horus NR: 1 / 2014 - Länger, härter, konsequenter - blind und sehbehindert mithalten"
Inhaltsverzeichnis
- Vorangestellt
- Uwe Boysen: Vorangestellt
- In eigener Sache
- Christina Muth: In eigener Sache
- Schwerpunkt: Länger, härter, konsequenter - blind und sehbehindert mithalten"
- Dr. Klaus-Peter Pfeiffer: Nicht länger und härter, sondern geschickter, flexibler und erfolgreicher - Vorteile nutzen!
- Dr. Heinz Willi Bach: Beunruhigend starker Anstieg der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Akademiker - ZAV muss reformiert werden
- Ursula Weber: Talente-Karussell: Organisation, Flexibilität und Gelassenheit
- Peter Beck: Dem Redakteur ist nix zu schwör – oder doch?
- Dr. Michael Richter: "Das habe ich nie gewollt"
- Dr. Otto Hauck: Nachteilsausgleiche - wozu brauchen wir sie?
- Regina Pfanger: Knick in der Optik – von der Mühsal, mit Sehbehinderung als vernunftbegabtes Wesen wahrgenommen zu werden
- Bildung und Forschung
- Annalena Knors: „Frankfurt an der Entweder“ oder „Ein Studium im Herzen Europas
- Recht
- Uwe Boysen: Lernprozesse
- Bücher
- Sabine Hahn: Hörtipps
- Savo Ivanic: Buchtipps aus der blista
- „Rehabilitation bei Sehbehinderung und Blindheit“
- Panorama
- 12. Deutscher Hörfilmpreis: 9 Filme gehen ins Rennen
- Orientierungsveranstaltung für angehende Studierende
- Handbuch „Studium und Behinderung“ erschienen
- Savo Ivanic: In Büchern schmökern trotz Sehverlust – Modellprojekt „Hörbücherei vor Ort“ macht’s möglich
- Unter Druck – Blindenführhunde auf Druckbelastungen beim Führen untersucht
- Christina Muth: Hohe Auszeichnung: Dr. Otto Hauck erhielt die Carl-Strehl-Plakette
- Wolfgang Angermann: Laudatio
- Bundesverdienstkreuz für Cordula Freifrau von Brandis-Stiehl und Siegfried Meister
- Uwe Boysen: Wir haben einen Kämpfer verloren
- DVBS lädt blinde und sehbehinderte Jugendliche zum 20.ICC 2014 ein
- Bericht von der Tagung des Arbeitsausschusses des DVBS
- Terminvorschau
- Saskia Welty: (Auch) auf fünf Standbeinen ein voller Erfolg!
- Rudi Ullrich: „Ältere Menschen werden zu oft allein gelassen“
- Rudi Ullrich: Mit den Fingerspitzen über die Düsseldorfer „Kö“ bummeln
- Impressum
- Inhaltsübersicht
Vorangestellt
Vorangestellt
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder,
Stress, Stress, Stress! Blinde und sehbehinderte Menschen erleben ihn allenthalben: Stress im Verkehr, wenn man nach der richtigen Straßenbahn oder dem richtigen Bus fahnden muss, Stress bei der Arbeit, wenn der Kollege Computer wieder einmal bei geringfügigen Softwareveränderungen komplett den Dienst einstellt, oder Stress mit den lieben Mitmenschen, denen man immer wieder erklären soll, was man kann und vielleicht auch, was man als Sehbehinderter oder Blinder nicht kann. Jeder von uns hat seine individuelle Art, mit Stress umzugehen. Wie das eine berufstätige Mutter und Familienmanagerin bewerkstelligt, wie damit ein Nachrichtenredakteur umgeht und welche Methoden für einen Rechtsanwalt hilfreich sind, all das können Sie in diesem Heft lesen und begutachten.
Manchmal denke ich, dass es fast an ein Wunder grenzt, wenn so viele von uns trotzdem zäh genug sind, sich gegen all diese Widrigkeiten durchzusetzen und einen "guten Job" zu machen. Vielleicht liegt es auch daran, dass Behinderung nicht stets und ständig ein Nachteil sein muss. So sieht es jedenfalls Pfeiffer in seinem Beitrag zum Schwerpunktthema dieses Heftes.
Gelegentlich müssen wir aber auch anderen Stress machen und sie an ihre Verpflichtungen uns gegenüber erinnern. Eine Zielscheibe unserer entsprechenden Kritik sind die für die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt Verantwortlichen. Dass die Zahl schwerbehinderter Akademiker und Akademikerinnen, die einen Arbeitsplatz suchen, in den letzten drei Jahren um 22 Prozent zugenommen hat, wie die Bundesagentur für Arbeit selbst meldet, macht betroffen bis wütend. Welche Ursachen diese Entwicklung hat und was verändert werden muss, darüber gibt der Spitzenaufsatz von Dr. Heinz Willi Bach Auskunft. Diese Vorschläge in die Diskussion mit Bundesagentur für Arbeit und Bundesministerium für Arbeit und soziales zu bringen, wird eine der Kernaufgaben der Selbsthilfe in den nächsten Monaten sein. Das wird auch bei uns gelegentlich für Stress sorgen; denn als kleine Interessengruppe wird es für den DVBS absehbar nicht leicht werden, unseren Standpunkt in die große Debatte um Arbeit für alle einzubringen. Wer uns dabei durch Ideen oder Kontakte unterstützen mag, der ist herzlich dazu eingeladen. Vorher wünsche ich Ihnen und Euch aber eine möglichst stressfreie Lektüre des horus 1/2014.
Ihr und Euer
Uwe Boysen
In eigener Sache
In eigener Sache
Besuchen Sie uns auf der SightCity 2014
Kaum zu glauben, und dennoch wahr: Schon wieder ist ein Jahr vergangen, und die Vorbereitungen für die Hilfsmittelmesse SightCity haben bereits begonnen. Vom 14. bis 16. Mai 2014 findet die Messe im Sheraton Hotel am Flughafen Frankfurt statt. Natürlich sind auch blista und DVBS wieder mit dem Gemeinschaftsstand D17 am gewohnten Standort im Foyer vertreten. An drei Tagen informieren wir die Besucher über aktuelle Themen aus den Bereichen Ausbildung und Selbsthilfe. Kommen Sie doch auch einmal vorbei, wir freuen uns auf Sie! Der Eintritt zur SightCity ist frei.
Erfahrungen in der Fremde
Am 26. Mai 2014 erscheint die nächste horus-Ausgabe mit dem Schwerpunktthema "Erfahrungen in der Fremde". Im Ausland arbeiten, ein Auslandssemester in Europa oder Übersee verbringen oder ein exotisches Reiseziel besuchen - Möglichkeiten, Erfahrungen in der Fremde zu sammeln, gibt es zur Genüge, auch für blinde und sehbehinderte Menschen. Häufig ist mit dem Begriff jedoch kein anderer Ort verbunden, sondern eine Empfindung. Man entfremdet sich oder fühlt sich fremd. Können auch Sie auf Erfahrungen dieser Art zurückblicken oder verbinden Sie vielleicht komplett andere Vorstellungen mit diesem Thema? Wenn Sie einen Beitrag zum nächsten Heft beisteuern möchten, können Sie Ihre Texte gerne wie gewohnt per E-Mail an die horus-Redaktion schicken: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Redaktionsschluss ist der 1. April 2014. Berichte für den Schwerpunkt können bis zu 10.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) lang sein, allgemeine Berichte bis zu 4.000 Zeichen. Kürzere Meldungen sollten eine Länge von 2.000 Zeichen nicht überschreiten.
Schwerpunkt: Länger, härter, konsequenter - blind und sehbehindert mithalten"
Nicht länger und härter, sondern geschickter, flexibler und erfolgreicher - Vorteile nutzen!
Als Coach bin ich es gewohnt, auf die Sprache und die darin enthaltenen Vorannahmen zu achten. Im Titel "Länger, härter, konsequenter - blind und sehbehindert mithalten" stecken eine Menge solcher Prämissen, die ich in diesem Artikel hinterfragen und dazu praktische Alternativen aufzeigen möchte.
Es ist ein natürlicher und auch berechtigter Wunsch, dass man durch Unterstützung und vielfältige Hilfsmöglichkeiten die Behinderung, so Wunsch, so weit kompensiert, dass man mit "den Anderen" mithalten kann - beruflich und privat. Hinter dem allen Menschen gemeinsamen Wunsch des Mithaltens steckt das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Wenn ich mithalte - was auch immer das im Einzelnen heißen mag -, gehöre ich dazu, bin ich nicht ausgegrenzt, sondern ein Teil der Gemeinschaft. Die Angst, nicht mitzuhalten, etwas nicht oder nicht so gut zu können wie Andere, beginnt schon in der Kindheit. Dagegen können Menschen, die ein tiefes Gefühl des eigenen Selbstwerts entwickeln konnten, viel ressourcenvoller damit umgehen, wenn sie in bestimmten Bereichen nicht mithalten können.
Trotz vieler Hilfestellungen werden die Anforderungen an Menschen mit Behinderung nicht reduziert. Sie müssen die Leistung genauso bringen wie die sogenannten Nichtbehinderten - manchmal sogar noch mehr! Dennoch bleibt es ein unhintergehbares Faktum, dass man in vielen Bereichen trotz Unterstützung nicht mithalten kann. Das einzusehen ist schmerzlich, bietet aber auch Chancen - worauf ich noch zu sprechen komme.
Die Organisation des Alltags, der Mobilität und der Informationsflut sind nur einige Beispiele dafür, dass durchschnittlich mehr Zeit für deren Erledigung benötigt wird. Mehr noch: Es ist anstrengend und die Phasen der Erholung sind länger. Das führt wiederum dazu, dass es noch schwieriger wird, in der üblichen Hektik mitzuhalten.
Insofern ist zu fragen: Wo kann ich "mithalten" (oder sogar überholen) und wo lasse ich es besser? Der krampfhafte Wunsch mithalten zu wollen, kann auch eine Falle sein.
Wenn man hinkt, ist es wenig klug, sich einem 100-m-Lauf mit Nichthinkenden zu stellen. Denn egal wie hart, lange und konsequent man trainiert, man wird immer den anderen hinterher hinken. Viel entspannter mag es sein, sich genüsslich ins Gras zu setzen und zuzuschauen, wie die anderen sich abmühen und doch Letzter werden. Denn von allen, die mitlaufen, gewinnt immer nur ein Einziger. Und viele werden niemals auch nur Platz zwei erreichen, geben sich aber der Illusion hin, dass sie es könnten.
Vor einiger Zeit erschien in der Wirtschaftswoche ein Bericht über Führungskräfte mit Behinderung. Es stellte sich heraus, dass es doch tatsächlich Menschen gibt, die trotz ihrer Behinderung eine Führungsposition einnehmen. Das scheint im Normalbewusstsein leider immer noch so ungewöhnlich, dass es einen Bericht wert ist. Der Artikel zeigt: Behinderte können es genauso wie Nichtbehinderte. Sie können mithalten, und wenn sie lange, hart und konsequent arbeiten, können sie es bis zur Spitze schaffen.
Mir scheint allerdings, dass dies zu ergänzen ist. Für mich als Coach lautet die Frage: Was bringen Behinderte mit, das es so noch nicht gibt und die Führungskultur eines Unternehmens bereichert? Einer der beschriebenen Führungskräfte war schon vor seiner Behinderung in der Wirtschaft tätig. Nun arbeitet er hauptsächlich als Trainer und Berater. Er wirkt wie der allseits bekannte Manager, der mit Härte und Kampfgeist operiert und sich nicht scheut, andere als Weicheier zu bezeichnen. Diesen Typus von Führungskraft haben wir aber schon - zur Genüge. Es hat den Eindruck, als ob er alle übertreffen möchte, um nicht nur "mitzuhalten", sondern die anderen zu übertreffen. Es erinnert ein wenig an manche Frauen in Führungspositionen, die sich männlichen Stereotypen anpassen und in ihrem Verhalten meinen beweisen zu müssen, dass sie genauso hart, zäh, kalt und vielleicht auch gerissen sind wie ihre männlichen Kollegen - wenn nicht noch mehr. Dabei wird die Chance vertan, "Weiblichkeit" - was auch immer man darunter verstehen mag, wäre genauer zu explizieren - produktiv ins Spiel zu bringen. Ähnlich wäre hier zu fragen: Wie kann die Unterschiedlichkeit genutzt werden? Der im herkömmlichen Management waltende Archetyp "Krieger/Kämpfer" ist schon durch andere besetzt. Das müssen Behinderte nicht auch noch bedienen. Außerdem ist dieser Führungstyp mit Verlaub ein wenig veraltet und bedarf mindestens der Ergänzung.
Allgemein gesprochen: Es geht nicht (nur) um Kompensation von Defiziten, sondern darum zu erkunden, worin Vorteile liegen könnten.
Behinderung bietet die einmalige Chance, sich das Spiel von außen anzusehen und ggf. zu entscheiden: Ich kann in bestimmten Bereichen ohnehin nicht mithalten. Daher spare ich meine Kräfte und erspare mir Verletzungen. Denn das Gefühl, mithalten zu müssen, das auch Nichtbehinderte haben - ohne dass das näher spezifiziert ist -, führt zu einer ständigen Anstrengung, die doch nicht zum Erfolg führt. Irgendjemand ist immer besser, reicher, jünger, schöner, erfolgreicher. Die Konsequenzen reichen u.a. von Stress zu Burn-out und Depression.
In meinem Coaching haben sich folgende Fragen bewährt:
- Wann, wo, bei wem, wie "muss" ich mithalten? Machen Sie es spezifisch!
- Müssen Sie oder glauben Sie nur, dass Sie müssen?
- Oder wollen Sie einfach?
- Können Sie das überhaupt?
- Liegt das tatsächlich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten?
- Machen Sie Ihren Selbstwert davon abhängig, was Sie tun, wie andere Sie wahrnehmen, oder können Sie damit zufrieden sein, zu sein?
- Ist es wirklich wichtig, "länger, härter, konsequenter" zu arbeiten, um Ihr Ziel zu erreichen oder ist das nur ein übernommener Glaubenssatz?
- Welche anderen Strategien könnten Sie einsetzen?
- Welche Vorteile bringt die Behinderung möglicherweise mit sich?
Beispiel Kommunikation
Für viele ist es heute ein großes Problem, andere Menschen kennen zu lernen. Die Angst davor, jemanden anzusprechen - erst recht jemanden, den man attraktiv findet -, ist Gegenstand vieler Ratgeber. Immer wieder liest und hört man, dass die erste Kontaktaufnahme zwischen Menschen über die Augen läuft. Man schaut jemanden an und ersieht am Blick des anderen, ob Interesse an einer Kontaktaufnahme besteht oder nicht. Ist die Rückmeldung positiv, spricht man die betreffende Person an. Ist sie negativ, lässt man es besser und erspart sich eine verbale Zurückweisung. Die Kommunikation über den Blickkontakt reicht vom scheuen ersten Blick bis zum offenen Flirt quer durch den Raum. Als blinder, aber auch als sehbehinderter Mensch kann man bei dem Spiel nicht wirklich mitspielen! Bei aller Anstrengung der Restsehkraft gelingt es dennoch schwer. Es führt eher zu Verkrampfungen, Missverständnissen und im schlimmsten Fall bei der anderen Person zum Gefühl, angestarrt zu werden: genau das Gegenteil dessen, was man erreichen will! Auch umgekehrt löst man womöglich Enttäuschung, Irritation o.ä. aus, da man auf die positiven visuellen Signale, die in die eigene Richtung gesendet werden, nicht reagiert!
Das ist eines der vielen Szenarien, in denen man merkt: Da kann ich nicht mithalten! Das kann eine sehr schmerzliche Erkenntnis sein, und es ist wichtig, sich das einzugestehen und sich Zeit und Unterstützung zu nehmen, um das zu verarbeiten.
Erst dann ist der zweite Schritt sinnvoll. Wenn man in einem bestimmten Kontext nicht mithalten kann, egal wie lange, hart und konsequent man es versucht, dann muss man etwas anders, etwas ganz anderes machen.
Wie wäre es, wenn genau dieses "Defizit" ein Vorteil wäre? Können Sie sich vorstellen, dass die Unfähigkeit, den "normalen" Weg der Kontaktaufnahme gehen zu können, dazu verhelfen kann, schneller und leichter Kontakte zu knüpfen? Unmöglich? Nicht unbedingt!
Zwei Erfahrungsbeispiele:
Ich erinnere mich, wie ich mit einem erblindeten Bekannten eine große Veranstaltung besuchte, auf der wir bestimmte Personen kontaktieren wollten. Beim näheren Herankommen stellte ich oftmals fest, dass die betreffende Person in ein Gespräch vertieft war und die Gruppe sich körpersprachlich nach außen hin abgrenzte. Eigentlich ist das ein klares nonverbales Signal: Wir bleiben unter uns! Normalerweise unterlässt man in diesem Fall besser den Kontaktversuch. Mein blinder Begleiter jedoch hatte diese Information nicht. Noch bevor ich ihm sagen konnte, dass es vielleicht ungünstig sei, hatte er sich freundlich charmant dazwischengedrängelt, sich kurz entschuldigt, um dann auf sein Thema zu kommen. Wir hatten den Kontakt: schnell, mühelos und effektiv. Keiner war pikiert, denn der Mann konnte nicht wissen, was die Gruppe wahrscheinlich auch nur unbewusst und nur für geschulte Augen wahrnehmbar kommunizierte: Bitte nicht stören.
Etwas nicht sehen zu können - im Geschäft, auf der Straße etc.-, stellt die perfekte "Ausrede" dar, jemanden anzusprechen. Dann kann man sich sogar eine Person aussuchen, die man besonders sympathisch findet! Es wird einem etwas gezeigt, erklärt, geholfen - und so kommt man ins Gespräch! Die Kunst besteht dann darin, möglichst wenig über das Thema Behinderung zu sprechen, sondern das Gespräch durch Fragen zügig auf etwas viel Interessanteres zu lenken. Das ist meist der andere Mensch selbst. Manchmal kommt man sogar mit Menschen in Kontakt, die eigentlich mit niemandem in Kontakt kommen wollen! Das merkt man aber erst dann, wenn sie die Ohrstöpsel herausnehmen - die man nicht gesehen hatte - und meist sehr freundlich antworten.
Wenn man es wagt, Behinderung als Verbündeten statt ausschließlich als Defizit zu betrachten, könnte man so schlau wie der Igel werden, der den Hasen ausgerechnet beim Wettrennen besiegt: Nicht, weil er schneller, härter und konsequenter ist, sondern einfach - cleverer!
Zum Autor
Dr. Klaus-Peter Pfeiffer studierte Philosophie, Vergleichende Religionswissenschaft und Theologie. Promotion in Philosophie über die Sinnfrage. Seit 1997 ist er selbstständig als Kommunikationstrainer & Coach. In der Durchführung und Konzeption von Seminaren, Workshops und Einzel- und Teamcoachings integriert er vielfältige Konzepte und Innovationen aus unterschiedlichen Bereichen (Wissenschaft, Psychologie, Kunst, Spiritualität). Ein spezielles Angebot richtet sich an die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung im Bereich Kommunikation und Selbstmanagement.
Beunruhigend starker Anstieg der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Akademiker - ZAV muss reformiert werden
Landauf, landab war bisher die vorherrschende Vorstellung, dass mit einem akademischen Abschluss der Eintritt ins Berufsleben leichter sei. So sahen wir es auch für blinde und sehbehinderte Bewerber. Harte und ausdauernde Arbeit in Studium und Ausbildung würde ihre Früchte tragen. Hier sind - jedenfalls derzeit - gewisse Zweifel angebracht.
Erschreckende Zahlen
Unter dem Titel "Erfolgreiche Inklusion - Rückblick und Ausblick" führte die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) am 4. Dezember 2013 in Bonn ein Fachtreffen für Experten und Arbeitgeber zum Thema berufliche Inklusion behinderter Menschen durch. Ziel der Veranstaltung war, Ideen zu entwickeln, um im ersten Arbeitsmarkt noch mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen zu erschließen (so die Pressemitteilung der ZAV vom selben Tag). Weiter heißt es dort:
"Während sich der Arbeitsmarkt insgesamt positiv entwickelt, stagniert die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen. Die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Akademiker hat in den vergangenen drei Jahren sogar erheblich zugenommen", sagte Monika Varnhagen, Direktorin der ZAV. Genaueres erfuhren die erstaunten Teilnehmer von Torsten Prenner, dem Koordinator des "Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker". Er führte unter anderem aus: Der positiven Entwicklung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (Rückgang der Arbeitslosigkeit um 12 Prozent innerhalb der vergangenen drei Jahre auf 2,85 Millionen arbeitslose Menschen) steht im gleichen Zeitraum die Stagnation der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen (175.357 im September 2010, 176.911 im September 2013) gegenüber. Was tiefe Betroffenheit bei den Zuhörern hinterließ, war die Aussage Prenners, in diesem Zeitraum sei die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Akademiker deutlich, nämlich um 22 Prozent auf 7.553 Betroffene angestiegen - dies während einer dreijährigen wirtschaftlichen Aufschwungphase.
Mögliche Ursachen
Auf der Seite der Bewerber betonte Prenner, abgesehen von behinderungsbedingten Einschränkungen, als Besonderheiten:
- Die Altersstruktur (58% der schwerbehinderten arbeitslosen Menschen sind über 50 Jahre alt; bei schwerbehinderten Akademikern/innen 66%),
- Die Studiendauer einiger Bewerber,
- Fehlende Auslandserfahrung/fehlende Praktika und Langzeitarbeitslosigkeit/berufliche Entfremdung.
Auf Arbeitgeberseite stellte er neben dem allgemeinen Einstellungsverhalten, Unsicherheiten und Vorbehalte gegenüber der Beschäftigung schwerbehinderter Akademiker, folgende gewichtige Gründe heraus:
Komplizierte, unübersichtliche rechtliche Rahmenbedingungen, Förderstrukturen und Zuständigkeiten, denen sich der eigentlich einstellungsbereite Arbeitgeber gegenübersieht, lange Vorlauf- und Bearbeitungszeiten, die die Einstellung unnötig hinauszögern. Sie führen leider häufig auch dazu, dass z.B. die Arbeitsplatzausstattung eines blinden oder hochgradig sehbehinderten Akademikers nicht zum Beginn der Beschäftigung, sondern erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung zur Verfügung steht. Solche Gegebenheiten sind weder dem Arbeitgeber noch dem eingestellten Arbeitnehmer zuzumuten. Und nicht zuletzt oft fehlende kompetente Beratung und Unterstützung sowie Nichtvorhandensein eines Lotsen, der eigentlich einstellungswillige Arbeitgeber vor Ort unterstützt, um mit dem "Vorschriftendschungel" zurechtzukommen.
All das sind sicherlich wichtige Faktoren. Sie machen auch die Arbeit der Vermittlungsfachleute in der ZAV und anderswo nicht eben leicht. Allerdings sind diese Probleme nicht neu und können daher den eklatanten Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgerechnet schwerbehinderter Akademiker nicht hinreichend erklären (1). Zumal gleich zwei Trends in die entgegengesetzte Richtung weisen. Dies sind: Das Wirtschaftswachstum, also der Aufschwung im betrachteten Zeitraum und die demographische Wende. Beide bewirken, dies wird laufend betont, wachsenden Fachkräftemangel und müssten auch die Vermittlungschancen hoch qualifizierter schwerbehinderter Menschen verbessern.
