revolution im Berufsalltag geändert? Hier ragen zwei Punkte heraus: die Arbeitszufriedenheit und die Qualität der Arbeitsergebnisse. Eine Arbeitssituation ist sehr viel befriedigender, wenn man sie flexibel gestalten kann. Das Angewiesensein auf eine Assistenzkraft hat – wie gut sie auch sein mag – immer seine Tücken. Sie ist nicht wie eine Datenbank auch um 20.00 Uhr noch verfügbar, und man kann sie auch während der Normalarbeitszeit möglicherweise nicht in gleichem Umfang belasten, wie man es nach den eigenen Bedürfnissen gern tun würde. Mit der Möglichkeit, sich eigenständiger über Neuerungen in Rechtsprechung und Literatur zu informieren und diese zu rezipieren, ggf. sie auch für eine spätere Verwendung zu kopieren und abzuspeichern, hat sich für mich die Qualität meiner Arbeitsergebnisse deutlich erhöht. Eigenständiges Lesen erfolgt im eigenen Rhythmus. Man kann sich Passagen so oft man will wiederholen lassen, was bei „lebenden“ Vorlesern irgendwann an seine Grenzen stößt. Auch muss man für den Text seine eigene „Betonung“ finden, um dessen Sinn zu erschließen. Überdies sinkt die bei lebendigem Vorlesen fast zwangsläufig immer höhere Fehlerquote. Auf der anderen Seite bleibt unbestreitbar, dass die Navigation in den Datenbanken häufig sehenden Assistenzkräften oder Kollegen schneller gelingt. Ein Nachteil, den ich aber gern für eine größere Selbstständigkeit in Kauf genommen habe. Denn einen Text, der für eine juristische Entscheidung wichtig sein kann, auf Herz und Nieren zu prüfen, ist bei eigener, also unvermittelter, Rezeption einfach die beste Lösung!
Zum Autor
Uwe Boysen ist Vorsitzender Richter am Landgericht Bremen i.R. und war bis September 2016 erster Vorsitzender des DVBS.
Bildung und Wissenschaft
Prof. Frank Schönefeld
Mit Digitalisierung leben
Perspektiven und Auswirkungen in Wirtschaft und Arbeitswelt, staatlichem Handeln und gesellschaftlichem Leben
Ich stelle Ihnen eine Frage: Kennen Sie eine Kurve, die in den letzten 10.000 Jahren weitgehend flach verläuft und erst in den letzten 200 Jahren steil ansteigt?
Die letzten 10.000 Jahre – das ist die Zeit der Domestizierung der Haustiere. Die Menschheit fängt an, sesshaft zu werden. Verschiedene Weltreligionen bilden sich heraus, Kriege werden geführt. Dies alles sind weltgeschichtliche Ereignisse. Diese Kurve aber kümmert sich nicht darum und bleibt flach. Erst in den letzten 200 Jahren steigt die Kurve steil, man kann schon fast sagen exponentiell, an. Heute erreicht die Kurve einen Wert von 7 Milliarden. Gemeint ist die Anzahl der Menschen auf der Erde, die Kurve der Entwicklung der Weltbevölkerung.
Die Darstellung dieser Kurve habe ich in dem Buch „The Second Machine Age“ von E. Brynjolfsson gefunden. Der Titel suggeriert bereits: Wenn es ein zweites Maschinenzeitalter gibt, wird es auch ein erstes gegeben haben. Das erste Maschinenzeitalter wurde eingeläutet durch die Erfindung effizienter Dampfmaschinen. Aus Manufakturen mit Kleinserien wurden Fabriken mit Massenproduktionen. Ein Mensch bewegte sich nicht mehr nur allein in Pferdekutschen fort, sondern mit vielen anderen in Eisenbahnen. Die Innovation der Dampfkraft hat die exponentielle Entwicklung der letzten 200 Jahre ausgelöst. Diese erste maschinelle Revolution hat uns dorthin geführt, wo wir heute stehen. Im Buch schreibt Brynjolfsson, uns stünde jetzt ein zweites Maschinenzeitalter bevor. Wir wissen heute retrospektiv, welche Folgen das erste Maschinenzeitalter ausgelöst hat. Wir wissen nicht, welche Folgen das zweite Maschinenzeitalter auslösen wird.
Ich persönlich bin ein Anhänger der These: Zukunft passiert nicht, Zukunft kann gestaltet werden. Es geht darum, Möglichkeiten zu verstehen und sie zu gestalten.
Digitale Transformation in der Volkswirtschaft
Digitalisierung ist eine Übertragung von physischen Gütern in die virtuelle Sprache der Computer, das Übersetzen in Nullen und Einsen. Dies verändert die Natur des Gutes. Plötzlich ist das Gut unbegrenzt kopierbar, teilbar und skalierbar, zu ganz geringen Grenzkosten.
In der Volkswirtschaft ist die Digitalisierung aber nur ein Pfeiler eines Dreigestirns des Wirtschaftswachstums. Denn Digitalisierung macht nur Sinn, wenn die Güter auch beliebig schnell an beliebige Orte des Konsums gebracht werden können. Und wenn der Konsument über leistungsfähige Geräte verfügt, um die digitalen Güter zu verwenden, zu genießen oder zu gestalten. Neben der Digitalisierung sind also auch der Ausbau von Netzwerken und die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Hardware von Nöten, um die digitale Transformation voranzutreiben.
Lassen Sie uns einige Beispiele der Volkswirtschaft heranziehen, um den technologischen Fortschritt zu veranschaulichen (siehe Abbildung 1). Ein Beispiel aus der Logistik: Drohnen als Postboten sind keine Zukunftsmusik mehr. Beliefen sich die Kosten für eine Drohne im Jahr 2007 noch auf 100.000 $, können wir sie heute für 750 $ bestellen. Oder ein Beispiel aus der Produktion: Ein 3D-Drucker, der in der Lage ist, Gegenstände aus verschiedensten Materialien herzustellen, kostete 2007 noch 40.000 $. Heute können wir einen solchen Drucker für nur 100 $ erwerben. Blicken wir in das Fachgebiet der Biologie: die erste DNA-Sequenzanalyse, also die Analyse des menschlichen Genoms, hat 2,7 Milliarden Dollar verschlungen. Heute ist eine solche Analyse für 1000 $ möglich. Versuchen wir nun weitere 20 Jahre vorauszudenken und uns die Auswirkungen dieser Entwicklungen vorzustellen. Dies ist fast unmöglich.
Das Voranschreiten der Digitalisierung in der Volkswirtschaft lässt sich auch in den Unternehmensbewertungen ablesen. Schauen wir uns dazu große Unternehmen der USA und Deutschlands im Vergleich an (siehe Abbildung 2). Auf der Seite der USA stehen Apple, Google, Microsoft, Amazon und Facebook. Diese im Schnitt nur 27 Jahre alten Unternehmen schlagen mit Börsenwerten von 634, 457, 387, 370 und 347 Milliarden US-Dollar zu Buche. Im Vergleich dazu stehen die durchschnittlich 121 Jahre alten, traditionellen deutschen Unternehmen wie Volkswagen, Daimler, BMW, Siemens und Thyssen-Krupp. Sie bringen es auf Börsenwerte von 175, 154, 129, 99 und 65 Milliarden US-Dollar.
Wie viel Zeit ist nun aber tatsächlich nötig, um neue Unternehmenswerte in der digitalen Industrie zu schaffen? Dazu ist eine Betrachtung der sogenannten Einhörner sinnvoll. Ein Einhorn ist ein Startup-Unternehmen, welches es schafft, eine Bewertung von einer Milliarde Dollar zu erzielen. Google brauchte 8,1 Jahre, Facebook war mit 6,2 Jahren schneller. Heute beträgt die Durchschnittszeit nur 4,4 Jahre.
Stellen Sie sich nun vor, Ihre Nation würde 20 solcher Unternehmen aus dem Boden stampfen. Ihre Volkswirtschaft hätte ein neues Antlitz, eine neue Stellenbörse und eine völlig neue Perspektive. Erkannt hat dies auch der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Joe Kaeser: "Industrie 4.0 ist eine Revolution, die die 2020er-Jahre bestimmen wird. Sie wird ganze Geschäftsmodelle und die Industrie weltweit verändern."
Potentiale durch neue Geschäftsmodelle
Der Begriff Geschäftsmodell ist schon oft definiert worden. Letztlich geht es aber immer wieder um einen logischen Zusammenhang: Welche Werte sollen erschaffen werden? Für wen ist die Wertschöpfung von Nutzen und wie erreiche ich diese Zielgruppe? Wie muss das Produkt aussehen oder beschaffen sein, das den Wert zum Kunden transportiert? Und wie kann ich als Unternehmer aus dem Verkauf des Produktes Gewinn schlagen? Ein klassisches Geschäftsmodell wird also von vier Grundpfeilern gebildet: Wertschöpfung, Kundenansprache, Produkt und Erlösmodell.
Wie verändert die Digitalisierung die klassischen Geschäftsmodelle? Digitale Güter sind unbegrenzt kopierbar, teilbar und skalierbar. Aus einem Gut mit diesen Eigenschaften lässt sich in einem klassischen Geschäftsmodell kein oder nur sehr geringer Erlös erbringen. Wie lösen neue Geschäftsmodelle dieses Problem?
Aus der direkten Kundenansprache wird häufig eine indirekte. So erreicht bspw. ein Hotel heute seine Kunden nicht mehr über direkte Werbung, sondern über die Integration seines Angebotes in Hotelportale im Internet.
Auch ein Produkt kann heute völlig neu gestaltet werden. Ein Beispiel ist bekannt unter dem Namen „Product as a feature“. Am besten lässt sich dieses Prinzip am Musikmarkt veranschaulichen. Früher war ein Musikstück einzeln als Produkt definiert, als Schallplatte oder CD. Heute ist die digitale MP3 ein Musikstück unter Millionen anderen eines Services wie Amazon Musik oder iTunes. Es ist zum Feature eines Portalproduktes geworden.
Ebenso wie Kundenansprachen und Produkte ändern sich durch die Digitalisierung auch die Erlösmodelle. Aufgrund der unbegrenzten Skalierbarkeit von Netzangeboten ist bspw. die Flatrate möglich geworden. Kaum ein Anbieter hat heute noch ein zeitbasiertes Erlösmodell für Netznutzung im Portfolio. Viele digitale Services werden immer häufiger pauschal angeboten.
Hier sehen wir, die Kundenansprache, das Produkt, das Erlösmodell, all das verändert sich durch digitale Einflüsse. Die Geschäftsmodelle der Digitalisierungs-Ära führen dabei oft zur vollständigen Verdrängung bestehender Produkte oder Dienstleistungen. Ein Beispiel bietet uns das Unternehmen Airbnb. Dieser Online-Dienst bietet eine Plattform zur Buchung und Vermietung von Privatunterkünften an. Pro Nacht übernachten 425.000 Gäste in durch Airbnb vermittelten Zimmern. Dies sind 22% mehr als in Hotels der klassischen Hilton-Hotel-Gruppe.
Dies alles zeigt, dass ein klassisches Geschäftsmodell die Dynamik der Digitalisierung nicht mehr abbilden kann. Die neue Dimension von Geschäftsmodellen sind sogenannte Öko- oder Plattformsysteme. Produkte und Services werden dabei in ein größeres, komplexes Gesamtbild eingefügt. Der ökonomische Wert ist plötzlich nicht mehr das Produkt an sich im System, sondern der Austausch, der in diesem Ökosystem entsteht. Viele global aufgestellte Unternehmen haben diesen Trend bereits erkannt, einige auch schon umgesetzt. So arbeiten beispielsweise Apple, Google, Microsoft, Amazon, Facebook, Alibaba, Intel, SAP und IBM sehr erfolgreich mit plattformbasierten Geschäftsmodellen.
„Digitale Helfer“ zur Unterstützung des Menschen
Nachdem wir uns angeschaut haben, wie die Digitalisierung Volkswirtschaft und Geschäftsmodelle verändert, wollen wir uns nun letztlich mit digitalen Technologien beschäftigen. Ganz besonderes Augenmerk möchte ich dabei auf die Innovationen richten, wo die Neukombination digitaler Technologien zu Produkten führt, die Menschen mit Behinderungen unterstützt. Hier gibt es spannende Entwicklungen, die durchaus das Potential haben, eine größere Teilhabe zu ermöglichen.
Beginnen möchte ich diesen Abschnitt mit einem Zitat von Microsoft-Chef Satya Natella: “Human language is the new user interface layer.”
Seine Aussage, dass die menschliche Sprache eingesetzt werden soll, um digitale Oberflächen zu steuern, lässt auf eine völlig neue Form der Wertschöpfung deuten. Die Sprache ist eines der nativsten Kommunikationsmittel des Menschen. Stellen Sie sich vor, was sich aus einer Kombination aus Plattform und Sprachsteuerung erreichen lässt. Der Markt liefert uns bereits die ersten Ansätze dieser Entwicklung. Das Produkt „Echo“ von Amazon oder auch „Google Home“. Diese sprachgesteuerten Assistenten lernen immer weiter dazu, können Fragen beantworten, Aufgaben für den Nutzer erledigen oder andere Geräte steuern. Auch sogenannte Bots erobern gerade den digitalen Markt. Oftmals sprachgesteuert, bündeln sie die Informationen unterschiedlicher Apps und kombinieren diese zu einer neuen intelligenten Dienstleistung. Die Vorteile solcher sprachgesteuerten Informationsbeschaffungs- und Steuermöglichkeiten liegen für alle Verbraucher auf der Hand. Besonders aber blinde und motorisch eingeschränkte Nutzer dürften hier in besonderem Maße profitieren.
Auch im Bereich der personenbezogenen assistiven Technologien ist die Digitalisierung auf dem Vormarsch. Ein Beispiel sind Exoskelette. In Verbindung mit der Bionik sind Prothesen von Ihren Trägern mit Gedanken steuerbar. Ermöglicht wird dies durch eine Verbindung der Prothese mit dem zentralen Nervensystem über Glasfaser. Ein weiteres Beispiel ist das Produkt „OrCam“ einer israelischen Technologiefirma (ein Beitrag dazu findet sich im Schwerpunkt dieser horus-Ausgabe). Es handelt sich hier um ein kompaktes Kamerasystem, welches die Umgebung erfasst und versteht. Dabei wurden ein Bildsensormodul, ein Steuercomputer und ein Knochenschalllautsprecher kombiniert und in ein Produkt verpackt, das wie eine handelsübliche Brille aussieht. Das System erkennt das fokussierte Objekt, verarbeitet es in Textinformation und gibt diesen Text über den Knochenschalllautsprecher an seinen Träger weiter. Ein System, das die Wahrnehmung sehbeeinträchtigter Nutzer enorm unterstützen kann.
Fazit
Lassen Sie mich eine Bestandsaufnahme aufzeigen, inwieweit die digitale Disruption und digitale Transformation unser aller Leben bereits beeinflusst.
Digitale Disruption betrifft das Individuum, Unternehmen und die ganze Gesellschaft in ihren Grundwerten (Freiheit, Chancengleichheit), Grundbedürfnissen (Sicherheit) und ökonomischen Treibern (Geschäftsmodellen). Ein Zeitalter der Hyper-Innovation ist angebrochen.
Digitale Disruption kann zu einem veränderten Verhältnis von Mensch und Technik führen und in Summe die Gesellschaft massiv verändern. Risiken (Arbeitsplätze, Sicherheit) stehen Chancen in gleicher Größenordnung gegenüber. Weiterentwicklungen in den (User-) Interfaces ermöglichen die barrierefreie Nutzung vieler moderner Technologien.
Digitale Disruption und Digitale Transformation (Anpassung) kann und muss gestaltet werden – auf der Ebene des Individuums, des Unternehmens und der gesamten Gesellschaft. Dafür sind geeignete Bildungsformate, Austauschformate und Dialogstrukturen zu entwerfen und dauerhaft zu verankern.
Mit Digitalisierung leben, heißt, mit rasanten Veränderungen leben, die alle Lebensbereiche des Menschen betreffen. Sie bietet Risiken und Chancen und sie wartet darauf, gestaltet zu werden.
Zum Autor:
Prof. Frank Schönefeld ist tätig in der Geschäftsleitung von T-Systems MMS.
Bildunterschrift 1: Der rapide Kostenverfall von Schlüsseltechnologien (Quelle: World Economic Forum White Paper / Digital Transformation of Industries: In collaboration with Accenture Digital Enterprise January 2016)
Bildbeschreibung 1: Beschrieben werden etwa die Kosten von Drohnen, dem 3D-Druck, Industrierobotern oder Smartphones, bei denen z.B. im Jahr 2007 die Stückkosten noch bei 499 US Dollar lagen, die im Jahr 2015 aber – bei ähnlichen Spezifikationen – nur noch 10 US Dollar ausmachen.
Bildunterschrift 2: Vergleich von Unternehmensbewertungen der USA und Deutschland. Quelle: https://de.finance.yahoo.com/
Bildbeschreibung 2: Auf der Abbildung werden deutsche und amerikanische Unternehmensbewertungen gegenüberstellt. So wird etwa Volkswagen mit 175 Mrd. US Dollar, Daimler mit 154 Mrd. US Dollar und Siemens mit 99 Mrd. US Dollar bewertet. Demgegenüber stehen Apple mit 634 Mrd. US Dollar, Google mit 457 Mrd. US Dollar und Facebook mit 347 Mrd. US Dollar. Auch sind deutsche Unternehmen im Durchschnitt 121 Jahre alt, amerikanische aber nur 27 Jahre.
Amélie Schneider
Mitwirkung mit Wirkung!
Der blista-Internatsrat gewinnt den Hessischen Partizipationspreis 2016
Am Nikolaustag 2016 machen sich vier Jugendliche aus dem Internat der blista auf den Weg nach Wiesbaden. Luca Wendt, Steven Wächter, Sebastian Hitz und Daniel Spengler hatten eine Einladung in den Landtag erhalten. Dort dürfen sie den Hessischen Partizipationspreis 2016 entgegennehmen. Der Preis würdigt das gesellschaftliche Engagement von Kindern und Jugendlichen bei der Mitgestaltung und Weiterentwicklung der Demokratie und Lebenswelt. Marion Lehmke (pädagogische Mitarbeiterin des Internats) und ich begleiteten die Gruppe auf dem spannenden Ausflug.