Verfehlte Reform
Der DVBS hat eine lange Tradition positiver Zusammenarbeit mit der ZAV (Vermittlung und Beratung schwerbehinderter Akademiker). Über Jahrzehnte verfolgt er aufmerksam die Vermittlungsbemühungen und -erfolge dieser Einrichtung. Aus unserer Sicht sind die organisatorischen Rahmenbedingungen seit 2009 nicht geeignet, um die dort tätigen Fachleute erfolgreich arbeiten zu lassen. Um es unmissverständlich klarzustellen: Die vier dort tätigen Vermittler/innen tun ihr Möglichstes - an ihrem Engagement ist nicht zu zweifeln, aber sie haben nicht die Rahmenbedingungen, unter denen sie optimal arbeiten können. Warum ist das so?
Bis 2006 war die "alte ZAV" jahrzehntelang für unseren Personenkreis in aller Regel zur vollen Zufriedenheit tätig und erhielt in Kundenbefragungen beste Bewertungen - weit über dem Durchschnitt der BA allgemein. Sie legte den Schwerpunkt auf die individuelle Bewerberbetreuung und suchte gezielt nach geeigneten Beschäftigungsmöglichkeiten. Ihr stand ein eigenes Budget zur Verfügung, um arbeitsmarktpolitische Instrumente einsetzen zu können, z.B. Eingliederungszuschüsse oder Probebeschäftigungen. Außerdem wurde die behinderungsgerechte Arbeitsplatzausstattung von der ZAV gesteuert und direkt finanziert. Die vier dort tätigen Beratungs- und Vermittlungsfachkräfte hatten somit Rahmenbedingungen, unter denen sie effektiv und erfolgreich tätig sein konnten. Die Vermittlungsstelle trug wesentlich zum Gesamtergebnis der ZAV bei.
Nachdem der Versuch, die Arbeitsvermittlung und -beratung schwerbehinderter Akademiker zu dezentralisieren, d. h. vollständig in die Agenturen für Arbeit und in die nach SGB II neu gegründeten "Grundsicherungsbehörden für Arbeitsuchende" zu verlagern, als gescheitert gelten konnte, wurde 2009 die Vermittlung schwerbehinderter Akademiker "weiterentwickelt" (so lautete die damalige Presseerklärung der BA).
Konstruktionsfehler
Die "neue ZAV" trug längere Zeit die Bezeichnung "Vermittlungsstelle für besonders betroffene schwerbehinderte Akademiker". Nunmehr firmiert sie unter "Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker". Diese Bezeichnung ist korrekt, denn sie entspricht der Einordnung der Einrichtung in die Organisation der BA. Diese Einordnung jedoch hat Schwächen und Nachteile, die unseres Erachtens wesentlich dazu beitragen, dass die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Akademiker seit 2010 um 22 Prozent angestiegen ist. Was ist hier ausschlaggebend?
Arbeitgeberorientierung und fehlendes eigenes Budget
Die "neue ZAV" ist nicht gleichermaßen auf beiden Seiten des Arbeitsmarktes tätig, vielmehr betreut sie in erster Linie Arbeitgeber mit dem Ziel der Vermittlung schwerbehinderter Akademiker auf vorhandene oder von ihr eingeworbene Stellen. Diese Tätigkeiten werden im Controlling der BA honoriert; daran werden die Vermittler gemessen. Die Vermittlungsstelle kann nicht in der Weise wie die "alte ZAV" die Bewerber betreuen. Wer also betreut denn die Bewerber?
Der Weg zur "neuen ZAV" führt über die bewerberorientierten Vermittler der örtlich zuständigen Agenturen für Arbeit (AA); auch dort ist die Arbeitsvermittlung in eine bewerberorientierte und einen Arbeitgeberservice (AGS) aufgeteilt. Der letztgenannte ist der Herr des Vermittlungsverfahrens. Im Fall schwerbehinderter Akademiker wird die "neue ZAV" eingeschaltet, indem die örtliche bewerberorientierte Arbeitsvermittlung ihre Beratungsunterlagen an die "neue ZAV" weiterleitet. Persönliches Kennenlernen und Beratung der Bewerber ist als reguläre Dienstleistung der "neuen ZAV" nicht vorgesehen. Es ist fraglich, ob man allgemein Akademiker im Arbeitgeberservice nach der Papierform vermitteln kann, bei schwer- und insbesondere schwerstbehinderten Akademikern erscheint es uns ausgeschlossen. Tatsächlich führen die Vermittler/innen der "neuen ZAV" Beratungsgespräche mit Bewerbern in der Regel höchstens telefonisch oder stellen ihr Angebot in Gruppenveranstaltungen vor, weil man anders meist überhaupt nicht vermitteln kann. Im Controlling der BA wird das jedoch nicht berücksichtigt. Gute, Erfolg versprechende Arbeitsbedingungen sehen anders aus.
Die "neue ZAV" verfügt nicht mehr über ein eigenes Budget zur Unterstützung der Vermittlung. Sie ist vielmehr gezwungen, sich mit den örtlich zuständigen Dienststellen abzustimmen, um den Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente finanzieren zu können. Dies kostet zum einen viel Zeit und macht viel Arbeit. Durch die örtliche Budgetzuständigkeit werden zum anderen gleiche Fälle höchst ungleich behandelt, denn die "neue ZAV" operiert auf dem nationalen, zuweilen auch internationalen, nicht dem regionalen Arbeitsmarkt. Seit kürzlich der "operative Service" in der BA eingeführt worden ist, sind örtliche Beratung und Sachbearbeitung räumlich getrennt. Dadurch drohen die Abläufe noch komplizierter und zeitraubender zu werden.
Probleme durch Hartz IV
Seit 2005 sind für arbeitslose Bewerber, die auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind und keinen Arbeitslosengeld-Anspruch haben, nach dem SGB II die Grundsicherungsbehörden für Beratung und Vermittlung zuständig. Dies ist regelmäßig die Situation schwerbehinderter Hochschulabsolventen und auch des Großteils der blinden und sehbehinderten Bewerber. Diese sogenannten Jobcenter weisen seit 2009 zwei unterschiedliche Organisationsformen auf:
- Die "gemeinsamen Einrichtungen" (gE) werden von BA und Gebietskörperschaften gemeinsam getragen und betrieben.
- Die "zugelassenen kommunalen Träger" (zkT), auch Optionskommunen genannt, betreiben das Beratungs- und Vermittlungsgeschäft ohne die BA, gewissermaßen in Konkurrenz zu ihr.
Da die Jobcenter von der BA unterschiedliche Einrichtungen sind, ist in allen Fällen die Zusammenarbeit der "neuen ZAV" mit ihnen schwieriger als mit den Agenturen für Arbeit. Während diese über spezielle Beratungs- und Vermittlungsstellen - sogenannte SB-Stellen - verfügen (§ 104 (4) SGB IX), ist dies in den Jobcentern durchaus nicht gewährleistet. Für die gE existiert die Empfehlung, entsprechend zu handeln. Für die zkT gibt es keinerlei zentrale Regelungen dieser Art. (Jedes vierte Jobcenter in Deutschland firmiert in der Form der zkT.)
Erleichternd ist es bei den gE, dass sie dieselben IT-Plattformen nutzen wie die Dienststellen der BA. Allerdings ist nach vielfachen Aussagen unserer Mitglieder die "neue ZAV" in den gE selbst zumeist nicht bekannt. Der Bewerber muss oft auf deren Existenz hinweisen und die Mitführung verlangen. Es ist alles andere als gesichert, dass dabei aussagekräftige Beratungsunterlagen übermittelt werden. Auch die Vereinbarung über den Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente gestaltet sich schwierig, zum einen wegen der unterschiedlichen Organisation und Infrastruktur der gE, zum anderen mangels Verständnis für die Problemlagen. (So ist mehrfach Eingliederungszuschuss für die Vermittlung von schwerstbehinderten Bewerbern abgelehnt oder in einer Höhe zugestanden worden, die Erfolg versprechende Vermittlungsbemühungen ausschließen).
Völlig desolat sieht zumeist die Kooperation zwischen optierenden Kommunen (zkT) und der "neuen ZAV" aus. Bis auf wenige löbliche Ausnahmen (dort ist i.d.R. ehemaliges Fachpersonal der BA beschäftigt) ist die "neue ZAV" in diesen Einrichtungen unbekannt. Bewerber müssen fast immer eigeninitiativ den Weg zur "neuen ZAV" finden - via Brief, Mail oder Telefon und ggf. Jobbörse der BA. Häufig fehlt verwertbares Beratungsmaterial, auf das der Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker aufsetzen könnte. Einigungen über den Einsatz finanzieller Leistungen zur Vermittlung sind hier i.d.R. noch schwieriger.
Ob und wie die Kooperation der örtlichen Ebene mit der "neuen ZAV" funktioniert, hängt also vom Zufall des anzuwendenden Rechtskreises, darüber hinaus des Wohnsitzes des Bewerbers ab! Ist dies mit dem Benachteiligungsverbot nach Art. 3 GG, dem Gleichheitsgrundsatz, nicht zuletzt der UN-BRK vereinbar?
Es ist unübersehbar: Während das fehlende Budget der "neuen ZAV" im engeren Rahmen der BA-Dienststellen noch notdürftig überwunden werden kann, wenngleich es auch hier Zeit und Kraft kostet und Platzierungschancen vergeben werden, ist diese Gestaltung in Zusammenarbeit mit den Jobcentern völlig obsolet. Die vier Berater der "alten ZAV" konnten ihre Zeit und Kraft in weit größerem Umfang zur Beratung und Vermittlung nutzen, die vier der "neuen ZAV" sind weitaus mehr mit Routine-, Verwaltungsaufgaben und Kontaktnahmen zu den Agenturen für Arbeit und Jobcentern beschäftigt.
Was ist zu tun?
- Die besondere Vermittlungsstelle muss wieder gleichermaßen für beide Marktseiten - Bewerber und Stellenanbieter - tätig sein.
- Für effektive Arbeit dieser besonderen Vermittlungsstelle ist die Einrichtung eines eigenen Budgets unabdingbar, dies insbes. im Zusammenhang mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II.
- Angesichts von derzeit 7.553 arbeitslosen schwerbehinderten Akademikern muss die Zahl der Vermittlungsfachleute erheblich vermehrt werden. Rein rechnerisch betreut jede der vier Fachkräfte in der "neuen ZAV" fast 1.900 Bewerber.
- Der richtige Weg für erfolgreiche Vermittlung schwerbehinderter Akademiker ist, die Bewerber intensiv zu kennen, ihre persönlichen, beruflichen und behinderungsbedingten Strukturen im Sinne von Ressourcenerhebung, Empowerment und Kompetenzermittlung zu erkennen und sie mit diesem Hintergrundwissen für Stellen vorzuschlagen, in denen sie aller Voraussicht nach erfolgreich tätig sein werden. Diese Stellen finden sich oftmals nicht ohne weiteres im Stellenpool des Arbeitgeberservices. Vielmehr bedarf es kreativer Vorgehensweisen, Kontaktpflege und Netzwerkarbeit, um solche Arbeitsplätze aufzutun. Kernelemente hierfür sind Empowerment und Coaching einerseits sowie Anreize für die Arbeitsvermittler andererseits.
Es muss sich für Arbeitsvermittler lohnen,
- sich mit den Bewerbern zu beschäftigen, ihre Ressourcen kennen zu lernen, um sie verwerten zu können,
- die Bewerber zur Eigenaktivität anzuregen, ihre Kreativkräfte zu nutzen, sie zu Initiativbewerbungen zu motivieren (Empowerment) sowie
- Netzwerkarbeit zu betreiben und bei den Bewerbern anzuregen.
Nur unter diesen Rahmenbedingungen kann ein (ganzheitlich tätiger) Arbeitsvermittler dem interessierten Arbeitgeber verlässlich Auskünfte erteilen darüber, dass
- behinderte Bewerber völlig unterschiedliche Ressourcen mitbringen, unabhängig von Art und Intensität der Behinderungen,
- sie in der Lage sind, betriebliche Probleme zu lösen, statt (behinderungsbedingt) Probleme zu machen, und
- sie über hinreichende Arbeitstechniken verfügen und die notwendigen Hilfsmittel (Arbeitsplatzausstattung, Assistenz usw.) selbst beschaffen können, da sie über das Know-how verfügen, wie man diese Aufgaben z. B. im Benehmen mit den Rehaträgern löst.
Die BA betont immer wieder, wie wichtig ihr die Inklusion behinderter Menschen ist. Gleichzeitig bieten schwerbehinderte Akademiker/innen ein hohes Fachkräftepotential. Jetzt ist es an der BA, die richtigen Rahmenbedingungen zur Vermittlung dieses Potentials zu schaffen!
(1) Im betrachteten Zeitraum ist die Arbeitslosigkeit von Akademikern insgesamt gestiegen, wenngleich nur halb so stark wie die der schwerbehinderten Akademiker. Da die Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Menschen ein konjunktureller Spätindikator ist aufgrund des besonderen Kündigungsschutzes, kann der Anstieg der allgemeinen Akademikerarbeitslosigkeit kaum als Begründung derjenigen der schwerbehinderten Akademiker herangezogen werden.
Zum Autor
Dr. Heinz Willi Bach ist zweiter Vorsitzender des DVBS. Der Diplom-Volkswirt war viele Jahre Dozent an der Fachhochschule des Bundes in Mannheim und vertrat die Fachgebiete Volkswirtschaftslehre, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsvermittlung. Zuvor war er zehn Jahre in der Praxis der öffentlichen Arbeitsvermittlung tätig. 2009 wurde er wissenschaftlicher Oberrat beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Anschließend führte er an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit ein zweijähriges empirisches Forschungsprojekt durch. Dr. Bach gehörte dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales an, der die Gestaltung des Teilhabeberichts der Bundesregierung wissenschaftlich begleitete. Derzeit ist er beratend an der "Vorstudie für eine Repräsentativ-Befragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen" beteiligt. Er nahm ca. 12 Jahre die Aufgabe der Vertretung der schwerbehinderten Beschäftigten und Studierenden an der Hochschule wahr.
Talente-Karussell: Organisation, Flexibilität und Gelassenheit
Alltag einer berufstätigen Mutter
Als ich gefragt wurde, über den Alltag einer berufstätigen Mutter zu berichten, habe ich spontan zugesagt. Doch dann überlegte ich: Was kannst Du schreiben? Was interessiert die Leser? Ich selbst betrachte mich, meine Arbeit und unsere familiäre Situation als ganz normal. Gut, dass wir fünf Kinder im Alter zwischen 16 und 26 Jahren haben, entspricht nicht ganz der Norm. Aber berufstätige blinde Mütter gibt es einige. Ich sehe meine Situation auch nicht als problematisch an. Ich stehe meine Frau in Alltag und Beruf wie andere auch, lebe und handle zielorientiert. Tauchen Schwierigkeiten oder Hindernisse auf, gilt es diese zu lösen. Also, was unterscheidet meinen Alltag vom Alltag einer sehenden berufstätigen Mutter?
Organisation
Wie in jeder größeren Familie können die Aufgaben im Haushalt nicht nur von einer Person bewältigt werden. Berufstätigkeit, Schule und Studium zwingen der Familie Rahmenbedingungen auf, die im Alltag berücksichtigt werden müssen. Wer kümmert sich um was? Sind Regelungen allgemein gültig oder müssen sie flexibel gehandhabt werden? Die Absprachen und damit die Aufgaben sollten in den täglichen Ablauf passen und effizient erledigt werden können.
Damit Absprachen möglich sind, müssen zeitliche Rahmenbedingungen bekannt sein. Das alleine grenzt manchmal an eine logistische Meisterleistung. Mein Mann - tätig im IT-Bereich - und ich - eingebunden als Consultant und Testerin im IT-Bereich sowie in der Projektkoordination - haben planbare und flexible Arbeitszeiten. Unseren studierenden Kindern geht es ähnlich. Sie müssen Gruppenarbeiten erstellen, Lerngruppen bilden und für Prüfungen lernen. Die Präsenzzeiten schwanken von null bis zu zwölf Stunden pro Tag. Den Schülern wird heute ebenfalls ein hoher Lernaufwand abverlangt. Mit diesen zeitlichen Komponenten ist die Fülle der täglichen Aufgaben und möglichst auch die Vorliebe zu diesen Aufgaben zu vereinen, damit der Familienalltag hoffentlich reibungslos klappt.
Die Koordination liegt bei mir. Ich manage unseren kleinen Familienbetrieb. Ich lege fest, welche Aufgaben fest vergeben werden können und welche bedarfsorientiert an die zeitlichen Vorgaben des Jeweiligen angepasst werden müssen. Nur wenige Aufgaben - etwa Spülmaschine ausräumen - sind Selbstläufer. Einige - Müllentsorgung - sind fest zugeordnet. Die allermeisten müssen abgesprochen werden. Das betrifft vor allem den Einkauf. Wer zur richtigen Tageszeit am passenden Laden vorbeikommt, wird beauftragt.
Die beschriebene Situation trifft auf sehr viele Familien zu. Der Unterschied liegt im Detail. Ich muss viel genauer planen. Fehleinschätzungen führen zu weit größeren Auswirkungen und haben meist mehr Konsequenzen als in Familien mit sehenden Müttern. Will ich z.B. einen Kuchen für einen Geburtstag backen und das Backpulver ist ausgegangen, benötige ich für den Einkauf ca. 45 Minuten. Setzt sich mein Mann aufs Fahrrad, ist es in der Hälfte der Zeit erledigt, mit dem Auto noch schneller. Um derartige Pannen zu vermeiden, erstelle ich einen Wochenplan. Dieser deckt hauptsächlich den Einkauf und unsere Versorgung ab. Dabei müssen Exkursionen, Schulveranstaltungen oder Dienstreisen berücksichtigt werden. Durch die sich ständig ändernden Bedingungen benötige ich für die Zusammenstellung viel Zeit, der damit abgedeckte Wochenablauf gestaltet sich aber wesentlich entspannter. Zum einen hängt der digital erstellte Plan ausgedruckt in der Küche und zum anderen muss ich während der Woche nicht lange überlegen, was ansteht. Ich schaue in den Plan. Genauer gesagt, in die Datei auf meinem Laptop. Noch vor wenigen Jahren habe ich es für unmöglich gehalten, dass ein Laptop samt Braillezeile in meiner Küche steht. Oft muss ich aber schon gar nicht mehr nachschauen, da ich mir während der Planung vieles eingeprägt habe.
Für die Planung bin ich auf Zuarbeit angewiesen. Weiß ich nichts vom Elternabend, kann ich das auch nicht einplanen. Für den Alltag müssen wichtige Termine kommuniziert werden. Das gilt auch für mich selbst. Es nützt nichts, wenn ich einplane, dass ich einen Kundentermin spät abends habe oder zu einer Wochenendveranstaltung verreise, ich muss es den Anderen mitteilen. In vielen Familien gibt es dafür eine Pinnwand. Die gibt es bei uns auch, doch ich kann diese Art der Kommunikation kaum nutzen. Zum Nachschauen - für mich Nachschauen lassen - und Weitergeben von Dokumenten - z.B. Monatsfahrkarten - ist eine Pinnwand ganz praktisch, das Meiste muss aber verbal kommuniziert oder digital weitergegeben werden. Hier sollten Informationen möglichst konkret, eindeutig und vollständig sowie zu einem günstigen Zeitpunkt erfolgen, sonst besteht die Gefahr, dass sie untergehen. Für meinen Mann und mich hat sich die Weitergabe von Informationen per E-Mail als effizient erwiesen. Solange Smartphone, PC und Co. verfügbar sind, kann jederzeit darauf zurückgegriffen werden, dank assistiver Technologie auch von mir. Inzwischen sind in diese Art von Kommunikation auch die Kinder mit einbezogen. Sie ersetzt aber nicht die verbale Kommunikation.
Diese Situation ist ein dynamischer Prozess, der sich ständig verändert: Unsere Kinder sind älter geworden, meine Wochenarbeitszeit hat sich erhöht, die technischen Möglichkeiten haben sich weiterentwickelt, mobile Anwendungen sind auch für mich nutzbar geworden. Wir als technikaffine Familie haben diesen Weg gewählt. Schon eine andere familiäre Situation erfordert andere Strategien. Tagesmütter oder Au-pair-Mädchen könnten z.B. für andere Familien mit kleineren Kindern hilfreich sein. Ganz allgemein kann der Familienalltag durch Haushaltshilfen entlastet werden, das gilt auch für Familien mit blinden Müttern, da doch manche Aufgaben mit erhöhtem Aufwand erledigt werden müssen.
Flexibilität
In meinem Betrieb gilt das Modell der flexiblen Vertrauensarbeitszeit. Wir haben keine Kernarbeitszeiten, im Prinzip können wir kommen und gehen, wann wir wollen. Das erste Ziel bleibt, die anstehende Arbeit effizient, effektiv und zufriedenstellend zu erledigen. Müssen Prüfberichte oder Präsentationen termingerecht erstellt werden, verweile ich länger im Büro; ziehen Termine sich in den Abend hinein, bleibe ich ebenfalls dort. Solche Situationen sind noch vorhersehbar, funktioniert die Kommunikation aber nicht richtig, wird es interessanter. Solche Aussagen wie: "Morgen kommen Kunden ... Du bist doch da?" können eine Planung durcheinanderwerfen.
Große Auswirkungen auf den Familienalltag haben mehrtägige Dienstreisen. Als Kopf und Organisatorin bin ich dann nicht verfügbar. Das heißt nicht, dass es ohne mich nicht geht, da ich aber den Alltag normalerweise am Laufen halte, bereite ich meine Abwesenheit in der Regel gut vor. Dann müssen mehr Aufgaben im Haushalt von meinen Kindern oder meinem Mann übernommen werden. Inzwischen sind die Kinder aber so groß, dass dies problemlos möglich ist und sie sind auch dazu bereit. Ich vertraue darauf, dass der Alltag auch ohne mich weiterläuft und das tut er. Bei unvorhergesehenen Widrigkeiten muss eben reagiert und umgeplant werden. Sollte eine Absprache mit mir erforderlich werden, bietet die Technik eine schnelle und einfache Kontaktaufnahme.
Flexible Arbeitszeit bringt viele Vorteile mit sich. Ich kann Arzt- oder Frisörbesuche so planen, dass ich z.B. zeitnah einen Termin bekomme. Ich habe so sogar die Möglichkeit, ganze Tage durch Überstunden auszugleichen, um Freunde oder Verwandte über ein verlängertes Wochenende zu besuchen oder mich in Seminaren und Sitzungen der Selbsthilfe zu engagieren.
Im häuslichen Bereich ist noch mehr Flexibilität erforderlich. Es gibt zwar einige feste Strukturen oder Abläufe, aber sie sind weit weniger strikt als Prozessabläufe in einem Betrieb. Bei fünf Kindern hat Schule unseren Alltag über viele Jahre geprägt. Informationen müssen ausgetauscht werden, früher über das "Mutti-Heft" oder Telefonlisten, heute über Ausdrucke und zunehmend per E-Mail. Diese Chance habe ich genutzt und mit Lehrern oder Eltern Kontakt aufgenommen, um Informationen in digitaler Form zu erhalten, und zwar in einer Form, die ich auch lesen kann. Eine eingescannte Klassenliste oder Terminübersicht ist für mich nutzlos. Also habe ich kommuniziert, in welchen Formaten ich Informationen lesen kann. Meist sind die Angesprochenen auf meine Wünsche offen eingegangen. Diese Vorgehensweise ist manchmal zeitaufwändig und anstrengend, zahlt sich für die weitere Kommunikation aber aus.
Außerdem muss ich nicht alles alleine erledigen. Ich halte es für sinnvoll, Aufgaben so zu verteilen, dass jeder seine Fähigkeiten einbringen kann. Ich muss nicht unbedingt Socken sortieren - man bedenke, sieben mal sieben Paar pro Woche. Das kann jemand, der Farben sieht, deutlich schneller. Ich bügle dafür gerne. Solange wir Verteilung und Erledigung flexibel handhaben, klappt das relativ gut. Klappt es mal nicht, sind die Konsequenzen deutlich sichtbar. Und ganz nebenbei lernen unsere Kinder dadurch auch eigenverantwortlich zu handeln.
Unser Zusammenleben basiert auf Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung. Selbstverständlich lesen meine Kinder mir mal etwas z.B. aus dem Kochbuch vor. Ich profitiere auch beim Einkauf mit meinem Mann davon, dass er die Waren sieht sowie Preise und Inhaltsstoffe lesen kann. Ich habe aber versucht, diese Unterstützung nie auszunutzen. Wie oft habe ich den Satz schon gehört: "Deine Kinder sind jetzt schon groß, dann können sie Dir helfen." Ja, sie helfen mit, wenn es passt oder wenn sie Lust dazu haben, weil wir zusammenleben. Sie helfen aber nicht mit, weil ich blind bin. Wenn ich tatsächlich Assistenz benötige, kann und muss ich Unterstützung organisieren.
Gelassenheit
Das hört sich jetzt alles ganz einfach an, ist aber das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung. Ich kann auf Erfahrungen unterschiedlicher Arbeitgeber zurückblicken, habe mich seit einigen Jahren in der Selbsthilfe engagiert und durfte mich über viele Jahre im Familienleben üben. Wie jede andere junge Mutter musste auch ich Erfahrungen sammeln. Spätestens mit der wachsenden Mobilität eines jeden Kindes musste ich mich neuen Herausforderungen stellen. Beim Krabbeln und Fahrrad fahren, auf dem Spielplatz und im Straßenverkehr musste ich eine gesunde Mischung zwischen Vertrauen und Verantwortung entwickeln. Die Kontrolle von Hausaufgaben und Unterstützung der Kinder von der Grundschule bis ins Gymnasium stellte wieder andere Anforderungen an mich. Gleich, welchen Bereich des Familienlebens ich herausnehme, ich musste in die jeweiligen Situationen hineinwachsen. Und da selten alles wie geplant abläuft, durfte ich mich über viele Jahre darin üben, gelassen zu reagieren. Auch in meinem Berufsleben durfte ich viele Veränderungen durchleben.
Arbeitgeberwechsel durch Umzug, Insolvenz und Zeitverträge brachten neue Erfahrungen mit sich und verlangten von mir, mich umzustellen und neu einzuarbeiten. Alle Fähigkeiten zusammen, Organisation, Flexibilität und Gelassenheit ermöglichen es mir, Beruf und Familie zu kombinieren. Dabei wirkt sich meine Blindheit zwar auf unser Zusammenleben aus und beeinflusst mein und unser Handeln, spielt aber keine übergeordnete Rolle.
Zur Autorin
Ursula Weber lebt mit ihrer Familie in Dresden und ist Vorstandsmitglied des DVBS.
Dem Redakteur ist nix zu schwör – oder doch?
Meine Überlegungen sind nicht allgemein gültig. Sie sind eine Momentaufnahme meiner Arbeit in der Nachrichtenredaktion des Südwestrundfunks. Sie können daher auch für Berufsanfänger nur bedingt Gültigkeit haben.
Mein Volontariat hatte ich beim damaligen Süddeutschen Rundfunk im Jahr 1990 begonnen. Vorausgegangen waren eine Hospitanz und knappe zwei Jahre freier Mitarbeit. Dass ich damals recht geräuschlos als Volontär akzeptiert wurde, hatte zwei Gründe: Zum einen hatte ich mich offenbar nicht ganz dumm angestellt, zum anderen gab mir die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung zu verstehen, dass sie mich als Praktikant nicht würde unterstützen können, wohl aber als Volontär. Das genügte im Wesentlichen.
Durch meine Arbeit bei der Trierischen Tonpost hatte ich schon eine ganze Reihe von Fertigkeiten mitbekommen: So war das Bearbeiten von Tonbändern per Schere und Klebeband für mich kein Problem und das hat damals in Stuttgart richtig beeindruckt. Ansonsten war wichtig, möglichst schnell Punktschrift lesen zu können, sicher auf der Schreibmaschine zu sein und natürlich die Bereitschaft, mich mit den inhaltlichen Fragen der jeweiligen Redaktion auseinanderzusetzen. Man wurde entweder als Hörfunk- oder Fernsehvolontär eingestellt, Stationen im jeweils anderen Medium waren möglich, aber nicht vorgeschrieben und Online war noch nicht in Sicht.
Rückblickend begann mein Volontariat 1990 genau im richtigen Moment: Es gab schon EDV auf der Basis von DOS und Großrechnern, in den Redaktionen war das aber noch nicht wirklich angekommen. Audiomaterial gab es ausschließlich auf physischen Tonträgern, überwiegend also auf Tonbändern, die auf Bobbys (metallene Wickelkerne) aufgespult waren.
Ich war damals wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass ich irgendwo im Kulturbetrieb, Kirche und Gesellschaft, Schulfunk oder sonst wo eine ökologische Nische finden würde. Ans Aktuelle hatte ich nicht gedacht. In der Nachrichtenredaktion liefen die Meldungen damals noch via Fernschreiber auf langen Papierbahnen auf. Die Sekretärin (heute Redaktionsassistentin) holte die Fahnen alle halbe Stunde und zerschnitt das Papier in Einzelmeldungen. Der "Chef vom Dienst" sichtete das Material und verteilte es auf seine Zuarbeiter, die Fachredaktionen und den Papierkorb. Dies war also ein Job, den ich nie und nimmer würde machen können.
Gleichzeitig gab es ab 1989 aber Versuche, die ankommenden Agenturmeldungen in einer Datenbank zu erfassen, die auf einem Großrechner lief: VM nannte sich das Betriebssystem von IBM. Und die Anwendung selbst nannte sich "Venus". Die wenigen Kollegen, die damit arbeiten durften, hatten Terminals auf dem Schreibtisch, klobige Monitore und eine Tastatur davor. In meinen DOS-Rechner, den ich mittlerweile als Teil meiner Arbeitsplatzerstausstattung hatte, stopfte man testweise eine Irma-Karte. Die bekam über ein Koaxialkabel die Daten vom Großrechner. Der Liebreiz der Venus bestand nun darin, dass dieser Test auf Anhieb erfolgreich war: Karte rein und angeschlossen, Rechner mit Zeile starten und Venus aufrufen. Und siehe da, was auf dem Schirm war, stand auch auf der Zeile. Da es sich um eine Großrechneranwendung handelte, war sowieso alles mit Tasten bedienbar. Innerhalb von zehn Minuten war also klar: Das wird funktionieren. Ich konnte also die Agenturen auf der Zeile lesen, sie auf den Rechner laden, mit HBS in Kurzschrift übersetzen lassen und per Punktschriftdrucker zu Papier bringen.
Damit war klar, dass ich auch in der Nachrichtenredaktion würde eingesetzt werden können. Zwar nicht als CVD, aber als der, der die Meldungen schreibt oder die Korrespondentenberichte für die Nachrichten auf die richtige Länge bringt und antextet. Die Länge der Beiträge stoppte ich übrigens über Jahre hin mit der Mutter aller Sprechuhren, der großen Sharp mit der unfreundlichen Stimme: morgens Wecker mit Luigi Boccherinis Menuett, tagsüber Stoppuhr an der Bandmaschine M15A.
Das sind keine sentimentalen Reminiszenzen nach dem Motto "Schön war die Kreidezeit, sie kommt nie wieder", die Überlegungen sind wichtig, um die Jetztzeit zu verstehen.
Die Zeit schritt fort, mit ihr die Technik und die Arbeitsverdichtung. Mittlerweile war ich eben dort gelandet, wo ich mich zunächst aus technischen Gründen nie gesehen hatte, also in der Nachrichtenredaktion Hörfunk. DOS ging und es kam Windows und auch das Tonband nahm Abschied, nicht auf einmal, nein schleichend, aber doch zügig.
Nicht nur die Agenturtexte kamen fortan in einer Datenbank an, sondern auch die Audiobeiträge. Das System hieß und heißt DIGAS. Es besteht im Kern aus einer Datenbank, die in diversen Tabellen (Schubladen oder Fächern) für die einzelnen Redaktionen die Beiträge beherbergt. Dazu gibt es dann noch mehrere Schnittmodule, je nach Erfordernis ein- oder mehrspurig. Und dann gibt es noch ein Modul, in dem Sendungen zusammengestellt werden: Alle Beiträge, Texte und Audios, die zu einer Sendung gehören, werden dort hineinkopiert und dann per Klick ins Studio verschickt.
Womit er aufgetaucht wäre, der Klick und mit ihm die Maus und ihre Schwester, die grafische Benutzeroberfläche. Die Arbeit wurde völlig anders: Machten früher die Nachrichtenredakteure während einer Schicht richtig Kilometer, weil man ständig irgendwelche überspielten Bänder abholen, schneiden und ins Sendestudio tragen musste, verlagerten sich plötzlich viele Tätigkeiten an den Schreibtisch: Das Material war einfach da, es musste nicht mehr von irgendeinem Überspielraum geholt werden. Man schnitt am Schirm, auch das Diktieren von Meldungen ging immer mehr verloren, weil man selbst in Word schrieb.
Mit der Umstellung auf Windowsprogramme gab es vor allem Probleme mit den Anwendungen, die irgendwelche Firmen für den Rundfunk selbst entwickelt hatten. DIGAS war nicht barrierefrei und ist es bis zum heutigen Tag nicht. Nur mit umfangreichen Scripts für Screenreader tun die Module von DIGAS das, was man von ihnen möchte. Und kommt ein neues Release, kann es sehr wohl sein, dass sich zwar die Oberfläche für die Kollegen kaum oder gar nicht ändert, ich selbst aber im Off sitze, weil die Programmierer kurzerhand beispielsweise die Fensterklassen neu festgesetzt haben. Sehr wichtig ist es dann, einen Screenreader-Support zu haben, der schnell reagiert. Auch der Großrechner ging irgendwann den Weg allen alten Eisens und mit ihm die Venus und die diversen Datenbanken für die Archive. Für die Agenturen und die Terminplanung kam Openmedia, ein mächtiges Programm, mit dem man unendlich viele Dinge tun kann, das aber durch und durch mit Barrieren gespickt ist. Für Openmedia gilt, was ich schon von DIGAS gesagt habe: Jede Versionsänderung führt in der Regel zu ein bis zwei Tagen Scripting.
Auch die neu zu entwickelnden Datenbanken machten mehr Mühe als gehofft, was mit daran lag, dass der Gedanke der Barrierefreiheit nicht zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung gleich priorisiert wurde.
Für den Arbeitsalltag in der Nachrichtenredaktion gibt das ein Bild mit mehreren Facetten: Ich kann jetzt Dinge tun, die ich früher nicht konnte. Das Sichten der Agenturen und damit das Setzen der Themen ist erst durch die neue Technik möglich geworden. Und auch das Schneiden geht ganz komfortabel, wenn alles funktioniert. Wenn ein Rechner bockt, können sich die sehenden Kollegen an jeden anderen Schreibtisch setzen und sie sind wieder einsatzfähig. Ich kann inzwischen nur guten Gewissens arbeiten, wenn ich mindestens zwei Rechner habe, auf denen die Systeme mit Screenreader laufen. Verließe ich mich nur auf einen Rechner, wäre das eventuell sendungsgefährdend. Dabei kommt niemand zu Schaden, aber eine ausgefallene Nachrichtensendung würde doch zu einigem Ärger führen.
Es ist aber nicht nur die Technik, die sich geändert hat und die von ihrem Nutzer immer spezielleres Wissen einfordert. In den bald 25 Jahren beim Funk hat die Arbeitsverdichtung stark zugenommen. Mehr Sendungen müssen in gleicher Zeit erstellt werden. Und der Redaktionsschluss ist nicht mehr 15 bis 20 Minuten vor der Sendung, sondern 5 bis 10 Minuten. Außerdem muss stets an mehreren Baustellen gearbeitet werden: Es muss immer sichergestellt sein, dass jemand die Agenturen im Blick hat. Dann müssen Meldungen geschrieben, Audiobeiträge geschnitten, die Sendung zusammengestellt und eventuell gekürzt werden, das Telefon klingelt und Manches mehr. Oftmals muss etwas zur Seite gelegt werden, ohne dass es in Vergessenheit geraten darf. Das macht, verbunden mit Schichtdienst, über die Jahre müde. Denn der Hauptkanal ist das Ohr. Es hört die Audios, die Sprachausgabe, die beim Sichten der Agenturen sehr schnell eingestellt ist, das Telefon und natürlich die geschätzten Kollegen - Dienstliches und soziales Rauschen gleichermaßen. Das pure Selektieren ist das, was anstrengt, nicht die jeweilige Tätigkeit für sich genommen.
Würde ich heute noch einmal ein Volontariat bekommen? Ich glaube nicht. War früher Interesse am Beruf gefragt und das eine oder andere Praktikum gern gesehen, so sind zahlreiche Arbeitsproben aus diversen Praktika heute Pflicht: Radio, Fernsehen, Online. Alle drei Medien sind Bestandteil der Ausbildung und im Fall des Südwestrundfunks mit seinen historisch gewachsenen Strukturen findet diese Ausbildung in mindestens drei Städten statt. Wenn ich als Vertrauensperson der Schwerbehinderten an den Auswahlgesprächen für die Volontäre teilnehme, frage ich mich manchmal, was die bei uns eigentlich noch lernen sollen, eigentlich will man schon fast perfekte Mitarbeiter haben.
Was heißt das jetzt? Kann ich jemandem, der im Studium steht, raten, den Journalistenberuf beim Rundfunk anzustreben? Ich würde nie abraten, zuraten kann ich aber nicht. Auf jeden Fall dann nicht, wenn jemandem erst gegen Ende des Studiums einfallen sollte, dass "irgendwas mit Medien" doch ganz nett wäre. Dann ist es zweifellos zu spät, denn die vielen Praktika müssen irgendwann und irgendwo ihren Platz finden und allein sie zu bekommen, wird viel Überzeugungskraft erfordern. Wer hartnäckig ist und arbeiten kann und wirklich weiß, dass er oder sie wirklich Journalist werden will, soll es versuchen - dann aber zielstrebig und ziemlich geradlinig, sonst kommt die Rente vor dem Erfolg.
Ich brauchte vor mehr als 20 Jahren vor allem eins - nämlich Glück. Und Glück heißt und hieß, dass Menschen, die sich etwas nicht vorstellen können, über ihren Schatten springen und eine Chance geben wider alle Erwartung. Ohne diese Türöffner geht erst recht heute gar nichts. Der schöne Beruf in einer Redaktion wird daher sicher auch künftig nur Wenigen vorbehalten bleiben.
"Das habe ich nie gewollt"
Erfahrungsbericht und Reflektion meines juristischen Werdegangs
Ich bin 45 Jahre alt, lebe in Marburg, bin verheiratet und habe zwei Kinder. Nur vorsorglich klargestellt sei, dass für meine Ehe und meine Kinder die Überschrift keine Geltung beanspruchen darf und betonen möchte ich auch, dass ich diese im Sinne von "das war so nicht geplant und ich konnte mir es auch nicht vorstellen" verstanden wissen möchte, denn mit meinem tatsächlichen Lebenslauf und meiner jetzigen Tätigkeit als Geschäftsführer der rbm gGmbH bin ich durchaus "glücklich".
Nun aber zu meinem Werdegang, wichtigen Weichenstellungen in meiner beruflichen Entwicklung und ganz besonders zu den gemachten Erfahrungen und den hieraus gewonnenen Erkenntnissen.
1.Erblindung
Ich bin mit knapp 17 Jahren, relativ überraschend und binnen kürzester Zeit aufgrund eines Glaukoms, direkt nach Abschluss der "Regelrealschule" mit der mittleren Reife erblindet. Lehrstellen, die ich in Aussicht hatte, konnte ich nicht antreten und eine Beratung beim Arbeitsamt Bielefeld ergab, dass ich eine Ausbildung in einem "typischen Blindenberuf", wie z.B. Bürstenbinder oder Masseur, antreten könne. Erst das offen gezeigte Entsetzen und die daraufhin folgende monatelange Intervention meiner Mutter förderte beim Arbeitsamt die Möglichkeit im "Vorinternetzeitalter" zu Tage, dass man in Marburg an der blista eine einjährige, sogenannte Blindentechnische Grundausbildung (BtG) durchlaufen könne und eventuell danach die Möglichkeit bestehe, am angeschlossenen Gymnasium das Abitur zu erwerben. Das war der erste und wichtigste Schritt zu meiner Behinderungsbewältigung und die Weichenstellung für mein gesamtes weiteres Leben (bis heute). Spielten schulische Leistungen und berufliche Orientierung neben z.B. meinem ausgeübten Sport (Fußball) bis zu diesem Zeitpunkt für mich eher eine untergeordnete Rolle, so lernte ich während der BtG und der darauf folgenden Schulzeit an der blista neue Fähigkeiten an mir kennen und entwickelte auch für diese Bereiche einen gewissen Ehrgeiz.
Schnell stellte sich heraus, dass ich über eine gute Auffassungsgabe für mathematische und naturwissenschaftliche Zusammenhänge verfügte und ich wählte dementsprechend meine Leistungskurse in Mathe und Physik. Die zweite Wahl forderte mich dann auch ganz, da der Physikleistungskurs an einem Regelgymnasium stattfand und sich schnell ergab, dass ich weder fachlich auf dem gleichen Stand wie meine Mitschüler war, noch meine Arbeitstechniken (insb. spezielle Punktschrift) ausreichend gefestigt waren. Mit viel Fleiß, einer sehr hohen Frusttoleranz und einer intensiven Suche nach Arbeitstechniken überstand ich diese kritische Erfahrung mit akzeptablem Ergebnis.
2. Studium/Referendariat
Mit dem Abitur in der Tasche und dem Selbstbewusstsein, auch mit Widrigkeiten umgehen und sie bewältigen zu können, nahm ich dann im Sommersemester 1991/92 das Physikstudium an der Marburger Philipps-Universität auf. Schnell stellte sich dabei heraus, dass wiederum meine Probleme mit den noch nicht ausgereiften Arbeitstechniken im Vordergrund stehen würden und für ein erfolgreiches Studium ein enormer Mehraufwand von mir zu leisten wäre. Bereits im ersten Semester stellte ich fest, dass ich zum einen nicht bereit sein würde, diesen Mehraufwand zu betreiben und dass es zum anderen mit der Juristerei einen Bereich gab, der ebenfalls meinen Interessen entsprach und auch erheblich kompatibler mit meinen vorhandenen Blindenarbeitstechniken war. Hier würde mein behinderungsbedingter Mehraufwand zu nichtbehinderten Kommilitonen auch vertretbar sein. Mithin wechselte ich zum Wintersemester "92 zum Studienfach Jura.
In den ersten Jahren besuchte ich nur wenige ausgewählte Vorlesungen, lernte mit vorhandener aufgelesener Standardliteratur und "erschlug" die von mir geforderten Studienscheine. Meinen Ehrgeiz fokussierte ich in dieser Zeit wiederum auf sportliche Aktivitäten und nahm u.a. an drei Paralympics in der Sportart Judo teil (Barcelona, Atlanta, Sydney). Das Studium hielt ich für sehr schlecht organisiert, didaktisch von begrenztem Charme und die Anforderungen für "machbar", aber gewöhnungsbedürftig. So ist mir noch lebhaft in Erinnerung, dass ich eine Hausarbeit im öffentlichen Recht zur Verfassungsmäßigkeit der "Maastrichter Verträge" ausnahmsweise mit viel Engagement schrieb, eine Mindermeinung vertrat und prompt nicht bestand. Die hierdurch notwendige Wiederholungshausarbeit "klatschte" ich hingegen lustlos aufs Papier und erhielt ein gutes Ergebnis. Mit anderen Worten: In der Zeit von 1992 bis Anfang 1996 studierte ich zwar Jura, identifizierte mich aber wenig mit meiner Profession, lernte wenig über juristische Zusammenhänge, war aber im notwendigen Umfang - mit begrenztem Aufwand - erfolgreich.
Meine Einstellung und mein Verständnis für juristische Inhalte wandelten sich erst grundlegend im - für Kandidaten zum 1. Staatsexamen obligatorischen - Repetitorium (verschulte, bezahlte Examensvorbereitung). Hier traf ich auf engagierte, didaktisch geschulte Juristen, die in der Lage waren, Zusammenhänge darzustellen, Begeisterung für die eigentlich trockene Materie hervorzurufen und verdeutlichen konnten, dass die Bewältigung einer enormen Stofffülle für das Bestehen des 1. Staatsexamens notwendig sein würde. Mithin folgten 1 1/2 Jahre intensivster Auseinandersetzung mit juristischen Sachverhalten. In dieser Zeit waren "Arbeitstage" von mehr als zehn Stunden keine Seltenheit, wobei sich auch hier der behinderungsbedingte Mehraufwand im überschaubaren und vertretbaren Rahmen hielt und sicherlich nicht mehr als 20 Prozent betrug. Der betriebene Aufwand zahlte sich mit einem relativ gut bewerteten 1. Staatsexamen aus, wobei ich nach eigener Einschätzung gut vorbereitet war, Pech bei der Auswahl der gestellten Prüfungsaufgaben hatte und mich mit einfachen und durchaus "unjuristischen" Tricks vertretbar aus der Affäre ziehen konnte.
Es folgte das Referendariat beim Landgericht in Marburg, also der praktische Teil der juristischen Ausbildung. Dieser gab mir sehr eindeutig das Gefühl, mein Studienfach richtig gewählt zu haben, denn die praktische Arbeit als Referendar in der Rolle des Anwalts, Richters, Staatsanwalts und Mitarbeiters einer Behörde machte mir inhaltlich durchweg sehr viel Spaß und bis auf eine Ausnahme (Behördenstation) lernte ich auch sehr gute, engagierte und nette Ausbilder kennen. Diese Phase meiner Ausbildung endete mit dem 2. Staatsexamen mit nur mäßigem Erfolg, aber immerhin mit dem Bestehen und der damit verbundenen Bescheinigung der "Befähigung zum Richteramt". Nach eigener Einschätzung war ich aufgrund der doch erheblichen Arbeitsbelastung durch das Referendariat selbst auf die Prüfungen zum 2. Staatsexamen nicht so gut vorbereitet, hatte sehr viel Glück bei der Auswahl der gestellten Prüfungsaufgaben und habe diese Chance durch eine "Unachtsamkeit" nicht zu nutzen gewusst. In der Rückschau auf meine juristische Ausbildung war die subjektiv wahrgenommene willkürliche Benotung und die Zufälligkeit von Prüfungsergebnissen einer der demotivierenden Faktoren, die es zu überwinden galt.
3. Beruf
Nach überstandener Ausbildung ging ich mit dem Berufswunsch "Richter am Verwaltungsgericht" an den Start. Wegen meiner bevorstehenden Teilnahme an den im Herbst 2000 in Sydney stattfindenden Paralympics waren meine Bewerbungsversuche äußerst halbherzig. Völlig wider Erwarten ergab sich aus einer dieser Bewerbungen die Chance auf eine Anstellung mit der Möglichkeit zur Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität meiner Heimatstadt Bielefeld im Umfang einer halben Stelle. Zweifel an dieser neuen Perspektive wurden dann spätestens in den konkreten Vorstellungsgesprächen ausgeräumt, da mir zum einen sehr gute Promotionsbedingungen geboten wurden und zum anderen sogar der Arbeitsbeginn auf die Zeit nach den Paralympics vereinbart werden konnte.