Die vier jungen Menschen sind 17 bis 18 Jahre alt und engagieren sich als gewählte Vertreter im „Internatsrat“ für die Interessen und Wünsche der Kinder und Jugendlichen in den blista-Wohngruppen. Im Internat der blista wohnen ca. 230 blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler zwischen 10-21 Jahren in 45 Wohngruppen, die dezentral in ganz Marburg verteilt sind: von der Gisselberger Straße über die Poitiersstraße bis zum Weinberg. Der Internatsrat besteht seit 2013 und vertritt die Interessen der jungen Leute: „Wir möchten unser Umfeld aktiv mitgestalten! Alle sollen sich in ihrer Wohngruppe entspannen können, Privatsphäre und Raum zur Entfaltung haben. Das geht nicht, ohne Themen des Zusammenlebens und der Betreuung zu behandeln.“
Während der Zugfahrt nach Wiesbaden steigt unsere Spannung: Welcher Platz wird es sein? Wer ist dieser Jo Dreiseitel, der uns den Preis überreicht? Ersteres wird sich erst während der Preisverleihung auflösen. Doch die zweite Frage klärt sich dank modernster Technik schnell. Die Jugendlichen zücken ihre Smartphones und googeln den Lebenslauf des Staatssekretärs und Bevollmächtigten für Integration und Antidiskriminierung. Die weitere Fahrt vergeht mit Spekulationen und Träumen über die Verwendung des zu erwartenden Preisgeldes wie im Flug.
Im Hessischen Landtag angekommen, erhalten wir und alle weiteren Preisträger eine Führung durch das beeindruckende Gebäude. Dann geht es zur Sache: Die Laudatoren beginnen mit der Würdigung der Preisträger: Der dritte Platz geht an das Kinderparlament nach Lauterbach, der zweite Platz an eine Jugendinitiative in Rasdorf, die sich für einen Mountainbike-Parcours eingesetzt hat. Als danach der Vorsitzende des Marburger Kinder- und Jugendparlaments Manuel Greim zum Mikrofon greift, ist es endlich klar: Der Internatsrat der blista erhält den ersten Preis - damit haben wir nicht gerechnet…
Die Jugendlichen haben nun 10.000 Euro zur Verfügung, um ihre Arbeit als Interessenvertretung weiter zu verbessern. Die Freude ist riesengroß und stolz bedanken sie sich bei Staatssekretär Dreiseitel, der Ihnen die Urkunde überreicht: „Mit der UN-Behindertenrechtskonvention im Rücken wollen wir noch besser lernen, wie wir unser Wohn- und Lebensumfeld mitgestalten können. Dass wir mit dem Partizipationspreis ausgezeichnet werden, ist ein Zeichen für unsere Mitbewohner, dass wir aktiv sind. Wir wollen weiter mitmischen und noch viel bewegen!“
Nach der Preisverleihung gibt es bei Fingerfood und Getränken die Möglichkeit, mit den anderen Jugendlichen in Kontakt zu kommen, was die vier Blistaner auch direkt tun. Luca, Steven, Sebastian und Daniel finden es inspirierend, sich mit den anderen Preisträgern auszutauschen. Sie haben auch sofort die Gelegenheit genutzt und das Marburger Kinder- und Jugendparlament für ein Vorstellungstreffen in die blista eingeladen.
Der Internatsrat an der blista ist ein junges Gremium: “Wir sind dabei, uns zu entwickeln und haben gute Aussichten, eine starke Interessenvertretung zu werden. Dazu soll unsere Arbeit noch stärker in den Strukturen des Internates verankert werden.“ Die Jugendlichen treffen sich einmal im Monat zur Sitzung. Dort besprechen sie, ob Wünsche von Bewohnern vorliegen oder Probleme wahrgenommen wurden. Sie erarbeiten auch Positionen, die für andere Gremien wichtig sind und nehmen regelmäßig an der Projekt- und Bereichskoordination des Internates teil. Zwischen den Sitzungen suchen sie Kontakt zu den einzelnen Wohngruppen, um über die Stimmung informiert zu sein. Organisatorische und andere Fragen können die Jugendlichen mit ihren Vertrauenspersonen aus dem pädagogischen Team des Internats besprechen.
In den letzten Jahren hat sich der Internatsrat erfolgreich für verschiedene Anliegen aus der Bewohnerschaft engagiert: Es gab z. B. Unmut darüber, dass die abendlichen Ausgehzeiten von dem jeweiligen Betreuerteam der Wohngruppe festgelegt wurden. Je nachdem, wo man wohnte, durfte man länger unterwegs sein oder eben nicht. Der Internatsrat hat mit der Leitung verhandelt und ein einheitliches Zeitkonzept für verschiedene Altersgruppen entwickelt. Nun gibt es für alle Wohngruppen gleiche Regelungen und die Jugendlichen fühlen sich fair behandelt. Ein anderer Wunsch war die Erneuerung der Regelungen zur Internetnutzung. Die Vorschriften waren aus Sicht vieler junger Leute nicht mehr zeitgemäß. Das Internet sollte nur für schulische Zwecke genutzt werden, der Zugang war zeitlich begrenzt und man konnte pro Person nur ein Gerät für den Internetzugang anmelden. „Wir haben einen dreimonatigen Modellversuch über erweiterte Nutzungsrechte ausgehandelt und unsere Ideen in einigen Wohngruppen getestet. Die Bedenken, dass z. B. Online-Spielereien zunehmen, konnten widerlegt werden. Jetzt wird das Konzept für alle Wohngruppen eingeführt und wir können das Internet selbstverantwortlicher nutzen.“ Aktuell arbeitet der Internatsrat an einer neuen Satzung für das Gremium, die Mitwirkungsbereiche und Aufgaben der Bewohnervertretung beschreiben und festhalten soll.
Das gewonnene Preisgeld möchte der Internatsrat über mehrere Jahre nutzen, um die Arbeit langfristig zu stärken. Dazu entwickeln die Jugendlichen einen Budgetplan mit verschiedenen Posten. Sie wollen ab jetzt jedes Jahr eine Klausurtagung für den neuen Internatsrat nach den Wahlen im Herbst organisieren. So können sich die Mitglieder besser kennenlernen und eine gemeinsame Agenda erarbeiten. Sie planen auch, einen Profi für einen Workshop einzuladen, um zu lernen, wie sie mit den Bewohnern über wichtige Themen in Kontakt kommen können, wie man Verhandlungen führt und die Arbeit strukturiert. Weiterhin ist auch eine Reise nach Berlin geplant, um den Bundestag zu besichtigen.
Zitate: Luca Wendt, Steven Wächter, Sebastian Hitz, Daniel Spengler und Auszüge aus dem Bewerbungsschreiben zum Hessischen Partizipationspreis.
Zur Autorin
Amélie Schneider ist Diplom-Pädagogin, Blinden- und Sehbehindertenpädagogin (M.A.) und arbeitet seit 2010 auf der Stabsstelle zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention für die blista. In diesem Arbeitsbereich beschäftigt sie sich mit der Förderung der Partizipation, mit inklusiven Projekten und der Entwicklung von Fortbildungsangeboten.
Bildunterschrift 1: Staatssekretär Jo Dreiseitel (ganz links) hält die Ansprache zur Urkundenverleihung für den Internatsrat. v.l.n.r.: Steven Wächter, Luca Wendt, Sebastian Hitz und Daniel Spengler. Foto: blista
Bildbeschreibung 1: Ein älterer Mann in grauem Anzug, blauem Hemd und Krawatte steht an einem Redepult und liest aus einer Vorlage vor. Rechts neben ihm stehen vier Jugendliche, davon drei Jungen und ein Mädchen. Die Szene findet in einem hell erleuchteten Raum mit einem Gemälde an der Wand statt.
Bildunterschrift 2: Amélie Schneider Foto: privat
Bildbeschreibung 2: Das Bild zeigt eine jüngere, dunkelhaarige Frau mit Brille, die – bekleidet mit einem großen dunklen Schal – mit großen, braunen Augen freundlich in die Kamera blickt.
horus-Zeitreisen
Diese Ausgabe unserer Rubrik führt uns in die turbulenten Jahre nach 1968. Sie spiegeln sich auch im horus wider. Es gibt Satzungsdiskussionen, die Gründung von Fachgruppen wird vorgeschlagen, die Auszubildenden führen Studententage durch, altgediente Bezirksleiter wie Dr. Emil Freund werden abgewählt. Kurz: Der VbGD ist im Umbruch. Aus Platzgründen können wir allerdings nur eine richtungweisende Quelle abdrucken, nämlich: Hauck, Otto: Neue Schwerpunkte in der Arbeit des VbGD, in: Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, 4/1971, S. 370-377 (nur in Punktschrift).
Nachzutragen sind noch die Quellen aus den letzten Zeitreisen, die versehentlich nicht angegeben waren. Sie lauten: Pennäler "pauken" Politik - Marburger Oberschüler fahren im Sommer nach Rumänien, Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, H. 3/4 1967, S. 90-92 (nur in Punktschrift) / Kappallo, Armin: Zur Übernahme Blinder in den Richterberuf: eine Stellungnahme junger Marburger Juristen, Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen (1970), H. 6, S. 415-424 (PS) / Scholler, Heinrich: Zum Geleit! Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1/1969, S. 1-3 = horus - Marburger Beiträge zum Blind-Sehen, 1/1969, S. 1.
- Uwe Boysen -
Dr. Otto Hauck
Marburg: Neue Schwerpunkte in der Arbeit des VbGD
(…) Der VbGD hat sich, soweit ich es überblicken kann, in der Vergangenheit im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten stets nach besten Kräften bemüht, der DBStA durch Gewährung von Zuschüssen bei der Überwindung ihrer schwierigen finanziellen Probleme zu helfen. Dabei ist aber die andere Aufgabe, die Wahrung der beruflichen Interessen der blinden Geistesarbeiter, etwas in den Hintergrund getreten. (…)
Diese Arbeit kann und muss jedoch in Zukunft intensiviert werden, wenn wir den Anschluss nicht verlieren, sondern unsere Stellung ausbauen wollen. (…)
Es ist deshalb erforderlich, dass zu dieser Arbeit, die im Interesse aller blinden Geistesarbeiter unbedingt getan werden muss, mehr Mitglieder als bisher herangezogen werden. Als die geeignetste Form hierfür erscheint mir die Bildung von Fachgruppen innerhalb des VbGD; (…)
In den Fachgruppen sollten alle Mitglieder zusammengefasst werden, die einen bestimmten Beruf ausüben (bzw. ausgeübt haben) oder in der Ausbildung für diesen Beruf stehen. Die Fachgruppen könnten, soweit erforderlich, arbeitsfähige Ausschüsse für Spezialfragen bilden. Es sollten so viele Fachgruppen gebildet werden, wie notwendig erscheinen, um die besonderen Probleme der verschiedenen Berufe sinnvoll erörtern und Vorschläge für ihre Lösung ausarbeiten zu können. (…)
Die Hauptarbeit der Fachgruppen sollte m.E. auf 3 Gebieten geleistet werden:
- Berufsberatung. (…) Dies könnte in der Weise geschehen, dass in den Fachgruppen ein reger Austausch der Berufserfahrungen der einzelnen erfolgt und dass die Fachgruppe dann ein besonders geeignet erscheinendes Mitglied auswählt, das für diesen speziellen Beruf eine Berufsberatung durchführt, u. zw. nach Möglichkeit in Zusammenarbeit mit dem Berufsberater des Arbeitsamts und der Lehrerschaft der DBStA. Auch könnte u.U. Informationsmaterial für Schüler und Eltern erarbeitet werden.
- Unterstützung während der Berufsausbildung. Hierbei handelt es sich um eine der vordringlichsten Aufgaben des VbGD. Wer noch in der Ausbildung steht, kann die Anforderungen, die der Beruf an ihn stellen wird, und die Probleme dieses Berufs oft nur ungenügend übersehen, da ihm notwendigerweise die Voraussetzungen hierfür noch fehlen. Dem kann nicht, worauf Herr Boysen in Heft 3/71 der "Marburger Beiträge" S. 248 f. mit Recht hingewiesen hat, durch die Bildung einer Studentenfachschaft entgegengewirkt werden, sondern nur durch die Bildung von Fachgruppen, in denen die in Ausbildung Stehenden mit den bereits Berufstätigen zusammenarbeiten und dabei einerseits die Probleme des Berufs kennenlernen und andererseits die Berufstätigen mit den Problemen der Ausbildung vertraut machen können. Fachgruppen wären auch am ehesten in der Lage, geeignetes Lehrmaterial für die Übertragung in Blindenschrift oder auf Tonband vorzuschlagen und Einfluss auf die Gestaltung von Fachzeitschriften in Blindenschrift, die vornehmlich für die Ausbildung bestimmt sind, zu nehmen.
- Allgemeine und individuelle Berufsförderung. Die "Juristenkrise" hat in der jüngsten Vergangenheit gezeigt, wie wichtig und wie schwierig die Suche nach geeigneten Arbeitsplätzen und die Sicherung traditioneller geistiger Blindenberufe ist. Bei der Lösung dieser Probleme könnten die Fachgruppen den Vorstand beraten, und sie könnten ihm auch bei der dringend notwendigen Erschließung neuer geistiger Berufe für Blinde zur Seite stehen. Im Einzelnen denke ich dabei etwa an folgendes: Mitwirkung bei der Darstellung von Blindenberufen, Blindenschicksalen, Leistungen von Blinden in Beruf und Gesellschaft in Zeitungen, Zeitschriften, Funk und Fernsehen; Erstellung von Berufsbildern und Erfahrungsberichten, Zusammenstellung der Vorschriften und Verwaltungsakte über die Zuteilung von Hilfskräften und die Gewährung von Hilfsmitteln u.dgl.; Erarbeitung eines kurzen Leitfadens für Berufsanfänger, der insbesondere Hinweise für eine geeignete Arbeitstechnik enthalten sollte; Beratung bei der Führung von Musterprozessen (…); Unterstützung des Vorstands bei der Pflege und Intensivierung von Kontakten zu Behörden, Arbeitgebern, Gewerkschaften, Abgeordneten und anderen einflussreichen Persönlichkeiten und vieles andere mehr.
Als diese Gedanken anlässlich der Bezirksversammlung in Marburg Ende April 1971 diskutiert wurden, hat man uns entgegengehalten, dass sich nicht genügend Mitglieder finden würden, die zur Mitarbeit bereit wären. Ich kann nicht glauben, dass wir blinden Geistesarbeiter nicht bereit sein sollten, Opfer an Zeit, Kraft und Geld zu bringen, wenn es um unsere ureigensten Belange geht.
Ich bitte daher alle, die zur Mitarbeit bereit wären, mir dies mitzuteilen, damit wir möglichst bald dem Vorstand fundierte Vorschläge für die Bildung von Fachgruppen unterbreiten können. Ferner bitte ich um Angaben darüber, welchen Beruf Sie ausüben oder anstreben und wo Sie tätig sind oder in Ausbildung stehen. Vorschläge für die Intensivierung der Arbeit des VbGD auf beruflichem Gebiet sind besonders willkommen. (…)
Bildunterschrift: Praxisnahe Berufsberatung in einem Ausbildungsbetrieb. Foto: pixelio.de/Karl-Heinz Laube
Bildbeschreibung: Einige Jugendliche stehen vor einer großen Fertigungsmaschine und lauschen den Ausführungen eines Ausbilders.
Recht
Uwe Boysen
Die Nicht-Teilhabe-Gesellschaft
Nun feiern sie es, ihr Bundesteilhabegesetz. Die Große Koalition ist sehr zufrieden mit ihrem Werk. Wir sind es deutlich weniger. Zeit für eine kleine Bilanz.
Vielversprechender Anfang
Dabei hatte alles sehr verheißungsvoll angefangen. Der Koalitionsvertrag von 2013 hatte versprochen, die UN-Behindertenrechtskonvention, die selbst weitgehend nur Programmsätze enthält, in konkrete Ansprüche umzusetzen. Die Organisationen behinderter Menschen wurden zu einem Dialog mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und weiteren Akteuren auf der großen Teilhabebühne eingeladen, nahmen diese Aufforderung ernst und brachten ihre Expertise in die Beratungen ein. Hoffnung keimte auf, ein „gutes Gesetz“ zu bekommen, d. h. ein Gesetz, das wirkliche Fortschritte bei der Teilhabe behinderter Menschen bringen würde. Ein bundesweit einheitliches Teilhabegeld sollte geprüft werden, Einkommens- und Vermögensgrenzen bei der Sozialhilfe für behinderte Menschen fallen, Assistenzleistungen besser verankert werden und vieles mehr. In unseren Organisationen bildeten sich zahlreiche Arbeitsgruppen. Der DVBS beteiligte sich an der „Kampagne für ein gutes Teilhabegesetz“ und brachte mit dem Gemeinsamen Arbeitskreis Rechtspolitik zusammen mit dem DBSV viel Know-how in die Diskussion ein.
Doch waren wir von Anfang an nicht so naiv zu glauben, dass sich diese Forderungen ohne Widerstände würden umsetzen lassen. Schließlich war immer neben dem Ziel besserer Teilhabe auch das Postulat, keine „Ausgabedynamik“ entstehen zu lassen, mit dem Gesetz verbunden worden. Dass dieses Ziel im Ergebnis aber derart wirkmächtig werden würde, wie es sich dann im ersten Gesetzentwurf des BMAS herausschälte, hatten wir so doch nicht erwartet. Neben einigen unbestreitbaren Verbesserungen mussten wir zahlreiche Verschlechterungen gegenüber der jetzigen Rechtslage feststellen. Und das ging uns nicht alleine so. Dieser Entwurf führte zu massiver Kritik der Verbände und einzelner Aktivisten.
Was haben wir erreicht?
Eine ganze Reihe gravierender Verschlechterungen konnten, teilweise in letzter Minute, verhindert oder abgeschwächt werden. Das gilt etwa für die höchst problematische Zugangsvoraussetzung der Beeinträchtigung in fünf Lebensbereichen, um Eingliederungshilfe zu bekommen. Sie hätte gerade für sehbehinderte Menschen zu ernsten und völlig ungerechtfertigten Nachteilen gegenüber der bisherigen Rechtslage geführt. Auch das Problem, ob Eingliederungshilfe noch für ein Zweitstudium nach einem Studienfachwechsel möglich ist, scheint entschärft worden zu sein. Ebenso wird es bei der Möglichkeit für volljährige Schülerinnen und Schüler bleiben, Unterstützungsleistungen beim Besuch einer weiterführenden Schule zu erhalten. Indes bleiben nur wenige wirkliche Verbesserungen, etwa durch das Bekenntnis zu einer trägerunabhängigen Beratung, das auch – allerdings zunächst nur zeitlich begrenzt - finanziell unterfüttert wird. Hier wird es gelten, die Qualität der Beratungstätigkeit des DVBS nunmehr auch in Euro und Cent umzusetzen.