Mitte 2001 fragte dann der damalige Geschäftsführer des DVBS, Andreas Bethke, den ich insbesondere über gemeinsame Sportaktivitäten kannte, ob ich mir nicht neben meinem halbwöchigen Job in Bielefeld noch die Übernahme der Rechtsberatung und -vertretung der Vereinsmitglieder in Nachfolge von Dr. Demmel vorstellen könne. Erwähnt sei an dieser Stelle noch, dass ich selbst erst 1998 - über die Inanspruchnahme der Hilfe von Dr. Demmel - Mitglied im Verein wurde und erst Ende 1999 vorsichtige Schritte in der ehrenamtlichen Gremienarbeit (Arbeitskreis Nachteilsausgleiche) unternommen hatte. Gegen die Übernahme der angebotenen Aufgabe sprach nach meiner Auffassung auch, dass mein Hauptarbeitsgebiet bei der Erstellung der Dissertation zum Thema "Car-Sharing" damit inhaltlich rein gar nichts zu tun hatte, ich ein hauptamtliches Engagement in der Selbsthilfe für mich eigentlich immer ausgeschlossen hatte und mir eine berufliche Bindung nach Marburg - ich plante innerlich immer noch die Flucht - wenig attraktiv erschien. Nach reiflicher Überlegung und weil ich sowieso die Zulassung als Rechtsanwalt benötigte (ich hatte inzwischen ein Angebot für einen Beratervertrag für den Bundesdachverband der Car-Sharing-Unternehmen), erklärte ich mich dann doch bereit, die Rechtsberatung und -vertretung für die DVBS-Mitglieder zu übernehmen.
Ich hatte das besondere Glück, in der Zeit des Paradigmenwechsels von der Fürsorge hin zur Teilhabe im Behinderten- und Reharecht mit der Einführung des SGB IX anzufangen. Zum einen ergaben sich aus dieser Tatsache große Arbeitsmöglichkeiten auf weitestgehend "unbestellten Feldern", und zum anderen hatte ich als unvorbelasteter Sozialrechtsanfänger nicht mit dem "Ballast" eines tradierten Sozialrechts und seiner überkommenen Grundsätze zu kämpfen.
Der Rest meiner "Karriere" ist schnell erzählt, denn wie vielleicht einigen bekannt, bin ich in der Selbsthilfe beruflich in unterschiedlichen Funktionen "hängen geblieben", habe 2005 noch meine Promotion abgeschlossen und friste mein "Dasein" aktuell als Geschäftsführer der rbm gGmbH, der aus den oben beschriebenen Anfängen herausgewachsenen Rechtsberatungs- und Rechtsvertretungsgesellschaft für blinde und sehbehinderte Menschen.
4. Resümee
Um auf den Titel dieses Aufsatzes zurückzukommen: Ich wollte nie in Marburg bleiben, nie als Rechtsanwalt arbeiten und keine hauptamtlichen Aufgaben in der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe übernehmen. An dieser Stelle wäre nun Zeit, über die Qualität meiner Vermeidungsstrategien nachzudenken. Allerdings bin ich - wie Eingangs schon betont - wirklich nicht unzufrieden mit meiner beruflichen Situation und dies nicht zuletzt gerade wegen der Chancen, die mir eine Ausbildung als Jurist eröffnet hat.
In meiner heutigen Bewertung der Juristerei als Grundlage für einen Beruf - denn das Berufsbild eines Juristen gibt es wohl so nicht - stelle ich zum einen fest, dass die in der juristischen Ausbildung vermittelte Herangehensweise zur Lösung theoretischer Probleme und die darüber vermittelten Instrumente juristischen Tuns sich im Berufsalltag bewährt haben und dass zum anderen wohl kaum die gleiche Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten mit einer anderen Ausbildung möglich ist.
Letztlich möchte ich noch einmal den Bogen zur gewählten Überschrift spannen und darstellen, dass ich inzwischen mit Marburg als meinem Wohnort durchaus Frieden geschlossen habe und sogar - als Familienvater - die Vorteile einer beschaulichen Mittelstadt zu würdigen weiß, zumal heute ein Großteil meiner Sozialkontakte gerade hier besteht und sich die Stadt durchaus zu ihrem Vorteil entwickelt hat.
Weiterhin möchte ich kundtun, dass ich geradezu ein Fanatiker des Selbsthilfegedankens geworden bin und dies nicht zuletzt, weil ich den Wert dieser Arbeit in verschiedensten Situationen sehr gut kennen gelernt habe. Die hauptamtliche Arbeit für die Selbsthilfe ist allerdings zugegebenermaßen wirklich nur etwas für positiv Verrückte, da immer ein absolutes Defizit an Ressourcen besteht, zum Ausgleich der Berg an wichtigster Arbeit aber immer so hoch ist, dass er zum einen nie wahrnehmbar kleiner wird, aber einem ständig droht, in einer Lawine verschüttet zu werden. Zum Ausgleich für dieses potentiell gefährliche Ungleichgewicht darf man nicht erwarten, durch seine Arbeit reich zu werden, hat aber die unglaubliche Chance, äußerst wichtige und spannende Prozesse mitzugestalten, trifft bei seiner Arbeit superinteressante Menschen und kann wirklich nie an der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit zweifeln. Letztlich kann ich sogar mit der Tatsache leben, dass ich die Zulassung zur Anwaltschaft besitze, denn die entscheidende Frage ist nicht, ob Anwalt oder nicht, sondern für was oder wen.
Zum Autor
Dr. Michael Richter ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der rbm - Rechte behinderter Menschen gGmbH in Marburg.
Nachteilsausgleiche - wozu brauchen wir sie?
Vor einiger Zeit rief mich eine Studentin an und erzählte mir, dass ihr Sehvermögen ständig abnehme. Bei den letzten Klausuren habe sie schlecht abgeschnitten, weil sie nicht rechtzeitig fertig geworden sei. Sie habe einfach die Aufgabentexte nicht schnell genug lesen können. Deshalb sei sie zur Beratungsstelle für behinderte Studierende gegangen. Dort habe man ihr geraten, "einen Nachteilsausgleich zu schreiben" - so jedenfalls drückte sie sich mir gegenüber aus. Damit wusste sie aber nichts anzufangen.
Dieses Telefonat und die gegenwärtig geführte Diskussion über die Schaffung eines bundeseinheitlichen Teilhabegeldes geben Veranlassung, das Thema "Nachteilsausgleiche" hier noch einmal aufzugreifen.
I Einschränkungen bei der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
Menschen mit einer körperlichen, geistigen, seelischen oder Sinnesbeeinträchtigung stoßen immer wieder an ihre Grenzen, wenn sie das tun wollen oder sollen, was Menschen ohne Beeinträchtigung üblicherweise können. Teils ergeben sich diese Schwierigkeiten unmittelbar aus der individuellen Schädigung. So können Blinde nicht Auto fahren oder Schwarzschrift lesen. Teils ergeben sich die Schwierigkeiten aus der Gestaltung der Umwelt oder Fehleinstellungen von Mitmenschen, den sogenannten "Barrieren". Beispielsweise können Treppen, kontrastarme Schrift oder Vorurteile unüberwindliche Hindernisse darstellen. Im ersteren Fall spricht man in der heutigen Diskussion von "Beeinträchtigung", im letzteren Fall von "Behinderung", was eine Neuregelung des bisher geltenden Behinderungsbegriffs notwendig macht.
Die Einschränkungen, denen sich "Menschen mit Behinderung" (so die Bezeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention BRK) gegenübersehen, wenn sie selbstbestimmt und gleichberechtigt am gesellschaftlichen und beruflichen Leben teilhaben wollen, sind vielgestaltig. Sie hängen ab von Art und Schwere der gesundheitlichen Schädigung, vom Zeitpunkt ihres Eintritts, vom jeweiligen Lebensalter, der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen, von den individuellen Fähigkeiten und den ganz persönlichen Lebensumständen sowie von Faktoren, die auf die Beschaffenheit der Umwelt oder das Verhalten von Mitmenschen zurückzuführen sind.
Speziell für blinde und sehbehinderte Menschen bestehen gravierende Einschränkungen in zwei besonders wichtigen Lebensbereichen: bei der Mobilität und bei der Informationsaufnahme. Man denke nur an die Orientierung in fremder Umgebung und die Teilnahme am Straßenverkehr oder an die Wahrnehmung von Farben, das Lesen von Normalschrift und das Fernsehen.
Allen Menschen mit Behinderung ist gemeinsam, dass sie in der einen oder anderen Weise auf individuelle Hilfe von Mitmenschen und auf Hilfe durch die Gemeinschaft angewiesen sind.
II Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe
Bund, Länder und Kommunen, Sozialversicherungsträger (insbesondere Krankenkassen), Integrationsämter, Arbeitsverwaltung, Rundfunkanstalten usw, aber auch private Träger von Einrichtungen (z.B. Theater, Museen) ergreifen Maßnahmen, um Teilhabeeinschränkungen von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen, zu mildern oder zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Hilfen auf die verschiedenartigsten Einschränkungen zugeschnitten und dementsprechend differenziert ausgestaltet sein.
- Die meisten Unterstützungsmaßnahmen haben finanzielle Auswirkungen und bezwecken, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich für eine Verbesserung seiner gesellschaftlichen und beruflichen Situation zu sorgen.
a) Für unseren Personenkreis ist die wichtigste derartige Leistung das Landesblindengeld bzw. das Sehbehindertengeld (letzteres gibt es allerdings bisher nur in sechs Bundesländern). Da es dem Ausgleich der blindheits- bzw. sehbehinderungsbedingten Aufwendungen dient, wird es ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen des Betroffenen gewährt. Es stellt eine Pauschalleistung dar, d.h. die Aufwendungen brauchen nicht nachgewiesen zu werden.
b) Weitere einkommens- und vermögensunabhängige Pauschalleistungen sind:
- Freifahrt im öffentlichen Personennahverkehr und im Regionalverkehr sowie kostenlose Mitnahme einer Begleitperson (letzteres auch in Fernzügen),
- Befreiung von der KFZ-Steuer,
- gebührenfreies Parken an Parkuhren,
- Steuerfreibeträge (Soweit die behinderungsbedingten Aufwendungen die Pauschalbeträge übersteigen, können sie als außergewöhnliche Belastungen steuerlich geltend gemacht werden, sind dann aber nachzuweisen und werden um die zumutbare Eigenbelastung gekürzt),
- Ermäßigung der Rundfunk- und Fernsehgebühren,
- unentgeltliche Beförderung von Blindensendungen durch die Post,
- häufig freier Eintritt oder Ermäßigung bei Konzerten, im Theater und Kino, in Museen und Schwimmbädern.
c) Im Arbeitsleben besteht ein Anspruch auf die notwendige Arbeitsassistenz und die Bereitstellung der benötigten Hilfsmittel.
d) Ferner gibt es Leistungen, die bei individuellem Bedarf auf Antrag gewährt werden, z.B. Lesegerät, Farberkennungsgerät, Mobilitätstraining.
e) Bei Bedürftigkeit, d.h. unter engen Einkommens- und Vermögensgrenzen, besteht ein Anspruch auf Blindenhilfe, durch die das Blindengeld aufgestockt wird.
- 2. Außerdem gibt es eine Reihe von Nachteilsausgleichen, die sich für den Betroffenen zwar nicht finanziell auswirken, ihm jedoch die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erheblich erleichtern. Dazu zählen u.a. der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer, Filme mit Audiodeskription, Zeitverlängerung bei Prüfungsarbeiten, Behindertenparkplätze, Wahlschablonen.
Die im Schwerbehindertenausweis eingetragenen Merkzeichen berechtigen dazu, die entsprechenden Nachteilsausgleiche in Anspruch zu nehmen.
III Was bringt die Zukunft?
Mehrere Nachteilsausgleiche mussten hart erstritten werden, so das Blindengeld in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und der Anspruch auf Arbeitsassistenz, um den 20 Jahre lang gerungen werden musste.
Einige Nachteilsausgleiche (Blindengeld, Freifahrt, Blindensendungen) sind auch ernstlich in Gefahr geraten, wieder abgeschafft oder eingeschränkt zu werden. Erinnert sei an die Blindengeldkämpfe in vielen Bundesländern, zuletzt in Sachsen-Anhalt. Um deren Koordinierung kümmert sich die gemeinsame "Task Force Blindengeld" von DBSV und DVBS.
Gegenwärtig sind die Reform der Eingliederungshilfe bzw. ein eigenständiges Bundesteilhabegesetz in der politischen Diskussion, um die Vorgaben der BRK, die seit März 2009 in Deutschland geltendes Recht ist, umzusetzen. In diesem Kontext bemüht sich die Blindenselbsthilfe um die Einführung eines bundeseinheitlichen Teilhabegeldes,
- damit Blinde überall in Deutschland einen Nachteilsausgleich in gleicher Höhe erhalten,
- damit ein flächendeckendes Sehbehindertengeld geschaffen wird und
- damit die immer wieder ausbrechenden, Kräfte raubenden und teilweise erfolglosen Auseinandersetzungen über das Landesblindengeld der Vergangenheit angehören.
Der "Arbeitskreis Nachteilsausgleiche" (AKN) im DVBS und das "Forum behinderter Juristinnen und Juristen" (FbJJ) haben die für ein Teilhabegeld notwendigen grundlegenden Vorarbeiten geleistet. Um die Durchsetzung bemüht sich der "Gemeinsame Arbeitskreis Rechtspolitik" (GAK) von DBSV und DVBS, der dazu in engem Kontakt mit der Politik, anderen Behindertenorganisationen und Wohlfahrtsverbänden steht.
Sorgen bereiten dabei nicht nur die Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel (die Rede ist derzeit von jährlich fünf Milliarden), sondern auch durchaus ernst zu nehmende Bestrebungen, ein künftiges Teilhabegeld nur einkommens- und vermögensabhängig und/oder nur "personenzentriert" zu gewähren, also nur bei Beantragung und bei Nachweis der behinderungsbedingten Aufwendungen. Diesen Bestrebungen muss energisch entgegengetreten werden.
- Das die BRK beherrschende Prinzip der Teilhabe schließt die für die Sozialhilfe typische Anknüpfung an die Bedürftigkeit aus. Das Teihabegeld muss - ebenso wie seither das Landesblindengeld - ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Behinderten gezahlt werden; denn es handelt sich hierbei nicht um eine Leistung zur Bestreitung des Lebensunterhalts, sondern um den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile.
- Ebenso wenig darf das Teilhabegeld von einem konkreten Nachweis der behinderungsbedingten Aufwendungen abhängig gemacht werden. Vielmehr muss es - wie bisher das Landesblindengeld - pauschal zur freien Verfügung gezahlt werden. Für die Pauschalierung sprechen folgende Erwägungen:
- a) Durch die freie Verfügbarkeit der Mittel soll die Selbstbestimmung der Leistungsberechtigten gestärkt und dementsprechend ihre Abhängigkeit verringert werden, was zu einer Verbesserung ihrer Lebensumstände führt.
- b) Ferner sollen in einer Vielzahl von Fällen die Beantragung von Einzelleistungen und die damit verbundene Darlegungs- und Nachweislast für die Menschen mit Behinderung vermieden werden, ebenso wie die sich daraus ergebende Überlastung der zuständigen Behörden.
- c) Und schließlich sollen behinderungsbedingte Aufwendungen mit erfasst werden, die - was vor allem bei Blinden zutrifft - oft wechselnd oder unvorhersehbar anfallen und deshalb ständig neue Anträge erforderlich machen würden.
Ob es unter den gegebenen Umständen gelingt, zu akzeptablen Bedingungen ein bundeseinheitliches Teilhabegeld zu schaffen, lässt sich heute noch nicht vorhersagen. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein!
Zum Autor
Dr. Otto Hauck war Vorsitzender Richter am Landgericht Marburg und ist Ehrenvorsitzender des DVBS.
Knick in der Optik – von der Mühsal, mit Sehbehinderung als vernunftbegabtes Wesen wahrgenommen zu werden
Als ich, es war schon vor längerer Zeit, in einer Zeitschrift die Überschrift "Blind ist nicht blöd" las, fand ich die beabsichtigte Provokation dieser doch selbstverständlichen Botschaft reichlich übertrieben. Wer um Himmels willen sollte das denn anzweifeln? Wie so manchmal im Leben wurde ich eines Besseren belehrt, als ich irgendwann selber mit massiven Sehproblemen konfrontiert war und plötzlich verstand, dass es, zusätzlich zu allem Ungemach mit den schwächelnden Augen und den Konsequenzen für das praktische Leben, nicht immer einfach ist, dem Umfeld beizubringen, die Schwachsichtigkeit nicht mit Schwachsinnigkeit zu verwechseln.
Für Uneingeweihte mag mein Verhalten in der Anfangszeit meiner massiven Sehprobleme durchaus verstörend gewesen sein und nicht unbedingt klar zu unterscheiden von einem Zustand geistiger Verwirrung: Es kam vor, dass ich auf der Straße an guten Bekannten vorbeigerauscht bin, auf ihr Winken und Rufen zunächst mit Fremdeln reagierte und erst nach direkter Ansprache allmähliche Anzeichen des Wiedererkennens von mir gab, nicht selten mit falscher Namenszuordnung. Oder wenn ich, als Gegenreaktion in vorauseilendem Eifer, freundlich winkend und zum Zeichen meiner geistigen Präsenz einen Namen rufend, beherzt auf vermeintlich vertraute Gestalten zusteuerte, die mir, im besseren Falle, gutmütig versicherten, dass sie weder mich noch die genannten Namen irgendwie zuordnen konnten, aber sich freuten, meine Bekanntschaft zu machen. Von Slapstick-Auftritten wie durch geschlossene Glastüren hindurchwollen ganz zu schweigen… Und in der Schule erst: Stockendes Lesen bei Nasenkontakt mit dem Buch, Übersehen offensichtlicher Fehler, falsches Zusammenaddieren werden selbstverständlich zunächst nicht als Ausfälle im Gesichtsfeld interpretiert, sondern als Beginn beginnender Alterstrotteligkeit. Besonders für Mittelstufenschüler ist es ein kurzweiliges Vergnügen, die Plätze zu tauschen, um herauszufinden, ob auch diesmal wieder Jessica als Loren und Justin als Jonas durchgeht… Und eine jugendlich wirkende Schülermutter mit mühsam zusammengekratzter Amtsautorität auf den Pausenhof zu schicken, wo sie hingehört, das kommt nicht immer gut an!
Worüber ich jetzt lachen kann, das war damals alles andere als lustig. Und eine Zeit lang war es so, dass ich, zur Vermeidung solcher peinlicher Auftritte, kaum aus dem Haus wollte. Und schon allein der Gedanke an das Spießrutenlaufen in der Schule verursachte Schweißausbrüche. Ich beschloss, mich still in mein Schicksal zu fügen und mich mit den Gnadenbrotkrumen zu begnügen, die mir die Rentenversicherung zugestehen würde.
Was sie aber nicht tat.
Stattdessen schickte sie mich in eine Einrichtung zur Untersuchung meiner beruflichen Einsetzbarkeit, wo ich zehn Tage lang Diktate schrieb, Rechenaufgaben löste, Adresslisten abtippte und Tabellen ausfüllte. Ich tat alles brav und schicksalsergeben und bekam zwei Wochen später einen mehrseitigen Bericht, in dem mir nicht nur eine freundliche und aufgeschlossene Wesensart bescheinigt wurde, sondern auch geistige Fähigkeiten wie das Beherrschen der schriftsprachlichen Normen, Problembereiche der Orthografie und Zeichensetzung, der Grundrechenarten und des großen und kleinen Einmaleins und des Dreisatzes im geraden und ungeraden Verhältnis. Und außerdem gute Ansätze im sprachlichen Bereich.
Immerhin: Der Bericht bescheinigte doch zweifelsfrei, dass meine Schwachsichtigkeit nicht ganz deckungsgleich war mit Schwachsinnigkeit. Der mir bescheinigte Wissensstand hätte glatt gereicht für eine Übergangsempfehlung vom Förderschul- in den Regelschulbereich, und von da aus ist es ja nicht so weit zu der Oberstufe, an der ich unterrichtet habe…
Auch darüber kann ich heute lachen. Damals habe ich ihn als eine Demütigung dritten Grades erlebt und nach einer schlaflosen Nacht einen Telefonanruf abgesetzt, in dem sich ein unschuldiger Mitarbeiter der besagten Institution einen Ausbruch anhören musste, der weniger das Beherrschen schriftsprachlicher Normen bescheinigte als beachtliche Ansätze eines vulgärsprachlichen Vokabulars. Er hörte mir geduldig zu, äußerte Verständnis für meinen Unmut und erklärte mir trotzdem die Notwendigkeit dieser "Deppenbescheinigung", die, wie er sagte, nur attestierte, dass mir mit dem Sehvermögen keine anderen alltagsnotwendigen Fähigkeiten abhanden gekommen seien. Er sagte mir zu, dass dies zugegebenermaßen fragwürdig formulierte Gutachten keinen nachteiligen Einfluss auf meine berufliche Weiterverwendung haben würde, ich solle mir keine Sorgen machen.
Er hielt sich daran. Er hat sich, zusammen mit der Rentenversicherung und dem Institut für Lehrergesundheit, für meine Weiterbeschäftigung an der Schule eingesetzt. Ich arbeite, ausgestattet mit angepassten Sehhilfen, wieder in der Schule, aber mit kleineren Gruppen von Oberstufenschülern oder Schülern mit Migrationshintergrund und speziellem sprachlichen Förderbedarf.
Ich sehe heute nicht besser als damals, aber ich kann besser damit umgehen, indem ich den Schülern eine Art Bedienungsanleitung gebe für den Umgang mit meinem Handicap. Dass sie mich für blöd halten, glaube ich nicht - anmerken lassen sie es sich jedenfalls nicht. Oder zumindest finden sie mich nicht viel blöder als es Lehrer eben von Natur aus sowieso sind. Was die Eltern betrifft, so vertraue ich darauf, dass sie es als Kompliment an ihr jugendliches Aussehen auffassen, wenn sie, bei unmotiviertem Herumtreiben auf den Gängen, von mir auf den Pausenhof geschickt werden. Von Aufsichtsfunktionen hat man mich übrigens wohlweislich befreit.
Zur Autorin
Regina Pfanger, geboren 1957 in Landau (Pfalz), arbeitet wieder als Lehrerin, nachdem sie aufgrund eines Makulaleidens längere Zeit nicht mehr unterrichten konnte. Als angestellte Lehrerin wurde sie von der Rentenversicherung beim Wiedereingliederungsverfahren unterstützt.
Bildung und Forschung
„Frankfurt an der Entweder“ oder „Ein Studium im Herzen Europas
"Nächste Haltestelle Frankfurt/Oder! Diese Zugfahrt endet hier! Fahrgäste bitte alle aussteigen!" Als ich die östlichste Universitätsstadt Deutschlands im Mai 2008 zum ersten Mal besuchte, übte bereits diese Zugansage große Faszination auf mich aus. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich - außer in Berlin - noch nie im Osten Deutschlands gewesen, und hatte natürlich so meine Vorurteile im Gepäck. Doch schon der erste Kontakt mit Stadt und Bewohnern hinterließ bei mir große Lust auf den kommenden neuen Lebensabschnitt an der deutsch-polnischen Grenze.
Die Zeit vor meinem Studienstart 2008
Nach meinem Abitur an der Carl-Strehl-Schule im Sommer 2007 entschied ich mich für den Besuch der einjährigen blindentechnischen Grundausbildung (BtG) an der blista. Monate, die mich gut auf mein Studium vorbereiten sollten. Denn trotz meiner schrittweisen Umstellung auf die Brailleschrift, das Arbeiten mit einer Sprachausgabe und die Orientierung mit dem Blindenlangstock während meiner Oberstufenzeit fehlten mir noch einige Kenntnisse in diesem Bereich und auch eine gewisse Schnelligkeit. Meine Augenkrankheit (juvenile Makuladegeneration) verläuft seit meinem achten Lebensjahr progressiv. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich "normal" sehen. Aktuell beträgt meine Sehschärfe etwa zwei Prozent und ich kann - bedingt durch meine Gesichtsfeldeinschränkung - Teilbereiche von z.B. Häusern sehen oder auch erkennen, wenn jemand auf mich zukommt.