Nicht gelungen ist es, ein bundeseinheitliches Teilhabegeld an die Stelle der vielen unterschiedlichen Blindengeldleistungen zu setzen. Auch der während des Beratungsprozesses erfolgte Schwenk, nunmehr wenigstens ein bundeseinheitliches Blindengeld zu fordern, war nicht von Erfolg gekrönt. Ihn zu unternehmen, war richtig. Seine Erfolgschancen leider von Anfang an äußerst gering. Nur als einen Skandal muss man allerdings bezeichnen, dass die Blindenhilfe nicht in die besseren Einkommens- und Vermögensgrenzen einbezogen wurde, die insgesamt für die Eingliederungshilfe gelten sollen. Da nützt die auch hier vorgesehene „kleine“ Anhebung der Vermögensfreigrenze auf 5.000 Euro für Alleinstehende im Verhältnis zu der erheblich großzügigeren Anhebung in der Eingliederungshilfe nur wenig, wenngleich im Einzelfall sicherlich auch das schon helfen wird. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass die Blindenhilfe nicht als Teilhabeleistung anerkannt wird, sondern nach der Konzeption des Gesetzes eher ein Almosen darstellt, dessen man sich möglicherweise bei nächster Gelegenheit entledigen möchte.
Wut statt Sorge
In einer Pressekonferenz vom 28. November 2016, in der vor der entscheidenden Sitzung des zuständigen Bundestagsausschusses die noch gemachten Änderungen vorgestellt wurden, erklärten die Abgeordneten immer wieder, behinderte Menschen hätten sich besorgt über den Entwurf gezeigt und das habe man ernst genommen. Das ist falsch: wir waren nicht besorgt, wir waren empört und das völlig zu Recht! Wer ursprünglich für Teilhabeleistungen vorgesehene Gelder lieber in die Infrastruktur oder in kleine Steuererleichterungen, also in Geschenke an Länder und Gemeinden und an das Wahlvolk steckt, der verdient auch in der politischen Auseinandersetzung keine besondere Rücksichtnahme von unserer Seite.
Noch ein Wort zur Resonanz der Medien auf den Gesetzentwurf. Die Mobilisierung unter den Menschen mit Behinderungen war enorm. Über 300.000 Personen unterzeichneten eine „Petition zum Recht auf Sparen“. Über 100.000 Unterschriften gab es für eine weitere Petition der Lebenshilfe. Es fanden durchaus beachtenswerte – und auch beachtete – Demonstrationen und Aktionen statt, etwa die von den Verbänden der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe initiierte Badeaktion in der Spree. Aber im Vergleich zur Größe der Bewegung waren die Reaktionen der Medien doch eher zurückhaltend. Ein Sexualverbrechen ist eben doch schlagzeilenträchtiger als das komplizierte Regelwerk eines Teilhabegesetzes, auch wenn es potenziell sieben Millionen Menschen betrifft.
Und nun?
Wir haben heftig gekämpft. Wir haben einiges abwehren können. Es gibt gewisse Verbesserungen. Aber die Auseinandersetzung um gute Teilhabe geht weiter. Jetzt wird es gelten, Interpretationsspielräume des neuen Gesetzes zu nutzen und sie nicht den sparwütigen Sozialhilfeträgern zu überlassen. Auch das wird viel Kraft kosten. Nach der Verabschiedung des BTHG ist vor dessen Umsetzung. Hier müssen wir nach wie vor wachsam sein und Gesetzgeber und Medien weiter unter Druck setzen, damit das durchwachsene Ergebnis des neuen Gesetzes in seiner Umsetzung nicht noch weiter verschlechtert wird.
Bildunterschrift: Juristische Berufe werden in Deutschland von zahlreichen blinden und sehbehinderten Menschen ausgeübt. Fotos: pixelio.de/I-vista
Bildbeschreibung: Eine Abbildung der Justitia mit Waage und Schwert steht vor einem unscharfen Hintergrund von Büchern.
Dr. Michael Richter
"10 Jahre Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - Wirkungen eines Antidiskriminierungsgesetzes für Menschen mit einer Behinderung" *
I. Vorbemerkung
Die folgende Betrachtung der bisherigen Auswirkungen des vor zehn Jahren in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) umfasst die wahrgenommene Öffentlichkeitswirkung des Gesetzes sowie meine Sicht als - mit Diskriminierungsfällen vor Gericht betrauter - Rechtsanwalt. Diese beiden Perspektiven sollen sowohl eine differenzierte Einschätzung zum Umsetzungsstand und zur Akzeptanz des Gesetzes in der Fachöffentlichkeit, d.h. bei Richtern, Anwälten, Verbänden und teilweise bei dem geschützten Personenkreis als auch in der allgemeinen Öffentlichkeit ermöglichen.
Es ist daran zu erinnern, dass bei Einführung des Gesetzes vor 10 Jahren insbesondere unter Juristen und Wirtschaftsverbänden die Skepsis gegenüber dem AGG riesengroß war, weil zum einen der "heilige" Juristengrundsatz der sehr weitgehenden Vertragsautonomie gefährdet schien und zum anderen Klagewellen befürchtet wurden, die nicht unerheblich den Wirtschaftsverkehr hätten behindern können. Diesen Befürchtungen standen ganz erhebliche Erwartungen und Hoffnungen der für die potentiellen "Diskriminierungsopfer" agierenden Verbände und Interessengruppen auf eine deutliche Stärkung der gesellschaftlichen Position der von ihnen vertretenen Menschen gegenüber.
Vorweggenommen kann man sicherlich sagen, dass die konkreten Auswirkungen des AGG auf die Juristerei wie auf den Wirtschaftsverkehr bei weitem nicht so massiv waren wie von vielen Juristen und Wirtschaftsverbänden befürchtet. Aber sind im „Umkehrschluss“ dann auch die o. g. Erwartungen und Hoffnungen von Verbänden und Interessengruppen eher enttäuscht worden? Diese These soll im folgenden Gegenstand einer differenzierten Betrachtung sein.
II. Wirkungen des AGG:
Eine einfache Internetrecherche zur Frage, welche Diskriminierungsfälle überhaupt in den letzten Jahren im Rahmen einer AGG-Klage dokumentiert wurden, z.B. auf der Homepage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, lässt erkennen, dass ganz allgemein, d.h. für alle sieben Diskriminierungsmerkmale (Rasse oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität), mit Abstand die häufigsten Fälle den Bereich des Arbeitsrechts betreffen und ansonsten nur wenige "Fallkonstellationen" bisher Gegenstand eines AGG-Verfahrens waren.
Nach Aussage der bisher eingerichteten Antidiskriminierungsstellen betreffen ca. 30 Prozent aller Anfragen vermeintliche Diskriminierungsvorgänge im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsmerkmal "Behinderung". Diese Einschätzung wird auch durch die Dokumentationen im Internet bestätigt, so dass davon auszugehen ist, dass in diesem Bereich deutlich am häufigsten Rechtsstreitigkeiten auf Basis des AGG entschieden werden. Gerade bei diesem Diskriminierungsmerkmal ist die totale Dominanz von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten aber noch evidenter.
1. Diskriminierungen im Bereich der beruflichen Teilhabe
Ganz überwiegend ging es bei den dokumentierten Verfahren um solche, die im Zusammenhang mit einem Bewerbungsverfahren für eine Stelle bei öffentlichen Arbeitgebern standen. Der Betroffene hat in diesen Fällen lediglich Indizien zu beweisen, die das Vorliegen einer Diskriminierung, z.B. wegen einer Behinderung, im Bewerbungsverfahren im Sinne von § 22 AGG glaubhaft machen. Häufigstes Indiz in diesen Fällen war eindeutig die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch. Dazu sind Arbeitgeber der öffentlichen Hand jedoch bei vorhandener Eignung gemäß § 82 SGB IX a. F. (demnächst § 165 SGB IX neu) verpflichtet. Während in der Regel bei Ansprüchen auf Entschädigungsleistungen die anspruchsbegründenden Tatsachen vom Kläger zu beweisen sind, gilt hier ein sehr niedriger „Darlegungsmaßstab“. Es reicht in diesen Fällen eine sog. Glaubhaftmachung durch vorgelegte Indizien. Gelingt das, hat der Arbeitgeber die volle Beweislast, um die Indizien bezüglich einer Diskriminierung zu entkräften. Die vorbenannte „Einladungspflicht“ besteht nur dann nicht, wenn der schwerbehinderte Bewerber offensichtlich für die ausgeschriebene Stelle ungeeignet ist. Ausschlaggebend für die Bewertung der „Geeignetheit“ ist wiederum ausschließlich der Ausschreibungstext und hier die „harten Voraussetzungen“, die unabdingbar vom Bewerber zu erfüllen sind (vgl. BVerwG Urt. v. 03.03.2011, Az.: 5 C 16/10; BAG Urt. v. 07.04.2011, Az.: 8 AZR 679/09 oder BAG Urt. v. 17.08.2010, Az.: 9 AZR 839/08).
2. "Diskriminierungen im Rahmen der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben"
Im Gegensatz zu Diskriminierungen aufgrund anderer Merkmale im Sinne des AGG (ethnische Herkunft, Glauben, Geschlecht oder sexueller Orientierung etc.) treffen Menschen mit Behinderungen bei Ihrer Freizeitgestaltung oder auch im Alltag oftmals nicht auf Benachteiligungen aus Motiven der inneren Ablehnung, sondern auf solche, die zwar ebenfalls aufgrund von Vorurteilen, aber eher einer eigentlich positiv gemeinten überbordenden Fürsorge entspringen. Das Resultat ist jedoch das Gleiche, denn Menschen mit Behinderungen werden daran gehindert, für andere Menschen selbstverständlich zugängliche Angebote in Anspruch zu nehmen. Sei es die verbotene Achterbahnfahrt für einen blinden Menschen, der mit seinen Kindern einen Freizeitpark besucht, sei es der verwehrte Zutritt zum Restaurant im Fernsehturm oder auch nur der Hinweis vor einer Busfahrt, einem Hallenbadbesuch oder der geplanten regelmäßigen Nutzung eines Fitnessstudios, dass aufgrund des im Schwerbehindertenausweis eingetragenen Rechtes auf die Inanspruchnahme einer Begleitperson (Merkzeichen "B") eine solche auch mitzubringen oder andernfalls eine Nutzung des jeweiligen Angebotes "leider" nicht möglich sei. Gemeinsam ist diesen Praxisbeispielen von Freizeit- oder Alltagsdiskriminierungen, dass vermeintliche Experten für bestimmte Lebensbereiche besondere Gefahren im Falle der Nutzung durch behinderte Menschen vermuten, die sie aus versicherungstechnischen oder fürsorglichen Gründen durch ein Benutzungsverbot für diesen Personenkreis vermeiden wollen. Rechtlich hat ein solches Verhalten einen Anknüpfungspunkt in § 20 Abs. 1 Nr. 1 AGG, wo es unter der Überschrift "Zulässige unterschiedliche Behandlung" heißt: "Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen einer Behinderung ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient, ..."
III. Erfahrungen bei der Durchsetzung und Thesen zur Wirksamkeit eines Diskriminierungsschutzes
Meine Erfahrungen als Anwalt bei der Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AGG sind, dass in der Mehrheit der Fälle gerade bei Richtern noch eine sehr kritische Distanz zur konsequenten Anwendung des Gesetzes vorhanden ist und dass ganz überwiegend bestehende Spielräume zu einer restriktiven Rechtsprechungspraxis genutzt werden. Als deutlichstes Beispiel kann ich hierfür eine Entscheidung des LG Saarbrücken benennen, nachdem dies als Berufungsinstanz - nach für den Kläger positivem erstinstanzlichen Urteil - durch eigene Nachforschungen (Sachverständigengutachten) ein erhöhtes Versicherungsrisiko beim Kläger festgestellt und diese Erkenntnis zur rückwirkenden Rechtfertigung der generellen Abschlussverweigerung der Beklagten herangezogen hat (Urt. V. 25.06.2013, Az.: 14 S 13/2012), obwohl eine transparente und diskriminierungsfreie Angebotserstellung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 3 AGG (heute: Abs. 2 Satz 2) zur Verpflichtung der Versicherung gehört. Gleiches gilt auch für den Bereich der "Freizeitdiskriminierungen", bei denen häufig ein Verhalten mit Gründen der "Gefahrenabwehr" nach § 20 Abs. 1 AGG gerechtfertigt wird, oder bei Feststellung einer Diskriminierung jedoch nur eine sehr niedrige Entschädigung im dreistelligen Eurobereich zugesprochen wird. Selbst im Bereich des Arbeitsrechts werden Spielräume eher zulasten von "Diskriminierungsopfern" genutzt und z.B. weitgehende "Heilungsmöglichkeiten" bei Verfahrensfehlern angenommen oder der strenge Maßstab bei der Bewerberauswahl für öffentliche Arbeitgeber nicht auf privatrechtlich organisierte Töchter der öffentlichen Hand angewendet.
Im Ergebnis kann ich nach zehn Jahren Erfahrungen mit dem AGG in der Praxis sicherlich die These wagen, dass eher die Erwartungen der Verbände und Interessengruppen von potentiellen Diskriminierungsopfern zu den Wirkungen eines AGG enttäuscht wurden, als die Befürchtungen von Wirtschaftsverbänden und Juristen eingetreten sind. Wie die umfangreiche Judikatur zum Thema Diskriminierungsrecht im Bewerbungsverfahren bei der öffentlichen Hand zeigt, gewährt das AGG anscheinend dort besonders effektiven Diskriminierungsschutz, wo es mit klaren und eindeutigen Handlungsrichtlinien, wie den §§ 81 f. SGB IX a. F. (demnächst § 164 f. SGB IX neu) interagiert. Umgekehrt scheint es besonders "wirkungslos", wo der Gesetzgeber bereits im Diskriminierungsrecht Rechtfertigungstatbestände selbst vorgesehen hat, z.B. wenn Handlungen zur "Gefahrenabwehr" (§ 20 Abs. 1 AGG) oder unterschiedliche Versicherungsbedingungen versicherungsmathematisch gerechtfertigt sein können (§ 20 Abs. 2 Satz 2 AGG). Weiterhin ist festzustellen, dass sogar die Angabe von maximalen Entschädigungssummen, wie bei Diskriminierungen im Bereich des Arbeitslebens mit dem dreifachen Bruttomonatsgehalt, zu einer angemesseneren Orientierung führt, als wenn diese in das freie Ermessen des Gerichtes gestellt wird und hier oft nur Entschädigungsbeträge ausgeurteilt werden, die das vom Opfer einzugehende Prozesskostenrisiko nicht rechtfertigen.
Insgesamt hat das AGG das Bewusstsein der Öffentlichkeit sicherlich dahingehend beeinflusst, dass heute eine größere Sensibilität der Gesellschaft zum Thema "Diskriminierung" besteht als vor 10 Jahren. Allerdings hat es bisher kaum dazu geführt, dass die gleiche Öffentlichkeit "Diskriminierung" als ein ernsthaft sanktionierbares Verhalten mit eventuell schwerwiegenden Folgen wahrgenommen hat. Mithin macht nach meiner Einschätzung eine sensible Überarbeitung des AGG mit Blick auf die gemachten Ausführungen Sinn und ist sogar notwendig, um in der Zukunft einen effektiven Diskriminierungsschutz in Deutschland zu gewährleisten.
* Überarbeitete Fassung eines Referats, gehalten bei der Veranstaltung der Diskriminierungsstelle des Bundes zu „10 Jahre AGG“ am 27. September 2016 in Berlin.
Zum Autor
Dr. Michael Richter ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Rechte behinderter Menschen gGmbH. Er war von 2004 bis 2008 Geschäftsführer des DVBS.
Bildunterschrift: Dr. Michael Richter Foto: DVBS
Bildbeschreibung: Auf dem Bild schaut ein Mann in den mittleren Jahren mit Oberlippenbart und Halbglatze - in Anwaltsrobe und mit einem Gesetzbuch unter dem Arm – freundlich in die Kamera.
Christiane Möller
Pflegereform am Start *
Ein Überblick über die wichtigsten Änderungen für Menschen mit Pflegebedarf
Seit 1. Januar 2017 gelten neue Regelungen für pflegebedürftige Menschen. Mit dem dritten Pflegestärkungsgesetz ist die Pflegereform abgeschlossen. Änderungen gibt es unter anderem bei der Definition von Pflegebedürftigkeit, bei den Leistungen für pflegebedürftige Menschen und bei der Anrechnung der Pflegeleistungen auf das Blindengeld.
Pflegegrade statt Pflegestufen
Anstelle der bisherigen drei Pflegestufen gibt es jetzt fünf Pflegegrade. Wer bis zum 31. Dezember 2016 eine Pflegestufe hatte, wird automatisch und ohne erneute Begutachtung in einen Pflegegrad eingruppiert. Dabei kommt in der Regel der einfache Stufensprung zum Tragen, das heißt, man wird in den nächsthöheren Pflegegrad eingestuft. Aus Pflegestufe 1 wird Pflegegrad 2 usw. Bei Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, etwa aufgrund einer demenziellen Erkrankung, erfolgt ein doppelter Stufensprung, zum Beispiel von Pflegestufe 1 auf Pflegegrad 3.
Selbstständigkeit wird Maß für Pflege
Zur Ermittlung des Pflegegrads ist nicht mehr der Hilfebedarf in Minuten relevant, sondern der Grad der Selbstständigkeit eines Menschen. Dabei werden sechs Bereiche beurteilt:
- Mobilität: Fähigkeit zur selbstständigen Änderung der Körperhaltung, Bewegen innerhalb der Wohnung, Treppensteigen etc. Nicht dazu gehören Orientierung und Fortbewegung außer Haus.
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, zum Beispiel aufgrund von Ängsten.
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: räumliche und zeitliche Orientierung, Entscheidungsfähigkeit, Mitteilung von Wünschen etc.
- Selbstversorgung: Selbstständigkeit beim Essen, Trinken, der Körperpflege etc. Nicht relevant ist die Selbstständigkeit beim Einkaufen oder Reinigen der Wohnung.
- Umgang mit Erkrankungen und Belastungen: Medikamenteneinnahme, Wundversorgung, Blutzuckermessen, Arztbesuche etc.
- Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte.
Um die Selbstständigkeit zu bewerten, werden Punkte vergeben. Die verschiedenen Bereiche sind unterschiedlich gewichtet, der größte Teil kommt weiterhin der Selbstversorgung zu. Von der erreichten Gesamtpunktzahl hängt ab, in welchen Pflegegrad der jeweilige Mensch eingruppiert wird.
Was ändert sich bei den Leistungen?
Es bleibt dabei, dass die Pflegeversicherung nur einen Teil des Bedarfs abdeckt. So spiegelt der erreichte Punktwert nicht den Pflegebedarf wider. Reichen die Leistungen der Pflegeversicherung nicht aus, muss der Versicherte in die eigene Tasche greifen oder - sofern er sozialhilfeberechtigt ist - die Hilfe zur Pflege nach SGB XII in Anspruch nehmen.
Neu ist, dass neben körperbezogenen Pflegemaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung gleichrangig auch pflegerische Betreuungsmaßnahmen erbracht werden können, zum Beispiel die Begleitung bei Spaziergängen oder die Unterstützung bei Hobbys. Alle Pflegebedürftigen haben Anspruch auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro. Dieser Betrag kann für qualitätsgesicherte Leistungen, bei Pflegegrad 1 auch für die Unterstützung bei der Haushaltsführung, eingesetzt werden. Pflegegeld und die meisten Pflegesachleistungen gibt es erst ab Pflegegrad 2. Neu ist auch ein einheitlicher pflegebedingter Eigenanteil in Pflegeheimen unabhängig vom Pflegegrad.
Pflegeleistungen und Blindengeld
Aufgrund der Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade hat die Pflegereform Auswirkungen auf die Landesblindengeldgesetze und die aufstockende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. Damit die Verbesserungen auch bei blinden Menschen ankommen, haben sich der DBSV und seine Landesvereine dafür eingesetzt, dass die Regelungen zur Anrechnung von Pflegeleistungen auf das Blindengeld angepasst werden. Der Entlastungsbetrag bei Pflegegrad 1 soll keine Kürzung des Blindengeldes nach sich ziehen. Im Übrigen wird der Anrechnungsbetrag weiterhin von Bundesland zu Bundesland variieren. Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht in allen Bundesländern abgeschlossen.
* Der Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "Die Gegenwart", Ausgabe 1-2/2017.
Zur Autorin
Christiane Möller ist Rechtsreferentin des DBSV.
Bücher
Fließ Cees Nooteboom: Der verliebte Gefangene
Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2006, Bestellnummer: 4487, 1 Band, K.98, 21,50 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)
Im Juni 1957 reiste der 24-jährige Cees Nooteboom als Matrose in die Tropen, nach Trinidad, Britisch-Guyana und Surinam. Seine Reiseeindrücke ließ er in die vorliegenden Geschichten einfließen. Sie wagen einen direkten und unverstellten Blick auf das mitunter grausame Antlitz des Lebens - und gewinnen ihm so Momente von verletzlicher Schönheit und zarter Poesie ab.
Siri Kusch: Glückliche Krümmung
Verlag Rote Zahlen, Buxtehude, 2015, Bestellnummer: 4839, 1 Halbband, KR, 14,50 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)
Ein scheinbares Nichts von Gedicht, das "Mausefallen-Sprüchlein" von Mörike nämlich, regte Adorno zu einer seiner raren normativen Bestimmung dessen an, was Kunstwerke sind oder sein sollten: "... von keinem ließe sich angeben, was es urteilt, keines ist eine sogenannte Aussage." Liest man die Gedichte von Siri Kusch, meint man, dieses Adorno-Wort sei für und über die Dichterin geschrieben.
Karlijn Stoffels: 1:0 für die Idioten
Beltz & Gelberg, Weinheim, 2009, Bestellnummer: 4620, 1 Band, KR, 21,50 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)
Nach einem Selbstmordversuch landet die 15-jährige Luisa in der geschlossenen Abteilung einer Jugendpsychiatrie. Hier lernt sie Schritt für Schritt, sich ihren Problemen zu stellen. Luisa erzählt, wie sich in der Therapie ihre Wahrnehmungen verändern, wie sie die Ereignisse der Vergangenheit und das Verhalten ihrer Mitmenschen (insbesondere ihrer Mutter und deren Freund) anders beurteilen kann.
Walter Jens: Ilias und Odyssee
Maier, Ravensburg, 1996, Bestellnummer: 4798, 1 Band, K.98, 21,50 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)
Viel muss nicht gesagt werden: Ilias - die Geschichte der Belagerung Trojas - und Odyssee - die gefahrvolle Rückkehr Odysseus' - spannend nacherzählt von Walter Jens. Ein Buch für die ganze Familie.
Bildunterschrift: In einem hölzernen Pferd drangen gemäß der Sage über den Untergang von Troja die Griechen in die Stadt ein. Foto: pixelio.de/M. Großmann
Bildbeschreibung: Zu sehen ist ein Nachbau des Pferdes von Troja aus Holz, der auf einer weitläufigen grünen Wiese steht.
Hörbücher zum Schwerpunkt „Literatur und Information“
Stefan Bollmann: Warum Lesen glücklich macht
Insel-Verlag, Berlin, 2013, Bestellnummer: 788621, Laufzeit: 3 Std. 28 Min.
"Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind." Darüber hinaus macht es uns klug und selbstbewusst, entführt uns in andere Welten und beflügelt unsere Fantasie. In dem unterhaltsamen und tiefsinnigen Band geht Stefan Bollmann dem Lesen, seiner Geschichte und seiner Bedeutung nach - und führt uns vor Augen, wie sehr das Lesen für unser Lebensglück entscheidend ist.
Harald Welzer: Die smarte Diktatur
- Fischer, Frankfurt/Main, 2016, Bestellnummer: 804011, Laufzeit: 8 Std. 41 Min.
Nach seinem Bestseller "Selbst denken" analysiert Harald Welzer in "Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit", wie die scheinbar unverbundenen Themen von Big Data über Digitalisierung, Personalisierung, Internet der Dinge und Drohnen bis Klimawandel zusammenhängen.
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Neue Hörbücher aus der DBH
Ab dieser horus-Ausgabe möchten wir Ihnen in jedem Heft neue, ausgewählte Hörbücher vorstellen, die in den Studios der „Deutschen Blinden-Hörbücherei“ als ungekürztes DAISY-Buch produziert wurden.
Anton Hofreiter: Fleischfabrik Deutschland - Wie die Massentierhaltung unsere Lebensgrundlagen zerstört und was wir dagegen tun können
Riemann, München, 2016, Bestellnummer: 807751, Laufzeit: 6 Std. 59 Min.
Die industrielle Massentierhaltung nimmt trotz des Biotrends immer gewaltigere Ausmaße an. Das schädigt massiv unsere Gesundheit, zerstört die Umwelt und quält Tiere. In diesem System nimmt Deutschland als einer der größten Fleischproduzenten Europas eine skandalöse Schlüsselposition ein und trägt eine besondere Verantwortung. Anton Hofreiter deckt die verheerende Funktionsweise der Fleischfabrik Deutschland auf und zeigt, welche realistischen Stellschrauben betätigt werden müssen, um Tierschutz und Wasserqualität zu verbessern, die Artenvielfalt zu erhalten und gutes Essen für alle produzieren zu können.
Hakan Nesser: Elf Tage in Berlin
BTB-Verlag, München, 2015, Bestellnummer: 799681, Laufzeit: 10 Std. 04 Min.
Der Vater von Arne Murberg offenbart ihm auf dem Sterbebett, dass seine Mutter nicht tot ist, sondern in Berlin lebt. Gleichzeitig erhält er von seinem Vater den Auftrag, sie aufzusuchen und ihr ein verschlossenes Kästchen zu übergeben. Für Arne beginnt ein wundersames Abenteuer. Hakan Nesser selbst hat diesen Roman als „Märchen für Erwachsene“ bezeichnet.
Dror Mishani: Die Möglichkeit eines Verbrechens - Avi Avraham ermittelt
Zsolnay, Wien, 2015, Bestellnummer: 799651, Laufzeit: 9 Std. 11 Min.
Vor einem Kindergarten im Tel Aviver Stadtteil Cholon wird ein Koffer mit einer Bombenattrappe gefunden. Obwohl Polizeiermittler Avi Avraham noch Urlaub hat, beschäftigt er sich mit dem Fall und gerät zunächst auf eine falsche Fährte, denn besonders verdächtig erscheint ihm Chaim Sara, der kurz zuvor einen heftigen Streit mit der allgemein unbeliebten Kindergartenleiterin hatte. Als diese einige Tage später zusammengeschlagen wird, können die wahren Täter schnell überführt werden. Aber Chaim Sara bleibt Avi Avraham, der noch unter einigen Ermittlungsfehlern leidet, die ihm bei seinem vorherigen Fall unterlaufen waren, verdächtig. Er findet heraus, dass Saras Ehefrau verschwunden ist und kommt einer Familientragödie auf die Spur.
Tanja Kinkel: Schlaf der Vernunft
Droemer, München, 2015, Bestellnummer: 799691, Laufzeit: 15 Std. 50 Min.
1998 wird nach 20-jähriger Haft die RAF-Terroristin Martina begnadigt. In Rückblicken wird erzählt, wie sie sich in den 1960er-Jahren radikalisierte. Im Zeitrahmen der 1990er-Jahre kommen auch die Betroffenen zu Wort: die Tochter, die Martina für ihren terroristischen Kampf verlassen hat, die Söhne der von ihr getöteten Männer und ein Leibwächter, der überlebte. Kinkel gelingt es, die Beziehungen auszuloten und damit einen emotionalen Zugang zu diesem dunklen Kapitel unserer jüngeren Geschichte zu schaffen.
Rainer Erlinger: Höflichkeit - Vom Wert einer wertlosen Tugend
S.Fischer, Frankfurt/Main, 2016, Bestellnummer: 807701, Laufzeit: 9 Std. 55 Min.
Ethik-Experte Rainer Erlinger, bekannt durch seine "Gewissensfrage"-Kolumne im "Süddeutsche Zeitung Magazin", will die Höflichkeit als Tugend bewahren. Wenn es auch derzeit oft den Anschein hat, dass der Rüpel salonfähig wird, zeichnet sich Höflichkeit nach Erlinger heute durch eine besondere Qualität aus: "Höflichkeit ist ein Verhalten, in dem sich die Achtung für den anderen ausdrückt."
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Bildunterschrift: Eine moderne Mastanlage in Deutschland Fotos: pixelio.de/Erich Westendarp
Bildbeschreibung: Das Bild zeigt ein großes, längliches Gebäude, das mit einer Abluftanlage ausgestattet ist und auf dem Dach eine große Photovoltaikanlage hat. Das Gebäude steht auf einem Hof hinter einer grünen Wiese.
Panorama
Dr. Heinz Willi Bach
Teilhabebericht im barrierefreien PDF-Format und als DAISY-Version
Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen 2016 barrierefrei und als navigierbare, vom DVBS aufgelesene DAISY-CD in Kürze erhältlich
Am 18. Januar wurde der neue Teilhabebericht im Bundeskabinett verabschiedet und dem Deutschen Bundestag zugeleitet. Damit kommt die Regierung ihrer gesetzlichen Pflicht nach, einmal in jeder Legislaturperiode ausführlich über die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen zu berichten.
Für horus-Leser interessant: es existiert bereits eine barrierefreie PDF-Version des Teilhabeberichtes 2016, die man auf der Homepage des Bundesarbeitsministeriums öffnen und herunterladen kann (Web-Adresse am Ende des Beitrags). In Kürze wird auch eine CD dort bestellbar sein, die je eine PDF- und eine Word-Version barrierefrei enthält sowie eine navigierbare Audioversion im DAISY-Format. (Drei von vier Menschen erblinden erst im höheren Lebensalter und sind aufs Hören angewiesen.) Diese CD wird derzeit vom DVBS erstellt. Wir werden in horus aktuell darüber berichten, sobald und wie sie zu haben sein wird.
Der Teilhabebericht 2016 umfasst mehr als 500 Seiten und ist lesenswert. Drei Jahre lang wurde an ihm gearbeitet vom Ministerium, dem ISG-Institut in Köln und einem wissenschaftlichen Beirat, dem drei von Behinderung betroffene WissenschaftlerInnen angehören. Dieser Beirat hat Kommentare zu den einzelnen Lebensbereichen und zwei Schwerpunktkapitel verfasst, die keinerlei Beeinflussung durch das Ministerium unterliegen.
Die Web-Adresse des zweiten Teilhabeberichtes finden Sie unter www.bmas.bund.de
Dr. Eberhard Hahn
Und dennoch ...!
Fachtag des Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienstes Württemberg e.V. (EBSW) am 07. April 2017 im Hospitalhof Stuttgart zeigt lebenspraktische Bewältigungsstrategien auf
Eine Minderung der Sehfähigkeit bedeutet für betroffene Menschen nicht nur, dass vieles optisch nur noch eingeschränkt und undeutlich wahrgenommen werden kann. Die Auswirkungen auf das Selbstbild sind gravierend. Neben der Akzeptanz des schwindenden Sehvermögens gehört das Überwinden der Angst vor dem Verlust der persönlichen Autonomie zu den schwierigsten Bewältigungsschritten.
Vorgesehen sind drei Referate:
- Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Kruse, Universität Heidelberg, „Seelische Auswirkungen von Sehbehinderung und Blindheit – Verlust der persönlichen Autonomie“,
- Pfarrer Jürgen Schwarz, Unterweissach und Stuttgart, „Siehst Du mich, Gott? – Theologische Aspekte und Möglichkeiten der Seelsorge“,
- Renate Heider-Braun, Studienrätin, „Blickpunkt Auge“
Tagungsgebühr: 10,00 Euro (inkl. Mittagessen)
Anmeldung bis 3. April 2017 beim EBSW, Tel.: 07191 – 6 00 00; Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Nähere Informationen unter: www.ebsw-online.de
Bildunterschrift: Der EBSW veranstaltet einen Fachtag zum Thema „Minderung der Sehfähigkeit“ in Stuttgart. Foto: pixelio.de/Petra Bork
Bildbeschreibung: Auf dem Bild sind die Buchstaben „S“, „E“, „H“, „E“ und „N“ zu sehen, wie sie beim Spiel „Scrabble“ benutzt werden. Im Hintergrund liegt – unscharf – eine Brille.
Luther für alle
Neue Lutherbibel auch in Punktschrift erhältlich
Am 31. Oktober 2016 wurde nicht nur das Festjahr zum Reformationsjubiläum feierlich eröffnet, sondern auch in vielen Gemeinden innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland die neue Lutherbibel in ihrer Revision 2017 eingeführt.
In den fast 500 Jahren seines Bestehens wurde Luthers Text schon häufiger durchgesehen und überarbeitet, doch bei dieser Revision ist eines ganz neu: Zum ersten Mal liegt eine Ausgabe der Bibel bereits beim Start inklusiv vor. „Luther für alle“, so lautete der Titel einer Veranstaltung bei der Vorstellung der neuen Bibel auf der Frankfurter Buchmesse.
Pfarrerin Barbara Brusius, theologische Referentin des Dachverbandes der evangelischen Blinden- und Sehbehindertenseelsorge (DeBeSS), erläutert dazu: „Luther für alle - meint, dass die neue Lutherbibel bereits bei ihrem Verkaufsstart und der Einführung in den Gemeinden in verschiedenen Formaten vorliegt, so dass auch Menschen, die die gedruckte Ausgabe nicht lesen können, die neue Bibel wahrnehmen können.“ Die Lutherbibel ist nicht nur als Printausgabe verfügbar, sondern auch als App, eBook, digitale Ausgabe und als Hörversion. Und mit dem Matthäusevangelium liegt auch der erste Band in fühlbarer Punktschrift für blinde Menschen zum Start der neuen Bibel vor. „Ein Buch, das zum Erscheinungsdatum gleich in so vielen verschiedenen Formaten angeboten wird, das ist eine Besonderheit“, betont Barbara Brusius, „allerdings sollte das aus meiner Sicht für eine Bibel eigentlich selbstverständlich sein. Gottes Wort muss für alle Menschen zugänglich sein.“
Und nun hoffen alle, die die Revision der Lutherbibel durchgeführt und die neuen Ausgaben erstellt haben, dass möglichst viele Menschen darin lesen werden.
Weitere Informationen und Beratung zur Punktschrift- und Hörausgabe für sehbehinderte Menschen bei DeBeSS unter E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Telefon: 0561 – 72987161.
Bildunterschrift: Im Jahr 2017 wird das 500-jährige Jubiläum der Reformation gefeiert, die hauptsächlich von Martin Luther angestoßen wurde. Foto: pixelio.de/Hansjörg Keller
Bildbeschreibung: Abgebildet ist eine Büste von Martin Luther in Wittenberg, der ein Buch in der Hand hält.
André Badouin/Savo Ivanic
„Informationen zur politischen Bildung" jetzt auch als DAISY-Ausgabe
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat die Ausgabe ihrer "Informationen zur politischen Bildung" zum Thema "Das deutsche Kaiserreich 1871 - 1918" aktuell als DAISY-Hörbuch veröffentlicht. Bei entsprechender Nachfrage will man das Angebot um weitere Ausgaben erweitern.
Die CD erhalten Sie allerdings nicht bei der bpb in Bonn, sondern über die Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen (Medibus) bzw. über die Deutsche Zentralbücherei für Blinde (DZB) in Leipzig. In der Medibus-Datenbank ist das Angebot seit Mitte Januar verfügbar. Über die bpb-Homepage www.bpb.de können Sie das Hörbuch im DAISY-Format herunterladen.
Bildunterschrift: Die „Informationen zur politischen Bildung“ gehören zum allgemeinen Standard für Politikinteressierte. Foto: Screenshot des DVBS
Bildbeschreibung: Zu sehen ist ein Screenshot der Homepage der bpb, die in den Tönen rot und weiß gehalten ist und sehr aufgeräumt wirkt.
Dr. Heinz Willi Bach
Erster Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Marburg im Parlament
Die soziale Infrastruktur in Marburg ist bemerkenswert. Seit nunmehr 20 Jahren sind der Behindertenbeirat und der Seniorenbeirat tätig. Etwa ebenso lange existiert ein Runder Tisch behindertengerechter Tiefbau, Hochbau und Verkehrswesen. 2013 wurde vom neu eingerichteten Bereich Sozialplanung ein kommunaler Sozialbericht herausgegeben. 2015 erschien der erste Teilhabebericht auf Initiative des Behindertenbeirates.