So arbeitete ich seit der zweiten Schulklasse im Unterricht mit Lupe und Tafelfernglas, später mit einem Bildschirmlesegerät und aktuell mit Braillezeile und Sprachausgabe. Kurz vor meinem Abitur war es mir dann nicht mehr möglich, im Unterricht oder während der Prüfungen mit dem Bildschirmlesegerät zu arbeiten, so dass der erneute und letzte Wechsel der Hilfsmittel abrupt und sehr schnell funktionieren musste. Die BtG bot dann die großartige Gelegenheit, diese neue Art des Arbeitens umfassend kennen und schätzen zu lernen.
Es tat auch gut, nach dem turbulenten Abi-Endspurt eine Zeit zu verbringen, in der ich mich mit meiner Sehbehinderung noch einmal intensiv auseinandersetzen, viel Sport machen und ohne Zeitdruck nach einem passenden Studium umsehen konnte. Dass ich studieren wollte, war mir kurioserweise schon als Kind klar - auch wenn mein Abitur damals natürlich noch in Frage stand.
Ein einwöchiges Praktikum im Marburger Schloss während der 12. Klasse ließ den Wunsch in mir wachsen, einmal im kulturellen Bereich zu arbeiten. Sei es in einem Museum, in der Wissensvermittlung oder auch in einem Theater.
So bewarb ich mich im Sommer 2008 vor allem für die Kulturwissenschaften und erhielt tatsächlich an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) - meinem Favoriten - einen Studienplatz.
Was sind Kulturwissenschaften?
Doch was sind Kulturwissenschaften? Eine viel gestellte und überaus verständliche Frage, der stets die Frage folgt "… und was macht man dann so damit?". Kulturwissenschaften werden in Deutschland an mehreren Universitäten angeboten - die bekanntesten Studienorte sind Lüneburg, Passau, Bremen und Frankfurt (Oder). Der fachliche Schwerpunkt liegt dabei ganz unterschiedlich. In Bremen ist er ein philosophischer, in Passau ein wirtschaftlicher und in Frankfurt (Oder) ein sozialwissenschaftlicher. Hinzu kommen an der Oder eine umfangreiche Fachsprachausbildung, Kursbelegungen in Wirtschaft oder Jura sowie ein obligatorisches Auslandssemester oder Auslandspraktikum. So ergab sich für mich schließlich die Fächerkombination: Soziologie, Kunsttheorie, Wirtschaft, Italienisch und Englisch in Verbindung mit einem sechsmonatigen Auslandspraktikum in England.
Kulturwissenschaften sind also überaus interdisziplinär angelegt. Hinzu kommt, dass beruflich von Journalismus, über Kulturverwaltung, Kulturmanagement, Museum oder privatwirtschaftlichen Unternehmen alles möglich ist. Fluch und Segen zugleich! Wichtig ist vor allem, spätestens ab Mitte des Studiums eine berufliche Richtung zu haben, so dass zielgerichtet Kurse und Praktika absolviert werden können. Auch würde ich ein Masterstudium im Anschluss sehr empfehlen, um die Breite des Bachelorstudiums in eine gewisse Spezialisierung münden zu lassen. Ein hohes Maß an Eigeninitiative, Offenheit für Neues und Fremdes wie auch die Bereitschaft, eher interdisziplinär als spezialisiert zu arbeiten, ist für dieses Studium jedoch ratsam.
Neues und Fremdes bietet in Frankfurt auch immer wieder die besondere geografische Lage. So liegt ein Teil der Europa-Universität auf der polnischen Seite der Oder in der Stadt Slubice. Von Standort zu Standort, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land sind es aber nur 15 Gehminuten. Ein Slogan dieser Uni lautet daher "Ein Studium im Herzen Europas".
Städtische Liebe zu Frankfurt - und doch eine Geliebte … Berlin
Ausschlaggebend für meine Entscheidung war vor allem das reizvolle Fächerangebot, aber auch die Nähe zu Berlin, denn dort lockten Konzerte, Theater und ausgefallenes Kino.
Auch fand ich die Geschichte und Gegenwart von Frankfurt/Oder sehr spannend. Im Mittelalter eine reiche Hansestadt, später Garnisonsstadt und ab 1945 durch die Oder geteilte Grenzstadt zwischen Deutschland und Polen. Auch die Zeit der ehemaligen DDR ist besonders durch die Architektur noch sehr präsent. So ergibt sich ein Stadtbild, das sich zwischen schmuckem Altbau, Platte, Neoklassizismus und modernsten Neubauten bewegt.
Vielleicht spiegeln sich diese Gegensätze auch in einem Gedicht von Joachim Ringelnatz wider, der Frankfurt an der Oder - allerdings noch vor dem ersten Plattenbau - in "Frankfurt an der Entweder" umtaufte.
Da die Einwohnerzahl in Frankfurt/Oder seit der deutschen Wiedervereinigung tendenziell zurückgegangen ist und heute stagniert, war meine Suche nach einem Zimmer recht problemlos. Weil mir die Stadt jedoch noch völlig unbekannt war, entschied ich mich zunächst für ein Zimmer in einem Studentenwohnheim. Für meinen Studienanfang war dies ideal, denn ich wohnte auf einem riesigen Gelände mit lauter Studierenden und vielen Studienanfängern. So kam ich mit anderen Bewohnern leicht ins Gespräch, und die Besuchswege waren kurz.
Die räumliche Enge, aber auch die Gleichförmigkeit der Zimmer und der Wohnblocks waren jedoch Gründe, mich ab Sommer 2009 nach einem WG-Zimmer in der Stadt umzusehen. Vor allem aber wünschte ich mir, nicht mehr mit immer wieder zufällig zusammengewürfelten Mitbewohnern, sondern langfristig mit Freunden zusammenzuleben und die eigene Wohnung selbst gestalten zu können.
Glücklicherweise wurde bald darauf ein Zimmer in der Vierer-WG einer Freundin frei. Eine Wohnung gleich am Oderufer nur 15 Gehminuten von der Uni entfernt. Bis zu meinem Abschluss im März 2013 wohnte ich in dieser Altbau-Wohnung.
Eine überschaubare Universität in einer überschaubaren Stadt
Heute hat Frankfurt (Oder) etwa 60.000 Einwohner und verfügt über ein überschaubares Straßennetz. Dies erleichterte mir die Orientierung sehr, und nach einigen Stunden Mobilitätstraining vor Studienbeginn waren mir die wichtigsten Wege schnell vertraut. Mir war eine Großstadt wie Berlin oder Hamburg für den Studienstart zu quirlig. Denn das ganze Neue und Unbekannte, auf das man in den ersten Monaten trifft - wie eine neue Umgebung, das Studium, neue Bekannte und Freunde -, zieht einen in den Bann, erfordert aber auch viel Kraft und Energie. Deshalb war ich wirklich dankbar, dass die Universität mit etwa 6.000 Studierenden überschaubar und nur auf drei Standorte verteilt ist. Auf diese Weise traf ich immer wieder zufällig auf dem Campus oder in der Stadt auf Kommiliton/innen und ich konnte sie so schneller und unkomplizierter kennen lernen. Ich kann daher einen Uni-Start an einer relativ kleinen Hochschule sehr empfehlen, zumal hier oftmals neben den kürzeren geografischen auch kürzere bürokratische Wege zum Tragen kommen können. So wurde im Laufe meines Studiums zwar eine Kontaktstelle für behinderte und chronisch kranke Studierende eingerichtet, die seither mit vielen kreativen Lösungen - wie einem Computerarbeitsplatz für sehbehinderte Studierende in der Bibliothek oder individuellen Assistenzangeboten - unterstützt. Doch bevor diese Stelle geschaffen wurde, stieß ich schon im ersten Semester während meiner ersten Hausarbeit an meine Grenzen. Bei der Premiere, einen wissenschaftlichen Text zu verfassen und dafür zu recherchieren, stand ich vor dem Problem, dass ich dazu in Bibliotheken eigenständig auf Literatursuche gehen und dies zunächst mit Freunden organisieren musste. Auch das anschließende Scannen und digitale Aufbereiten der Literatur überstieg schnell meine zeitlichen Kapazitäten. Zudem war es nur schwer möglich, Seitenzahlen nach dem Scannen richtig zuzuordnen. Etwas verzweifelt nahm ich Kontakt mit der Studienberatung der Uni auf.
Schnell wurde daraufhin eine studentische Assistenzkraft eingestellt, wofür ich unendlich dankbar war. Bis zum Ende meines Studiums stand mir so eine Studentin oder ein Student für zehn Stunden in der Woche zur Verfügung. Zur digitalen Aufbereitung, Literatursuche, Layout von Hausarbeiten oder zur Erläuterung von wirtschaftlichen Grafiken. Erst auf diesem (Um-)Weg habe ich gelernt, dass ein Studium für mich als blinde Studentin mit einem höheren Maß an Organisation und auch einem höheren zeitlichen Aufwand verbunden ist. Denn dadurch, dass immer wieder Dritte in meine Planung eingebunden waren, musste ich auch mein eigenes Zeitmanagement anpassen. Und neben dem "Fine Tuning" der Abläufe musste ich zudem ausreichend viel Zeit für das Lesen mit der Sprachausgabe einplanen. Das war aber nicht unbedingt nur ein Nachteil. Durch die so gemachten Erfahrungen habe ich tatsächlich immer seltener zu spät mit einer Hausarbeits- oder Referatsvorbereitung begonnen, konnte langfristiger planen und auch ausreichend Pausen einbauen.
Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich empfehlen, einen Studienstart so gut wie nur möglich vorzubereiten. Es hilft, sich so viele Fragen zu stellen, bis keine Antwort mehr offen ist. Wie möchte ich arbeiten? Welche Unterstützung benötige ich dafür? Welche Unterstützung ist technischer, welche personeller Natur? Wer sind meine Ansprechpartner…? Ein Studium mit einer Sehbehinderung oder Blindheit zu absolvieren, scheint mir persönlich nicht allzu sehr von dem eines sehenden Studierenden abzuweichen. Es gibt viel mehr Verbindendes als Trennendes. Das Ziel ist das gleiche, nur der Weg manchmal ein etwas anderer. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es mehr Kraft und Aufwand bedeutet, mehr Antrieb und Mut. Mich hat dieser Schritt nach Frankfurt (Oder) sehr gestärkt. Mein Selbstbewusstsein, meine Selbstorganisation und das Vertrauen, dass ganz viel möglich ist, sind gewachsen. Und auf dem Weg zum Studienabschluss gibt es viele Menschen, die unterstützen und weitestgehende Chancengleichheit herstellen wollen. In diesem Zusammenhang fand ich es besonders hilfreich, möglichst dialogorientiert und offen aufzutreten. Denn vor allem das Wissen über meine Schwierigkeiten und Möglichkeiten half Mitstudierenden, Dozenten und auch Mitarbeitenden der Uni, meine Situation einschätzen zu können.
Zukunftspläne
Während meines Studiums und einiger absolvierter Praktika begann ich, mich besonders für das Thema Verteilungsgerechtigkeit von Zugängen zu Museen zu interessieren. Gern möchte ich daran arbeiten, Museen noch offener, noch zielgruppensensibler und zugänglicher mitzugestalten. Die deutsche Museumslandschaft ist zu vielfältig, als dass Zugangskonzepte des einen Museums einfach auf ein anderes übertragen werden können. Insbesondere die Zielgruppe der Menschen mit Behinderungen hat Anforderungen an ein Museum und seine Inhaltsvermittlung, die sich teilweise widersprechen. Zudem müssen diese Anforderungen in Bezug zu den Bedürfnissen aller anderen Besucher und auch der Museen gestellt werden. Deshalb ist eine intensive Planung im Vorfeld einer neuen Ausstellung, eines baulichen Um- oder Neubaus sinnvoll und notwendig. Nur wenn möglichst heterogene Beratergruppen zustande kommen, können - so glaube ich - möglichst wahlfreier Zugang zu einem Museum und möglichst gerechte Verteilung der Museumsressourcen wie Personal oder Finanzen gewährleistet werden.
Deshalb bin ich froh über einen Masterstudienplatz für das Wintersemester 2013/2014 für "Museumsmanagement und -kommunikation" an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, wo ich dieses Thema weiterverfolgen und vertiefen kann.
Abschließende Gedanken
Meine vier Jahre an der Carl-Strehl-Schule und auch der blista haben mich für mein Studium gut gewappnet. Es sind zwei Dinge, die aus meiner Sicht für die Bewältigung zukünftiger Aufgaben entscheidend sind, quasi als Universalwerkzeuge. Zum einen sollte man die eigenen Hilfsmittel schnell und effektiv einsetzen können. Zum anderen braucht man ein hohes Maß an Eigeninitiative. Hier hätte ich mir noch mehr Impulse von Seiten der Schule gewünscht. Zum Beispiel durch Angebote oder Projekte während der Oberstufe, die zu dieser Eigeninitiative inspirieren und kreative Lösungen und Zeitmanagement fördern. So könnte der Übergang zwischen Schule und Universität vielleicht etwas weicher gestaltet werden. Denn einen universellen Weg zum und während eines Studiums gibt es nicht, dazu sind die Fähigkeiten, Bedürfnisse, Wünsche, Sehbehinderungen jedes Einzelnen zu verschieden und die Hochschullandschaft zu vielfältig.
Recht
Lernprozesse
In den beiden vergangenen horus-Ausgaben habe ich am konkreten Beispiel von E-Justice und E-Government dargestellt, wie wir mit den beiden Gesetzentwürfen umgegangen sind und was wir schließlich erreicht haben. In einem dritten Schritt möchte ich einige allgemeine Überlegungen zu Strategie und Taktik der Einflussnahme bei für uns wichtigen Gesetzgebungsvorhaben anschließen, weil ich in den vergangenen Jahren häufig den Eindruck gewonnen habe, dass die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe, kommen solche Gesetzesinitiativen auf sie zu, mit ihren Überlegungen fast immer wieder bei null beginnt.
Von dieser Feststellung möchte ich allerdings die Öffentlichkeitsarbeit unserer Verbände ausdrücklich ausnehmen. Hier haben wir in den vergangenen zehn Jahren einen, wie ich finde, hervorragenden Standard erreicht, der uns eine ganze Menge an Aktionsformen und -mitteln an die Hand gibt, die es nur intelligent zu nutzen gilt. Anders sieht es indes bei der Analyse und der Umsetzung unserer Ziele in entsprechenden Konflikten aus.
Welches sind die Fragen, die man sich zu Beginn einer solchen Analyse stellen sollte?
Natürlich hängt das weitgehend vom Charakter der Auseinandersetzung ab, mit der man es zu tun hat oder zu tun haben wird. Gleichwohl gibt es verschiedene Grundprinzipien, die man bei den meisten dieser Konflikte beachten sollte.
- Als Erstes ist zu prüfen, ob die Informationen, die man über ein bevorstehendes Gesetzgebungsverfahren bekommen hat, zuverlässig sind. Das wird sowohl von der Güte der Informationen abhängen, aber entscheidend auch auf die Qualität des Informanten zurückgehen. Kommt die Information lediglich aus der Tagespresse, sollte geprüft werden, von wem genauere Einzelheiten zu erfahren sind. Kommt sie dagegen aus Ministerien oder politischen Parteien, so darf man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von ihrer Richtigkeit ausgehen.
Danach ist es notwendig, festzustellen, in welchem Stadium des Gesetzgebungsprozesses man sich aktuell befindet. Gibt es schon einen ausformulierten Gesetzentwurf? Ist er bereits ins Kabinett oder ins parlamentarische Verfahren eingebracht? Ein bloßer sog. Diskussions- oder Referentenentwurf ist, so sollte man glauben, noch leichter zu beeinflussen als ein bereits in erster Lesung im Parlament befindliches Gesetz. Hängt der Entwurf noch in der Verwaltung, ist es sinnvoller, mit anderen Ansprechpartnern Kontakt aufzunehmen, als wenn die Vorlage bereits die Abgeordneten erreicht hat.
- Bevor man aber zu diesen Schritten übergeht, ist erst einmal zu analysieren, ob und ggf. wie der Gesetzentwurf Rechte blinder und sehbehinderter Menschen tangiert. Das Ob wird sich relativ schnell feststellen lassen. Beim Wie liegen die Dinge häufig schon schwieriger. Hier wird es erforderlich, den Entwurf einer genaueren rechtlichen wie auch tatsächlichen Prüfung zu unterziehen. Folgende Fragen lassen sich allgemein formulieren:
Betrifft der Entwurf alle blinden und sehbehinderten Menschen oder nur bestimmte Gruppen? Wirken sich die beabsichtigten Regeln eindeutig positiv, eindeutig negativ oder unklar auf unsere Belange aus? Wie viel Spielraum lassen die beabsichtigten rechtlichen Vorschriften der Verwaltung bei einer späteren Vollziehung des Gesetzes? Sind sie klar oder unscharf formuliert? Enthalten sie Ermessensspielräume oder auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe?
Kommt man zu dem Schluss, dass die beabsichtigten Regelungen für unseren Personenkreis günstig oder eher ungünstig sind, so stellt sich die weitere Frage, wie man dieses Ergebnis positiv beeinflussen oder vermeiden kann. Natürlich ist bei ungünstigen Änderungen die einfachste Lösung und Forderung, eine solche Vorschrift nicht Gesetz werden zu lassen. Häufig wird es aber notwendig sein, auch schon in diesem Stadium nach Alternativen zu fahnden. So ist es durchaus denkbar, dass bei einer grundlegenden Reform auch die Chance besteht, für blinde und sehbehinderte Menschen günstigere Normen oder Normvorschläge in das Gesetzgebungsverfahren einzuspeisen. Das haben wir sowohl im E-Justice- wie auch im E-Government-Verfahren frühzeitig versucht, indem wir grundsätzlich zunächst die Forderung nach Barrierefreiheit artikuliert und später auch konkrete Vorschläge für einzelne Normen unterbreitet haben, wie diese Forderung umgesetzt werden kann.
- Ganz wichtig ist, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, wie der weitere Fahrplan für das in Aussicht genommene Gesetz aussieht oder nach Ansicht der Gesetzesinitiatoren aussehen sollte. Muss man damit rechnen, dass der Entwurf im Eiltempo durchs Parlament gepeitscht werden soll, sind naturgemäß andere Maßnahmen zu ergreifen, als wenn absehbar noch längere Beratungen bevorstehen. Sowohl bei E-Justice wie auch bei E-Government drohte das Ende der Legislaturperiode des Bundestages, weshalb die Initiatoren immer die Eilbedürftigkeit ihres Projektes betonten, wenngleich es mit beiden Entwürfen dann doch nicht so schnell ging, wie ursprünglich von ihren Vätern und Müttern erhofft.
- Eng mit der Frage nach dem Zeitplan verknüpft ist diejenige nach etwaigen Foren, in denen eine Darlegung unseres Standpunktes sinnvoll sein könnte. Hier sind zunächst solche Informationen zu bündeln, die darüber Auskunft geben, ob Diskussionen erst erfolgen werden, wenn ein Gesetzentwurf durch das Kabinett gelaufen ist oder, sollte er von Bundesländern eingebracht werden, den Bundesrat erreicht hat. Sowohl bei E-Justice wie bei E-Government gab es schon zu den Diskussionsentwürfen solche Foren, für E-Justice organisiert von der Europäischen EDV-Akademie des Rechts und bei E-Government direkt vom federführenden Bundesinnenministerium, in denen wir jedenfalls Redebeiträge liefern durften.
Sinnvoll ist sicher auch der Versuch, mit den Initiatoren eines Entwurfs direkt Kontakt aufzunehmen und sie um ein persönliches Gespräch zum Thema zu bitten. Papier ist geduldig. Rede und Gegenrede, Argument und Gegenargument vermögen häufig mehr Klarheit zu schaffen, insbesondere wenn man nicht vergisst, wie unsicher sehende Menschen nach wie vor mit dem Thema Sehbehinderung oder Blindheit umgehen und wie wenig sie sich über Leistungen, aber auch über Risiken unseres Lebens unterrichtet fühlen (und letztlich auch sind).
- Flankierend zu diesen "Live-Maßnahmen" ist es notwendig, die Verantwortlichen durch Stellungnahmen mit unseren Wünschen und Bedenken zu konfrontieren, und zwar natürlich, wenn man ausdrücklich dazu aufgefordert wird (wie im Falle von E-Government), aber auch, wenn das nicht der Fall ist.
Bei der Frage nach dem Inhalt einer Stellungnahme lassen sich - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - folgende Überlegungen anführen:
- Die Adressaten im Blick behalten. Richtet sich eine Stellungnahme auch an eigene Gremien und/oder die interessierte Öffentlichkeit, so empfiehlt es sich, am Anfang knapp die Zielsetzung der beabsichtigten Vorschriften oder Maßnahmen zu skizzieren. Soll die Stellungnahme (was eher selten sein dürfte) ausschließlich unseren Standpunkt gegenüber der Ministerialbürokratie oder politischen Parteien, die Urheber des Entwurfs sind, verdeutlichen, kann man sich diese Einführung schenken. Die Entwurfsverfasser kennen ihre Ziele. Schließlich haben sie diese in ihrer Gesetzesbegründung selbst formuliert.
- Die besondere Bedeutung des Vorhabens für unseren Personenkreis aufzeigen. Sehende Menschen haben oft keine oder nur diffuse Vorstellungen über unsere Lebenswelt und unsere Fähigkeiten. Ihnen muss erläutert werden, welche Auswirkungen der vorgelegte Entwurf oder das anvisierte Maßnahmenpaket konkret auf uns haben würde. Sonst erschließt sich ihnen unsere Betroffenheit nicht.
Beispiele können hilfreich sein. Um das zu verdeutlichen, empfiehlt es sich, auch mit Beispielen zu argumentieren. Nicht nur ein Bild ersetzt viele Wörter, auch ein passendes Beispiel! Es lohnt sich fast immer, darauf erhebliche Sorgfalt zu verwenden.
- Auf die "Belastbarkeit" der Adressaten achten. Wess das Herz voll ist, dess geht der Mund über, so heißt es. Doch hier muss man sich zügeln und mit bedenken, dass Entscheidungsträger häufig nicht nur mit unserem Problem konfrontiert sind, sondern von ganz verschiedenen, oft sehr viel mächtigeren Interessengruppen umgarnt werden. Hier können wir nur durch Qualität, Präzision und Kürze Punkte sammeln.
Ist eine Stellungnahme abgegeben, so sollte einerseits gewisse Zeit auf eine Reaktion der Adressaten gewartet werden. Andererseits ist es nicht schädlich und häufig üblich, nach einer angemessenen Frist auch nachzufragen, ob eine Antwort beabsichtigt ist. Das lässt sich gut mit der Bitte um ein persönliches Gespräch koppeln, die zeigt, dass es uns mit der Angelegenheit Ernst ist und wir die Sache nicht durch unsere Stellungnahme als erledigt ansehen. Sollte überhaupt keine Stellungnahmemöglichkeit eingeräumt worden sein, so kann man gut auf Art. 4 Abs. 3 der UN-BRK verweisen. Danach sollen Verbände der behinderten Menschen zu sie betreffenden Gesetzesvorhaben gehört werden. Das ist längst nicht überall bekannt, kann aber hilfreich sein, um Bewegung in eine scheinbar festgefahrene Situation zu bringen.