Der Aktionsplan 2017 wurde als erstes Handlungskonzept zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Marburg vom Magistrat beschlossen und befindet sich in der parlamentarischen Beratung. Das Konzept wurde im Auftrag des Magistrats und des Behindertenbeirates erstellt. Aufbauend auf dem Teilhabebericht 2015, einer Bestandsaufnahme, konzentriert sich der Aktionsplan auf Handlungsansätze zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Die Bandbreite der Zielformulierungen reicht von einem verbesserten Zugang zur musikalischen Früherziehung, einer Weiterentwicklung von inklusiven außerschulischen Angeboten zur Berufsorientierung, der barrierefreien Volkshochschule, einer Sensibilisierung von heimischen Wirtschaftsunternehmen, baulicher Barrierefreiheit von Universitätsgebäuden bis hin zum barrierefreien Wohnen, neuen inklusiven Freizeitangeboten und einem barrierefreien öffentlichen Personennahverkehr.
Die Sozialplanung der Stadt Marburg und eine Projektgruppe aus Mitgliedern des Behindertenbeirates, externen Fachleuten und Verantwortlichen der Stadtverwaltung haben den Aktionsplan gemeinsam erarbeitet. Als Gesamtkonzept umfasst der Plan 63 Handlungsansätze der städtischen Verwaltung und von zahlreichen regionalen Netzwerkakteuren. Mitgewirkt haben u.a. die Agentur für Arbeit, die blista, der DVBS, Frauennotruf e.V., die GeWoBau, der Integrationsfachdienst, die Musikschule, das KreisJobCenter Marburg-Biedenkopf, die Stadtwerke und die Philipps-Universität Marburg.
Der Marburger Aktionsplan stellt eine gemeinsame Strategie der Akteure vor Ort dar, um die UN-Behindertenrechtskonvention in der Stadt schrittweise weiter umzusetzen.
Die Universitätsstadt Marburg hat 2012 als eine von vier Städten in der Europäischen Union den Preis der EU-Kommission für beispielhafte Beteiligung Betroffener an der kommunalen Planung erhalten.
Studie: Behinderte Menschen oft von Fernsehprogramm ausgeschlossen
Laut einer aktuellen Studie fühlen sich Menschen mit Behinderungen noch immer von vielen Fernseh-Angeboten ausgeschlossen. 86 Prozent der Gehörlosen und rund die Hälfte der Blinden geben an, dass sie TV-Inhalten "gelegentlich" bis "sehr oft" nicht folgen können, wie aus der jüngst als Langfassung veröffentlichten Untersuchung der Medienanstalten und der Aktion Mensch zur Barrierefreiheit hervorgeht. 61 Prozent der Gehörlosen wünschen sich mehr Sendungen mit Untertiteln und Blinde mehr Audiodeskriptionen. 92 Prozent aller Deutschen mit Behinderung nutzen laut der Befragung vor allem das Fernsehen als Medium.
Die Studie belege bundesweit erstmals, wie intensiv Menschen mit Behinderungen Medien nutzen und welches Marktpotenzial barrierefreie Angebote haben. Das beliebteste TV-Format bei Nutzern mit Beeinträchtigung seien in jeder Altersgruppe Spielfilme. Auch Reportagen, Dokumentationen und Nachrichten gehören zu den Formaten mit den meisten Anhängern. Auf der Beliebtheitsskala der 14- bis 49-Jährigen folgen danach Serien und Unterhaltungs-, Game- und Quizshows. Die über 50-jährigen TV-Nutzer verfolgen auch Magazine, Unterhaltungs- und Polit-Talkshows sehr gern. Die jüngeren Zuschauer mit Beeinträchtigungen dagegen bevorzugen Formate aus dem Bereich Sitcom/Comedy, Reality-TV, Doku-Soaps oder Castingshows.
Die Langfassung der Untersuchung wurde nun online veröffentlicht, erste Ergebnisse waren bereits Ende Oktober auf den Münchener Medientagen diskutiert worden. Dabei sprach sich die Gehörlosensportlerin Heike Albrecht auf dem Podium dafür aus, gerade auch mehr unterhaltende und populäre Sendungen zu untertiteln. Die Aktion Mensch und die Medienanstalten erklärten, der Sender ProSieben Sat.1 habe die Anregung sofort aufgegriffen und angekündigt, die kommende Staffel der Show "Germany's Next Topmodel" erstmals vollständig ab Folge eins zu untertiteln.
Bildunterschrift: Medien sollten und müssen für jedermann zugänglich sein. Foto: pixelio.de/Andreas Morlok
Bildbeschreibung: Auf einer Fernsehzeitung liegt eine Fernbedienung für einen Fernseher.
DHV übernimmt den Versand der Hilfsmittel und die blista den Druck der Punktschriftbücher
Der Deutsche Hilfsmittelvertrieb (DHV) in Hannover und die Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista) in Marburg haben ihre Zusammenarbeit weiterentwickelt und die Zuständigkeiten im Sinne des Kunden eindeutiger definiert.
So übernimmt der DHV den gesamten Vertrieb inklusive Versand von Hilfsmitteln und kümmert sich um die Bearbeitung aller Vorgänge im Zusammenhang mit Kostenträgern. Dies betrifft vor allem die Verordnung von Langstöcken und anderen Hilfsmitteln, bei denen die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden.
Die blista konzentriert sich auf die Erstellung und den Verkauf barrierefreier Medien und übernimmt u.a. den Nachdruck aller Punktschriftbücher, die bisher im Bestand des DHVs waren. Im Bereich der Hilfsmittel legt die blista ihren Schwerpunkt auf die Beratung und den Verkauf vor Ort in ihrem blista-Shop.
Die neue Regelung gilt ab 1. Januar 2017.
Barrierefreiheit und Mobilität
Prof. Dr. Klaus Miesenberger
Barrierefreiheit auf Amerikanisch
Ein Reisebericht
Seit fast 30 Jahren beschäftige ich mich mit Web- und Software Accessibility. Eingebunden in eine Serviceeinrichtung für Studierende mit Behinderungen betreibe ich Forschung und Lehre in der Informatik und erlebe, wie Barrierefreiheit Menschen Perspektiven öffnet, Chancen ergreifen und Zukunft selbständig in die Hand nehmen lässt. Schon bevor die UN-Konvention in aller Munde war, vertrat ich Barrierefreiheit als Grund- und Menschenrecht in der Informationsgesellschaft und so präsentiere ich es meinen Studierenden.
Der Fortschritt kann sich sehen lassen: Heute weiß man um die Vorteile von Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung, ältere Menschen und für viele mehr. Gesellschaft und Sozialsystem profitieren von mehr Selbständigkeit und Unabhängigkeit. In einer alternden Gesellschaft öffnen barrierefreie Produkte neue Marktchancen und sind Voraussetzung, um hochqualifizierte Mitarbeitende trotz Beeinträchtigung (im Alter) im Betrieb halten zu können. Barrierefreiheit ist kein soziales Almosen, sondern Recht und ein ökonomisches Muss.
Dem folgend stehen politische Willensäußerungen an der Tagesordnung und gesetzliche Regelungen sind implementiert: Auf der internationalen Ebene (z.B. UN-Konvention, EU Web-Accessibility-Directive), bundesweit (z.B. Barrierefreie Informationstechnikverordnung, BITV) bis hin zu regionalen Regelungen.
Nur: Wo bleibt die Umsetzung? Es gibt positive Beispiele, aber in Anbetracht des Tempos der Digitalisierung und des Wandels hin zur Informationsgesellschaft wird die Kluft zwischen Chancen und Realität größer. Barrierefreiheit ist noch sehr hypothetisch. Es gibt noch keine Kultur und keinen Markt für Barrierefreiheit. Aber wir sind optimistisch in Anbetracht des Erreichten in den letzten 30 Jahren. Und man kann optimistisch sein, dass ein Paradigmenwechsel bevorsteht.
Mit diesem Verständnis breche ich auf in die schöne neue Welt. Meine Universität hat mir ein Sabbatical genehmigt. Ich habe Einladungen im Gepäck an Universitäten, wo barrierefreie Informationstechnologie ein zentrales Forschungsthema ist: Boston, Princeton, Colorado Springs, San Diego, Los Angeles, New York und noch einige andere. Man ist willkommen bei Freunden und Kollegen, mit denen man schon gemeinsam geforscht und Ziele verfolgt hat. Man erntet fast so was wie Bewunderung, sind wir doch noch immer die einzige Universität, wo Barrierefreiheit ein Pflichtfach für alle InformatikerInnen ist.
Einer Einladung schenkte ich zuerst weniger Bedeutung: zwei ehemalige Doktoranden laden mich ein, in ihrer „Accessibility Company“ mitzuarbeiten. Richtig: Barrierefreiheit ist in den USA am IT-Markt angekommen. Das wusste ich bereits aus Gesprächen, Veröffentlichungen und Medien. Doch die Dimension überrascht mich dann doch: Ich komme zum Jahrestreffen von über 250 Mitarbeitenden – richtig: 250! Und ich erfahre, dass es zumindest zwei weitere Firmen in dieser Dimension gibt. Alle sind auf der Suche nach Personal. Die Auftragsbücher sind voll, aber Accessibility-ExpertInnen schwer zu finden. Daher kommen die Mitarbeitenden aus aller Frauen und Herren Länder, vor allem auch Europa. Ich treffe ehemalige Studierende und ehemalige sehbehinderte und blinde Teilnehmende an ICCs (Computer Camps), das wir 2016 mit dem DVBS in Dresden organisiert haben. Sie arbeiten meist von zu Hause aus. Im Web-Zeitalter ist das selbstverständlich.
Aber wo kommt das Geld her? Wer zahlt für Barrierefreiheit? Sind es öffentliche Förderungen? Nein, kein Cent. Wenn Kooperation mit dem öffentlichen Sektor, dann sind es Verträge für Evaluierung, Design, Entwicklung oder Consulting. Der öffentliche Sektor macht weniger als 10 Prozent des Umsatzes aus. Der Rest kommt aus Aufträgen von Firmen und NGOs. „Accessibility is a growing business!“ Ich darf einen Blick in die KundInnenliste werfen: die Großen der IT-Industrie, Handel, Gewerbe, Transport etc. Keine Branche, die nicht vertreten wäre. Sie alle wollen und müssen barrierefrei werden.
Warum dieser Boom? Natürlich stehen Gesetze dahinter: Americans with Disabilities Act (ADA), Section 508 des Rehabilitation Act und viele regionale Gesetze. Solche Gesetze haben wir doch auch? Aber die Umsetzung funktioniert hier anders, wie ich bei meinem ersten Auftrag, bei dem ich mitarbeite, erleben darf. Es ist eine der größten Banken in den USA. Den Namen darf ich nicht nennen, was aber keine Rolle spielt, denn die Situation ist bei allen ähnlich. Die Bank ist im Januar 2016 zu einer Strafe von 16 Millionen Dollar verurteilt worden, weil die Webseite, das e-Banking und einige andere Applikationen nicht barrierefrei sind. Ich frage nochmals. Tatsächlich: 16 Millionen Dollar. Und eine Frist für die Reparatur mit 15.5.2016 wurde vorgegeben, ansonsten wird eine Strafe von 165.000$ fällig - pro Tag!
Auch wir haben Gesetze, aber Barrierefreiheit ist in den USA als Grundrecht verankert und wird auf Punkt und Komma eingehalten. Keine langwierigen Schlichtungen bzw. Verfahren für Betroffene. Die öffentlichen Autoritäten müssen von Amts wegen aktiv werden. Es gibt keine Diskussionen, ob eine Strafe wirtschaftlich angemessen ist und wie viele tatsächlich geschädigt sind. Das Gericht errechnet das Diskriminierungspotential auf Basis statistischer Daten und wirtschaftlicher Kennzahlen. Grundrecht ist und bleibt Grundrecht.
Ich bin willkommen in der Firma, denn man ist mit Aufträgen voll. Ein Team wird gebildet. Nicht nur „Subject Matter Experts“ für alle möglichen technischen Bereiche von Web-Systemen (Formulare, Login, dynamischer Content, Tabellen, Java, Ajax etc.), sondern auch „Account- und Business Development Manager“, die die Bank unterstützen in der Entwicklung von Managementstrukturen, „Customer-Relationship“, „Business Development“ und Marketing in Richtung neuer Zielgruppen. Es gibt sogar eine Weiterbildungsabteilung, für die ich Kurse entwickeln werde, und die von den Firmen eingekauft werden. Man erlebt gleich, es geht um weit mehr als kurzfristige Reparatur, sondern um die Entwicklung einer Accessibility-Kultur, um das Potential des Marktes (20 Prozent und mehr) zu nutzen. Das unterrichte und predige ich seit Jahren. Hier wird es gemacht!
Wir arbeiten intensiv und hart. Man nennt mich zwar Experte mit viel Erfahrung, aber in einem wirtschaftlichen Kontext mit Druck und der Anforderung, zu einem Zeitpunkt zu liefern, das ist neu für einen kleinen österreichischen Beamten. Wir kommen gut voran. Ich beschäftige mich vor allem mit neuen dynamischen Elementen, die mittels ARIA (Accessible Rich Internet Applications) barrierefrei gemacht werden: Kalender und Datumsauswahl, Bilder- und Werbe-Karussell, Captchas, Aktienkursanzeigen, etc. Wir schaffen es bis Mitte April, dass alle Anforderungen erfüllt werden. Die Bank ist zufrieden. Mehr noch: sie sehen Barrierefreiheit nicht mehr als unnötige Last, sondern als ein Muss, um KundInnen, vor allem ältere Menschen, erreichen zu können. Sie etablieren einen internen Fond über 16M$ für die Umsetzung der Barrierefreiheitskultur: Weiterbildung, "Corporate Social Responsibility" (CSR; Gesellschaftliche Mitverantwortung), Marketing, Compliance Management. Wir erhalten einen 5-Jahres-Consulting Vertrag.
Was für ein Erlebnis: Mit Accessibility kann man Geld verdienen. Für jene, die darin investieren, lohnt es sich! Und vor allem: Es ist nicht die „Gesetzeskeule“, die wirkt. Sobald Barrierefreiheit startet, erfahren alle die Vorteile und sie wird Teil der Kultur.
Dazwischen habe ich meine Universitätsbesuche nicht vernachlässigt und bin auch ständig in Kontakt mit meinem Institut und den Studierenden in Linz. Wir bereiten unsere Konferenz (www.icchp.org) und das ICC (www.icc-camp.info) mit dem DVBS vor. Man ist immer im Geschäft hier, auch das muss man einmal erlebt haben. Man erlebt, warum vieles schneller geht. Ich bin dabei bei der Gründung der Initiative „TeachAccess“ (www.teachaccess.com). Große Firmen fordern, dass Accessibility Teil der Curricula wird und mittelfristig Teil des Akkreditierungsprozesses für öffentlich finanzierte Universitäten. Die Firmen brauchen ExpertInnen, um den gesetzlichen Anforderungen entsprechen zu können. Man kann auch hier davon ausgehen, dass dies prompt umgesetzt wird. So sind wir bald nicht mehr die einzige Universität mit Barrierefreiheit als Pflichtfach. Schade, aber gut so. Und die erste bleiben wir ja allemal.
Der nächste Auftrag steht an. Siehe da, eine europäische Airline fragt an wegen eines neuen Gesetzes: Air Carrier Accessibility Act (ACAA). Kurz gesagt, müssen alle Airlines 2017 barrierefrei sein (Online-Buchung, Sitzplatzreservierung, Stornierung, Ticket-Automaten etc.), weil ansonsten die Landegenehmigung entzogen wird. Klingt krass, aber darüber wird nicht diskutiert. Es ist ein Grundrecht. Ich muss vor Ende des Projekts aussteigen, weil mein Sabbatical zu Ende geht. So bleibt die Hoffnung, dass die europäischen Airlines dies auch in Europa nachfragen und „Business“ entsteht.
Schmeichelnde und verführerische Angebote gäbe es, um hier zu bleiben, sowohl an Unis als auch in der Wirtschaft. Ich bewundere die Umsetzung von Barrierefreiheit. Aber man sieht auch den enormen Druck, die vielen, die es nicht mehr schaffen und in kein soziales Netz fallen können. Halte ich das aus? Und vielen nutzt Barrierefreiheit nicht, weil sie gar kein Konto und kein Reisebudget haben, geschweige denn die Geräte und die Ausbildung, um all das zu nutzen.
Was ich mitnehme: Wir brauchen mehr Druck. Es wird länger dauern, aber auch bei uns wird Barrierefreiheit kommen. Die neue Web-Accessibility-Directive der EU ist noch nicht der ADA oder Section 508, aber auch hier ist das Ziel klar. Was wir aber nicht verlieren dürfen, ist soziale Wärme, Solidarität und Bildung, damit dann auch alle die barrierefreien Systeme nutzen können. Es sind eben nicht nur technische, sondern auch soziale und ökonomische Barrieren, die Behinderung ausmachen. Es hat eben alles mehrere Seiten und viele Überraschungen, wie ich im Präsidentschaftswahlkampf hautnah miterleben darf. Und auch der neue wird Accessibility, so wie hoffentlich vieles, nicht wieder ganz rückgängig machen können.
Zum Autor
Prof. Dr. Klaus Miesenberger ist stellvertretender Vorstand des Instituts Integriert Studieren an der Johannes Kepler Universität in Linz. Das Institut unterstützt Studierende mit Behinderungen in der Inklusion an der Universität. Als Teil des Fachbereiches Informatik lehrt und forscht das Institut und Prof. Miesenberger in den Bereichen barrierefreie Web- und Softwareentwicklung, Mensch-Maschine Kommunikation und Assistierende Technologien. Weiterhin ist er Initiator und Vorsitzender des ICC (International Camp on Communication and Computers), das seit 1993 Jugendliche mit Behinderungen in jährlichen Camps auf neue Technologien und das Studium vorbereitet.
Bildunterschrift: Andere Länder sind mit dem Thema „Barrierefreiheit“ teilweise schon weiter als Deutschland. Foto: pixelio.de/Cristine Lietz
Bildbeschreibung: Zu sehen sind Buchstaben, die das Wort „b@rrierefrei“ – normal lesbar und spiegelverkehrt – bilden.
Berichte und Schilderungen
Maleike Schubert
Sicherheit gewinnen
Ein Erfahrungsbericht über die Teilnahme am I&I-Projekt der blista
Ich habe die Projektlinie Inklusion & Innovation (I&I) der blista durch eine Informationsveranstaltung an der Philipps-Universität im Oktober 2015 kennen gelernt. Ich bin sehr froh, dass es dieses Projekt gibt, da in den vielen Beratungsangeboten und Seminaren, welche die Karriere-Center der Universität für ihre Studenten anbietet, nie auf meine blindenspezifischen Fragen eingegangen wurde.
Kurz danach nahm ich an dem Projekt teil und erhielt umfangreichen fachmännischen Rat. Ich beanspruchte nicht alle Angebote des Projektes, aber die Angebote, die ich wahrnahm, waren kompetent organisiert. Es war eine Erleichterung, nicht nur zu wissen, dass meine Bewerbungsunterlagen professionell und aussagekräftig wirkten, sondern auch Rat zu behinderungsspezifischen Fragen zu erhalten. Besonders hilfreich fand ich das videogestützte Bewerbertraining. Durch das Üben konnte ich Sicherheit und Erfahrungen für reale Vorstellungsgespräche gewinnen. Es war auch sehr gut, mal die Arbeitgeberrolle in Interviews zu übernehmen. Insbesondere da ich mich nicht mal zehn Monate später wirklich in dieser Rolle befand. Zu dieser Zeit musste ich – frisch eingestellt – selbst Kandidaten für meine Arbeitsassistenz interviewen.
Im März 2016 fand ich eine Arbeitsstelle beim Amt für Menschen mit Behinderung in Bremerhaven als Koordinatorin des Modellvorhabens „InSpo – Inklusion in Sport“. Als ich Anfang Juni 2016 diese Stelle antrat, fand ich mich in einer zwar sehr freundlichen, aber blinden-unerfahrenen Umgebung wieder.
Daher nahm ich dankend das Angebot einer Mitarbeiterschulung durch I&I an. Aufgrund terminlicher Schwierigkeiten fand es zwar erst im Oktober 2016 statt, doch so hatten meine Kollegen Zeit, sich an mich zu gewöhnen.
So konnte in der vierstündigen Schulung, an der erfreulicherweise alle Kollegen teilnahmen, auch gezielt auf Fragen und Probleme hinsichtlich meiner Behinderung eingegangen werden. Themen waren unter anderem „Richtig führen“, die Abwendung „erzwungener Selbstgespräche“, „Barrierefreie Dokumente“ sowie die Wichtigkeit von gleichbleibender Ordnung. Die Theorie wurde auch durch praktische Einheiten vertieft.
Meine Kollegen waren sehr zufrieden mit der Schulung, haben sich die Informationen zu Herzen genommen und besitzen seitdem den Mut, mir zahlreiche Fragen zu stellen.
„Inklusion & Innovation“ steht für erfolgreiche Arbeitsmarktintegration in Hessen
Die blista-Projektlinie Inklusion & Innovation wird gefördert aus Mitteln des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration sowie aus Mitteln der Europäischen Union - Europäischer Sozialfonds. Klares Ziel ist auch 2017 die Integration von Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung in den ersten Arbeitsmarkt.
Jobcoaching, Empowerment, Vernetzung - die blista legt den Fokus auf ihren spezifischen, kompetenzorientierten und individuellen Ansatz. Die Einbeziehung unternehmerischen Denkens zählt zu den innovativen Kerninhalten der Projektlinie. Die vielfältigen Schnittstellen des Angebotes, die Menschen mit Sinnesbehinderungen, Gründerteams und Unternehmen auch ganz unmittelbar und persönlich zusammenbringen, haben sich hervorragend bewährt.
Die Erfolgsbilanz spricht für die hessenweit ausgelegte Projektlinie: Insgesamt wurden seit 2013 mehr als 150 Personen mit Blindheit oder Sehbehinderung beraten bzw. intensiv begleitet und qualifiziert. Über 40 Teilnehmenden gelang der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt, in die Selbstständigkeit bzw. in eine Ausbildung oder ein Praktikum. Anderen half die Beratung, ihren Arbeitsplatz zu erhalten, eine Fortbildung zu finden oder einen persönlichen Karriereschritt abzuwägen.
Zur Autorin des Erfahrungsberichtes:
Frau Schubert ist blind, zudem hat sie eine Sprachbehinderung. Ihr Studium an der Philipps-Universität Marburg schloss sie mit einem Master of Arts ab und wandte sich dann an das blista Reha-Beratungszentrum, um im Rahmen der Projektlinie Inklusion & Innovation Unterstützung im Bewerbungsprozess zu erhalten. Seit Juni 2016 ist sie beim Amt für Menschen mit Behinderung des Magistrats der Stadt Bremerhaven angestellt und unterstützt inklusionsorientierte Maßnahmen im sportlichen Bereich.
Bildunterschrift: Eine Mitarbeiterschulung durch I&I. Foto: blista
Bildbeschreibung: An einem ovalen Tisch sitzen neun Personen in einem hell erleuchteten Raum. Es herrscht eine Arbeitsatmosphäre. Auf dem Tisch steht ein aufgeklappter Laptop und es liegen einige Flyer und Arbeitsunterlagen auf dem Tisch.
Noemi Ristau und Lucien Gerkau
Blinde Skifahrerin Noemi Ristau übernimmt Europacup-Führung
Am ersten Wochenende des neuen Jahres 2017 übernahm die Marburgerin von SF Blau-Gelb Marburg/blista auf ihrer Europacup-Tour im schweizerischen Veysonnaz die Führung in der Gesamtwertung. Auf der Piste de l´Ours (Bärenpiste), einem Weltcup-Hang mit extrem steilem Gefälle und zahlreichen Geländeübergängen, zog die ehemalige Blistanerin mit zwei Siegen und einem zweiten Platz in der Gesamtwertung an der Konkurrenz vorbei.
Mit ihrem Guide Lucien Gerkau startete Noemi Ristau dabei zum ersten Mal in der Disziplin Super G, die noch schneller ist als der Riesenslalom. Auf der anspruchsvollen Piste fand sie sich recht schnell zurecht und konnte die zwei Super-G-Wettkämpfe am Samstag für sich entscheiden. Am Sonntag gewann sie mit Damenbestzeit auch den Riesenslalom.
Spannender Kampf um die Führung
Ristau muss sich durch ihren geringen Sehrest ganz auf ihren Guide verlassen, da sie weder Gelände noch Tore erkennen kann. Über ein Headset wird sie von Gerkau mit Kommandos über die Piste geführt. Der Slalom am Montag sollte genau dies zum Problem werden lassen. Schon der erste Lauf bereitete den Teilnehmenden aus 13 Nationen größte Schwierigkeiten. Ein Drittel des Starterfeldes schied auf der künstlich vereisten Piste aus. Auch das Team Ristau/Gerkau rutschte mehrfach aus. Und doch legte Ristau mit einer Zeit von 55 Sekunden erneut Damenbestzeit auf die Piste und war damit sogar schneller als die stehende und sitzende Konkurrenz.
Im zweiten Lauf wollte das Team diesen Sieg eigentlich sicher nach Hause fahren. Doch Ristau fädelte sich am sechsten Tor ein und fiel auf Kopf und Ellenbogen. Wacker entschied sich das Team weiterzumachen, die junge Athletin stieg zum Unglückstor zurück und setzte das Rennen fort. Erst einige Tore später wurde beiden bewusst, dass das Headset durch den Sturz in Mitleidenschaft gezogen und nicht mehr in Betrieb war. Sich allein auf die Skigeräusche und die lautstarken Kommandos ihres Guides verlassend, fand Ristau gleichwohl den Weg ins Ziel.
Siegerin dieses Tages wurde die blinde Kroatin Eva Golutza. Aber trotz der Panne im Slalom konnten Ristau und Gerkau mit den Siegen im Super-G und Riesenslalom die Führung in der Gesamtwertung des Europacups übernehmen.
Ein Blick zurück
Noemi Ristau erblickte im September 1991 in der Nähe von Aschaffenburg das Licht der Welt. Damals noch mit vollem Augenlicht. In einer Familie mit drei Geschwistern fuhr sie in ihrer Kindheit jedes Jahr in den Familienskiurlaub. Schon damals ging es meist eher schnell den Berg hinab.
Im Alter von 12 schlug dann das Schicksal zu: nicht nur die Pubertät, sondern auch die schleichende Erblindung. Zunächst unbemerkt und unterschätzt, führte sie doch bald zum „Ski-Stopp“. Während Ihre Geschwister weiter in den Skiurlaub fuhren, musste Noemi zu Hause bleiben. Zunächst noch in der Hoffnung, die Krankheit heilen zu können oder zumindest zu stoppen, wurden zahlreiche Ärzte konsultiert und Therapien versucht. Am Ende blieb Noemi zu Hause nur noch der Schreibtisch und der verzweifelte Versuch, die Schule in den Griff zu bekommen.
Im Alter von 16 Jahren blieb dann nur noch der Weg über eine Blindentechnische Grundrehabilitation an der blista in Marburg. Zunächst ein Schock und ein neues Leben. Alles musste für die ersehnte Selbstständigkeit neu erlernt werden: Blindenschrift, Kochen, den Weg finden, Computer mit Sprachausgabe. Dann war der Weg frei, mit der Carl-Strehl-Schule der blista rückte das Abitur wieder in greifbare Nähe. Wie das Schicksal es so wollte, ging es gleich auf eine Skifreizeit.
Neue Herausforderungen
Nach Ermunterung durch ihre Betreuer wagte sie anschließend mit der Skiabteilung des SF Blau-Gelb Marburg eine integrative Familienfahrt nach Fideris. Neue Herausforderungen warteten hier auf Noemi: Skifahren mit Stöcken und Kurven. Dank der tollen Skilehrer war aber auch das kein Problem. Schon mehr machten Noemi die Kurven ein Problem. „Carven“ sollte sie und bewusste Körperpositionen einnehmen, und alles ohne Augenlicht und „blind“ dem Skilehrer vertrauen. Die Fahrt nach Fideris wurde zum Jahreshighlight. Neben dem Ski alpin wurde auch das Snowboarden ausprobiert und in den Sommerpausen der Blindenfußball. Auf weiteren Freizeiten wurden der Tiefschnee und das vom Vater gebastelte Headset erprobt. 2012 ging es dann zunächst das letzte Mal nach Fideris und auch das Fachabitur war geschafft.
Was nun? Skifahren? Fußball? Studieren? Blind und immer in Marburg sein? Nein, reisen war das Ziel! Farben und Gerüche zogen die frisch gebackene Abiturientin nach Indien. Ein Mädcheninternat für blinde Kinder und Jugendliche in der Millionenstadt Puna. Die Organisation „Weltwärts“ vermittelte ihr ein Freiwilliges Soziales Jahr als „Lehrerin“ auf einer Schule mitten im indischen, bunten Chaos. Lehrer sind dort Mangelware und so wurde Noemi mit offenen Armen empfangen. Nach kurzer Einarbeitung unterrichtete sie Englisch, Sport und auch Ergotherapie. An dem mitgebrachten Blindenfußball mit eingebauter Klingel erfreuten sich die Mädchen ganz besonders, sodass er schließlich bei den glücklichen Fußballerinnen in Indien blieb.
Nach der Rückkehr wurde der Kontakt zum Deutschen Behinderten-Sportverband hergestellt und es ging nun mit der deutschen Nachwuchsmannschaft in die Alpen. Mit dem vom Förderverein geschenkten neuen Profi-Headset machte Noemi sogar das Carving richtig Spaß. In dieser Zeit wurde ihr auch klar, dass „die Schule“ in Marburg ihre neue Ausbildungsstätte werden sollte. Der tägliche Umgang mit verschiedensten Behinderungen reizte Noemi nicht nur beim Sport, sondern stellte ebenfalls eine interessante berufliche Perspektive dar. Der schon in Indien erschnupperte Bereich der Ergotherapie sagte ihr besonders zu und die passende Ausbildung in Marburg war gefunden.
Was auf der Piste noch fehlte, war ein passender Guide. Bald fanden sich zwei ehemalige Rennläufer und nach ersten Versuchen war das Ziel klar: Rennen fahren!. Um die Finanzierung der ersten Saison kümmerte sich die Vereinsvorsitzende der Skiabteilung im SF Blau-Gelb Marburg, Ursula Eckstein, persönlich: Vereine, Uni, Stadt, Landkreis, Land und Verbände halfen kräftig mit. Die verbleibenden Kosten teilte sich Noemi mit ihren Guides. Schon in der ersten Saison ließen sich die Ergebnisse sehen: Europacup-Siege, Slalom-Weltranglistenführung, Deutsche Meisterin. Das Ziel hieß: Paralympics 2018 in Pyeongchang.
Aufgrund der tollen Rennerfolge in der ersten Saison erfolgte die Nominierung in den C-Kader der deutschen Nationalmannschaft. Ein Teil der Kosten des Trainings und der Rennen war nun gesichert. Um bis zu den Paralympics zu kommen, klaffte jedoch noch eine erhebliche „Gletscherspalte“. Durch die großzügige Förderung der blista sowie ein Stipendium der Stiftung Sporthilfe Hessen für 2017 konnte die Lücke für ein weiteres Jahr geschlossen werden.
Staatsminister Beuth verlieh am 16. Dezember 2016 Noemi Ristau, SF Blau-Gelb Marburg e.V. / blista, für Ski und Blindenfußball „zur Anerkennung hervorragender sportlicher Leistungen“ die Sportplakette des Landes Hessen.
Die Europacup-Tour geht Ende Januar im italienischen Travisio weiter, im Februar zieht sie nach Slowenien und Kroatien. Der Kampf um den Titel bleibt spannend. Wie es weitergeht, darüber informiert die blista-Hörzeitschrift „Kopfhörer“ in der kommenden Ausgabe.
Bildunterschrift 1: Europacup (1): Ein erfolgreiches Team: Noemi Ristau und Lucien Gerkau - Foto: Lucien Gerkau
Bildbeschreibung 1: Auf einer Skipiste sind zwei Skifahrer zwischen Slalomtoren flott unterwegs.
Bildunterschrift 2: Europacup (2): Das Ziel heißt Paralympics 2018 in Pjöngjang. Foto: Lucien Gerkau
Bildbeschreibung 2: Ein Mann und eine Frau stehen im Zieleinlauf einer Skistrecke und präsentieren lächelnd ihre Skier.
Aus der Arbeit des DVBS
Ursula Müller / Savo Ivanic
DVBS-Projekt iBoB geht an den Start
Blinde und sehbehinderte Menschen nehmen heute selbstverständlich am Arbeitsleben teil. Doch diese Teilhabe ist zunehmend gefährdet – unter anderem durch Hürden und Einschränkungen auf dem Weiterbildungs-Sektor. Deshalb hat der DVBS das Projekt „iBoB“ ins Leben gerufen. iBoB steht für „inklusive berufliche Bildung ohne Barrieren“ und will blinden und sehbehinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Teilhabe an beruflicher Fort- und Weiterbildung erleichtern. Dazu hat der DVBS ein zehnköpfiges Team zusammengestellt, das Ende vergangenen Jahres seine Arbeit aufgenommen hat.
Startschuss am 01. November 2016
Nach dem Start am 1. November 2016 führte das Projektteam vom 07. bis 09. Dezember einen ersten gemeinsamen Workshop in Bad Nauheim durch. Zeit, sich gegenseitig kennen zu lernen, denn das Team arbeitet in der Regel virtuell, dezentral und bundesweit. Umso wichtiger, eine gemeinsame Basis in der Arbeit zu finden, sich auf gemeinsame Grundsätze zu verständigen und Arbeitspakete sowie Meilensteine zu diskutieren und zu vereinbaren. Ein erster, wichtiger Schritt, der sehr gut gelungen ist. Mit hoher Intensität arbeiten nun alle Beteiligten an der Umsetzung. Derzeit wird eine Erhebung zu den Weiterbildungs-Bedarfen blinder und sehbehinderter Arbeitnehmer/innen durchgeführt. Die ersten Projekt-Newsletter wurden verschickt sowie diverses Info-Material wie Homepage und Flyer entworfen.
Für 2017 stehen zwei Workshops mit den iBoB-Kooperationspartnern an: Im ersten stellt das Team die Erhebungsergebnisse zu den Weiterbildungsbedarfen von blinden und sehbeeinträchtigten Arbeitnehmer/innen vor sowie die daraus resultierenden Anforderungen an ein barrierefreies Bildungsangebot. Der zweite Workshop befasst sich mit dem iBoB-Beratungsmodul inklusive zugehörigem Peer-to-Peer-Schulungskonzept.
Ein Fallbeispiel
Das alles nach dem iBoB-Motto: Berufliche Veränderung als Chance begreifen und gestalten! Folgendes Beispiel soll dies veranschaulichen:
Melanie K., stark sehbehindert, arbeitet nach einer Ausbildung zur Kauffrau Versicherungen und Finanzen als Sachbearbeiterin für eine Versicherung. Bislang konnte sie dank ihrer Hilfsmittel ebenso effizient arbeiten wie ihre Kollegen. Doch was sie schon immer gestört hat: Alle anderen aus ihrem Team werden regelmäßig zu Fortbildungen geschickt - nur sie nicht. Begründung: Der Aufwand, die Unterlagen und Präsentationen barrierefrei zu gestalten, sei für alle Beteiligten viel zu hoch.
Ergebnis: Melanie ist nicht mehr auf demselben Wissensstand wie ihre Kollegen. Die zunehmende Digitalisierung an ihrem Arbeitsplatz tut ihr übriges: Melanie wird den Anschluss verlieren.
So wie Melanie K. geht es zahlreichen Betroffenen. Doch im Gegensatz zu ihr haben sich viele mit ihrer Situation arrangiert, weil ihnen die Hürden und Probleme oft unüberwindbar erscheinen. Dieses "Aussitzen" ist gefährlich: Man verliert den Anschluss an die aktuellen Arbeitsprozesse und im schlimmsten Fall droht der Arbeitsplatzverlust.
Die Ziele von iBoB
Hier setzt iBoB an: Wir möchten Betroffene aktivieren, motivieren, gemeinsam berufliche Perspektiven entwickeln und ihnen die Zukunftsangst nehmen.
iBoB will Weiterbildungsangebote und Weiterbildungsberatung über eine Internetplattform leicht und schnell zugänglich machen. Dazu erhalten Bildungsanbieter und Arbeitgeber Unterstützung bei der Herausforderung, Barrierefreiheit in der Dokumentation, in Methodik und Didaktik, aber auch in der täglichen Arbeit umzusetzen. Und iBoB will zur Teilnahme ermutigen. Damit auch Melanie K. ihre passende Weiterbildung findet.