- Auch Gespräche wollen gut vorbereitet sein. Hier empfiehlt es sich, vorab ein wenig zu schauen, mit wem man es konkret zu tun hat: Sind es wirkliche Entscheidungsträger oder nur deren Helfer? Haben sie sich schon einmal mit blinden- und sehbehindertenspezifischen Fragen beschäftigt oder gar dazu geäußert? Im E-Justice- und E-Government-Verfahren konnten solche persönlichen Kontakte zu Bundestagsabgeordneten und teilweise auch zu Vertretern der Länderjustizbürokratie und der Wissenschaft geknüpft werden. Trotz mehrfacher Bitten um ein persönliches Gespräch kam ein solches mit den Mitarbeitern des BMJ oder des BMI so nicht zustande. Es hätte vieles erleichtert, wenn das gelungen wäre. Hier müssen wir uns noch besser in der Ministerialbürokratie verankern, wie es teilweise für das BMAS gelungen zu sein scheint.
- Eine wichtige Frage ist weiter diejenige nach Bündnispartnern und begleitenden Aktionen. Bündnispartner kann man an ganz verschiedenen Ecken des öffentlichen Spektrums verorten. Naheliegend sind natürlich Presse, Funk und Fernsehen. Schaltet man sie aber zu früh massiv ein, besteht die Gefahr, dass sie später, sollte der Konflikt zu einem Dauerbrenner werden, unseren Interessen keinen Neuigkeitswert mehr abgewinnen und sie ignorieren. Andere mögliche Ansprechpartner sind weitere Ministerien, die am Gesetzentwurf beteiligt werden, im Falle des E-Government-Entwurfs z. B. das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Zu denken ist auch an die Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder, je nachdem, wo das Gesetzgebungsvorhaben verortet ist, und an andere Behindertenorganisationen. Bei ihnen sollte man sich aber vergewissern, welchen Stellenwert sie im Konflikt einzunehmen bereit sind. Schließlich kann man natürlich versuchen, auch in einem noch so relativ frühen Stadium der Auseinandersetzung bereits politische Parteien und Parlamentarier einzubeziehen. Wir haben bei E-Justice und E-Government hiervon abgesehen, weil wir meinten, die Abgeordneten nicht zu früh mit Details belasten zu sollen, über die noch nicht einmal in den Ministerien Klarheit bestand. Ich glaube inzwischen, dass das nicht immer so sein muss und man Abgeordnetenkontakte frühzeitig herstellen und nutzen sollte. Parlamentarier haben im Regelfall einen erheblich besseren Zugang zur Gesetzgebungsbürokratie als wir und sind daher - bei unterstellter Kooperationsbereitschaft - eher in der Lage, wertvolle Tipps zu geben und uns mit ihren Einschätzungen weiterzuhelfen.
- Einige Gesetzesvorhaben - ich denke hier vor allem an Kämpfe gegen Kürzungen beim Blindengeld - erfordern Öffentlichkeitsarbeit in Gestalt von Aktionen, die öffentliche Aufmerksamkeit erregen. Hier haben wir inzwischen mannigfache Erfahrungen mit Demonstrationen, Kundgebungen, Mahnwachen, Pressekonferenzen, aber auch Events der kleinen Nadelstiche. Besonders wichtig ist gerade bei der zuletzt genannten Methode das Element der Überraschung und des Humors. So kommt man viel eher in die Medien als mit pathetischen Erklärungen (wenngleich auch die von Fall zu Fall nötig sind). Bei E-Justice und E-Government wird ohne weiteres einleuchten, dass hier Großaktionen kaum auf höhere Resonanz gestoßen wären. Dafür war dieses Thema zu komplex, obwohl man auch hier ggf. noch phantasievolle Aktionen hätte planen und durchführen können.
Abschließend muss ich betonen, dass die aufgestellten Regeln keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit und absolute Richtigkeit erheben. Jeder Konflikt hat seine eigene Dynamik und muss daher sorgsam analysiert werden. Nur dann wird es gelingen, im Kampf um für uns gute rechtliche Regelungen auf Dauer erfolgreich zu sein.
Bücher
Hörtipps
Kein Stress mit dem Stress: eine Handlungshilfe für Führungskräfte. Von Carola Kleinschmidt. Herausgegeben vom BKK Bundesverband. Essen, 2012.
Ein Drittel der Arbeitnehmer in der EU klagen über stressbedingte Gesundheitsprobleme, wie etwa Tinnitus, Rückenbeschwerden oder Burnout. Viele Arbeitnehmer in Deutschland fürchten, dass sie ihre momentane Arbeit mit den derzeitigen Anforderungen nicht bis zur Rente ausüben können. Bedroht sind natürlich auch Führungskräfte. Gerade Führungskräfte sind es, die Kompetenz im Umgang mit Stress und psychischen Belastungen brauchen - für sich selbst, aber auch für ihr Team. So sind sie als leistungsorientierte und starke Persönlichkeiten besonders gefährdet, die Alarmsignale des eigenen Körpers und der Psyche zu überhören, weil sie äußerlich meist lange "funktionieren" und ihren Job gut ausfüllen. Andererseits haben sie auch eine Vorbildfunktion, die sie nutzen können, um durch achtsames und kluges Verhalten das gesundheitsbewusste Verhalten ihrer Mitarbeitenden zu beeinflussen und damit Gefährdungen vorzubeugen. Und schließlich haben sie den Handlungsspielraum, Organisationskultur und Arbeitsabläufe zu lenken - wichtige Ansatzpunkte, um Druck aus dauerhaftem, gesundheitsschädigendem Stress zu nehmen.
Nach dem Motto "Ich sorge für mich selbst! - sonst könnte ich mich auch um niemand anders kümmern", sensibilisiert die Broschüre des BKK Bundesverbands für eigene gesundheitliche Bedürfnisse, etwa mit dem Selbst-Test "Wie belastet bin ich?". Hilfreiche Anregungen für den Arbeitsalltag als Führungskraft erweitern den Horizont. Beim Thema "Führen" geht es beispielsweise darum, wie die Ressourcen von Mitarbeitenden gestärkt werden können, wie psychische Belastungen im Team verringert, begrenzt oder vermieden werden können. Auch das Stichwort "Betriebliches Eingliederungsmanagement" wird aufgegriffen. Die Herausgeber sind überzeugt: Das "gesunde Unternehmen" ist möglich. Viele Hinweise auf Praxisbeispiele, Projekte und Ansprechpartner unterstützen dies. Für alle, die das "Hamster-im-Rad"-Gefühl beenden möchten, eine lohnenswerte Lektüre!
Bestellnummer 17004, 1 Stunde 40 Minuten lang. Die DAISY-CD ist Dank der finanziellen Förderung des BKK Bundesverbandes im DVBS-Textservice kostenlos erhältlich.
Schwierige Übergänge: Sinnesverluste. Das Usher-Syndrom - eine erworbene Hörsehbehinderung. Grundlagen - Ursachen - Hilfen. Herausgegeben von Ursula Horsch und Andrea Wanka. 2012.
Beim Usher-Syndrom ist von Geburt an das Innenohr geschädigt und für eine stabile Hörbehinderung oder Taubheit verantwortlich, später manifestiert sich außerdem Retinitis Pigmentosa, eine fortschreitende Netzhauterkrankung, die zur Blindheit führen kann. Während einige Formen der Hörbehinderung durch Cochlea-Implantate gemildert werden können, gibt es für Retinitis Pigmentosa bisher keine befriedigende Therapie. Fallen die beiden Fernsinne Hören und Sehen aus, sind Gleichgewichtssinn, Orientierung und Kommunikation massiv erschwert. Eine rasch fortschreitende Sinnesbeeinträchtigung stellt außerdem große Anforderungen an die Krankheitsbewältigung.
In Deutschland gibt es etwa 5.000 Betroffene, doch noch sind die Informationen zu Bewältigung der Einschränkungen und Hilfemöglichkeiten dürftig. Es gibt kein Studium der "Hörsehbehindertenpädagogik", im deutschsprachigen Raum fehlt eine fachspezifische Ausbildung im Bereich kombinierter Sinnesbehinderungen.
So ist es ein dankenswertes Unterfangen, mit dem vorliegenden Buch das erste Kompendium zum Thema Usher-Syndrom in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Für Fachkräfte, Betroffene und deren Familien geschrieben, enthält der Band 24 Beiträge aus medizinischen, pädagogischen, psychologischen und selbstbetroffenen Perspektiven. Im Zentrum steht die Frage, wie Betroffene so effektiv wie möglich unterstützt werden können. Ob es um Früherkennung geht, Ursachen, Stresserfahrungen bei Usher, die Entwicklung der Usher-Selbsthilfe, Mobilitätstraining, Stolpersteine aus psychotherapeutischer Sicht, taktile Gebärdensprache oder Taubblindenassistenz - die Beiträge ermöglichen durch ihre Vielfalt eine ganzheitliche Annäherung an ein bisher vernachlässigtes Phänomen.
Das DAISY-Buch ist zu den üblichen Bedingungen zu bestellen beim Textservice des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (Bestellnummer 17040, 11 Stunden 43 Minuten lang, 87,87 Euro).
Buchtipps aus der blista
Ramadan, Ortwin: Der Schrei des Löwen
Hamburg: Carlsen Verlag, 2011 Bestell-Nr.: 4734, reformierte Kurzschrift (KR), 2 Bde., 350 S., 43 €
Eine anrührende Geschichte mit tagesaktuellem Hintergrund: Der 16-jährige Yoba und sein kleiner Bruder Chioke leben als Straßenkinder in Nigeria. Als Yoba einen Auftrag für den örtlichen Gangsterboss erledigt und plötzlich in den Besitz einer Tasche mit Geld gelangt, ist das ihre große Chance: Sie fliehen und lösen bei einem Menschenschleuser ein Ticket nach Europa. Wie so viele andere wollen sie es auf eines der Flüchtlingsboote nach Sizilien schaffen. Doch der Weg dorthin ist lang - und viel gefährlicher als gedacht…
Linker, Christian: Absolut am Limit
München: dtv, 2010, Bestell-Nr.: 4696, reformierte Kurzschrift (KR), 2 Bde., 326 S., 43 €; auch als DAISY-Ausgabe mit synthetischer Stimme und Blindenkurzschrift kombiniert erhältlich
Als es zwischen dem leidenschaftlichen Fantasy-Rollenspieler Ben und der Polit-Aktivistin Merle funkt, beginnt für beide eine heftige Achterbahnfahrt der Gefühle. Mit Merle zusammen zu sein ist genauso berauschend, wie Ben es sich immer vorgestellt hat - und genauso kompliziert. Erst nach und nach entdeckt er, dass Merle längst nicht so stark ist, wie er immer gedacht hat - und dass sie dringend Hilfe braucht…
Ruf, Christoph: Was ist links? Reportagen aus einem politischen Milieu München: Beck, 2011
Bestell-Nr.: 4706, reformierte Kurzschrift (KR), 3 Bde., 430 S., 64,50 €; auch als DAISY-Ausgabe mit synthetischer Stimme und Blindenkurzschrift kombiniert erhältlich
Sommer 2009, das erste Klassentreffen seit 18 Jahren. Die Anwesenden reden über ihren Job, die Kinder und über die Schulzeit. Damals hofften alle, dass irgendwann einmal Helmut Kohl abgewählt werden würde. Sie waren Linke. Versammelt haben sich Lehrer, Altenpfleger, Juristen, Mediziner und ein Journalist - Autor Christoph Ruf. "Links" sind alle irgendwie immer noch. Was das aber heute heißen soll, weiß keiner mehr so genau. Also wird der Journalist beauftragt, Genaueres herauszufinden. Ein Jahr lang hat Ruf sich unter den Linken umgesehen, in Parlamenten und Parteizentralen, auf Marktplätzen, in Wohnzimmern und an geheimen Orten, wo die Linkesten der Linken Pläne schmieden.
Kleinschmidt, Carola: Jung alt werden. Warum es sich mit 40 schon lohnt, an 80 zu denken
Hamburg: Ellert & Richter, 2010, Bestell-Nr.: 4712, reformierte Kurzschrift (KR), 2 Bde., 264 S., 43 €
Noch nie wurden so viele Menschen in Deutschland so alt. Die Lebenserwartung ist in den vergangenen 100 Jahren um 30 Jahre gestiegen. Nur, was fangen wir mit so viel mehr Lebenszeit an? Bisher orientieren sich unsere Vorstellungen vom idealen Lebenslauf an alten Entwürfen. Dabei stellt das lange Leben vieles auf den Kopf. Wir haben beispielsweise viel mehr Zeit als unsere Großeltern. Wir werden länger arbeiten als die Generationen vor uns. Wir werden vermutlich oft den Arbeitgeber oder sogar den Beruf wechseln. Wir werden uns viel häufiger auf Freunde als auf die Familie verlassen müssen. Wir wollen nicht ins Altenheim, sondern auch später lieber anders wohnen. Und: Wir werden auch mit 70 Neues wagen und unser Leben, so lange es geht, selbst bestimmen. Wie kann das gelingen? Die Autorin sagt: Indem man bereits mit 40 an 80 denkt. Nicht, weil man alles vorausplanen kann. Sondern, weil wir die Weichen für ein gutes Altwerden bereits mit 40 stellen, weil es jung hält und Freude macht, sein Leben aktiv zu gestalten - lebenslang.
Elsäßer, Tobias: Für niemand
Mannheim: Sauerländer, 2011 Bestell-Nr.: 4723, reformierte Kurzschrift (KR), 2 Bde., 216 S., 43 €; auch als DAISY-Ausgabe mit synthetischer Stimme und Blindenkurzschrift kombiniert erhältlich
Drei Jugendliche, drei Schicksale. Sie kennen sich nicht, aber sie alle haben ein gemeinsames Ziel: Selbstmord. In einem Internetforum verabreden sich Sammy, Nidal und Marie, um gemeinsam zu sterben - allerdings ohne zu ahnen, dass sie beobachtet werden. Yoshua ist heimlicher Mitleser des Chats und versucht, das Ereignis zu verhindern. Tatsächlich gelingt es ihm, die Identitäten hinter den Nicknames herauszufinden. Doch als er zum vereinbarten Treffpunkt kommt, ist es für einige schon zu spät…
Stratmann, Cordula: Danke für meine Aufmerksamkeit
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2013, Bestell-Nr.: 4732, reformierte Kurzschrift (KR), 2 Bde., 256 S., 43 €; auch als DAISY-Ausgabe mit synthetischer Stimme und Blindenkurzschrift kombiniert erhältlich
Der Klappentext sagt alles: "Guten Tag, mein Name ist Britta. Es handelt sich bei mir um eine europäische Hausmaus, und es hat sich ergeben, dass ich die Erzählerin, ich kann in aller Bescheidenheit sagen: die Protagonistin in Cordula Stratmanns neuem Roman bin. Nach der Trennung von meinem Lebensgefährten Tim, einer chinesischen Reisfeldmaus - es ging einfach nicht mit uns -, begegnete ich auf der Suche nach einem neuen Zuhause einem Mädchen namens Polly, bei deren Familie ich schließlich einzog. Und damit befand ich mich plötzlich mitten im menschlichen Leben."
Das Super-Sportjahr 2014
Auch 2014 informiert Sie die blista mit ihren Punktschrift-Sonderheften zu den Sport-Ereignissen des Jahres. Zudem bietet Ihnen das monatlich erscheinende Hörmagazin "Einwurf" drei Stunden Hintergrundinformationen und Aktuelles aus der Welt des Sports.
Bundesliga-Transferliste
Wer kommt? Wer geht? Nach Beendigung der Transferperiode im Februar veröffentlichen wir die aktuelle Transferliste 2014 der 1. und 2. Bundesliga. Als ideale Ergänzung zum "kicker"-Sonderheft erscheint sie im handlichen DIN-A4-Format.
Bestell-Nr.: 4750, Schutzgebühr: 5,10 € plus Verpackungskosten
Formel 1, Saison 2014
Am 16. März startet die Königsklasse des Motorsports in die neue Saison. Neue Motoren und neue Strecken machen sie so interessant wie selten zuvor. Unser Sonderheft informiert Sie über Pisten, Piloten und PS.
Bestell-Nr.: 4751, Schutzgebühr: 17,90 € plus Verpackungskosten
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„Rehabilitation bei Sehbehinderung und Blindheit“
Eine Rezension in Interview-Form
Dr Heinz Willi Bach: Herr Gorldt, Sie sind seit mehr als 20 Jahren als Orthoptist und Spezialist für vergrößernde Sehhilfen und Low Vision-Beratung tätig. Als Vertreter des Fachausschusses Low Vision des BOD (Berufsverband der Orthoptist/innen Deutschlands e.V.) stand Ihnen eine für Ihr Fachgebiet interessante neue Publikation zur Rezension. Sie haben für den horus das Sachbuch "Rehabilitation bei Sehbehinderung und Blindheit" gelesen. Worum handelt es sich dabei? Was ist interessant? Wer sind eigentlich die Autoren?
Norbert Gorldt: Vor kurzem ist das Werk "Rehabilitation bei Sehbehinderung und Blindheit" Im Maritzen & Kamps Springer Verlag erschienen. Die Autoren sind Dr. Astrid Maritzen - sie gehört dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe an - und Dipl.-Ing. Norbert Kamps - er ist beratender Ingenieur für Hilfsmittelversorgung in Xanten (ISBN 978-3-642-29868-4). Beide sind also Fachleute der Rehabilitation.
Bach:Was ist Ihnen bei der Lektüre positiv aufgefallen? Welchen Nutzen kann man aus der Lektüre ziehen?
Gorldt: Folgende Aspekte möchte ich herausstellen. Bemerkenswert und angenehm für die Leser ist, dass die Kapitel klar und logisch aufgebaut sind. Zum Inhaltlichen: Hervorzuheben ist die neutrale Beschreibung der Sachverhalte mit oft hilfreichen Anmerkungen zum Für und Wider einer Maßnahme oder eines Hilfsmittels. Sehr positiv sind aus meiner Sicht die praktischen Hinweise als "Praxistipp". Überrascht haben mich ebenfalls die oft sehr detaillierten Hinweise auf typische Fehler, die bei der Anpassung vermieden werden sollten. Dieser Aspekt ist insbesondere für Anfänger auf dem Gebiet der Rehabilitation und Low-Vision-Beratung sehr wichtig. Sehr hilfreich für die Praxis ist schließlich, dass nach jedem Kapitel eine "Leistungsrechtliche Bewertung" erfolgt. Es handelt sich dabei um direkte Hinweise auf die Rechtslage und Verordnungsfähigkeit.
Bach: Haben Sie auch kritische Anmerkungen? Gibt es Defizite bei den Darstellungen?
Gorldt: Ja. Ich finde sachliche Mängel, z.B. die Behauptung, die selbständige Orientierung sei erst ab einer Mindestsehschärfe von 0,1 möglich. Das werden die Leser sicherlich bestätigen können, dass dies nicht so ist. Auch die Erläuterung der Amblyopie weist Fehler auf. Der Abschnitt O&M hätte gründlicher recherchiert werden sollen, da sich einige Fehler eingeschlichen haben, z.B. Abb. 9.1 zeigt ungewollt, was alles falsch gemacht werden kann inklusive falsche Beschreibung der "Handschlaufe" etc. Auch finde ich, die Darstellung der Hilfsmittel ist eine einseitige Produktdarstellung von Schweizer und Reinecker REHA, wichtige Hilfsmittel der anderen Anbieter, z.B. Eschenbach, Optelec, Baum etc. fehlen gänzlich.
Bach: Herr Gorldt, was können Sie zusammenfassend unseren Lesern sagen? Ist das Buch empfehlenswert?
Gorldt: Ja, unbedingt. Ein empfehlenswertes Buch für alle Berufsgruppen, die in der Rehabilitation von Sehbehinderten und Blinden tätig sind. Das Werk zeigt einen guten Überblick über alle Bereiche der Anpassung und Versorgung von Hilfsmitteln und hilft, den Betroffenen zu den Fragen der Kostenübernahme zu informieren. Für eine 2. Auflage könnten jedoch einige Punkte überarbeitet werden.
Bach: Herr Gorldt, ich danke Ihnen auch im Namen der LeserInnen des horus für Ihre interessanten Ausführungen.
Derzeit wird die Möglichkeit einer Aufsprache durch den DVBS-Textservice geprüft, um das Buch als DAISY-Version barrierefrei zugänglich zu machen.
Panorama
12. Deutscher Hörfilmpreis: 9 Filme gehen ins Rennen
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) hat die Nominierungen für die 12. Verleihung des Deutschen Hörfilmpreises im Jahr 2014 bekannt gegeben. Von den eingereichten Produktionen wurden folgende neun ausgewählt:
Kategorie Kino
3096 Tage (Deutschland 2013, Regie: Sherry Hormann)
Feuchtgebiete(Deutschland 2013, Regie: David Wenndt)
Mein Weg nach Olympia (Deutschland 2012, Regie: Niko von Glasow)
Kategorie TV
Blutgeld(Deutschland 2013, Regie: René Heisig)
Dahoam is Dahoam (Deutschland 2013)
Die Spionin (Deutschland 2012, Regie: Miguel Alexandre)
Polizeiruf - Vor aller Augen (Deutschland 2013, Regie: Bernd Böhlich)
Tatort - Summ, summ, summ (Deutschland 2013, Regie: Kaspar Heidelbach)
Verratene Freunde (Deutschland 2013, Regie: Stefan Krohmer).
Die festliche Preisverleihung findet am Dienstag, dem 18. März 2014, in Berlin im historischen Atrium der Deutschen Bank Unter den Linden statt.
Die prominent besetzte Jury wird nun unter den nominierten Filmen die Preisträger auswählen. Wieder mit dabei sind die Moderatorin und Schauspielerin Nina Eichinger, Filmproduzent Nico Hofmann und Filmredakteur Lars-Olav Beier (Der Spiegel).
Der Deutsche Hörfilmpreis wird seit 2002 vom DBSV verliehen und von der Aktion Mensch unterstützt.
Orientierungsveranstaltung für angehende Studierende
Jährlich bietet das Studienzentrum für Sehgeschädigte in Karlsruhe sehgeschädigten Oberstufenschülern und Schulabsolventen aus Deutschland sowie den deutschsprachigen Ländern eine spezielle Orientierungsveranstaltung an. Vom 26. bis 28. Mai 2014 können Fragen zum Studium, zu fachlichen Anforderungen, studentischem Wohnen, Orientierung/Mobilität und vor allem zu spezifischen pädagogischen und technischen Unterstützungen im Studium diskutiert werden. Über drei Tage hinweg können alle Fragen rund um ein Hochschulstudium gestellt werden. Dabei wirken Referenten der jeweiligen Studiengänge, studentische Vertreter und sehgeschädigte Studierende der verschiedensten Fächer mit, des Weiteren das Studentenwerk, die Eingliederungshilfen der Stadt und Mobilitätstrainer. Die Orientierungsveranstaltung möchte auch Studieninteressierte ansprechen, deren voraussichtlicher Studienort nicht Karlsruhe sein wird. Interessenten sollten sich aus organisatorischen Gründen bis zum 28. April 2014 anmelden. Die Teilnahme ist kostenfrei. Anmeldeformulare sowie weitere Infos können unter folgender Telefonnummer angefordert werden: 0721 608-41937 oder www.szs.kit.edu
Handbuch „Studium und Behinderung“ erschienen
Wer studieren will, hat viele Fragen - blinde oder sehbehinderte Studieninteressierte haben oft noch einige mehr. Sie müssen zum Beispiel wissen: Welche Nachteilsausgleiche stehen mir zu? Welche Unterstützungsangebote gibt es? Wo finde ich Beratung? Antworten finden Studieninteressierte wie Studierende im Handbuch "Studium und Behinderung" des Deutschen Studentenwerks, das vollständig überarbeitet in 7. Auflage vorliegt. Die digitale Fassung kann im Internet unter http://www.studentenwerke.de/pdf/Handbuch_Studium_und_Behinderung_7_Auflage.pdf heruntergeladen werden. Interessierte können die Printausgabe der Publikation per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! bestellen. Der Versand ist kostenfrei.
In Büchern schmökern trotz Sehverlust – Modellprojekt „Hörbücherei vor Ort“ macht’s möglich
"Gerade Menschen, die ihr Leben lang normal gesehen haben und deren Sehvermögen im Alter stark nachlässt, wissen nicht, dass es schon lange Spezialbibliotheken gibt, die Hörbücher kostenlos ausleihen", sagt Brigitte Buchsein vom Blinden- und Sehbehindertenbund in Hessen (BSBH) beim offiziellen Start des Modellprojektes "Hörbücherei vor Ort" am 2. Dezember 2013 in der Stadtbibliothek Oberursel. "Für sie und ihre Angehörigen ist das eine Riesenchance, jetzt durch ihre Stadtbibliothek davon zu erfahren und so wieder ein kleines bisschen mehr kulturelle und soziale Teilhabe zu erlangen."
Das unterstreicht auch Beate Schwartz-Simon, Leiterin der Stadtbibliothek Hanau. "Wir freuen uns, zusammen mit der blista diese hervorragende Möglichkeit für unsere Bürgerinnen und Bürger bieten zu können, die aufgrund ihrer Sehverschlechterung unsere Angebote sonst nicht oder kaum nutzen können." Sylvia Beiser von der Stadtbibliothek Offenbach ergänzt: "Jetzt haben wir ein wohnortnahes Angebot geschaffen, das sicher auf große Resonanz stoßen wird."
"Von der ersten Idee bis zum jetzigen offiziellen Start verging fast ein Jahr", beschreibt Rudi Ullrich, Leiter des Ressorts "Kommunikation und Teilhabe" und Initiator von "Hörbücherei vor Ort", den Entwicklungsprozess. "Am Anfang waren wir sehr unsicher, ob die öffentlichen Bibliotheken überhaupt ein Interesse an diesem Thema haben würden. Doch bereits nach der ersten Kontaktaufnahme mit dem Leiter der Marburger Stadtbibliothek, Jürgen Hölzer, der sehr positiv auf die Initiative reagierte und sich anbot, Kontakte zu weiteren hessischen Büchereien zu knüpfen, war uns eigentlich klar, dass es ein Erfolg werden würde", so Ullrich weiter.
Nachdem die Projektpartner feststanden und auch die Hessische Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken in Kassel ihre Unterstützung zugesagt hatte, wurden die notwendigen inhaltlichen Festlegungen getroffen, Regularien der Zusammenarbeit und Information abgesprochen und unter Federführung der blista in die Tat umgesetzt. Dazu gehörte die Programmierung der Homepage, Gestaltung und Druck eines gemeinsamen Flyers sowie die Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort. Außerdem wurde die Pressearbeit zum Projektstart zentral koordiniert und durch die Beteiligten regional ergänzt, um möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Und so war es dann nach intensiver Vorbereitungszeit am 2. Dezember endlich so weit: Um 11 Uhr fiel der offizielle Startschuss in der Stadtbücherei Oberursel. Bibliotheksleiterin Claudia Hannes und ihr Team hatten ganze Arbeit geleistet. Von Seiten der Medien hatten sich neben der ortsansässigen Taunus Zeitung Vertreter von hr4, der Frankfurter Rundschau und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in der kleinen, direkt am Marktplatz gelegenen Bibliothek eingefunden. Das Ganze im Beisein des Ersten Stadtrates von Oberursel, Christof Fink (Bündnis 90/Die Grünen) und Benedikt Weber, Mitarbeiter der Stabsstelle zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Hessen, sowie fünf Vertreterinnen und Vertretern der am Projekt beteiligten Bibliotheken und Monika Taubert von der Fachstelle in Kassel.
Weber, der selbst von Geburt an schwerhörig ist, betonte das Zustandekommen des Projekts: "Die Hörbücherei vor Ort ist aus der Zivilgesellschaft heraus entstanden, es musste also kein Anstoß von politischer Seite aus geschehen. Solche Vorhaben begrüßen wir natürlich sehr und fördern sie gerne - gerade vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention und der von ihr postulierten Teilhabe behinderter Menschen an Kultur und Gesellschaft." Er schloss seine kleine Ansprache mit einem Grußwort des Hessischen Sozialministers Stefan Grüttner, der der blista nicht nur für diese Initiative seine Anerkennung aussprach, sondern sich ausdrücklich für die vielen Impulse der vergangenen Jahre für eine inklusive Gesellschaft in Hessen bedankte.
Das Projekt unter Federführung der blista und ihren sechs Partner-Bibliotheken in Bad Hersfeld, Gießen, Hanau, Marburg, Oberursel und Offenbach wendet sich speziell an Seniorinnen und Senioren und andere Menschen, die unter einem Verlust ihrer Sehfähigkeit leiden und bisher nicht Mitglied in einer Blinden-Hörbücherei sind. "Jede altersbedingte Einschränkung des Sehvermögens bedeutet einen harten Einschnitt für den Alltag und die Lebensqualität jedes Betroffenen", sagt Jürgen Hölzer, Leiter der Stadtbücherei Marburg. Dies schlägt sich nicht zuletzt in der Lesefähigkeit nieder. Was früher leicht und flüssig ging, kann mit einem Grauen oder Grünen Star oder nach einer Netzhautablösung zur quälenden Mühsal werden. "Wer mit einem Sehverlust zu kämpfen hat und gerne liest, muss nicht zwangsläufig in die oft spärlich ausgestattete Großdruck-Abteilung seiner Stadtbücherei gehen oder gar ganz zu Hause bleiben", ergänzt Projektleiter Rudi Ullrich.
Aus diesem Grund haben die Projekt-Partner die "Hörbücherei vor Ort" ins Leben gerufen. Die Idee: Wer nicht mehr lesen kann, darf hören - und hat somit die freie Auswahl aus mehr als 40.000 Titeln, die die blista in ihrem Online-Katalog anbietet. Alle sind ungekürzt und kostenlos auf DAISY-CDs im MP3-Format erhältlich. "Die CDs sind auf jedem handelsüblichen DVD- und CD-Player mit MP3-Funktion abspielbar und somit äußerst benutzerfreundlich", sagt Projekt-Koordinator Savo Ivanic. "Zumal Literatur eine enorme Lebensbereicherung ist. Erst recht, wenn soziale Kontakte im Alter wegbrechen und Hörbücher oft das Einzige sind, das den Betroffenen einen gewissen Halt und eine Alltagsstruktur gibt."
So wird jeder Interessierte wie gewohnt in seiner Bibliothek beraten - und das von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die für die besonderen Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Menschen sensibilisiert und geschult wurden. Daneben profitieren Betroffene von der Kompetenz der blista als Selbsthilfe-, Beratungs- und Rehabilitations-Zentrum. "Die Mitarbeiter unserer Partner-Bibliotheken sind selbstverständlich keine Ersatz-Optiker oder Reha-Berater", betont Ullrich, "sie werden bei Bedarf aber jeden Interessierten an uns verweisen - egal ob es um vergrößernde Sehhilfen oder andere Hilfsmittel oder Schulungen für Beruf und Alltag geht."
Für ausführliche Informationen haben die Initiatoren des Modellprojekts die Internet-Seite hoerbuecherei-vor-ort.de ins Leben gerufen -mit finanzieller Unterstützung des Hessischen Sozialministeriums. Unter der Internet-Adresse können sich Betroffene und Angehörige neben dem Hörbuch-Angebot über alles Wissenswerte rund ums Thema Sehverlust informieren - von Hilfsmitteln über Links zu Selbsthilfe-Organisationen bis hin zum Alltag mit einer Sehbehinderung.
Neben dem Zugang zu Literatur und den sozialen Aspekten ist den Beteiligten das Thema Gleichberechtigung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein wichtiges Anliegen. Nicht zuletzt deshalb, weil die im Jahr 2009 von der Bundesrepublik Deutschland mit unterzeichnete UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen genau diese Teilhabe einfordert. Und wer käme dafür besser in Frage als die öffentlichen Bibliotheken, Orte nicht nur des Lesens, der Bildung und Kultur, sondern auch der Begegnung von Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen, Milieus und Schichten. "Da dürfen Menschen mit Behinderung natürlich nicht fehlen!", betont Guido Krell, Leiter der Stadtbibliothek Gießen.
Für die Zukunft planen die Projektpartner eine Ausweitung des Angebots auf weitere Bibliotheken. Zu diesem Zweck wird das Projekt bei der nächsten Konferenz der Büchereileiter in Hessen im März in Gießen vorgestellt. Aber auch aus anderen Bundesländern gibt es erste Anfragen. "Wenn es gelingt, öffentliche Mittel und Spenden für dieses Projekt zu akquirieren, wollen wir gerne noch viele gemeinsame Aktionen mit den Stadtbibliotheken machen", wagt Ullrich einen Blick in die Zukunft. "Ich kann mir zum Beispiel Lesungen von unseren Sprecherinnen und Sprechern, medizinische Vorträge oder kleine Hilfsmittelausstellungen für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen und ihre Angehörigen in den Stadtbibliotheken sehr gut vorstellen."
Unter Druck – Blindenführhunde auf Druckbelastungen beim Führen untersucht
Eine Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien zeigt erstmals, welchen Kräften Blindenführhunde ausgesetzt sind, die über den Griff des Führgeschirrs Kontakt zu ihrem blinden Menschen halten. Über das Führgeschirr ist der Hund enormen Zugkräften ausgesetzt. Physiotherapeuten und Bewegungsanalytiker untersuchten verschiedene Führgeschirre und zeigen auf, welches am verträglichsten für Hund und Halter ist.
Das Führgeschirr ermöglicht die Kommunikation und verbindet Mensch und Hund miteinander. Sitzt das Führgeschirr nicht richtig, leiden sowohl die Gesundheit des Hundes als auch die Kommunikation. Bei vier Jahren Ausbildung des Hundes und Kosten bis zu 32.000 Euro für einen Blindenführhund lohnt es sich, bei der Wahl des Führgeschirrs genauer hinzusehen.
Die Forscher interessierten sich deshalb für die Druckverteilung am Tier und fanden heraus, dass die rechte Unterseite des Hundebrustkorbs besonders belastet ist. "Blindenführhunde gehen ständig unter Zug und meist rechts vor dem blinden Menschen", erklärt Tierphysiotherapeutin Barbara Bockstahler.
Drucksensoren unter dem Führgeschirr lieferten Informationen zu den Belastungsschwerpunkten der Vierbeiner. Die Analysen zeigten, dass ein Blindenführhund bei der Arbeit einer Zugkraft von zehn Prozent seines eigenen Körpergewichts ausgesetzt ist. Am Rücken zeigten sich die geringsten Belastungen. "Viel Bewegung ohne Führgeschirr ist für die Hunde wichtig. So können einseitige Belastungen ausgeglichen werden", so Bockstahler.
Zu starre Geschirre belasten die Hunde, verbessern jedoch die Kommunikation zwischen Halter und Hund. Hier gilt es, einen guten Mittelweg zu finden. Je steifer der Führbügel am Brustgeschirr verankert ist, desto höher ist die Druckwirkung auf den Brustkorb des Hundes. Am besten schnitt das Führgeschirr mit Klettverschlussverbindung ab. Bei dieser Variante ist die Druckbelastung beim Hund am geringsten. Für Langhaarhunde bietet sich ein Geschirr mit Plastikklippverschluss an. Steife Metallverbindungen sind für die Tiere am belastendsten. Das Forscherteam untersuchte acht Blindenführhunde. Die Tiere wurden mit einem Trainer beim Stufensteigen, beim Ausweichen vor Hindernissen, Links- und Rechtskurven und beim Geradeausgehen gefilmt. Um die Bewegungsabläufe an drei unterschiedlichen Führgeschirren auch grafisch darzustellen, trugen Tiere, Trainer und Geschirr reflektierende Marker. Zehn im Raum platzierte Kameras filmten die Bewegung der Marker und sammelten so die Bewegungsdaten.
Die Studie "Evaluation of the pressure distribution under three different types of harnesses for guide dogs" von Christian Peham, Simone Limbeck, Kristin Galla und Barbara Bockstahler wurde vor kurzem im Veterinary Journal veröffentlicht. Internet: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1090023313004681# (in englischer Sprache)
Hohe Auszeichnung: Dr. Otto Hauck erhielt die Carl-Strehl-Plakette
Im Rahmen einer Feierstunde erhielt Dr. Otto Hauck am 15. November 2013 die Carl-Strehl-Plakette als Anerkennung seines Einsatzes für die Belange blinder und sehbehinderter Menschen. Die Carl-Strehl-Plakette wird an Personen verliehen, die sich herausragende Verdienste im Bereich "Bildung und Rehabilitation von Blinden und Sehbehinderten" erworben haben. Der in früher Kindheit erblindete Dr. Otto Hauck legte sein Abitur an der blista ab und studierte Jura in Marburg. 1969 begann seine Laufbahn am Landgericht Marburg, zuletzt als Vorsitzender Richter bis zur Pension 1999. Hauck war neben seiner beruflichen Tätigkeit von 1979 bis 2004 Vorsitzender des DVBS sowie von 1975 bis 2003 stellvertretender Vorsitzender des Trägervereins der blista und gehörte von 2004 bis 2012 dem Verwaltungsrat an.
In seiner Laudatio würdigte Wolfgang Angermann, Präsident der Europäischen Blindenunion, den Einsatz Dr. Otto Haucks. "Wer Dr. Haucks unermüdliches Schaffen miterlebt hat, weiß, dass ich hier nur einen Bogen schlagen konnte, um wenigstens einen Eindruck davon zu vermitteln, wie viel Aufopferung, Einsatzbereitschaft und Handlungsgeschick hinter der Carl-Strehl-Plakette stehen", so Angermann. Die Plakette wurde durch Claus Duncker (Vorsitzender der blista) und Uwe Boysen (1. Vorsitzender des DVBS) überreicht. Mit einem Zitat des jüdischen Philosophen Maimonides gratulierte Boysen seinem Vorgänger: "Es gibt acht Stufen der Wohltätigkeit. Die höchste ist die, wenn du jemandem hilfst, sich selbst zu helfen".
Als "Überraschungsgast" gratulierte Marburgs Bürgermeister Dr. Franz Kahle, der während seiner juristischen Ausbildung die Referendariatszeit bei Dr. Otto Hauck am Landgericht Marburg verbrachte - und mit einigen Anekdoten die Zuhörer zum Lachen brachte.
Gerührt und voller Stolz bedankte sich Dr. Otto Hauck für die Auszeichnung, die er gemeinsam mit Ehefrau Elisabeth entgegennahm. "Ohne den Rückhalt meiner Familie wäre es nicht möglich gewesen, ein solches Leben zu führen." Sein Dank galt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der blista und des DVBS, denn "allein kann man Ideen nicht umsetzen". Sein Grund, in der Selbsthilfe aktiv zu werden, sei es gewesen, dafür einzutreten, "dass die Generationen nach mir dieselben Berufschancen haben konnten, wie ich sie hatte".
Rund 70 Gäste nahmen an der Feierstunde in der Aula der blista teil - die auch musikalisch gestaltet wurde. Zum Auftakt sang der DVBS-Chor unter der Leitung von Rainer Husel. Mit "My Way" von Frank Sinatra hörte Dr. Otto Hauck sein Lieblingslied. Ulrich Mayer-Uhma (Klavier) und Wilfried Laufenberg (Querflöte) unterhielten die Gäste mit Stücken von Bach und Pergolesi.
Laudatio
Meine Damen und Herren,
lieber Otto Hauck,
mit wirklich großer Freude habe ich es übernommen, diese Laudatio zu halten. Denn mit Dr. Otto Hauck, den wir heute mit der Verleihung der Carl-Strehl-Plakette ehren, verbindet mich eine seit Jahrzehnten andauernde Gemeinsamkeit im Handeln und Streben. Das reicht so weit zurück, dass in unser beider Erinnerung die Persönlichkeit Carl Strehls, dessen Namen die Ehrenplakette trägt, seine ganz eigene Ausstrahlung, aber auch sein Wirken und seine Ziele lebendig und gegenwärtig sind.
Carl Strehl lenkte noch die Geschicke der Deutschen Blindenstudienanstalt und des Vereins der Blinden Geistesarbeiter Deutschlands (so der Frühere Name des DVBS), als der blista-Schüler Otto Hauck 1956 eine - wie wir heute wissen - folgenreiche Entscheidung traf: Er wurde Vereinsmitglied. Dr. Friedrich Mittelsten Scheid - so erzählte Dr. Hauck später gelegentlich -, damaliger Mathematiklehrer und übrigens der erste Träger der Carl-Strehl-Plakette, hatte von da an reichlich damit zu tun, seinen Lehrauftrag gegen den immer mal wieder besonders am Vereinsgeschehen orientierten Wissensdrang der Klasse um Otto Hauck durchzusetzen.
Otto Haucks Ausbildungsweg über das Abitur 1959, die Juristischen Staatsexamina und seine während der Referendarzeit mit "summa cum laude" abgelegte Promotion mündete schließlich 1969 in das Richteramt, das er am Landgericht Marburg bis zu seiner Pensionierung ausübte - zuletzt als Vorsitzender Richter. Als dauerhafter und verlässlicher Hort der Geborgenheit und Sicherheit entstand seine Familie. Seine Frau Elisabeth und seine inzwischen erwachsenen Kinder Angelika und Martin gaben und geben ihm Rückhalt und Unterstützung für die Vielfalt dessen, was seither Otto Haucks Leben bestimmt. Dafür möchte ich der Familie Hauck an dieser Stelle auch unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen.
Zwischen DVBS und blista besteht eine enge, gesunde und erfolgreiche Zusammenarbeit in einem Klima gegenseitiger Achtung und Wertschätzung. Die entscheidenden Grundlagen für diese Zusammenarbeit verdanken wir Dr. Otto Hauck. Nachdem er 1970 zum Leiter des VbGD-Bezirks Hessen gewählt worden war, Initiierte er 1971 die Gründung der Fachgruppe "Jura" und gab damit den Anstoß für die Wandlung des Vereins von einer Standesorganisation ehemaliger blista-Schülerinnen und -schüler hin zu einer bundesweiten - nach 1989 Deutschlandweiten - an behindertenpolitischen Interessen und Zielen orientierten Selbsthilfeorganisation. 1974 wurde Otto Hauck in den VbGD-Vorstand gewählt, und 1975 wurde er auch Mitglied des Vorstandes der blista. Hier setzte er sich mit Erfolg bei der anstehenden Reform der Satzung dafür ein, dass der Selbsthilfegedanke als eine der Wurzeln für das Entstehen der Deutschen Blindenstudienanstalt Künftig durch die Vertretung der Organisationen der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe dauerhaft manifestiert wurde. Er verkörpert in besonderer Weise die innovativen Strömungen jener Zeit sowohl im VbGD als auch in der blista. Man konnte sich seiner Unterstützung sicher sein, wenn es gelang, Otto Hauck durch Argumente und mit Sorgfalt ausgearbeitete Konzepte zu überzeugen. Aber auch er selbst steht als Impulsgeber und immer auch als unmittelbar Handelnder für die vielen Bausteine, die den DVBS und die blista der Gegenwart ausmachen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Dr. Hauck 1979 zum Vorsitzenden des VbGD gewählt wurde. Es ist ein weiteres Beispiel für seine Auffassung von Verantwortung und Zukunftsorientierung, dass er dieses Ehrenamt 2004 - nunmehr als Vorsitzender des inzwischen in DVBS umbenannten Vereins - zur Übernahme durch die nächste Generation zur Verfügung stellte. In Anerkennung seines jahrzehntelangen Wirkens für den Verein ernannte ihn die DVBS-Mitgliederversammlung 2004 zum Ehrenvorsitzenden.
Von 1975 bis 2003 war Dr. Hauck gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des Trägervereins der blista und wirkte nach der letzten Strukturreform von 2004 bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden 2012 als stellvertretender Vorsitzender des neu geschaffenen Verwaltungsrates.
Hier können nur einige, bewusst gemischte Schlaglichter dessen genannt werden, woran Dr. Hauck maßgeblichen Anteil hatte:
- Modernisierung der Wohnformen für Schülerinnen und Schüler im Internatsbereich der blista,
- Einrichtung einer Geschäftsstelle für den Verein,
- Strukturänderungen bei der blista im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Turbulenzen,
- Räumliche und inhaltliche Erweiterung des Vereinsangebotes nach der Wiedervereinigung,
- Ausrichtung des Bildungsangebotes der blista an veränderte Herausforderungen, die insbesondere durch zunehmende Angebote gemeinsamer Beschulung entstanden und entstehen.
Der Name Otto Hauck steht aber auch für beharrliche und erfolgreiche Interessenvertretung und sozialpolitisches Engagement. Wir erinnern uns zum Beispiel an den Kampf gegen eine diskriminierende Einstellungspraxis im Justizbereich Nordrhein-Westfalens Anfang der siebziger Jahre, die Beteiligung an der Kampagne zur Einführung eines Benachteiligungsverbotes für Menschen mit Behinderungen in das Grundgesetz und an die Kampagne zur Berücksichtigung von "Behinderung" bei der Schaffung des zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes. Aktuell leitet Dr. Hauck nach wie vor den Arbeitskreis "Nachteilsausgleiche" im DVBS, in dem unter anderem wichtige Grundlagenarbeit zur Vorbereitung und Unterstützung behindertenpolitischer Kampagnen der Selbsthilfeorganisationen geleistet wird. Außerdem leitet er seit der Gründung im Jahre 2001 den gemeinsamen Arbeitskreis "Rechtspolitik" der deutschen Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe.
Wer Dr. Haucks unermüdliches Schaffen miterlebt hat, weiß, dass ich hier nur einen Bogen schlagen konnte, um wenigstens einen Eindruck davon zu vermitteln, wie viel Aufopferung, Einsatzbereitschaft und Handlungsgeschick hinter der Carl-Strehl-Plakette stehen, die wir heute verleihen.
Lieber Otto, Diese Gelegenheit soll auch dazu dienen, "danke" zu sagen: dafür, dass wir von deiner Fähigkeit profitieren durften auszugleichen, wenn die Wogen einmal besonders hoch schlugen; dafür, dass du geduldig zugehört hast, wenn die Zeit auch noch so drängte, und auch dafür, dass du uns bei dem, was gemeinsam zu tun war, ein immer freundlicher und zuversichtlicher Mitstreiter warst und bist.
… und nun: Genug der Worte, Es ist Zeit für die Auszeichnung!
Bundesverdienstkreuz für Cordula Freifrau von Brandis-Stiehl und Siegfried Meister
Bundespräsident Joachim Gauck überreichte am 4. Oktober 2013 das Bundesverdienstkreuz am Bande an die Ärztin und Psychotherapeutin Cordula von Brandis-Stiehl aus Marburg. Sie engagiert sich seit 20 Jahren in der Selbsthilfegruppe Pro Retina Deutschland, die Menschen mit Netzhautdegenerationen Beratung und Unterstützung bietet und intensive Kontakte zur Forschung fördert. Außerdem hat sie ein Netzwerk für Aus- und Fortbildung blinder Menschen aufgebaut, berät Menschen mit fortschreitender Netzhauterkrankung in sozialen Fragen und hilft ihnen bei der psychischen Auseinandersetzung mit der Erblindung. Darüber hinaus hält Cordula von Brandis-Stiehl immer wieder Fachvorträge, ist gefragte Referentin bei Seminaren und hat einen stark nachgefragten Ratgeber für sehgeschädigte Menschen und ihre Angehörigen unter dem Titel "Wenn die Sehkraft schwindet" veröffentlicht.