Wir verstehen uns als Partner für:
- behinderte Menschen, die in ihrem Beruf aktiv daran arbeiten möchten, sich als starke und kompetente Persönlichkeiten für ihr berufliches Fortkommen zu engagieren
- Arbeitgeber, die Mitarbeiter mit Behinderungen effektiv und wertschöpfend einsetzen und für deren berufliche Weiterentwicklung ein zentrales und umfassendes Angebot nutzen wollen
- Bildungsträger, die ein barrierefreies Bildungsangebot als Aufgabe erkennen und als Alleinstellungsmerkmal und Marktchance bewerten
Zu einer guten Qualifizierung gehört auch eine umfassende Beratung. Also Interessenten so zu informieren, dass sie ihre Kompetenzen und Stärken entdecken und effektiv weiterentwickeln können. Menschen mit Behinderung sind gute Experten in eigener Sache. Wir wollen selbst betroffene, erfolgreiche Berufstätige als Mentoren zur Unterstützung des Weiterbildungsprozesses einsetzen. Arbeitnehmer sollen von deren Erfahrung profitieren, Hinweise und Empfehlungen für praktische Lösungen erhalten, aber auch Mut und Motivation schöpfen.
Aber auch Arbeitgeber wollen Beratung. Wir bieten ihnen eine umfassende Unterstützung zur Weiterentwicklung ihrer behinderten Mitarbeiter an und bauen mit ihnen gemeinsam adäquate Lösungsstrategien auf.
Es gibt also viele Gründe für eine inklusive berufliche Bildung ohne Barrieren – und zukünftig für jeden die passende Weiterbildung und Beratung aus einer Hand. Auch Melanie K. wird davon profitieren. Packen wir‘s an!
Zu den Autoren
Ursula Müller, Diplom-Pädagogin, war langjährige Leiterin eines Berufsbildungszentrums. Ihr beruflicher Schwerpunkt sind die Themen Aus- und Weiterbildung sowie lebenslanges Lernen. Seit 2013 arbeitet sie selbständig in der Beratung und Begleitung von unterschiedlichen Projekten. In iBoB ist sie für das Projekt-Management verantwortlich.
Savo Ivanic, Diplom-Politologe, war als freier Journalist und in der Öffentlichkeitsarbeit eines Bildungs- und Rehabilitationsträgers für blinde und sehbehinderte Menschen sowie in der kirchlichen Jugendarbeit tätig. Seit 2016 ist er Mitarbeiter der Bereiche Marketing & Kommunikation beim DVBS. Bei iBoB betreut er die Öffentlichkeitsarbeit.
André Badouin
Neue DVBS-Kommunikationsplattform INKOKOnet
Der DVBS reitet auf der derzeitigen Digitalisierungswelle und schreitet in der Entwicklung von INKOKOnet, der auf der Mitgliederversammlung im September angekündigten, neuen Kommunikationsplattform weiter voran.
Wofür steht INKOKOnet?
INKOKOnet leitet sich von den Anfangsbuchstaben der Ziele der neuen Plattform ab: Informieren, Kommunizieren, Kooperieren – und das alles im Internet! INKOKOnet wurde notwendig, weil die alte Webseite www.dvbs-online.de nicht die heute gängigen Qualitätskriterien aufweist. Die Technik der Seite ist veraltet, das Handling entspricht nicht mehr dem aktuellen Standard (problematisch waren in diesem Zusammenhang etwa die Reiter der Seite) und das verwendete Content Management System (CMS) ist nicht mehr zeitgemäß.
Wie ist INKOKOnet entstanden?
Im Spätsommer des letzten Jahres wurden die Planungen für das Projekt INKOKOnet aufgenommen. Das Konzept entstand dabei auf Basis der Anforderungen, die auch bereits in DVBS 2020 genannt wurden. Die Mitgliedschaft wurde nach Meinungen befragt, diese wurden zusammengestellt und es wurde eine Mindmap für die Plattform erstellt. Anschließend wurde diese den Paten aus DVBS 2020 zur Verfügung gestellt. In den bestehenden Entwurf der Plattform wurden die Vorschläge der Paten eingearbeitet und die Mindmap vervollständigt, so dass ein Anforderungsprofil für INKOKOnet vorlag.
Was bietet INKOKOnet?
Die neue Kommunikationsplattform bietet dem User auf drei Ebenen exakt die Information oder Funktion, die gewünscht wird: zunächst stehen Informationen bereit, die einen Überblick geben über den Verein, die Fachgruppen, die Bezirksgruppen, die Aktivitäten des Vereins oder aktuelle News. Weiterhin bietet der Bereich „Kommunizieren“ etwa die Möglichkeit, dass Fach- und Bezirksgruppen Webspace erhalten, um sich auszutauschen. Auch ein umfangreiches Archiv wird zu diesem Bereich gehören. Schließlich bietet der Bereich „Kooperieren“ einen direkten Austausch im Bereich Bildung, der sowohl einen offenen als auch einen geschlossenen Bereich haben wird. Hier wird ebenfalls die Möglichkeit geboten, Dokumente hochzuladen oder diese auszutauschen. Es wird in diesem Bereich ebenfalls ein Forum installiert, in dem umfangreiche Suchfunktionen - etwa zu speziellen Themen, zu denen bereits Einträge vorhanden sind - möglich sind.
Wie ist der aktuelle Stand des Projektes?
Nach der Abstimmung der Anforderungen mit den Mitgliedern und den Paten aus 2020 konnte ein kompetenter Partner für die Umsetzung gefunden werden, mit dem der DVBS in ständigem Kontakt steht. Die Projektleitung von INKOKOnet liegt bei mir, André Badouin. Zur Gewährleistung der Barrierefreiheit wurden Frauke Onken und Regina Oschmann mit ins Boot geholt. Willi Gerike wird als Tester zum Projekt-Team gehören. Bis Ende des Jahres 2016 sind die technischen Voraussetzungen der Plattform geschaffen worden, um den umfangreichen Content der DVBS-Webseite bis Ende Frühjahr/Anfang Sommer 2017 einzupflegen. Damit wird der DVBS im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung der Studiums- und Berufswelt gut aufgestellt sein.
Bildunterschrift: Die alte DVBS-Webseite wird durch INKOKOnet ersetzt. Foto: DVBS
Bildbeschreibung: Zu sehen ist ein Screenshot der (noch aktuellen) Webseite des DVBS. Sie ist in blau und weiß gehalten und mit relativ viel Text versehen.
Norbert Bongartz
Ein Verein in Aktion
Bericht des DVBS-Arbeitsausschusses 2016
Einmal jährlich trifft sich der Arbeitsausschuss des DVBS, bestehend aus den Leiterinnen und Leitern seiner Bezirks- und Fachgruppen, um über die Geschicke des Vereins zu beraten, diesmal am 26. November 2016 in Marburg.
Traditionell steht am Anfang dieses Treffens der Bericht des Vorstandes. Die im September 2016 neu gewählte 1. Vorsitzende des DVBS, Ursula Weber, stellt zunächst den neu gewählten Vorstand vor, dem neben ihr der 2. Vorsitzende Uwe Bruchmüller, Andrea Katemann und als neu gewählte Beisitzer Harald Schoen und Werner Wörder angehören, und dankt den ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern Uwe Boysen und Dr. Heinz Willi Bach für deren erfolgreiche Arbeit. Sie weist darauf hin, dass die Vorstandsarbeit von Ihnen als Experten insbesondere in rechts- und sozialpolitischen sowie in Arbeitsmarktfragen weiter unterstützt wird.
Ursula Weber sieht ihre Ziele darin, die Kompetenzen in den Themenfeldern Ausbildung, Studium und Beruf zu bündeln. Sie berichtet von dem von Heinz Willi Bach moderierten Arbeitskreis Arbeit und Beruf (AKAB), der weiter unterstützt werden soll und von dem wichtige Hinweise, insbesondere bezüglich der Auswirkungen von weiterer Digitalisierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt auf die Teilhabemöglichkeiten sehbeeinträchtigter Arbeitnehmer, erwartet werden. Das am 1. Dezember 2016 gestartete DVBS-Projekt „inklusive Berufsbildung ohne Barrieren (iBoB)“ ist gut angelaufen. Die Mitarbeit des DVBS am Aktionsbündnis Teilhabeforschung, das mit ersten Drittmittelprojekten in seine aktive Phase startet, schätzt sie positiv ein. Die Fachgruppe Studium und Ausbildung des DVBS hat ein neues Leitungsteam gewählt und arbeitet u.a. an einem Europaseminar. Frau Weber hat die Aufgabe des National Coordinators für Deutschland beim International Camp on Computers and Communication (ICC) übernommen und bereitet das ICC 2017 in Leuven, Belgien, mit vor.
Werner Wörder befasst sich im Themenfeld Inklusion zusammen mit der DVBS-Inklusionsgruppe mit der Gestaltung einer entsprechenden Informationsplattform auf der DVBS-Website als Einladung zur Diskussion.
Andrea Katemann freut sich über die gut funktionierende Downloadlösung des DVBS und informiert über die aktuelle Diskussion zur Zukunft der Brailleschrift sowie über Probleme mit der VG Wort, die ab Januar 2017 zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Beschaffung digitaler Studienliteratur an den Unis führen dürften. Sie kritisiert, dass Deutschland den in Kraft getretenen Marrakesch-Vertrag zum Urheberrecht bisher noch nicht unterzeichnet hat. Sie weist darauf hin, dass die in Fertigstellung befindliche neue DVBS Kommunikations- und Kooperationsplattform im Frühjahr 2017 vereinsinternen Beta-Testern zur Verfügung gestellt werden soll.
Uwe Bruchmüller lobt die erfolgreiche enge Zusammenarbeit von Experten von DVBS und DBSV in Sachen Bundesteilhabegesetz (BTHG). Er kündigt weiter für das Frühjahr 2017 ein DVBS-DBSV-Spitzengespräch an, in dem Kooperationsfragen, aber auch die Bearbeitung des Themenspektrums Bildung, Arbeit und Beruf, besprochen werden sollen. Weiter unterstreicht er die erfolgreiche Unterstützung von Wolfgang Angermann bei dessen Wiederwahl als EBU-Präsident, berichtet vom Stand der Fach- und Bezirksgruppenarbeit, der erfolgten Fusion der Bezirke Nord- und Südbayern und der von der letzten Mitgliederversammlung beschlossenen Satzungsänderung bezüglich der Regelungen zu den Fachgruppen.
Harald Schoen stellt den intensiven Beteiligungsprozess bei der Entwicklung des BTHG und den aktuellen Entscheidungsstand dar. Er geht davon aus, dass eine Reihe der geforderten Mindestverbesserungen im parlamentarischen Verfahren doch noch erreicht werden kann. Er sieht es als wichtige Aufgabe in 2017 an, die Einführung des BTHG kritisch zu begleiten. Die Novellierung des BGG schätzt er eher positiv ein, wenn auch nach wie vor die Privatwirtschaft aus den Gleichstellungsanforderungen ausgenommen ist. Ebenso gibt es einige Verbesserungen im Vergaberecht bzgl. mehr Barrierefreiheit. Positiv bewertet Herr Schoen die Erhöhung des Blindengeldes in Thüringen und Sachsen sowie die Schaffung eines Sehbehindertengeldes in Bayern.
Uwe Bruchmüller erläutert sodann zur Finanzlage des DVBS, dass es in 2016 eine deutlich negative Tendenz mit dem Ergebnis eines Defizits geben werde. Neben strukturellen Ursachen wie der Reduzierung der Zuwendungen aus der Stiftung und dem Rückgang von Bußgeldern und Spenden werden Sonderaufwendungen wie für das ICC und die Jubiläumsveranstaltungen zu einem negativen Jahresergebnis führen.
Der Geschäftsführer des DVBS, Klaus Winger, berichtet von personellen, technischen und organisatorischen Straffungen der Arbeit der Geschäftsstelle, die bereits im Wirtschaftsplan 2017 durch wirtschaftlichere Arbeit zu positiven Effekten führen. Zurzeit werden zwei neue Assistenzkräfte und acht Projektmitarbeiter in die DVBS-Belegschaft integriert. Die neuen personellen Zuständigkeiten werden erprobt und weiterentwickelt.
Nach der Feststellung des Jahresabschlusses 2015 und der Entlastung des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2015 mit einer Enthaltung verabschiedet der Arbeitsausschuss den Wirtschaftsplan für 2017 im Volumen von 1,256 Millionen Euro, der mit einem Defizit von 12.000 Euro abschließt.
Im Anschluss hört der Arbeitsausschuss kurze Beiträge zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Mitgliedern des DVBS durch die Rechte behinderter Menschen gGmbH (rbm) sowie zu Anforderungen an die Arbeit der Deutschen Blindenstudienanstalt und deren Kooperation mit dem DVBS unter den Bedingungen einer nach Inklusion strebenden Gesellschaft. Claus Duncker, Vorstand der blista, berichtet, dass sich die blista in der Konkurrenz mit Regelgymnasien um Schüler befindet. Gegen die einzigartige Angebotsqualität der blista für sehbeeinträchtigte Schüler steht die Ortsnähe der Regelgymnasien. Die blista will sich bis zu maximal einem Drittel für sehende Schüler öffnen.
In weiteren Tagesordnungspunkten beschäftigt sich der Arbeitsausschuss mit den Perspektiven einer engeren Kooperation zwischen dem DVBS und dem DBSV sowie mit den Arbeitsschwerpunkten der Projektarbeit des DVBS im Jahre 2017. Es wird dabei u.a. um die Nutzbarmachung der Ergebnisse der Fachtagung "Megatrend Digitalisierung" vom 23. September 2016 gehen, über die in DVBS-Newslettern und im horus berichtet wurde und weiter berichtet wird.
Der Arbeitsausschuss bestätigt als Folge der durch die letzte Mitgliederversammlung erfolgten Satzungsänderung die aktuell existenten Fach- und Bezirksgruppen und als Interessengruppen die Gruppen Ruhestand und Sehbehinderte.
Als Ergebnis der bisherigen Strukturüberlegungen setzt der Arbeitsausschuss auf Antrag von Dr. Joh.-Jürgen Meister eine Kommission zur Erarbeitung eines neuen Vereinsnamens ein.
Im 2-Jahresrhythmus wählt der Arbeitsausschuss ein neues Leitungsteam, das aus dem Leiter und zwei Stellvertretern besteht. Als Leiter des Arbeitsausschusses wurde Norbert Bongartz gewählt. Für die Funktion der beiden Stellvertreter des Leiters wurden Dr. Heinz Willi Bach und Dr. Joh.-Jürgen Meister gewählt. Norbert Bongartz dankt seinem Vorgänger Reiner Spring für sein bisheriges Engagement.
Abschließend dankte der neue Arbeitsausschuss-Vorsitzende für das große Engagement und die konstruktive Zusammenarbeit der Teilnehmenden und warb darum, dieses auch in Zukunft fortzusetzen.
Weitere Einzelheiten über den Verlauf der Beratungen wird es auf "intern" geben.
Frank Winterstein
Stabübergabe bei Bild der Wissenschaft auf CD
Seit dem 01. Januar ist die Herausgeberposition für das CD-Format von „Bild der Wissenschaft“, dem seit über 53 Jahren bestehenden Fachmagazin aus Wissenschaft, Forschung und Technik, auf Frank Winterstein übergegangen.
Mehr als 600 Ausgaben sind in den vergangenen Jahrzehnten von Bild der Wissenschaft erschienen. Das erste Heft war 1964 am Kiosk zu erwerben. Ersonnen hat es Professor Heinz Haber. Der Physiker produzierte und moderierte in den 1960er und 70er-Jahren die ersten Wissenssendungen im deutschen Fernsehen. "Öffentliche Wissenschaft", lautete Habers Credo - oder anders formuliert: Wissenschaft in die Öffentlichkeit tragen. Ein Motto, das kaum an Aktualität eingebüßt hat und dem Bild der Wissenschaft treu geblieben ist.
Das Heft informiert monatlich auf gut hundert Seiten darüber, was unser Leben morgen und übermorgen verändert. Die wichtigsten Erkenntnisse der Grundlagenforschung werden spannend aufbereitet und ebenso wie die markantesten Entwicklungen in der Technik, in der Gesellschaft und in der Ressourcenproblematik beleuchtet. Sogar die Lust am anspruchsvollen Rätseln kommt nicht zu kurz.
Für weitere Informationen können Sie den Herausgeber und Sprecher der Hörversion auf CD wie folgt kontaktieren: Frank Winterstein, G.-Scholl-Str. 24a, 35039 Marburg, Tel.: 06421/590115, Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Bildunterschrift: Frank Winterstein ist neuer Herausgeber der CD-Version von Bild der Wissenschaft. Foto: privat
Bildbeschreibung: Auf dem Bild ist ein Herr mittleren Alters mit dunklen Haaren und Vollbart zu erkennen, der in die Kamera lächelt.
Seminarvorschau
3. bis 5. März 2017 in Marburg
Die Fachgruppe Studium und Ausbildung bietet einen Einsteigerkurs zur Auszeichnungssprache "LaTeX" für blinde und sehbehinderte Studierende vom 3.-5.3.2017 in Marburg an. Der Kurs wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
LaTeX (gesprochen: Latech) ist ein sehr gutes Werkzeug, um auch als blinder Studierender die Kontrolle über Formatierungen, Querverweise usw. eines Dokuments zu behalten. Auch mathematische Formeln können gut umgesetzt werden. In dem Workshop mit Oliver Nadig lernen Sie die Grundlagen der Zeichen-, Absatz- und Seitenformatierung kennen und erstellen erste Texte.
30. März bis 2. April 2017 in Herrenberg
Fachgruppenübergreifendes Fortbildungsseminar der Fachgruppe Wirtschaft mit dem Thema "Wie geht es weiter im Beruf oder im Studium? - Biografiearbeit und Theater":
Nach einiger Zeit im Berufsleben, Studium oder längerer Zeit der Erwerbslosigkeit schaut fast jeder zurück auf seine bisherige (berufliche) Biografie und fragt sich, ob man jetzt da angekommen ist, wo man hin wollte und wie es künftig weitergehen soll. Das biografische Theater bietet die Möglichkeit, hier mehr "Durchblick" zu erlangen, neue Perspektiven zu eröffnen und zu mehr individueller Zufriedenheit, Sicherheit und Gesundheit beizutragen. Die Methoden des biografischen Theaters sowie des Psychodramas befördern auch Erkenntnisse und Klarheiten über das eigene Verhalten in Kommunikationsprozessen am Arbeitsplatz.
7. bis 9. April 2017 in Hünfeld
Die Fachgruppe Soziale Berufe und Psychologie lädt zu einem Fortbildungsseminar mit zwei parallel verlaufenden Workshops ein. Der erste Workshop befasst sich mit den Fragen des Selbstwertes und beruflicher Abhängigkeiten. Im zweiten zum Thema Stress und Stressbewältigung wird es darum gehen, mittels verschiedener körperbezogener Methoden Entspannungstechniken zu erlernen und zu trainieren.
11. bis 14. Mai 2017 in Herrenberg
Die Fachgruppe Sehbehinderte bietet beim Seminar „Nicht sehend - nicht blind“ in drei Workshops besonders sehbehinderten Mitgliedern und Interessenten spannende Angebote zur beruflichen Bildung. Die Themenbereiche werden im Lauf des Frühjahrs veröffentlicht.
15. bis 17. September 2017 in Marktbreit
Fortbildungsseminar der Fachgruppe Jura, der inhaltliche Schwerpunkt ist noch offen.
30. September bis 7. Oktober 2017 in Saulgrub
Zum 30. Mal findet das Seminar der Gruppe Ruhestand im DVBS statt. Unter dem Motto „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ werden in Referaten und Workshops gesellschaftspolitische Themen, gesundheitsbezogene sowie selbsthilferelevante Inhalte bearbeitet. Auch neue technische Entwicklungen und deren Bedeutung für ältere blinde und sehbehinderte Menschen werden betrachtet.
Die jeweiligen ausführlichen Ausschreibungen finden Sie in der Rubrik "Seminare" auf der Homepage des DVBS: www.dvbs-online.de/php/aktuell.php.
Weitere Veranstaltungen sind in Planung und werden so bald wie möglich veröffentlicht.
Aus der blista
RES-Ressortleiter Jürgen Nagel zum stellvertretenden Vorsitzenden der blista gewählt
„Der Verwaltungsrat der blista hat sich in den letzten Monaten mit der Frage der Besetzung der Position des stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins beschäftigt. Die gesuchte Person sollte ein profunder Kenner der Einrichtung sein, um sie nach außen national und international zu repräsentieren, bestimmte Zuständigkeiten für die inhaltliche Arbeit übernehmen und an der Weiterentwicklung federführend mitarbeiten. Wir freuen uns, mit Jürgen Nagel eine Person gefunden zu haben, die unserem Profil entspricht“, schreiben der Verwaltungsratsvorsitzende Bernd Höhmann und blista-Direktor Claus Duncker in einem Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der blista, nachdem Jürgen Nagel auf der letzten Sitzung des Verwaltungsrates am 11. November 2016 zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt wurde.
Jürgen Nagel kennt die blista aus vielen Blickwinkeln. Seit 35 Jahren arbeitet er in unterschiedlichen Aufgabenbereichen der Rehabilitationseinrichtung für blinde und sehbehinderte Menschen (RES) und ist seit 15 Jahren ihr Ressortleiter.
Sein neues Amt hat Jürgen Nagel am 1. Januar 2017 angetreten. Seine bisherige Funktion als Leiter der RES behält er neben den satzungsgemäßen Aufgaben als hauptamtlicher Vorstand weiterhin bei.
Bildunterschrift: Der blista-Verwaltungsrat wählte Jürgen Nagel am 11. November 2016 zum stellvertretender Vorsitzenden der blista - Foto: blista
Bildbeschreibung: Auf dem Bild schaut ein dunkel gekleideter Herr mittleren Alters, der eine Brille trägt, in die Kamera.
Imke Troltenier
Berufsorientierung BOSS – „ein Super-Angebot der blista“
Kooperationsvertrag mit arbeiterkind.de unterzeichnet
BWL, Jura, Sprachen, Psychologie, Geschichte, IT - oder besser erst ein Berufsorientierungsjahr im Ausland? Was erwartet Ihr von einem Studium? Warum interessiert ihr Euch für dieses Fach? Auch in diesem Jahr sind wieder viele ehemalige Blistanerinnen und Blistaner, Fachleute, Studienberaterinnen und -berater zum „BOSS-Tag“ an die blista gekommen, um die Oberstufenschülerinnen und -schüler der Carl-Strehl-Schule zu informieren und zu beraten.
Neben der Fachlichkeit, den Berufsfeldern und Verdienstmöglichkeiten geht es dabei auch gezielt um die spezifischen Herausforderungen in Ausbildung, Studium und Beruf, mit denen sich junge Leute mit einer Sehbeeinträchtigung auseinandersetzen müssen. Denn der Name „BOSS“ steht für die Berufsorientierung von jungen Leuten mit Blindheit und Sehbehinderung.
Klug organisieren
„Ich rate euch, aktiv zu werden, die Dozenten anzusprechen und euch gleich von Anfang an selbst zu kümmern“, so das einhellige Veto der Beratenden. Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen seien genauso wichtig wie das Miteinanderreden, denn als Einzelkämpfer zu studieren, sei sehr schwer.
Das Leben nach der blista erfordert ein gutes Maß an Selbstständigkeit und Initiative; da wird kein Blatt vor den Mund genommen. Barrierefreie Vorlesungen, Lernplattformen und -materialien zählen noch keineswegs zu den Selbstverständlichkeiten der Lehre. Gleichwohl gibt es an vielen Universitäten und Fachhochschulen Service-Einrichtungen, die junge Leute mit Einschränkungen gezielt unterstützen und etwa im Hinblick auf die Beantragung von Assistenzkräften beraten.
Auf Menschen zugehen
Rund 45.000 km legte Axel Duensing, der im letzten Jahr an der blista sein Abitur abgelegt hatte, zwischenzeitlich in Kanada zurück. Sieben Monate „wooften“ er und seine Freundin in British Columbia und Alberta, d. h., sie arbeiteten auf unterschiedlichen ökologischen Farmen. Weitere 5 Monate nutzen die beiden, um kanadische Nationalparks zu erkunden. Mit Semesterbeginn hat er ein Studium der Agrarwissenschaften aufgenommen. Dass er mit der Farmarbeit bereits das für sein Studium erforderliche Vorpraktikum nachweisen konnte, war Teil seiner klugen, zugleich aber auch aufwendigen Vorab-Organisation: „Seit 2013 haben wir diese Reise geplant, da ging es natürlich auch um so lästige Fragen wie das Versicherungsrisiko blinder Personen bei Auslandsreisen …“, erzählt Duensing. Aber es habe sich gelohnt. „Am meisten fasziniert hat mich ein blinder Farmer, den wir dort kennen gelernt haben. Er hält Ziegen, produziert Käse und verkauft ihn auf den Märkten der Umgebung. Alles selbstständig und selbstbestimmt. In diesem weiträumigen Land gibt es ja keine Nachbarn, die in Notfällen gleich zur Stelle wären.“ Über seine Auslandserfahrungen hat er in einem Blog berichtet. Seine Bilanz ist klar: „Auf jeden Fall machen! Man lernt, auf Menschen zuzugehen und trifft tolle Menschen.“
Vielfältige Berufswege im Bereich der IT
Über die vielfältigen Berufswege im Bereich der IT berichtet der ehemalige Blistaner Michael Kreutzer. Für seine Promotion just mit summa cum laude ausgezeichnet, forscht und arbeitet er nun als Dozent und ist vermutlich bislang der erste und einzige blinde Ingenieur in Deutschland: „Informatik durchdringt zunehmend unsere Gesellschaft, in fast jedem Gerät ist mittlerweile Software drin und die Zukunftschancen in dem Bereich sind riesengroß.“ Anhand von Beispielen macht Kreutzer deutlich, dass in der Informationstechnologie die Nachteile durch Seheinschränkungen vergleichsweise gering sind und sich durchaus auch mal Vorteile ergeben: „Ein ganz banales Beispiel ist das 10-Finger-Schreiben. Das haben wir an der blista alle gelernt. Das ist ein Vorsprung, darüber hinaus kann's kaum einer.“
Die Oberstufenschülerinnen und -schüler freuen sich über die vielen Tipps und die Bereitwilligkeit der Ansprechpartner, ihnen für Fragen beiseite zu stehen. „BOSS ist ein Super-Angebot der blista“, bestätigt eine der Teilnehmenden und ihre Freundin schließt sich an: „Jetzt bin ich in der 13. Klasse und weiß schon recht genau, was ich will. Im letzten Jahr war ich aber bereits auch dabei.“
Kooperationsvertrag mit arbeiterkind.de unterzeichnet
An junge Leute, die als Erste in ihrer Familie studieren, richtet sich die Initiative arbeiterkind.de. Die Mitglieder unterstützen Schülerinnen und Schüler bundesweit vom Studienbeginn bis zum erfolgreichen Studienabschluss und Berufseinstieg ehrenamtlich. Julia Dolscheid, Projektkoordinatorin Gießen, und Schulleiter Joachim Lembke nutzten die Gelegenheit der Vertragsunterzeichnung, um für die bereits langjährige hervorragende Zusammenarbeit zu danken. blista-Ansprechpartner für arbeiterkind.de ist der Verantwortliche der BOSS-Angebote, Christian Hinrichs.
Bildunterschrift 1: Die blista kooperiert mit arbeiterkind.de. Fotos: blista
Bildbeschreibung 1: Das Bild zeigt drei Frauen und zwei Männer, die sehr fröhlich in die Kamera lachen. Der Mann in der Mitte (Jeans und dunkles Hemd) hält einen Vertrag in der Hand. Besonders auffällig ist, dass der Herr ganz links und die beiden Frauen rechts ein rotes T-Shirt tragen, auf dem in weißer Schrift geschrieben steht: „Arbeiterkind.de - Für alle, die als Erste in ihrer Familie studieren.“
Bildunterschrift 2: Im Studium geht es rauher zu als in der blista. Foto: blista
Bildbeschreibung 2: Ein Junge sitzt vor einem Laptop und erhält sich mit einer jungen Frau. Im Hintergrund sind unscharf zwei jüngere Schülerinnen zu erkennen.
Imke Troltenier
Vernissage im Malatelier - Neue Ausstellung tastbarer Bilder auf dem blista-Campus
„Fest im Leben stehen“, „Sich treiben lassen“, „Leicht wie eine Feder“, „Hart wie Stahl“ … - lauten die Titel der großformatigen Kunstwerke, die seit Neuestem im Flur am Schlag 4 zu erleben sind. Ob bunt oder monochrom, mit Holz, Stahlstiften, Federn oder Pappmaschee: Anfassen ist bei allen Werken ausdrücklich erlaubt, die Bilder sind taktil gestaltet und daher für sehende und nicht sehende Menschen gleichermaßen auf die eine oder die andere Wahrnehmungsweise „sichtbar“.
Seit rund einem Jahr ist das blista-Malatelier inklusiv. Unter der künstlerischen Leitung von Stephanie Syré-Merkel und Anne Weigel malen und experimentieren hier junge Menschen mit und ohne Seheinschränkungen gemeinsam. Ihre Kunstwerke sind so vielfältig, kreativ und faszinierend wie die Ideen, die dahinterstecken.
Kein Wunder, dass die Idee einer Vernissage schnell geboren war. „Im Frühjahr dieses Jahres kam eine Kollegin auf mich zu, ob ich nicht Zeit und Lust hätte, über das Malatelier den Flur der Elternberatung Am Schlag 4 zu verschönern und zu gestalten“, erzählte Projektleiterin Stephanie Syré-Merkel: „Da können sie sich vorstellen, wie es mich gefreut hat, ein so großes Vorhaben starten zu können.“
Während der Vernissage stellten die beteiligten Schülerinnen und Schüler aus der Martin-Luther-Schule, der Gesamtschule Niederwalgern und der blista die Kunstwerke vor.
Die Besucherinnen und Besucher zeigten sich begeistert und sparten nicht mit Applaus. Auch die Schülerin Laura Bohnet, die für die musikalische Begleitung am Cello sorgte, erntete viel Beifall.
Im Rahmen ihrer Ansprache bedankte sich Projektleiterin Syré-Merkel bei den beteiligten Akteuren: bei Frau Anna Kaczmarek-Kolb, der Leiterin der Koordinierungsstelle „Inklusion bewegt", Herrn Wolfgang Urban als Mitglied im Begleitausschuss des Projektes „Inklusion bewegt!" und nicht zuletzt für die finanziellen Mittel beim blista-Schulleiter Joachim Lembke.
Inklusion bewegt - Vernissage inmitten der Modellregion
Das inklusive Malatelier der blista wird im Rahmen des Programms „Inklusion bewegt“ durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration gefördert. Ziel des Programms ist es, allen Kindern und Jugendlichen, unabhängig von Behinderungen, ethnischer oder sozialer Herkunft, die Teilhabe an lokalen Freizeitmaßnahmen zu ermöglichen. Im Zeitraum von April 2015 bis März 2017 gelten der Landkreis Marburg-Biedenkopf und die Stadt Marburg daher als „Modellregion Inklusion" in Hessen.
Wer Lust hat, an dem Projekt teilzunehmen, melde sich bitte in der blista-Internatsleitung bei Frau Daum, Tel.: 06421/606161.
Bildunterschrift 1: Kunst zum Tasten: Die Ausstellung begeistert die Jugendlichen. Fotos: blista
Bildbeschreibung 1: Ein Junge mit Langstock tastet sich an einem bunten Kunstwerk entlang und wird dabei von Lehrern und weiteren Schülern beobachtet.
Bildunterschrift 2: Sichtlich erfreut: eine blista-Schülerin während ihres Besuchs der Vernissage Foto: blista
Bildbeschreibung 2: Ein blindes Mädchen mit Brille steht vor mehreren, unterschiedlich langen Stangen aus Holz und schaut glücklich in die Kamera.
Vielen, vielen Dank
Offener Brief der blista-Intensivklasse für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Ende vergangenen Jahres hat die blista 16 geflüchtete Jugendliche in eine Intensivklasse aufgenommen. Inzwischen trägt das große pädagogische Engagement der Kolleginnen und Kollegen Früchte. Die Entwicklung der Sprachkompetenz hat große Fortschritte gemacht. In diesem Schuljahr besuchen bereits einige den regulären Unterricht der Klassenstufe 10 an der Carl-Strehl-Schule. Auf dem Festakt im September brachten die jungen Leute durch einen offenen Brief ihren Dank auf bemerkenswerte Weise zum Ausdruck:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitarbeiter der blista-Schule, liebe Schülerinnen und Schüler,
die blista-Schule feiert 100-jähriges Jubiläum. Am 2.11.2015 durften wir, die Jugendlichen aus der Lahnstraße, das erste Mal diese einzigartige Schule betreten. Für einige von uns war dies der erste Schulbesuch ihres Lebens. Gleichzeitig war es für die blista in ihrer langen Geschichte der erste Kontakt mit Flüchtlingen. Anfangs waren viele von uns noch sehr skeptisch, ob diese Schule die richtige für uns ist. Einige von uns wussten nicht, wie sie mit ihren Mitschülern umgehen sollten. Doch nach kurzer Zeit kam es zu den ersten Kontakten. Man traf sich nachmittags bei einer Tasse schwarzen Tee und feierte gemeinsam das Nou Rouz-Fest (persisches Neujahrsfest).
Die Möglichkeit, nächstes Jahr auf der blista-Schule einen ersten Schulabschluss zu erreichen, freut uns. Wir bedanken uns daher vielmals bei der blista. Insbesondere bei allen Lehrkräften und sämtlichem Personal der Schule für die fabelhafte Aufnahme und Integration im Schulsystem.
Vielen, vielen Dank!
blista-Bildungsangebote
Der neue Katalog ist da!
Stöbern Sie online im Programm auf www.blista.de/bildungsangebote oder bestellen Sie den Bildungskatalog kostenfrei unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder 06421 606-303.
Aktuelle Seminare und Workshops
„Windows 10 ohne Maus“ und „Was ist neu an Office 2016?“
Am 10. und 11.03.2017 bringen unsere EDV-Experten Sie auf den neuesten Stand. Die Themen werden jeweils an einem Tag behandelt und sind einzeln oder gemeinsam buchbar.
Wir schnuppern Atelier-Luft!
Haben Sie Lust auf einen künstlerischen Frühlingstag? Die Leiterin des blista-Malateliers lädt Sie am 22.04.2017 ein, einen Tag lang mit verschiedenen Materialien zu experimentieren. Vorerfahrungen sind nicht notwendig. Jeder ist ein Künstler!
Fit für den Job – Bewerbungscoaching und rechtliches Know-how
Am 18. und 19.05.2017 vermitteln Ute Mölter und Dr. Michael Richter viele praktische Tipps und Kenntnisse rund um die Arbeitssuche und die rechtlichen Bedingungen für einen gelungenen Einstieg in einen neuen Job. Die Themen sind auch einzeln buchbar.
Weitere Informationen und die barrierefreie Anmeldung finden Sie im Internet auf ### www.blista.de/bildungsangebote
Impressum
Herausgeber
Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
Redaktion
- für den DVBS: André Badouin, Uwe Boysen, Andrea Katemann und Mirien Carvalho Rodrigues
- für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Birthe Klementowski und Dr. Imke Troltenier
Koordination
André Badouin
DVBS-Geschäftsstelle, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Tel.: 06421 94888-0, Fax: 06421 94888-10, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de.
Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck ‑ auch auszugsweise ‑ nur mit Genehmigung der Redaktion.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.)
Uwe Boysen (DVBS) und Dr. Imke Troltenier (blista)
Erscheinungsweise
Der „horus“ erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.
Jahresbezugspreis
- 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe,
- 35 Euro für alle übrigen Ausgaben.
Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
Bankkonten des DVBS
Sparkasse Marburg-Biedenkopf
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BIC: PBNKDEFFXXX
Verlag
Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389
- Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
- Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
- Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen
Die Herausgabe der Zeitschrift „horus“ wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der „Glücksspirale“ unterstützt.
horus 1/2017, Jg. 79 der Schwarzschriftausgabe
Titelbild: blista
Nächste Ausgabe (horus 2/2017)
Schwerpunktthema: „Wege in den Beruf“
Erscheinungstermin: 29. Mai 2017
Anzeigenannahmeschluss: 28. April 2017
Redaktionsschluss: 04. April 2017