Siegfried Meister erhielt am 16. Dezember 2013 aus der Hand von Staatsministerin Ilse Aigner das Bundesverdienstkreuz. Siegfried Meister ist seit vielen Jahren für verschiedene Selbsthilfeorganisationen ehrenamtlich engagiert. Er war 33 Jahre lang, von 1972 bis 2005, stellvertretender Bezirksgruppenleiter der Bezirksgruppe Nordbayern des DVBS. 1982 war er einer der Gründer des Tandemclub Franken e.V. und hat diesen bis 2001 als Vorstand geleitet.
In der Bezirksgruppe Mittelfranken des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds (BBSB) war Siegfried Meister von 1975 bis 2011 aktiv. Seit 30 Jahren gehört er dem Vorstand des Sterbegeldversicherungsvereins der Mitglieder und Mitarbeiter des BBSB e. V. an. Im Jahr 1999 erhielt er die Medaille für besondere Verdienste des BBSB. Zu diesen Leistungen gehört viel persönlicher Einsatz. Wir gratulieren Siegfried Meister zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes für seine Verdienste um die Blindenselbsthilfe und das Blindenwesen. Für seine Unterstützung sei ihm und seiner Familie an dieser Stelle gedankt.
Wir haben einen Kämpfer verloren
Am 3. Dezember 2013 verstarb in Marburg unser langjähriges Vorstandsmitglied Dieter Richter im Alter von 75 Jahren. Dieter Richter hat sich sehr um den DVBS verdient gemacht. Von 1974 bis 1988 war er Vorstandsmitglied im früheren VbGD und jetzigen DVBS. Anschließend hat er lange Zeit den Arbeitsausschuss, das höchste DVBS-Gremium zwischen den Mitgliederversammlungen, geleitet und überdies 25 Jahre die Geschicke der Fachgruppe Verwaltung bzw. Gehobener Dienst, wie sie früher hieß, gelenkt. Darüber hinaus hat er sich lange Jahre mit großem Engagement um die Hilfsmittelversorgung für sehbehinderte und blinde Menschen, die sich solche teilweise nicht leisten konnten, gekümmert oder Hilfsmittel in die dritte Welt versandt. In all diesen Funktionen hat er sein hervorragendes Organisationstalent unter Beweis gestellt. Über lange Jahre hat er außerdem für Kriegsblinde ehrenamtlich Punktschriftkurse gegeben. Schach, Tandem und elektronische Hilfsmittel waren einige seiner vielen Hobbys.
Ich kannte Dieter seit gut 50 Jahren und habe ihn sehr geschätzt. Seine gelegentlich etwas derbe Art hat den einen oder anderen sicher gelegentlich abgeschreckt. Aber auf Dieter - Spitzname Kilian - konnte man sich, wenn er etwas zugesagt hatte, jederzeit verlassen. Halbe Sachen waren sein Ding nicht.
Unsere Gedanken sind bei seiner Frau Hannelore, die ihn stets "durch dick und dünn" begleitet hat, und bei seiner Familie. Auch wenn er in seinen letzten Lebensjahren krankheitsbedingt in unserem Verein nicht mehr so präsent war wie vorher, so werden Wir ihn und seine zupackende Art doch sehr vermissen.
DVBS lädt blinde und sehbehinderte Jugendliche zum 20.ICC 2014 ein
Der DVBS lädt blinde und sehbehinderte Jugendliche von 16 bis 21 Jahren zum "20th International Camp on Communication & Computers (ICC)" ein. Zusammen mit Gleichaltrigen aus bis zu 30 Ländern lernen Sehgeschädigte neue Informationstechnologien, Blinden- und Sehbehindertenspezifische Geräte und alles, was mit Zugänglichkeit zusammenhängt, kennen. Darüber hinaus widmen sich weitere Workshops der Verbesserung der eigenen Kommunikations- und Präsentationsfähigkeiten, eröffnen internationale und interkulturelle Erfahrungen und geben Studien- und Berufsperspektiven. Campsprache ist Englisch.
Das ICC 2014 findet vom 3. bis 12. August in Riga, der Hauptstadt von Lettland, statt. Riga ist 2014 Europäische Kulturhauptstadt.
Bewerben können sich Sehgeschädigte im Alter von 16 bis 21 Jahren. Pro Land werden sechs Teilnehmer zugelassen. Die Zulassung erfolgt nach Eingang der Bewerbung. Die Teilnehmergebühr beträgt 400 Euro und umfasst Unterkunft, Verpflegung und das gesamte Workshop- und Freizeitangebot. Nicht enthalten sind An- und Abreise. Der DVBS ist dank der freundlichen Unterstützung der Reinhard Frank-Stiftung, Hamburg, im Bedarfsfall in der Lage, finanzielle Unterstützung zu leisten.
Nähere Informationen zum ICC 2014 können bei Joachim Klaus per E-Mail (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) oder telefonisch unter 0049171 3668310 eingeholt werden.
Bericht von der Tagung des Arbeitsausschusses des DVBS
27 stimmberechtigte Mitglieder des Arbeitsausschusses tagten vom 22. bis zum 24. November 2013 in Kirchheim/Hessen
Beim Bericht des Vorstands hob der Vorsitzende, Uwe Boysen, hervor, dass es unbedingt notwendig ist, bei den Gesetzesvorhaben zu E-Justice und E-Government sicherzustellen, dass die Elektronischen Akten, deren Einführung bei Justiz und Verwaltungen das Ziel des gesetzgeberischen Handelns in dieser Angelegenheit ist, barrierefrei sein müssen. Ansonsten seien die Bemühungen, blinden und sehbehinderten Menschen eine berufliche Perspektive bei Gerichten und Verwaltungen zu erhalten, erheblich erschwert. Beim Gesetz zur sozialen Teilhabe (GsT) werde man sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass blinde und sehbehinderte Menschen ein Teilhabegeld ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen erhalten, um ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
Der zweite Vorsitzende, Dr. Heinz Willi Bach, beschäftigt sich im Vorstand schwerpunktmäßig mit der beruflichen Eingliederung schwerbehinderter Menschen. Er berichtete: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) weigert sich nach wie vor, die Erwerbslosenquoten der verschiedenen Behindertengruppen statistisch auszuweisen. Hier muss weiter seitens der Selbsthilfe auf die BA eingewirkt werden, damit dem Bemühen zur beruflichen Eingliederung blinder und sehbehinderter Menschen verlässliche Zahlenwerte zugrunde gelegt werden können. Prüfungen des Bundesrechnungshofes haben ergeben, dass die Regionalagenturen der BA behinderte Menschen eher nachrangig auf dem Arbeitsmarkt vermitteln. Um dies zu ändern, gibt es einen intensiven Schriftwechsel zwischen der BA und dem DVBS.
Ursula Weber, im Vorstand zuständig für Bildungsfragen, beklagt den Mangel von gut ausgebildeten Blinden- und Sehbehindertenpädagogen.
Uwe Bruchmüller, zuständig im Vorstand für die Arbeit der Vereinsgremien und die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern, gab bekannt, dass der DVBS seine Geschäftsanteile an der Gesellschaft "Rechte behinderter Menschen" gGmbH (rbm) vollständig auf den DBSV übertragen habe. Die rechtliche Beratung der Mitglieder des DVBS sei mittels eines Kooperationsvertrages, der zwischen der RbM und dem DVBS abgeschlossen worden sei, sichergestellt.
Bei der Zusammenarbeit zwischen DBSV und DVBS sollen künftig vermehrt die Kompetenzen des DVBS bei der beruflichen Eingliederung blinder und sehbehinderter Menschen in den Fokus gerückt werden.
Andrea Katemann, zuständig für die Medienarbeit, berichtete, dass der Internetauftritt unseres Vereins überarbeitet worden sei. Dabei habe man insbesondere die Belange sehbehinderter Menschen durch den vermehrten Einsatz von Fotos und die Verwendung von Vergrößerungs- und Kontrastschaltern berücksichtigt. Die Anzahl der Mitglieder des DVBS war 2013 leicht rückläufig. 2012 erwirtschaftete der DVBS einen erheblichen Fehlbetrag.
Der Vorstand beauftragte den Geschäftsführer, dem Haushaltsausschuss eine kostenrechnerische Analyse der wichtigsten Geschäftsbereiche vorzulegen. Auf einer Sondersitzung im Juni entwickelte der Haushaltsausschuss Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der strukturellen wirtschaftlichen Lage und legte sie im August dem Vorstand vor. Kurzfristig gehandelt werden soll im Geschäftsbereich Seminare. Der Vorstand beauftragte eine Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung von Vorschlägen zur Konsolidierung dieses Geschäftsbereiches.
Der Vorstand wurde für das Haushaltsjahr 2012 mit 26 Ja-Stimmen bei keiner Enthaltung und keiner Gegenstimme entlastet. Der Wirtschaftsplan für das Jahr 2014 wurde einstimmig festgestellt.
Das Projekt "Barrierefreie Informationstechnik für inklusives Arbeiten" (BITI) wurde von Dr. Roland Zimmermann vorgestellt. Er nannte drei Ansatzpunkte dieses Projektes:
- Den sozialwissenschaftlichen Ansatz: Hier wird untersucht, welche Barrieren es bei der Informationstechnik an Arbeitsplätzen gibt.
- Den Entwicklungsansatz: Im Mittelpunkt steht dabei die Entwicklung eines Testverfahrens für nicht webbasierte Software auf grafischen Oberflächen.
- den begleitenden Ansatz: Es sollen Kompetenzzentren für die Barrierefreiheit von Informationstechnik in Behörden und Betrieben aufgebaut werden. Die entsprechenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen dabei zu Experten in Sachen Barrierefreiheit von Informationstechnik ausgebildet werden und dann mit diesem Wissen als Multiplikatoren für die Barrierefreiheit von Informationstechnik wirken.
Die Fachgruppe Ausbildung wird in Fachgruppe Studium und Ausbildung umbenannt. Die bisherigen Bezirke "Ruhr" und "Rheinland-Saar" werden neu zu den Bezirksgruppen "Nordrhein-Westfalen" und "Rheinland-Pfalz/Saar" zugeschnitten. Die Bezirksgruppenleitungen werden kommissarisch besetzt. Zeitnah sollen in den neu gebildeten Bezirken Mitgliederversammlungen einberufen und Leitungsteams gewählt werden.
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Seminartermine 2014:
27. bis 30. Januar: Fortbildungsseminar der FG Musik (Dirigieren, Unterricht mit sehenden Schülern, Computernotensatz) in Hannover
1. Februar: Notennetzwerktagung der FG Musik in Hannover
13. bis 16. März: Fortbildungsseminar der FG Sehbehinderte in Herrenberg
20. Juni: Treffen der Fachgruppen und Querschnittsgruppen des DVBS im Rahmen der Selbsthilfetage 2014 in Marburg
21. Juni: Mitgliederversammlung des DVBS in Marburg
18. bis 20. Juli: Tai Chi , Qi Gong und Selbstverteidigung mit dem Blindenstock, Ort: N.N.
5. bis 7. September: Bundesweites Treffen blinder und sehbehinderter Studierender und Auszubildender in der Jugendherberge Bingen
18. bis 21. September: Fortbildungsseminar "Reden und Präsentieren" der FG Wirtschaft in Herrenberg
4. bis 11. Oktober: Seminar der Gruppe Ruhestand "Altern und Blindheit" in Saulgrub
24. bis 26. Oktober: Psychodrama-Selbsterfahrungsseminar (Fachgruppenübergreifend) in Saulgrub
Weitere Informationen zu den Terminen finden Sie unter www.dvbs-online.de/php/aktuell.php
(Auch) auf fünf Standbeinen ein voller Erfolg!
Das blista-Sommercamp 2013
Bereits zum dritten Mal fand im Sommer 2013 das "blista-Sommercamp" statt. 10 blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche im Alter von 13 bis 16 Jahren hatten eine Woche lang Gelegenheit, sich in verschiedenen Disziplinen auszuprobieren und gemeinsam mit anderen eine schöne Zeit zu verbringen. Einige waren zum ersten Mal dabei, andere schon zum wiederholten Male.
Standen bei den vergangenen beiden Sommerfreizeiten nur das Kanufahren und der Umgang mit dem PC auf dem Programm, wurde die Palette der Aktivitäten erweitert und die Freizeit erstmalig auf fünf Standbeine gestellt, berichtet Brigitte Luzius, Leiterin der Jugendfreizeit. Ein buntes Programm, bestehend aus Trommeln, Klettern, Kanufahren, IT und Blindenfußball, bescherte den Teilnehmenden eine abwechslungsreiche Zeit. "Die Angebote machen Spaß und man lernt viele neue Kinder kennen", sagt Eyleen (14). Gewohnt haben die Teilnehmer des Sommercamps in einer der Wohngruppen des Internats der blista und wurden von einem Team pädagogischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreut, die laut Leon (14) auch sehr nett sind. Sie begleiteten die Kinder und Jugendlichen außerhalb der Camp-Elemente durch den Alltag. Natürlich gefällt nicht jedem alles gleich gut. Wo die Mädchen lieber Kanu fuhren, wie Meike (13) angibt, fanden die Jungen eher Gefallen am Programmieren oder Blindenfußball. Eines sagen jedoch alle übereinstimmend: "Wir würden wiederkommen und empfehlen das blista-Sommercamp anderen Kindern und Jugendlichen weiter."
Ferienspaß für sehbehinderte und blinde Jugendliche 2014
Unter dem Motto "Probier dich aus - Mach dich fit!" haben sehbehinderte und blinde Jugendliche im Alter von 13 bis 16 Jahren im Sommer 2014 wieder eine Woche lang die Chance, sich beim Klettern, Trommeln, Kanufahren oder Geocaching auszutoben und ihre "IT-Fitness" zu verbessern. Ausgerichtet wird diese Sommerfreizeit von der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista) in Marburg in Kooperation mit dem Jugendclub des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) in Berlin.
Vom 29. August bis 4.September 2014 lernen die Teilnehmer das Kanufahren auf der Lahn und erleben ein kreatives Klang- und Rhythmusabenteuer auf der Trommel. Wer gerne einmal hoch hinaus will - oder einfach nur in den Seilen hängen möchte - ist beim Klettern gut aufgehoben. Weiterhin lernen die Kinder den Natursport Geocaching kennen und daneben kann man, auf die jeweilige Sehbehinderung abgestimmt, seine Medienkompetenz am Computer verbessern. Die Jugendlichen wohnen in einer Wohngruppe der blista im Marburger Zentrum und werden von erfahrenen Pädagogen betreut.
Das spannende Programm inklusive Unterkunft und Verpflegung kostet 295 Euro pro Person. Anmeldeschluss für das nächste Sommercamp ist der 30. Mai 2014. Interessenten wenden sich per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
„Ältere Menschen werden zu oft allein gelassen“
blista mit Kurt-Alphons-Jochheim-Medaille für Reha-Arbeit geehrt
Im Rahmen ihrer diesjährigen Mitgliederversammlung zeichnete die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) die Deutsche Blindenstudienanstalt mit der Kurt-Alphons-Jochheim-Medaille aus. Sie würdigte dabei die herausragende Weise, in der behinderte Menschen seit Jahrzehnten u. a. anhand der hoch qualifizierten Schulungsangebote der Fachschule für Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation im Hinblick auf ihre Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit individuell gefördert werden.
Überzeugt haben - so die schriftliche Begründung - dabei "insbesondere die Förderbereiche "Orientierung und Mobilität" und "Lebenspraktische Fähigkeiten" sowie die bereits seit langem betonte individuelle Förderung aller noch vorhandenen, funktional einsetzbaren Ressourcen …".
Aber auch die speziellen Angebote für die wachsende Zahl von Senioren mit Sehproblemen wurden ausgesprochen positiv bewertet.
Die Laudatoren, Renate Reymann, Präsidentin des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), und Prof. Dr. Franz Grehn, Präsidiumsmitglied der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und Direktor der Universitäts-Augenklinik Würzburg, stellten das inhaltliche Spektrum der Arbeit mit blinden und sehbehinderten Menschen sehr anschaulich dar, auch im internationalen und gesellschaftlichen Zusammenhang.
"Rehabilitation ist der Schlüssel zur Selbstständigkeit", betont Reymann, und sie bedauert, dass die Finanzierung dieser unverzichtbaren Rehabilitation oft nicht gesichert ist. Sie spricht die Hoffnung aus, dass die politische Forderung des DBSV nach Kostenübernahme durch die Krankenkassen durchgesetzt werden kann. Sie sagt, "ältere Menschen mit Sehproblemen werden viel zu oft mit ihrem Schicksal allein gelassen, obwohl ihnen mit vergleichsweise wenig Aufwand nachhaltig geholfen werden könnte. Derzeit ist für Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Unfall ihre Sehfähigkeit einbüßen, keine Anschlussrehabilitation vorgesehen und dies muss sich schnell ändern!"
Prof. Grehn unterstreicht aus medizinischer Perspektive die Notwendigkeit einer Rehabilitation. Es gehe um "die Wiederherstellung von Fähigkeiten, die bisher vorwiegend durch das Sehen gesteuert wurden und jetzt durch andere Information ausgefüllt werden müssen". Außerdem macht er klar, dass in Bezug auf die Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) von einer Volkskrankheit gesprochen werden muss.
Die Auszeichnung überreichte der Vorsitzende der DVfR, Dr. Matthias Schmidt-Ohleman. Er betonte bei der Übergabe der Medaille, dass das sehr breite Leistungs- und Unterstützungsangebot der blista betroffenen Menschen ermöglicht, lebenspraktische Kompetenzen zu erwerben, um ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben weitgehend ohne fremde Hilfe führen zu können. Vorbildlich sind diese Angebote auf die "Hilfe zur Selbsthilfe" ausgerichtet. Die partizipativen Strukturen der vielfältigen Fachdienste, Informations- und Kommunikationsangebote für Betroffene, Angehörige und Fachleute, an denen blinde und sehbehinderte Experten ganz selbstverständlich mitwirken, sind einzigartig und beispielgebend.
Den Dank für die hohe Auszeichnung und die anerkennenden Worte überbringt der Vorsitzende des blista-Verwaltungsrats, Bernd Höhmann. Er bringt seine Erwartung zum Ausdruck, dass die Verleihung der Kurt-Alphons-Jochheim-Medaille zusätzliche Schubkraft bei der Überzeugungsarbeit in Öffentlichkeit und Fachkreisen für die Belange von sehbehinderten und blinden Menschen entwickeln möge. Die blista wird die Zusammenarbeit mit der DVfR - auch als deren Mitglied - zur Umsetzung der gemeinsamen Grundanliegen intensivieren, so Höhmann.
Mit den Fingerspitzen über die Düsseldorfer „Kö“ bummeln
Nachdem in diesem Jahr von der blista unter anderem ein taktil/farbiger Stadtplan für Frankfurt und ein Plan des Marburger Hauptbahnhofs erstellt wurde, konnte vor kurzem auch das Bronzemodell der Düsseldorfer Königsallee übergeben werden. Mit Hilfe dieses Modells können sich sehbehinderte und blinde Menschen in der Umgebung des Einkaufsboulevards orientieren und eine Vielzahl von Gebäuden ertasten. Die Düsseldorf Marketing & Tourismus GmbH (DMT) hat den Inhalt und die Struktur des Stadtplans in enger Zusammenarbeit mit der blista und dem Allgemeinen Blindenverein Düsseldorf e.V. sowie dem Verein sehbehinderter Menschen abgestimmt. Die konkrete Umsetzung erfolgte durch die blista. Im Maßstab von etwa 1:1000 bildet das Modell bekannte Gebäude und Brunnen sowie markante Punkte aus der Umgebung der Königsallee ab. Ein weiteres Modell gibt es bereits von der Düsseldorfer Altstadt, das ebenfalls in Kooperation mit der blista erstellt wurde.
Impressum
Herausgeber: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
Redaktion: DVBS (Uwe Boysen, Michael Herbst, Andrea Katemann und Christina Muth) und blista (Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Rudi Ullrich und Marika Winkel)
Koordination: Christina Muth, Geschäftsstelle des DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-13, Fax: 06421 94888-10, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de
Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung der Redaktion.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.): Michael Herbst (DVBS) und Rudi Ullrich (blista)
Erscheinungsweise: Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.
Jahresbezugspreis: 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe, 35 Euro für alle übrigen Ausgaben. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
Bankkonten des DVBS: Sparkasse Marburg-Biedenkopf IBAN: DE42 5335 0000 0000 0002 80 (BIC: HELADEF1MAR) - Postbank Frankfurt (für Überweisungen aus dem nicht-europäischen Ausland), IBAN: DE95 5001 0060 0149 9496 07 (BIC: PBNKDEFFXXX)
Verlag: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389, Jahrgang 76
Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen
Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.
Titelbild:ÜbergängeFoto: Christina Muth/DVBS
Nächste Ausgabe (horus 2/2014): Schwerpunktthema: Erfahrungen in der Fremde: Erscheinungstermin: 26. Mai 2014, Anzeigenannahmeschluss: 25. April 2014, Redaktionsschluss: 1. April 2014
Inhaltsübersicht
horus 1/2014, Jg. 76
"Länger, härter, konsequenter - blind und sehbehindert mithalten"
Vorangestellt
In eigener Sache
Schwerpunkt: "Länger, härter, konsequenter - blind und sehbehindert mithalten"
- Dr. Klaus-Peter Pfeiffer: Nicht länger und härter, sondern geschickter, flexibler und erfolgreich - Vorteile nutzen!
- Dr. Heinz Willi Bach: Beunruhigend starker Anstieg der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Akademiker - ZAV muss reformiert werden
- Ursula Weber: Talente-Karussell: Organisation, Fleibilität und Gelassenheit
- Peter Beck: Dem Redakteur ist nix zu schwör - oder doch?
- Dr. Michael Richter: "Das habe ich nie gewollt"
- Dr. Otto Hauck: Nachteilsausgleiche - wozu brauchen wir sie?
- Regina Pfanger: Knick in der Optik - von der Mühsal, mit Sehbehinderung als vernunftsbegabtes Wesen wahrgenommen zu werden
Bildung und Wissenschaft
- Annalena Knors: "Frankfurt an der Endweder" oder "Ein Studium im Herzen Europas?"
Recht
- Uwe Boysen: Lernprozesse
Bücher
- Sabine Hahn: Hörtipps
- Savo Ivanic: Buchtipps aus der blista
- "Rehabilitation bei Sehbehinderung und Blindheit"
Panorama
- Orientierungsveranstaltung für angehende Studierende
- Handbuch "Studium mit Behinderung" erschienen
- 12. Deutscher Hörfilmpreis: 9 Filme gehen ins Rennen
Barrierefreiheit und Mobilität
- Savo Ivanic: In Büchern schmökern trotz Sehverlust - Modellprojekt "Hörbücherei vor Ort" macht's möglich
- Unter Druck - Blindenführhunde auf Druckbelastungen beim Führen untersucht
Berichte und Schilderungen
- Christina Muth: Hohe Auszeichnung: Dr. Otto Hauck erhielt die Carl-Strehl-Plakette
- Wolfgang Angermann: Laudatio
- Bundesverdienstkreuz für Cordula Freifrau von Brandis-Stiehl und Siegfried Meister
- Uwe Boysen: Wir haben einen Kämpfer verloren
Aus der Arbeit des DVBS
- DVBS lädt blinde und sehbehinderte Jugendliche zum 20. ICC 214 ein
- Bericht von der Tagung des Arbeitsausschusses des DVBS
- Terminvorschau
Aus der blista
- Saskia Welty: (Auch) auf fünf Standbeinen ein voller Erfolg!
- Rudi Ullrich: "Ältere Menschen werden zu oft allein gelassen"
- Rudi Ullrich: Mit den Fingerspitzen über die Düsseldorfer "Kö" bummeln